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Abschlussbericht des

Forschungsprojektes

DIETZENBA C H 2030
DEFINITIV UNVOLLENDET

Forschungsprojekt
des Bundesministeriums
für Bildung und Forschung

Im Forschungsverbund
Stadt 2030
Wissenschaftliche Begleitforschung
Deutsches Institut für Urbanistik
Berlin

Projektteam
FB Stadtplanung und Bauen, Stadtverwaltung Dietzenbach
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt
Technische Universität Darmstadt
Büro Topos, Darmstadt

Dokumentation
Büro Topos

Darmstadt
November 2003
INHALT

1 EINLEITUNG Marianne Rodenstein 9

2 AUSGANGSLAGE 15

2.1 Entwicklung der heutigen Struktur Dietzenbachs 16

2.1.1 Entwicklung Dietzenbachs von 1945-1960 Claas Bigos 16


2.1.2 Die Bedeutung von Leitbildern im Städtebau
zwischen 1945 und 1965 Stefan Böhm-Ott 18
2.1.3 Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme Dietzenbach Claas Bigos 21
2.1.3.1 Ziele 22
2.1.3.2 Instrumente 23
2.1.3.3 Zeitrahmen 24
2.1.4 Umsetzung und Verlauf der Entwicklungsmaßnahme Claas Bigos 25
2.1.4.1 Baustruktur 26
2.1.4.2 Infrastruktur 26
2.1.4.3 Entwicklung der Einwohnerzahl 27
2.1.5 Partizipation Claas Bigos 29
2.1.5.1 Partizipation innerhalb der Bauleitplanung 29
2.1.5.2 Ausländerbeirat 31
2.1.5.3 Seniorenbeirat 32

2.2 Bewertung der Folgen: Die aktuelle Situation der Stadt 34

2.2.1 Die städtebauliche Struktur 34


2.2.1.1 Baustruktur ClaudiaBecker/Martin Wilhelm 34
2.2.1.2 Fragmentierung 37
2.2.1.3 Fragmentierte Stadtmitte - Verkehrsinfrastruktur Barbara Boczek 39
2.2.1.4 Rolle in der Region 41
2.2.2 Die Einwohnerinnen und Einwohner Dietzenbachs Stefan Böhm-Ott 41
2.2.2.1 Gesamtstädtische Merkmale 41
2.2.2.2 Fragmentierungen-Merkmale von Teilräumen 43
2.2.3 Erste Konsequenzen: Neue Ansätze in der Planung 47
2.2.3.1 Wandel im Bereich der Entwicklungsmaßnahme Claas Bigos 47
2.2.3.2 Wohnvorstellungen 48
2.2.3.3 Abkehr von der Angebotsplanung: Baugebiet 70 49
2.2.3.4 Die Agenda-21-Prozess in Dietzenbach Vasili Saridis 50
2.2.3.5 Der Hessentag als Event 51
3 PROJEKTBESCHREIBUNG 55

3.1 Zur Vorgeschichte Claudia Becker/Martin Wilhelm 56

3.2 Anlass zur Teilnahme am Bundeswettbewerb 57


Stadt 2030 Stefanie Rohbeck

3.3 Problembeschreibung - von Leitbildern 59


zu Diskursen Stefan Böhm-Ott

3.4 Zielsetzungen 62

3.4.1 Das Erkennen von Potenzialen in der Stadt Claudia Becker/Martin Wilhelm 62
3.4.2 Ressourcenbewusster Städtebau 63
3.4.3 Veränderter Blick auf die Stadt 64
3.4.4 Handlungsorientierte Partizipation Barbara Boczek 66
3.4.5 Individuum als Adressat 66
3.4.6 Neue Kommunikationsform 67

4 PROJEKTREALISIERUNG 69

4.1 Methodik, Strategie und Genese 71

4.1.1 Ästhetische Setzung Barbara Boczek/Vasili Saridis 71


4.1.1.1 Das Medium: Ästhetik und Symbol 71
4.1.1.2 Der Einfluss der Kunst 72
4.1.1.3 Der Grad des Reizes 73
4.1.1.4 Die Partizipation am Aufbau 74
4.1.1.5 Die Ritualisierung der Transformation 76
4.1.1.6 Die Zeichen des Handelns 76
4.1.2 Die Kampagne "100 Quadratmeter" Claudia Becker/Martin Wilhelm 78
4.1.2.1 Strategie 79
4.1.2.2 Thema finden-Nerv treffen 80
4.1.2.3 Vorbilder 81

4.2 Setzung der Stelenreihe Barbara Boczek/Vasili Saridis 84

4.2.1 Voraussetzungen: Verhandlungen mit der Verwaltung 84


4.2.2 Entgegensetzung: Kostenfaktor 84
4.2.3 Inszenesetzung des Prozesses 85
4.2.4 Einsetzung: Aufbau der Stelenreihe 88
4.2.5 Entsetzung: Reaktionen 92
4.2.6 Versetzung: Transformation der Stelenreihe 94
4.2.7 Zeichensetzung: Individuelle Teilnahme 96
4.3 Öffentlichkeitsarbeit 98

4.3.1 Faltblatt und Plakate Claudia Becker/Martin Wilhelm 98


4.3.2 Arbeiten im öffentlichen Raum - der Bauwagen Petra Günther 100
4.3.2.1 Beschreibung des Ansatzes 100
4.3.2.2 Struktur des Publikums 101
4.3.2.3 Ablauf der Gespräche 102
4.3.3 Struktur und Umgang mit Nutzungswünschen Claas Bigos/Stefanie Rohbeck 103
4.3.3.1 Struktur der Nutzungswünsche 103
4.3.3.2 Umsetzungs- und Abstimmungsprozess 107

4.4 Umsetzungen und Umsetzungspläne


der Kampagne "100 qm" Claudia Becker/Martin Wilhelm 110
4.4.1 Temporäre Flächenbesetzungen 110
4.4.2 Übernahme öffentlicher Aufgaben in Form von
Gestaltung öffentlicher Flächen 114
4.4.3 Veränderung und Umsetzung überambitionierter,
nicht realisierter Planungen 116

4.5 Die sozialwissenschaftliche Projektbegleitung 118

4.5.1 Inhaltsanalyse der Presseveröffentlichungen


- Öffentliche Diskurse Stefan Böhm-Ott 118
4.5.1.1 Initiierung von Diskursen 119
4.5.1.2 Diskussion über Nutzungen 121
4.5.1.3 Reflexe: Geldverschwendung, Provokation 122
und Kunst
4.5.1.4 Zentrale Dimension: Das Stelenprojekt 125
4.5.2 Facetten der Differenz und des Reichtums -
die Befragung der Stadtbevölkerung Stefan Böhm-Ott 126
4.5.2.1 Methodische Anmerkungen 126
4.5.2.2 Quartierstypische Differenzen 126
4.5.2.3 Bewegungsräume in der Stadt 128
4.5.2.4 Wahrnehmung der Stadt 129
4.5.2.5 Wahrnehmung des Projekts Stadt 2030 132
4.5.3 Befragung der Projektteilnehmerinnen
und Projektteilnehmer Petra Günther 134
4.5.3.1 Nutzungsnachfrage 134
4.5.3.2 Nutzungswünsche 135
4.5.3.3 Strukturmerkmale 136
4.5.3.4 Wahrnehmung von Dietzenbach 140
4.5.3.5 Fazit 144
4.5.4 Die Entdeckung des "Reichtums". Die Besonder- Stefan Böhm-Ott/
heiten der Gruppe der Nutzungsinteressierten - Petra Günther/
Vergleich der beiden Befragungsreihen Marianne Rodenstein 146
4.5.4.1 Sozialstruktur 146
4.5.4.2 Wahrnehmung Dietzenbachs 147
4.5.4.3 Resümee 147
4.5.4.4 Empfehlungen 148

5 REFLEXION 151

5.1 Projektergebnisse aus Sicht der


Stadt Dietzenbach Claas Bigos/Stefanie Rohbeck 152
5.1.1 Erfolge bei der Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger 152
5.1.2 Umgang mit Nutzungswünschen 153
5.1.3 Defizite in der Stadtentwicklung Dietzenbachs 156

5.2 Reflexionen aus Sicht des Büro Topos Barbara Boczek 158

5.2.1 Erreichen der Zielsetzung 158


5.2.2 Individuum und Gesellschaft 158
5.2.2.1 Überprüfen des Anspruchsdenkens 158
5.2.2.2 Gemeinschaftssymbol und Handlung 159
5.2.2.3 Teilhabe über Individuelles Interesse 159
5.2.2.4 Chancen für das Gemeinwesen 159
5.2.2.5 Toleranz und Aushandeln 160
5.2.3 Ästhetische Setzung als geeignetes Instrument 162
5.2.3.1 Spielerischer Input 162
5.2.3.2 Angemessenheit 162
5.2.3.3 Typologischer Vergleich 163
5.2.4 Übertragbarkeit 164

5.3 Resümee aus Sicht der Fachgruppe


Stadt, TU Darmstadt Claudia Becker/Martin Wilhelm 165
5.3.1 Was wurde erreicht? 165
5.3.2 Die geänderte Rolle des Städtebauers/ der
Städtebauerin
5.3.2.1 Eingeübte städtebauliche Handlungsmuster 168
revidieren
5.3.2.2 Akzeptanz des Vorhandenen 168
5.3.2.3 Konkrete Umsetzungen und Vermeidung von
Leitbildern 168
5.3.2.4 Analyse und "positive Provokation" 169
5.3.2.5 Umsetzungsorientierter Prozess und
Umgang mit dem Unerwarteten 169
5.3.2.6 Prozessplanung und städtebauliche Unterstützung 169
5.3.2.7 Betreuung langfristiger Entwicklungen 170
5.3.2.8 Veränderte städtebauliche Sicht 170
5.3.3 Kritik und Empfehlungen 171

5.4 Reflexionen aus Sicht der Johann Wolfgang


Goethe-Universität Frankfurt Stefan Böhm-Ott/Marianne Rodenstein 172
5.4.1 Integration 172
5.4.2 Ergebnisse dekonstruktiven Vorgehens 174
5.4.3 Die Verallgemeinerbarkeit des dekonstruktiven
Planungsprozesses 175

6. ANHANG 179

6.1 Abbildungs- und Tabellenverzeichnis 180

6.2 Literaturverzeichnis 185

6.3 Impressum 186


EINLEITUNG
10
Das Projekt "Dietzenbach 2030 - definitiv unvoll- Stattdessen ging das Projektteam davon aus,
endet" wurde in den Ideenwettbewerb und die dass man, wenn man etwas für die Zukunft der
Förderung durch das BMBF als Beitrag zum Stadt tun wolle, zunächst einen Bruch mit allen
Thema Integration aufgenommen, da die Stadt bisherigen städtebaulichen und sozialwissen-
weithin bekannt ist für ihre räumliche Fragmen- schaftlichen Sicht- und Vorgehensweisen herbei-
tierung und soziale Segregation. Dank einer führen müsse, um darüber Lernprozesse in Gang
1972 begonnenen und auf Grund fehlender zu setzen, die der finanziellen Lage der Kommu-
wirtschaftlicher Impulse bis heute nicht abge- ne adäquat sind und den Anforderungen des
schlossenen städtebaulichen Entwicklungsmaß- "aktivierenden Staates" und der Verwaltungsmo-
nahme besteht die Stadt mit fast 33.000 Ein- dernisierung entsprechen. Es sollte auch im Vor-
wohnerinnen und Einwohnern aus verschiede- aus keine Festlegung auf ein inhaltlich zu bear-
nen z. T. nicht zusammenhängenden Quartieren beitendes Thema, also etwa der Integration,
und einer durch Rathaus, Kreishaus und Ein- stattfinden, da das Projektteam die Durchfüh-
kaufsmarkt gekennzeichneten Stadtmitte, um rung des Projektes als einen offenen dekons-
die herum sich Brachen ausbreiten. Als sozial truktiven Prozess plante, bei dem zunächst un-
segmentiert wird Dietzenbach wahrgenommen, klar war, welches Thema sich in den Vorder-
weil etwa ein Drittel seiner Bevölkerung einen grund schieben würde.
Migrationshintergrund hat und diese sich spe- Allerdings gab es auch noch andere Vorbehalte,
ziell in besonderen Quartieren der Stadt sam- die Stadt Dietzenbach mit dem Thema Integra-
melt. tion zu konfrontieren. Ist es wirklich ein Problem
Die Ausschreibung des BMBF hatte gefordert, für die Stadt selbst, dass sie von außen als
dass Zukunftskonzeptionen und Leitbilder mit räumlich fragmentiert und sozial segregiert er-
visionärem Charakter entwickelt würden, die als scheint? Wird die Stadt damit nicht mit einem
Bewertungsrahmen für aktuelle politische und falschen Maßstab gemessen? Spricht man von
planerische Entscheidungen dienen sollten. Es Fragmenten und Segregation, so hat man im
hätte also nahe gelegen, ein Leitbild zum The- Hintergrund die Vorstellung von etwas Ganzem,
ma städtebauliche und soziale Integration am Integriertem. Man hat das Bild einer kompakten
Beispiel Dietzenbach zu entwerfen. und sozial integrierten Stadt vor Augen, dem die
Die Entwicklung eines solchen Leitbilds wurde Stadt Dietzenbach nicht gerecht werden kann,
vom Projektteam jedoch als unzureichend für bzw. dem sie seit 30 Jahren vergeblich nach-
die besondere Struktur Dietzenbachs empfunden läuft.
und in seinem Antrag abgelehnt. Die Entwick- Eine solche Sichtweise brächte für diese Stadt
lung eines weiteren Leitbilds, das Sicherheit in nur das Defizitäre hervor. Das Projektteam woll-
eine höchst unsichere Zukunft projizieren sollte, te sich jedoch mit dem "Reichtum" der Stadt,
erschien vor den Dietzenbacher Erfahrungen als mit ihren eigenen Ressourcen befassen. Das
höchst zweifelhaft - spiegeln sich in den Struk- Projektteam verband mit diesem Ansatz die
turen Dietzenbachs doch die städtebaulichen Hoffnung, Diskurse über die Defizite der Stadt
Leitbilder der vergangenen Jahrzehnte, die ein überlagern zu können und aus den damit ver-
zeitadäquates, flexibles und planerisches Han- bundenen Selbstblockaden herauszuführen.
deln verhindern. So war es insbesondere die Damit wollte das Projektteam auch zeigen, wie
Dietzenbacher Stadtplanung, die, unterstützt man aus den eingefahrenen und heute unange-
von städtebaulichen und sozialwissenschaft- messenen, meist zu wenig flexiblen Gleisen der
lichen Argumenten, die Initiierung eines Leit- Stadtplanung und der Politik des Versorgungs-
bildprozesses ablehnte. Auch zu einer Festle- staates herauskommen könnte, um solche ge-
gung auf das Thema Integration fand sich das sellschaftlichen Ressourcen zu mobilisieren, die
Projektteam nicht bereit. der aktivierende Staat auch auf der kommuna-
11
len Ebene benötigt. In dem Sichtbarmachen gruppe äußerte, die der Personen mit Migra-
und zutage fördern der für die Stadt aktuell nutz- tionshintergrund und hier insbesondere die
baren gesellschaftlichen Ressourcen und dem Frauen. Auf diese Weise zeigte sich, dass die
Aufzeigen eines Weges, wie diese zu aktivieren sonst von der Stadt eher als Belastung empfun-
sind, sah das Projektteam ein konkretes und zu- dene arme, kinderreiche Bevölkerung mit Mig-
gleich auf die städtische Zukunft gerichtetes Ziel. rationshintergrund sich auf Grund ihres beson-
Insofern wurde im ersten Schritt der Reichtum ders positiven Bildes von der Stadt Dietzenbach
der Stadt bzw. ihre besonderen Ressourcen und ihrem Engagement als "Reichtum" der Stadt
identifiziert: die überdurchschnittlich junge Be- erweisen kann. Die Stadt muß ihre Bürgerinnen
völkerung und der brachliegende Boden. Diese und Bürger für deren eigene Interessen aktivie-
Ressourcen sollten dynamisiert werden. Deshalb ren, weil sie als Kommune selbst nicht mehr in
wurde im zweiten Schritt ein Experiment ent- der Lage ist, Leistungen im früher üblichen
wickelt, das den besonderen Reichtum Dietzen- Maße zu gewährleisten.
bachs an ungenutztem Boden ins öffentliche Darüber hinaus wurde ein weiteres Projektziel
Bewusstsein hob. Dieses Experiment bestand in erreicht. Das Experiment sollte auch eine für
der ästhetischen Setzung einer Reihe von 2.500 Verwaltung und Politik ungewöhnliche Situation
Holzstelen, die sich durch die Brachen in der erzeugen, die im dritten Schritt durch Konfron-
Stadtmitte Dietzenbachs hindurch zogen und im tation, Konflikt und Aushandlungsprozesse zu
Rahmen des Projekts von interessierten Bürge- ungewöhnlichen Lösungen außerhalb der Rou-
rinnen und Bürgern weggenommen und zur tine der Ämter führen sollte.
kurzfristigen Landnahme, auf dafür von der An dieser Stelle stieß das Projektteam wieder
Stadt kostenlos bereitgestellten Flächen von je auf das Thema Integration, hier als Frage, ob
100 qm, verwendet werden konnten. das bürgerschaftliche Engagement von Perso-
Die Installation der Stelenreihe und die daran nen mit Migrationshintergrund, die in der Mehr-
anschließende Kampagne für die Nutzung der zahl als türkische und marokkanische Staats-
100 qm Dietzenbach hatten einen großen und bürgerinnen und Staatsbürger kein Wahlrecht
so deutlich nicht erwarteten Widerhall. Ca. haben, im Rahmen des Projekts 2030 in die
1.000 Anfragen von Dietzenbacherinnen und Strategien politisch Verantwortlicher in Dietzen-
Dietzenbachern wurden in einem Bauwagen des bach einbezogen würde. Dazu muss man wis-
Projektteams bearbeitet, der sich in der Nähe sen, dass zu Anfang des Projekts die Verwal-
der Stelenreihe befand. 260 Personen meldeten tungsspitze eher davon ausging, dass der öffent-
sich mit dem Wunsch einer konkreten temporä- liche Raum der Stadt mit Hilfe einiger Kunstpro-
ren Nutzung von 100 qm Dietzenbach. Diese jekte interessanter gestaltet werden könnte. Die
große Nachfrage nach Bodennutzung insbeson- überraschend große Nachfrage der Bevölker-
dere als Garten- und Grabeland und zum Spie- ungsschicht mit Migrationshintergrund, die den
len für Kinder, die zu gut 80 % von Personen öffentlichen Raum zur Deckung ihres aktuellen
mit Migrationshintergrund geäußert wurde, war Bedarfs in wenig repräsentativer Weise benut-
an sich bereits ein Erfolg des Projekts. Nicht zen wollte, entsprach nun nicht mehr dem In-
nur deshalb, weil es einen bislang nicht erkann- teresse der Verwaltungsspitze. Schliesslich rück-
ten, vor allem von Musliminnen geäußerten Be- te damit eine Bevölkerungsgruppe ins Rampen-
darf zum Ausdruck brachte und das Fehlen der licht der Stadt, die über Jahre hinaus Teil des
für diese Gruppe so wichtigen halböffentlichen schlechten Rufs der Stadt gewesen war. Offen-
Räume in der Stadt spiegelte, sondern auch, bar war damit zunächst eine Grenze der politi-
weil sich bei dieser niedrigschwelligen Ebene schen Integrationsbereitschaft der Aktivitäten
der Ansprache durch Stelenreihe und Bauwagen von Migranten erreicht, denn im Zuge der Aus-
eine sonst nur schwer erreichbare Bevölkerungs- handlungsprozesse um Parzellen für die zahl-
12
reiche Nachfrage wurde von der Verwaltungs- sich, dass hier ein großes Potenzial sozial kom-
spitze plötzlich eine Kaution für die Vergabe der petenter Organisation der eigenen Interessen vor-
Flächen verlangt, so dass bis heute nur drei der handen ist, das politisch zu nutzen langfristig
260 Nutzungsinteressierten die 100 qm Parzel- im Interesse der Stadt liegen muss (auch wenn
len zur kurzfristigen Nutzung überlassen werden es sich hier häufig nicht um Wählerinnen und
konnte. Wähler handelt), denn sonst werden vorhande-
Allerdings ist nach Ende des Projekts in Dietzen- ne Ressourcen an Engagement in und für die
bach die Diskussion über die Ergebnisse noch Stadt verschleudert.
nicht abgeschlossen. Seinem Selbstverständnis
nach hat das Projekt damit sein Ziel erreicht, Zusammengefasst lauten die Erkenntnisse zum
einen verallgemeinerbaren Prozess zu entwi- Thema Integration folgendermaßen:
ckeln, der als ein Gleis in die städtische Zukunft
gesehen werden kann, da er einen Bruch mit 1. Begriffe wie räumliche und soziale Fragmen-
den konventionellen Sichtweisen und Vorgehen tierung, Segmentierung oder Segregation impli-
in Stadtplanung und Politik des Versorgungs- zieren immer auch eine Vorstellung von Ganz-
staates herbeiführt und die daran anschliessen- heit und möglicher Integration der Teile in diese.
den Lernprozesse zeigt. Dieser Prozess besteht Deshalb beschreiben sie eher Defizite an einem
aus drei Schritten: Im ersten Schritt wird der Ganzen, Integrierten. Da man aber von einer
vorhandene Reichtum der Stadt identifiziert. Im integrierten, irgendwie eine Ganzheit darstellen-
zweiten Schritt wird dieser Reichtum durch ein den Stadtgesellschaft nicht ausgehen kann, sind
Experiment veranschaulicht. Im dritten Schritt diese Begriffe als Beschreibung städtischer Situ-
führen Konfrontation und Konflikt zu Aushand- ationen nicht geeignet bzw. ideologisch in dem
lungsprozessen. Im Laufe des Prozesses kommt Sinn, dass sie auf der Entdeckung von Defizitä-
es zu Lernprozessen der beteiligten Bürgerschaft, rem beharren. Das Projekt hat deshalb nicht mit
der Verwaltung und der Politik. Aber dieser Pro- diesen Begriffen operiert und sich auch nicht
zess hat auch die Grenzen aufgezeigt, die im auf "Integration" als politische und soziale Ziel-
landläufigen Verständnis von Integration einer perspektive des Projekts eingelassen.
Bevölkerung mit Migrationshintergrund beste-
hen. Vereinfacht gesagt: Integration ist dann am 2. Unerwarteterweise ist es gelungen, durch den
besten gelungen, wenn sich diese Bevölkerung niedrigschwelligen Kommunikationsansatz über
an die Normen und Werte der Mehrheitsbevöl- die ästhetische Setzung, das Bauwagenbüro und
kerung anpasst und so in ihr leben kann, dass das Angebot der Inanspruchnahme von Flächen
sie nicht mehr als fremdes Element thematisiert eine Gruppe mit Migrationshintergrund zu Inter-
wird. Die Projektergebnisse legen nahe, dass essenbekundungen am Boden der Stadt zu akti-
dieses Integrationsverständnis - sei es fürsorgend vieren, die aus Sicht der Politik eher randstän-
paternalistisch oder einfach als Anpassungs- dig ist, sich aber - wider erwarten - als Gruppe
druck einer Leitkultur gedacht - nicht adäquat mit positiver Bindung an die Stadt und hoher
ist. Die Wertschätzung, die die nutzungsinteres- Organisationsbereitschaft erwies, die das Pro-
sierten Personen mit Migrationshintergrund im jektteam zum "Reichtum der Stadt" zählte.
Rahmen des Projektes der Stadt Dietzenbach
entgegenbrachten, zeigt, dass sie sich auf ihre 3. Dies stellt eine Herausforderung an das Ver-
Weise integriert fühlen. Integriert in die Räume ständnis der Politik hinsichtlich der Einbezie-
und Nachbarschaften, die ihnen zur Aneignung hung von Menschen mit Migrationshintergrund
zur Verfügung stehen und in denen ihnen Raum dar: Wer gehört zur Dietzenbacher Gemeinde,
geboten wird, ihre mitgebrachte Identität unter welche Interessen sollen gehört und berücksich-
veränderten Bedingungen zu leben. Es zeigt tigt werden, etwa auch solche von Nichtwahlbe-
13
völkerung? Das Projekt konnte nicht mehr tun, Projektteam
als einen solchen für die Zukunft wichtigen Aus-
einandersetzungsprozess um politische Akzep-
tanz der artikulierten Bedürfnisse von Personen Stadt Dietzenbach
mit Migrationshintergrund exemplarisch anzu- Lic. rer. reg. Angela Bernhardt
stoßen. Entschieden werden muss er in der Dipl.-Ing. Claas Bigos
Stadt Dietzenbach. Dipl.-Ing. Burkhard Huhn
Dipl.-Ing. Stefanie Rohbeck

Büro Topos, Darmstadt


Dipl.-Ing. Barbara Boczek
Dipl.-Ing. Vasili Saridis

Fachgruppe Stadt der TU Darmstadt


Dipl.-Ing. Claudia Becker
Prof. Stephan Goerner
Dipl.-Ing. Martin Wilhelm

Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der


Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt
Dipl.-Soz. Stefan Böhm-Ott
Petra Günther, M.A.
Prof. Dr. Marianne Rodenstein

Dank
Das Projektteam dankt insbesondere dem ehe-
maligen Mitarbeiter des Fachbereichs Stadt-
planung und Bauen der Stadt Dietzenbach,
Georg Latocha, sowie Dr. Andreas Pott vom
Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt,
ohne deren Kraft und Ausdauer das Projekt
kaum in die Förderung des BMBF gekommen
wäre.
AUSG ANGSLA GE
2.1 ENTWICKLUNG DER HEUTIGEN
STRUKTUR DIETZENBACHS

16
2.1.1 Entwicklung Dietzenbachs an. Von 1956 bis 1967 siedelten sich 33 In-
von 1945 - 1960 dustriebetriebe an, die nicht nur Dietzenbache-
rinnen und Dietzenbachern, sondern auch Ein-
Ende 1945 lebten in Dietzenbach 3.760 Ein- pendlerinnen und Einpendlern Arbeit boten
wohnerinnen und Einwohner. 1 Die Gemeinde (1964: 546).
war zu diesem Zeitpunkt bereits über den histo- Mit dem Anwachsen der Gemeinde wurde der
rischen eiförmigen Ortskern hinausgewachsen: Ausbau der Versorgungs- und Infrastrukturmaß-
So gab es seit den dreißiger Jahren Siedlungs- nahmen erforderlich. In den sechziger Jahren
ansätze in Steinberg und entlang der Frankfurter war Dietzenbach einerseits eine dynamische,
Straße (sog. "Randsiedlung"). Zu dieser Zeit vitale und stark expandierende Kommune, die
wurden neue Siedlungskonzepte in Dietzen- andererseits von extremen Zersiedlungstenden-
bach erprobt: Statt der Erweiterung des beste- zen und einem zunehmenden Rückgang der
henden Haufendorfes wurde eine aufgelockerte Landwirtschaft geprägt war. Die Dietzenbacher
Bauweise entlang geradliniger Straßenzüge be- Gemeindeführung verfolgte sehr ehrgeizige Ziele
vorzugt. und ließ seit Mitte der sechziger Jahre von der
Durch Zuweisung von Flüchtlingen und Vertrie- Verwaltung ein Konzept für die Gesamtentwick-
benen stieg die Einwohnerzahl seit Ende des lung des Ortes erarbeiten: Den Flächennutzungs-
Krieges bis 1950 auf über 4.700 an. Die Ein- plan 1966 und den Gesamtaufbauplan. Als Pla-
quartierungen löste eine drückende Wohnungs- nungsziel für die achtziger Jahre wurde eine Ein-
not aus, welche eine rege Bautätigkeit zur Folge wohnerzahl von 50.000, als Endziel 60.000
hatte und eine neue Phase der Ortsentwicklung Einwohnerinnen und Einwohner angestrebt. Die
einleitete. Zielzahl von 60.000 Einwohnerinnen und Ein-
Im Zuge der Flurbereinigung, welche im Jahr wohnern wurde später im Rahmen der Planung
1952 in Dietzenbach begann, wurde die Ge- der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme in
markung in Bauland, Gewerbeflächen und Ag- Dietzenbach wieder aufgegriffen.
rarland aufgeteilt, was die Planung für die zu- Zusammenfassend kann festgehalten werden,
künftige Ortsbebauung ermöglichen sollte. Um dass Dietzenbach seit dem Ende des Zweiten
eine rationellere landwirtschaftliche Ausnutzung Weltkrieges von Wachstum und dynamischer
der Ackerflächen zu ermöglichen, sollte außer- Entwicklung geprägt ist, welche spätestens seit
dem der durch das Realerbentum zersplitterte den sechziger Jahren innerhalb der Gemeinde
und über die gesamte Gemarkung verteilte als politisch gewollt angesehen werden kann.
Streubesitz der Dietzenbacher Landwirte zusam- Diese dynamische Entwicklung ging der Ernen-
mengelegt werden. Die weit verstreuten und nung Dietzenbachs als Siedlungsschwerpunkt
kleinen Ackerstücke konnten zum einen nicht im Ballungsraum Rhein-Main voraus.
maschinell bewirtschaftet werden, zum anderen Da eine detaillierte Beschreibung der Entwick-
waren die Anfahrtswege zu lang. Nach und lung Dietzenbachs nach dem Zweiten Weltkrieg
nach wurden die Höfe im Ortskern, die nicht den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde,
mehr den Ansprüchen der Zeit genügten, an werden einige Stationen aufgezählt, welche die
den Ortsrand verlegt. sprunghafte Entwicklung Dietzenbachs bis zu
Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte Dietzen- Beginn der städtebaulichen Entwicklungsmaß-
bach auch eine dynamische wirtschaftliche Ent- nahme 2 dokumentieren.
wicklung. 1945 mussten 76 % der Erwerbstä-
tigen vor allem nach Frankfurt und Offenbach 1
Vgl. Magistrat der Stadt Dietzenbach 775 Jahre Dietzen-
auspendeln. Nach dem Krieg bildeten sich viele bach, Dietzenbach 1995, S. 352-358, 365, 392-394,
handwerkliche Kleinbetriebe. Ab 1956 siedelten 398-400.
sich in Dietzenbach die ersten Industriebetriebe 2
Kap. 2.1.3.
17
Tab. 1: Einige Stationen der Entwicklung Dietzenbachs nach dem Zweiten Weltkrieg3

Jahr Einwohnerzahl Ereignisse

1945 3.760 Demokratischer Neuanfang auch in Dietzenbach


1948 4.565 Fertigstellung der Siedlung "Am Hinterwald" mit 13 Doppelhäusern
1950 4.771 Bau entlang der Spessartstraße in Steinberg
1952 4.959 Beginn der Flurbereinigung
1954 5.235 Einweihung des Waldstadions
1956 5.479 Inbetriebnahme des ersten Industriebetriebes in Dietzenbach
(Kalksandsteinwerk Willersinn)
1960 6.290 Die ersten Gastarbeiter kommen nach Dietzenbach
Erweiterungsbau der "Neuen Schule" (heute: Dietrich-Bonhoeffer-Schule)
1962 7.075 Eröffnung der ersten Kindertagesstätte
1963 7.595 Beginn des planmäßigen Ausbaus der Trabantensiedlung "Waldsiedlung
Hexenberg"
Beginn des Baus der ersten Hochhäuser in Steinberg
1964 8.282 Dietzenbach bietet 546 Einpendlern einen Arbeitsplatz
1965 9.114 Inbetriebnahme der Kläranlage
Eröffnung des Altenwohnheims in der Friedensstraße
Die Zahl der Gastarbeiter steigt auf über 500
1966 10.040 Eröffnung des Bildungs- und Freizeitheims "Falkenheim"
1968 11.152 In Dietzenbach gibt es 298 Gewerbebetriebe
1970 13.600 Stadtwerdung
In Dietzenbach gibt es 470 Gewerbebetriebe
1973 19.568 Teile Dietzenbachs werden zum Entwicklungsbereich erklärt

3
Ebd.
18
2.1.2 Die Bedeutung von Leit- der, die unter den Slogans "Die gegliederte und
bildern im Städtebau zwischen aufgelockerte Stadt"5 , "Die autogerechte Stadt"6
und "Urbanität durch Dichte" 7 verhandelt wur-
1945 und 1965 den und werden. Diese Leitbilder werden hier
nicht in ihren Facetten entwickelt, vielmehr wer-
Leitbilder lassen sich prinzipiell aus zwei Pers- den ihre Gemeinsamkeiten dargestellt, die nach
pektiven betrachten. Sie können normativ in bald zwanzigjähriger Diskussion fast wie Bana-
handlungsorientierender Funktion generiert wer- litäten klingen:
den, um Ziele zu definieren, um Handlungswei-
sen einen Korridor zu öffnen und auch, um Kon- • Im Zentrum all dieser Leitbilder steht die funk-
flikte zu harmonisieren. Leitbilder in diesem Sin- tionale Entmischung, gemeinhin als funktionale
ne dienen dazu, die Zukunft zu strukturieren. Differenzierung benannt. Die nachhaltige Wir-
Deshalb haben sie in ihrem Kern ein strategisch- kung der Industrialisierung und deren Effekt des
normatives Moment. sprunghaften Wachstums der Agglomerations-
Leitbilder lassen sich aber auch analytisch ex räume ohne eine als adäquat angesehene Infra-
post feststellen, herausdestillieren und verdich- strukturentwicklung in Sachen Hygiene, Verkehr
ten, ohne dass sie je so formuliert wurden. Sie und Wohnungsentwicklung brachte die Maxime
sind etwa als Ergebnis der Handlungsweisen in der räumlichen Entmischung hervor. Die Schaf-
einer Epoche feststellbar. Leitbilder sind mitun- fung reiner Gewerbe- und Wohngebiete sowie
ter analytische Artefakte. Marianne Rodenstein Quartiere mit weiteren Sonderfunktionen finden
hat deren Bedeutung prägnant benannt: sich in allen Konzepten des Nachkriegsstädte-
"In Annäherung an ein komplexes, ökonomi- baus.
sche, politische, soziale und kulturelle Dimen-
sion gesellschaftlichen Wandels einbeziehendes
Erklärungsmodell für die baulich-räumliche
Stadtentwicklung wird hier der Zusammenhang
zwischen baulich-räumlicher Stadtgestaltung 4
Rodenstein, Marianne; Städtebaukonzepte - Bilder für den
und gesellschaftlichem Wandel von den Städte- baulich-räumlichen Wandel der Stadt, in: Häußermann u.a.,
Stadt und Raum; Pfaffenweiler 1991, S. 31-67, 31.
bau- bzw. Stadtplanungskonzepten her aufge- 5
Göderitz, Rainer, Hoffmann; Die gegliederte und aufgeloc-
schlüsselt. Realisierte Stadtkonzeptionen, deren kerte Stadt; Tübingen 1957.
Entwürfe einzelnen Personen oder Gruppen zu- 6
Reichow, Hans-Bernhard, Die autogerechte Stadt; Ravens-
zuschreiben sind, stellen in dieser Sichtweise burg 1959. Interessant sind hier sicher die modellmäßig
Vehikel der Umsetzung von neuen gesellschaft- realisierten Beispiele der Sennestadt in Bielefeld und der
Limesstadt in Schwalbach am Taunus, vgl. hierzu: Bölts,
lichen Problemlagen in Möglichkeiten der bau- Reinhard A. Modell einer Wohnstadt - Schwalbach am
lich-räumlichen Stadtentwicklung dar. Sie kön- Taunus; Frankfurt 1975.
nen deshalb als historisch-spezifische Bindeglie- 7
Vgl. hierzu die Diskussionen und Realisierungen der sechzi-
der zwischen Gesellschafts- und Stadtentwick- ger bis etwa erste Hälfte siebziger Jahre, so etwa: Bahrdt,
Hans-Paul, Die moderne Großstadt; Hamburg 1961;
lung analysiert werden."4 Mitscherlich, Alexander, Die Unwirtlichkeit unserer Städte;
Frankfurt, 1965. Als Beispiel der zwanziger Jahre, jedoch
Betrachtet man das Beispiel der Stadtentwick- erst unter den Bedingungen der Nachkriegsmoderne in der
Frankfurter Nordweststadt realisiert: Schwagenscheidt,
lung Dietzenbachs, so kann man trefflich das
Walter; Die Raumstadt; Heidelberg 1949. Klassisch und
feststellen, was seit nunmehr 15 Jahren als früh sehend, kritisch schlechthin: Jacobs, Jane; Tod und
"Leitbilder des Nachkriegsstädtebaus" verhandelt Leben großer amerikanischer Städte, Frankfurt/Berlin 1963;
wird. Was sind nun, in aller Kürze betrachtet, original: New York 1961. Als Beispiel für die Analogien im
DDR Städtebau dieser Zeit: Kröber, Gerhard; Das städte-
diese Leitbilder und ihre zentralen Kategorien? bauliche Leitbild zur Umgestaltung unserer Städte.
Schlaglichtartig handelt es sich um die Leitbil- Dargestellt am Beispiel der Stadt Halle; Berlin 1980.
19
• Zweites Merkmal ist der Umgang mit der zu- fliktfrei geregelte Arbeitsbeziehungen in einer so-
nehmenden individuellen Motorisierung. Die Be- genannten Sozialpartnerschaft zwischen Ge-
wältigung der ungekannten Verkehrsmassen fin- werkschaften und Unternehmen, einen zuneh-
det sich seit Mitte der fünfziger Jahre in allen menden Trend zum Massenkonsum bei standar-
Konzepten vor allem als technisch-planerisch zu disiert und arbeitsteilig hergestellten Massenpro-
lösendes Problem wieder. Die Vorstellung, dass dukten. Wendet man diese skizzenhafte Vorstel-
die Zonierung der Räume Verkehr als Problem lung auf räumlich relevante Phänomene an, so
weiter verstärken könnte und zudem zu unge- lassen sich folgende Punkte benennen:
wollten Effekten wie dem Verlust nachbarschaft-
licher Beziehungen, der Verinselung von Lebens- • Auf der Ebene des Bauprozesses lässt sich
welten und damit zur Auflösung städtischer ein Trend zur Rationalisierung und Typisierung
Strukturen sui generis führen könnte, ist als do- von Konstruktions- und Bauweisen feststellen,
minierendes Thema letztlich erst seit den acht- der der Anforderung Rechnung tragen soll, für
ziger Jahren in den Städtebau eingezogen. möglichst viele Wohnungssuchende im Nach-
kriegsdeutschland modernen Wohnraum zur Ver-
• Differenziert ist in diesen Konzepten die Be- fügung zu stellen. Dies findet unmittelbar seinen
urteilung von Wohndichten und großstädtischen Niederschlag in der gebauten Architektur und
Strukturen zu beurteilen. Verfolgte man anfäng- dem zu Grunde liegenden Städtebau. Dominie-
lich in der Tendenz großstadt-auflösende Ideen, rendes Konsumziel - bei weitem nicht durchge-
etwa mit dem Konzept der gegliederten und hend realisiert - ist das Eigenheim, mindestens
aufgelockerten Stadt, so stellte man bald die aber das Wohnen im Neubau.
damit verbundene Anonymisierung und Entpoli-
tisierung als Problem fest. Somit wurde Urbani- • Auch die Akteure verändern sich in dieser
tät durch Dichte zum Thema der späten sechzi- Zeit. Zunehmend sind es Großunternehmen, oft-
ger Jahre. mals aus der Nähe des politischen Raums (Lan-
desgesellschaften wie die Nassauische Heim-
Wie in obigem Zitat benannt, tragen analytische stätte, Gewerkschaftsunternehmen wie die
Leitbilder immer auch die Reflektion gesell- Neue Heimat), die an Relevanz gewinnen. Hier
schaftlichen Wandels und dessen Bearbeitung bilden sich auf Grund der Nähe korporatistische
in sich. Gesellschaftswissenschaftler haben ver- Muster heraus, die einerseits die Durchsetzung
sucht, für diesen Wandel unter dem Stichwort von Entwicklungen vereinfachen, andererseits
"Theorie der Regulation"8 einen Analyserahmen zu einem sich verselbstständigenden Trend in
zu entwickeln, der zentralen Dimensionen und der Entwicklung führen, dessen mangelnde An-
auch feststellbaren Brüchen Rechnung trägt, im passungsfähigkeit in den siebziger Jahren zu Kri-
hiesigen Fall also städtebauliche Leitbilder auch senerscheinungen wie Wohnungsleerstand, Neu-
gesellschaftlich zu verorten vermag. bau von Krisenquartieren und öffentlicher The-
Zentrale Analysegegenstände dieses Ansatzes matisierung von Verfilzung führen.
sind die Ausprägungen der Arbeitsbeziehungen,
der Intensität und Tiefe staatlicher Regulierungs- 8
Insbesondere im französischen Sprachraum wurde dieser
versuche, der dominierenden Konsummuster theoretische Ansatz begründet, vgl. stellvertretend etwa:
Lipietz, Alain; Mirages and Miracles. The Crisis of global
und der Symbole der Repräsentation. Fordism; London 1987. Bezogen auf die bundesdeutsche
Kurz gefasst sprechen wir mit dem betrachteten Entwicklung: Hirsch, Joachim; Das neue Gesicht des Kapi-
Zeitraum der Nachkriegszeit bis Mitte der siebzi- talismus; Hamburg 1986. Bezogen auf räumliche Phäno-
ger Jahre von der Phase des Fordismus. Kenn- mene u.a. die Arbeiten von Leborgne/Lipietz; Hellbrecht
oder auch Zukin. Im weiteren Sinne auch: David Harvey;
zeichnen lässt sich diese durch einen stark kor- The condition of postmodernity. An enquiry into the origins
poratistisch engagierten Staat, wesentlich kon- of cultural change; Oxford 1989.
Abb. 1. Luftbild
Stadt Dietzenbach

20
• Auch im Rahmen öffentlichen Planungsrechts Dietzenbach zeigt.
und dessen Praxis finden sich Anpassungen und Das Projektteam hat deshalb auf die Formulie-
Innovationen, die den neuen Anforderungen rung räumlicher Zielsetzungen und damit auch
Rechnung tragen. Dies ist am Deutlichsten mit räumlicher Leitbilder explizit verzichtet. Die Ab-
der Einführung des Bundesbaugesetzes 1960 lehnung der Entwicklung eines Leitbildes für
zu sehen, das sowohl Verfahren festschreibt als Dietzenbach 2030 folgte schließlich auch aus
auch normative Zielsetzungen definiert. In die- der Überlegung, dass die Normvorstellungen
sem Sinne ist auch hier von einer Rationalisie- von der Zukunft einer Stadt nicht wieder außer-
rung zu sprechen. Bedeutsam ist ebenfalls die halb des Dietzenbacher politischen Systems for-
zunehmende Integration der unterschiedlichen muliert werden sollten, sondern dass vielmehr
staatlichen Ebenen in den Bereich zentralstaat- eine Rückbesinnung auf eigene Ressourcen er-
licher Steuerung. Spätestens mit der Beschluss- folgen muss. Im Nachhinein ist zu bilanzieren,
fassung über das Stabilitätsförderungsgesetz im dass die Fremdbestimmung der Stadt durch För-
Jahre 1967 wird der Anspruch rationaler Pla- derungsprogramme auf den unterschiedlichsten
nung auch auf den Anspruch staatlicher Steue- Ebenen wesentlichen Anteil am schlechten
rung ausgeweitet. Für die Planung realisieren- Image der Stadt hat.
den Akteure - meist die Kommunen - bedeutet Zudem bestand von planerischer wie von städti-
dies neben der planerischen nun auch eine scher politischer Seite kein Interesse an einem
recht weitgehende ökonomische Integration Projekt, das sich erneut mit einem normativ-
über Förderprogramme in den korporatistischen handlungsleitenden Leitbild befasst.
Staat, die sich auch in Bereichen der Sozialpo- Vielmehr hat man sich im Rahmen der Projekt-
litik und dem sozialen Wohnungsbau feststellen entwicklung, wenn überhaupt, auf die Begriff-
lässt. lichkeit eines prozessualen Leitbilds orientiert,
dessen Differenz zu anderen Arten von Leitbil-
Die Brüchigkeit der Phase des Fordismus und dern in seiner perspektivisch-handlungsleiten-
damit auch der mit ihr verbundenen Leitbilder den Dimension liegt und nicht in der perspek-
zeigt sich insbesondere in Dimensionen der zu- tivisch-bildhaften, wie dies bei allen anderen
nehmenden Weltmarktintegration und damit ver- der Fall ist.
bundener Erosion der Konkurrenzfähigkeit west-
licher Industriegesellschaften in ehemaligen
Kernbereichen ihrer Ökonomie, Differenzierung
von Konsummustern, der Differenzierung von
Lebensstilen, ökologischen Problematisierungen
sowie der eingeschränkten Steuerungsfähigkeit
der Nationalstaaten.
Insbesondere die innere Ausdifferenzierung west-
licher Gesellschaften bringt Phänomene mit
sich, die die bis dato gültigen räumlichen Leit-
bilder hinterfragen und deren Standardisierungs-
vorstellungen erodieren. Aber auch die ökologi-
schen Folgen des vermeintlich rationalen Wach-
stums und der Funktionsdifferenzierung von
Räumen stellen Fragen an die bisherigen räum-
lichen Entwicklungen. Im Rahmen der allzu
starren Leitbilder sind diese nicht befriedigend
zu beantworten, wie eben auch das Beispiel
21
2.1.3 Städtebauliche Entwicklungs- Ebenfalls 1971 trat das Städtebauförderungs-
gesetz (StBauFG)1 6 als Bundesgesetz in Kraft. 17
maßnahme Dietzenbach Es stellte ein gegenüber dem Bundesbaugesetz
(BBauG) räumlich und sachlich abgegrenztes
Auch wenn Frankfurt am Main nach dem Zwei- Sonderrecht für städtebauliche Sanierungs- und
ten Weltkrieg nicht - wie ursprünglich vielfach Entwicklungsmaßnahmen dar. 18 Während die
spekuliert wurde - zur Hauptstadt des neu ge- Bauleitplanung als reine "Angebotsplanung" die
bildeten westdeutschen Staates wurde, so ent- Umsetzung i.d.R. privaten Bauherren überlässt
wickelte sich das Rhein-Main-Gebiet in den An- und diesen für die Bodennutzung lediglich
fangsjahren der Bundesrepublik zum bedeu- einen rechtlichen Rahmen setzt, zeichnen sich
tendsten Wachstumsschwerpunkt des Landes. 9 Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen
Die Stadt Frankfurt verzeichnete enorme Bevöl- durch ein hohes öffentliches Engagement aus:
kerungszuwächse und wucherte in das Umland Die öffentliche Hand leitet die Umsetzung der
aus. 1 0 Mit dem Wachstum der Region gingen er- Maßnahmen und fördert diese auch finanziell. 19
hebliche Zersiedelungstendenzen einher, bei Mit dem Instrument der "Städtebaulichen Ent-
denen überörtliche Belange häufig vernachläs- wicklungsmaßnahme" wurde die Möglichkeit
sigt wurden und gravierende Fehlentwicklungen geschaffen, sog. "Entwicklungsbereiche" festzu-
absehbar waren. Um dieser problematischen
9
Entwicklung begegnen zu können, wurde es als Vgl. Deutsche Stadt- und Grundstücksentwicklungsgesell-
schaft (DSK).
notwendig erachtet, die weitere Siedlungsent- 10
Vgl. Magistrat der Stadt Dietzenbach; 775 Jahre Dietzen-
wicklung zentral zu steuern. Daher wurde 1965 bach, Dietzenbach 1995, S. 406; Bundesministerium für
die Regionale Planungsgemeinschaft Untermain Raumordnung, Bauwesen und Städtebau; Städtebauliche
(RPU) gegründet, welche den ersten regionalen Entwicklungsmaßnahmen nach dem Städtebauförderungs-
gesetz - Bisherige Praxis und zukünftige Aufgaben, Bonn
Raumordnungsplan (1967) erarbeitete. In ihm 1985, S. 56; Technische Universität Darmstadt, Fach-
wurden anhand festgesetzter Kriterien wie bis- gruppe Stadt; Mitte - Entwürfe für die leere Mitte im Zen-
herige Eigenentwicklung, verkehrsgeographische trum Dietzenbachs, Broschüre zur Ausstellung "Dietzen-
bach - die zentrale Frage", Darmstadt 1998, S. 5.
Lage, Gemarkungsfläche, Wohn- und Freizeit- 11
Vgl. Magistrat der Stadt Dietzenbach, a.a.O.
wert1 1 zunächst einundzwanzig, später sieben 12
Vgl. Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und
sog. "Siedlungsschwerpunkte" definiert, auf wel- Städtebau, a.a.O.
che sich die weitere Siedlungsentwicklung zu 13
Vgl. Magistrat der Stadt Dietzenbach, a.a.O. sowie Bundes-
konzentrieren habe. 12 Mit dem Ziel, im Ballungs- ministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau,
raum jeweils eigenständige, in sich lebensfähige a.a.O.
14
Städte mit den Funktionen Wohnen, Arbeiten, Vgl. Kap. 2.1.1.
15
Insgesamt standen 21 Gemeinden als Siedlungsschwerpunk-
(Nah)Versorgung und Freizeit aufzubauen, sollte
te zur Auswahl; vgl. Magistrat der Stadt Dietzenbach, a.a.O.
die weitere Entwicklung der Siedlungsschwer- 16
Das Städtebauförderungsgesetz ist mit dem Bundesbauge-
punkte von Bund und Land besonders gefördert setz im Baugesetzbuch (BauGB) vom 08.12.1986 zusam-
werden. 1 3 Identitätslose, nach rein ökonomi- mengefasst worden.
17
schen Gesichtspunkten errichtete Schlafstädte, Vgl. Technische Universität Darmstadt, Fachgruppe Stadt,
mit denen man zu diesem Zeitpunkt auch a.a.O.
18
Vgl. Lüers, Hartwig; Die Neufassung des Baugesetzbuchs
schon erste Erfahrungen gemacht hatte, sollten
durch das Bau- und Raumordnungsgesetz 1998, in: Verlag
vermieden werden. Aufgrund seiner bis dahin Deutsches Volksheimstättenwerk; Das Baugesetzbuch und
dynamischen Entwicklung und seines enormen das Raumordnungsgesetz, Die Neufassung und Neurege-
Wachstums 14 kam Dietzenbach bereits frühzeitig lung 1998, Bonn, 1998, S. 7.
19
Vgl. Söfker, Wilhelm; Einführung, in: Verlag Ch. H. Beck /
in die engere Wahl und wurde 1971 neben
Deutscher Taschenbuchverlag, BauGB - Baugesetzbuch,
acht weiteren Kommunen als Siedlungsschwer- BaunutzungsVO, PlanzeichenVO, WertV u. -Richtlinien,
punkt ausgewiesen. 15 Raumordnungsgesetz, München 2000, S. XI.
22
legen, in denen umfangreiche Stadterweiter- als Treuhandgesellschaft beauftragt. 24 Ein ent-
ungen stattfinden sollten. Ist ein Entwicklungs- sprechender Treuhandvertrag wurde im Juli
bereich in einer Kommune festgelegt worden, so 1973 geschlossen.
erhielt die Gemeinde hier besondere Pflichten
und Befugnisse: 2 0 2.1.3.1 Ziele
• Pflicht zum Grunderwerb zu einem vom Gut- Ziel der Entwicklungsmaßnahme war und ist die
achterausschuss festgelegten Grundstücks- Schaffung einer Entlastungsstadt für die Groß-
preis, städte des Rhein-Main-Gebiets, welche den An-
• planerische Entwicklung und Erschließung der forderungen nach Wohnen, Arbeiten und Frei-
Grundstücke, zeitnutzung gerecht wird. Das Ziel der Ansied-
• Vorkaufsrecht, lung von Wohnbevölkerung, Arbeitsplätzen und
• Veräußerung der Grundstücke zu einem eben- Infrastruktureinrichtungen wurde von der Stadt
falls vom Gutachterausschuss festgelegten von Anfang an mitgetragen. Erreicht werden
Grundstückspreis. sollten diese Ziele mit folgenden Maßnahmen,
Der Veräußerungspreis lag deutlich über dem welche auf dieser konkreteren Ebene die städte-
Ankaufspreis der Grundstücke, so dass die Ge- baulichen Ziele der Entwicklungsmaßnahme
meinde aus diesem Planungswertgewinn die darstellen 25 :
Umsetzung der städtebaulichen Entwicklungs- • Zusammenwachsen der beiden Ortsteile Diet-
maßnahme finanzieren konnte. Aufgrund eines zenbach und Steinberg und Ausbau eines
pauschalen Gutachtens der Hessischen Landes- neuen Stadtzentrums zwischen der alten
treuhandanstalt, welche für den Fall Dietzen- Ortslage Dietzenbach und der alten Ortslage
bach bei einem Ankaufspreis von 30 DM/m² Steinberg;
und einem Verkaufspreis von 150 DM/ m² ei- • Ausstattung des neuen Zentrums mit überört-
nen Überschuss von 48 Millionen DM ermittel- lichen Dienstleistungsfunktionen. Mischung
te, wurde Dietzenbach am 16.01.1973 durch der Nutzungen und fließender Übergang zu
Rechtsverordnung der Hessischen Landesregie- den Wohngebieten; mit steigender Entfernung
rung als erste Stadt in Hessen zum "Entwick- vom Zentrum abnehmende GFZ-Werte;
lungsbereich" nach dem Städtebauförderungs- • Ausbau der überörtlichen Verkehrsverbindun-
gesetz erklärt. 2 1 Mit 796 ha Größe, was unge- gen auf Schiene und Straße. Priorität besitzt
fähr einem Drittel der Gemarkungsgröße ent- der öffentliche Personennahverkehr durch den
spricht, war und ist die Dietzenbacher Entwick- Bau von zwei S-Bahn-Haltestellen mit
lungsmaßnahme eine der größten überhaupt in Anschluss nach Offenbach - Frankfurt; dane-
der Bundesrepublik. 22 Mit dem Eintrag des Ent- 20
Vgl. Universität Darmstadt, Fachgruppe Stadt.
wicklungsvermerks auf den Grundstücken im 21
Vgl. Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und
Entwicklungsbereich durch das zuständige Amts- Städtebau, a.a.O., S. 56.
gericht kam der private Grundstücksverkehr, der 22
Vgl. Magistrat der Stadt Dietzenbach, a.a.O. sowie Bundes
zu diesem Zeitpunkt bereits spekulative Züge ministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau,
angenommen hatte, im Entwicklungsbereich a.a.O., S. 406f.
23
Vgl. Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und
quasi zum Erliegen. 23
Städtebau, a.a.O., S. 56.
Da die Stadt Dietzenbach die Entwicklungsmaß- 24
Vgl. Magistrat der Stadt Dietzenbach, a.a.O., sowie Bundes
nahme nicht eigenständig durchführen durfte, ministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau,
wurde mit der weiteren Durchführung, insbe- a.a.O., S. 407.
25
sondere Ankauf, Entwicklung und Verkauf der Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städte-
Grundstücke, die Deutsche Stadtentwicklungs- bau; Stadtentwicklung - Bürgerbeteiligung bei städtebaulichen
Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen, Fallstudien zur
und Kreditgesellschaft (DSK, heute: Deutsche Anwendung des StBauFG, Forschungsauftrag BMBau RS II 6
Stadt- und Grundstückentwicklungsgesellschaft) - 704102-211(1978), Bonn, 1979, S. 161f.
23
ben Ausbau des überörtlichen Straßennetzes vom Planungsverband Ballungsraum Frankfurt /
zur Entlastung der Innenstadtdurchfahrt im Rhein-Main aufgestellt wird. 31 Die verbindliche
alten Ortskern von Dietzenbach; Planung wird über Bebauungspläne sicherge-
• Ausbau des innerörtlichen Verkehrsnetzes zur stellt. Auf Grund der ungewöhnlichen Größe des
Erschließung der Industrie- und Gewerbege- Entwicklungsbereichs und dessen hohen pro-
biete und Entlastung stark befahrener Innen- zentualen Anteil am Stadtgebiet ergibt sich in
stadtstraßen. In den Wohngebieten verkehrs- Dietzenbach jedoch eine städtebauliche Beson-
beruhigte Zonen. In der Nähe der S-Bahnhöfe derheit: Durch den sich aus der städtebaulichen
Park-&- Ride-Facilitäten. Entwicklungsmaßnahme ergebenden hohen An-
Um den vielfältigen Ansprüchen an Wohnraum teil an Neubaugebieten ist das Stadtgebiet bis
gerecht werden zu können, wurde und wird in auf die Waldflächen und einige größere Bereiche
Dietzenbach ein vielfältiges Wohnungsangebot mit landwirtschaftlichen Flächen fast flächen-
geschaffen. Dietzenbach wurde "nicht vorrangig deckend mit rechtskräftigen oder sich in Aufstel-
als Wohnstadt konzipiert, sondern als aktiv-wirt- lung befindlichen Bebauungsplänen überzogen. 32
schaftende Einheit mit urbanen Wohnformen". 26 Dies bedeutet, dass für viele Bereiche Dietzen-
Um vom Konjunkturverlauf unabhängig zu sein bachs die Bodennutzung bis hin zu Detailfragen
war zudem geplant, verschiedenartige Gewerbe- planerisch genau festgelegt ist. Daraus lässt sich
und Dienstleistungsbetriebe in der Stadt anzu- ein hoher Steuerungsanspruch ablesen. 33 Die
siedeln. 27 Ein weiteres Ziel war der Ausbau der Umsetzung der Bebauungspläne wird zudem
sozialen Infrastruktur, welche der anwachsen- häufig Bauträgern überlassen, die eine Vielzahl
den Bevölkerungszahl Rechnung trägt. von Objekten "in einem Guss" entwickeln. Dieser
hohe Grad an Planung und Steuerung ist vor
2.1.3.2 Instrumente Ort ablesbar, da ganze Straßenzüge ein einheit-
Mit der Rechtsverordnung der Hessischen Lan- liches Erscheinungsbild aufweisen. 3 4
desregierung vom 16.01.1973 wurden 796 ha
der Dietzenbacher Gemarkung Entwicklungsbe-
26
reich. 28 Damit wurden der Stadt sowohl die sich Ebd., S. 162.
27
Ebd.
aus dem besonderen Städtebaurecht ergeben- 28
Vgl. Kap. 2.1.2.
den Rechte wie auch Pflichten auferlegt, die 29
Ebd.
sich aber zum großen Teil auf den Erwerb des 30
Ebd.
31
Bodens und den Schutz durch die Entwicklungs- Vgl. auch Kap. 2.1.4., insbesondere Fußnote 38.
32
Baurechtliche Situationen nach § 34 BauGB (Innenbe-
maßnahme vor Bodenspekulation beziehen. 29
reich) - sonst eher die Regel - stellen in Dietzenbach somit
Außerdem ergeben sich aus der Zugehörigkeit eher die Ausnahme dar. Selbst für große unbesiedelte Be-
von Flächen zum Entwicklungsbereich einige reiche befinden sich Bebauungspläne - z.T. für den ökolo-
haushaltsrechtliche Unterschiede, auf die hier gischen Ausgleich - in Aufstellung (Bebauungspläne Nr.5 6,
57, 75 und 77, vgl. Abbildung).
im Detail nicht eingegangen werden kann. Die 33
Tatsächlich gibt es allerdings zum Teil einige Probleme, die
Finanzierung der Planaufstellung wie auch der Festsetzungen der Bebauungspläne durchzusetzen. Dies ist
Planumsetzung erfolgt auf Kosten des Entwick- insbesondere darin begründet, dass die für die Kontrolle
lungsträgers (DSK)3 0 , welcher jedoch nach Ab- zuständige Bauaufsicht nicht bei der Stadt angesiedelt ist
und ihr somit Möglichkeiten fehlen, die Bauherren zur Um-
schluss der Maßnahme eine Abschlussrechnung setzung bestimmter Festsetzungen zu zwingen. Insbeson-
an die Stadt leiten wird. dere bei Festsetzungen zu Anpflanzungen sind regelmäßig
Ansonsten wird auch in den Entwicklungsbe- Verstöße gegen rechtskräftige Bebauungspläne festzustel-
reichen mit den Planinstrumenten des allgemei- len. Auch lässt sich teilweise nur sehr schwer kontrollieren,
ob die Bauherren tatsächlich ihre Vorhaben gemäß Bebau-
nen Städtebaurechts operiert. Die übergeordne-
ungsplan realisiert haben, insbesondere wenn es sich um
ten städtebaulichen Zielvorstellungen sind im Festsetzungen in nicht oder nur schwer einsehbaren
Flächennutzungsplan dargestellt, der inzwischen Bereichen handelt.
24
2.1.3.3 Zeitrahmen auch in der Tatsache aus, dass die enormen
Zum Zeitpunkt der Erstellung der vorliegenden Geldsummen, welche für den Ankauf der benö-
Arbeit ist die städtebauliche Entwicklungsmaß- tigten Grundstücke und die Erschließung benö-
nahme über dreißig Jahre alt und noch nicht tigt wurden, über einen Kredit bereitgestellt wer-
abgeschlossen. In der Wachstumseuphorie zu den sollten, der innerhalb weniger Jahre auf
Beginn der städtebaulichen Entwicklungsmaß- Grund der erwarteten hohen Verkaufserlöse für
nahme gingen die Beteiligten jedoch davon aus, das erschlossene Bauland zurückgezahlt wer-
dass die Maßnahme relativ zügig umgesetzt den sollte. 36
werden kann. 35 Dieser Optimismus drückt sich Dass sich das Großprojekt "städtebauliche Ent-
wicklungsmaßnahme" mit ursprünglich mittelfri-
stigem Realisierungshorizont in die Länge zog
Abb. 2. Übersicht über Bebauungspläne in liegt daran, dass die Maßnahme von Anfang an
Dietzenbach mit zahlreichen Schwierigkeiten konfrontiert
wurde, welche im nachfolgenden Abschnitt
näher dargelegt werden sollen.

34
Beispielhaft seien hier der Thomas-Mann-Ring, Teile der
Straße Am Bieberbach, Aschaffenburger Weg, Kronberger
Straße und Königsteiner Allee genannt.
35
§ 165 Abs. 3 Nr. 4 BauGB nennt als Voraussetzung zur
Durchführung einer städtebaulichen Entwicklungsmaß-
nahme die zügige Durchführung der Maßnahme innerhalb
eines absehbaren Zeitraums.
36
Vgl. Magistrat der Stadt Dietzenbach, a.a.O., S. 407.
25
2.1.4 Umsetzung und Verlauf der zogen, der Abstand von großen Gesamtkon-
Entwicklungsmaßnahme zeptionen nahm und kleinteiligere, auf Stadtteile
konzentrierte Konzeptionen bevorzugte. Zudem
Dem Gesamtaufbauplan von 1965 und dem gab es auch bei den Hochhäusern am Starken-
(vorläufigen) Flächennutzungsplan von 1966 3 7 burgring gleich zu Beginn Vermarktungs-
folgte der Flächennutzungsplan 1972, der erst schwierigkeiten, die letztendlich sehr früh die
1977 38 rechtskräftig wurde. 39 Diesem entsprach Entwicklung zu einem städtebaulichen Problem-
ein Investorenwettbewerb für das neue Stadt- bereich einleiteten. Das allgemein in die Kritik
zentrum (sog. Strukturplan I) sowie der General- geratene Leitbild der Hochhausbebauung war
verkehrsplan, welche von extrem hohen Zu- damit auch in Dietzenbach überholt, bevor es
wachsraten von über 60.000 Einwohnern aus- überhaupt vollständig umgesetzt werden konn-
gingen. 4 0 Städtebauliches Leitbild war die te. Die Stadt entschied, dass künftig maßvoller
Charta von Athen, ein Vorbild das Hansaviertel und höherwertig gebaut werden solle. 4 4
in Berlin. 41 Folgerichtig sahen die Planer auch Die Stadt hat in der Phase des Stillstandes die
für Dietzenbach zunächst überwiegend Hoch- neuen vorherrschenden städtebaulichen Ideen
hausbebauung vor, welche auch umgesetzt aufgegriffen und 1979 im Rahmen eines Wett-
wurde und heute ein prägendes Merkmal des bewerbes eine Rahmenplanung zur Entwicklung
Dietzenbacher Stadtbildes ist. Zwischen 1970 42 des Stadtzentrums45 erstellen lassen, mit deren
und 1974 wurden in Dietzenbach an verschie- Umsetzung 1986 begonnen wurde. Dabei wur-
denen Stellen Hochhausbebauungen realisiert. den eine Vielzahl innovativer Konzepte verwirk-
Geprägt ist der Verlauf der städtebaulichen Ent- licht, z. B. Bauen in Selbsthilfe, kosten- und
wicklungsmaßnahme in Dietzenbach zu dieser flächensparendes Bauen, Niedrigenergiehaus-
Zeit jedoch von einigen Anlaufschwierigkeiten, konzepte und baubiologische Konzepte, so dass
die im Rahmen dieser Arbeit nur in Kürze ange- hier inzwischen ein hochwertiges und gut ange-
rissen werden können: 4 3
• Die Ölkrise und die damit einsetzende wirt- 37
Vgl. Kap. 2.1.1.
schaftliche Rezession führten auch zu einem 38
Zu dieser Zeit wurden die Flächennutzungspläne auch im
Zusammenbruch der Baukonjunktur und
Rhein-Main-Gebiet noch von den Kommunen selbst aufge-
einer Stagnation in der Region Untermain, stellt. Bis mit dem Gesetz vom 11.09.74 die Kompetenz
• allgemein kritische Hinterfragung des städte- auf den Umlandverband Frankfurt (UVF) übertragen wur-
baulichen Konzepts von Hochhausbebau- de. In Dietzenbach wurde der zu diesem Zeitpunkt im Ver-
fahren befindliche Flächennutzungsplan weiter verfolgt.
ungen, 39
Vgl. Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und
• Verzögerung bei der Realisierung der S-Bahn, Städtebau; Städtebauliche Entwicklungsmaßnahmen nach
• die Klage einer Interessenvertretung Dietzen- dem Städtebauförderungsgesetz - Bisherige Praxis und
bacher Grundstückseigentümer gegen die zukünftige Aufgaben, Bonn 1985, S. 57.
40
Ebd.
Rechtsverordnung der Landesregierung im 41
Ebd.
Herbst 1974 wurde erst Ende 1980 vom 42
Zwar wurde Dietzenbach erst 1973 Entwicklungsbereich,
VGH Kassel zurückgewiesen. Während dieser
dennoch dürften auch die Jahre davor bereits von der Ent-
Zeit blockierte die Interessengemeinschaft wicklungsmaßnahme geprägt gewesen sein, insbesondere
wichtige Schlüsselgrundstücke, so dass die wenn man bedenkt, dass diese Entwicklung und die Aus-
Entwicklungsmaßnahme bereits ein Jahr nach weisung als Entwicklungsbereich in Dietzenbach damals
gewünscht war und somit auch die der Gemeinde imma-
Festlegung des Entwicklungsbereichs vorerst nente Dynamik demonstriert werden konnte.
nicht fortgeführt werden konnte. 43
Ebd., S. 408.
Als die Entwicklungsmaßnahme in den achtzi- 44
Vgl. Magistrat der Stadt Dietzenbach; a.a.O., S. 453.
ger Jahren fortgeführt werden konnte, hatte sich 45
Stadt Dietzenbach; Städtebaulicher Rahmenplan 79 für das
ein Wandel der städtebaulichen Leitbilder voll- neue Stadtzentrum, Informationsschrift, Dietzenbach 1979.
26
nommenes Wohnquartier entstanden ist. Zu Bebauung, insbesondere Doppel- und Reihen-
Beginn der neunziger Jahre hatte die Stadt die häuser in Steinberg mit einer großen Vielfalt an
Hoffnung, die Entwicklungsmaßnahme zügig zu Bauformen (z. B. Am Steinberg, Gallische
Ende bringen zu können. 1995 prognostizierte Straße, Arminiusstraße). Im Plangebiet des
der Wirtschaftsplan für den Abschluss der Maß- 1979 erstellten städtebaulichen Rahmenplans
nahme einen Überschuss von 23 Mio. DM (ca. ist die großflächig realisierte Blockrandbebauung
11,75 Mio. Euro). Bedingt durch einen neuen nördlich des Rathauses besonders auffallend
wirtschaftlichen Wandel kam es jedoch erneut (Am Bieberbach, Theodor-Heuss-Ring, Kurt-
zu Verzögerungen, so dass heute immer noch Schumacher-Allee). Viele dieser Gebiete sind
große Teile des im städtebaulichen Rahmenplan erst in den neunziger Jahren entwickelt worden.
von 1979 dargestellten Plangebiets unbebaut Die jüngste Zeit ist geprägt von äußerst kosten-
sind. Zudem wird eine Bebauung von einigen und flächensparendem Bauen. Die Grundstücke
der damals dargestellten Bereiche heute nicht sind häufig zur Straßenseite schmal und in
mehr angestrebt. Die Entwicklungsmaßnahme Relation dazu tief, oft ist ein einfacher Baustil
hat auch unter den erheblichen Verzögerungen mit Reihenhaus- oder Zeilenbebauung gewählt
beim S-Bahn-Bau zu leiden, der nun im De- worden, die Vorgärten haben nicht selten die
zember 2003, gut dreißig Jahre später als ur- Funktion von Stellplatzanlagen übernommen.
sprünglich geplant, voraussichtlich abgeschlos-
sen wird. Auch das Stadtzentrum ist bislang 2.1.4.2 Infrastruktur
nicht fertig gestellt, so dass sich Dietzenbachs Die Entwicklung der sozialen Infrastrukturein-
Mitte heute als ein Nebeneinander aus Ge- richtungen während der städtebaulichen Ent-
schäften, öffentlichen Einrichtungen wie Rat- wicklungsmaßnahme untermauert den An-
haus4 6 oder Kreishaus4 7 und einigen unbebauten spruch, Dietzenbach nicht zu einem reinen
Brachflächen - also unvollendet - präsentiert. 48 Wohnvorort für Frankfurt auszubauen, sondern
eine eigenständige Stadt, welche den Funktio-
2.1.4.1 Baustruktur nen Wohnen, Arbeiten, (Nah)Versorgung und
Durch den oben beschriebenen Wandel städte- Freizeit gerecht wird, zu realisieren. Da eine de-
baulicher Ideen und Leitbilder während der Ent- taillierte Beschreibung dieser Entwicklung den
wicklungsmaßnahme - auch unter dem Diktat Rahmen dieser Arbeit sprengen würde, soll die
des immer stärker zunehmenden wirtschaft- Entwicklung der sozialen wie verkehrlichen In-
lichen Drucks - weisen die während der Ent- frastruktur im Zeitraum der Entwicklungsmaß-
wicklungsmaßnahme fertiggestellten Quartiere nahme anhand der folgenden Auflistung in Kür-
heute eine Vielzahl verschiedener städtebau- ze verdeutlicht werden. Hier wird nochmals die
licher Strukturen auf. 49 Da die Wohnquartiere in dynamische Entwicklung Dietzenbachs veran-
der Regel flächenhaft geplant und entwickelt schaulicht. 50
wurden, lassen sich sowohl Bauweisen als
auch bestimmte - von der jeweiligen Bauzeit 46
Das derzeitige Rathaus wurde 1976 eingeweiht und ent-
geprägte - Einflüsse klar ablesen. Waren zu stand damals mitten auf der grünen Wiese [vgl. Magistrat
Beginn der städtebaulichen Entwicklungsmaß- der Stadt Dietzenbach, a.a.O., S. 453].
nahme Hochhäuser das prägende Element 47
Seit Februar 2003 ist Dietzenbach Kreisstadt des Kreises
(z.B. ehem. Starkenburgring, Rodgaustraße, Offenbach.
48
Talstraße, Limesstraße), so findet sich in den Derzeit gibt es bereits relativ weit gediehene Planungen für
ein neues Stadtzentrum, welche in Zusammenarbeit mit
Bebauungsplänen, welche Mitte der siebziger einem Projektentwickler und einem Investor ausgearbeitet
Jahre aufgestellt und in den achtziger Jahren werden.
nochmals überarbeitet und realisiert worden 49
Vgl. hierzu auch Kap.2.2.1.
sind, bereits eine wesentlich maßvollere 50
Vgl. Magistrat der Stadt Dietzenbach, a.a.O., S. 452 ff.
27
Tab. 2. Chronologische Auflistung von Infra- 2.1.4.3 Entwicklung der Einwohnerzahl
struktureinrichtungen in Dietzenbach 51 Wie bereits aus Abschnitt 2.1.1.1 und Tabelle 1
hervorgeht, verlief die Entwicklung Dietzen-
Jahr Eröffnete / fertiggestellte / eingeweihte bachs nach dem Zweiten Weltkrieg sehr dyna-
Infrastruktureinrichtung misch. Dies war mit ein Grund für die Auswei-
sung Dietzenbachs als städtebaulichen Entwick-
1975 Waldschwimmbad (Freibad) lungsbereich. Wie geplant nahm die Bevöl-
1975 Aueschule (dritte Dietzenbacher kerung auch nach Beginn der städtebaulichen
Grundschule) Entwicklungsmaßnahme weiter überdurch-
1976 Altentagesstätte Reinhard-Göpfert-Haus schnittlich zu.
Rathaus
Jugendzentrum an der Rodgaustraße Abb. 3. Bevölkerungsentwicklung in Dietzen-
1978 Evangelisches Gemeindezentrum an bach seit 1945 52
der Rodgaustraße
Katholisches Gemeindezentrum St.
Martin
Heinrich-Mann-Schule (Gesamtschule)
1980 Vélizystraße (heute B 459)
Kreisquerverbindung (K 174)
1981 Stadtpark (Teilbereich)
Kleingartenanlage an der Schilflache
(Teilabschnitt)
Kleingartenanlage entlang der S-Bahn
(Teilabschnitt)
Helen-Keller-Schule (Sonderschule für
Lernbehinderte) Allerdings wird auch deutlich, dass die Entwick-
1986 Bewohnerzentrum Rodgaustraße lungsmaßnahme keinen direkten Einfluss auf
1988 Seniorenzentrum Steinberg die Bevölkerungsentwicklung hatte. Sie war je-
(Teilabschnitt) doch Voraussetzung dafür, dass die Stadt ihren
Bürgerhaus wachstumsorientierten Weg fortsetzen konnte,
1991 Regenbogenschule (vierte Grundschule) denn dafür wurde vor allem viel Bauland benö-
1991 Kindertagesstätte X ("Bieberbau" an der tigt. Aufgrund der im Zuge der Zuwanderung
Kurt-Schumacher-Allee) nach Dietzenbach sich verstärkenden Boden-
1992 Rudolf-Steiner-Schule (Waldorfschule) spekulation und auch der möglichen Blockade
1993 Waldorfkindergarten wichtiger Grundstücke konnten die benötigten
1994 Kindertagesstätte XI (Am Stiergraben) Mengen an Bauland aber nur mit Hilfe des be-
1996 Behindertenwohnanlage Kindäcker Weg sonderen Städtebaurechts der städtebaulichen
2002 Kreishaus Entwicklungsmaßnahme bereitgestellt werden.
Nachdem Anfang der achtzigerer Jahre die Diet-
zenbacher Bevölkerungsentwicklung erstmals
nach dem Zweiten Weltkrieg stagnierte, ist

51
Ebd.
52
Eigene Darstellung, Zahlenmaterial aus: Magistrat der Stadt
Dietzenbach, a.a.O., S. 352, und Bestandsstatistik
"Einwohnerwesen" der Stadt Dietzenbach.
28
heute eine erneute Stagnation feststellbar. Die Tab. 3. Bevölkerungsentwicklung nach
Zahl der Hauptwohnsitze ging sogar in einigen Stadtteilen5 4 und Art des Wohnsitzes55
Jahren deutlich zurück. Wie die nachfolgende
Tabelle zeigt, kann auch festgestellt werden, Hauptwohnsitz
dass das Wachstum der letzten zehn Jahre vor
allem in Steinberg stattgefunden hat, während Stichtag Dietzen- Steinberg Gesamt
für den Rest Dietzenbachs sogar ein Rückgang bach
der Hauptwohnsitze feststellbar ist. 53 31.12.94 22.514 8.935 22.514
31.12.95 22.374 9.577 31.951
31.12.96 22.506 9.773 32.279
31.12.97 22.354 10.082 32.436
31.12.98 21.990 10.220 32.210
31.12.99 21.814 10.414 32.228
31.12.00 21.889 10.709 32.598
31.12.01 22.078 10.883 32.961
31.12.02 21.878 10.974 32.852

Nebenwohnsitz

Stichtag Dietzen- Steinberg Gesamt


bach
31.12.94 798 402 1.200
31.12.95 867 420 1.287
31.12.96 924 448 1.372
31.12.97 972 486 1.458
31.12.98 995 548 1.543
31.12.99 1.031 600 1.631
31.12.00 1.077 649 1.726
31.12.01 1.136 685 1.821
31.12.02 1.152 735 1.887

53
Die meisten Bautätigkeiten in Dietzenbach haben in dieser
Zeit im Stadtteil Steinberg in den Baugebieten westlich der
Offenbacher Straße und nördlich des Rathauses stattgefun-
den.
54
Als Grenze zwischen den Ortsteilen Dietzenbach (ohne
Steinberg) und Steinberg wird die Vélizystraße (B459), die
sich in den besiedelten Bereichen in etwa von Ost nach
West durch das Stadtgebiet zieht, angenommen und
Dietzenbach in einen südlichen Teil (Dietzenbach) und
einen nördlichen Teil (Steinberg) unterteilt.
55
Daten aus: Bestandsstatistik "Einwohnerwesen" der Stadt
Dietzenbach, aufbereitet.
29
2.1.5 Partizipation Mit der Baurechtsnovelle von 1976 wurde der
bereits seit Einführung des Bundesbaugesetzes
Während verstärkte Bürgeraktivitäten zu Beginn (BBauG) im Jahr 1960 bestehenden Offenlage
der siebziger Jahre und die daraus entstehende ein weiterer Beteiligungsschritt - die vorgezoge-
gesellschaftliche und politische Debatte vermu- ne Bürgerbeteiligung59 - hinzugefügt, in der Bür-
ten ließen, dass in Zukunft räumliche Planun- gerinnen und Bürger über Ziele und Zweck der
gen nur unter verstärkter Einbindung von Bür- Planung, alternative städtebauliche Entwürfe,
gerinnen und Bürgern durchsetzbar seien, zeigte die Anordnung der Freiflächen, den Verlauf der
sich in der Folgezeit, dass die Beteiligungsange- Straßen, Auswirkungen der Planung und ähnli-
bote häufig nicht angenommen und räumliche ches zu informieren sind. 60 Mit der neu einge-
Entwicklung zumindest von dieser Seite nur führten frühzeitigen Bürgerbeteiligung entsprach
wenig beeinflusst wurde. Dies mag in der Art der Gesetzgeber seinerzeit einer in der Fachöf-
der Beteiligungsangebote begründet sein, die fentlichkeit breit geführten Diskussion: 61
häufig als unverständlich, kompliziert oder un- Bürgerinnen und Bürger sollten besser informiert
interessant empfunden werden. Es besteht aber werden, mehr Einflussmöglichkeiten erhalten
auch die Einschätzung, dass die von Bürgerin- und zur Beteiligung aktiviert werden. In die zeit-
nen und Bürgern vorgetragenen Argumente gleich intensive Planung flossen somit viele Ele-
ohnehin nicht ernst genommen werden. Obwohl mente aus diesem Demokratisierungsgedanken
dieses abnehmende Interesse bereits Mitte der ein: "Die betroffenen Bürger müssen die Gewiss-
siebziger Jahre wahrnehmbar wurde, wurden heit haben, dass sich die bauliche Gemeinde-
die Beteiligungsangebote - auch in Dietzenbach entwicklung nicht über sie hinweg von Amts
- weiterentwickelt. So gibt es inzwischen neben wegen vollzieht."62
allgemeinen auch zielgruppenspezifische Ange- Den Bürgern ist im Rahmen der vorgezogenen
bote, von denen - bezogen auf Dietzenbach - Bürgerbeteiligung Gelegenheit zur Äußerung von
einige kurz vorgestellt werden sollen, da sie im Anregungen, Bedenken und Hinweisen zu ge-
Rahmen des Dietzenbacher Projektbeitrags zu ben. Die Form der Durchführung des vorgezo-
"Stadt 2030" bestimmte Funktionen überneh- genen Beteiligungsverfahrens wird vom BauGB
men könnten, respektive diese eingenommen nicht geregelt und ist je nach Gemeinde unter-
haben, worauf in folgenden Kapiteln eingegan-
gen wird. 56
Die Bürgerinnen und Bürger können sowohl bei Aufstel-
lung des Flächennutzungsplans zum räumlichen Gesamt-
2.1.5.1 Partizipation innerhalb der Bauleit- konzept der Gemeinde Anregungen und Bedenken äußern
sowie Hinweise geben als auch bei Aufstellung der Bebau-
planung ungspläne.
Partizipation in der Bauleitplanung ist durch § 3 57
Vgl. Schlichter, Otto, Stich, Rudolf; Berliner Kommentar
BauGB ein zwingender Bestandteil jedes Bau- zum Baugesetzbuch, Erster Halbband Köln, Berlin, Bonn,
leitplanverfahrens. 5 6 Die Funktionen von Bürger- München 1988, S. 254.
58
Ebd.
beteiligung in der Bauleitplanung sind vielfältig: 59
Heute wird die vorgezogene Bürgerbeteiligung in § 3 Abs.1
Wesentlichster Punkt ist die Gewährleistung der
BauGB geregelt.
Qualität der Planung, indem planungsrelevante 60
Braam, Werner; Stadtplanung, Aufgabenbereiche,
Informationen nicht übersehen und möglichst Planungsmethodik, Rechtsgrundlagen, 2. Auflage,
frühzeitig in die Planung einbezogen werden. 57 Düsseldorf, 1993, S. 100.
Weitere Gründe sind die Teilhabe der Bürgerin- 61
Vgl. Schlichter, Otto, Stich, Rudolf; a.a.O., S. 253.
62
nen und Bürger an Entscheidungsprozessen Begründung zur Vorlage des Städtebauförderungsgesetzes
und die Möglichkeit für die von der Planung Be- durch den 14. Bundestagsauschuss, 1970, in: Selle,
Klaus; Was? Wer? Wie? Warum? Voraussetzungen und
troffenen, ihre Interessen und Rechte geltend zu Möglichkeiten einer nachhaltigen Kommunikation;
machen. 58 Dortmund 2000, S. 74.
30
schiedlich. In Dietzenbach sind je Bebauungs- mündlich Anregungen, Bedenken und Hinweise
plan einmalige abendliche Informationsveran- vorgebracht werden, die als Vermerk festgehal-
staltungen üblich, auf die in der Tagespresse ten werden. In der Regel werden während der
hingewiesen wird und in denen häufig erste Offenlage Anregungen, Bedenken und Hinweise
Planentwürfe oder städtebauliche Entwürfe prä- aber schriftlich geäußert. Die Offenlage findet in
sentiert werden, so dass sich die Anwesenden Dietzenbach in der Regel zeitgleich mit der Be-
ein umfassendes Bild von der Situation im Falle teiligung der Träger öffentlicher Belange nach
der Planrealisierung machen können. Die Anre- §4 BauGB statt. Auch hier geht es bei den Ein-
gungen, Hinweise und Bedenken werden proto- wänden vorwiegend um die Ausdehnung oder
kollarisch erfasst. Die Teilnahme an diesem Be- Einengung der Schranken des Grundeigentums.
teiligungsschritt ist zumindest in Dietzenbach je Es liegt im Wesen des Verfahrensablaufs der
nach Betroffenheit von Bebauungsplan zu Be- Bauleitplanung, dass sich die Bürgerinnen und
bauungsplan sehr unterschiedlich. Die Erfah- Bürger eher reaktiv in die Planung einbringen
rung sowie ein Vergleich einiger neuerer Dietzen- können, d.h. die Stadt hat bei Stattfinden der
bacher Bebauungspläne zeigen, dass die Betei- vorgezogenen Bürgerbeteiligung in der Regel
ligung häufig dann hoch ist, wenn Eigentums- bereits relativ weit gediehene Vorstellungen von
rechte berührt werden. 63 Eigentumsrechtliche der Entwicklung eines bestimmten Bereichs.
Fragen sind somit häufig auch ein zentraler Dis- Kuschnerus verweist darauf, dass die Planung
kussionspunkt in der vorgezogenen Bürgerbe- soweit ausgearbeitet sein muss, dass "deren‚ all-
teiligung. Bei vielen Bebauungsplänen bringen gemeine Ziele und Zwecke bereits darstellungs-
sich aber nur wenige Bürgerinnen und Bürger fähig sind." 6 6 Zwar können auch in dieser Pla-
in den Planungsprozess ein. 64 nungsphase das gesamte städtebauliche Kon-
Die zweite gesetzlich vorgeschriebene Möglich- zept einer Planung in Abrede gestellt und gänz-
keit für Bürgerinnen und Bürger, sich in das lich andere Vorschläge zur Entwicklung und Ge-
Bauleitplanverfahren einzubringen, ist die Offen- staltung eines bestimmten Bereichs gemacht
lage nach § 3 Abs. 2 BauGB. Sie hat eine weit- werden, es dürfte aber wohl eher eine Selten-
reichendere Bedeutung als die vorgezogene Bür-
gerbeteiligung. Die während der Offenlage vor- 63
Der Bebauungsplan Nr. 63, "Gewerbegebiet Mitte zwi-
gebrachten Anregungen und Bedenken haben schen Vélizystraße und Oberrodener Straße", rechtskräftig
Gegenstand im Abwägungsprozess nach § 1 seit dem 11.01.1999, hat mit 15 Beteiligten ein relativ
Abs. 6 BauGB zu sein. Werden die Hinweise, großes Interesse gefunden. Häufig waren die Beteiligten
Landwirte, welche durch die geplanten Festsetzungen
Anregungen und Bedenken nicht schriftlich vor- einen Teil ihrer Betriebsfläche verloren hätten und auch
getragen, so müssen sie schriftlich niedergelegt haben.
werden, um Grundlage der zu überarbeitenden 64
An der vorgezogenen Bürgerbeteiligung des zum Redakti-
Planung sein zu können. 65 Im Gegensatz zur onsschluss sich noch im Verfahren befindlichen Bebau-
ungsplans Nr. 81/1, einem Bebauungsplan, mit dem ein
vorgezogenen Bürgerbeteiligung sind Verletzun- von einem Gewerbetreibenden zu realisierender Park recht-
gen der Vorschriften zur Offenlage beachtlich lich abgesichert werden soll, hat sich hingegen keine
und führen zur Unwirksamkeit des Plans, wenn Bürgerin und kein Bürger beteiligt. Ebenfalls auf kein Inter-
esse bei Bürgerinnen und Bürgern stieß der Bebauungs-
sie binnen Jahresfrist geltend gemacht werden.
plan Nr. 28 Cb/1, ein Änderungsbebauungsplan, mit dem
In Dietzenbach wird zum Zwecke der Offenlage ein Gewerbegebiet von GI (Industrie) auf GE (Gewerbe)
der Bebauungsplanentwurf im Planungsamt herabgesetzt worden ist. Am Verfahren für den Bebauungs-
ausgehängt und kann zu den üblichen Öff- plan Nr. 77, einem Ausgleichsbebauungsplan, nahmen in
der vorgezogenen Bürgerbeteiligung fünf Personen teil.
nungszeiten eingesehen werden. Bei der zu- 65
Vgl. BVerwG, Beschl. vom 28.01.1997 (Nr. 373).
ständigen Sachbearbeiterin oder dem zuständi- 66
Kuschnerus, Ulrich; Der sachgerechte Bebauungsplan,
gen Sachbearbeiter kann zudem der Erläute- Handreichungen für die kommunale Planung, 1. Auflage,
rungsbericht eingesehen werden. Hier können Bonn 1997 Rn. 556.
31
heit sein, dass Kommunen aufgrund von Ein- und Einwohnern in allgemeiner, freier, gleicher,
wänden aus der Bürgerbeteiligung zum Teil er- geheimer und unmittelbarer Wahl für fünf Jahre
heblich fortgeschrittene Planentwürfe verwer- gewählt, wobei auch staatenlose Einwohner als
fen. 67 Ausländer gezählt werden. 74 Als Mitglieder des
Selle weist darauf hin, dass die gesetzlich ange- ALB können ausländische Einwohner7 5 gewählt
botenen Beteiligungsangebote zudem bereits in werden, die am Wahltag das 18. Lebensjahr
der zweiten Hälfte der siebziger Jahre zur for- vollendet haben und seit mindestens sechs Mo-
malisierten Routine gerannen. 6 8 In einer Unter- naten ihren Wohnort in der Gemeinde haben.
suchung 1982 kam Evers zu dem Ergebnis, bei Der ALB arbeitet ehrenamtlich.
der Beteiligung der Bevölkerung werde lediglich Gemäß § 88 HGO hat der ALB folgende Auf-
"Dienst nach Vorschrift" betrieben 6 9 , woraus gaben und Befugnisse:
gefolgert werden kann, dass die Beteiligung • Der ALB vertritt die Interessen der ausländi-
nicht aufgrund der Planinhalte betrieben wurde, schen Einwohner der Gemeinde. Er berät die
welche aus Sicht der Bürgerinnen und Bürger Organe der Gemeinde in allen Angelegenhei-
jedoch entscheidend, da ihre Lebensumwelt ten, die ausländische Einwohnerinnen und
beeinflussend, sind. Insbesondere der vorgezo- Einwohner betreffen. Er gibt die Vorschläge
genen Bürgerbeteiligung, bei der aufgrund des der ausländischen Mitbürgerinnen und Mit-
früheren Planungsstadiums Bedenken, Anre- bürger an den Magistrat und die Stadtverord-
gungen und Hinweise aus der Bevölkerung mit netenversammlung weiter.
geringerem Aufwand in die Planung integriert • Der Gemeindevorstand hat den ALB rechtzei-
werden könnten, wurde bereits bei ihrer Ein- tig über alle Angelegenheiten zu unterrichten,
führung vom Gesetzgeber der Stempel einer deren Kenntnis zur Erledigung seiner Aufga-
Beteiligung untergeordneten Ranges aufge- ben erforderlich ist. Der ALB hat ein Vor-
drückt, indem eine Verletzung dieser Vorschrift schlagsrecht in allen Angelegenheiten, die
als nicht erheblich eingestuft wurde. 70 ausländische Einwohner betreffen. Der Aus-
länderbeirat ist in allen wichtigen Angelegen-
2.1.5.2 Ausländerbeirat
Die Bedeutung des Ausländerbeirats (ALB) ver-
67
dient im Rahmen dieser Arbeit schon deshalb Dies dürfte wohl nur dann der Fall sein, wenn absehbar
besondere Erwähnung, da der überwiegende ist, dass ein Bebauungsplan der gerichtlichen Normenkon-
trolle nicht stand hält.
Teil der Teilnehmenden an dem Dietzenbacher 68
Selle, a.a.O., S. 75.
Projektbeitrag zum Gesamtprojekt "Stadt 2030" 69
Evers, Adalbert; Dienst nach Vorschrift. Die Praxis der
auf einen Migrationshintergrund zurückblicken Gemeinden bei der Beteiligung der Bürger an der
kann, wie in folgenden Kapiteln dargestellt Bauleitplanung, in: Stadtbauwelt, Heft 75/1982, S. 327-
wird. 71 Aber auch der hohe Anteil von Migran- 332.
70
Selle, a.a.O., S. 76.
tinnen und Migranten von aktuell 28,7% (ehe- 71
Vgl. Kapitel 4.1.1.3.
mals deutlich über 33%), weist auf die Bedeu- 72
Hessische Gemeindeordnung (HGO) vom 25. Februar
tung dieses Gremiums hin.
1952 GVBl. S. 11 in der Fassung vom 1. April 1993
Gemäß Hessischer Gemeindeordnung (HGO) 72 (GVBl. I 1992 S. 534), zuletzt geändert durch das Gesetz
ist in Gemeinden mit mehr als 1.000 gemel- zur Stärkung der Bürgerbeteiligung und kommunalen
deten ausländischen Einwohnern ein ALB ein- Selbstverwaltung vom 23. Dezember 1999 (GVBl. I 2000
S. 2).
zurichten. 73 Er ist demokratisch gewählt und hat 73
Die Zahl der Mitglieder des ALB beträgt nach HGO minde-
die politischen Interessen der ausländischen Be- stens drei und maximal 37.
völkerung wahrzunehmen. Die Mitglieder des 74
Vgl. § 84 HGO.
ALB werden nach § 86 HGO von den am Wahl- 75
Wählbar sind auch Deutsche, die früher eine andere
tage volljährigen ausländischen Einwohnerinnen Staatsangehörigkeit hatten oder staatenlos waren.
32
heiten, die ausländische Einwohner betreffen, ALB verfügt in Dietzenbach über Anhörungs-,
zu hören. Gemeindevertretung und Gemein- Vorschlags- und Antragsrecht.
devorstand können, Ausschüsse der Gemein- Bemängelt wird von Seiten des ALB, dass sein
devertretung müssen in ihren Sitzungen den Aufgabenspektrum, je nach Blickwinkel, nicht
ALB zu den Tagesordnungspunkten hören, die selten einseitig wahrgenommen wird: Während
Interessen der ausländischen Einwohner Migrantinnen und Migranten in ihm häufig le-
berühren. diglich ein Gremium zur Lösung persönlicher
• Dem ALB sind die zur Erledigung seiner Auf- Probleme wie z.B. Abschiebung oder Woh-
gaben erforderlichen Mittel zur Verfügung zu nungsprobleme sehen, wird er von politischer
stellen. Seite eher nur als eine Art "ausländische Hilfs-
Der Magistrat ist dazu verpflichtet, den ALB polizei" wahrgenommen, die verhindern soll,
über alle Tatsachen und Entwicklungen zu in- dass Jugendliche auf den Boden spucken oder
formieren, welche für Personen mit Migrations- ungewollte neue Treffpunkte entstehen. Der ALB
hintergrund von Belang sein können. Die Aus- sieht seine Funktionen neben den persönlichen
schüsse sind verpflichtet, den ALB anzuhören. Hilfsangeboten jedoch vor allem in der Infor-
Da sämtliche große Vorhaben - insbesondere mation, Aufklärung und Vermittlung zwischen
Bauvorhaben, wie z.B. die neue Stadtmitte - den Kulturen.
selbstverständlich auch die ausländischen Bür-
gerinnen und Bürger berühren, müsste zu sol- 2.1.5.3 Seniorenbeirat
chen Fragen eigentlich regelmäßig der Auslän- Der Seniorenbeirat stellt eine weitere wichtige
derbeirat angehört werden. Institution dar, welche die Interessen einer be-
In Dietzenbach hat der ALB gemäß Hauptsat- stimmten Bevölkerungsgruppe vertritt, hier der
zung 19 Mitglieder, davon etwa die Hälfte Mit- älteren Generation. Der Dietzenbacher Senioren-
glieder deutscher Staatsangehörigkeit, die früher beirat wurde im Juni 1977 gegründet 77 und ist
eine andere Nationalität hatten. 76 Inhaltlich be- damit nach Wiesbaden der zweitälteste Senio-
fasst sich der ALB in Dietzenbach zunächst mit renbeirat in Hessen. 78 Die Initiative zur Grün-
Fragstellungen, die speziell Menschen aus an- dung des Seniorenbeirats ging vom Magistrat
deren Ländern und Kulturen betreffen, z.B. Mo- der Stadt Dietzenbach aus. Der Seniorenbeirat
scheenbau, Internationales Fest, Fremdspra- sollte ein beratendes Gremium für Fragen sein,
chenangebote an Schulen oder Treffpunkte für die ältere Menschen betreffen. 79 Der Senioren-
Menschen bestimmter Nationalitäten. Weiterhin beirat versteht sich heute unter anderem als In-
befasst er sich aber auch mit Inhalten, die nicht teressenvertretung für die Belange älterer Men-
ausländerspezifisch sind, dennoch aber auf schen, als Initiator zur Schaffung einer senio-
Grund der räumlichen Bevölkerungsverteilung in rengerechten Umwelt sowie als verbindendes
der Stadt oder aufgrund eines besonderen Inter- Element zwischen den Seniorinnen und Senio-
esses gerade diese Bevölkerungsgruppe betref- ren zu Ämtern und Behörden. 80
fen, z.B. Schaffung kundenfreundlicher Park- Seniorenbeiräte wachen über die Einhaltung der
plätze in Rathausnähe, Räumlichkeiten für grö- Würde und Rechte älterer Menschen (Wächter-
ßere Hochzeitsfeiern, Erhalt von Spielanlagen,
76
insbesondere in Gebieten mit einem hohen An- Die Herkunftsländer der derzeitigen Dietzenbacher ALB-
Mitglieder sind Afghanistan, Indien, Jugoslawien, Kroatien,
teil ausländischer Bevölkerung, Einrichtung
Marokko, Pakistan und die Türkei.
einer Jugenddisco oder die Beantragung einer 77
Seniorenbeirat der Stadt Dietzenbach, a.a.O.
Mängeluntersuchung für städtische Sporthallen. 78
Mündliche Auskunft von Mathide Al-Dogachi, Fachbereich
Weiterhin diskutiert der ALB konfliktträchtige Soziale Dienste, Abteilungsleitung Seniorenbeirat, a.a.O.
Themen und versucht hier durch Aufklärungs- 79
Vgl. Seniorenbeirat der Stadt Dietzenbach, a.a.O.
arbeit Ängste und Vorurteile abzubauen. Der 80
Ebd. S. 10 ff.
33
funktion), beraten Politik und Verwaltung aus Seniorenbeirat delegiert. Es können darüber hin-
der Perspektive älterer Menschen (Beratungs- aus aber auch interessierte Dietzenbacher, die
funktion) und vermitteln zwischen älteren Men- sich engagieren wollen, im Seniorenbeirat mitar-
schen und Politik und Verwaltung (Vermittlungs- beiten. Die Seniorinnen oder Senioren werden
funktion). 81 Weitere wichtige Aufgabenbereiche in öffentlichen Versammlungen, zu denen die
des Seniorenbeirats sind die Mitwirkung bei Stadt über die Presse einlädt, gewählt. Die Ge-
Planungen der Kommune (z.B. Stadtplanung, schäftsführung obliegt der Abteilung "Städtische
Verkehrsplanung, ÖPNV-Planung, Verkehrs- Seniorenarbeit" im Fachbereich "Soziale Dienste"
sicherheit, Altenhilfeplanung etc.), die Beratung der Stadt Dietzenbach.
älterer Menschen und die Herstellung von Öf- Ab 2003 kann der Seniorenbeirat Bürger ab 55
fentlichkeit für ältere Menschen. 82 Jahren als kooptierte Mitglieder für den Zeit-
Eine gesetzliche Grundlage für die Einrichtung raum eines Jahres zur Mitarbeit aufnehmen und
von Seniorenbeiräten findet sich in § 8 HGO so- mit bestimmten Aufgaben betrauen.
wie § 8a HKO. Danach kann Beiräten ein Anhö- Der Dietzenbacher Seniorenbeirat ist Mitglied
rungs-, Vorschlags- und Rederecht eingeräumt der Landesseniorenvertretung Hessen e.V. als
werden, über die der Dietzenbacher Senioren- Dachorganisation. Dietzenbacher arbeiten im
beirat - wie der ALB - auch verfügt. In Hessen Redaktionsteam der Landesseniorenvertretung
gibt es derzeit rund 100 Seniorenbeiräte. 8 3 bei der Herausgabe des Magazins "Senioren
Wichtige Themen, mit denen sich der Senioren- heute, Mitteilungen - Berichte - Informationen"
beirat befasst, betreffen die Versorgungsstruktur mit. Die Landesseniorenvertretung Hessen
in Dietzenbach, die ambulante Versorgung oder wiederum ist auf Bundesebene in der Arbeitsge-
die Senioreneinrichtungen 84 , aber auch viele meinschaft der Senioren-Organisationen e.V.
Themen, die neben Seniorinnen und Senioren vertreten.
auch anderen Bevölkerungsgruppen zugute Zusammenfassend lässt sich für die Stadt Diet-
kommen, z.B. die Ausstattung von Fußgänger- zenbach festhalten, dass auf den Ebenen öffent-
ampeln mit akustischen Signalen oder die Auf- licher Beteiligung und der Ausbildung von Be-
stellung von öffentlichen Toiletten im Stadtge- teiligungsinstitutionen eine vorbildliche Kultur
biet. Der Seniorenbeirat war auch bei der Aus- entwickelt wurde. Über die Schwierigkeiten und
arbeitung der Friedhofsordnung beteiligt. Er ist deren Gründe, aus diesen Gremien und Ver-
im städtischen Verkehrsausschuss, am Runden fahren heraus Identifikation und Beteiligung zu
Tisch sowie in der Sicherheitsberatung für Seni- erreichen, wird in weiteren Kapiteln berichtet.
oren des Kreises Offenbach vertreten. In Zusam-
menarbeit mit dem Stadtbetriebs- und Umwelt-
amt hat der Seniorenbeirat die Bänke im Stadt-
gebiet instand setzen lassen. Als besonderen
Erfolg sieht der Seniorenbeirat die Wiederher-
stellung des Walddenkmals "Wolfsstock", wel- 81
Vgl. Landesseniorenvertretung Hessen e.V.; Schritt für
ches für die alteingesessene Dietzenbacher Be-
Schritt zur Gründung von Seniorenvertretungen - Zielset-
völkerung eine besondere Bedeutung hat. zungen - Grundsätze - Aufgaben, Informationsbroschüre,
Gemäß Geschäftsordnung arbeiten im Senioren- Wiesbaden, o.J.
beirat Dietzenbacher Bürgerinnen und Bürger 82
Ebd. Beispielhaft sei hier das Reinhard-Göpfert-Haus, ein
zusammen, die das 60. Lebensjahr erreicht Veranstaltungszentrum für Senioren, erwähnt.
83
Vgl. Hessisches Sozialministerium; Senioren auf Draht -
haben. Von den sechzehn Mitgliedern werden
Hessens Senioren im Internet, Informationsbroschüre,
zehn Männer und Frauen aus Kirchengemein- Wiesbaden, o.J.
den, Vereinen und Organisationen, die regelmä- 84
Beispielhaft sei hier das Reinhard-Göpfert-Haus, ein Veran-
ßig Angebote für Senioren unterbreiten, in den staltungszentrum für Senioren, erwähnt.
2.2 BEWERTUNG DER FOLGEN: DIE
AKTUELLE SITUATION DER STADT

34
2.2.1 Die städtebauliche Struktur
2.2.1.1 Baustruktur
Die Baustruktur Dietzenbachs ist in zwei über-
geordnete Bereiche gegliedert. Die Trennungs-
linie wird von der in Nord-Süd-Richtung verlau-
fenden S-Bahn-Trasse gebildet. Westlich der
Bahntrasse liegen die Wohngebiete und östlich
der Trasse die Gewerbegebiete.
Beide Bereiche lassen im Schwarzplan eine
Binnengliederung erkennen, die sich hinsicht-
lich des Maßstabs, der Struktur und der Dichte
differenzieren lässt.
Die Wohngebiete weisen eine Vielzahl unter-
schiedlicher Baustrukturen auf. Sie lassen sich
anhand des Schwarzplans den Leitbildern der
letzten fünfzig Jahre zuordnen. 85 Im Folgenden
wird auf drei für die derzeitig stadträumliche
Situation in Dietzenbach charakteristische
Strukturen eingegangen.

Abb. 4. Schwarzplan: Ortskern Dietzenbachs


mit Erweiterungen
35
Ortskern Dietzenbach mit Erweiterung pretationen anzubieten. 87 Im Rahmen der Förde-
Der dörfliche Ortskern Dietzenbachs ist im rung durch das Programm "Soziale Stadt" wird
Schwarzplan an seiner kleinteiligen Parzellie- seit 1998 im östlichen Spessartviertel eine
rung, verdichteten Baustruktur und den ge- Wohnumfeldverbesserung durchgeführt. Die Auf-
schwungenen Straßenverläufen zu erkennen. wertung der Außenräume und damit die Schaf-
fung einer Nutzungsmöglichkeit dieser Räume
durch die Bewohnerinnen und Bewohner ist das
Ziel. Unter Beteiligung von Kindern und Jugend-
lichen wurden Spielgeräte und Hütten aufge-
baut. Ob eine langfristige Nutzung und Annah-
me durch die Bewohnerinnen und Bewohner
erfolgt, bleibt abzuwarten.

Abb. 5. Ortskern Dietzenbach, Am Stadt-


brunnen Abb. 7. Alter Ortskern

Der ovale Siedlungskern wurde nach dem Zwei-


ten Weltkrieg erweitert. Das Wachstum erfolgte
entlang gradliniger Straßenzüge in offener Bau-
weise. Die Landwirtschaft verlor für den Orts-
kern an Bedeutung. Infolgedessen wurde die Abb. 6. Dietzenbach, Spessartviertel
bauliche Dichte und Struktur der Erweiterung
der Vorstellung von ländlichem Wohnen in Form Wettbewerbsgebiet
von freistehenden Einfamilienhäusern mit en- Die Stadt schrieb 1976 einen offenen städte-
gem Freiraumbezug angepasst. Im Ortskern sie- baulichen Wettbewerb für den zentralen Bereich
delte sich in geringem Umfang Einzelhandel an. der Entwicklungsmaßnahme aus. Das Wettbe-
Es entstand der Charakter eines kleinen werbsgebiet unterteilte sich in drei unterschied-
Ortszentrums. lich große Teilbereiche, die durch die Offen-
bacher Straße und die Vélizystraße voneinander
Spessartviertel getrennt werden. Die bebaubare Nutzfläche um-
In unmittelbarer Nachbarschaft zum Ortskern fasste eine Fläche von 85 ha. Auf dem Wettbe-
entstand zu Beginn der siebziger Jahre eine werbsgebiet wurden Wohnungen für 6000 Ein-
Großwohnanlage. Sie ist gekennzeichnet durch wohner und 2500 bis 3000 Arbeitsplätze ge-
die skulpturale Ausformung der Baukörper, das plant. 88 Der Wettbewerb hat in städtebaulicher
Abstandsgrün dazwischen und die konsequente 85
Funktionstrennung. Das bei der Planung inten- Vgl. Kap. 2.1.4.1.
86
Otto, Karl; die stadt von morgen, Berlin 1959, S.49.
dierte Grüngerüst8 6 lässt sich aus heutiger Sicht 87
Lerup, Lars; Das Unfertige bauen, Braunschweig 1986,
nicht erkennen. Der Grünraum ist reduziert auf
S.2 4.
seine Funktion als Abstandsgrün, er fließt zwi- 88
Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und
schen den Baukörpern hindurch, ohne Anker- Städtebau; Das Dietzenbacher Modell, Schriftenreihe Abb. 8. Spessartviertel
punkte für Aneignung und vielfältige Inter- "Stadtentwicklung", Bonn 1982, S.102.
36
Hinsicht ein Zeichen gesetzt. Es erfolgte die Ab- ein breit proportioniertes Straßenprofil auf und
kehr vom Großsiedlungsbau und eine Hinwen- zollen dem zunehmenden privaten Verkehr Tri-
dung zu tradierten Stadträumen wie Straßen, but. Es entsteht eine Struktur, die urbanen Qua-
Kreuzungen und Plätzen. 89 litäten wie Dichte und Nutzungsvielfalt kaum
In der Auslobung wurden die Wettbewerbsteil-
nehmer aufgefordert, prägnante Konzepte zu
erarbeiten, um der langfristigen Entwicklung der
Stadt Rechnung zu tragen. Dabei wurde durch-
aus thematisiert, wie unsicher die Prognosen
des zukünftigen Wachstums sind. Allerdings fiel
in dem Abwägungsprozess zwischen kurzfristi-
gen Handlungsoptionen und langfristigen Zielen
der Schwerpunkt eindeutig auf letzteren. Auch
wenn die flächendeckende Belegung der Stadt
mit Bebauungsplänen als wenig sinnvoll be-
zeichnet wurde, geschah in den Jahren nach
dem Wettbewerb genau dieses. Die Planerinnen
und Planer hielten bei aller Betonung der Pro- Abb. 10. Siedlungsrand
Abb. 9. zesshaftigkeit von Stadtentwicklung letztlich ein
Wettbewerbsgebiet fixes Ziel vor Augen, das es durch eine Vielzahl Raum bietet. Außerdem fehlen den Gebieten die
von Teilplanungen zu erreichen galt. 90 Die Er- klaren Erschließungsstrukturen, die den Städte-
gebnisse des Wettbewerbes prägen die zentral bau der Gründerzeit prägen, d.h. erlernte Wie-
gelegenen Flächen des Entwicklungsbereichs dererkennungs- und Benutzungsmuster für den
bis heute. Stadtraum wurden verworfen. Es entstehen in
Betrachtet man die gegenwärtige Baustruktur den Vierteln historisch spürbare Diskontinui-
des Wettbewerbgebietes, so erkennt man zu- täten.
nächst die Blockrandbebauung mit der daraus Neben der baulichen Struktur fällt die Vielzahl
resultierenden Trennung des Außenraums in der selbst im zentralen Bereich brachliegenden
öffentliche und private Räume, klare Innen- und Flächen auf. Sie haben oft die Größe eines gan-
Außenbereiche, die Betonung der Raumkanten zen Blockes und lassen sich dadurch in keiner
und die nach Quartieren differenzierte Dichte- Weise mit einzelnen brachliegenden Parzellen in
verteilung. Die Nutzungsdichten werden je nach einer gründerzeitlichen Struktur vergleichen.
Lage im Entwicklungsbereich differenziert. Im Dort kann die Brache als Ausgleich für eine sehr
zentralen Bereich sind sie am höchsten, zum dichte Bebauung wahrgenommen und genutzt
Rand hin abnehmend. Für die Anzahl der Ge- werden. 9 1 In Dietzenbach hingegen weisen die
schosse bedeutet dies max. 6 Geschosse in der Brachen auf Grund ihrer Größe, Gestalt und Viel-
neuen Stadtmitte, abnehmend bis zum Sied- zahl keine Struktur auf, die sie für die spontane
lungsrand auf 1-2 Geschosse. Aneignung durch einzelne Bürgerinnen und Bür-
Die Blockgröße lässt sich durchaus mit den an- ger geeignet erscheinen lassen. Die Brachflächen
deren Stadtquartieren vergleichen, sie unter- scheinen in der Stadtwahrnehmung an den
scheidet sich aber durch den geschlossenen Rand zu rücken, sie werden als Optionen für
Blockrand von diesen. Die Blockstruktur orien-
tiert sich an Gründerzeitvierteln, ohne jedoch 89
Ebd., S.104.
die dort vorhandenen Proportionen der Straßen- 90
Ebd., S.246.
räume und Blockinnenbereiche auch nur im 91
Vgl. Nutzung von Brachen als "community garden" in New
Ansatz aufzugreifen. Die Straßenräume weisen York.
37
eine zukünftige bauliche Entwicklung wahrge- Man kann sich heute glücklich schätzen, dass
nommen und nicht als Chance für die Gegen- die Kreuzung der beiden Straßen in der neuen
wart. Stadtmitte nicht in der ursprünglich geplanten
Die Planungen der letzten fünfzig Jahre haben Kleeblattform ausgeführt wurde. Dennoch bil-
ihre Spuren im Stadtraum hinterlassen. An der den die vierspurigen Straßen gravierende Ein-
Umsetzung der durch den Wettbewerb festge- schnitte in das Stadtgefüge. Unterstützt wird
legten Ziele wird noch heute gearbeitet. dies durch die Parallelerschließung der an den
Schlechte Vermarktbarkeit vieler Flächen und Straßenraum grenzenden Nutzungen. Der Er-
residentielle Segregation beeinflussen die Reali- schließungs- und Durchgangsverkehr werden
sierung der Bauvorhaben bis heute. Die veralte- voneinander getrennt. Es besteht kein direkter
ten, durch neue Stadtvorstellungen überholten Zugang der Anlieger zu den beiden Straßen.
Strukturen stehen als Torsi im Stadtkörper. Sie
grenzen dicht aneinander wie z.B. der alte Orts- Ausbildung heterogener Stadtquartiere
kern und das Spessartviertel. Die dazwischen Die heutige Stadtfigur wird stark durch die Pla-
liegenden leeren Flächen vermögen weder Über- nungen im Rahmen der Entwicklungsmaßnah-
gänge noch Anknüpfungspunkte zwischen den me geprägt. 92 Ausdruck dafür ist die "Neue
Strukturen zu schaffen. Die Fragmentierung der Mitte", die in Konkurrenz zu dem alten Ortskern
Stadt als eines ihrer herausragenden Charakter- von Dietzenbach tritt. Das Nebeneinander unter-
istika ist in der Baustruktur ablesbar. schiedlicher Baustrukturen lässt Stadtfragmente

Abb. 11. Ortstrennende Bundesstrasse Abb. 12. Großwohnanlage

2.2.1.2 Fragmentierung entstehen. Die Fragmente sind geprägt durch


Die Fragmentierung der Stadtfigur lässt sich auf den Wechsel der Leitbilder und die Veränderun-
drei Ebenen beschreiben: gen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen.
An die Bewohnerinnen und Bewohner werden
Zerrissene gesamtstädtische Figur je nach Stadtfragment unterschiedliche Nut-
Die Stadtfigur wird durch Verkehrstrassen für zungsangebote gemacht. Zwischen den Frag-
den Kraftfahrzeugverkehr und die S-Bahn zer- menten entstehen Brüche, die im Folgenden
schnitten. Die sich in der Planung ausdrücken- exemplarisch beschrieben werden sollen:
de Automobilgerechtigkeit prägt das Stadtbild
bis heute. Von besonderer Bedeutung sind in 92
Die Fläche der Entwicklungsmaßnahme umfasst eine
diesem Zusammenhang die vierspurig ausge- Größe von etwa 796 ha und entspricht damit einem Drittel
baute Bundesfernstraße und die Landesstraße. der Gemarkungsgröße, vgl. Kap. 2.1.
38
Direkt im Anschluss an den alten Dietzenbacher Perforation der Stadtstruktur durch Brachen
Ortskern entstand die beschriebene Großwohn- Innerhalb des Entwicklungsbereiches wird die
anlage auf der grünen Wiese. Die Nutzung des Stadt durch einen ganz anders gearteten Pro-
räumlich dichten, vielfältigen und auf eine Mitte zess fragmentiert als die bisher beschriebene
hin orientierten Ortskernes könnte nicht unter- bauliche Fragmentierung aufgrund sich verän-
schiedlicher sein als die erforderliche Lebens- dernder Leitbilder und Stadtvorstellungen. Die
weise locker auf der grünen Wiese verstreuter schleppende Vermarktung der Flächen im Ent-
Gebäude ohne erkennbaren Straßenraum und wicklungsbereich führt zu einer Vielzahl von
öffentlichen Raum. Die im Ortskern vorhandene Brachen in der Stadt. Diese leeren Flächen lie-
kleinräumliche Nutzungsmischung von Einzel- gen sowohl an den Siedlungsrändern als auch
handel, vereinzelter landwirtschaftlicher Nutzung an städtebaulich wichtigen Kanten wie der Of-
und Wohnungen wird in der Großwohnanlage fenbacher Straße. Sie stehen zum Verkauf oder

Abb. 13. Blockrandbebauung Abb. 14. Reihenhausbebauung

aufgegeben. Die Funktionstrennung erhält Priori- sind schon verkauft, ohne dass der Verkauf zu
tät. Das Wettbewerbsgebiet von 1976 unter- einer Entwicklung der Grundstücke geführt
scheidet sich in seiner Baustruktur, wie schon hätte. Sie lassen als Einheit geplante Quartiere
beschrieben, deutlich vom alten Ortskern und räumlich auseinanderdriften, die Bildung von
dem Spessartviertel. Die städtebauliche Struktur Straßenräumen wird, obwohl in der Planung
macht ein anderes Nutzungsangebot als die Be- vorgesehen, nicht realisiert. Die leeren Flächen
bauung der Großsiedlung. Das Erschließungs- gehören zum Bild in der Stadt, aber sie entwi-
system weist deutliche Hierarchien auf. Es gibt ckeln keine eigenen räumlichen Qualitäten, die
in den städtebaulich übergeordneten Straßen zur Vielfalt der städtischen Struktur beitragen
eine Nutzungsmischung innerhalb der Gebäude, würden. Sie sind ungenutzt und unnutzbar, da
d.h. von Läden, Büros und Wohnungen, wäh- sie für die zukünftige Entwicklung vorgehalten
rend die anderen Straßen als reine Wohnstraßen werden. Aus dem stadträumlichen Kontext wer-
entwickelt werden. 93 den sie ausgeklammert und können somit auch
Die derzeit innerhalb des Entwicklungsbereiches nicht produktiv für die Gegenwart genutzt wer-
entstehenden Reihenhausgebiete sind mono- den.
funktionale Wohngebiete, die durch eine hohe 93
Vgl. auch Rahmenplan 1979 in: Bundesministerium für
Ausnutzung der Baugrundstücke gekennzeich-
Raumordnung, Bauwesen und Städtebau; Das Dietzen-
net sind. Es werden keine dieser Ausnutzung bacher Modell, Schriftenreihe "Stadtentwicklung", Bonn
entsprechenden Außenräume angelegt. 1982, S.249.
Abb. 15. - 17. Stadtbrachen

39
Die drei Ebenen der Fragmentierung lassen eine planten Realisierung bleibt man in Dietzenbach
diskontinuierliche Stadtstruktur entstehen. Die ohne Auto auf Busse angewiesen, die die Stadt
einzelnen Teile entwickeln auf Grundlage ihrer mit Frankfurt, Offenbach und dem Flughafen
Baustruktur keine ausgeprägten räumlichen Cha- verbinden, nicht jedoch nach Süden (Darmstadt,
raktere. Brüche, abrupte Grenzen, Perforation Dieburg).
und Brachen prägen das Stadtbild. Die Besin-
nung auf die Stärken der jeweiligen Einzelfrag- Nutzung und Bebauung der "Neuen Mitte"
mente ist in Dietzenbach nicht erkennbar. Die Die im Rahmen der Stadtentwicklungsmaßnah-
Entwicklung lokaler räumlicher Zentren, z.B. me geplante "Neue Mitte" ist bis heute nicht
durch Bürgerhäuser für die Quartiere, öffentli- maßgeblich realisiert. Dem Planungsgeist ihrer
che Plätze oder Freiraumgestaltung, findet nicht Entstehungszeit gemäß wurde die "Neue Mitte"
statt. Eine räumliche Unterstützung der vor Ort zunächst durch die Infrastruktur einer überge-
ordneten Straßenkreuzung mit acht bzw. sechs
Spuren definiert, um die Anbindung an die
Oberzentren zu sichern. Unmittelbar an dieser
Kreuzung entstand - zeitlich und räumlich vor
dem Rathaus - ein Verbrauchermarkt. Durch
seine optimale Erschließung und den reichlich
vorhandenen Stellplätzen einerseits sowie den
unbebaut gebliebenen Nachbargrundstücken
andererseits kommt er einem Verbrauchermarkt
"auf der grünen Wiese" gleich.
Überwiegend durch den Verbrauchermarkt, der
über eine Brücke auch für Fußgängerinnen und
Fußgänger mit der angrenzenden Hochhaus-
Abb. 18. Innerörtliche Kreuzung siedlung verbunden ist, entsteht Öffentlichkeit
im weitgehend ungenutzten Zentrum.
vorhandenen lokalen Netzwerke erfolgt nicht. 9 4 Interessanterweise birgt die Konstellation der
Es wird sich erweisen, ob die Diskussion über guten Erschließung und des Flächenpotenzials
das sogenannte "Innenohr", einer zentralen Rest- der Mitte Dietzenbachs das Potenzial, der an-
fläche in der Großsiedlung an der Lauffacher dernorts beklagten Abwanderung von Kaufkraft
Straße, in Zukunft unter dem Zeichen einer auf die grüne Wiese entgegenzusteuern.
möglichen Stärkung der lokalen städtebaulichen Der in den siebziger Jahre entstandene Verbrau-
Identität des Viertels stehen könnte. Das Ziel, chermarkt wurde bisher nicht modernisiert. Im-
eine Stadt zu bauen, erweist sich als zuneh- mer wieder gibt es Verhandlungen und konkrete
mend hinderlich für die qualitative Entwicklung Planungen zur Neuansiedlung von Fachmärkten.
der einzelnen Quartiere. Verhandlungen mit unterschiedlichen Investoren
über einen Hotelbau führten bisher zu keiner
2.2.1.3 Fragmentierte Stadtmitte - Verkehrs- Umsetzung.
infrastruktur Nach der Errichtung des Bürgerhauses in den
In Dietzenbach wurden gemäß den damaligen achtziger Jahren wurde während der
Vorstellungen von der autogerechten Stadt Stra- Projektlauf-zeit im Jahre 2002 auf einer der
ßen entsprechend großzügig dimensioniert. Seit Zentrumsbrachen das Kreishaus errichtet, im
dreißig Jahren aber wird auf die Umsetzung des Sinne der siebziger Jahre, Verwaltung in die
ÖPNV-Anschlusses in Gestalt der S-Bahn ge-
wartet. Bis zu deren nun für Ende 2003 ge- 94
Vgl. Kap.4.1.1.3.
40
neuen Mitten zu verlegen. Auf Grund der Freiraum
Wirtschaftslage und der Finanzlage der öffent- Der an die Hauptkreuzung heranreichende
lichen Haushalte ist nach dreißig Jahren nun Stadtpark macht einen ähnlichen Eindruck wie
nicht mit einer Vollendung der Projekte aus der die brachliegenden Flächen im Zentrum. Er ist
städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme zu als "Landschaftspark" gedacht, was aber die
rechnen, wenngleich die Stadt vertraglich noch Zersplitterung der Stadtteile in einer fragmentier-
immer daran gebunden ist. Die großen ten Landschaft unterstreicht und zudem in der
Brachflächen veranschaulichen am eindrück- Bevölkerung wenig verstanden wird. In öffent-
lichsten die nicht erreichten Ziele der lichen Freiräumen Dietzenbachs ist viel-fach
Entwicklungsmaßnahme. Vandalismus zu beklagen. 96

Mitte als Identität Fazit


Das Bild einer Stadt wird heute vielfach von Die neue Stadtmitte ist Jahrzehnte nach ihrer
ihrem historischen Kern abgeleitet. Er bildet in Planung in wesentlichen Bereichen nicht reali-
der Regel auch für verschiedenste Bewohner- siert worden. Für die Verwischung der Grenzen
innen und Bewohner in den unterschiedlichen von Stadt und Landschaft im Ballungsraum ist
Quartieren insofern einen Integrationsfaktor, als die Stadt Dietzenbach in ihrer Fragmentiertheit
sich alle Bewohnerinnen und Bewohner auf ihn ein Beispiel der Zwischenstadt par excellence. 9 7
beziehen können. Verstärkt wird dies durch ihre nicht vorhandene
Die historische Ortsmitte in Dietzenbach hat die eindeutige Mitte, ihre phasenweise gewachse-
Funktion einer von allen anerkannten Mitte für nen, isolierten Stadtviertel sowie die die Stadt
zerschneidenden breiten Straßen.
Die "Neue Mitte", die aufgrund der Brachflächen
als solche auch kaum wahrnehmbar ist, bietet
keinen Aufenthaltsort und keine Identifikations-
merkmale.
Die Brachflächen der Mitte können als Potenzial
für eine temporäre Bespielung angesehen wer-
den, über deren Teilnahme zeitlich begrenzte
Identifikation entstehen könnte.

Abb. 19. Neue Mitte

die fünffach gewachsene Einwohnerschaft nicht


übernehmen können. Ein von der gesamten Be-
völkerung anerkanntes und genutztes Stadtzen-
trum fehlt. Dennoch wird das Fehlen einer Mitte
von der Bevölkerung nicht beklagt. 95
Der "Neuen Mitte" Dietzenbachs mangelt es an
der Funktionsvielfalt und Dichte der klassischen 95
Aussage Stadtplanungsamt
europäischen Stadt. Andere Identifikationsmerk- 96
Von den im Rahmen des Hessentags angepflanzten
male sind nicht erkennbar. Stauden wurden zahlreiche aus dem Stadtpark entwendet.
97
vgl: Thomas Sieverts, Zwischenstadt, Braunschweig 1997.
41
2.2.1.4 Rolle in der Region 2.2.2 Die Einwohnerinnen und
Die Stadt Dietzenbach liegt im Ballungsraum Einwohner Dietzenbachs
der Rhein-Main-Region. Dies prädestinierte sie
bereits 1973 als ‚"Wohnentlastungsstandort" für Die Entwicklung Dietzenbachs schlägt sich auch
Frankfurt im Rahmen der städtebaulichen Ent- in der heutigen Bewohnerstruktur nieder. Hier
wicklungsmaßnahme. Sie gehört zum heutigen lassen sich sowohl gesamtstädtische Trends wie
Planungsverband Frankfurt Rhein-Main. auch räumliche Differenzierungen feststellen, die
Wie in vielen Umlandgemeinden lebt der Groß- die These der fragmentierten Stadt untermauern.
teil der Einwohner seit weniger als zwanzig Im Folgenden werden zentrale Merkmale darge-
Jahren in Dietzenbach. Der Anteil an ausländi- stellt. Diese entstammen dem Sozialbericht
schen Mitbürgerinnen und Mitbürgern ist mit 1999/2000 der Stadt Dietzenbach, dem Sozial-
ca. 30% der höchste innerhalb des Verbands- strukturatlas 2000 des Landkreises Offenbach
gebiets. sowie einer Erhebung im Rahmen des Projekts
War früher die Arbeitsplatznähe zu Frankfurt Dietzenbach 2030, deren methodische Heran-
und Offenbach maßgeblich, so spielt heute die gehensweise in Kapitel 3 dargestellt wird.
Nähe zum Flughafen mit seinen 60.000
Arbeitsplätzen nicht nur arbeitsmarktpolitisch 2.2.2.1 Gesamtstädtische Merkmale
eine bedeutende Rolle. Viele Speditionsfirmen Die Sozialberichte weisen Dietzenbach als junge
haben sich aufgrund dieser Konstellation ange- Stadt aus. Dies betrifft sowohl den Altersdurch-
siedelt. Umgekehrt zählt Dietzenbach zu den schnitt als auch den Anteil junger Menschen in
Gemeinden, die in unmittelbarer Nähe zur Ein- Relation zu anderen Kommunen des Landkreises
flugschneise auch vom Fluglärm betroffen sind. Offenbach. So nimmt Dietzenbach beim Anteil
Wie in vielen anderen Gemeinden ist die Identi- der Jugendlichen unter 18 Jahren mit 21,7 %
fikation mit der Region jedoch sowohl bei den im Verhältnis zu 18,3 % Kreisdurchschnitt den
Bewohnern als auch bei den Politikerinnen und Spitzenplatz im Kreis ein. Diese Relation findet
Politikern kaum ausgeprägt. Auf regionale sich auch beim Betrachten des Anteils der Kin-
Identitätsstiftung abzielende Planungen, wie der der unter 14 Jahren. Hier liegt das Verhältnis
Regionalpark des Planungsverbandes, bei dem von Dietzenbach mit einem Anteil von 17,8 %
die Kommunen neben den Fördergeldern einen an Kindern unter 14 Jahren gegenüber 15,3 %
eigenen Anteil leisten und sich mit den Nach- im Landkreis Offenbach.
bargemeinden vereinbaren müssen, stoßen auf Umgekehrt ist der Anteil der Bevölkerung über
wenig Resonanz. 65 Jahre recht gering. Der Anteil der über 65-
Auch die Identifikation mit der Stadt scheint Jährigen beträgt in Dietzenbach 9,7 % gegen-
nicht besonders hoch, gemessen an der Anzahl über einem Kreisdurchschnitt von 14,4 %.
der Vereine im Vergleich zur Region. Entsprechende spezifische räumliche und infra-
Aufgrund des höchsten Ausländeranteils und strukturelle Ausstattungen bzw. Entwicklungen
einer überdurchschnittlichen Kriminalitätsrate in lassen sich nicht feststellen.
der Region genießt Dietzenbach ein eher negati- Entsprechend der dynamischen Entwicklung der
ves Image. 9 8 Dem versuchte man mit der Veran- vergangenen dreißig Jahre - zusammenfassend
staltung des Hessentags 2001 sowie der Errich- kann man das Wachstum der Bevölkerung von
tung der Kreisverwaltung entgegenzuwirken. Aus etwa 10.000 im Jahre 1966 auf etwa 33.000
gleichem Grund strebte die Stadt nach dem Ti- heute benennen - sind deutliche Merkmale zu
tel der Kreisstadt, den sie im März 2003 auch sehen, die auf eine geringe lokale Bindung
erhielt.
98
Häufigkeit der Straftaten laut Statistik des LKA Hessen für
2002.
42
schließen lassen. So ergibt eine Befragungsreihe Konfessionen mit gemeinwesenorientierten sozi-
im Rahmen des Projekts Dietzenbach 2030 ein alen Ressourcen verbunden. In diesem Sinne
Bild, nach dem fast die Hälfte der Befragten könnte man sie auch als einen Parameter für
weniger als zehn Jahre in Dietzenbach wohnt. das Zustandekommen traditioneller, westeuro-
Dies ist auf Grund des immensen Zuzugs und päischer, kleinstädtischer Öffentlichkeit und
des Wachstums der Stadt nicht erstaunlich. Nachbarschaft bewerten. Hier liegt der Anteil
Dieser Befund entspricht auch den Ergebnissen Dietzenbachs mit 45,2 % im Verhältnis zum
des Sozialberichts des Landkreises, der ähnliche Kreisdurchschnitt mit 63,2 % mit Abstand am
Werte für die Wohndauer bis fünf Jahre auf- niedrigsten. Dabei wird allerdings nicht bedacht,
weist. Nach diesen Zahlen wohnen 29,9 % der dass bei einer solchen Maßzahl sicher Vorsicht
Dietzenbacher Bevölkerung weniger als fünf geboten ist, da sie eine deutliche Hierarchisie-
Jahre in Dietzenbach. rung und Bewertung von Religionsgemeinschaf-
In dieselbe Richtung weisen auch die Ergeb- ten auf einen spezifischen Wertekanon vor-
nisse auf die Frage "Sind Sie in Dietzenbach nimmt. Aus einer anderen Perspektive gesehen
geboren?". Hier antworteten lediglich 10,1 % erschließt sich über eine solche Zahl aber die
der Befragten mit "Ja", während 89,9 % der potenzielle Möglichkeit des Zugangs zu einem
Be-fragten mit "Nein" antworteten. dominierenden Wertekanon in einem Gemein-
Eine Besonderheit, die Dietzenbach im Rhein- wesen.
Main-Gebiet darstellt, besteht im Anteil der Hinsichtlich der sozialstrukturellen Belastung,
Migrantenbevölkerung. Dieser liegt aktuell bei nimmt Dietzenbach ebenfalls eine Sonderstel-
28,7 %, was über dem Wert der stark internati- lung im Feld der umliegenden Kommunen ein.
onalisierten Großstadt Frankfurt/Main liegt. Be- Der verwendete sogenannte Belastungsindex
trachtet man den Kreisdurchschnitt, so liegt die- wird aus der Summe der Arbeitslosen, Sozial-
ser mit 15,5 % etwa bei der Hälfte. Betrachtet hilfe- sowie Wohngeldempfängerinnen - und
man zudem den Zusammenhang von Migra- -empfänger, bezogen auf die Bevölkerung, be-
tionshintergrund und Altersdurchschnitt, so lässt rechnet. Mit einem Anteil von 13,3 auf 100
sich feststellen, dass die nichtdeutsche Bevöl- Einwohner liegt er sowohl deutlich über dem
kerung in Dietzenbach im Durchschnitt elf Jahre des Landkreises mit einem Anteil von 7,4, aber
jünger ist als die deutsche Bevölkerung (durch- auch über dem Index der südhessischen Groß-
schnittliches Geburtsjahr der deutschen Bevöl- städte, in denen sich in Relation zu kleineren
kerung: 1958, der nichtdeutschen Bevölkerung: Kommunen gemeinhin eine Kumulation von
1969). Hier sind deutlich Zuzugs- und Kumula- sozialstrukturellen Belastungen findet. Der Index
tionseffekte durch die Herausbildung ethnischer für die südhessischen Großstädte liegt bei 11,7.
Nachbarschaften und Netzwerke zu vermuten. Fasst man die Aussagen aus den genannten
Dies hat auch erheblichen Einfluss auf die not- Werten zusammen, so handelt es sich bei Diet-
wendigen Einrichtungen für Kinder und Jugend- zenbach:
liche, Bildungseinrichtungen und die Ausbil- • Um eine demographisch junge Stadt.
dungsstruktur, was in der Realisierung jedoch • Um eine "frisch besiedelte" Stadt.
kaum festzustellen ist. • Um eine Stadt mit einem hohen Migranten-
Der Sozialbericht des Landkreises weist die Ziffer anteil.
der Mitglieder christlicher Religionsgemeinschaf- • Um eine Stadt mit einer Sozialstruktur, die
ten aus. Inhaltlicher Hintergrund für die Auswer- auf Grund der dynamischen Entwicklung eine
tung dieser Zahl, laut Anmerkung im Sozialbe- Vielzahl unterschiedlicher Teilräume aufweist.
richt, ist einerseits die Orientierung an traditio- • Um eine Stadt, die unter den gegebenen
nellen Werte- und Orientierungsmustern, an- Maßstäben ein hohes Maß an sozialstruktu-
dererseits wird die Mitgliedschaft in christlichen reller Belastung aufweist.
43
2.2.2.2 Fragmentierungen - Merkmale von innen/Einwohnern und Alter strukturiert, so
Teilräumen ergibt sich folgende Tabelle:
Die oben genannten Indikatoren lassen sich
auch auf Teilräume Dietzenbachs herunterbre-
Tab. 4. Durchschnittliches Geburtsjahr nach
chen. Der Sozialbericht der Stadt Dietzenbach
Quartier
geht dabei von acht Sozialräumen innerhalb
Dietzenbachs aus. Diese sind im einzelnen Quartier BewohnerInnen Mittl.Geb.Jahr
1. das Spessartviertel, 1 7639 1968
2. der Bereich Robert-Koch-Straße, Max- 2 828 1968
Planck-Straße, Messenhäuser Straße, 3 7359 1959
3. der Stadtteil Steinberg, 4 4897 1958
4. der Bereich Altstadt, Ostend, Wingertsberg, 5 6539 1959
5. der Bereich Westend, Dreieichviertel, 6 3899 1968
6. die neue Stadtmitte, 7 2261 1955
7. der Stadtteil Hexenberg, 8 397 1963
8. die Gewerbegebiete. Stadt 33819 1962

Deutlich wird an dieser Übersicht, dass die


Altersdurchschnitte nach Stadtteilen erheblich
differieren. Dies legt es nahe, nach den struktu-
3 rierenden Gründen zu fragen. Bei den Quar-
tieren Altstadt, Westend, Hexenberg und Teilen
von Steinberg handelt es sich um Quartiere mit
längerem Bestand. Bei den Quartieren Spessart-
viertel, Robert-Koch-Straße und "Neue Mitte"
6 handelt es sich um die Neubauquartiere seit
5 8 Beginn der siebziger Jahre. Zunächst kann man
1 also sagen, dass die Neubaugebiete der vergan-
genen dreißig Jahre durch eine strukturell jün-
4 gere Bevölkerung gekennzeichnet sind. Alleine
2 aus der Altersstruktur lassen sich differenzierte
Interessen und Anforderungen an die Stadt und
deren unterschiedliche Funktionen (Infrastruk-
tur, Reproduktion, Öffentlichkeit, Freizeit etc.)
7 folgern.

Verweildauer und Umzugshäufigkeit als struk-


Abb. 20. Sozialräume Dietzenbachs turierende Merkmale
Hinsichtlich verschiedener Merkmale lassen
sich die acht Gebiete in drei Typen gliedern,
Alter als strukturierendes Merkmal wonach sich traditionelle Gebiete (Altstadt,
Dietzenbach ist im obigen Kapitel als junge Steinberg, Hexenberg, Wingertsberg, Westend)
Stadt beschrieben worden. Geht man auf die und Neubaugebiete (Unterscheidung zwischen
Ebene der Quartiere, so differenziert sich dieses "Neue Mitte" und Spessartviertel/Robert-Koch-
Bild erheblich nach Teilräumen aus. Betrachtet Straße) differenzieren. Sicherlich ist es nicht
man die einzelnen Quartiere nach Einwohner- unproblematisch, Stadtteile zusammenzufassen,
44
zumal diese teilweise räumlich isoliert vonein- Mehrheit in der Bevölkerung gibt, die Dietzen-
ander liegen. Auch die unterstellte Homogenität bach als dauerhaften Wohnstandort gewählt hat.
der Stadtteile ist natürlich nicht durchgängig ge- Betrachtet man die Neubaugebiete, so stellt man
geben. Anzumerken ist hier jedoch, dass sozial- fest, dass die Wohndauer im Bereich des Spes-
strukturelle Typisierungen vorgenommen werden, sartviertels, das zu einem erheblichen Teil in der
die Tendenzen abbilden und damit auf kleinräu- ersten Hälfte der siebziger Jahre fertiggestellt
mige, baulich-räumliche Differenzierungen ver- wurde, deutlich niedriger liegt als im Bereich der
zichtet werden kann. Somit ist die Verengung "Neuen Mitte", die in weiten Teilen erst in den
der Betrachtung, bei allem darin steckenden In- achtziger und neunziger Jahren bebaut wurde.
formationsverlust, erkenntnisgewinnend.
Ein erstes Beispiel stellt die Differenzierung hin- Altersstruktur und Migrantenanteil
sichtlich der Wohndauer in den Quartieren dar. Differenziert man die Betrachtung weiter aus, so
Hier kommt man zu folgenden Ergebnissen: lassen sich weitergehende Merkmale von Frag-
Deutlich wird hier, dass sowohl die Verweildauer mentierung und daraus resultierenden Interes-
im Quartier wie auch die Umzugsbewegungen senlagen entwickeln. Innerlich differenziert sind
höchst unterschiedlich sind. Festzustellen ist, die Neubaugebiete durch den Anteil der Migran-
dass es in den traditionellen Quartieren eine tinnen und Migranten. Bei den Quartieren Spes-
sartviertel und Robert-Koch-Straße weist der So-
zialbericht auf einen Migrantenanteil von bis zu
Tab. 5. Wohndauer nach Quartierstypen in
Prozent 86 % hin, ohne dass Differenzierungen benannt
werden. Als Vergleich wird lediglich der Stadtteil
Traditionelle "Neue Spessart- Hexenberg benannt, in dem der Migrantenanteil
Quartiere Mitte" viertel bei etwa 8 % liegt. Die Stadt Dietzenbach hat
R. Koch Str. in ihrem Sozialbericht darauf verzichtet, den
Zusammenhang von anteiligem Migrationshin-
< 1 Jahr 7,6 % 20 % 25 % tergrund im Quartier, durchschnittlichem Ge-
1-5 Jahre 17,1 % 20 % 37,5 % burtsjahr und/oder Kinderanteil in Quartieren
5-10 Jahre 14,3 % 15 % 8,3 % mit verdichtetem Wohnungsbau systematisch
> 10 Jahr 61 % 45 % 29,2 % darzustellen, was obige Tabelle etwas unscharf
werden lässt. Gleichwohl ist durch den ange-
Tab. 6. Quartierstypen und Kinderanteil deuteten Vergleich der Quartiere Hexenberg und
Spessartviertel anzunehmen, dass es einen sig-
Traditionelle "Neue Spessart- Gesamt- nifikanten, quartiersspezifischen Zusammenhang
Quartiere Mitte" viertel stadt zwischen Altersstruktur und Migrantenanteil gibt.
R.-Koch Str. In aller Deutlichkeit formuliert kann man sagen:
Je höher der Migrantenanteil eines Quartiers,
BewohnerInnenzahl desto jünger die Bevölkerung.
in abs. Zahlen 21.453 3.899 8.467 33.819
BewohnerInnen bez. Kinderzahl als strukturierendes Merkmal
auf Gesamtstadt 6 3,4 % 1 1,5 % 25,1 % 100 % Nicht nur der Altersdurchschnitt prägt die Struk-
Kinderzahl in abs. tur der Quartiere, sondern auch der relative An-
Zahlen 2.638 828 1930 5396 teil der Kinder an der Bevölkerung in den
Kinder in Prozent im Quartierstypen (siehe Tab. 6.).
Stadtteil 1 2,3 % 2 1,2 % 22,8 % 16 % Zunächst bestätigt sich auch hier der Trend,
Kinderanteil bez. auf dass die Neubauquartiere altersmäßig die jün-
Gesamtstadt 4 8,9 % 1 5,3 % 35,8 % 100 % geren sind. Ergänzen lässt sich diese Aussage
45
nun aber dadurch, dass sich die Bewohnerinnen nehmen, während der Bezug von Transferlei-
und Bewohner der Neubauquartiere in einer stungen wie HLU eine vorhandene Armutssitu-
früheren Familienphase befinden und deshalb ation beschreibt. Folgende Übersicht beschreibt
der Anteil der Kinder relativ höher ist als in den die Verteilung dieser Armutssituation:
traditionellen Quartieren.
Verstärkt wird aber auch die Aussage über die
Tab. 7. HLU-Bezug nach Quartierstyp
relativ junge nichtdeutsche Bevölkerungsstruktur
nach Quartieren hinsichtlich der Kinderzahl. Traditionelle "Neue Spessart- Gesamt-
Über ein Drittel aller Kinder Dietzenbachs leben Quartiere Mitte" viertel stadt
in den als problematisch bewerteten Quartieren R.-Koch Str.
der Stadt, deren Migrantenanteil bei bis zu
86 % liegt. BewohnerInnen 21.453 3.899 8.467 33.819
Bezieht man die, über den Stadtraum verteilten, Bewohner bez. auf
weiteren Gebiete verdichteten Wohnungsbaus Gesamtstadt 63,4 % 11,5 % 2 5,1 % 100 %
ein - um solche handelt es sich bei den Quar- BezieherInnen
tieren Spessartviertel und Robert-Koch-Straße HLU 1111 256 1686 3053
ebenfalls - so kommt der Sozialbericht der Stadt HLU bezogen auf
Dietzenbach zu dem Ergebnis, dass 51 % aller Anteil an
Kinder Dietzenbachs im verdichteten, hochge- Gesamtstadt 36,4 % 8,4 % 5 5,2 % 100 %
schossigen Wohnungsbau leben. Auch hier sind HLU bez. auf
keine Zahlen bezüglich des Migrantenanteils Quartiersbevölkerung 5,2 % 6,6 % 1 9,9 % 9,0 %
ausgewiesen, doch liegt die Vermutung nahe,
dass es sich hier um einen großen Anteil von Ergänzend seien noch einige Zahlen zum Ver-
Zuwanderinnen und Zuwanderern handelt. Be- gleich erwähnt. So liegt die Sozialhilfedichte im
stätigt wird dieser Schluss durch die Aussage Landkreis Offenbach bei 3,4 % und im Regie-
des Sozialberichts, dass 42,9 % aller Kinder rungsbezirk Darmstadt/Südhessen bei 4,1 %.
Dietzenbachs der nichtdeutschen Bevölkerung Festzuhalten ist also zunächst, dass die Sozial-
angehören. Insofern besteht hier ein weiteres hilfedichten in allen Teilen Dietzenbachs über
strukturierendes Merkmal, aus dem sich poten- dem Durchschnitt des Kreises wie Südhessens
zielle Interessen und Anforderungen ableiten liegen. Die Spreizung der Verteilung ist aller-
lassen. Die Merkmalskombination von Migra- dings erheblich, mit Schwankungen zwischen
tionshintergrund, Kinderzahl und Wohnen in 5,2 % und 19,9 % in den jeweiligen Quar-
verdichtetem Wohnungsbau ist für etwa 25 % tieren. Jeder fünfte Bewohner der Quartiere mit
der Dietzenbacherinnen und Dietzenbacher all- verdichtetem Wohnungsbau, hohem Migranten-
tags- und interessenprägend. anteil, junger Bewohnerstruktur und kinderrei-
chen Familien sieht sich mit einer konkreten
Sozialstaatliche Transferleistungen als Armutssituation konfrontiert. Betrachtet man
Differenzierungsmerkmal gesondert die Situation der Kinder in solchen
Die Betrachtung von Transferleistungen nach Quartieren, so spitzt sich der Anteil nochmals
Stadtteilen differenziert das Bild Dietzenbachs erheblich zu.
weiter. So stellt etwa der Bezug von Sozialhilfe Auch hier ist anzumerken, dass es sich struktu-
(Hilfe zum Lebensunterhalt, HLU) einen Indi- rell um eine eher typisch großstädtische Situa-
kator für die Verteilung konkreter Armutssitua- tion handelt, die gemeinhin in Kommunen der
tionen dar. Die bislang genannten Merkmale Gemeindegrößenklasse Dietzenbachs quasi
dienten eher dazu, Differenzierungen nach Le- nicht anzutreffen ist.
benslagen und eventuell deren Risiken vorzu- Leider liegen keine differenzierten Daten der
46
Bundesanstalt für Arbeit für die unterschiedli- nungsbau kaum repräsentiert sind. Ein Grund
chen Teilräume vor. Somit lassen sich keine dif- ist sicher im existierenden Wahlrecht zu sehen,
ferenzierten Aussagen zu Ausbildungs- und Er- das Nicht-EU-Ausländer ausschließt. Weitet man
werbsstatus treffen. den Blick jedoch auf den weniger formalisierten
Bereich der Vereine aus, so liegt die Perspektive
Teilhabe an deutscher Öffentlichkeit als Merk- der öffentlichen Desintegration näher. In der Ver-
mal gesamtstädtischer Integration einsstruktur ist es auch den sozialstrukturell
Als ein Maßstab wurde die Gruppe der "öffent- mittelschichtnahen Bevölkerungsgruppen im Be-
lichen Funktionäre" analysiert. Hiermit sind Per- reich der "Neuen Mitte" bislang nicht gelungen
sonen gemeint, die qua Funktionsübernahme in sich einzubringen bzw. entspricht dies auch
der Lage sind, das öffentliche Leben mitzuprä- nicht ihrer Bedürfnisstruktur. Bezüglich der ge-
gen. Konkret wurde die Verteilung der politi- samtstädtischen Struktur der Öffentlichkeit in
schen Amtsinhaberinnen und Amtsinhaber (Ma- Dietzenbach kann man schließen, dass sich die
gistratsmitglieder und Stadtverordnete) und der dörfliche Struktur konserviert und fortgeschrie-
Vereinsvorsitzenden über die Stadtquartiere be- ben hat, was in erheblichem Widerspruch zum
trachtet. Wandel der Sozialstruktur der Stadt mit einem
Deutlich wird an dieser Übersicht, dass sich der hohen Migrantenanteil steht.
Kernbereich der klassischen Dietzenbacher Öf- Augenfällig ist auch, dies ist sicher kein originär
fentlichkeit in den traditionellen Quartieren kon- Dietzenbacher Phänomen, dass die Beteiligung
zentriert. Auf der Ebene der politischen Interes- der Bevölkerung in risikobehafteten Lebenslagen
senvertretung gelingt es den tendenziellen und konkreten Armutssituationen am öffent-
Neubürgerinnen und Neubürgern im Bereich der lichen Leben nicht stattfindet. Insofern ist die
"Neuen Mitte", sich in Analogie zu ihrem prozen- Interessenartikulation in einem relevanten Teil
tualen Bevölkerungsanteil einzubringen, wäh- des öffentlichen Raums der Stadt, der Vereins-
rend die Bewohnerinnen und Bewohner der struktur, für diesen Teil der Bevölkerung nicht
Quartiere mit hochverdichtetem Geschosswoh- gegeben.
Geht man weiter und betrachtet die zivilgesell-
schaftliche Struktur der Stadt, so gelingt es
Tab. 8. Verteilung "öffentlicher Funktionäre" in
selbst den mittelschichtorientierten Zugezoge-
den Quartierstypen
nen nicht, sich zu integrieren.
Traditionelle "Neue Spessart- Außerhalb Fasst man die quartiersspezifischen Differen-
Quartiere Mitte" viertel Dietzen- zierungsmuster zusammen, so lassen sich fol-
R.-Koch Str. bach gende Aussagen treffen:

Politische • Es besteht eine prinzipielle Differenz in der


FunktionsträgerInnen 47 6 2 0 Altersstruktur der Bewohnerinnen und Bewoh-
Anteil der Quartiere ner der traditionellen Quartiere und der Neu-
am Stadtgebiet 6 3,4 % 1 1,5 % 2 5,1 % 0 baugebiete der vergangenen dreißig Jahre.
Anteil der Quartiere
an pol. Funktions- • Dies geht einher mit unterschiedlichen Antei-
trägerInnen 8 5,5 % 1 0,9 % 3,6 % 0 len von Kindern an der Wohnbevölkerung, die
Vereinsvorsitzende 65 1 in den traditionellen Quartieren um 10 % unter
Anteil der Quartiere denen der Neubauquartiere liegt.
an Vereinsvorsitzen- 1 10
den 8 4,4 % 1,3 % 1,3 % 13 % • Differenzierungen zwischen diesen Quartieren
Gesamtzahl 112 7 3 10 bestehen auch in der Teilhabe an der deutschen
47
städtischen Öffentlichkeit. Etwa 85 % der öffent- 2.2.3 Erste Konsequenzen: Neue
lichen Funktionen sind mit Bewohnerinnen und Ansätze in der Planung
Bewohnern der traditionellen Quartiere besetzt.
Nur im politischen Sektor gelingt es den Bewoh-
nerinnen und Bewohnern des Bereichs "Neue 2.2.3.1 Wandel im Bereich der Entwicklungs-
Mitte", sich repräsentativ einzubringen. Spes- maßnahme
sartviertel/Robert-Koch-Straße haben weder im Wie in Kapitel 2.1.4 dargestellt, vollzog sich der
politischen noch im zivilgesellschaftlichen Sektor Wandel der städtebaulichen Konzeption im Ver-
eine repräsentative Entsprechung. lauf der städtebaulichen Entwicklungsmaßnah-
me in Dietzenbach vor dem Hintergrund eines
• Differenzierungen zwischen den Neubauquar- allgemeinen Wandels von Planungsphilosophien,
tieren bestehen vor allem im Anteil der Bevöl- Leitbildern und Werten im Städtebau, dessen
kerung mit Migrationshintergrund. Genaue An- deutlichste Auswirkungen als Abkehr von der
teile werden nicht ausgewiesen, die Andeutun- Wohnhochhausbebauung sichtbar wurden.
gen sind gleichwohl evident. Sicherlich ist dieser Mitte der siebziger Jahre in
Folge der Rezession und der damit einhergehen-
• Gleiches gilt für den Bezug von Hilfe zum den Dämpfung der Wachstumserwartungen auf-
Lebensunterhalt. Dieser liegt in allen Quartieren kommende Paradigmenwechsel mit dafür ver-
über dem Kreisdurchschnitt, kumuliert aber in antwortlich, dass die im Flächennutzungsplan
besonderem Maße im Bereich Spessartviertel/ 1966 und Gesamtaufbauplan formulierten Vor-
Robert-Koch-Straße. stellungen nie vollständig umgesetzt wurden und
die angestrebte Einwohnerzahl von 60.000 auf
• Die Wohndauer ist im Bereich Spessartviertel 45.000 herabgesetzt wurde.
am geringsten. Nach bald dreißig Jahren Auch die Pläne in der Folgezeit, der Flächennut-
Bestand eines großen Teils der Wohnungen in zungsplan 1977 und insbesondere der städte-
diesem Bereich wohnen lediglich 29 % der bauliche Rahmenplan 1979, wurden nicht de-
Bewohnerinnen und Bewohner länger als zehn tailgenau realisiert. Zwar lassen insbesondere
Jahre vor Ort. Flächennutzungspläne Entwicklungsspielräume
zu und sind schon auf Grund ihres großen Maß-
Zusammenfassend kann man von einem hohen stabs auslegungswürdig, jedoch erfolgten in
Maß an residentieller Segregation sprechen. Dietzenbach in der Folgezeit deutliche Abwei-
chungen von der städtebaulichen Gesamtkon-
zeption, wie der Verzicht auf Wohngebiete öst-
lich der S-Bahn-Trasse und auf großflächige Be-
bauung. Während der städtebauliche Rahmen-
plan östlich der Offenbacher Straße in großen
Teilen wie geplant realisiert wurde, wich man in
den später realisierten Baugebieten westlich der
Offenbacher Straße teilweise stark vom ur-
sprünglichen Erschließungskonzept des Rah-
menplans 1979 ab.
Verantwortlich für die Abweichung von den
Plänen und die teilweise ausbleibende Realisie-
rung ist in erster Linie eine veränderte Nach-
frage auf dem Wohnungsmarkt sowie aus heuti-
ger Sicht übertriebene Vorstellungen von der
48
Größe des Stadtzentrums. Das aus heutiger immerhin gut 800 m. Vorgesehen war eine
Sicht ursprünglich zu groß angelegte Stadtzen- Mischung aus Wohnen, Gewerbe und Handel
trum hat seine Berechtigung in den einstmals sowie ein abgestuftes Bebauungskonzept mit
angestrebten Einwohnerzahlen von 45.000 - vier bis fünf Vollgeschossen im Stadtzentrum
60.000 Einwoherinnen und Einwohnern und und zum Rand hin niedriger werdender Bebau-
damals anderen Vorstellungen von der Konzep- ung mit ein bis zwei Vollgeschossen in den
tion eines Stadtzentrums. 99 Hinzu kamen ein Randbereichen. Trotz einiger Erfolge wurde
Bedeutungszuwachs für die Freiraumplanung auch der Rahmenplan bislang nicht vollständig
im bebauten Bereich sowie ein zunehmendes umgesetzt und erfuhr manche Modifikationen.
Verständnis für ökologische Belange, welche Einige Baufelder liegen bis heute brach, insbe-
sich in den neunziger Jahren auch in der Ge- sondere im Bereich des Geschosswohnungs-
setzgebung niederschlugen. baus und den Mischgebieten im Stadtzentrum.
Vor allem an Hauptverkehrsstraßen gelegene
2.2.3.2 Wohnvorstellungen erschlossene und baureife Flächen für den Ge-
Am Beispiel Dietzenbach lässt sich der bundes- schosswohnungsbau werden derzeit nicht
weit zu beobachtende Wandel der Wohnvorstel- weiterentwickelt. 100 Da die Vermarktung von
lungen seit den siebziger Jahren besonders Eigentumswohnungen derzeit ohnehin schlep-
deutlich studieren, da auf Grund der städtebau- pend verläuft, bleiben die unattraktiven, von
lichen Entwicklungsmaßnahme ein sehr großer Verkehrsbelastungen betroffenen Lagen zu-
Teil verschiedenster Wohngebiete in diesem nächst ungenutzt. Auch einige Bereiche, in
Zeitraum realisiert wurde. Daher ist der Anteil denen Einfamilien-, Doppel- und Reihenhäuser
neuerer Bausubstanz in Dietzenbach im Ver- zulässig sind, sind bislang unbebaut, die Um-
gleich mit anderen westdeutschen Städten ver- setzung des städtebaulichen Rahmenplans
hältnismäßig hoch und ein auffälliges Merkmal 1979 somit bislang "unvollendet".
dieser Stadt. Sicherlich sind hierfür auch unterschiedliche
War die Vermarktung von Hochhauswohnungen Realisierungsvorstellungen von Stadt und Bau-
in den sechziger und frühen siebziger Jahren trägern maßgeblich. Während seitens der Stadt
noch unproblematisch, so setzte Mitte der sieb- ein qualitätsvoller Städtebau und damit das Zu-
ziger Jahre eine Trendwende ein: Wer es sich sammenwirken verschiedener Baukörper, Stra-
erlauben konnte, mied die Wohnungen in den ßenräume und Freiflächen von besonderer Be-
gerade fertig gestellten Hochhäusern, obwohl deutung ist, sind für Bauherren und Bauträger
diese von der Ausstattung her hochwertig wa- preiswerte und einfach zu vermarktende Bau-
ren. Als die städtebauliche Entwicklungsmaß- formen wichtig, wobei das Augenmerk vielmehr
nahme nach dem Urteil des VGH Kassel end-
lich fortgesetzt werden konnte, war das Leitbild 99
Ging man damals im Stadtzentrum vorwiegend von einer
der Hochhausbebauung überholt. Blockrandbebauung mit einer Mischung aus Wohnen und
Büronutzung in den Obergeschossen und Handel im
Neue kleinteiligere Konzepte wurden insbeson-
Erdgeschoss aus, so wird heute - wie es der Trend der
dere mit dem städtebaulichen Rahmenkonzept Zeit erfordert - an ein mallähnliches Einkaufszentren mit
von 1979 erfolgreich erprobt. Mit diesem Plan Verbraucher- und Fachmärkten gedacht, welches fast
sollte die "Lücke" zwischen Dietzenbach und ausschließlich dem Handel dient.
100
Es handelt sich hierbei um Bauflächen östlich und west-
dem Ortsteil Steinberg gefüllt werden. Es sollten
lich der Offenbacher Straße in unmittelbarer Nähe zum
Kapazitäten für das Stadtzentrum sowie für Rathaus sowie Flächen südlich der B 459. Für diese
6.000 Einwohnerinnen und Einwohner und Baugebiete sehen die jeweiligen Bebauungspläne Wohn-
2.000 Arbeitsplätze geschaffen werden. Die bzw. Mischbebauung mit drei bis vier Vollgeschossen vor,
wobei bei den Mischbauflächen im Erdgeschoss und teil-
Ost-West-Ausdehnung betrug 1.600 m, die weise im ersten Obergeschoss von einer Wohnnutzung
Nord-Süd-Ausdehnung an der schmalsten Stelle abweichende Nutzungen vorgesehen sind.
Abb. 21. Vorgehensweise Workshopverfahren
Baugebiet 70
auf den Einzelobjekten liegt. Die Nachfrage kon-
zentriert sich derzeit vor allem auf Reihenhäuser AUFGABENVERTEILUNG
mit relativ kleinen Grundstücken mit geringer
Grundstücksbreite und dafür etwas größerer
Grundstückstiefe. Zudem werden derzeit meist
relativ schlichte und kostengünstige Bauweisen
mit zwei Vollgeschossen und Satteldach bevor-
zugt, deren städtebauliches Erscheinungsbild
aufgrund teilweise erheblicher Befreiungen vom
städtebaulichen Konzept des Bebauungsplans
nicht immer optimal ist. 101 Um einen Kompro-
miss zwischen städtebaulichem Anspruch der
Stadt und Vorstellungen der Bauträger zu finden,
geht die Stadt somit nun einen neuen Weg, der
sich von der herkömmlichen Angebotsplanung
bisheriger Bebauungspläne unterscheidet. 102

2.2.3.3 Abkehr von der Angebotsplanung:


Baugebiet 70
Mit dem Baugebiet Nr. 70 hat die Stadt eine
innovative Planungsstrategie für die Aufstellung
von Bebauungsplänen gewählt, die sich von der
Angebotsplanung herkömmlicher Bebauungs-
pläne unterscheidet: In einem Workshopverfah-
ren wurden fünf Teams, die jeweils aus einem
Bauträger und einem Architekturbüro bestanden,
mit den relevanten Trägern öffentlicher Belange,
Gutachtern und Fachämtern zu mehreren Sit-
zungen an einen runden Tisch eingeladen. Die
Gesprächsrunden wurden von einem unabhän-
gigen Moderator geleitet. Das Dietzenbacher
Workshopverfahren stellt nicht - wie man ver-
muten könnte - einen städtebaulichen Wettbe-
werb dar, vielmehr ist es eine Form kooperativer
Arbeitstreffen, bei dem Bauträger und die Stadt-
gemeinsam nach einem Konsens für verschie-

101
So wurde in Teilbereichen (Thomas-Mann-Ring) anstatt
der vom Bebauungsplan vorgesehenen Randbebauungs-
weise ausnahmsweise Zeilenbebauung zugelassen, wel-
che in diesem ansonsten von Randbebauung geprägten
Bereich den städtebaulichen Gesamteindruck erheblich
beeinträchtigt. Ebenfalls von großer Bedeutung ist die heu-
tige Verdichtung der Wohngebiete gegenüber den
ursprünglichen Planungen, wodurch ein erheblich größerer
Stellplatzbedarf entsteht, der häufig auf den für Vorgärten
vorgesehenen Flächen realisiert wird.
102
Vgl. 2.2.3.3.
50
denartige Belange suchen. Ziel des Workshop- und Selbstdarstellung der Stadt. Die neuen An-
verfahrens war die Sicherung städtebaulicher sätze wurden aber nicht nur in der beschriebe-
Qualitäten bei gleichzeitiger Berücksichtigung nen neuen städtebaulichen Struktur sichtbar,
der Vermarktbarkeit der Flächen aus Sicht der sondern drückten sich auch in neuen Planungs-
Stadt und der zu erstellenden Bauobjekte aus ansätzen 1 0 5 und neuen Beteiligungsverfahren -
Sicht der Bauträger. wie der Lokalen Agenda 21 - aus. Sie finden
Ziel der Beteiligung verschiedener Teams war einen - wenn auch temporären - Höhepunkt in
ein Kompromiss aus städtebaulicher Einheit und der Ausrichtung des Hessentags in Dietzenbach
architektonischer Vielfalt. Dieses Ziel wurde im im Jahr 2001. 106 Über diese beiden Punkte
Workshop erarbeitet und gilt als Konsens zwi- wird im Folgenden berichtet.
schen Stadt und den beteiligten Teams. Konkret
bedeutete dies, dass das Baugebiet eine ein- 2.2.3.4 Der Agenda-21-Prozess in Dietzen-
heitliche - auch von den Bewohnerinnen und bach
Bewohnern wahrnehmbare - Identität erhält, Der Agendaprozess in Dietzenbach kann in zwei
den beteiligten verschiedenen Architektinnen Schriften der Beteiligten nachgelesen werden,
und Architekten jedoch trotzdem die Möglichkeit erstens in "Die Ziele der lokalen Agenda 21 in
zu Selbstverwirklichung gegeben wird. Von Dietzenbach-dez 2001" und zweitens im "Maß-
städtischer Seite wurden einige Rahmenbedin- nahmenkatalog zum Zielprogramm".
gungen vorgegeben, welche ihre Wurzeln noch Die erste Schrift wurde auf der Grundlage von
im städtebaulichen Rahmenplan 1979 haben. 103 fünf thematischen Workshops verfasst.
Die fünf Teams wurden mit der Fläche konfron- Die Themen waren:
tiert und jeweils aufgefordert, ein Bebauungs- • Sauberes Dietzenbach.
und Erschließungskonzept für die Fläche auszu- • Gemeinsames Leben in Dietzenbach.
arbeiten. Daraufhin lagen vier Entwürfe vor, da • Soziales Leben in Dietzenbach.
ein Team aus dem Workshopverfahren ausge- • Gewerbe und Arbeiten in Dietzenbach.
stiegen ist. Im nächsten Diskussionsschritt wur- • Mobil in Dietzenbach.
den die Entwürfe auf Gemeinsamkeiten und Es handelt sich um einen Idealstadtentwurf in
Unterschiede überprüft und von den Teilnehme- schriftlicher Form. Diese sprachliche Fixierung
rinnen und Teilnehmern des Workshopverfah- ist wichtig für eine Stadt, die sich dem Agenda-
rens eine Vorzugsvariante ausgewählt. Die am prozess verpflichtet hat. Leitlinien der Planung
Workshopverfahren Teilnehmenden modifizier- sollten von diesem Entwurf herausgefiltert wer-
ten gemeinsam diese Vorzugsvariante, bis diese den und Grundlage vieler Entscheidungen bil-
von allen mitgetragen werden konnte. Die mög- den. Urheber dieser Leitlinien im Rahmen des
liche Baufeldaufteilung wurde mit den verblei- Agendaprozesses war ein kleiner Kreis von en-
benden vier Teams diskutiert und das vorläufige gagierten "deutschstämmigen" Bürgerinnen und
Ergebnis in einem Plan dokumentiert. 1 0 4 Auf der Bürgern, die mit dem Medium der Sprache ihre
Grundlage der Ergebnisse des Workshopverfah- Wünsche und Vorstellungen vom Allgemeinwohl
rens werden derzeit der Bebauungsplan, die
Freianlagenplanung und die Erschließungspla- 103
Vgl. 2.2.3.1.
104
nung erarbeitet. Auf Wunsch der Stadt wurde außerdem ein kleines Bau-
feld zur freien Vergabe an einzelne Bauherren gebildet.
Die teilweise negativen Erfahrungen der Diet- 105
Hierzu zählt beispielsweise das Workshopverfahren für
zenbacherinnen und Dietzenbacher mit der Ent- das Baugebiet Nr. 70.
wicklung ihrer Stadt sowie allgemeine Strömun- 106
Der Hessentag wurde 1961 vom damaligen hessischen
gen - wie z.B. die weltweite Diskussion über Ministerpräsidenten Georg August Zinn ins Leben gerufen
und fand seitdem alljährlich in hessischen Gemeinden
eine nachhaltige Entwicklung - führten zu die- jeder Größe - vom Dorf bis zur Großstadt - statt; vgl. Kap.
sen neuen Ansätzen in der Planung, Gestaltung 2.2.3.5.
51
der Bewohnerinnen und Bewohner formulieren zesses, nachdem die Bereitschaft zur finanziel-
konnten. Das Medium Sprache war für viele len Beteiligung der Stadt Dietzenbach an den
Menschen eine Hürde, vornehmlich Bürgerin- Umsetzungen bekannt wurde. Gegenwärtig
nen und Bürger ausländischer Herkunft. 1 0 7 haben sich um die zwanzig ehemaligen Teilneh-
Womöglich lag die geringe allgemeine Teilnah- menden wieder zu einem Arbeitskreis gefunden.
me auch daran, dass der Agendaprozess zuerst
nur eine schöne Vision anbieten konnte. Wer 2.2.3.5 Der Hessentag als Event
Vision in die Realität umsetzen will, muss dage- Für 2001 erhielt die Stadt Dietzenbach den Zu-
gen viel Geduld und Engagement aufbringen. schlag zur Ausrichtung des jährlich stattfinden-
Die Finanzierung dieses ersten theoretischen den Hessentags, eines dreiwöchigen Stadtfestes.
Schrittes im Agendaprozess in Dietzenbach Der Hessentag wurde in der Dietzenbacher Ver-
übernahm das RKW in Hessen. 108 Dabei han- waltung als eine große Chance wahrgenommen,
delte es sich um eine "Prozessförderung", in der in der Stadt ein höheres Maß an Miteinander zu
die Stadt Personalmittel für Agendabeauftragte fördern und nach außen das negative Image der
aus der Verwaltung und Mittel für externe Bera- Stadt mit neuen Bildern zu relativieren.
tung und Moderation erhielt. Sachkosten für die
Umsetzungen mussten allerdings von der Stadt Strategie
oder den Bürgerinnen und Bürgern selbst getra- Um dies zu erreichen wurden drei Arbeitsfelder
gen werden. Dies führte zu einer Blockade. definiert:
Jede Partei erwartete ein finanzielles Engage-
ment des anderen, so dass es zu keiner Umset- • Erstens das Gewinnen der eigenen Verwaltung
zung kam. für die Zielsetzung durch das Sammeln von
Womöglich sah sich die Stadt dazu veranlasst, Erfahrungen auf den Veranstaltungen anderer
die Agenda nicht ernst zu nehmen, da es sich Hessentage.
um die Beteiligung von nur wenigen Bürgerin- • Zweitens die Vermittlung, was ein Hessentag
nen und Bürgern handelte, von denen ein guter ist, an die Bewohnerinnen und Bewohner
Teil in der Verwaltung arbeitete. Wahrscheinlich Dietzenbachs, z.B. durch das Angebot einer
befürchteten die Politikerinnen und Politiker Teilnahme der Dietzenbacherinnen und Diet-
zudem Konflikte und Spannungsfelder, falls die zenbacher bei Entscheidungen in der Vorbe-
Leitlinien der Agenda eine echte Grundlage der reitungsphase. Diese Teilnahme sollte auch in
Planung würden. die Umsetzungsphase ausgedehnt werden
Eine auf Abstand gehende Haltung der Politik durch kleine Veranstaltungen bzw. Wettbe-
infolge von 260 konkreten Eingaben zur Nut- werbe, bei denen die Dietzenbacherinnen
zung von Parzellen, mit dem Vorwurf, sie seien und Dietzenbacher das Gesamtbild bei der
zu individualistisch motiviert und zu stark von Eröffnung des Hessentages mitbestimmen
den Menschen ausländischer Herkunft geprägt, konnten.
stiftete Verwirrung und Entrüstung. • Drittens in der Region Informationen über
Der nicht unberechtigter Vorwurf der Verwaltung, Dietzenbach zu verbreiten, um eine positive
die teilnehmenden Bürgerinnen und Bürger wür- Erwartungshaltung von potenziellen Besuche-
den die Ideen mit eigenen Ressourcen nicht um- rInnen zu animieren.
setzen wollen, konnte die Untätigkeit der Stadt
nicht auf Dauer zum Erliegen bringen. Die RKW 107
In einem Gespräch mit Frau Bombach, Frauenbeauftragte
benachrichtigte die Stadt Dietzenbach, dass die der Stadt Dietzenbach und stellvertretende Angendabe-
auftragte, wurde von der fehlenden Teilnahme von
Mittel vom Land Hessen zurückverlangt würden, Menschen ausländischer Herkunft berichtet. Das Problem
sollte keine Umsetzung realisiert werden. Dies der Sprache wurde bestätigt.
führte zur Wiederaufnahme des Agendapro- 108
Das RKW ist ein regionaler Entwicklungsträger.
52
Schon vier Jahre vorher begann man mit dem führte zu der Entscheidung, sich mit der Hilfe
Besuch von Hessentagen in anderen Städten, eines Trachtenexperten für eine Tracht zu ent-
um Kenntnisse über die kommende organisato- scheiden, die in der Rhein-Main-Region histo-
rische Herausforderung zu erhalten. Die Zahl der risch belegt war. Bei allen Auftritten erfreute sich
mitreisenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter das Hessentagspaar großer Beliebtheit. Dabei
stieg bei jedem Hessentag stetig an. Jedes Mal war die Besetzung der Frauenrolle mit einer
warb ein Infostand für Dietzenbach. Frau nicht-deutscher Abstammung ein Novum
Die Bemühungen der Verwaltung sollte durch in der Geschichte der Hessentagspaare.
das Engagement der Dietzenbacherinnen und Innerhalb Dietzenbachs wurde mit Schulen über
Dietzenbacher ergänzt werden. Deshalb wurden deren Beteiligung diskutiert. Während des Hes-
anderthalb Jahre vor Beginn des Hessentages sentages gab es unterrichtsfrei, viele Klassen
in Dietzenbach sogenannte Ideenwerkstätten ins brachten sich im Rahmen eines eigenen Pro-
Leben gerufen. Sie waren eine Art Bürgerver- jektes auf dem Hessentag ein.
sammlung, in deren Rahmen Vorstellungen der Die regionale Strategie hatte zum Ziel, eine po-
Planerinnen und Planer anhand eines Stadt- sitive Erwartungshaltung beim Besuch des Hes-
planes kritisieren und eigene Ideen beisteuern sentages in Dietzenbach zu erwecken, Klarheit
konnten. Themen waren sowohl die Art der Ver- über Lage und Erreichbarkeit Dietzenbachs zu
anstaltungen als auch ihre Verortung. Die Bil- schaffen und vor allem die Teilnahme von Ver-
dung von Arbeitsgruppen kam mit Bürgerinnen einen und anderen Organisationen im Kreis Of-
und Bürgern zustande, die über Zeit und Inter- fenbach am Hessentag anzuregen. Ein Jahr zu-
esse verfügten. Sie waren dafür verantwortlich, vor war Dietzenbach als künftige Hessentags-
mit Ämtern für Genehmigungen, Förderer und stadt bei jedem Fest in der Region mit einem
mögliche Teilnehmer, die einen Stand unter- Stand vertreten. Ebenfalls erschien in der
halten würden, zu verhandeln. "Offenbacher Post" vierteljährlich eine Beilage
Parallel dazu wurde ein Hessentagsstand bei über Dietzenbach. Der erfolgte zahlenmäßig
jedem Stadtfest aufgestellt. Es war ein interak- starke Besuch eines regionalen Publikums wird
tiver Stand, an dem BürgerInnen von sich aus als Signal für eine Veränderung der Haltung ge-
Ideen zur Ausstattung des Hessentages mit genüber Dietzenbach verstanden.
Events einbringen konnten. Im Umgang mit ausländischer Kultur sollte der
Das Einbinden der Bevölkerung geschah auch Hessentag bewusst kein multikulturelles Fest
auf der Ebene von öffentlichen Debatten über sein, sondern zeigen, dass Dietzenbach bereits
periphere Themen. Beispiele sind die Entschei- eine internationale Stadt ist. Das bedeutete,
dung über einen Sympathieträger, über eine dass die Bemühungen darin lagen, das multi-
Erkennungsmelodie und einen Spruch. Auch kulturelle Gesicht von Dietzenbach auf eine
der Entwurf von T-Shirts und Plakaten war Ge- selbstverständliche Weise erscheinen zu lassen.
genstand öffentlicher Beteiligung. Die unvermittelte und unangekündigte Anein-
Der offizieller Slogan "Hessentag 2001 Dietzen- anderreihung von Veranstaltungszelten mit‚ "ein-
bach" wurde auf 5000 T-Shirts bedruckt, die heimischem" und "ausländischem" Inhalt und
anschließend als Preise und Geschenke verteilt Atmosphäre war Programm.
und auch an Einzelne verkauft wurden.
Eine wichtige ‚"Ikone" des Hessentages, das
Hessentagspaar, wurde aber nicht zur öffentli-
chen Debatte gestellt, sondern durch eine inter-
ne Gruppe gekürt. Das traditionelle Tragen einer
Tracht wurde beibehalten. Das historische
Fehlen einer speziellen Dietzenbacher Tracht
53
Fazit für Stadt 2030
Viele Ziele, die im Rahmen der Gesamtveran-
staltung möglich waren, wurden erreicht, insbe-
sondere eine Imageverbesserung nach außen.
Die hohen Kosten gehen aus der Beschreibung
der Vorbereitungs- und Umsetzungsphase des
Hessentages hervor. Bedingt durch ihre zeitlich
punktuelle Natur, von den finanziellen Kosten
ganz zu schweigen, kann diese Vorgehensweise
nicht zu einer langfristigen Strategie gehören.
Dennoch werden im Rahmen eines kurzzeitigen
Ausnahmezustandes Dinge möglich, die vorher
nicht denkbar sind. Gemeint sind weniger die
geschaffenen Schnittstellen, wie die interaktiven
Infostände und die Ideenwerkstätten, sondern
eher die Bereitschaft der Verwaltung, diese
Instrumente auf Grund des Ausnahmezustandes
mit einer Entschiedenheit zu nutzen. Diese wäre
aber bei einem langfristigem Einsatz fraglich.
Darüber hinaus bleibt das Problem, dass diese
Schnittstellen vorrangig über die Sprache funk-
tionieren, ein Problem für viele Migrantinnen
und Migranten in Dietzenbach. Nachhaltigkeit
benötigt aber Instrumentarien mit möglichst
wenig Schwellen sowie Projekte, die kurzfristige
Ergebnisse mit langfristigen Perspektiven ver-
knüpfen.
PROJEKTBESCHREIBUNG
3.1 ZUR VORGESCHICHTE

56
Im Jahr 1998 trat das Stadtplanungsamt Diet- der leer gebliebenen Stadtmitte einen Großteil
zenbach an die Fachgruppe Stadt der TU Darm- der Probleme der Stadt sieht, und deshalb hier
stadt mit den Anregungen für ein Entwurfspro- einen Beitrag zu einem gebauten, dichten und
jekt in der Stadt heran. Es sollten Ideen für die lebendigen Zentrum liefern will.
Bebauung der so genannten "Neuen Mitte" der Doch nur ein Projekt fand sowohl in der Aus-
Stadt erarbeitet werden. Die wissenschaftliche stellung der Arbeiten im Dietzenbacher Rathaus
Mitarbeiterin Barbara Boczek und der wissen- als auch in den Diskussionen mit der Stadt wirk-
schaftliche Mitarbeiter Martin Wilhelm bereite- liches und umsetzungsorientiertes Interesse: die
ten einen Stegreifentwurf zum Thema vor, der Dietzenbacher Schlampis.
die Leere in der Mitte der Stadt thematisierte Hier hatte eine für ihre provokanten Projekte
und nach Ideen für Nutzungen und entspre- bekannte Studentengruppe 2 zusammen mit
chende Bau- und Freiraumstrukturen fragte. Es einer Künstlerin eine neue Symbolfigur für die
entstanden um die sechzig zum großen Teil sehr Stadt entworfen, eine Art riesigen Plüschhasen,
interessante und engagierte Entwürfe von Stu- der überall in der Stadt an interessanten Punk-
dierenden, vom Wohnen über Einrichtungen für ten stehen sollte, der aber auch Eisstände be-
die sehr internationale Bevölkerung bis hin zum herbergen, oder die Rampe zu einer Fußgän-
Vorschlag von Groß-Einkaufeinrichtungen in der gerbrücke formen konnte. Diese Tierchen sollten
Mitte der Stadt, die damit der grünen Wiese nun sowohl nach innen als identitätsstiftende
Konkurrenz machen könnten. 1 Damit folgten die Symbole als auch nach außen als den Touris-
Arbeiten einem städtebaulichen Reflex, der in mus und den Ruf fördernde und unvergessliche
Zeichen für die Stadt stehen. Die "ernsthaften"
Projekte haben bestenfalls anerkennendes Lob
Abb. 22. Schlampis in Dietzenbach (osa) hervorgerufen, waren aber immer mit dem Argu-
ment der fehlenden Umsetzbarkeit konfrontiert.
Der Bürgermeister entschloss sich in dieser Situ-
ation, aus einem Sonderfonds die Rechte an
den Schlampis aufzukaufen. Deutlicher konnte
die Insignifikanz traditioneller städtebaulicher
Planungs- und Entwurfsansätze kaum zum Aus-
druck kommen. Unter anderem aus diesen Er-
fahrungen bezog das hier beschriebene For-
schungsprojekt seinen gegenüber Leitbildern kri-
tischen Ansatz.

1
Fachgruppe Stadt (Hg.); MITTE - Entwürfe für die Leere im
Zentrum Dietzenbachs, Schriftenreihe " ~ city gr, Forschung
und Entwurf in Städtebau und Architektur", Nr. 5,
Darmstadt 1998.
2
www.osa-online.de.
3.2 ANLASS ZUR TEILNAHME AM
BUNDESWETTBEWERB STADT 2030

57
Der Anlass für die Stadt Dietzenbach, sich an unvollendet" verstanden und akzeptiert wurde.
dem Wettbewerb "Stadt 2030" zu beteiligen, Als These wurde im Wettbewerbsbeitrag formu-
waren insbesondere die Erfahrungen, die im liert, dass die Anwendung neuer Handlungs-
Bereich der Stadtplanung und Stadtentwicklung muster zu einem "Städtebau 2030" führt, der
in den letzten Jahrzehnten und in der laufenden 1. davon ausgeht, dass planerisches Handeln
Planungspraxis gemacht wurden. "definitiv unvollendet" ist,
Dietzenbach lässt sich als eine schnell wach- 2. Bedarfe weckt und nicht die sog. funktiona-
sende Umlandgemeinde im Verdichtungsraum len "Bedürfnisse" der Gesellschaft deckt,
der Rhein-Main-Region beschreiben, deren Ent- 3. Strategien lokalen, sichtbaren Handelns in
wicklung durch eine Abfolge städtebaulicher einer globalisierten Welt entwickelt,
Leitbilder gekennzeichnet ist. Deren langwierige 4. die individualisierte Gesellschaft als Partnerin
oder fehlende Umsetzung bzw. ihr häufiger im Entwurfs- u. Umsetzungsprozess gewinnt.
Wechsel haben dazu geführt, dass der Stadt In aller Kürze können hier diese vier Aspekte
nach wie vor ein Stadtzentrum fehlt und sie mit der Ausgangsthese folgendermaßen beschrie-
sozialen Spannungen innerhalb der sehr hetero- ben werdien.
genen Bevölkerung zu kämpfen hat. Die Fest-
legung auf die Realisierung der Entwicklungs- Definitiv unvollendet
maßnahme bedeutet für die Stadt zudem eine Ausgegangen wurde im Wettbewerbsbeitrag da-
ständige finanzielle Belastung und einen Kon- von, dass das Entwickeln von und Festhalten
flikt mit den Zielen aktueller städtebaulicher an sogenannten Leitbildern der Hauptgrund für
Planung. Probleme in der Umsetzung von Planung ist. Es
Vor diesem Rahmen stellte sich für die Stadt wurde dargelegt, dass die Kombination von
Dietzenbach zum Zeitpunkt der Bewerbung die langfristigen Zielen mit zielorientierten Metho-
Frage nach zukunftsfähigen Strategien in der den zu deren Erreichung zu Starrheit führt und
Stadtplanung zur Gestaltung einer nachhaltigen die für die Dimension der Maßnahmen notwen-
und zukunftsfähigen Lebenswelt Stadt. dige Fehlerfreundlichkeit und Anpassungsfähig-
Aus Sicht der Stadt Dietzenbach wurden die z.T. keit verhindert. Dies gilt insbesondere für Groß-
leidvollen Erfahrungen mit Leitbildern zum Aus- projekte wie die Entwicklungsmaßnahme Diet-
gangspunkt für das Nachdenken über eine per- zenbach, von denen teilweise während ihrer
manent-prozesshafte Stadtplanung. Es stellte ganzen, oft jahrzehntelangen Ausführung be-
sich die Frage, ob es möglich ist, offene Stra- kannt ist, dass ihre Ziele obsolet sind.
tegien der Stadtentwicklung zu finden, ohne die
Fehler der leitbildbasierten und damit zielorien- Bedarfe wecken statt Bedürfnisse decken
tierten Stadtplanungsmethoden der letzten Jahr- Das geplante Projekt sollte eine Form der "posi-
zehnte zu wiederholen. Deshalb stand am Be- tiven Bedarfsweckung" für städtebauliche Qua-
ginn des Ideenwettbewerbes nicht die Absicht, litäten und Maßnahmen entwickeln, also Poten-
ein neues Leitbild zu definieren, das die räum- ziale für Nutzungsmöglichkeiten aufzeigen, die
lich-materielle Struktur der Stadt in den näch- sich im Raum entdecken lassen. Mit dieser
sten dreißig Jahren vorausnimmt, sondern das Orientierung verbunden war ein Abrücken von
Nachdenken über die Möglichkeiten dieser per- empirischer Beobachtung und dem Glauben,
manent-prozesshaften Stadtentwicklung. Ziel aus den Ergebnissen "richtige" Handlungsmuster
des Projektes war es daher, in einem dynami- für den Städtebau zu entwickeln.
schen Prozess eine Strategie für eine prozesso-
rientierte, zukunftsfähige und nachhaltige Pla- Lokales Handeln
nungspraxis zu erproben. Dazu gehört im Als lokales Handeln wird im Wettbewerbsbeitrag
Wesentlichen, dass Stadtplanung als "definitiv die Produktion von Bildern verstanden, die brei-
58
te Interpretationsräume zulassen. Eine "Bilder-
welt" sollte so gestaltet werden, dass sie Mög-
lichkeiten öffnet, die funktional unbestimmt und
damit besetzbar sind.

Entwurfsspiel
Im Wettbewerbsbeitrag wurde das Einzelinter-
esse als Voraussetzung für eine Resonanz im
Städtebau dargestellt. Es war vorgesehen, durch
spielerische Herangehensweisen die Resonanz
zu befördern. Der Egoismus der und des Einzel-
nen sollte herausgefordert werden, so dass star-
ke Reaktionen messbar, kartierbar und dann in
Plänen oder Konzepten umsetzbar werden.

Vorgehensweise
Im Wettbewerbsbeitrag war vorgesehen, einen
Dialog zwischen Verwaltung und Wissenschaft
zu führen, in dem "alte" Handlungsmuster
("Methoden") identifiziert und mit möglichen
neuen Handlungsmustern ("Strategien") konfron-
tiert werden. Diese neuen Muster sollten dann
an aktuellen Beispielen auf ihre Praxistauglich-
keit überprüft werden.
Der vorgeschlagene Ansatz war die Überwin-
dung der Methode "Leitbilder". Es war Ziel,
einen offenen Planungsprozess in Gang zu set-
zen. Der Planungsprozess wurde hier als Stra-
tegie verstanden. Mittels Provokationen sollte
eine Form der "Neuen Bürgerbeteiligung" aus-
probiert werden. Durch eine lustbetonte Form
der Planung sollte ein dauerhaftes Engagement
bei Bürgerinnen und Bürgern ausgelöst werden.
3.3 PROBLEMBESCHREIBUNG -
VON LEITBILDERN ZU DISKURSEN

59
Wie in der Bewerbung für den Ideenwettbewerb Unterschiedlichem bzw. eine Einbindung von
"Stadt 2030" ausführlich dargestellt wurde, hat Individuen in stadtgesellschaftliche Groß-
die Stadt Dietzenbach in der Vergangenheit kollektive -, die in Dietzenbach nicht gegeben
bereits auf verschiedene Weise die Ausweg- ist. Insofern wäre ein passendes Bild für
losigkeit von Versuchen erfahren, ihre soziale Dietzenbach das der "eigenschaftslosen Stadt"
und bauliche Nicht-Integriertheit doch in ein von Rem Koolhaas:
städtisches Ganzes zu verwandeln. So waren "Die eigenschaftslose Stadt markiert den end-
die Erfahrungen mit den bisherigen planungs- gültigen Tod jeder Planung. Wieso? Nicht, weil
theoretischen Ansätzen der Stadtplanung pro- sie nicht geplant wäre - in Wirklichkeit lassen
blembehaftet. Ihre langfristigen Planungsziele ungeheure, einander ergänzende Universen von
konnten nicht schnell genug an die aktuellen Bürokraten und Bauträgern unvorstellbare
und vielfältigen Veränderungen der städtischen Ströme von Energie und Finanzmitteln in ihre
Struktur angepasst werden. Im Gegenteil, sie Fertigstellung fließen; für dasselbe Geld könnte
führten oftmals zu "städtebaulichen Altlasten", man ihre Ebenen mit Diamanten düngen und
die die flexible Gestaltung der Stadtentwicklung ihre Schlammfelder mit goldenen Ziegelsteinen
behinderten. Ebenfalls ernüchternd waren die pflastern. Doch ihre gefährlichste und zugleich
Erfahrungen mit vergangenen Bemühungen der erheiterndste Entdeckung ist die, dass Planung
Stadt Dietzenbach um neue Formen bürgerna- völlig irrelevant ist. (....) Merkwürdigerweise ist
her und partizipativer Kommunalpolitik. Die vor noch niemand auf den Gedanken gekommen,
wenigen Jahren begonnene Verwaltungsreform dass die unendlichen Widersprüche dieser
nach dem neuen Steuerungsmodell, aber auch Interpretationen unter dem Strich den Reichtum
die Lokale Agenda sind jüngere Projekte, die der eigenschaftslosen Stadt beweisen; dies ist
auch nicht in der gewünschten Weise greifen. die einzige Hypothese, die im voraus eliminiert
Dietzenbach ist damit ein Prototyp für das von wurde."3
der Forschung schon länger beobachtete Schei- Es ist der Reichtum der Deutungsmöglichkeiten
tern der klassischen, leitbildorientierten Planung einer eigenschaftslosen Stadt.
und für die Schwierigkeiten der praktischen Das Projekt zielte darauf, diesen "Reichtum" be-
Umsetzung von bürgernahen Verwaltungs- und wusst, sichtbar und fruchtbar für die Stadt zu
Politikformen. Die Einbindung der Bürgerinnen machen. Dies bedeutete in erster Linie, der
und Bürger in die Planungspraxis und die Teil- Unterschiedlichkeit und Differenziertheit eine
nahme an der politischen, sozialen und mate- Chance und Raum zu geben, sie nach außen
riellen Gestaltung ihrer Wohngemeinde gelingt zu kehren und damit verstehbar und akzepta-
nur bei persönlicher Betroffenheit. Partizipation bel werden zu lassen als eine Form gesell-
lässt sich nicht verordnen oder planen, sie ent- schaftlicher Normalität.
steht aus Anlässen. Vor dem skizzierten Hintergrund der Erfah-
Diese Dietzenbacher Erfahrungen führten zu der rungen in Dietzenbach wie der kritischen pla-
in der Bewerbung formulierten großen Skepsis nungstheoretischen Literatur zum Thema Leit-
gegenüber herkömmlichen, zielorientierten Pla- bild kam für das Projekt Dietzenbach 2030 der
nungen sowie den bisherigen partizipativen Weg der Leitbildkonstruktion, bei dem eine Viel-
Ansätzen. Die Skepsis reicht bis zu den übli- zahl möglicher Entwicklungen auf einen Ent-
cherweise verwendeten Begriffen "Stadt" und wicklungspfad hin verengt wird, nicht in Frage.
"Integration". Beide Begriffe haben zwar in der Ebenso erschienen die im Prozess des Pro-
europäischen Stadt- und Planungsgeschichte gramms "Soziale Stadt" vermehrt auftretenden
eine lange Tradition. Doch sie unterstellen offen-
sichtlich eine Situation als Normalfall - nämlich 3
Kohlhaas, Rem; Die eigenschaftslose Stadt, in: ARCH +
eine Einheit, einen Zusammenhang von 132, Juni 1996, S.24.
60
Veranstaltungen wie Quartierskonferenzen, und Entwicklung sogenannter fragmentierter
Nachbarschaftscafes, Zukunftskonferenzen etc. Räume waren aus der hiesigen Perspektive als
als nicht hinreichend, da das dort immanente unzulänglich zu verstehen, da sie bestehende
Leitbild der kommunikativen, stadtbürgerlichen Siedlungsstrukturen als defizitär erkennen und
Versöhnung unterschiedlicher Gruppen in Diet- mit herkömmlichen Planungsmethoden bauli-
zenbach an mangelndem Interesse mehrfach che (und wo nötig soziale) Integration herbei-
gescheitert ist. Das Projekt verstand sich als führen wollen oder diese Integration als gege-
Auslöser für die Entfaltung vielfältiger, häufig ben voraussetzen. So reduziert der Zugang mit
unbewusster Deutungen der eigenschaftslosen dem Blick der "Zwischenstadt"4 die Planungs-
Stadt. Es wollte den "Reichtum der eigen- aufgabe im Kern auf das Problem des Auffüllens
schaftslosen Stadt" herausarbeiten, ihre Frag- undefinierter, oder nicht genutzter Räume. Auch
mente zum Sprechen bringen und in diesen der Zugang über das Konzept der "Kompakten
Prozess die Kommune Dietzenbach und insbe- Stadt"5 orientiert sich an traditionellen Planungs-
sondere die Stadtplanung involvieren. Es ging zugängen und schreibt zudem das traditionelle
um die Zukunft einer nach herkömmlichen europäische Stadtverständnis fest. Amerikani-
Vorstellungen sozial und räumlich nicht-inte- sche Ansätze wie der des "Urban Sprawl"6 trans-
grierten Stadt, indem man die Gegenwart in ferieren erstaunlicherweise Planungskonzepte
ihrer Vielfalt diskursfähig macht. Dies bedeutete der europäischen Städtetradition auf extrem
für Dietzenbach, dass es sich in einer anderen dezentrierte Gebiete wie Südwest-Kalifornien.
Art der Zukunft stellte, als im Programm "Stadt Diesen Stadtbeschreibungen gemein ist, dass
2030" vorgesehen. die Zielsetzung der "Rettung der europäischen
Das Ziel des Projekts war es, die Kommunika- Stadt"7 als Integrationsmaschine durch traditio-
tion bzw. Diskurse über die "Stadt" in der Be- nelle Instrumente der Stadtplanung zum Gegen-
völkerung und zwischen Bevölkerung und stand gemacht wird. Ignoranz gegenüber gesell-
Stadtplanungsamt in Gang zu setzen. Hier be- schaftlicher Realität findet sich in diesen Ansät-
diente sich das Projekt eines diskurstheoreti- zen in zweifacher Hinsicht.
schen Ansatzes, bei dem man davon ausging, Erstens wird ignoriert, dass die Struktur städti-
dass sich die soziale Realität über Diskurse her- scher Akteure sich verändert hat. Sie entspricht
stellt. weder der Akteursstruktur des vergangenen
Der bisherige herrschende öffentliche Diskurs Jahrhunderts in Form des klassischen Stadt-
über Dietzenbach thematisierte vor allem die bürgertums noch der der Nachkriegszeit mit
Fragmentalität der Stadt und ist von ExpertIn- starken staatsorientierten Akteuren in den Be-
nen wie Politikerinnen und Politikern sowie ein- reichen der Stadtplanung und Wohnungs-
flussreichen Bürgerinnen und Bürgern geprägt. wirtschaft. Vielmehr lässt sich eine Vielzahl
Da Diskurse realitätsmächtig sind, sollte in und strukturierender Akteurinnen und Akteure fest-
mit dem Projekt ein Anlass geschaffen werden, stellen, die sich nach so unterschiedlichen
dem herrschenden Diskurs über die Stadt weite- Merkmalen wie Schicht- und Klassenzugehörig-
re hinzuzufügen. Damit sollte die Vielfalt der keit, wirtschaftlicher Interessenlage, Ethnizität,
Deutungen, der Realität, der Reichtum der Stadt Geschlecht, räumlicher Position u.v.a.m. cha-
deutlich gemacht werden. Die Methode des rakterisieren und differenzieren lassen.
Projekts war dabei die eines Experiments, das 4
Sieverts, Thomas; Zwischenstadt, Braunschweig 1997.
dem Zertrümmern bestehender Leitbilder diente 5
Wentz, Martin; Die kompakte Stadt, Frankfurt/New York
und bislang verengte oder verschlossene 2 0 0 0.
Möglichkeitsräume der städtischen Entwicklung 6
Logan, Michael; Fighting Sprawl and City Hall, Tucson
öffnen sollte. 1 9 9 5.
Bisher verwendete Konzepte zur Beschreibung 7
Vgl. etwa Häussermann.
61
Hierdurch entstehen Phänomene, die als "Frag- praktiken und begrifflicher Instrumentarien im
mentierung" im Sinne von Desintegration von Rahmen eines solchen Projektes in gesellschaft-
Stadträumen und deren Bevölkerung wahrge- licher Echtzeit mit sich brachte. Die gesell-
nommen werden, deren Botschaft aber auch schaftliche Praxis der Dekonstruktion erwies
die des schlichten Nebeneinanders sein kann. sich als überaus schwieriges und zudem miss-
Fragmentierung in dieser Hinsicht lässt sich als verständliches Geschäft.
systematische Auf- und Abwertung von Räumen Im Rahmen stadtsoziologischer Theoriebildung,
durch herrschende Diskurse verstehen. die mit sozialkonstruktivistischen Annahmen
Zweitens ist mit dieser Bewertung verbunden, zum Begriff des Raums arbeitet 9 , lassen sich
dass der Blick auf Potenziale einer solchen vermehrt Arbeiten feststellen, die sich mit dem
Stadtstruktur verstellt wird, da er gar nicht erst gesellschaftlichen Konstrukt Raum auseinander-
zugelassen wird. Insofern ist die Suche nach setzen. Diese theoretischen Veröffentlichungen
einem anderen Stadtverständnis, einem Kon- sind das Ergebnis einer mehr als zehnjährigen
trastbild, das sich von den oben genannten Debatte, ursprünglich angestoßen durch einen
unterscheidet, notwendig. Als deutlicher Kon- Beitrag von Dieter Läpple. 10 Allerdings besteht
trast zu diesen Ansätzen ist der Beitrag von nach wie vor eine erhebliche Differenz zwischen
Rem Koolhaas8 zu sehen, dessen Plädoyer für theoretischen Ansprüchen und empirischer
die Akzeptanz des Verlusts klassischer Stadt- stadtsoziologischer Wirklichkeit. Die empirische
modelle als unvermeidbares und notwendiges Forschungspraxis ist von konstruktivistischen
Ergebnis gesellschaftlicher Entwicklung bahn- Raumzugängen weitgehend frei. Im Rahmen
brechend ist. dieses Forschungsprojektes bestand deshalb der
An diese Sicht städtischer Entwicklung wurde in Anspruch, sozialkonstruktivistische Ansätze auf
diesem Forschungsprojekt insofern angeknüpft, kommunikative Prozesse im Bereich der Stadt-
als der Begriff der Fragmentierung radikal in entwicklung anzuwenden und fruchtbar zu
Frage gestellt wurde, da er sich auf herrschende machen.
Diskurse und darin vorhandene Defizitbewer- Prinzipiell war bei dem konstruktivistischen Zu-
tungen bezieht. gang des Projekts nicht von der realen Stadt-
Damit wurde der enge Zusammenhang gesell- entwicklungsgeschichte auszugehen, sondern
schaftlicher und räumlicher Phänomene in der von den Vorstellungen der Menschen von der
Betrachtung aufgelöst. Diese zunächst analyti- Stadt und den Räumen, in denen sie leben.
sche Trennung bewirkte zweierlei. Sie wurde Dann erscheint die Topologie der Fragmentie-
damit den Flexibilitätsansprüchen, die sich am rung mindestens unscharf, wenn nicht sogar als
Phänomen der Fragmentierung manifestieren, äußerliches Konstrukt, dessen Wesen über-
gerecht. Wie sie auch den unterschiedlichen haupt erst zu entwickeln war. Die im städtebau-
Räumen Legitimität gab und damit den Blick lichen Sinne behauptete Fragmentierung der
auf den Reichtum der diskursiv abgewerteten Stadt Dietzenbach sollte deshalb im Rahmen
"fragmentierten" Städte überhaupt erst ermög- des Projektes untersucht werden. Die Hypo-
lichte. these des Projekts lautete, dass sich die be-
Entsprechend sollte der Versuch unternommen hauptete Fragmentierung in dieser Schärfe nicht
werden, die herrschenden diskursiven Raum- finden lassen wird, sie aber zumindest unter-
konstruktionen der "Fragmentierung" durch die schiedlich wahrgenommen und gedeutet wird.
Erweiterung der TeilnehmerInnen und damit der 8
Vgl. Fußnote 2, Kapitel 3.
Verbreiterung und Ergänzung von Diskursen zu 9
Löw, Martina; Raumsoziologie, Frankfurt 2001. Noller, Peter;
überprüfen und zu verändern. An dieser Stelle Globalisierung, Stadträume und Lebensstile, Opladen 1999.
sei es erlaubt, auf die Schwierigkeiten zu ver- 10
Läpple, Dieter; Essay über den Raum, in: Häussermann,
weisen, die das Ablegen gewohnter Planungs- Hartmut (Hrsg.), Stadt und Raum, Pfaffenweiler 1991.
3.4 ZIELSETZUNGEN

62
3.4.1 Das Erkennen von Poten- Auf welche Weise und mit welchen konkreten
zialen in der Stadt Ideen und Aktivitäten das geschehen konnte,
wurde dem weiteren Projektverlauf und den
Das Erkennen von lokalen Potenzialen der Stadt Reaktionen der Bürgerinnen und Bürger, der
Dietzenbach stand im Mittelpunkt des Projektes. Verwaltung und der Politik überlassen. Das Pro-
Die Stadt hat eine Planungsgeschichte, in der jektkonzept lieferte lediglich den Entwurf für
Visionen im Vordergrund standen, sich also re- diesen Prozess, nicht aber für die möglichen
lativ ortlose, utopische Ideen und Leitbilder zu konkreten Inhalte.
einer künstlichen Stadt verdichteten. Es stellt Einige interessante Beobachtungen aus den
sich in der Analyse dieser Geschichte heraus, Großsiedlungen der ehemals sozialistischen
dass dabei kaum auf die vorhandenen lokalen Nachbarländer untermauerten die Hoffnung, mit
Potenziale der Stadt geachtet wurde. Daraus for- dem Freiraum ein entscheidendes städtebauli-
mulierte sich als Projektziel heute das umset- ches Potenzial identifiziert zu haben. Dort, etwa
zungsorientierte Aufspüren lokaler Kräfte und in den Außenbezirken Prags, finden sich ähnli-
Möglichkeiten. che Großwohnanlagen wie in Dietzenbach,
Dietzenbachs bauliche und infrastrukturelle Aus- allerdings mit einem entscheidend anderen Ge-
stattung ist jung und intakt. Die Potenziale der brauch des Grüns. Die Grünstruktur stellt sich
Stadt liegen hauptsächlich in ihren Bewohnerin- hier als parzelliert und besetzt heraus, vermut-
nen und Bewohnern, in einer Innenentwicklung lich über weite Strecken ohne legale Vorgänge.
der Stadt, und, wenn nicht im Neuentwickeln Hier findet, unabhängig davon, ob als Garagen-
und Bauen, so in der Akzeptanz und intelligen- hof oder als Gartenparzellen mit teilweise fast
ten Nutzung des Vorhandenen. Dabei kristalli- luxuriösen Datschen genutzt, das eigentliche
sierte sich schnell der Freiraum als das ent- Leben der Nachbarschaften statt. 11 Die Wohn-
scheidende und ungenutzte Potenzial heraus, anlagen selbst spielen nur eine untergeordnete
sind doch die gebauten, genutzten, bewohnten Rolle als Rückzugs- und Winterräume.
und zum größten Teil in privatem Besitz befind- Obwohl die Stadt Dietzenbach nicht nur von
lichen Strukturen, wie überall, vergleichsweise Abstandsgrün, sondern darüber hinaus von
unantastbar. Mit dem Thema "Boden" und der Brachflächen geprägt ist, konnte sich eine sol-
Aktion "Stelen" als Symbole für die Inbesitznah- che Nutzung unter hiesigen Bedingungen, ins-
me des Bodens wurde der Freiraum ins Zentrum besondere natürlich des Eigentumsschutzes, nie
des Projektes gerückt und als thematisches Zen- entwickeln. Die Besetzung von ungenutztem
trum der zukünftigen Stadtentwicklung aktiviert. Grün, wie ja auch von ungenutzten Gebäuden,
ist illegal und wird entsprechend verfolgt. Das
Abb. 23. Potential Bürger vorliegende Projekt hat es sich deswegen zum
Ziel gesetzt, unter Ansprache des "gesunden
Menschenverstandes" den Umgang mit Frei-
raum als Potenzial für die Stadtentwicklung
anzuregen.

11
Studienarbeit von StudentInnen der TU Darmstadt,
Fachgruppe Stadt, 2002.
63
3.4.2 Ressourcenbewusster tungswesen steckt vergleichsweise in den Kin-
Städtebau derschuhen, das Genossenschaftswesen konnte
sich nach Abschaffung der Steuerprivilegien
Die Aktivierung einer der entscheidenden Res- Ende der achziger Jahre nicht wieder reorgani-
sourcen für die Dietzenbacher Stadtentwicklung sieren.
war ein weiteres Projektziel. Als nicht länger zu
vernachlässigende Ressource werden im Projekt
die Bürgerinnen und Bürger, ihre Ideen, ihre
Tatkraft und ihre finanziellen Mittel angespro-
chen. Die Aktivierung dieser Ressource schien
nur durch eine direkte Ansprache möglich, die
auch einen persönliche Gewinn der und des
Einzelnen verspricht. Man könnte dies das Tom-
Sawyer-Prinzip nennen: Tante Pollys Zaun strei-
chen zu dürfen, muss bloß attraktiv genug
beschrieben werden, und schon reißt man sich
um das Privileg, teilhaben zu dürfen. Also kon-
zipierte das Projekt die Möglichkeit zur Über-
nahme von Verantwortung als etwas Attraktives, Abb. 24. Dietzenbacher Brachfläche
Dynamisches und nicht als einen mühsamen
Verwaltungsakt. Vereine, die sich etwa um das Stadtbild küm-
In Städten wie Dietzenbach ist ein Wegbrechen mern, sind jenseits von Aktionen wie "Unser
der zwei Säulen städtebaulicher Entwicklung Dorf soll schöner werden" auf städtischer Ebene
der Nachkriegszeit unübersehbar. Einerseits be- eine Seltenheit. Städte verstehen es nicht als
steht keine intensive Nachfrage durch Inves- ihre Aufgabe, Anknüpfungspunkte für bürgerli-
toren an Flächen 1 2 in der Stadt und andererseits ches Engagement zu schaffen. Die "Einmi-
ist die Stadt selber durch die hohe Verschuldung schung" der Bürgerinnen und Bürger wird in
nicht mehr in der Lage, eine städtebauliche Ent- den Verwaltungen oft als unerwünschte Störung
wicklungsdynamik zu erzeugen, geschweige der gewohnten Verfahren und Abläufe wahrge-
denn Projekte in Eigenverantwortung umzuset- nommen. In Regionen wie der Rhein-Main-
zen. Region ist es immer noch üblich, in Neuan-
Für viele der heute tätigen Planerinnen und siedelungen von Bürgerinnen und Bürgern oder
Planer in deutschen Städten, besonders solchen Industrie eines der Hauptziele städtebaulicher
mit einer langen sozialdemokratischen Tradition, Entwicklung zu sehen. Dabei ist diese Neuan-
ist das unfassbar. Zu sehr ist hierzulande ver- siedlung schon lange kein Garant mehr für
breitet, dass die Stadt für ihre Bürgerinnen und steuerliche Mehreinnahmen. Die Belastungen
Bürger Sorge trägt, wie es auch vom Staat ein- durch solche Ansiedlungen sind vor allem durch
gefordert wird. Erst langsam setzt sich die Er- die härter werdende Konkurrenz unter den Städ-
kenntnis durch, dass die derzeitige Krise nichts ten mittlerweile größer als die Vorteile. Am Bei-
Vorübergehendes ist, der Wohlfahrtsstaat tief- spiel der Stadt Dietzenbach wird deutlich, dass
greifend reformiert werden muss. Leider bedeu- diese Hoffnung auf eine positive Entwicklung
tet die lange Vernachlässigung von
12
Eigenverantwortlichkeit, dass sich noch keine Die Bodenpreise sind im Rahmen der Entwicklungsmaß-
Traditionen bürgerlicher Selbstorganisation etwa nahme durch Gutachter festgelegt und dürfen nicht unter-
schritten werden. Sie sind allerdings angesichts der Markt-
nach angloamerikanischem oder schweizeri- lage nicht zu erzielen, so dass viele der Flächen derzeit
schem Muster ausbilden konnten. Das Stif- nicht zu veräußern sind.
64
durch von außen kommende Einflüsse auch zu 3.4.3 Veränderter Blick auf die
insgesamt negativen Entwicklungen führen Stadt
kann.
Englische Investoren errichteten die Großwohn- John Habraken beschreibt in seinen Buch
anlage am Starkenburgring, Rewe siedelte ein "Building the Ordinary"13 sein Erstaunen darü-
Auslieferungslager an, das täglich hunderte ber, dass offenkundig für Amsterdam nie ein
Sattelschlepper durch die Stadt schickt, die Plan bestand, dass vielmehr die Anordnung der
Landesregierung beschloss Deutschlands größte Gebäude und der Verkehrswege, die Gestaltung
Entwicklungsmaßnahme, die mit ihrer Unmaß- von Privatem wie Öffentlichem, sowie die Er-
stäblichkeit auf allen Ebenen die Stadt bis heute möglichung von Handel und Gewerbe in einer
belastet. Form von allgemeinem Stadtverständnis unter
Das Projekt "Dietzenbach 2030 - definitiv den Bewohnerinnen und Bewohnern zum All-
unvollendet" versuchte angesichts des Ausblei- tagswissen gehörte. Er beschreibt fasziniert den
bens oder der Problematik der von außen kom- Oklahoma Gold Rush, die Freigabe eines ganzen
menden Entwicklungen, die Innenentwicklung Staates zur Besiedelung, und die dort entste-
der Stadt zu aktivieren. henden geordneten, aber nie geplanten Stadt-
Die Ideen und Anliegen der Bürgerinnen und strukturen. Er drückt damit stellvertretend eine
Bürger sollten im Projekt Schwerpunkt der Dis- nahezu romantische Faszination unter Städte-
kussionen werden. Es interessierte nicht das bauerInnen für ungeplante Ordnungen aus. 14
Außenbild der Stadt, sondern das Innenbild. Im Tatsächlich sind die bidonvilles, clandestines
Gegenzug erwartete das Projekt Engagement, und squatter settlements, die ungeplanten
Ideen und Äußerungen der Bürgerinnen und Stadterweiterungen, heute in vielen Ländern der
Bürger, besonders derer, die sich bei den "gro- Welt zu entdecken. Sie sind erfolgreiche Stadt-
ßen" Vorhaben nicht zu äußern pflegen. Die erweiterungen in dem Sinn, dass sie sich lang-
Bürgerinnen und Bürger sollten durch direkte fristig zu funktionierenden, sich langsam stabili-
Ansprache für die Interessen der Stadt gewon- sierenden Gemeinschaften entwickeln. Die oft
nen werden. miserablen hygienischen, baulichen und infra-
strukturellen Bedingungen der Gründungsphase
sollten bei dieser Betrachtung allerdings nicht
unbedacht bleiben. Es erscheint für die Betrach-
tung einer so schnell geplanten und gewachse-
nen Stadt wie Dietzenbach notwendig, nach
dem für ein spontanes, ungeplantes Wachstum
zugrunde liegenden Wissen zu fragen, anstatt
nach neuen, stets künstlichen Leitbildern zu
suchen.
Es stellte sich die Frage nach einem grundle-
gendem Stadtverständnis, das auch in Dietzen-
bach vorhanden, wenn derzeit auch nicht sicht-
bar ist. Wie könnte dieses zum Ausdruck kom-
men?
13
Vgl. Habraken, N.J.; The Structure of the Ordinary, The
MIT Press, Cambridge, Massachusetts 1998.
14
Vgl. auch Schaur, Edda; Ungeplante Siedlungen,
Mitteilungen des Instituts für leichte Flächentragwerke,
Nr.39, Universität Stuttgart, Stuttgart 1991.
65
Oder sind, wie es in einem Projektworkshop Formen des Umgangs mit diesen Strukturen
einmal provokativ formuliert wurde, die Dietzen- möglich sind, die diesen nicht per Planung ein-
bacherinnen und Dietzenbacher heute nur noch zubeschreiben sind. Die Akzeptanz des Beste-
daran interessiert, staufrei nach Offenbach zu henden erlaubt durchaus die Formulierung von
gelangen? Und selbst wenn ein Stadtverständnis Neuem. In Dietzenbach melden sich immer
vorhanden wäre, wozu wäre es gut und wie wieder ernst zu nehmende Stimmen, die den
ließe es sich in Stadtentwicklung umsetzen? Abriss der problematischen Baustrukturen for-
dern. Dem vorliegenden Projekt erschien ein
solches Vorgehen zu radikal in seiner Verein-
fachung der Dietzenbacher Situation. Vielmehr
wurde die These aufgestellt, dass sich relativ
unbeeinflusst von den gebauten Strukturen
nachhaltig und effizient neue Ideen von Stadt-
entwicklungen formulieren lassen.

Abb. 25. Dietzenbacher Brachfläche

Das Projekt wollte Prozesse hervorrufen, durch


die sich Stadtverständnis artikulieren könnte,
durch die z.B. der Wunsch nach und Vorschlä-
ge für bestimmte Ordnungen formuliert werden
können, bei denen sich praktische, über die ste-
reotypen Wünsche bei theoretischen Befragun-
gen hinausgehende Nutzungsprioritäten artiku-
lieren können, bei denen Zeithorizonte,
Wunschbilder und Umsetzungswege konkret
würden. Dabei ist Dietzenbach aber eben nicht
das freie Feld, die wilde Siedlung, sondern eine
Stadt mit dominant und prägend erscheinenden
Baustrukturen.
Lars Lerups1 5 anti-behaviouristischer Ansatz hilft
aus diesem Dilemma, wonach im Gegensatz zu
der weit verbreiteten Meinung weder die beste-
henden Strukturen erzieherisch auf die Men-
schen wirken, noch in idealer Weise die zur
jeweiligen Zeit herrschenden Umstände und
gesellschaftlichen Zustände reflektieren. Nur
unter dieser Voraussetzung kann angenommen
werden, dass sich in geplanten Strukturen einer- 15
Lerup, Lars; Das Unfertige bauen, Architektur und mensch-
seits Organisations- und Siedlungsverständ- liches Handeln, Braunschweig; Wiesbaden: Vieweg 1986.
nisse entfalten können, andererseits auch
66
3.4.4 Handlungsorientierte 3.4.5 Individuum als Adressat
Partizipation
Die auf Grund der rechtlichen Bindungen an die
Bei dem für Dietzenbach im Rahmen des For- Entwicklungsmaßnahme und insbesondere der
schungsprojektes Stadt 2030 entwickelten Kon- finanziellen Haushaltslage nahezu handlungs-
zept handelte es sich weniger um einen Parti- unfähig gewordene Kommune setzte in diesem
zipationsansatz im Sinne einer Beteiligung an Projekt auf ihre handlungswilligen BürgerInnen.
einem vorgegebenen Programm oder Prozess. Adressaten waren Bürger und Bürgerinnen, un-
Vielmehr indizierte es darüber hinaus einen abhängig von ihrer finanziellen Lage und sozia-
Aufruf zur Eigeninitiative. In Bezug zum gewähl- len Schicht und unabhängig von der Dauer
ten städtebaulichen Thema, der Brachflächen- ihrer Zugehörigkeit zur Stadt und der Einbin-
nutzung, handelte es sich um eine "Teil-Nahme" dung in deren gesellschaftliche Strukturen.
an der Stadtentwicklung im wörtlichen Sinne: Wesentliche Voraussetzung für die Teilnahme
sich einen Teil zu nehmen und diesen eigenver- war die Bereitschaft zu Interessenartikulation
antwortlich zu nutzen. und Engagement, also der Einsatz von Zeit.
Somit wurden aus kommunaler Kraft nicht Um Engagement in einer individualisierten
(mehr) zu bewältigende Bereiche der Stadtpla- Gesellschaft hervorzurufen, wird eine Option für
nung als Gestaltungsfelder für kommunale den Bürger und die Bürgerin als Individuum,
Akteure geöffnet. Kreativität und Engagement mit den jeweiligen individuellen Bedarfen und
der Bürgerinnen und Bürger wurden als vorhan- Wünschen, eröffnet. Der Bürger/die Bürgerin
denes städtisches Potential gesehen, dass es für wird als Individuum angesprochen.
die Stadtentwicklung zu nutzen galt.

Abb. 26. junge Bevölkerung als Potenzial


67
3.4.6 Neue Kommunikationsform
Um eine Teilnahme zu ermöglichen war es un-
abdingbar, dass die Botschaft die Bürgerinnen
und Bürger überhaupt erst einmal erreichte.
Normale Beteiligungsangebote im Rahmen der
Bauleitplanung oder Diskussionsveranstaltungen
- wie in Kapitel 2 erläutert - stoßen kaum noch
auf Resonanz. Auch über die Presse publizierte
Informationen erreichen nur noch einen Bruch-
teil der AdressatInnen (unter 34.000 Einwoh-
nerInnen Dietzenbachs gibt es nur 2.000
AbonnentInnen von Tageszeitungen) und dabei
nur spezifische Schichten der Bevölkerung. 16
Verständigungsschwierigkeiten verstärken sich
durch Sprachbarrieren seitens der erheblichen
Zahl der Bürgerinnen und Bürger mit Migra-
tionshintergrund.
Um also allen eine Teilnahme zu ermöglichen,
wurde eine Kommunikationsform erprobt, in der
Sprachbarrieren und Schwellenängste vor Be-
hörden möglichst reduziert sind. Die Ansprache
der Bevölkerung erfolgte über eine bauliche
Installation im Stadtraum.
Als "ästhetische Setzung" war sie für jede und
jeden sinnlich wahrnehmbar. Die Setzung war
über einen bestimmten Zeitraum (hier für die
Dauer des Forschungsprojektes) kontinuierlich
präsent und verwies somit intensiver als dies
Veranstaltungen oder Veröffentlichungen vermö-
gen auf das Angebot zur Projektteilnahme.
Hierbei wurde die leere Mitte als Potenzial gele-
sen, die ausreichend Raum für die Installation
bot und im übertragenen Sinne Raum für eine
derartige temporäre Bespielung ließ. Durch die
Nähe zum Verbrauchermarkt war sichergestellt,
dass der Standort hinreichend von den unter-
schiedlichsten Bewohnern frequentiert wird.

16
vgl.: Kap. 4.1.1
PROJEKTREALISIERUNG
4.1 METHODIK, STRATEGIE UND
GENESE

71
Das Projekt "Dietzenbach 2030 - definitiv un- Stelle verstandene Botschaft ließ sich auf die
vollendet" bestand aus zwei Projektteilen, die Brachflächen in der gesamten Stadt übertragen.
eng miteinander verknüpft waren. Auf der einen Nach der Transformation stellte die individuelle
Seite stand das Thema - der Boden in Dietzen- Besetzung einer Parzelle mit vier Stelen quasi
bach mit der Option zur Besetzung durch die die Einfriedung der Brache dar und kann auch
Bürgerinnen und Bürger - und auf der anderen als Symbol temporärer Verwurzelung eines Diet-
Seite die Vermittlungsaktion - die ästhetische zenbacher Bewohners oder einer Bewohnerin
Setzung der Stelenreihe in der Stadtmitte mit gelesen werden.
der Option zur Transformation. Beide zusammen
boten den Bürgerinnen und Bürgern an, für ihre
Stadt Verantwortung zu übernehmen, und for-
derten von ExpertInnen, Verwaltung und Politik
für diese Übernahme von Verantwortung An-
knüpfungspunkte zu erstellen.

4.1.1 Ästhetische Setzung


4.1.1.1 Das Medium: Ästhetik und Symbol
Das Medium der Kommunikation war eine
"ästhetische Setzung" im Stadtraum. Beim Pro-
jekt Dietzenbach 2030 handelte es sich um
eine Stelenreihe, die sich zwischen den unter-
schiedlichen Verkehrsbändern in der Stadtmitte
aufspannte. In der Achse der Einflugschneise
zum Rhein-Main-Flughafen symbolisierte sie
das Ankommen, das (noch) Nicht-verwurzelt-
Sein der Dietzenbacher Bürgerinnen und Bür-
ger, die zum großen Teil "Hinzugezogene" sind. 1
Damit wurde das zu verhandelnde städtebauli-
che Thema, der temporäre Umgang mit unge-
nutzten Flächen, sowohl durch den Standort
Brachfläche als auch durch die Objektteile
selbst versinnbildlicht: Die 2.500 Holzstelen Abb. 30. Montage Stelenreihe
standen für die Option eines jeden Bürgers und Abb. 31. Montage Claimabsteckung
einer jeden Bürgerin, sich mittels einer Stele
einen Claim auf einer 100 qm großen Parzelle gegenüberliegende Seite: Konzept
auf den ausgewiesenen Brachflächen abzuste- Abb. 27. Montage der Stelenreihen zwischen
cken. den Verkehrsachsen: Kreisstrasse, S-Bahn-
Die Präsenz der Stelenreihe im öffentlichen trasse, Einflugschneise
Raum war Zeichen für eine konkrete Hand- Abb. 28. Montage: Stelenreihe durch den Ort
lungsoption in der Gegenwart und nicht für ein Abb. 29. Montage: Stelenreihe als Setzung auf
künftiges Planungsziel, das mit einem Leitbild den Brachen in der Neuen Mitte
in der Regel intendiert wird.
Als erstes Anzeichen einer Besetzung der Fläche 1
Lt. der durchgeführten Befragung sind nur etwa 10 % der
löste die Stelenreihe Nachfragen über die Be- Bewohnerinnen und Bewohner Dietzenbachs in Dietzen-
bauung dieses Grundstückes aus. Die an dieser bach geboren. Vgl. Kap. 4.1.2.2.
72
4.1.1.2 Der Einfluss der Kunst nehmung der Störung sowie der nachfolgenden
Mehrfach wurde die Frage aufgeworfen, ob es Verteilung über die gesamte Stadt gegeben.
sich bei der Setzung um Kunst handle oder um Daneben wurde der Aufruf durch Informationen
eine Installation, um eine Provokation oder um im "Bürgerbüro" für alle verdeutlicht. Jedem und
einen Überraschungscoup. jeder Einzelnen wurde die Chance zur Teilnahme
an der Kunstaktion gegeben sowie die Möglich-
7.000 Eichen von Beuys keit, auf die Gestaltung ihrer Stadt nachhaltig
Inspiriert wurde das Projekt von Josef Beuys' einzuwirken.
documenta-Werk der 7.000 Eichen: Ein "Stein- Die Bürgerinnen und Bürger in diese Rolle ein-
haufen" aus 7.000 Basaltblöcken wurde vor treten zu lassen war auch das stadtplanerische
das Museum Friedericianum gesetzt. 2 Dieser be- Ziel in Dietzenbach. Ihre Einwirkung wurde
legte und veränderte den Platz sichtbar, der nur aber nicht als einmalige Aktion, sondern als
durch privates Engagement zurückgewonnen kontinuierlicher Einsatz in der Stadt gedacht.
und "in Ordnung gebracht" werden konnte. Das Analog zu den Basaltblöcken wurde vom Pro-
Konzept sah das aktive Auftreten der Bürgerin- jektteam - also von außen - eine kleinteilige
nen und Bürger vor, die die Entfernung jeweils Installation in den öffentlichen Raum der Mitte
eines Basaltblockes veranlassen konnten, indem Dietzenbachs gesetzt. Diese sollte sich - ver-
sie den öffentlichen Raum mit einer Baumpflan- gleichbar mit den Beuys'schen Eichen - durch
zung bereicherten. individuelles Handanlegen über den gesamten
Die große Anzahl der Elemente - 7.000 Basalt- Stadtraum verteilen und dadurch positiv auf das
blöcke und 7.000 Eichen - spielte eine nicht Verhältnis zur eigenen Stadt einwirken. Durch
unerhebliche Rolle, denn nur so war die Wahr- die bewusste Übertragung eines künstlerischen
Konzeptes auf die Stadtentwicklung wurde die
Stadtverwaltung konsequenterweise als Mit-
spielerin in das Projekt integriert.
Abb. 32. Beuysprojekt zur dokumenta 1982
Basaltblöcke vor dem Friedericianum in Kassel Weitere provokative Kunstaktionen
Der Künstler Olaf Metzel bringt Menschen, die
Ausstellungen in der Regel nicht besuchen, zu
von ihm zuvor veränderten Orten. So bestückte
er für die vierte Biennale 1995 in Istanbul einen
Kiosk mit Devotionalien eines türkischen Fuß-
ballvereins und führte dadurch Fußballer und
ihre Fachpresse ins Museum.
Wie Reaktionen auf Projekte eine Eigendynamik
entwickeln können, zeigt auf besondere Weise
eine Arbeit des Berliner Künstlerduos p.t.t.red.
Zu ihrem Langenhagener Projekt von 1997, bei
dem auf dem Marktplatz ein Podium aufgebaut
wurde und Plakate den Auftritt von Ulrike Mein-
hof verkündeten, strömten die Massen und ge-
rieten in heftige Diskussionen.
Die KünstlerInnen provozieren mit ihren Aktio-
nen, intendieren jedoch nicht explizit eine Ver-

2
dokumenta-Arbeit, Hrsg. Veit Loers, Pia Witzmann, 1993.
73
4.1.1.3 Der Grad des Reizes
Durch die Transformation der Installation sollten
sich einerseits individuelle Handlungsräume für
Bürgerinnen und Bürger erschließen und sollte
sich andererseits das Stadtbild verändern. Es
stellt sich die Frage, ob zur Erreichung der not-
wendigen Aufmerksamkeit in der Bürgerschaft
heute noch eine möglichst provokative Installa-
tion - ähnlich dem Beuysprojekt - maßgeblich
ist.
In der heutigen Zeit der Reizüberflutung und
des anything goes vermag man mit Provokatio-
nen bestenfalls eine kurzzeitige Verwunderung
auslösen. Zumal sich in einer fragmentierten
Stadt ohne Mitte und Identifikationsangebote so
schnell keine persönliche Betroffenheit wegen
eines "Haufens" o. ä. erzeugen lässt - dazu sind
diese in Dietzenbach zu alltäglich. Ziel war es
also vielmehr, den Bürgerinnen und Bürgern die
Ernsthaftigkeit des Angebotes und der Aufnahme
ihrer Interessen zu vermitteln.
Um die Aufmerksamkeit zu erhöhen, sollte an-
stelle einer Provokation ein Überraschungscoup,
die Installation in einer Nacht-und-Nebel-Aktion,
erfolgen. Letztlich war diese Umsetzung auf
Grund der Menge der aufzustellenden Stelen
Abb. 33. Beuysprojekt: Versetzen eines technisch nicht zu bewältigen.
Basaltsteins und Pflanzen einer Eiche Im Nachhinein lässt sich feststellen, dass das
mit der Überraschungsabsicht praktizierte Still-
änderung, die sie nach eigenen Aussagen nicht schweigen über die Aktion dem Projekt nicht
vorhersehen können und wollen. Die Ergebnisse förderlich war. Denn dies schränkte die Kom-
haben keinerlei Einfluss auf die Gültigkeit und munikation vorab ein, die gerade auf der politi-
Originalität der Idee. schen Ebene notwendig gewesen wäre, um
Anders die Stelenreihe als Setzung im öffentli- weitere Förderer sowie MultiplikatorInnen zu ge-
chem Raum im Rahmen des Projektes Stadt winnen.
2030: Eine ausbleibende Reaktion der Bürger- So beschränkte sich die Kommunikation auf die
Innen würde die Stelenreihe als Instrument der PartnerInnen im Stadtplanungsamt und auf den
Stadtplanung disqualifizieren. Hier waren also Bürgermeister, dem die Schlüsselrolle in der
die Ergebnisse ausschlaggebend für die Bewer- Unterstützung zugedacht wurde. Auf das Ange-
tung der Idee. bot, das Projekt zu dem Seinigen zu machen
und sich mit dem Erfolg in der Stadt zu profilie-
ren, ging er nicht ein.
74
4.1.1.4 Die Partizipation am Aufbau
Um das Projekt in einem ersten Schritt in die
Bevölkerung zu tragen, wurden im Sinne einer
klassischen Beteiligungsstrategie zahlreiche
Mitmach-Aktionen organisiert. Von Beginn an
boten die Stelen die Möglichkeit des Handelns:
Schulkinder und Jugendliche waren eingeladen,
Hand anzulegen und die Stelen zu bemalen.
Von Anfang August bis Mitte September 2002
beteiligten sich Gruppen aus den Ferienspielen
und der Lernwerkstatt, später kamen Schul-
klassen aus verschiedenen Schulen hinzu.
Die Vor- und Nachbereitung der Aktionen sowie
die Begleitung der Durchführung erforderten
einen erheblichen Aufwand, der die eigentliche
sowie die beauftragte Planungsleistung bei wei-
tem überstieg. Auch der Kommunikationsauf-
wand, um die Werkstatt- und Schulleiter für die
Mitwirkung zu gewinnen, war beträchtlich. Die
Beteiligung der Kinder und Jugendlichen sollte
das Projekt sowohl in ihrem Umfeld (Eltern,
FreundInnen) bekannt machen als auch die
Partizipationsprojekten innewohnende Strategie
von Akzeptanz und Identifikation bewirken.

Abb. 34. Faltblatt zur Beteiligung der Schulen


an den Aktionen der Stelenbemalung
75
76
4.1.1.5 Die Ritualisierung der Transformation konzentrierten Reihe punktuell über die gesam-
Sobald die Aufstellung der ersten 500 Stelen te Stadt. Brachliegende Freiflächen wurden
die weitere Reihung erahnen ließ, diente ein einer temporären Nutzung zugeführt. Permanent
"Richtfest" dazu, das Projekt durch den Bürger- ist nur der Prozess des Nutzungswandels, den
meister und das Projektteam der Presse und der es zu kultivieren gilt.

4.1.1.6 Die Zeichen des Handelns


Die ästhetische Setzung löste in Verbindung mit
dem Bauwagenbüro ca. 1.000 Anfragen aus,
die mit annähernd 300 Eingaben zur konkreten
Nutzung von Parzellen verbunden waren. Als be-
greifbares Angebot hielt die Stelenreihe Schwel-
lenängste und Verständigungsschwierigkeiten
gering und förderte so die Vermittlung der Inhal-
te gerade auch für viele ausländische Bürgerin-
nen und Bürger.
Die Stelen bleiben nach Abschluss des Projekts
versetzt als sichtbares Zeichen in der Stadt:
Einerseits als Zeichen der Teilnahme Einzelner
und ihrer individuellen Übernahme von Verant-
wortung für ein Stück Stadt. Gleichzeitig auch
als Zeichen des realisierten Gesamtprojektes,
das hier von außen initiiert wurde und andern-
orts in anderer Form und mit anderem Thema
von einer Kommune initiiert werden kann.
Abb. 35. Eine Stele als Angebot für jede/n ein-
zelne/n BürgerIn zur Projektteilnahme

Öffentlichkeit vorzustellen. Von da an konnten


Wünsche für die Parzellennutzung im Projekt-
büro, das in der Mitte der Stelenreihe in einem
Bauwagen eröffnet wurde, eingereicht werden.
Die Fertigstellung der Stelenreihe bot Gelegen-
heit, mittels einer Vernissage Presse und Bevöl-
kerung über den Stand und den weiteren Pro-
jektverlauf zu informieren sowie erste Nutzungs-
wünsche als Inspiration zur Teilnahme weiterer
Bürgerinnen und Bürger zu vermelden.
Mit der Versetzung der Stelen von der Reihe auf
die Parzelle wurde - wiederum als Event mit
Politik, Presse und Fernsehen - die Inbesitz-
nahme ritualisiert und der Claim anschließend
visualisiert. So fanden im Laufe des Projektes
Transformationen auf zwei Ebenen statt: Die
Stelen verteilten sich von der in der Stadtmitte
Abb. 36. und Abb. 37.
Transformation der Stelen
aus der Reihe in der
Stadtmitte auf das
gesamte Stadtgebiet
78
4.1.2 Die Kampagne "100 qm" Diese Herangehensweise erforderte von Exper-
tinnen und Experten, Planerinnen und Planern
Das Thema des Bodens wurde in der Kampa- wie von Politikerinnen und Politikern eine par-
gne "100 qm" umsetzungsorientiert aufgegriffen. tielle Abkehr von der Haltung, die diese Gruppen
Die Kampagne "100 qm" rief zur temporären bisher oft als "Katalysator schöpferischer Synthe-
Besetzung Dietzenbacher Brachflächen auf und se, Verfechter des allgemeinen Wohls und Ver-
damit zur Übernahme von Verantwortung für treter benachteiligter Gruppen" verstanden hat. 3
die Flächen. Verstärkt und im Stadtraum sicht- Stattdessen wurde eine Aushandlungskultur
bar wurde das Thema durch die Aktion in Form nötig, die, statt Gemeinwohldefinition anzustre-
der Stelenreihe. Die Stelenreihe spiegelte diese ben, der Konsensfindung dienen sollte.
neu geschaffene Handlungsoption, indem die
Stelen aus der Reihe entnommen und zum Ab-
stecken der zu besetzenden 100 qm Dietzen-
bacher Boden genutzt werden konnten.
Mit dem Thema des Bodens wurde ein Aspekt
der Stadt und ihrer Geschichte aufgegriffen, an
dem sich vielfältige Probleme der Vergangen-
heit, aber auch Chancen der Zukunft erkennen
lassen. Der Boden als für Verkehrsflächen ver-
brauchtes Gut, als Gegenstand von Gerichts-
verfahren, als Brachfläche und Zeichen für sto-
ckende Entwicklung, aber auch als Chance für
die Bürgerinnen und Bürger, ihren Raum abzu-
stecken, sich niederzulassen und heimisch zu
fühlen. Die Stelenreihe durch die Stadtmitte ver-
deutlichte diese Chancen: Mit den Stelen ließen
sich Claims abstecken, die große Zahl der Ste-
len symbolisierte dabei die unglaubliche Anzahl
absteckbarer Claims und damit Handlungsop-
tionen der Bürgerinnen und Bürger in der Stadt.
Die Kampagne "100 qm" und die Stelenreihe
bezogen sich aufeinander, verstärkten sich und
erhielten so städtebauliche Relevanz.
Die Flächenbesetzungen der Bürgerinnen und
Bürger, ihre Projekte auf 100 qm Boden, wur-
den Gegenstand von Diskussionen über die Abb. 38. Paradies auf 100 qm
Stadt. Die Einzelprojekte wurden zwischen
unterschiedlichen AkteurInnen der Stadt verhan-
delt, um eine Realisierung der Projekte durch
die Bürgerinnen und Bürger zu ermöglichen
und einen Interessenausgleich zwischen den
AkteurInnen zu erlangen. Die Diskussionsgrund-
3
lage war nicht mehr die Projektion einer zukünf- Spiegel, Erika; Konzepte und Modelle zur Gestaltung des
tigen und als ideal gedachten Umwelt in die Planungsprozesses, Manuskript, Hamburg im Juni 1992,
zitiert nach Düwel, Jörn und Gutschow, Niels; Städtebau in
Gegenwart, sondern das Handeln Einzelner und Deutschland im 20. Jahrhundert, Verlag B.G. Teubner,
damit die Vielzahl der Einzelprojekte. Stuttgart 2001, S.170.
79
4.1.2.1 Strategie auch bei Grundstücken in Privateigentum relativ
Die entwickelte Strategie lässt sich in fünf schnell und unbürokratisch gelöst.
Arbeitsphasen gliedern: Sehr viel kontroverser wurde die Art der tempo-
rären Nutzung diskutiert. Die Angst vor Kontroll-
Beschreibung des Themas oder "Nervs" der verlust seitens der Verwaltung und vor allem der
Stadt Politik beschnitt hier die Nutzungsvielfalt schon
In einem ersten Schritt wurde das zentrale The- im Vorfeld erheblich. Bei den durchgeführten
ma der Stadt gesucht. Dazu wurden Einzelbeob- Projekten sollte sich diese Vorsicht als unbe-
achtungen mit Hilfe von Methoden wie Back- gründet herausstellen. Es kam bisher weder zur
casting und Scapes identifiziert und extrapoliert. Zerstörung von Projekten noch zu Problemen
In der anschließenden Diskussion der gewonne- bei der Wiederherstellung der Flächen.
nen Ergebnisse wurde das zentrale Thema defi-
niert. Als Thema wurde der Boden in Dietzen- Entwurf eines Prozesses zur Umsetzung
bach aufgegriffen. Für die in dieser Form neue Zusammenarbeit
Innerhalb des Entwicklungsbereiches ist er als von Politik, Verwaltung, Bürgerinnen und Bür-
Brache und Leere präsent. 4 In Vorbereitung auf gern wurde ein Vorgehen konzipiert, das die
die Kampagne "100 qm" befasste sich das Pro- Verwaltungsabläufe beschleunigen und trans-
jektteam intensiv mit den Eigentumsverhältnis- parent gestalten sollte. Die Abstimmung zwi-
sen, mit dem Stand der Entwicklungsmaßnah- schen Verwaltung und Politik wurde zeitlich
me, mit den politischen Einflussnahmen auf die engmaschig angelegt. Das frühzeitige Aufgreifen
Entwicklung und der städtebaulichen Relevanz von Bürgerideen stand im Mittelpunkt dieses
einzelner Flächen innerhalb des Projektes. In Vorgehens.
Gesprächen mit AkteurInnen in der Stadt wie
Verwaltung, EigentümerInnen sowie Vereinen Das Thema in die Stadtöffentlichkeit bringen
wurden dreißig Flächen identifiziert, die inner- Das Thema Boden wurde in enger Abstimmung
halb des Projektes diskutiert werden sollten. mit der Stelenreihe in Form von 10.000 Flug-
Diese Auswahl verstand sich als vorläufig. blättern sowie 400 Plakaten mit dem Aufruf zur
Auffallend war allerdings, dass weder Flächen Besetzung und mit Informationen über Ablauf
hinzugefügt wurden noch alle genannten und AnsprechpartnerInnen in die Öffentlichkeit
Flächen innerhalb des Projektes in die öffent- getragen.
liche Diskussion gerieten. Verstärkt wurde die Kampagne durch die ästhe-
tische Setzung, die das Thema des Bodens auf-
Transformation des Themas in eine umset- greift und stadträumlich sichtbar werden lässt.
zungsorientierte Kampagne Sie zeigte durch die Stelen auch die Handlungs-
Das Thema wurde durch den Aufruf zur Beset- optionen für jede einzelne Bürgerin und jeden
zung des Bodens von einer reflektierenden Be- einzelnen Bürger auf, mit vier Stelen aus der
trachtung der Situation in eine konkrete Hand- Stelenreihe ihre/seine 100 qm Boden abstecken
lungsoption transformiert. In intensiven Diskus- zu können.
sionen wurden Gefahren und Chancen eines
solchen Aufrufs vom Projektteam gegeneinander
abgewogen. Die rechtlichen Konsequenzen wur-
den mit Hilfe von ExpertInnen in der Verwaltung
bedacht und ein Vertragsmuster für eine tempo-
räre Bodennutzung entworfen.
Versicherungsrechtliche Fragen wurden sowohl
bei Grundstücken in städtischem Eigentum als 4
Vgl. Kapitel 2: Baustruktur, Fragmentierung.
80
Begleitung der Umsetzung und Anstoßen von 4.1.2.2 Thema finden - Nerv treffen
langfristigen Prozessen Das Thema des Bodens wurde nach einer Rei-
Die Beratung der Bürgerinnen und Bürger bei he von Vorarbeiten, die an der TU Darmstadt
der Umsetzung ihrer Ideen stellte sich als sinn- erfolgten, festgelegt. Eine Annäherung an die
voll heraus, da der Vorgang selbst nicht einge- Dietzenbacher Situation und für die Stadt städ-
übt war. tebaulich relevante Themen wurde in Zusam-
Parallel zur Besetzung einzelner Flächen wur- menarbeit mit Studierenden erbracht.
den die für das Projekt notwendigen Verfahren Im Winter 2001 wurde an der Fachgruppe
in Politik und Verwaltung der jeweiligen Aufgabe Stadt eine städtebauliche Übung herausgege-
angepasst. Die Presse wurde möglichst weitge- ben, die es zur Aufgabe hatte, kleine Entwick-
hend über den jeweiligen Stand des Projektes lungen in Dietzenbach aufzuspüren und diese
informiert. Einzelentwicklung in einer Projektion auf das
Das Entstehen langfristiger Strukturen, z.B. in Jahr 2030 fortzuschreiben. Die Ergebnisse die-
Form von neu zu gründenden Vereinen, oder ser Fortschreibung sollten dann zurückgebro-
Engagement im Rahmen bestehender Struk- chen werden auf Erkenntnisse oder Empfeh-
turen wie dem Ausländerbeirat wurde geför- lungen für die Gegenwart.
dert. 5
Das Projekt wurde durch einen Bauwagen
ergänzt, in dem von ProjektmitarbeiterInnen
Informationen zur Kampagne "100 qm" und der
Stelenreihe weitergegeben wurden. Er erwies
sich als sehr gut angenommenes, niedrig-
schwelliges Angebot für Bürgerinnen und
Bürger. 6

Abb. 39. Statistik, Studentenarbeit TUD

Die studentischen Arbeiten griffen sehr unter-


schiedliche Beobachtungen auf. Ein Team, das
zusammen mit einem Mathematiker arbeitete,
errechnete unter statistischer Modifikation eines
Parameters, dass Dietzenbach mit einiger Wahr-
5
Vgl. hierzu: Internationale Gärten Göttingen, www.interna-
tionale-gaerten.de.
6
Vgl. Kapitel 4.3.3: 1.000 Stellungnahmen, 292 konkrete
Nutzungsideen.
81
scheinlichkeit im Jahr 2030 die gesamte ar- Beobachtung auf die Stadtplanung und projizie-
beitsfähige Bevölkerung Hessens beheimaten ren diese auf lange Zeiträume. Die Scapes wan-
könnte. Andere Teams thematisierten die Ju- dern dabei auf dem Grat zwischen ernsthafter
gend der Bevölkerung. Ein Team schrieb die mit Kritik und Polemik. 7 Aus den aus den Scapes
dem Hessentag eindrucksvoll begonnene Festi- entwickelten Argumenten in der städtebaulichen
valisierung der Stadt fort mit dem Ergebnis, Diskussion folgt dann eine konkrete gegenwärti-
dass die Stadt im Jahr 2030 die olympischen ge Form, die sich direkt aus den Scapes ablei-
Spiele ausloben könnte. Die Ausbildung von ten lässt, und in sich das Argument als fiktive
einer großen Zahl von Zentren stand im Mittel- Funktion widerspiegelt. Form follows fiction statt
punkt einer Arbeit, mit dem Ergebnis der Frag- form follows function. 8
mentierung in kleinste Dorfeinheiten bis zum In einer Weiterentwicklung der niederländischen
Jahr 2030. Ein Team schließlich schlussfolgerte Beispiele wurden im vorliegendem Projekt die
aus Videointerviews mit Bürgerinnen und aus den Scapes gewonnenen Anregungen in der
Bürgern die Umlagerung der Großwohnanlagen Kampagne "100 qm" aufgegriffen. Die Kampag-
auf die dünn besiedelten oder brachliegenden ne bot Bürgerinnen und Bürgern einen Anlass,
Flächen der Stadt. in ihrer Stadt und in ihrem Interesse aktiv zu
In der Diskussion über diese erarbeiteten Scapes werden. Politik und Verwaltung wurden gefor-
kristallisierten sich über einen langen Zeitraum dert, dafür Abläufe und Strukturen zu entwi-
die für das Projekt 2030 relevanten Themen ckeln. Verstärkend wurde zeitgleich die Wahr-
heraus. Dazu gehört die demographische Ent- nehmung des Stadtraumes durch das Einfügen
wicklung, die für Dietzenbach eine extrem junge einer symbolisch mit dem Thema verbundenen
ästhetischen Setzung verändert.
Es wurden also die Beobachtungen jenseits
ihrer Wertung auf ihr Umsetzungspotenzial hin
untersucht. Eine städtebaulich relevante Um-
setzung, ein Anstoßen von Prozessen war das
Ziel der Strategie. Damit wurde das Handeln
nicht auf ein "Später" verschoben, sondern es
wurden konkrete Herausforderungen geschaffen
und Druck erzeugt, mit diesen Herausforde-
rungen umzugehen. These war, dass aus die-
sem Umgang eine Auseinandersetzung mit
städtebaulichen Themen abgeleitet werden
würde.

Abb. 40. Studentenarbeit TUD

Bevölkerung ergibt, sowie die Asymmetrie von


Wohnform und Bodennutzung bzw. fehlende
Verfügbarkeit von Boden für einen großen Teil
der Bevölkerung.
Die Studentinnen und Studenten erarbeiteten 7
Vgl. MVRDV; METACITY / DATATOWN, 010 Publishers,
diese Projektionen in Anlehnung an aktuelle Rotterdam, 1999, S. 64 - 93
niederländische Beispiele. Diese extremen 8
Bosman, Jos; form follows fiction, von der Meta City zur
Szenarios oder Scapes behandeln ein jedes den Mega City in: Daidalos 74, Berlin, 2000.
Einfluss von nur einer Einzelentwicklung bzw.
82
4.1.2.3 Vorbilder Chora / Bunschouten
Vorbilder für diesen Ansatz lassen sich sowohl Chora untersucht akribisch die Möglichkeit,
in der Kunst als auch in Architektur- und Pla- durch Mini-Szenarios im städtischen Raum neue
nungstheorie finden. Im Bereich der Kunst sei Entwicklungsoptionen, Potenziale auf ihre Wirk-
neben der schon beschriebenen Beuys Aktion samkeit, Kommunizierbarkeit hin auszutesten.
‚7000 Eichen' auf folgende KünstlerInnen und Die Mini-Szenarios können sich zu Erzählungen
ihre Arbeit verwiesen: 9 und Geschichten entfalten. Akteure in der Stadt
kommen durch diese Szenarios in Kontakt mit-
Wochenklausur einander. Im günstigsten Fall entstehen durch
Die derzeit aktive österreichische Künstlergruppe die Szenarios neue Entwicklungsdynamiken und
Wochenklausur agiert ebenfalls im städtischen
Raum. 10 Sie arbeitet jeweils für acht Wochen an
einem Ort. Im Vorfeld ihrer Arbeit versucht sie
den Ort zu analysieren, sie sucht nach einem
Aspekt des Ortes, d.h. auch der Stadt, der dann
in einem Projekt aufgegriffen wird. Es ist ihnen
wichtig, zu einer Veränderung der Situation vor
Ort beizutragen. Die Situation wird dabei meist
als soziale Situation beschrieben. Sie versuchen
durch ihren Blick von außen Dinge in Bewe-
gung zu bringen, die von den städtischen Ak-
teurinnen und Akteuren nicht mehr wahrge-
nommen werden oder für die bisher keine Lö-
sung entwickelt werden konnte. Innerhalb der
acht Wochen setzen sie dann ein Projekt wie
z.B. die ärztliche Betreuung von Obdachlosen
um und versuchen eine Struktur zu entwickeln,
die das Projekt auch langfristig trägt. Nach acht
Wochen verlassen sie die Stadt wieder.
In der Architektur- und Planungstheorie lassen
sich ähnliche Tendenzen beobachten. Allerdings
fokussieren diese in der Regel auf den Stadt- Textures of the Loom: some elements for weaving
raum und weniger auf den sozialen oder politi- A Pull of the Mountain. Desire for paradise. The Wilderness.
schen Raum der Stadt. Gemeinsam ist ihnen, The Landscape.
B The fold as the gate, regulating the pull towards the lands-
dass sie versuchen, die Diskussion über Inhalte cape. Existing institutions as "gatekeepers"
abzulösen durch eine Betonung des Prozesses. C The river, origin of Linz, source of the floodplane. Horizon
Sie geben damit den keinen Veränderungen den of the second frame. The river creates the open space.
Vorzug vor nicht zu realisierenden Zukunfts- D Fissure: singularity of the earth, geomorphic boundary of
the Traun basin.
räumen. 11 E Industrial cores, economic engines, city blight, ecological
banes, complex symbols, architectural showcases.
F Gardening, model airplanes and other leisure.
9
Vgl. Kap. 4.1.1.2. G The Euro-harbour, Pearl of the Loom, music theatre, fringe
10
www.wochenklausur.at. culture, living on the water.
11 H Living in the Loom, housing estates and other residential
Vgl. auch Spiegel, Erika in: Planung + Projekte, Verständi- use.
gungsversuche zum Wandel der Planung, Hrsg. Donald A.
Keller, Michael Koch, Klaus Selle, Dortmunder Vertrieb für Abb. 41. Urban Flotsam, Chora, Raoul
Bau- und Planungsliteratur, Dortmund 1 9 9 8, S.1 6 - 2 1. Banschouten
83
Diskurse in der Stadt. In daraus entstehenden Öffentlichkeit.
Konflikten wird die Chance zur Reorganisation, Aus der Auseinandersetzung mit diesen Ein-
d.h. Veränderung, gesehen. In der Stadtplanung flüssen entstand eine Strategie, die maßgebliche
gilt es die Dynamiken zu erkennen, die sich für Charaktere von diesen Beispielen übernimmt:
solch eine Entwicklung eignen, und diese Dyna- • Sie hat die Fähigkeit, einen Diskurs zu initi-
mik in ihrer Entwicklung zu fördern. ieren.
Die Stadtplanerinnen und Stadtplaner treten • Sie trägt die Möglichkeit der Transformation
nicht mehr als ideale EntwerferInnen auf, son- in sich.
dern als OrganisatorInnen inhaltsoffener Pro- • Sie fordert nichts, ermöglicht aber vieles.
zesse. Sie greifen informelle, Bunschouten • Sie identifiziert ein Thema und verbindet es
nennt sie weiche Strukturen in der Stadt, auf, mit einer konkreten Handlungsoption für
aus denen ein neues Szenario in der Stadt und Bürgerinnen und Bürger und schafft damit
damit eine neue Entwicklungsdynamik entste- Anknüpfungspunkte zwischen verschiedenen
hen könnte. AkteurInnen in der Stadt.
• Sie verwirklicht mit der ästhetischen Setzung
Königs eine sinnlich wahrnehmbare und symbolisch
Königs betont ähnlich wie Chora die Prozess- mit dem Thema verbundene Aktion in der
haftigkeit von Stadtentwicklung. Eine Zielformu- Stadt.
lierung für die Zukunft wird abgelehnt. • Sie lebt von zufälligen Einflüssen und emp-
Stadtplanung wird mit einem Open-Source- findet diese nicht als störend.
Projekt verglichen. Qualität und Verbesserungen • Sie verändert die Rolle der ExpertInnen von
werden durch die Teilnahme vieler Menschen klassischen EntwerferInnen zu Organisa-
garantiert, die ihre Ideen und Kompetenzen in torInnen der Prozesse und sich entwickeln-
das Projekt einbringen können. Voraussetzung den Dynamik.
ist eine Offenlegung der bisherigen Projektstruk- Die Strategie macht es sich zum Ziel, über den
tur und des vorhandenen Wissens. 1 2 Projektzeitraum hinaus städtebaulich nachhalti-
ge Entwicklungen anzustoßen und damit Dyna-
MVRDV mik zu erzeugen.
Die Architektengruppe MVRDV macht durch dra-
matische Hochprojektionen und deren plakative
Darstellung auf planungsrelevante Entwicklun-
gen aufmerksam. Es entstehen als Darstellung
gut gestaltete Entwürfe, so zum Beispiel "pig
city", zu gigantischen Hochhäusern gestapelte
Schweinekoben, die auf die ungebremste Aus-
weitung der Schweinemast in der niederländi-
schen Landwirtschaft hinweisen, oder die
Niederlande als ein einziges Häusermeer als
langfristige Fortschreibung der ungebremsten
Zersiedelung der Landschaft. Diese Entwürfe
sind keineswegs als die Lösung eines Problems
gedacht, sondern als die mehr oder weniger
zynische und aufrüttelnde Ästhetisierung von 12
Königs, Ulrich; Divercity - Strategien zur Entwicklung des
Fehlentwicklungen. Über erfolgreiche Ausstel- urbanen Raumes in: strategischer Raum, Urbanität im ein-
undzwanzigsten Jahrhundert, Internationales Forum für
lungen vermitteln diese Entwürfe die zu Grunde Gestaltung, Süddeutsche Verlagsgesellschaft, Ulm 2000,
liegenden Tatsachen an ExpertInnen und die S.5 6 - 7 2.
4.2 SETZUNG DER STELENREIHE

84
4.2.1 Voraussetzungen: Verhand- 4.2.2 Entgegensetzung: Kosten-
lungen mit der Verwaltung faktor
Das einfache Erscheinungsbild der Stelenreihe Während der Planung konkretisierten sich die
täuscht darüber hinweg wie aufwändig es war Ausgaben für weitere Aktionen im Rahmen der
die Genehmigungen einzuholen, um eine fast Stelensetzung. Aus Zeitgründen konnte nicht
ununterbrochene Reihe von 2.500 Stelen in abgewartet werden, bis alle Schulklassen bereit
600 Meter Länge durch das Zentrum der Stadt waren, sich an der Malaktion zu beteiligen.
zu legen. Bei Privateigentümern, Landes- Kreis- Dann hätte man auf professionelle Hilfe zu-
und Stadtämtern war Überzeugungsarbeit zu lei- rückgreifen müssen. Auf Grund dessen ent-
sten. Die Schwierigkeiten Privateigentümer zur schied die Projektsteuerungsgruppe, die Zahl
Einwilligung in eine auch nur temporäre Nut- der Stelen von 10.000 auf 5.000 zu reduzie-
zung ihrer Flächen zu bewegen, sind allgemein ren, die Zahl der aufgestellten Stelen auf 2.500
bekannt; die Angst vor einer sich verstetigenden zu beschränken und die übrigen zum Abstecken
Inbesitznahme vielleicht auch verständlich. der Parzellen in Reserve zu halten. Zunächst
Dennoch konnten in mehreren Gesprächen und war vorgesehen, symbolisch für jeden Haushalt
durch die Präzisierung des Vorhabens Bedenken eine Stele, also 10.000 Stelen aufzustellen.
zerstreut werden. Bei einer klar beschriebenen
Aktion mit fester zeitlicher Begrenzung stimmten
selbst die Privateigentümer und die übergeord-
nete Verkehrsbehörde der Nutzung ihrer Fläche
zu. Jedoch an der Stelle, an der die Stelenreihe
die Bundesstraße überqueren und sich auf einer
Verkehrsinsel fortsetzen sollte, wollte die zustän-
dige Verkehrsbehörde die Straße auch für weni-
ge Stunden nicht verengen. Im Hinblick darauf
ist der mögliche Verbleib von Stelen auf diesem
Abschnitt im Stadtraum ein erfreuliches Ergeb-
nis. Der Bürgermeister selbst stellte den Antrag
beim zuständigen Straßenbaulastträger, der eine
unbefristete Nutzungsdauer des Mittelstreifens
schließlich bewilligte.
85
4.2.3 Inszenesetzung des Pro-
zesses
Die Bemalung der Stelen bewirkte die Einbin-
dung von Jugendgruppen wie der Lernwerkstatt
in Dietzenbach, die problematischen Schulkin-
dern handwerkliche Kenntnisse vermittelt. Mit
den SchulleiterInnen musste abgestimmt wer-
den, zu welcher Zeit im Rahmen des jeweiligen
Lehrprogramms der Einsatz erbracht werden
konnte.
Die Malaktion fand auf den Brachen im Zen-
trum statt, erzeugte Neugier und vermittelte
eine Offenheit zum Mitmachen. Dies geschah
durch unser Angebot an Interessierte, den
Pinsel in die Hand zu nehmen.
Die Malaktion lieferte mittels dessen, was da
geschah, Bilder mit wichtigen Inhalten des Pro-
jektes. Der ungezwungene Pinselstrich und das
Signieren verdeutlichten das Individuelle. Das
Malen in Gruppen von Schulkindern und ihr
selbst auferlegter Wettstreit, wer die meisten
Stelen bemalen wird, verdeutlichte ihnen das
leichtere Weiterkommen durch Kommunikation
und Kooperation. Die einheitliche Farbauswahl
und die einfache Gesamtform vermittelten, dass
es sich um eine die gesamte Stadt betreffende
Aktion handelt. Die kreisrunde bzw. sternförmi-
ge Aufstellung der Malwerkstatt zeigte, dass
auch das Improvisierte und Temporäre schön
und kommunikativ sein kann. Kinder kamen
freiwillig außerhalb der Schulzeit wieder, um
weitere Stelen zu bemalen.

Abb. 42. Bildcollage Anlieferung

Folgende Seiten Abb. 43. Bildcollage


“Malaktion”
86
87
88
4.2.4 Einsetzung: Aufbau der
Stelenreihe
Die Aufstellung der Stelen war technisch bedingt
eine professionelle Aufgabe. Das Bohren verlief
entsprechend der Bodenschichtung und parallel
zum Fortschritt der Malaktion.
Dadurch konnten die Kinder während sie mal-
ten, die Stelenreihe entstehen sehen. Dies war
für die Kinder ein Ansporn zum Weitermachen.
Der ganze Prozess dauerte lange genug, um als
eine weitere Etappe der Vermittlung, sowohl für
die Kinder als auch für Erwachsene, zu dienen.
Viele PassantInnen stellten Fragen über die ent-
stehende Reihe und diskutierten über den Sinn
oder Unsinn eines solchen Vorhabens in Diet-
zenbach. In der Regel waren sie vor allem um
die Unversehrtheit der Stelenreihe besorgt - in
Dietzenbach eine nicht unbegründete Sorge.
Der befürchtete Vandalismus trat jedoch nur
äußerst geringfügig ein, da nur wenige Stelen
umgestoßen wurden.
Sobald die Verbindung zwischen der Stelenreihe
und den 100 qm Parzellen verstanden wurde,
wurden wir mit Fragen überschüttet wie das vor
sich gehen könnte. Besonders Kinder waren
während der Malaktion eifrig dabei sich auszu-
malen, was sie alles mit 100 qm anfangen
könnten. Dadurch bot die Malaktion eine weite-
re Gelegenheit zum sich Austoben. Manche Fra-
gen wurden von unserer Seite beantwortet an-
sonsten verwiesen wir auf den Infowagen nahe
der Mitte der Stelenreihe. Damit wurde auch
eine weitere Phase des Projektes aktiviert, die
jetzt gleichzeitig mit der Malaktion und dem
Aufbau lief.
Diese Art von Vielschichtigkeit der Aktionen und
Angebote beim Aufbau der Stelenreihe stärkte
die Vermittlung des Projektes an die Bevölke-
rung.

oben:
Abb. 44. Bohrer
Seite 89:
Abb. 45. Bildcollage “Stelensetzung”
89
90

Abb.46. Stelenreihe im Winter


91

Abb.47. Stelenreihe im Sommer


92
4.2.5 Entsetzung: Reaktionen
Die Errichtung der Stelenreihe wurde feierlich
zunächst durch ein "Richtfest" nach dem Auf-
stellen der ersten 500 Stelen, dann einer Presse-
konferenz und einer Vernissage begleitet. Dabei
stellte sich das Projekt der Öffentlichkeit und
der überregionalen Presse vor.
Die geringe Zahl an AbonnentInnen in Dietzen-
bach selbst ließ wenig Hoffnung auf eine Wir-
kung in der Stadt durch die Berichterstattung.
Dennoch gab es durch Leserbriefe beachtliche
Reaktionen. Sie waren in der Regel positiv,
obwohl die übliche Kritik von Geldverschwen-
dung nicht ausgeblieben ist. 13 Schlagwörter wie
Stelenzauber und Riesenmikado zeigten Ver-
ständnis für den spielerischen Charakter des
Projektes und belegten die Stelenreihe mit posi-
tiven Assoziationen.
An der Fußgängerbrücke über die Bundesstraße
formten sich acht Stelen zu einer Art Torgebilde,
ein Schlussstein in der geographischen Mitte
der Stelenreihe, gut sichtbar sowohl für Fußgän-
gerInnen als auch für AutofahrerInnen auf der
Bundesstraße. Trotz der professionellen Befes-
tigung deklarierte das Ordnungsamt die Stelen
zu einer großen Gefahr für klettermutige Kinder.
Wegen der Vorbehalte ordnete das Stadtpla-
nungsamt ihre Entfernung an.
Große Bedenken äußerten die städtischen Be-
triebe, als es darum ging, einen mit hochge-
wachsenen Büschen belegten Randstreifen der
Bundesstraße mit Stelen zu besetzen. Um die
Stelen zu setzen und dann sichtbar werden zu
lassen, mussten die Büsche zurückgeschnitten
werden. Dazu bedurfte es mehrerer Gespräche
und Ortsbesichtigungen, bis der Stadtrat als
zuständiger Dezernent seine Einwilligung gab.
Heute, nach einem Jahr, wachsen die Büsche
wieder und scheinen bald die zurückgelassene
Leere zu füllen.

Presseartikel, Ausschnitte
Abb. 48. Dreieich Spiegel 28.10.02
Abb. 49. Offenbach Post 15.10.02
13
Vgl. Kap. 4.1.1. Abb. 50. Dreieich Spiegel 15.10.02
93
94
4.2.6 Versetzung: Transformation
der Stelenreihe
Ein weiteres Ritual geschah an den Tagen der
Entnahme von Stelen für das Abstecken der
100-qm-Parzellen. Zu diesem Anlass waren die
neuen PächterInnen der Parzellen eingeladen,
selbst die Stelen aus der Stelenreihe zu entneh-
men und sie in einen Transportwagen zu laden.
Dabei kamen sie in Kontakt mit Gleichgesinn-
ten, wodurch eine Gelegenheit zur Kommuni-
kation gegeben war. Die Erzeugung von Lücken
in der Stelenreihe, als sichtbares Zeichen der
Projektannahme, konnte in der Folgezeit noch
Unentschlossene animieren.
In diesem Sinne ist zu unterstreichen, dass die
Stelenreihe als sichtbares Objekt im öffentli-
chem Raum wertvolle Dienste leistete, um
einem Projekt über einen längeren Zeitraum
Präsenz im Bewusstsein der Bevölkerung zu
verschaffen.

Abb. 51. Collage: Stelenentnahme und


Versetzung
95
4.2.7 Zeichensetzung: Individuelle
Teilnahme

Im Rahmen der Kampagne 100 qm errichtet


eine Familie einen temporären Hühnerstall. Die
sorgfältige Gestaltung bis hin zur Hühnerleiter
zeugt von der Vielfalt der Möglichkeiten, zu
denen das einfache Element der Stele die Bür-
gerInnen anregte.
Abb. 52. / Abb. 53. Individuelle Anlage

Über die Claimabsteckung mittels der Stelen


aus der Reihe auf einer ersten Brachfläche in
der Waldstrasse wurde die temporäre Inbesitz-
nahme der Parzellen für alle wahrnehmbar.
Da die Umsetzung auf den 100-qm-Parzellen
im vorhandenen Zeitraum kaum stattfand, wur-
de Interessierten in der Schlussphase des Pro-
jektes die Mehrzahl der Stelen ohne Auflage
einer Parzellennutzung angeboten.
Abb. 54. / Abb. 55. Claimbesetzung

Es gab lediglich die Vorgabe, die Stelen sichtbar


im öffentlichen Raum zu verwenden. Binnen
weniger Tage waren die Stelen vergriffen.
BürgerInnen setzten Stelen dazu ein, Hecken
einer öffentlichen Grünanlage vor unsanften
Pflegeschnitten zu schützen.
Abb. 56. / Abb. 57. Öffentliche Grünanlage

Auch das Gartenamt, das die Stelen zu


Projektbeginn als unbrauchbar abgewiesen
hatte, sicherte sich am Ende eine große Anzahl
von Stelen, u. a. als Anwachsstütze junger
Bäume. Zwar gab es auch einige wenige, die
Bäume im eigenen Garten abstützen wollen,
doch die Mehrzahl der Anfragen war gemein-
nützig ausgerichtet.
Abb. 58. / Abb. 59. Pflanzhilfen
Von der Malaktion inspiriert, gestalten Schüler
im Kunstunterricht über 50 Stelen und diskutie-
ren dabei über das Miteinander der Kulturen in
der Stadt.
Abb. 60. Gedankenstütze

Pfadfinder errichteten mittels der Stelen einen


Windschutz auf ihrem bereits genutzten Grund-
stück auf einer Hügelkuppe und bereicherten
ihre Außenanlagen durch einen aus Stelen kon-
struierten Grill.
Abb. 61. / Abb. 62. Vereinsdarstellung

Ein Sportverein aus Steinberg markierte mit den


Stelen einen bestehenden Rundlauf im Wald,
um auch den nicht vereinsgebundenen
Sportlern eine bessere Orientierung zu ermög-
lichen.
Abb. 63 / Abb. 64. Orientierung

Die Sportvereinigung Dietzenbach vereinheitlicht


mit Stelen die Umfassung ihres Außenbereichs
samt Biergarten und gestaltet damit gleichzeitig
einen Stadteingang an einer großen Kreuzung
nach Dietzenbach.
Abb. 65. Stadteingang
4.3 ÖFFENTLICHKEITSARBEIT

98
4.3.1 Faltblatt und Plakate Während dieser Gespräche wurde das Thema
also schon bei vielen Beteiligten vorbereitet.
Als Informationsgrundlage für die Kampagne Zeitgleich mit den Faltblättern wurden an unter-
"100 qm" diente ein Faltblatt, auf dem eine schiedlichen Stellen im Stadtraum Plakate auf-
polemisch verfälschte Stadtkarte abgebildet war. gestellt. In vier Motiven, Paradies auf 100 qm,
Darin waren auffallend leere Flächen herausge- Stadion auf 100 qm, Königreich auf 100 qm,
hoben und damit in das Zentrum der Wahr- und Basar auf 100 qm, haben sie auf die Op-
nehmung gerückt. In einer Darstellung wurde tion zur Nutzung von Brachflächen hingewiesen
eine Fläche beispielhaft in 100-qm-Parzellen und auf die Internetseite des Projektes aufmerk-
aufgeteilt dargestellt. Den leeren Flächen wur- sam gemacht. Die Plakataktion hatte dabei
den Nummern gegeben, um sie identifizierbar, wenig Öffentlichkeitswirksamkeit. Das Motiv
benennbar und handhabbar zu machen. Basar wurde vom Ordnungsamt wegen Aufrufs
Die Kartierung auf dem Faltblatt wurde als stra- zu illegaler Handelstätigkeit untersagt. Die übri-
tegisches Instrument eingesetzt, um Potenziale gen Plakate verschwanden äußerst schnell und
in der Stadt auszuloten und sichtbar zu machen. wurden teilweise in Privatwohnungen als Wand-
Die "gefälschte Karte" wurde 10.000-mal durch schmuck wieder gesehen.
Schülerinnen und Schüler an Dietzenbacher
Haushalte verteilt. In sieben Sprachen rief das
Faltblatt die Bürgerinnen und Bürger auf, leere
Flächen in ihrer Stadt zu entdecken, dafür Ideen
zu entwickeln und sie zu besetzen.
Vorangegangen war der Verteilung eine intensi-
ve Recherche über die Dietzenbacher Brachen,
über ihre Besitzverhältnisse und ihren Planungs-
stand. Flächencharaktere wurden herausgear-
beitet, Gespräche über Vergangenheit, Status
und Zukunft der Flächen geführt, die Flächen Abb. 66. Paradies auf 100 qm
wurden ausgewählt und gewertet bis hin zu Abb. 67. Stadion auf 100 qm
Szenarien und Empfehlungen hinsichtlich Abb. 68. Königreich auf 100 qm
Nutzungs- und Besetzungschancen. Folgende Seite : Abb. 69. Faltblatt
Abb. 71. Standort des
Bauwagens an der
Kreuzung von Stelen-
reihe und Fußweg

100
4.3.2 Arbeiten im öffentlichen tiert. Bezüglich dieser Wünsche wurden keiner-
Raum - der Bauwagen lei Vorgaben gemacht.
Dieser niedrigschwellige Beteiligungsansatz
4.3.2.1 Beschreibung des Ansatzes setzte ein hohes Maß an Eigeninitiative der
Um eine Diskussion über Brachflächen und Bürgerinnen und Bürger voraus, die Menschen
temporäre Nutzungen vor Ort zu ermöglichen, wurden gerade nicht aufgesucht, sondern wur-
wurde ein Büro in einem Bauwagen an der den selbst initiativ. Unter diesen Bedingungen
Rakovnikpassage - in der Mitte der Stelenachse ist es als bemerkenswert anzusehen, dass sich
- eingerichtet. Wichtig war hierbei, außer der so viele Menschen interessiert und beteiligt
Nähe zur Stelenreihe, dass der Standort auch haben.
am zentralen Fußweg für alle Dietzenbacher Das Projektbüro vor Ort diente auch der nicht
Stadtteile westlich der "Neuen Mitte", der Altstadt standardisierten teilnehmenden, unmittelbaren
und Hexenberg lag. Beobachtung der Kommunikationsprozesse zwi-
Die Bürgerinnen und Bürger Dietzenbachs schen den Akteurinnen und Akteuren. Durch
konnten in diesem Projektbüro von August bis das Angebot - der Möglichkeit der temporären
Dezember 2002 an sechs Tagen in der Woche Flächennutzung - wurde ein Schlüsselreiz ge-
einen Nutzungswunsch äußern, die Größe der setzt und der daraufhin folgende Verlauf beob-
Fläche konnte maximal 100 qm pro Person be- achtet.
tragen, um möglichst vielen Dietzenbacherinnen Bei der verwendeten Kombination von teilneh-
und Dietzenbachern die Chance der Teilnahme mender Beobachtung und nicht standardisier-
zu ermöglichen. Die Nutzungswünsche wurden tem Verfahren nahmen die Projektmitarbeiter-
im Projektbüro aufgenommen und dokumen- innen und -mitarbeiter vor Ort unmittelbar an
den zu erforschenden Lebenszusammenhängen
Abb. 70. Büro im Bauwagen teil. Für die nicht standardisierte Beobachtung
wurde eine vollkommene Offenheit in jeder
Beziehung angenommen, erst im Feld entwi-
ckelten sich Gegenstände und Perspektiven.
Die Feldbeobachtungen wurden chronologisch
protokolliert.
101
4.3.2.2 Struktur des Publikums einer muslimischen Gesellschaft, wonach auch
Die Mobilisierung von Teilen der Dietzenbacher oder gerade in der Migration der Mann immer
Bevölkerung kann als gelungen angesehen wer- noch als Oberhaupt der Familie gilt und diese
den: Während des Projektzeitraums wurde das nach außen repräsentiert. 1 4 Dies zeigte sich
Projektbüro vor Ort von ca. 1.000 Menschen auch daran, dass die Frauen weiterhin präsent
für Fragen, Anregungen und Kritik genutzt, 260 blieben.
Dietzenbacher Bürgerinnen und Bürger melde- Viele der Migrantinnen und Migranten suchten
ten sich dort bzw. beim Stadtplanungsamt zur den Bauwagen zu zweit oder in Gruppen mit
Nutzung einer Parzelle an. Bekannten oder Familienmitgliedern auf. Der
Überraschend ist hier die Beteiligungsstruktur. islamisch-türkische Kulturverein meldete Inter-
Ganz offensichtlich gelang die Mobilisierung esse an der Nutzung einer Parzelle an, ebenso
bislang wenig eingebundener Gruppen inner- Vertreter der Ahmadiyya-Religionsgemeinschaft.
halb der Stadtbevölkerung. So nutzten zu einem Ebenfalls wurden Flugblätter über das Projekt
Großteil Dietzenbacher Bürgerinnen und Bürger zur Verteilung in der türkischen Moschee ausge-
mit Migrationshintergrund das Vor-Ort-Büro als geben. Eine komplette Hausgemeinschaft mel-
Anlaufstelle, vor allem muslimische Migran- dete sich über ihren Hausmeister für die Nut-
tinnen und Migranten aus dem Spessartviertel zung einer Parzelle an.
und dem benachbarten Westend. Im Laufe des Projektzeitraums wurde der Bau-
Bemerkenswert ist ebenfalls, dass sich vom wagen von den Frauen, Männern und Kindern
Projekt viele Frauen, insbesondere Migrantinnen oft mehrmals aufgesucht, etwa um Erkundigun-
angesprochen fühlten, die als besonders schwer gen nach dem Projektstand, nach der Resonanz
erreichbare Gruppe gelten. Auch den vermehrt innerhalb der Bevölkerung oder um weitere Falt-
präsenten älteren deutschen Frauen mit ihren blätter zur Weitergabe an interessierte Bekannte
eher privaten Netzwerken wurde mit diesem einzuholen. Diese "Mund-zu-Mund-Propaganda"
niedrigschwelligen Beteiligungsmodell ein Zu- der Multiplikatorinnen und Multiplikatoren er-
gang zu Öffentlichkeit und eine Anlaufstelle ge- wies sich als äußerst erfolgreich.
boten, an der sie ihre Interessen artikulieren Durch den niedrigschwelligen Ansatz eines Pro-
konnten. jektbüros vor Ort haben wir somit gerade die
In der Anfangsphase des Projektes erfolgte die Menschen erreicht, die normalerweise durch
Kontaktaufnahme zum Bauwagenteam überwie- konventionelle partizipative Methoden nicht
gend durch Frauen, Kinder und Jugendliche mit angesprochen werden. 1 5 Verstärkt wurde dieser
Migrationshintergrund sowie durch ältere deut- Effekt sicher noch dadurch, dass das Beteili-
sche Frauen. Diese nutzten das Projektbüro gungsmodell nicht zu sehr auf die deutsche
zum Einholen von Projekt-Informationen und Sprache fixiert war, so dass sich auch Bürge-
übernahmen somit die Funktion von Multiplika- rinnen und Bürger mit geringeren deutschen
torinnen. Hier wurde die Erfahrung gemacht, Sprachkenntnissen beteiligten - obwohl natür-
dass über die Frauen oftmals die Familien als
Ganzes zu erreichen waren. 14
Waltz, Viktoria. Muss das Kopftuch herunter? Zur Situation
Nach dieser Anfangsphase wurde das Bau- der Migrantinnen in unseren Städten, in: Bauhardt,
Christine, Becker, Ruth (Hg.). Durch die Wand!
wagen-Team vermehrt von Männern mit Migra-
Feministische Konzepte zur Raumentwicklung. Stadt,
tionshintergrund aufgesucht, die sich und ihre Raum, Gesellschaft, Bd. 7. Hg. Hartmut Häusermann u.
Familien zur Nutzung einer Parzelle anmelde- a., Pfaffenweiler 1997, S. 123 ff..
15
ten. Daraus lässt sich jedoch weniger ein nach- Zahlreiche Beteiligungsverfahren, wie z. B. Bürgersprech-
lassendes Interesse von Seiten der zumeist stunden etc., werden vermehrt von der klassischen bürger-
lichen Mittelschicht wahrgenommen, die diese Äußerungs-
muslimischen Frauen ableiten, vielmehr erklärt formen gewohnt ist, und grenzen sozial Benachteiligte, ins-
sich dies mit dem Normen- und Wertesystem besondere auch Migrantinnen und Migranten, aus.
102
lich auch teilweise die klassische bürgerliche müse nicht aus dem Supermarkt kommt". Oder
Mittelschicht angesprochen wurde. So suchten Projektteilnehmerinnen und -teilnehmer, in ihrer
im Projektverlauf vermehrt Menschen mit eher Heimat als Landwirte tätig, bekundeten jetzt als
geringen Deutschkenntnissen das Projektbüro Rentnerinnen bzw. Rentner ein starkes Interesse
auf, um sich für die Nutzung einer Parzelle regi- am Gemüseanbau. Oft wurde genau erläutert,
strieren zu lassen. was angepflanzt werden soll. Auch wurde von
Auch die Defizite herkömmlicher Beteiligungs- den oft kinderreichen Familien die Enge der
praxis in Bezug auf das Engagement von Frauen Wohnungen beklagt, auch hier versprach man
konnten durch die Möglichkeit, im Projektbüro sich durch einen Garten einige Besserung.
vor Ort Frauen getrennt von Männern anzuspre- Die das Bauwagenteam aufsuchenden jungen
chen, ausgeglichen werden. 1 6 deutschen Familien zeigten ein großes Interesse
an dem Projekt und der Stadtentwicklung Diet-
4.3.2.3 Ablauf der Gespräche zenbachs, auch das multikulturelle Miteinander
Die jeweilige Gesprächsdauer zwischen den in Dietzenbach wurde oft positiv hervorgeho-
Bürgerinnen und Bürgern sowie den Mitarbei- ben. Auch von den älteren deutschen Frauen
terinnen und Mitarbeitern im Projektbüro vor Ort kamen vermehrt positive Rückmeldungen.
variierte, je nach Interessenlage und auch Aber auch für Kritik und Anregungen bot der
Sprachkenntnis, von ca. zehn Minuten bis zu Bauwagen eine niedrigschwellige Anlaufstelle,
über einer Stunde. die solche Äußerungen ermöglichte:
Teilweise waren die Menschen durch die Stelen- Die den Bauwagen aufsuchenden älteren deut-
reihe aufmerksam geworden, ein Teil hatte schen Männer sowie die älteren deutschen Ehe-
durch die örtliche Presse davon erfahren, ein paare waren teilweise sehr skeptisch und be-
Teil kam zufällig vorbei. In den folgenden Wo- zweifelten, ob sich in Dietzenbach noch etwas
chen suchten immer mehr Menschen das Vor- zum Positiven verändern lasse. Auch die ver-
Ort-Büro auf, die über "Mund-zu-Mund-Propa- meintlich zu hohen Kosten des Projektes, unter
ganda" vom Projekt erfahren hatten. Zu Ge- Verweis auf Presseartikel, waren oft ein Kritik-
sprächsbeginn stand immer die Erläuterung des punkt. Hier wurde nach Erläuterung des Kon-
Projektkonzeptes durch die Mitarbeiterinnen zeptes und durchaus auch kontroverser Diskus-
und Mitarbeiter vor Ort. sion oft eine positive Meinung gefasst.
Vielen Dietzenbacher Bürgerinnen und Bürgern, Einige deutsche Dietzenbacherinnen äußerten
aber auch auswärtigen, in Dietzenbach arbei- ihre Enttäuschung und Frustration über den in
tenden oder zu Besuch weilenden Menschen, Dietzenbach trotz persönlichem Engagements
waren die Stelen aufgefallen und wurden als seit Jahren ergebnislos verlaufenden Lokalen
"tolle Idee" positiv kommentiert. Agenda-21-Prozess. Es wurde befürchtet, dies
Die zeitliche Befristung des Projektes wurde von könnte sich wiederholen und so nur zu weiterer
vielen Interessierten als negativ angesehen und Frustration der Bürgerinnen und Bürger beitra-
auch von denjenigen bemängelt, die sich nicht gen, im Sinne: Es passiert ja sowieso nichts.
zur Nutzung einer Parzelle gemeldet hatten. Die älteren deutschen Frauen kritisierten, dass
Der größte Teil der Nutzungswünsche für eine sich das Stadtzentrum von der Altstadt zur
Parzelle bezog sich auf Gärten bzw. Grabeland "Neuen Mitte" hin verlagere. Die damit verbun-
sowie Spielplätze für die Kinder. Hier wurde von 16
Vgl. hierzu auch Rodenstein, Marianne. Beteiligungsfor-
vielen der Projektteilnehmerinnen und -teilneh- men von Frauen an der Stadtplanung am Beispiel Frank-
mer mit Migrationshintergrund, die die größte furts, in: Gesündere Zukunft für Hamburg (Hg.). Frauen-
Nachfragergruppe stellten, der Wunsch geäußert, blicke auf die Großstadt. Dokumentation des Symposiums
"Beteiligungsmöglichkeiten für Frauen an einer gesund-
ihre Kinder sollten das Wachsen von Pflanzen heitsfördernden Stadtentwicklung". Hamburg 1993,
kennen lernen, "damit sie wissen, dass das Ge- S. 30 ff.
103
denen längeren Wege stellen offensichtlich gera- 4.3.3 Struktur und Umgang mit
de für in der Altstadt wohnende ältere Dietzen- Nutzungswünschen
bacherinnen ein Problem dar.
Viele Frauen, deutsche wie nicht-deutsche, 4.3.3.1. Struktur der Nutzungswünsche
bemängelten, dass es nichts für Erwachsene Die im Projektbüro, über Postkarten und über
gäbe, "nichts, wo man hingehen kann, ohne Telefonate geäußerten Nutzungswünsche wur-
Geld zu bezahlen". Gerade von den Migrantin- den umgehend bei der Stadtverwaltung EDV-
nen wurden häufig die fehlenden Treffpunkte für technisch erfasst und ausgewertet. Insgesamt
Erwachsene bzw. Wünsche nach einem Park gingen 260 Anfragen ein, wobei die Zahl der
mit Aufenthaltsqualität angesprochen. am Projekt Teilnehmenden wesentlich höher
Männliche jugendliche Migranten, die sich teil- liegt, da es sich häufig um gemeinsame Anfra-
weise auch für die Nutzung einer Parzelle regi- gen von Ehepartnerin und -partner oder Fami-
strieren ließen, um einen Bolzplatz oder einen lien handelt. Es kann davon ausgegangen wer-
Grillplatz anzulegen, kritisierten oft das fehlende den, dass die Anfragen von Einzelpersonen
Freizeitangebot für Jugendliche in Dietzenbach. ebenfalls in vielen Fällen mit der Familie abge-
Auch bezüglich der künftigen Nutzung der Frei- sprochen sind.
fläche zwischen Toom-Einkaufszentrum und Im Folgenden wird die Geschlechterverteilung
Kreishaus kamen häufig Nachfragen. Positiv er- derjenigen aufgezeigt, die im Verlauf des Pro-
wähnt wurde hier auch des Öfteren die Archi- jektes ihre Nutzungswünsche aufnehmen lie-
tektur des neuen Kreishauses sowie dessen ßen. Hierbei wurde die Kategorie "Familie" ein-
Bürgernähe, Behördengänge nach Offenbach geführt, um gemeinsame Anfragen von
erübrigten sich nunmehr. Ehepaaren darzustellen.
Die Probleme, die das Wohnen im ehemaligen Bei den Anfragen, die von einer Person genannt
Starkenburgring mit vielen verschiedenen Kul- wurden, kann nicht eindeutig gesagt werden, ob
turen auf engem Raum offensichtlich mit sich sich dieser Wunsch ausschließlich auf die Vor-
bringt, fanden ebenfalls Gehör (viele der Pro- stellungen einer Person bezieht oder ob sich
jektteilnehmerinnen und -teilnehmer mit Migra- ebenfalls "Familienwünsche" dahinter verbergen.
tionshintergrund haben dort Wohneigentum er- Deshalb kann keine eindeutige Aussage darüber
worben). Hier wurden sehr oft die positiven Ver- getroffen werden, wie viele Personen an dem
änderungen der letzten Zeit angesprochen aber Projekt tatsächlich teilgenommen haben. Aus
auch die Hoffnung auf weitere zukünftige Ver- diesem Grund wird die den nachfolgenden Dia-
besserung geäußert. grammen zu Grunde liegende Anzahl der Anfra-
Auch ganz private Geschichten wurden erzählt: gen im Folgenden als Anzahl der beteiligten
von Krankheit und Arztbesuchen, Flucht und Haushalte bezeichnet.
Vertreibung. Gerade von den Männern mit Die Auswertung zeigt, dass Nutzungswünsche
Migrationshintergrund wurde oft die Angst vor in deutlich mehr als der Hälfte der Fälle allein
der Arbeitslosigkeit betont. von Männern geäußert worden sind (58,46 %).
Nur in etwas mehr als einem Viertel der Fälle
wurden Nutzungswünsche allein von Frauen
geäußert (26,92 %). In rund einem Siebtel der
Fälle wurden die Nutzungswünsche von Ehe-
paaren gemeinsam, teilweise auch in Beglei-
tung ihrer Kinder, geäußert und deutlich als
Wunsch der Familie artikuliert.
Wie in Kapitel 4.3.2.2 bereits angedeutet, kann
davon ausgegangen werden, dass ein
104
eines Migrationshintergrunds wurden daher die
Familien- und Vornamen herangezogen. Diese
Methode führte zu dem Ergebnis, dass fast
90 % der Teilnehmenden vermutlich einen
Migrationshintergrund haben. Selbst bei einer
für ausgesprochen unwahrscheinlich gehaltenen
Fehleinschätzung in 50 % der Fälle läge diese
Quote immer noch bei fast 45 % und damit
deutlich über dem prozentualen Anteil von Aus-
länderinnen und Ausländern an der Gesamtbe-
völkerung Dietzenbachs. Es wird jedoch auf
Grund persönlicher Kontakte zu den Teilneh-
menden von einer deutlich geringeren Fehler-
einschätzungsquote ausgegangen, so dass der
Anteil der Personen mit Migrationshintergrund
Abb. 72. Personen, die Nutzungswünsche auf mindestens 80 % eingeschätzt wird.
geäußert haben (260 beteiligte Haushalte ins- Auffallend ist auch die räumliche Verteilung der
gesamt) Wohnquartiere der am Projekt teilnehmenden
Personen. Hierzu wurde das Stadtgebiet in
Wohnquartiere eingeteilt.
Über 28 % der teilnehmenden Personen kam
aus den fünf Hochhausblocks des östlichen
Spessartviertels. Ebenso hoch war der Anteil der
Personen aus dem restlichen Spessartviertel.
Eine plausible Erklärung ist die Aufstellung des
Bauwagens, in dem sich das Projektbüro als
Ansprechstelle befand, an der sog. Rakovnik-
passage, welche als Fußgängerüberführung
über die B 459 das Spessartviertel mit dem
Stadtzentrum verbindet. Die Bewohnerinnen
und Bewohner der genannten Wohnquartiere
kamen hier beim Weg zum Einkaufen wie
selbstverständlich vorbei und suchten den Bau-
wagen daher auch auf. Auffallend ist jedoch
auch die Häufigkeit der Wohnquartiere Stein-
berg, Stadtzentrum und Westend. Für diese
Abb. 73. Äußerung von Wünschen - Wohnquartiere liegt der Bauwagen weniger gün-
Migrationshintergrund vorhanden? (260 betei- stig. Eine detailliertere Untersuchung nach
ligte Haushalte insgesamt) Straßen mit Hilfe eines geographischen Infor-
mationssystems17 konnte in Steinberg keinen
eindeutigen Beleg dafür liefern, dass vorwie-
erheblicher Teil der am Projekt Teilnehmenden gend die Bewohnerinnen und Bewohner aus
vermutlich auf einen Migrationshintergrund zu- den Hochhäusern im Bauwagen vorsprachen.
rückblicken kann. Diesbezüglich wurden jedoch
keine Erhebungen bei der Aufnahme der Nut- 17
Die Untersuchung wurde mit Hilfe des Bürger-GIS des
zungswünsche durchgeführt. Zur Einschätzung Kreises Offenbach, www.kreis-offenbach.de, durchgeführt.
Steinberg

Stadtzentrum 105
Östl. Spessartviertel
Westend
Restl. Spessartviertel
Zwischen Spessart-
viertel und Altstadt

Altstadt

Wingertsberg
Gewerbegebiet Süd

Hexenberg

Abb. 74. Einteilung Dietzenbachs in Wohnquartiere zur Untersuchung der Herkunft der Teilneh-
menden am Projekt (260 beteiligte Haushalte insgesamt)

Vielmehr verteilten sich die Einwohnerinnen Vermutung zu, dass vier der fünf nicht eindeutig
und Einwohner auf verschiedene Bereiche zuzuordnenden Anfragen vermutlich im Ge-
Steinbergs, wobei einige auch in Einfamilien- schosswohnungsbau leben 18 , so dass insgesamt
häusern wohnen. Anders ist es bei den Vor- achtzehn teilnehmende Personen aus diesem
sprechenden aus dem Westend. Hier kann für Wohnquartier, das sind 85 %, vermutlich im
mindestens 70 % der insgesamt zwanzig Anfra- Geschosswohnungsbau wohnen. Dies ist umso
gen aus diesem Wohnquartier festgestellt wer- bemerkenswerter, als im Westend auch ein gro-
den, dass sie in Hochhäusern leben. Die Aus- ßer Anteil an Eigenheimen vorhanden ist. Aus
wertung des Kartenmaterials lässt auch die dem Wohnquartier Stadtzentrum haben eben-
106

Abb. 75. Anfragen nach Wohnquartieren (260 Haushalte insgesamt)

falls zwanzig Personen Nutzungsvorschläge für weise mehr als ein Nutzungswunsch geäußert
das Projekt "Stadt 2030" geäußert. Von diesen wurde, liegt hier die zu Grunde liegende Grund-
leben sechzehn Personen (80 %) im Geschoss- gesamtheit im Gegensatz zu den vorherigen
wohnungsbau, zwei in Einfamilienhäusern, zwei Auswertungen höher als 260. Insgesamt wur-
konnten nicht eindeutig zugeordnet werden den 292 Nutzungswünsche geäußert.
(jeweils 10 %). Allerdings befinden sich in die- Augenfällig ist die Schwerpunktsetzung auf die
sem Wohnquartier vorwiegend Wohnungen im Nutzung "Kleingarten/Grabeland", die rund 73 %
Geschosswohnungsbau. Dennoch ist bemer- der Nennungen ausmacht. Mit deutlichem Ab-
kenswert, dass ein Großteil der Teilnehmenden stand folgt der Nutzungswunsch "Spielplatz,
aus Stadtquartieren mit einem hohen Anteil an etwas für Kinder" mit rund 10 %. Die verblei-
Geschosswohnungsbau kommt (östliches und benden 17 % verteilen sich auf andere Nut-
übriges Spessartviertel, Stadtmitte) oder aber im zungswünsche, wobei Grillplätze, Sportplätze,
Geschosswohnungsbau lebt, selbst wenn der Projektbeiträge mit stadtgestalterischem oder
Geschosswohnungsbau nicht die dominante künstlerischem Bezug und Themengärten noch
Wohnform in dem jeweiligen Stadtquartier ist am häufigsten genannt werden.
(Westend). Trotzdem scheint auch die räumliche 18
Die Auswertung nach Straßen kam für das Westend zu fol-
Nähe des Projektbüros im Bauwagen zu den genden Ergebnissen: Insgesamt kamen zwanzig Anfragen
jeweiligen Wohnquartieren ein wesentlicher aus dem Westend, vierzehn der Teilnehmenden aus die-
Faktor für die Teilnahme am Projekt gewesen zu sem Wohnquartier leben in Hochhäusern (70 %), fünf las-
sen sich mit der gewählten Untersuchungsmethode nicht
sein. Die Anzahl der telefonischen und postali-
eindeutig zuordnen (25 %), wobei bei drei von diesen auf
schen Meldungen von Wünschen sind zumin- Grund der in der Karte ablesbaren Baustruktur die Wahr-
dest vernachlässigbar gering. scheinlichkeit sehr hoch ist, dass sie im Geschosswoh-
Bei der Kategorisierung der Nutzungswünsche nungsbau leben. Eine Person konnte als in einem Einfami-
lienhaus lebend zugeordnet werden (5 %). Daraus ergibt
lassen sich eindeutige Schwerpunkte der Nach- sich, dass 85 % der Teilnehmenden aus dem Westend im
fragen feststellen. Da bei den 260 Anfragen teil- Geschosswohnungsbau lebt.
107

Abb. 76. Nachgefragte Nutzungen (Mehrfachnennungen möglich - 260 beteiligte Haushalte insg.)

Geäußerte Nutzungswünsche Zumeist wurde der Wunsch geäußert, die Flä-


Auffällig ist der Punkt Themengärten. Von ein- chen mögen in der Nähe der Wohnungen lie-
zelnen Bürgerinnen und Bürgern sind verschie- gen, häufig kam auch die Antwort, der Standort
dene Themengärten vorgeschlagen worden, die sei "egal". Als bekannt wurde, dass erstes Gra-
öffentlichen Charakter haben. Themengärten beland auf der Parzelle 20 realisiert werden
und stadtgestalterische bzw. künstlerische Pro- soll, wurde dieser Standort sehr häufig genannt,
jektbeiträge nehmen somit immerhin fast 5 % vermutlich weil viele der Teilnehmenden sich
der Nennungen ein und lassen ein Interesse der erhofften, auf diese Art ihren Wunsch schneller
Bevölkerung, die eigene städtische Umwelt auf- realisieren zu können.
zuwerten, vermuten. Im Einzelnen wurden fol-
gende Themengärten genannt: Die Ergebnisse der statistischen Auswertung
• Apothekergarten (Vorschlag eines Dietzen- lassen sich knapp wie folgt zusammenfassen:
bacher Apothekers), • Männliche Personen äußerten weitaus häufi-
• Zengarten ger Nutzungswünsche als Frauen.
• Mittelalterlicher Kräutergarten, • Das Projekt hat überwiegend Personen mit
• Internationaler Garten (Pflanzen aus allen Migrationshintergrund erreicht.
Teilen der Welt), • Das Projekt hat vorwiegend Personen erreicht,
• Bildungsgarten (Beschilderung von Pflanzen die ihren Wohnstandort räumlich nah am
in deutscher und englischer Sprache), Projektbüro haben.
• Garten in Form eines Dietzenbacher Stadt- • Das Projekt hat viele Menschen erreicht, die
plans (Vorschlag eines Eigentümers eines kar- im Geschosswohnungsbau wohnen.
tographischen Verlages). • Die Nutzungswünsche stehen meistens in
Bezüglich der Lage zur Realisierung der Nut- direktem Zusammenhang mit Grün- und
zungswünsche wurden von den Teilnehmenden Freizeitnutzungen, wie Gärten, Spielplätze,
häufig keine konkreten Vorschläge gemacht. Grillplätze, Sportplätze o.ä.
108
• Die Teilnehmenden wollen häufig, dass ihre Nutzungswünsche mit einem Nutzen für die
Nutzungswünsche in der Nähe ihrer Wohn- Allgemeinheit - wie z.B. der Garten in Form des
standorte realisiert werden. Dietzenbacher Stadtplans - sollten an öffent-
licheren Stellen realisiert werden, wie z.B. dem
4.3.3.2 Umsetzungs- und Abstimmungsprozess Stadtpark. 19
Die Nutzungswünsche erreichten das Projekt- Da die Stadtverordnetenversammlung allein dar-
team auf verschiedene Arten: Am häufigsten über entscheiden kann, welche Nutzungen an
meldeten sich Personen direkt im Projektbüro welchem Standort im Stadtgebiet zugelassen
im Bauwagen, entweder weil die Stelenreihe sie werden können 2 0 , ließ das Projektteam noch vor
aufmerksam machte oder der Bauwagen selbst, der Übergabe der Stelenreihe und Öffnung des
oder weil sie über den an die Haushalte verteil- Projektbüros über acht von dreißig vorgeschla-
ten Flyer oder über Kommunikation mit Dritten genen Flächen beschließen, dass eine Vergabe
von dem Projekt erfahren hatten. Weitaus selte- der Flächen über den Magistrat ausreichend ist.
ner wurde die dem Flyer beigefügte Postkarte Damit sollte die Flächenvergabe beschleunigt
mit Nutzungswünschen versehen und an die werden, da die Stadtverordnetenversammlung
Stadt zurückgesendet. Sehr selten war die tele- nur alle sechs bis sieben Wochen tagt, der
fonische Äußerung von Nutzungswünschen. Magistrat hingegen einmal wöchentlich. Die
Jeder einzelne Nutzungswunsch wurde mit der Flächen wurden zuvor unter Rücksprache mit
zugehörigen Kontaktadresse oder -telefonnum- dem Bürgermeister, dem Hauptamt und der
mer erfasst. Dann erfolgte die Prüfung, ob der Entwicklungsträgerin DSK bestimmt, die Eigen-
Nutzungswunsch auf der genannten Fläche rea- tümerin der betreffenden Flurstücke ist.
lisiert werden kann. Da häufig keine Flächen- Um den Magistrat über die Vergabe der Flächen
wünsche geäußert wurden, musste in der Regel an einzelne Nutzerinnen und Nutzer endgültig
lediglich nach einem geeigneten Standort für beschließen lassen zu können und die Verträge
die Nutzungswünsche gesucht werden. mit den potenziellen Nutzerinnen und Nutzern
Wurde zu Beginn des Projektes noch davon aus- der 100 qm großen Flächen abschließen zu
gegangen, dass die Flächen je nach Nutzungs- können, galt es, zunächst von behördlicher
und auch Flächenwunsch einzeln an die Inter- Seite Einverständnis einzuholen. Hier sind ins-
essierten vergeben werden können, so stellte besondere die Untere Naturschutzbehörde und
sich bald heraus, dass angesichts des großen
Andrangs, vor allem mit dem Wunsch nach 19
Bei dem Dietzenbacher Stadtpark - dem sog. Hessentags-
Kleingärten, diese Vorgehensweise nicht prakti- park - handelt es sich nicht um eine intensiv gepflegte
Parkanlage, sondern eher um extensiv gepflegte Wiesenflä-
kabel war. Stattdessen wurden einzelne Blöcke chen, die vom Bieberbach durchflossen werden. Teile des
von Projekten ausgewählt, die zügig umgesetzt Parks dienen als Hochwasserrückhaltebecken. Es gibt
werden sollten. Auf Grund der großen Nach- Pläne, den Park in Teilen umzugestalten und ihm einen
parkähnlicheren Charakter zu verleihen. Es gab während
frage sollten zunächst einige Flächen mit Grabe- des Projekts "Stadt 2030" Ideen, einige Projektbeiträge -
land realisiert werden. Zudem gaben einige der wie z.B. die Themengärten - für eine Aufwertung des
an Grabeland Interessierten zu verstehen, dass Parks zu nutzen.
20
sie schon seit Jahren auf einen Kleingarten war- In der Regel geschieht dies mit einer Abstimmung über
einen Satzungsbeschluss für einen Bebauungsplan gemäß
ten.
§10 Abs. 1 BauGB
Die Liste mit den damaligen Nutzungswünschen 21
Grob betrachtet ist die gesamte Gemarkungsfläche
wurde dem Bürgermeister vorgelegt, der im Dietzenbachs Wasserschutzgebiet, wobei der größte Teil
Namen der Stadt zunächst eine Fläche in einem auf die Schutzzonen III a und III b entfällt, wo die
Gewerbegebiet für die Nutzung als Grabeland Realisierung von Projekten weitaus unproblematischer ist
als in der Schutzzone II oder I, welche zum Teil mit erheb-
freigab (Fläche Nr. 20). Hier sollten zeitlich be- lichen Nutzungsbeschränkungen bis hin zur Unnutzbarkeit
fristet Grabelandparzellen vergeben werden. - mit Ausnahme der Wassergewinnung - belegt sind.
109
die Untere Wasserbehörde beim Kreis Offenbach lender Wasseranschluss und das Verbot der Ab-
sowie die Vertreter der örtlichen Landwirtschaft grenzung einzelner Gartenparzellen mit Zäunen
zu nennen. Hausintern war vor allem der Fach- kritisiert. Trotz des Bemühens um eine kosten-
bereich Städtische Betriebe mit einzubeziehen, günstige Herrichtung der Wasserversorgung
da dieser u.a. für die Pflege der öffentlichen konnte diese nicht realisiert werden.
Flächen zuständig ist. Diese Aufgaben wurden Bei anderen Projektbeiträgen - insbesondere bei
vorzugsweise vom städtischen Fachbereich für solchen, die nach dem Willen der Politik auf
Stadtplanung und Bauen übernommen. Grund ihres ortsbildverbessernden Charakters
Das Beispiel "Kleingärten / Grabeland" verdeut- auf öffentlich gut wahrnehmbaren Flächen reali-
licht den notwendigen Abstimmungsbedarf: siert werden sollten - war eine Abstimmung mit
Zunächst stimmte der Bürgermeister zu, dass dem Fachbereich Öffentliche Dienste, der die
Flächen für "Kleingärten" an die Teilnehmenden Pflegearbeiten für öffentliche Grünflächen wahr-
des Projektes vergeben werden dürfen. Auflagen nimmt, notwendig. Häufig wurden die Ideen als
waren der temporäre Charakter der Gartenflä- störend für die Pflege benachbarter Flächen an-
chen, was beinhaltete, dass die Einzelgärten gesehen. Zudem wurde befürchtet, dass die
nicht durch Zäune voneinander getrennt wurden Flächen bei nachlassendem Interesse seitens
und dass keine einzelnen Hütten pro Garten- der Nutzenden vom Fachbereich Öffentliche
parzelle errichtet werden dürfen. Dienste weiter gepflegt oder entfernt werden
Im nächsten Schritt waren Abstimmungen mit müssten und dies im Haushalt des Fachbe-
der Unteren Wasserbehörde und der Unteren reichs nicht vorgesehen ist.
Naturschutzbehörde, welche beim Kreis Offen- Das Projektteam versuchte auch Parzellen auf
bach angesiedelt sind, notwendig. Hatte die an Privatpersonen verpachtete Flurstücke zu
Untere Naturschutzbehörde keine größeren Be- vermitteln, wobei hier keine Einigung mit dem
denken gegen das Vorhaben, so hatte die Untere Pächter erzielt werden konnte. Ein weiteres Pro-
Wasserbehörde Bedenken, da der Standort für blem, welches alle zu vergebenen Flächen be-
die "Kleingärten" unmittelbar an die Schutzzone trifft, war die Haftungsfrage im Schadensfall. Da
II eines Wasserschutzgebiets angrenzte. 2 1 Erst in die zur Vergabe freigegebenen Flächen sich nicht
diesem Abstimmungsschritt wurde festgelegt, im Eigentum der Stadt Dietzenbach, sondern
dass keine "Kleingärten", sondern nur "Grabe- der Treuhandgesellschaft für die Entwicklungs-
land" umgesetzt wird. Dieses Entgegenkommen maßnahme DSK befinden, war mit dem Ver-
des Projektteams war notwendig, da ansonsten sicherungsträger der Stadt eine Abstimmung
eine kostenintensive Toilettenanlage hätte errich- über die Schadensregulierung notwendig.
tet werden müssen, um einer Verunreinigung
des Grundwassers vorzubeugen.
Da der Standort zudem unmittelbar an landwirt-
schaftlich genutzte Flächen und Wegeverbin-
dungen angrenzt, war ebenfalls eine Abstim-
mung mit dem Ortslandwirt notwendig, der die
Interessen der örtlichen Landwirtschaft zu ver-
treten hat.
Nicht zuletzt war aber auch Abstimmungsbedarf
mit den potenziellen Nutzerinnen und Nutzern
notwendig. Diese waren mit den Auflagen der
Stadt keineswegs einverstanden. So wurde nicht
nur der kurze Bewirtschaftungszeitraum, son-
dern auch das Verbot einzelner Hütten, ein feh-
4.4 UMSETZUNGEN UND UMSET-
ZUNGSPLÄNE DER KAMPA GNE
100 QM"

110
Die Kampagne "100 qm" hatte zur Besetzung 4.4.1 Temporäre Flächenbeset-
Dietzenbacher Brachflächen aufgerufen. zungen
Innerhalb der Projektlaufzeit kam es zu fünf
Flächenbesetzungen. Drei weitere Besetzungen Diesem Situationstyp lassen sich zwei Beispiele
wurden konzipiert und werden voraussichtlich zuordnen. Es wird im Folgenden zunächst ein
über den Projektzeitraum hinaus weiterverfolgt. Hühnerhof für Kinder beschrieben und dann die
Die Flächen und die auf ihnen durchgeführten Umsetzung von Grabelandparzellen für sechs-
bzw. geplanten Einzelprojekte lassen sich in undzwanzig Familien.
Form von Situationstypen beschreiben. Die
Genese eines jeden Typs zeigt, welche charakte-
ristischen Chancen und Probleme auftreten,
wenn einem umsetzungsorientierten Handeln
seitens der Bürgerinnen und Bürger und den
dazugehörenden Aushandlungsprozessen mit
Politik und Verwaltung Raum gegeben wird.

Abb. 77. Brachfäche

Hühnerhof
Der Hühnerhof für Kinder ist in einem Dietzen-
bacher Wohngebiet entstanden, das durch seine
Stadtrandlage und die erst wenige Jahre alte
Reihenhausbebauung geprägt ist. Das Projekt
wurde von einer Familie in enger Abstimmung
mit den Nachbarn konzipiert. Zusätzlich ver-
schaffte sich die Familie für die zu besetzende
Fläche alle benötigten Informationen zu Ver-
marktungs- und Planungsstand. Die Fläche liegt
im direkten Wohnumfeld und befindet sich in
einem Bebauungsplanverfahren, das zeitnah
realisiert werden soll. Es ist dort eine Erwei-
terung des Wohngebietes vorgesehen. Die zeitli-
che Befristung der Flächenbesetzung wurde von
der Familie als Rahmenbedingung akzeptiert,
weit wichtiger war die direkte Nähe zum eige-
nem Haus. Die Kinder wurden von Beginn an
mit der Tatsache der zeitlichen Befristung kon-
frontiert und akzeptierten diese mit dem Hin-
weis auf die wohlschmeckende Hühnersuppe,
die nach einem halben Jahr entstehen würde.
111

Abb. 78. Vortrag in der Stadtverordnetenver- Abb. 79. Hühnerhof


sammlung

Das Projekt wurde im nächsten Schritt in der ken, deren Nutzung ein vornehmlich privates
Verwaltung vorgestellt. Da die Vorbereitung ideal Interesse zugrunde lag (Hühnerhof, Grabeland).
geleistet worden war, passierte der Vorschlag Angesichts der Höhe der Kaution von 500 Euro
die Verwaltung binnen weniger Tage und wurde kam sie jedoch für viele Interessentinnen und
mit großer Unterstützung in den Magistrat ein- Interessenten einem Ende der Option für kurzfri-
gebracht. Alle vom Projektteam etablierten Struk- stige Flächennutzungen gleich. Die Familie war
turen und Abläufe funktionierten schnell und in der Lage, die Kaution aufzubringen, so dass
reibungslos, bis der Bürgermeister die Umset- für ein halbes Jahr auf 100 qm Boden ein Frei-
zung mit dem Hinweis auf potenzielle Nach- gehege für Hühner entstand. Es wurde mit einer
ahmerInnen und dem Schreckbild von Dietzen- kleinen Besucherbank erweitert, einer Feuer-
bach als Bauernhof untersagte. Die Diskussion stelle und ab und an steht das Zelt der Kinder
mit der Familie wurde abgebrochen. Die Familie neben ihm und lädt zum Übernachten auf dem
akzeptierte diese Entscheidung jedoch nicht. Sie Feld ein. Die Kinder des Quartiers nutzen den
wurde durch den das Projekt begleitenden Do- Hühnerhof mittlerweile als Treffpunkt. Aus einer
kumentarfilmer darauf aufmerksam gemacht, Aktion zum privaten Nutzen entwickelte sich
dass die Stadtverordnetenversammlung eine eine Veränderung für das angrenzende Quartier.
Bürgersprechstunde anbietet. Eines der Kinder Damit ist das Projekt ein Musterprojekt für tem-
erläuterte das Projekt kompetent und einpräg- poräre Flächennutzung. Das Projekt verdeutlicht
sam vor den Stadtverordneten. zudem in aller Schärfe, dass Stadtplanung aus
Es gewann danach, wie deren Vorsitzender den Verwaltungen und der Politik wieder in die
sagte, in einem historischen Moment der ge- Mitte öffentlichen Interesses gerückt werden
sunde Menschenverstand und die Stadtverord- muss, um einen Städtebau auf "Gutsherrenart"23
neten billigten das Projekt. 22 Der Bürgermeister zu verhindern.
konnte sich mit seiner Ablehnung trotz aller In diesem Herbst sollen die Hühner nun "der
Polemik nicht durchsetzen. Allerdings legte er Nahrungskette zugeführt" werden. 24
am nächsten Tag fest, dass für alle zu verge-
benden Parzellen in Zukunft eine Kaution in 22
Dokumentiert in: Dietzenbach sucht seine Mitte, Film von
Höhe von 1.000 Euro als "Abräumpauschale" Wolf Lindner, Frankfurt 2003.
23
aufzubringen sei. Das Projektteam konnte diese Formulierung des Bürgermeisters, um sein Verständnis von
Stadtplanung zum Ausdruck zu bringen, Gedächtnisproto-
Summe in Diskussionen mit dem Bürgermeister koll Martin Wilhelm, Gespräch mit dem Bürgermeister,
zwar halbieren und auf die Parzellen beschrän- 2002.
112
Grabeland Außenraum. 25 Als erste Fläche innerhalb der
Die bei weitem größte Zahl von Anfragen von Kampagne "100 qm" wurde eine schlecht zu
Bürgerinnen und Bürgern betraf Gärten. Dies ist vermarktende Gewerbefläche für temporäre
bei der räumlichen Situation in Dietzenbach Grabelandnutzung durch den Magistrat bereitge-
nicht erstaunlich, handelt es sich doch um eine stellt. Ausgerechnet diese Fläche entwickelte
ländlich geprägte Stadt, in deren Mitte Groß- sich im Verlauf des Projektzeitraums zur Pro-
wohnanlagen stehen. Daraus folgt für viele Bür- blemfläche für das Projektteam. Sechsund-
gerinnen und Bürger ein Defizit an verfügbarem zwanzig Familien übernahmen die Fläche nach

Abb. 81. Gestaltungsvorschlag für Grabeland-


parzellen

einer zuvor durchgeführten und gut besuchten


Informationsveranstaltung. Sie grenzten die Par-
zellen mit Stelen voneinander ab, organisierten
selbst einen Traktor zum Umpflügen des stark
verdichteten Bodens. Dann stoppte der Prozess.
Die verständlichen Wünsche der Bürgerinnen
und Bürger nach einer gewissen längerfristigen
Sicherheit für ihre Mühe und Investitionen, wie
z.B. ein geplanter Wasseranschluss, standen in
24
Zitat des Kindes in der Stadtverordnetenversammlung, vgl.
Video: Dietzenbach sucht seine Mitte, Wolf Lindner,
Frankfurt 2003.
25
Im Kleingartenleitplan Hessen, hrsg. v. Hessischen Landes-
amt für Regionalentwicklung und Landwirtschaft aus dem
Jahr 2000, wird der Bedarf an Kleingärten für einzelne
Kommunen dargelegt. Hier wird von einem Fehlbestand
von 984 Kleingärten in Dietzenbach ausgegangen.

Abb. 80. Lageplan


Abb. 82. Stelenentnahme Abb. 83. und Abb. 84. Absteckung der Grabelandparzellen

113
direktem Konflikt mit dem nach wie vor auf- wird über die geeignete Organisationsform der
rechterhaltenen Ziel der Stadt, die Fläche lang- Interessentinnen und Interessenten nachge-
fristig zu vermarkten. Es wurde den Bürgerinnen dacht. Vorbild für eine gelungene Umsetzung
und Bürgern keine Erlaubnis für das Errichten von Gärten durch Bürgerinnen und Bürger sind
von Zäunen, Hütten und einem Grillplatz gege- in diesem Zusammenhang die "Internationalen
ben, um langfristig die Vermarktungschancen Gärten Göttingen". 28
nicht zu mindern. Andererseits wollten die Inter- Der Erfolg temporärer Flächenbesetzung ist
essentinnen und Interessenten sich nicht auf demnach stark von der Art der Einzelnutzung
ein Provisorium einlassen. 26 Es war ihnen nicht abhängig. Als Flächen wurden sowohl auf eine
zu vermitteln, dass es nichts Dauerhafteres als mittelfristig nicht zu vermarktende städtische
Provisorien gibt. Nachrückende Interessierte Fläche (Fläche 20, Grabeland) als auch auf
wurden von der neu eingeführten Kaution von eine Fläche (Fläche 2, Hühnerhof) zugegriffen,
500 Euro abgeschreckt. die zeitnah bebaut werden wird. Es scheint ein
Trotz eines viel versprechenden Anfangs liegt Vorteil zu sein, wenn sich Beginn und Ende der
heute genau diese Fläche wieder brach, es ge- Besetzung klar benennen lassen, die Wieder-
lang nicht, einen für beide Seiten akzeptablen herstellung der Fläche geklärt ist und die Rah-
Modus der Zwischennutzung zu finden. Flexi- menbedingungen von den beteiligten AkteurIn-
bilität ist eben nicht nur auf Seite der Stadt ein- nen eindeutig entwickelt und formuliert werden
zufordern, sondern auch von den Nutzerinnen können.
und Nutzern zu erlernen, gerade wenn es um Es muss für eine erfolgreiche Umsetzung zu-
die Aufgabe von lieb gewonnenen Maximal- dem beides, die geeignete Fläche und die ge-
forderungen, wie in diesem Fall unbegrenzter eignete Organisationsform der Interessentinnen
Nutzungsdauer, Hüttenbau, hohe Zäune, geht. und Interessenten, gefunden oder entwickelt
Einzelpersonen, die sich mit großem Engage- werden.
ment für einen Aushandlungsprozess mit den
städtischen Interessen einsetzten, konnten sich
in dem gruppendominierten Prozess nicht durch-
setzen. Durch die Diskussionen über diese
Fläche kam es jedoch zu einer Thematisierung
der Entwicklungsmaßnahme. Letztlich entstand
eine intensive auch öffentlich geführte Diskus-
sion über die Notwendigkeit von mehr Gärten in
der Stadt, die bis in das Stadtparlament reich-
te. 27 Die Aktivitäten rund um die Fläche 20
haben letztlich den Blick auf Grundstücke ge-
lenkt, die sich langfristig für Gartennutzungen
anbieten wie Fläche 22, ein Grundstück, für
das ein rechtsgültiger Bebauungsplan für Klein-
gärten seit vierundzwanzig Jahren existiert,
diese aber für die Stadt aus finanziellen Grün-
den nicht mehr umsetzbar waren. Gleichzeitig
26
Vgl. im Gegensatz dazu "Internationale Gärten Göttingen",
www.internationale-gaerten.de.
27
Vgl. "Für mehr Gärten in der Stadt", in: Dietzenbacher
Stadtpost, 24.10.2002.
28
Internationale Gärten Göttingen, a.a.O.
114
4.4.2. Übernahme öffentlicher misst sie den Anknüpfungspunkt für ihre Ideen.
Aufgaben in Form von Gestaltung Die Kampagne "100 qm" hat vorübergehend
solch einen Anknüpfungspunkt geschaffen. In-
öffentlicher Flächen nerhalb der oben genannten Einzelprojekte wol-
len Bürgerinnen und Bürger Energie, Aktivität
Mehrere Dietzenbacher Bürgerinnen und Bürger und Geld für ihre Stadt investieren und Aufga-
brachten ihren Wunsch zum Ausdruck, kleine ben der Stadt übernehmen. Bei diesen rein für
öffentliche Gärten in der Stadt anzulegen und die Öffentlichkeit bestimmten Einzelprojekten
zu pflegen. Es wurde ein internationaler Garten, gibt es in der Umsetzung trotzdem unzählige
eine Kräuterspirale und ein Apothekergarten vor- Schwierigkeiten und Verzögerungen. Ein Magis-
geschlagen. tratsbeschluss ermöglichte die Gärten in einem
ersten Schritt auf Fläche 18, einem im Bebau-
ungsplan festgelegten, jedoch nur in Ansätzen
umgesetzten Park. Seitens der ExpertInnen in
der Verwaltung war einer der größten Vorbehalte,
dass es keinerlei Sicherheit gäbe, dass die Bür-
gerinnen und Bürger von ihnen angelegte Gär-
ten auch dauerhaft pflegen würden. Es entstand
die Angst, dass die Stadt langfristig die Gärten
pflegen und sichern müsste. Zusätzlich wurde
stets mit dem Hinweis auf die Gefahr von Van-
dalismus gegen die Gärten argumentiert. So
entstand eine für die Interessierten frustrierende
Situation, in der die Probleme für eine Umset-
zung immer größer wurden, bis letztendlich kei-
ner der Gärten realisiert wurde.
Eine ortsbekannte sehr aktive Familie hatte das
Projekt Abenteuerspielplatz mit klaren Vorstel-
lungen begonnen, die Kinder hatten sogar zwei
Modelle von dem Spielplatz gebaut und Zeich-
Abb. 85. eingereichte Darstellung der Kräuter- nungen angefertigt.
spirale Schnell entstanden dann im Herbst die ersten
zwei Indianertipis. Die Familie hatte in der
Eine Familie konzipierte einen Abenteuerspiel-
platz für Kinder in ihrem Quartier. Ein Geschäfts-
inhaber schlug einen gepflanzten Stadtplan Diet-
zenbachs vor, wollte aber selbst für die Umset-
zung und Pflege keine Verantwortung überneh-
men. Die Bürgerin, die eine Kräuterspirale pflan-
zen wollte, artikulierte den Hintergrund für ihr
Engagement am deutlichsten aus: Sie sei pen-
sioniert, aber tatkräftig und ideenreich, wie ihrer
Meinung nach unzählige weitere Dietzenbache-
rinnen und Dietzenbacher, und sie würde lie-
bend gerne für ihre Stadt Verantwortung über-
nehmen und selbst tätig werden. Allerdings ver- Abb. 86. Kinderzeichnung: Indianerspielplatz
115
Nachbarschaft um Unterstützung bei weiteren eine schlummernde Quelle für Stadtentwick-
Bauten geworben, diese allerdings nicht im ge- lungsdynamik innerhalb der Stadtgesellschaft er-
wünschten Umfang erhalten, so dass den Indi- schlossen werden, die gerade in von externen
anertipis keine weiteren Spielgeräte folgten. Entwicklungen so geprägten Städten wie Diet-
Zusammen mit den Themengärten gab es je- zenbach bisher zu wenig ernst genommen
doch an dieser Stelle die Möglichkeit, auf einer wurde.
in einer Nachbarschaft gelegenen öffentlichen,
im Bebauungsplan ebenfalls als Parkanlage

Abb. 87. Stelenentnahme für Indianertipi Abb. 88. Stelen zur Markierung der Spielfläche

festgelegten aber heute nur als Hundewiese ge-


nutzten Fläche ein erstes Beispiel dafür entste-
hen zu lassen, dass tatsächlich Aufgaben, die
von der Stadt nicht mehr geleistet werden kön-
nen, wie eben die geplante Umsetzung einer
öffentlichen Parkfläche, von den Bürgerinnen
und Bürgern geleistet werden können.
Beide Beispiele verdeutlichen auch, wie wichtig
es ist, dass innerhalb der Einzelprojekte relativ
schnell Strukturen entstehen, die das Projekt
über eine erste Begeisterung hinaus tragen kön-
nen. Allerdings hat es anhand der Indianerzelte
und des Spaliers aus Stelen auch deutlich ge-
macht, mit wie viel Phantasie selbst bei be-
schränkten finanziellen Mitteln das Umfeld an-
geeignet, genutzt und aufgewertet werden kann.
Generell stehen Verwaltung, Politik und Exper-
tInnen vor der Aufgabe, die "individualisierte
Gesellschaft" als Partnerin im Planungsprozess
und als Ressource für Umsetzungen zu akzep-
tieren. Damit geht natürlich eine gewisse Kon-
trolle und das Ausführungsmonopol der Stadt
im öffentlichen Raum verloren. Es kann aber
116
4.4.3. Veränderung und lage vorgesehen. 1979 wurde ein kleiner Teil
Umsetzung überambitionierter, des Bebauungsplanes in Form von achtund-
zwanzig Kleingärten umgesetzt. Die Gärten sind
nicht realisierter Planungen sehr großzügig geschnitten und erschlossen, für
jede Gartenparzelle besteht die Versorgung mit
Die Kampagne "100 qm" rief anhand dreier Pro- Wasser und Strom. Da die weitere Umsetzung
jektideen von Bürgerinnen und Bürgern eine des Bebauungsplanes, d.h. die Herstellung die-
Auseinandersetzung mit alten, nicht realisierten ser Anlage für die Stadt, nicht zu finanzieren
Planungen in der Verwaltung hervor. Die Bürge- war, liegt die restliche Fläche brach. Zudem
rinnen und Bürger schlugen vor, in Eigenarbeit wurde sie für den Bau der S-Bahn als Lager-
Kleingärten, einen Bolzplatz für Jugendliche und Arbeitsfläche vorgehalten. An weitere Gär-
und ein Festzelt zu realisieren. Im Folgenden ten war nicht zu denken. Erst im Rahmen des
sollen die drei Projektideen kurz vorgestellt wer- Projektes wurde die Sinnhaftigkeit der Vorhal-
den. tung überprüft. Bei Überprüfung des Flächen-
bedarfes für den S-Bahn-Bau wurde deutlich,
Kleingartenanlage dass schon ein kleiner Teil der Fläche ausrei-
Im Rahmen der Kampagne "100 qm" wurde an- chend Lagerfläche für Erdaushub darstellen
hand der Rückmeldungen aus der Bürgerschaft würde. Es wurde im Projektteam, Verwaltung
sehr schnell deutlich, dass es einen großen Be- und Politik begonnen, über Umsetzungsmög-
darf an Gärten in der Stadt gibt. Der hessische lichkeiten für die Gärten nachzudenken. In
Kleingartenleitplan unterstützt diese Beobach- mehreren alternativen Projektskizzen wurde eine
tung, indem dort für Dietzenbach 984 fehlende Gartenanlage dargestellt, die durch eine Verrin-
Kleingärten festgestellt werden. 29 Gärten tempo- gerung der Gartengröße und des Erschließungs-
rär anzulegen schien dem Projektteam nach luxus (gebündelte Wasserversorgung statt Was-
den Erfahrungen auf Fläche 20 zumindest pro- serversorgung für jede Parzelle, Verzicht auf
blematisch, weshalb für den Gartenmangel eine Strom) kostengünstig für bis zu 150 Gärten
längerfristige Lösung gesucht wurde. Durch die Raum schaffen könnte. Derzeit wird kontrovers
intensive Diskussion der leeren Flächen in Diet- diskutiert, wie man mit dieser Projektidee und
zenbach rückte die Fläche 22 in das Bewusst- dem bestehendem Bebauungsplan weiterarbei-
sein des Projektteams. Dort ist laut Flächennut- ten kann. Da sich die Umsetzung dieses Pro-
zungs- und Bebauungsplan eine Kleingartenan- jektes nicht mehr innerhalb des Projektzeit-
raumes verwirklichen lässt, erklärte sich der
Abb. 89. Projektskizze für die Anlage von Ausländerbeirat dazu bereit, die Umsetzung von
Gärten Gärten auf dieser Fläche weiter zu verfolgen
und den Kontakt zu den interessierten Bürgerin-
nen und Bürgern zu halten. Der Ausländerbeirat
wird diesen Herbst eine Anfrage zu den Gärten
auf dieser Fläche in den Magistrat einbringen.

Bolzplatz
Der Ausländerbeirat übernimmt neben den Gär-
ten auf Fläche 22 auch eine Vermittlerfunktion
für den türkisch-islamischen Kulturverein in
Dietzenbach. Der Kulturverein möchte für Ju-

29
Kleingartenleitplan Hessen, a.a.O.
117
gendliche einen Bolzplatz betreiben. Dieser soll park, die durch die ungelösten strukturellen Pro-
mit Fußballtoren, Basketballkörben und evtl. bleme entstanden sind. Hierfür bietet auch der
einer Tischtennisplatte ausgestattet werden. Für bestehende Bebauungsplan für ein Festzelt
den Verein von großer Bedeutung ist die Lage keine Lösungsansätze an. Bei Fragen der tech-
des Bolzplatzes in unmittelbarer Nähe zur nischen Infrastruktur scheint zudem die Grenze
Moschee, um den Jugendlichen einen mög- der finanziellen Belastbarkeit der Bürgerinnen
lichst unkomplizierten Übergang von Weiter- und Bürger rasch erreicht. 3 0
bildungsangeboten des Vereins zu sportlichen Diese zwei nicht realisierten Bebauungspläne
Aktivitäten zu ermöglichen. In der Nähe des (Bolzplatz und Festzelt sind innerhalb eines
Vereins befindet sich eine Sportfläche, deren Bebauungsplanes festgesetzt) sind Beispiele für
Gliederung schon durch einen Bebauungsplan überdimensioniert angelegte Planungen in der
festgelegt ist. Auch hier verfügt die Stadt nicht stark sozialdemokratisch geprägten Stadt Diet-
über die finanziellen Ressourcen, den Bebau- zenbach. Die Stadt war schon sehr bald nach
ungsplan alleine umzusetzen. Bisher wurde auf der ursprünglichen Planung bis heute nicht in
einen Investor von außen gehofft, der das Ge- der Lage, diese Bebauungspläne in Eigenregie
lände z.B. als Golfplatz entwickelt. Derzeit wer- umzusetzen, da unklar ist, wie die Kosten für
den in dieser Richtung Verhandlungen geführt. Erstellung, Unterhalt und Pflege getragen wer-
Der Kulturverein könnte hingegen sofort auf der den können. Gleichwohl gibt es einen großen,
Fläche aktiv werden. Er verfügt über die nötigen bekannten Bedarf an den festgesetzten Nut-
finanziellen und zeitlichen Ressourcen, ein sol- zungsmöglichkeiten. Die Kampagne "100 qm"
ches Vorhaben umzusetzen, und würde durch hat hier eine neue Dynamik erzeugt mit der ein-
ein solches Engagement enger in die städtische fachen Anregung und Erkenntnis, dass die Bür-
Wahrnehmung eingebunden. Die Auseinander- gerinnen und Bürger und interessierten Vereine
setzungen zwischen Ausländerbeirat, Verein, und Gruppierungen die Umsetzung gerne und
Verwaltung und Politik anhand dieses Projektes problemlos selbst bewerkstelligen können. Das
erzeugen einen Aushandlungsprozess zwischen stellt einen wichtigen Neubeginn für die Ent-
den Akteurinnen und Akteuren. Es geht um die wicklung dieser Grundstücke unter Einbezie-
Zugänglichkeit der Sportanlage, Förderung hung der finanziellen und zeitlichen Ressourcen
sportlicher Aktivitäten islamischer Frauen und von Bürgerinnen und Bürgern dar. Die Stadt
die Einbindung des Vereins in die Stadt. Auch sowie die ExpertInnen sind dabei nach wie vor
dieses Projekt ist innerhalb des Förderzeitraumes stark gefragt in ihrer Rolle als ManagerIn der
von "Stadt 2030" nicht umzusetzen, es hat viel- Abläufe und als PlanerIn für die geänderten
mehr einen Diskussionsprozess in Gang gesetzt, Rahmenbedingungen.
der mit offenem Ergebnis andauert.

Festzelt
Der von Bürgerinnen und Bürgern geäußerte
Wunsch nach einem Festzelt für große Familien-
feste erzeugte im Gegensatz zu den zwei ande-
ren Projekten keine andauernde Diskussion,
sondern wurde relativ schnell innerhalb der
Verwaltung abgeblockt. Zu groß erschienen hier
die infrastrukturellen Probleme wie Abfallentsor-
gung, Wasserver- und -entsorgung, Strom etc.
Verstärkt wurde diese Haltung durch negative 30
Diskussion im Rahmen des Verwaltungstreffens vom
Erfahrungen solcher Großfeste im Hessentags- 21.Mai 2003.
4.5 DIE SOZIALWISSENSCHAFTLICHE
PROJEKTBEGLEITUNG

118
Im Rahmen der sozialwissenschaftlichen Pro- 4.5.1 Inhaltsanalyse der Presse-
jektbegleitung wurde erstens überprüft, inwie- veröffentlichungen - öffentliche
weit sich die öffentlichen Aktivitäten des Pro-
jektteams (Stelenreihe, Kampagne 100 qm) in
Diskurse
der Medienöffentlichkeit und bei der Bevölke- Im Rahmen der Projektarbeit wurden unter-
rung verankern ließen und Widerhall fanden. schiedliche Strategien der Öffentlichkeitsarbeit
Wurden durch diese Diskurse ausgelöst und verfolgt. 31 Ein zentraler Baustein war die
wenn ja, worüber? Zur Beantwortung dieser Kooperation mit der lokalen Presse ("Frankfurter
Fragen diente in erster Linie eine Inhaltsanalyse Rundschau", "Offenbach Post", "Frankfurter
der lokalen Presse, aber auch die zwei im Fol- Neue Presse", "Frankfurter Allgemeine Zeitung",
genden erwähnten Befragungsreihen. Zweitens "Dreieichspiegel", "Dietzenbacher Stadtpost").
wurde die Bevölkerung Dietzenbachs in den Bei FR, FNP und FAZ handelt es sich um über-
verschiedenen Ortsteilen sozialstrukturell sowie regionale Zeitungen mit eigenem kurzen Lokal-
nach ihren Bildern über die Stadt untersucht. teil für den Landkreis Offenbach. "Dreieich-
Hierzu wurden in den verschiedenen Quartieren spiegel" und "Dietzenbacher Stadtpost" sind
Dietzenbachs 160 Personen befragt. Ziel war es lokale Anzeigenblätter, während die "Offenbach
nicht, räumliche und/oder soziale Fragmentie- Post" das eigentliche Lokalblatt darstellt, aller-
rung, Segmentierung oder Segregation nachzu- dings auch nur seitenweise aus Dietzenbach
weisen, da diese Begriffe nur dann sinnvoll für berichtet. Insofern ist zunächst anzumerken,
Analysen verwendbar sind, wenn man sie vor dass es sich in Dietzenbach um eine mengen-
einem Hintergrund von räumlicher bzw. sozialer mäßig begrenzte Medienlandschaft handelt.
Einheit verwenden kann. Sie implizieren ein Eine weitere Randbedingung stellt die geringe
Defizit an möglicher Integration. Solche Vorstel- Abonnentenzahl in der Dietzenbacher Bevölke-
lungen von Einheit bzw. Integration werden je- rung dar. So zählt die "Offenbach Post" ca.
doch der Dietzenbacher Situation nicht gerecht. 1.400 und die "Frankfurter Rundschau" ca. 400
Die auf Dietzenbacher Gemarkung Lebenden Abonnentinnen und Abonnenten. Die Zahl der
sind weder als eine soziale, politische noch anderen Zeitungen ist in ihrer Dimension ver-
räumlich integrierte Einheit anzusehen. Deshalb nachlässigbar. Das bedeutet, dass nur etwa ein
wurden die Ergebnisse dieser Untersuchung als Fünftel der Dietzenbacher Haushalte über ein
Differenzierungen innerhalb der Bevölkerung Abonnement einer Tageszeitung verfügt. Dies ist
und als potenzieller Reichtum interpretiert. bei der Betrachtung der Presseöffentlichkeit und
Drittens wurde analysiert, welche sozialen deren Reichweite sicherlich zu bedenken. Wie
Charakteristiken diejenige Gruppe hat, die sich an anderer Stelle erwähnt, ist dies auch ein
zur Teilnahme am Projekt entschloss. Deshalb Merkmal der jungen Stadt Dietzenbach und der
wurde eine telefonische Befragung bei 124 an daraus resultierenden Struktur der lokalen
der Kampagne 100 qm Dietzenbach beteiligten Öffentlichkeit, die kaum als Einheit zu fassen
Personen durchgeführt. ist.
Im Rahmen der Inhaltsanalyse wurden fünfund-
vierzig Presseartikel aus dem Zeitraum von
August 2002 bis April 2003 untersucht. In der
quantitativen Dimension umfassen diese Artikel
eine Bandbreite von kurzen Notizen bis hin zu

31
Die vollständige Übersicht über Verteilungen und relevante
Beziehungen finden sich im Tabellenteil im Anhang des
Berichts.
119
fast halbseitigen Artikeln. Insgesamt ist anzu- der Bewohnerinnen und Bewohner. Diese "prag-
merken, dass zumindest im Jahr 2002 und matische Lawine" fand in zweierlei Hinsicht Be-
gegen Ende des Projekts in 2003 umfänglich achtung. Einerseits wurde durch das Bilden an-
berichtet wurde. Die Anzahl von fünfundvierzig gemessener Kategorien versucht, den Stellen-
Pressemeldungen in einem Zeitraum von sieben wert dieses Pragmatismus zu messen. Anderer-
Monaten läßt Rückschlüsse darauf zu, dass das seits wurde versucht, den Effekt auf das ur-
Projekt von öffentlichem Interesse gewesen ist. sprünglich formulierte Projektziel, der diskursi-
Ausgewertet wurden die Artikel, um öffentliche ven Bezugnahme auf die Stadt, darzustellen.
Bewertungen, Beschreibungen und auch initi-
ierte Diskurse des Projektes zu messen. Es soll- 4.5.1.1 Initiierung von Diskursen
te nachvollzogen werden, ob die Zielsetzung, Zielsetzung des Forschungsprojektes war es,
die Stadt als Gesamtheit in die Betrachtung der über das Instrument der Stelenreihe Diskurse zu
Bewohnerinnen und Bewohner zu rücken, mit- initiieren. Im Rahmen der vorliegenden Auswer-
tels des Instrumentariums als gelungen zu be- tung wurde versucht, entsprechende Kategorien
zeichnen ist. zu definieren und zu überprüfen, inwiefern eine
Grundlage zur Bildung der Kategorien waren Verknüpfung von Projekt und Diskursentwick-
unterschiedliche Dimensionen. 32 lung in der Presseöffentlichkeit einen Nieder-
• In seiner Ursprungsformulierung gingen so- schlag fand. Die Verteilung der Kategorie "Stadt-
wohl der Dachantrag des Projekts und noch viel entwicklung" in der Auswertung gibt hierüber
mehr der Antrag des Projektpartners Universität erste Aufschlüsse:
Frankfurt davon aus, dass mittels des Projekts
Diskurse zu erzeugen seien, die die festgestellte
Tab. 9. Nennungen von Begriffen der Kategorie
Fragmentierung als Fakt und mögliche Norma-
Stadtentwicklung in Presseartikeln
lität anzuerkennen hätten. Andererseits sollte
versucht werden, über die Diskurse einen ge- Häufigkeit 0 1 2 3 6 Gesamt
meinsamen Bezugsrahmen hinsichtlich des Ge-
samtgebildes Dietzenbach herzustellen. Dieser Nennungen 18 12 10 4 1 45
Absicht wurde in der vorliegenden Auswertung
Rechnung getragen. Schon auf den ersten Blick wird deutlich, dass
• "Öffentliche Reduzierungen" des Projekts wur- die Verknüpfung des Themas Stadtentwicklung
den erwartet. Diese waren vor allem an den mit dem Projekt nur begrenzt gelungen ist. In
Themen "Kunst" und "Geldverschwendung" fest- etwa 40 % der Veröffentlichungen tauchen Be-
stellbar. Die etwaige Dominanz und die damit griffe aus der Kategorie Stadtentwicklung nicht
aus Projektsicht Blockade des eigentlichen An- auf. Dies wird deutlicher, betrachtet man die
liegens wurde in den Auswertungskategorien Verteilung auf unterschiedliche Zeiträume mit
berücksichtigt. differenzierten Aktivitäten des Projektteams in
• Im Projektverlauf wurde recht schnell ein der Öffentlichkeit. Die folgende Übersicht (Tab.
neuer Diskursstrang eröffnet, der sich auf kon- 10.) verdeutlicht, dass es zu einer Konzentration
krete Nutzungen bezog. Insbesondere das The-
32
ma Garten/Grabeland wurde schnell zu einem Insgesamt wurden 29 Kategorien gebildet, die unter-
dominierenden Thema. Das Anliegen, einen ge- schiedliche Facetten des Projekts und seiner öffentlichen
Diskussion beleuchten sollten. Diesen Kategorien wurden
meinsamen diskursiven Bezugsrahmen herzu- wiederum unterschiedliche Begriffe zugeordnet, die diese
stellen, wurde dadurch stark in den Hintergrund Kategorien mindestens in Teilen ausfüllen sollten. Zur Aus-
gedrängt. Das Projekt bewegte sich sozusagen wertung wurden dann die Begriffe in den Artikeln ausge-
zählt. Die Kategorien wurden als normativ gerichtete Kate-
im Bestand Dietzenbachs und entlang der all- gorien von Aussagezusammenhängen gebildet, was in der
täglichen Wünsche und Bedürfnisse eines Teils Auswertung verdeutlicht und betont wird.
120
der Begriffe aus der Kategorie Stadtentwicklung fungspunkte bietet. Wie die Übersicht zeigt, ist
in den ersten drei Monaten kommt. genau das Gegenteil der Fall. In mehr als 50 %
der Artikel tauchen Begriffe aus dieser Kategorie
überhaupt nicht auf:
Tab. 10. Stadtentwicklung als Nennung im
Zeitverlauf
Tab. 11. Nennungen der Kategorie Gedanken,
Nennung 0 1 2 3 6 Gesamt
Diskurse in Presseartikeln
08.02 0 2 3 1 0 6
09.02 6 5 1 0 0 12 Häufigkeit 0 1 2 3 Gesamt
10.02 3 1 4 2 1 11
11.02 4 1 1 0 0 6 Nennungen 24 13 6 2 45
12.02 3 0 0 0 0 3
01.03 0 0 1 0 0 1 Zudem beschränkt sich die maximale Häufigkeit
02.03 1 1 0 0 0 2 auf drei Begriffe je Veröffentlichung. Deutlich
03.03 0 1 0 0 0 1 wird im Vergleich zur Kategorie "Stadtentwick-
04.03 1 1 0 1 0 3 lung", dass die fachlichen Begriffe des Projekt-
teams erstens überhaupt öffentlich benutzt und
Gesamt 18 12 10 4 1 45 auch aufgegriffen werden, während die lebens-
weltlichen Begriffe der diskursiv zu Infizierenden
Es sind dies die Monate, in denen seitens des entweder überhaupt nicht auftauchen oder aber
Projektteams begleitende Veranstaltungen (Richt- uninteressant für die Presseöffentlichkeit sind,
fest, Vernissage, erste Flächenvergaben) statt- wobei ersteres zu vermuten ist. Als Schluss
fanden. Diese waren immer mit inhaltlichem ließe sich daraus ziehen, und das bestätigt den
Input seitens des Projektteams versehen. Man Schluss aus der Auswertung der Kategorie
kann den Schluß ziehen, dass man in den Pres- "Stadtentwicklung", dass diskursive Momente
severöffentlichungen die Begriffe des Teams wie- kaum hergestellt werden konnten.
derfindet. In späteren Zeiträumen verschwindet Eine weitere Kategorie, die in diesem Zusam-
die Kategorie Stadtentwicklung fast völlig aus menhang zu nennen ist, ist die der "Eigeninitia-
der Öffentlichkeit. Offensichtlich ist es nicht ge- tive". Diese besteht aus Begriffen, die mit dem
lungen, das Projekt mit dem Thema Stadtent- selbständigen und eigenverantwortlichen Gestal-
wicklung zu verbinden und einen sich selbst ten von Stadt zu tun haben, ohne dass ein kon-
stabilisierenden und befeuernden Diskurs in der kretes Projekt benannt wird. Nennungen aus
Öffentlichkeit zu initiieren. diesem Bereich sind verschwindend gering, wie
Ähnliches gilt für Begriffe aus der Kategorie "Ge- folgende Übersicht zeigt:
danken, Diskurse". Hier wurden eher abstrakt
gehaltene Begriffe kategorisiert, die sich mit
Tab. 12. Nennung der Kategorie Eigeninitiative
dem Gedankenmachen über die Stadt, dem Ge-
spräch über die Stadt und über Bilder von der Häufigkeit 0 1 2 4 Gesamt
Stadt befassen. Eigentlich ist naheliegend, dass
eine solche offene Kategorie, die nicht so stark Nennungen 33 6 5 1 45
an Begriffen aus dem Planungsbereich hängt,
stärker besetzt sein sollte als die Kategorie Das Moment der Eigenintiative, des Engage-
"Stadtentwicklung". Zumindest dann, wenn es ments, bezogen auf die Gesamtstadt Dietzen-
in der Öffentlichkeit Diskurse geben sollte, denn bach, ist in der öffentlichen Diskussion nur rudi-
es handelt sich um eine abstrakte, lebenswelt- mentär vorhanden.
lich orientierte Kategorie, die reichlich Anknüp-
121
4.5.1.2 Diskussion über Nutzungen bei um die ganz konkrete Aneignung, die durch
Auch wenn es wie gezeigt nicht gelang, Dis- das Projekt und den Diskussionsverlauf initiiert
kurse zu initiieren, so hat das Dietzenbacher
Projekt doch für rege Öffentlichkeit gesorgt. Wie
Tab. 14. Boden als Nennung im Projektzeit-
der folgende Abschnitt zeigt, verschob sich der
raum
Projektverlauf von der recht abstrakten Idee,
Bewohnerinnen und Bewohner für die Entwick- Nennung 0 1 2 3 4 5 Gesamt
lung begeistern zu können, recht schnell zu 08.02 0 2 1 1 2 0 6
sehr konkreten Nutzungsvorstellungen. Wie in 09.02 1 5 4 0 1 1 12
der Auswertung der begleitenden Befragungen 10.02 4 1 4 2 0 0 11
dargestellt, wurde das Thema "Boden" sehr 11.02 1 3 1 0 0 1 6
schnell von einem Teil der Dietzenbacherinnen 12.02 1 0 1 0 0 1 3
und Dietzenbacher auf Nutzung reduziert. 01.03 0 0 1 0 0 0 1
Boden als abstrakter Gegenstand wurde durch 02.03 1 1 0 0 0 0 2
sehr konkrete Aneignungsvorstellungen und 03.03 0 0 1 0 0 0 1
Interessenartikulation ersetzt. Auch wenn dies 04.03 0 0 3 0 0 0 3
zu Beginn des Projekts nicht in dieser Form ge-
plant war, so entwickelte sich ein spannender Gesamt 8 12 16 3 3 3 45
Prozess ungewöhnlicher Partizipation, wie auch
die Presseveröffentlichungen aufzeigen: wurde. Diese Diskussion scheint alle denkbaren
Diskursstränge zu den Themen "Stadt", "Stadt-
entwicklung" und "Gedanken" überlagert zu
Tab. 13. Nennungen der Kategorie Boden
haben.
Häufigkeit 0 1 2 3 4 5 Gesamt Deutlicher wird dies an der zugespitzten Dis-
kussion über Gartennutzungen. Wünsche einer
Nennungen 8 12 16 3 3 3 45 Gartennutzung tauchten wie aus dem Nichts
massenhaft auf und wurden ebenso jäh, poli-
Bei diesen Nennungen handelt es sich um Nen- tisch motiviert, gestoppt. Nach wie vor, betrach-
nungen des Themas "Boden", die aus Begriffen tet man die Artikel zum Projektende hin, ist
wie Claim und Parzelle bestehen. Begriffe also, Gartennutzung eines von zwei dominierenden
die aneignungsbezogen sind, ohne in die Kon- Identifikationsmomenten mit dem Projekt:
kretion der je spezifischen Nutzung zu gehen.
Die Häufigkeit ist im Vergleich mit den Häufig-
Tab. 15. Nennungen der Kategorie
keiten der im vorherigen Kapitel dargestellten
Gartennutzung
eher abstrakten Kategorien sehr hoch. In mehr
als 80 % aller Artikel taucht diese Thematisie- Häufigkeit 0 1 2 3 4 6 7 9 Gesamt
rung auf. Zwar findet man auch hier die zeitli-
che Konzentration auf den Beginn des Projekts Nennungen 22 9 2 5 3 1 1 2 45
mit zahlreichen Events, doch im Gegensatz zu
den Kategorien "Stadtentwicklung" und "Gedan- Der zeitliche Verlauf zu diesem Thema ist inter-
ken, Diskurse" ziehen sich die Nennungen essant. So ist zu Beginn von Garten oder Gra-
durch den gesamten Projektzeitraum (siehe beland überhaupt nicht die Rede, während im
Tab. 14.) September, Oktober und November 2002 das
Das Thema Boden lässt sich in einem konkre- Thema förmlich explodiert, um dann nach der
ten, nutzenorientierten Sinne also als dominie- politischen Intervention fast völlig zu verschwin-
rendes inhaltliches Thema fassen. Es geht hier- den. In der öffentlichen Reflexion zum Ende des
122
Projekts hingegen ist das Thema wieder prä- te sich die Diktion der Beschreibung, bis schließ-
sent. lich im Jahr 2003 überhaupt keine Nennung
des Themas "Kunst" mehr erfolgte.
Zugleich muß festgehalten werden, dass die
Tab. 16. Garten/Grabeland als Nennung im
Thematisierung "Kunst" das Projekt in deutlich
Projektzeitraum
positivem Sinne beförderte. Eine nahe liegende
Nennung 0 1 2 3 4 6 7 9 Gesamt Vermutung ist, dass die ursprüngliche Absicht,
08.02 6 0 0 0 0 0 0 0 6 Diskurse zu initiieren, bei einem Teil der Diet-
09.02 7 4 0 0 1 0 0 0 12 zenbacher Bevölkerung sicher einfacher über
10.02 1 3 1 2 1 1 1 1 11 die forcierte Thematisierung mittels der Kate-
11.02 3 1 0 0 1 0 0 1 6 gorie "Kunst" möglich gewesen wäre. Allerdings
12.02 2 0 0 1 0 0 0 0 3 ist ebenso anzunehmen, dass mittels einer sol-
01.03 1 0 0 0 0 0 0 0 1 chen Herangehensweise die "klassische Mittel-
02.03 1 0 1 0 0 0 0 0 2 schichtsklientel" erreicht worden wäre und das
03.03 0 0 0 1 0 0 0 0 1 Ergebnis damit in dieser Hinsicht nicht den
04.03 1 1 0 1 0 0 0 0 3 Anforderungen der besonderen räumlichen und
Sozialstruktur Dietzenbachs entsprochen hätte.
Gesamt 22 9 2 5 3 1 1 2 45 Ähnliches gilt für die Kategorie "Provokation".
Diese wurde anfangs durch das Projektteam in
die Öffentlichkeit geschoben und findet sich
analog zum Strang "Kunst" über den Zeitraum
4.5.1.3 Reflexe: Geldverschwendung, verteilt. Auch hier war es der Fall, dass diese
Provokation und Kunst Begrifflichkeit durch die Presse aufgegriffen
Drei weitere Stränge lassen sich im Verlauf des wurde und mit den konkreten Nutzungsan-
Projekts finden, die zeitweise strukturierenden sprüchen verschwand.
Einfluss auf die Diskussion hatten. Es sind dies
Tab. 17. Kunst als Nennung im
die Thematisierungen "Kunst", "Provokation" und
Projektzeitraum
"Geldverschwendung". Insbesondere hinsichtlich
der Fragestellung der Übertragbarkeit einer He- Nennung 0 1 2 3 6 Gesamt
rangehensweise wie im Dietzenbacher Projekt 08.02 0 3 1 1 1 6
sind diese Thematisierungen sicherlich nicht 09.02 7 2 3 0 0 12
singulär, sondern an anderen Orten wiederkeh- 10.02 11 0 0 0 0 11
rend - somit auch kalkulierbar - und zudem 11.02 5 0 1 0 0 6
Öffentlichkeit verstärkend, also durchaus instru- 12.02 2 1 0 0 0 3
mentell einsetzbar. 01.03 1 0 0 0 0 1
In der Sprache des Projektteams tauchte die 02.03 2 0 0 0 0 2
Begrifflichkeit "Kunst", bezogen auf die Stelen- 03.03 1 0 0 0 0 1
reihe, überhaupt nicht auf. Die Kategorie "Kunst" 04.03 3 0 0 0 0 3
wurde bei Eröffnung der Stelenreihe öffentlich
seitens der Politik eingeführt, wohl um das Gesamt 32 6 5 1 1 45
etwas unübliche Projekt zu legitimieren.
Interessant ist die Reaktion in der Presseöffent-
lichkeit, die das Thema "Kunst" im Sinne einer Eine wesentliche Kategorie, die als Reflex auf
spektakulären Aktion, eines Events deutlich in die anfangs erhebliche Öffentlichkeit zu verste-
die Öffentlichkeit brachte. Mit dem konkreten hen ist, ist die der "Geldverschwendung". Inhalt-
Zugang von Nutzerinnen und Nutzern veränder- lich oft auf die Begriffe "Kunst" und "Provokation"
123

Abb. 90. Presseartikel:


Dreieichspiegel
28.09.2002
124
Abb. 91. Pressebild
Abb. 92. Presseartikel:
Dreieichspiegel
14.12.02

Abb. 93. Presseartikel:


Frankfurter Rundschau
17.08.02
125
bezogen, unterstützte diese Thematisierung die ten. Ebenso die verspielten Momente, die sich
Verankerung in der Öffentlichkeit. Vermeidbar ist in Form des Verbauens des Holzes nach Ab-
eine solche Thematisierung bei Projekten dieser schluss des Projektes im Dietzenbacher Stadt-
Art wohl kaum. Mit der Konkretion von Nut- bild wiederfanden. Insofern erfüllte die Stelen-
zungsansprüchen verschwand dieses Thema
Tab. 19. Nennungen der Kategorie Stele
ebenfalls fast gänzlich.
Häufigkeit 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 Gesamt
Tab. 18. Geldverschwendung als Nennung im
Projektzeitraum
Nennungen 3 10 5 8 9 4 1 1 2 2 45
Nennung 0 1 2 3 4 Gesamt
08.02 4 2 0 0 0 6
09.02 7 4 1 0 0 12 reihe ihre Funktion als ästhetisches Instrument
10.02 8 0 1 0 2 11 vorzüglich durch die Breite der Anknüpfungs-
11.02 6 0 0 0 0 6 möglichkeiten. Ein Blick auf den Verlauf ver-
12.02 2 0 1 0 0 3 deutlicht dies:
01.03 0 1 0 0 0 1
Tab. 20. Stele als Nennung über Projektverlauf
02.03 1 0 0 1 0 2
03.03 1 0 0 0 0 1 Nennung 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 Gesamt
04.03 3 0 0 0 0 3 08.02 0 0 1 2 2 1 0 0 0 0 6
09.02 2 2 1 2 3 2 0 0 0 0 12
Gesamt 32 7 3 1 2 45 10.02 0 3 2 0 4 0 1 0 1 0 11
11.02 0 4 0 2 0 0 0 0 0 0 6
12.02 0 0 1 0 0 1 0 0 1 0 3
01.03 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1
02.03 0 1 0 1 0 0 0 0 0 0 2
4.5.1.4. Zentrale Dimension: Das Stelen- 03.03 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 1
projekt 04.03 0 0 0 1 0 0 0 1 0 2 3
Über all diese Thematisierungen hinaus domi-
nierte in der Presseöffentlichkeit ein Thema. Gesamt 3 10 5 8 9 4 1 1 2 2 45
Lassen sich im Projektzeitraum vielfältige
Schwankungen in den dominierenden Thema-
tisierungen feststellen, so zog sich eine Kategorie Die Stelenreihe wurde mit zahlreichen "Kose-
durch den gesamten Zeitraum. Das eigentliche namen" versehen, wie etwa "Riesenmikado",
Medium und Instrument des Projekts, die ästhe- "Stelenzauber" oder "Dietzenbach im Stelen-
tische Setzung in Form der Stelenreihe, war und taumel", was die Intensität der Wahrnehmung
ist das dominierende Identifikationsmerkmal mit zusätzlich verdeutlicht. Dies unterstreicht die
dem Projekt Dietzenbach 2030. Dies gilt zu- Möglichkeit und die Reichweite eines solchen
nächst für die Zahl der absoluten Nennungen Projektzugangs.
(siehe Tab.19.).
Die Gründe lagen wohl in den zahlreichen
Anknüpfungspunkten, die die Stelenreihe bot.
Sowohl Themenschwankungen von "Kunst" und
"Provokation" hin zu "Nutzungsorientierung" lie-
ßen sich mit dem Bild der Stelenreihe verknüp-
fen, wie auch kritische Stimmen, die die Geld-
verschwendung am verbauten Holz festmach-
126
4.5.2 Facetten der Differenz und baulich wie sozial heterogenen Struktur, wie
des Reichtums - die Befragung der dies in Dietzenbach der Fall ist, mit stark diffe-
rierenden Einschätzungen der Stadt zu rechnen
Stadtbevölkerung ist, diese jedoch unterschiedlich stark in die
städtische Öffentlichkeit kommuniziert werden.
Im Rahmen des Projektes fand eine Befragung Eben diese differenzierten Einschätzungen auf-
im Stadtraum statt, die die fragmentierte soziale zuspüren, sie sichtbar zu machen und im Sinne
Struktur belegen sollte und diesbezüglich meh- des Projektanliegens der "Ressourcenentwick-
rere Zielsetzungen verfolgte. So wurde einerseits lung" aufzugreifen, war ein zentrales Merkmal
versucht, mittels der Befragung Vorstellungen, der Befragtenauswahl.
Bilder und Wahrnehmungen der Stadt seitens Zudem wurde versucht, in der Stichprobe die
der Bevölkerung zu erheben. Ferner ging es da- Altersstruktur der Stadt zu repräsentieren, was
rum, Nutzungsansprüche an den Stadtraum der auch wesentlich gelungen ist. Die zu Grunde
unterschiedlichen Teile der Stadtbevölkerung in liegende Annahme bestand darin, dass in einer
den Blick zu nehmen. Letztlich wurde mittels dynamisch gewachsenen Stadt das Alter einen
der Befragung auch der Versuch unternommen, wesentlichen Faktor der Wohndauer darstellt.
die Reichweite des Projekts 2030 in die städti- Mit der Wohndauer wiederum lassen sich klas-
sche Öffentlichkeit hinein abzuschätzen und sischerweise Indikatoren der Integration in die
somit zu einer Einschätzung der Tragweite der Struktur einer Stadt (etwa: politische Teilhabe,
gewählten Strategie zu gelangen. Vereinsmitgliedschaften, ehrenamtliches Enga-
gement) verbinden. Über die Schichtung nach
4.5.2.1 Methodische Anmerkungen dem Alter wurde in der Tat die im Sozialstruktur-
Die Befragung fand in den Monaten Januar bis atlas des Landkreises beschriebene Wohndauer
März 2003 statt und wurde an unterschied- in Dietzenbach abgebildet.
lichen Orten in den Quartieren Dietzenbachs Kritisch ist bei der Betrachtung der Befragten-
durchgeführt. Befragt wurden 160 Personen. auswahl anzumerken, dass die Geschlechter-
Aufgrund von Mängeln in einigen Fragebögen relation mit anteilig 41 % Frauen und 59 %
gingen jedoch lediglich 149 Fragebögen in die Männern nicht abgebildet wurde, was der stär-
Auswertung ein. keren Präsenz und Ansprechbarkeit von Män-
Die Befragung war nicht im klassischen Sinne nern im öffentlichen Raum geschuldet ist. Die
einer Zufallsstichprobe angelegt. Vielmehr wurde Interviews fanden in öffentlichen Räumen der
sie inhaltlich begründet geschichtet. Einerseits einzelnen Quartiere statt.
wurde versucht, der in Kapitel 2.2.2 vorgenom-
men Gebietstypisierung (traditionelle Quartiere, 4.5.2.2 Quartierstypische Differenzen
"Neue Mitte", Spessartviertel) Rechnung zu tra- Ein Ziel der Befragung war es, die Quartiers-
gen, da von der Hypothese ausgegangen wurde, struktur Dietzenbachs abzubilden. Dies gelang
dass sich die Bevölkerung dieser unterschied- in etwa (siehe Tab. 21.).
lichen Quartierstypen hinsichtlich ihrer Nut- Wie oben angedeutet, war ein zentrales Ziel der
zungsinteressen an der Stadt wie auch ihrer Befragung, die Wohndauer der befragten
Bilder von der Stadt differenzieren läßt. Bevölkerung zu messen. Diese stellt sich in der
Entsprechend wurden die Anteile der Quartiere Auswertung wie folgt dar (siehe Tab. 22.).
an der Gesamtbevölkerung gewichtet. Die Ent- Als erstes Ergebnis läßt sich festhalten, dass
scheidung, die Befragung in diesem Sinne zu knapp 50 % aller Befragten weniger als zehn
strukturieren, trägt mit der oben genannten Jahre in Dietzenbach leben, was den Vergleichs-
Hypothese dem zentralen Anliegen des Projekt- zahlen des Sozialberichts des Landkreises Offen-
antrags Rechnung, dass bei Vorliegen einer bachs entspricht. 33 Setzt man diese Zahlen in
127
Relation zu den in Kapitel 2.2.2.2 definierten
Tab. 21. Prozentualer Anteil Befragte und
Gebietstypen (traditionelle Quartiere, "Neue
Stadtbevölkerung*
Mitte", Spessartviertel), so ergibt sich folgendes
Bild (siehe Tab. 23.). Traditionelle "Neue Spessart
Deutlich zeigen sich die Verteilungsunterschiede. Quartiere Mitte" -viertel
Während erwartungsgemäß die Verweildauer in
den traditionellen Quartieren am höchsten ist, Anteil Stadt-
unterscheiden sich Spessartviertel und "Neue bevölkerung 6 3,3 % 1 1,7 % 25 %
Mitte" deutlich. Bei beiden handelt es sich um
Quartiere, die während der vergangenen fünf- Anteil in der
undzwanzig Jahre entstanden sind. Das Spes- Befragung 6 7,7 % 1 3,4 % 18,9 %
sartviertel ist, zumindest im östlichen Teil, das * laut Sozialbericht 99 / 00
deutlich ältere Quartier und gleichwohl ist die
Verweildauer hier niedriger. Das Spessartviertel Tab. 22. Wohndauer in Jahren in Prozent
scheint für viele Bewohnerinnen und Bewohner
eher eine Durchgangsstation zu sein, während < 1 Jahr 1-5 Jahre 5-10 Jahre > 10 Jahre
der Bereich "Neue Mitte", der durch Eigentums-
wohnungsbau geprägt ist, sich als ein dauerhaf- 12,1 % 2 0,8 % 1 3,4 % 53,7 %
ter Siedlungsbereich zu entwickeln scheint.
Nimmt man die Ergebnisse der Frage "Sind Sie
Tab. 23. Wohndauer in Jahren in Prozent
in Dietzenbach geboren?" hinzu, so verstärkt
innerhalb der Quartierstypen
sich zunächst das Bild der schnell gewachsenen
Stadt, die fast einer Stadtneugründung gleich- Traditionelle "Neue Spessart
kommt. Lediglich 10,1 % bejahen diese Frage, Quartiere Mitte" -viertel
bei knapp 90 % der Befragten handelt es sich
um Zugezogene. Interessant ist auch hier der < 1 Jahr 8 % 20 % 25 %
Blick auf quartiersspezifische Verteilungen 1-5 Jahre 18 % 20 % 37,5 %
(siehe Tab. 24.). 5-10 Jahre 15 % 15 % 8,3 %
Deutlich wird, dass die Verteilung zwischen den > 10 Jahre 59 % 45 % 29,2 %
traditionellen Quartieren und der "Neuen Mitte"
annähernd gleich ist, also auch gebürtige Diet-
zenbacherinnen und Dietzenbacher die "Neue
Tab. 24. Gebürtig in Dietzenbach in Prozent
Mitte" als Wohnquartier in Anspruch nehmen
nach Quartierstypen
Auffällig ist hingegen, dass keine befragte Person
aus dem Spessartviertel in Dietzenbach geboren Traditionelle "Neue Spessart
ist. Quartiere Mitte" -viertel
Untersucht man ferner die Herkunft der Befra-
gten, so zeigen sich weitere Unterschiede (siehe Geboren in
Tab. 25.). Dietzenbach 1 2,4 % 10 % 0 %
Deutlich wird an diesen Zahlen einerseits die
Konzentration der Bevölkerung mit Migrations- Nicht
hintergrund im Spessartviertel, andererseits der geboren in 8 7,6 % 90 % 100 %
stark unterdurchschnittliche Anteil am Gesamt- Dietzenbach
anteil nicht-deutscher Bevölkerung im Eigen-
tumsgebiet "Neue Mitte". Der Anteil für die
Gesamtstadt liegt bei 28,7 % nicht-deutscher 33
Vgl. hierzu auch Kapitel 2.2.2.
128
mit Studienabschluss im Spessartviertel am
Tab. 25. Nationalität der Befragten nach
höchsten.
Quartierstypen
Traditionelle "Neue Spessart 4.5.2.3 Bewegungsräume in der Stadt
Quartiere Mitte" -viertel Die Betrachtung der quartiersspezifisch genutz-
ten Bewegungsräume in der Stadt stützt das
Deutschland 7 9,8 % 90 % 50 % Bild der unzusammenhängenden Stadtinseln.
Am höchsten frequentiert sind dabei die Quar-
Anderer tiere mit Zentrenfunktion, also Altstadt und
Staat 20,2% 10 % 50 % "Neue Mitte". So bewegen sich 57,7 % aller
Befragten häufig in der Altstadt und 71,8 % im
Bevölkerung. Bezogen auf Bevölkerungsanteile Bereich "Neue Mitte". Neben diesen zentralen
mit Migrationshintergrund ist also eine deutliche Quartieren finden sich nennenswerte Bewegun-
Spreizung der Verteilung zwischen den Quar- gen lediglich zwischen den Quartieren Steinberg
tieren festzustellen. und Altstadt. Eine kleinere Zahl Nennnungen
Ähnlich signifikante Verteilungen lassen sich für verteilten sich von unterschiedlichen Quartieren
die Bereiche Schul- und Berufsausbildung fest- auf den Bereich Wingertsberg, dies immer im
stellen. So verfügen in den Quartieren "Neue Zusammenhang mit Freizeitbewegungen.
Mitte" und traditioneller Bereich jeweils etwa Ansonsten finden sich kaum Anhaltspunkte da-
70 % der Befragten über eine Berufsausbildung, für, dass Quartiersbewohner und -bewohnerin-
während sich das Verhältnis im Spessartviertel nen in anderen Quartieren häufiger unterwegs
fast umkehrt - hier verfügen lediglich 35,8 % wären. So bewegt sich keine/r der Befragten
der Befragten über eine Berufsausbildung. aus dem Bereich der Altstadt im Spessartviertel,
Aber auch die Betrachtung der Schulabschlüsse obwohl beide Quartiere unmittelbar nebenein-
eröffnet interessante Eindrücke (siehe Tab. 26.). ander liegen.
Für die Befragungsreihe lässt sich für einige
Stadtteile ein Beziehungsparameter berechnen.
Tab. 26. Schulabschlüsse nach Quartierstypen
Diesen erhält man, indem man die Häufigkeit
Traditionelle "Neue Spessart des Besuchs quartiersfremder Personen in Rela-
Quartiere Mitte" -viertel tion zur Gesamtmenge der quartiersfremden
Personen in der Befragung setzt. Durch die Mul-
K. Abschluss 6,8 % 0,0 % 16,7 % tiplikation mit dem Kehrwert des Quartiersanteils
Hauptschule 2 9,8 % 5,0 % 33,3 % der Befragung an der Gesamtbefragung erhält
Realschule 2 8,8 % 55,0 % 20,8 % man einen standardisierten Wert. Bei Erhalten
Abitur 2 1,2 % 25,0 % 12,5 % des Werts 1 wäre der Stadtteil innerhalb der
Studium 1 4,3 % 15,0 % 16,7 % Befragung durchschnittlich häufig als Ort von
Quartiersfremden aufgesucht. Ist der Wert klei-
Zunächst ist auffällig, dass der Anteil der Befrag- ner 1, so wird er unterdurchschnittlich häufig
ten ohne Abschluss oder mit Hauptschulab- von Quartiersfremden aufgesucht. Entsprechend
schluss im Spessartviertel bei exakt 50 % liegt. umgekehrt verhält es sich bei einem Wert grö-
Im zweiten Zuwandererquartier, der "Neuen ßer 1, der Ort wird relativ häufiger aufgesucht.
Mitte", liegen diese Merkmalsausprägungen bei Seriöserweise lässt sich ein solcher Wert nur bei
lediglich 5 %. Auffällig ist auch die relative Nor- einer Mindestanzahl von Befragten berechnen,
malverteilung der Bewohnerinnen und Bewoh- der für einzelne Stadtteile gegeben ist und fol-
ner der traditionellen Quartiere. gendes Bild vermittelt (siehe Tab. 27.).
Auf der anderen Seite ist der Anteil der Personen Deutlich wird an dieser Maßzahl die Zentralität
129
aus dem Bereich der "Neuen Mitte" aus. Sie
Tab. 27. Beziehungsparameter ausgewählter
sind auf öffentliche Räume orientiert (häufigste
Dietzenbacher Quartiere
Nennungen sind hier Theatervorstellungen im
Steinberg 1,04 Bürgerhaus, Kino, Besuch von Stadtfesten etc.)
Altstadt 1,40 oder nutzen eine wesentliche Ressource der
"Neue Mitte" 4,35 Stadt, die Lage im Grünen (siehe Tab.28.).
Westend 0,35 Die Gruppen der traditionellen Quartiere benen-
Spessartviertel 0,25 nen zu 50 % traditionelle Orte als Bewegungs-
raum. Kneipen als privat-öffentliche Orte des
Tab. 28. Häufig besuchte Orte nach Stadtteilen Meinungsaustauschs, die Altstadt als Kerngebiet
des alten Dietzenbachs und der Besuch bei
Traditionelle "Neue Spessart Freundinnen und Freunden in anderen Stadt-
Quartiere Mitte" -viertel teilen sind hier neben der privaten Orientierung
dominierend. Deutlich am wenigsten im Dietzen-
Öffentliche bacher Kontext bewegen sich die Bewohnerin-
Räume 11,3 % 27,3 % 16,7 % nen und Bewohner des Spessartviertels im
Kneipen etc. 22,5 % 9,1 % 16,7 % öffentlichen Raum. Über 40 % nennen direkt
Natur 5,6 % 27,3 % 11,1 % oder indirekt ihr Zuhause als wichtigsten
Naherholung 5,6 % 9,1 % 5,6 % Bezugspunkt in Dietzenbach.
Altstadt 15,5 % 18,2 % 5,6 %
Andere 4.5.2.4 Wahrnehmung der Stadt
Stadtteile 12,7 % 0 % 0 % Im Rahmen der Befragung wurde gefragt, wel-
Explizit: chen Namen die Befragten einem Bild geben
Kein Ort 9,9 % 0 % 22,2 % würden, das sie von ihrer Stadt zeichnen wür-
Zuhause 29,6 % 9,1 % 22,2 % den. Die vorgeschlagenen Bilder trugen die
Namen "Brache", "Heimat", "Ghetto", "Provinz",
des Bereichs der "Neuen Mitte". Ebenso die re- "Langeweile" und "Ruhe/Grün". Hier wurde die
lative Häufigkeit von Besuchen in der Altstadt Zustimmung oder Ablehnung zu jedem Bild ein-
sowie die Beziehungen nach Steinberg. Ebenso zeln abgefragt, so dass in der Auswertung Mehr-
deutlich werden aber auch die geringen Bezie- fachnennungen auftreten.
hungen einzelner Quartiere in die anderen Bei der Beantwortung dieses Fragenkomplexes
Wohnstandorte. lassen sich nur Tendenzen feststellen, die selten
Dieses Bild wird durch die Antworten auf die signifikant sind, aber immerhin Einschätzungen
Frage "Welche Orte besuchen Sie in Dietzenbach zulassen. Auszuschließen ist einerseits das Bild
häufig?" unterstützt. Auch hier ging es darum, der Brache, das nur 6 % der Befragten für sinn-
Bewegungen in der Stadt zu lokalisieren. Zu- voll hielten. Das eigentliche Thema des Projekts,
nächst verblüfft, dass fast 30 % der Bewohne- die Brachen und der Boden der Stadt, scheinen
rinnen und Bewohner der traditionellen Quar- in dieser Form zunächst einmal zu abstrakt für
tiere und 22 % des Spessartviertels diese Frage eine alltägliche Wahrnehmung zu sein, um an
mit "Zuhause" beantworten. Nimmt man den Relevanz zu gewinnen. Gleiches gilt für das Bild
expliziten Ausschluss irgendeines Ortes hinzu, "Ruhe/Grün", das lediglich für 17,4 % der
so addieren sich diese Nennungen in beiden Befragten eine Rolle spielt.
Quartierstypen auf um etwa je 40 %. Die Frage Differenzierungen findet man jedoch auch bei
nach (öffentlichen) Orten wird also mit privatem den Bewohnerinnen und Bewohnern unter-
Rückzug oder der Nicht-Existenz beantwortet. schiedlicher Quartierstypen. Das mit Abstand
Deutlich unterschiedlich fallen die Antworten negativste Bild der Stadt besteht bei den Bewoh-
130
nerinnen und Bewohnern des Quartiers "Neue sönliche Zufriedenheit in Dietzenbach. Dies ge-
Mitte". Hier dominiert das Bild des Ghettos, schah zunächst durch eine Gesamteinschätzung
dem 65 % der Befragten zustimmen. Die zweit- auf einer Skala von eins bis sechs, von sehr
und dritthäufigste Nennung erhielten die eben- positiv bis sehr negativ. Hier ergibt sich folgen-
falls negativ anmutenden Bilder "Provinz" mit des Bild:
35 % und "Langeweile" mit 25 % Zustimmung. Deutlich wird an dieser Übersicht vor allem,
Das Bild des Ghettos ist auch für die Bewohne- dass die Bewohnerinnen und Bewohner der tra-
rinnen und Bewohner der traditionellen Quar- ditionellen Quartiere die höchste Zufriedenheit
tiere mit 36,2 % und des Spessartviertels mit aufweisen. Mehr als 65 % sind mit ihrer Situ-
37,5 % das am häufigsten genannte Bild. Bei ation in Dietzenbach zufrieden. Die tendenziell
beiden Quartieren erfolgt aber als zweithäufig- geringste Zufriedenheit findet sich bei den Be-
stes Bild ein positives, das der "Heimat". 30,5 % wohnerinnen und Bewohnern des Spessartvier-
der Befragten aus den traditionellen Quartieren tels, während die Befragten aus dem Bereich
stimmen dem zu und 27,5 % des Spessartvier- "Neue Mitte" zu Aussagen im mittleren Bereich
tels. tendieren.
Verstärkt wird dieser Eindruck mit den Antwor- Nimmt man eine weitere Frage hinzu, die Frage
ten auf die Frage "Was gefällt Ihnen an Dietzen- "Wie sehen Sie Ihre persönliche Zukunft in Diet-
bach besonders gut?", so lassen sich auch hier zenbach?", so wird das oben beschriebene Bild
die Konnotationen der Antworten differenzieren. im Kern bestätigt. Allerdings sind die Erwartun-
Orientieren sich die Antworten bei den Bewoh-
nerinnen und Bewohnern der traditionellen
Tab.30. Persönliche Zukunft in Dietzenbach
Quartiere hier auf Kategorien "Vereine" und
nach Quartieren
"Freunde", so orientieren sich die Antworten im
Bereich des Spessartviertels auf die Kategorie Traditionelle "Neue Spessart
"Nachbarschaft", die sehr viel mehr den Charak- Quartiere Mitte" -viertel
ter eines stützenden Netzwerks als der persön-
lichen sozialen Nähe beinhaltet. Sehr positiv 2 % 0 %
Abgefragt wurde mit mehreren Fragen die per- Positiv 16 % 0 % 8,3 %
Eher positiv 41 % 5 % 24,9 %
Eher negativ 24 % 25 % 24,9 %
Tab. 29. Persönliche Zufriedenheit in Dietzen-
Negativ 15 % 55 % 33,6 %
bach nach Quartieren
Sehr negativ 2 % 10 % 8,3 %
Traditionelle "Neue Spessart
Quartiere Mitte" -viertel gen an die Zukunft schlechter als das Bild der
Gegenwart. Dies betrifft alle Gruppen gleicher-
Sehr zufrie- maßen, wenn auch die Befragten der traditio-
den 0,9 5 % 0 % 0 % nellen Quartiere nach wie vor eine positive Er-
Zufrieden 1 7,1 % 15 % 8,3 % wartung hegen.
Eher zufrie- Das gleiche Bild findet sich bei einer weiteren
den 4 7,6 % 30 % 33,3 % zukunftsgerichteten Frage, nämlich danach wie
Eher unzu- wohl Dietzenbach in zehn Jahren aussehen
frieden 21 % 45 % 41,7 % wird. Auch hier sind die Antworten eher skep-
Unzufrieden 8,6 % 10 % 8,3 % tisch. Offensichtlich sind die Erwartungen an
Sehr unzu- die Zukunft in Dietzenbach häufig mit negativen
frieden 4,8 % 0 % 8,3 % Vorstellungen belegt. Dies betrifft insbesondere
die Gruppen der Zugezogenen aus den Berei-
131
chen Spessartviertel und "Neue Mitte". Anzu- etwa 20 % der Befragten benennen dies als
merken ist hier noch, dass eine Abhängigkeit zentrales Problem.
der Zufriedenheit und der Zukunftserwartungen Eher generationen- als quartiersspezifisch lässt
weder vom Alter noch von der Wohndauer in sich der Unterschied zwischen den traditionel-
Dietzenbach festzustellen ist. Es handelt sich len Quartieren und den Quartieren "Neue Mitte"
also in der Tat um quartierspezifische Merkmals- und Spessartviertel benennen. Im Durchschnitt
ausprägungen. der Befragung, wie auch im Durchschnitt der

Tab. 31. In Dietzenbach fehlt... nach Quartie- Tab. 32. Positiv an Dietzenbach nach Quartie-
ren ren
Traditionelle "Neue Spessart Traditionelle "Neue Spessart
Quartiere Mitte" -viertel Quartiere Mitte" -viertel

Nichts 17,1 % 0 % 15 % Nichts 3 4,3 % 30 % 37,5 %


Gute Nähe zu
Schulen 3,8 % 10 % 0 % Frankfurt 8,6 % 20 % 12,5 %
Für Kinder/- Grün 1 3,3 % 10 % 0 %
Jugendl. 12,4 % 25 % 30 % Vereine 1 5,2 % 5 % 4,2 %
Einkaufs- Veranstal-
möglk. 5,7 % 10 % 0 % tungen 7,6 % 5 % 4,2 %
Zu viele Freunde
Ausländer 4,8 % 5 % 4,2 % Nachbarn 2 4,8 % 20 % 37,5 %
Freizeitmög- Günstige
lichkeit 30,5 % 30 % 33,3 % Mieten 1,9 % 10 % 4,2 %
Verkehrs-
anbindung 4,8 % 0 % 4,2 % Dietzenbacher Bevölkerung, sind die Bewohne-
Schönes rinnen und Bewohner der letztgenannten Quar-
Stadtbild 21 % 20 % 21 % tiere jünger und in der Regel in der Familien-
phase mit Kindern. Ihnen fehlen Einrichtungen
Ein weiterer Fragekomplex, der in diesem für Kinder und Jugendliche.
Zusammenhang zu nennen ist, ist der nach den Etwas differenzierter zeigt sich das Bild, wenn
Besonderheiten der Stadt. Es handelt sich um die Vorzüge Dietzenbachs benannt werden sol-
die Fragen "Was fehlt in Dietzenbach?" und len. Übereinstimmung herrscht zunächst bei
"Besonders gut in Dietzenbach finde ich...?". jeweils über 30 % der Befragten gruppenüber-
(siehe Tab. 31. und Tab. 32.) greifend, dass "nichts" an Dietzenbach positiv
Zunächst springt die Übereinstimmung ins Auge, sei.
die darin besteht, dass alle Gruppen mit etwa Auch die mengenmäßig zweithäufig besetzte
30 % Anteil den größten Mangel in fehlenden Kategorie ist mit "Freunde/Nachbarn" identisch.
Freizeitmöglichkeiten sehen. Da die Frage offen Allerdings variiert hier der prozentuale Anteil von
gestellt wurde und erst während der Auswertung 37,5 % im Spessartviertel bis 20 % im Bereich
kategorisiert wurde, lassen sich hier Beispiele "Neue Mitte". Auch die inhaltliche Belegung,
benennen, die vor allem die Bereiche Sport, wieder wurde offen gefragt und bei der Auswer-
Kino und Ausgehen in den Vordergrund rücken. tung kategorisiert, ist zu differenzieren. Wie oben
Übereinstimmung lässt sich auch im Mangel beschrieben beziehen sich die Nennungen im
der Ästhetik des Stadtbilds feststellen. Jeweils Bereich Spessartviertel sehr stark auf die Begriffe
132
Nachbarschaft, kultureller Kontext und die Mög- nerinnen und Bewohner der "Neuen Mitte" auf-
lichkeit, eigene Traditionen leben zu können. fällig, während für die anderen Quartiere die
Für die Bewohnerinnen und Bewohner der tra- Einbindung über das Bild "Heimat" sehr viel
ditionellen Quartiere haben eher Begriffe wie stärker ausgeprägt ist.
Freunde, öffentliches Leben und dörfliche Iden- • Durchgängig als größter Mangel der Stadt
tität Bedeutung. Ähnlich zu typisieren ist für den werden die geringen Freizeitmöglichkeiten be-
Bereich "Neue Mitte" nicht möglich, hier streuen nannt. Gleiches trifft für das als schlecht emp-
die Aussagen erheblich. fundene Stadtbild zu.
Deutlich ist der Bezug der Bewohnerinnen und • Wertschätzung genießt die Stadt in unter-
Bewohner des Quartiers "Neue Mitte" nach schiedlicher Art und Weise. Für die Gruppen
Frankfurt. 20 % benennen es als den zentralen der traditionellen Quartiere wie des Spessart-
Vorzug, dass Dietzenbach nah an Frankfurt viertels liegt die größte Bedeutung im Eingelas-
liege. Dies korrespondiert sehr stark mit dem sensein in die je spezifischen Communities. Für
Anteil des Arbeitsortes Frankfurt von 35 % an den Bereich "Neue Mitte" ist einer der zentralen
allen Arbeitsorten in diesem Quartier, der ge- Vorzüge ein ortsfremder, die Nähe zu Frankfurt.
genüber 21 % im Spessartviertel und 12,4 % Die Befragung zeigt, dass es eine quartierstypi-
in den traditionellen Quartieren deutlich über sche Differenzierung der Dietzenbacher Bevölke-
diesen liegt. Der Vorzug Dietzenbachs ist für rung gibt. Sie zeigt auch, dass die negative
diese Gruppe also auch etwas Äußerliches, Selbsteinschätzung der Stadt, die in öffentlichen
seine Lage im Verhältnis zum Arbeitsplatz. Diskursen über die Stadt dominiert, in einem
Zusammenfassend lassen sich also folgende Viertel, der "Neuen Mitte" mit einer Vielzahl von
Muster nachvollziehen: Pendlerinnen und Pendlern, besonders ausge-
• Die Quartiere sind durch eine unterschiedli- prägt ist. Aber auch positive Selbsteinschätzun-
che durchschnittliche Wohndauer zu kennzeich- gen der Stadt lassen sich feststellen. Sie sind
nen. Der Bereich "Neue Mitte" scheint sich dabei vor allem im Spessartviertel bei einer Bevölke-
als dauerhafter Wohnstandort zu entwickeln, rung zu finden, die aufgrund ihrer Arbeits- und
während das Spessartviertel eher von Zu- und Lebenssituation viel abhängiger von der städti-
Wegzügen gekennzeichnet ist. schen Umwelt und ihren Möglichkeiten ist, als
• Bewegungen in der Stadt finden höchst selten dies etwa bei Pendlerinnen und Pendlern der
zwischen unterschiedlichen Quartieren, als Fall ist. Diese relativ positive Einschätzung der
Wohnstandorte verstanden, statt. Es ist die Stadt Dietzenbach durch eine Bevölkerung, die
Zentralitätsfunktion des Bereichs "Neue Mitte" im politischen Raum und in den lokalen Ver-
und eingeschränkt der Altstadt, die diese Orte einen wenig vertreten ist (vgl. hierzu Kap.
zu höher frequentierten Orten macht. 2.2.2.2), ist ein erster Fingerzeig auf den uner-
• Öffentliche Orte werden nur eingeschränkt kannten Reichtum der Stadt, den das Projekt
genutzt. Eigentlich sind es nur die Bewohnerin- 2030 mobilisieren konnte.
nen und Bewohner der "Neuen Mitte", die diese
als relevant benennen. Dominierend ist hingegen 4.5.2.5 Wahrnehmung des Projekts Stadt
bei der anderen Gruppe der Rückzug in das Pri- 2030
vate oder die explizite Nennung, dass kein Ort Im Rahmen der Erhebung sollte auch ermittelt
in Dietzenbach häufig besucht wird. Am wenig- werden, wie das Projekt 2030 in die Stadt hin-
sten in der Öffentlichkeit bewegen sich eingewirkt hat. In der Befragung äußerten
Bewohnerinnen und Bewohner des Spessart- 52,3 % der Befragten, Kenntnis vom Projekt
viertels. Dietzenbach 2030 zu besitzen. Die Befragten
• In der bildhaften Beschreibung Dietzenbachs gaben ferner Auskunft darüber, was sie denn
ist die negative Einschätzung seitens der Bewoh- vom Projekt 2030 wissen. Bei den Befragten,
Tab. 33. Kenntnis von Bestandteilen aus dem
Projekt 2030
Ja Nein
Tab. 34. Kenntnis des Projekts über...

Zeitung 6 6,7
Ja

%
Nein

33,3 %
133
Stelen 100 % 0 % Flugblätter 2,6 % 97,4 %
Flächenvergabe 4 6,2 % 53,8 % Plakate 5,1 % 94,9 %
Bauwagen 3 2,1 % 77,9 % Über Bekannte 2 8,2 % 71,8 %
Forschungsprojekt 2 4,6 % 75,4 % Neugierde durch
Stelenreihe 3 3,3 % 66,7 %
die Kenntnis des Projekts besaßen, ergab sich Bauwagen 9,0 % 91,0 %
dabei folgende Verteilung: Mehrfachnennungen möglich
Wie schon in der Inhaltsanalyse deutlich wurde,
so ist auch bei der Befragung bei der Frage kannten über das Projekt erfahren. Eine zentrale
nach Kenntnis von Projektteilen die Stelenreihe Zielsetzung des Projekts 2030 war es, Diskurse
das dominierende Element. Alle Befragten, die in der Stadtbevölkerung zu erzeugen. Hier finden
Kenntnis vom Projekt besitzen, kennen auch die sich erste Hinweise darauf, dass dies zumindest
Stelenreihe. Anscheinend handelt es sich bei bei einem Teil der Bevölkerung funktioniert hat.
einer solchen Installation um ein ideales Instru- Die gemeinsame Rede über das Stelenprojekt
ment, Aufmerksamkeit zu erzeugen und diese eröffnet einen ersten Zugang. Bei dieser Gruppe
auch nachhaltig zu verankern. handelt es sich vornehmlich um Bewohnerinnen
Aber auch die anderen Bestandteile des Projekts und Bewohner der Quartiere Altstadt, Steinberg
wurden hinreichend transportiert. Immerhin und der "Neuen Mitte", die mit Anteilen zwi-
kennt fast die Hälfte das Thema Flächenverga- schen 33 % und 38 % über Bekannte vom Pro-
be, so dass nicht nur Aufmerksamkeit erzeugt jekt erfahren haben. Im Vergleich hierzu sind es
wurde, sondern eben auch die Inhalte und Ab- im Spessartviertel lediglich 8,3 %.
sichten vermittelt wurden. Selbst etwas Fernes Hieran schließt sich unmittelbar die Frage an, ob
wie die Verbindung mit einem Forschungsprojekt das Projekt nach Kenntnisnahme weiter disku-
ist einem Viertel der Befragten präsent. tiert wurde. 68,2 % der Befragten bejahen dies.
Die daran anschließende Frage war die, wie In den traditionellen Quartieren geben 74 % an,
man denn von dem Projekt erfahren habe. Im mit Bekannten im Fortgang über das Projekt ge-
Rahmen des Projekts erfolgte eine rege Öffent- sprochen zu haben, im Bereich der "Neuen
lichkeitsarbeit, die sowohl Pressearbeit über Mitte" 50 % und im Bereich des Spessartvier-
Pressemitteilungen und Veranstaltungen als tels 66,3 %. Über das Interessewecken hinaus
auch eigene Medien einschloß. Die Befragten ist es also gelungen, in erheblichem Maße Ge-
machten hierzu folgende Angaben (siehe spräche in der Stadt zu erzeugen.
Tab. 34.) Gefragt wurden die Personen auch, wie sie das
Das Projekt wurde also offensichtlich wesentlich Projekt insgesamt einschätzen. Hier verteilen
über die Presse transportiert. Aber auch bei die- sich die Antworten folgendermaßen. Am häufig-
ser Frage spielt die Stelenreihe als Medium mit sten erfolgt die etwas unscharfe Antwort "ver-
einem Drittel an Nennungen eine Rolle, wäh- ständnislos" mit 38,2 %, die keineswegs mit
rend die Bemühungen, über eigene Medien negativ gleichgesetzt werden kann. Hier ist im
(Plakate und Flugblätter) Öffentlichkeit herzu- Nachhinein ein Defizit in der Projektkommunika-
stellen, nicht funktioniert haben. tion festzustellen. Offenkundig wurde das Projekt
Ein interessanter Aspekt ergibt sich aus den zu wenig erklärt. Die Waage halten sich die Ant-
28,2 % der Nennungen, man habe von Be- worten "neutral" und "eher negativ" mit 21,8 %,
134
während 18,2 % das Projekt als "eher positiv" 4.5.3 Befragung der Projektteil-
einschätzen. nehmerinnen und Projektteilnehmer
Kenntnis von den Nutzungswünschen anderer,
eine Frage also, die sich mit dem befasst, was
in der Stadt durch andere initiiert wird, hatten Von August bis Dezember 2002 konnten die
42,3 % der Befragten mit Kenntnis des Projekts. Bürgerinnen und Bürger Dietzenbachs an sechs
Die Informationen von Realisierungsvorschlägen Tagen in der Woche im Vor-Ort Büro im Bauwa-
kamen dabei zu 75 % aus der Zeitung. Hier ist gen an der Rakovnikpassage einen Nutzungs-
also festzustellen, dass die Kommunikation zu- wunsch für eine Parzelle äußern. 3 4 In diesem
nehmend medial vermittelt geschehen ist. Zeitraum haben sich dort bzw. direkt beim
Eigene Flächenwünsche oder die Vorstellung, Stadtplanungsamt insgesamt 260 Personen für
Flächenwünsche zu äußern, wurden hingegen die Nutzung einer Parzelle angemeldet.
lediglich von 8,1 % der Befragten kundgetan. Von diesen Projektteilnehmerinnen und -teilneh-
Zusammenfassend ist zu sagen; mern standen 124 für ein Telefoninterview zur
• Es ist gelungen, das Projekt in die Öffentlich- Verfügung. 35 Die Erhebung erfolgte im Zeitraum
keit zu transportieren. Hierbei spielten vor allem von Januar bis März 2003. Erhebungseinheit
die klassischen Medien und die Installation eine waren Einzelpersonen, diese standen für jeweils
Rolle. einen Haushalt.
• Ebenfalls gelungen ist es, Diskussionen in Zur Erhebung des Datenmaterials wurde die
Gang zu setzen, die sich mit der Stadt und ihrer Methode des quantitativen Interviews gewählt.
Nutzung befassen. Die Daten wurden in Form strukturierter Inter-
• Diese Diskussionen scheinen aber im nahen views anhand eines standardisierten Fragebo-
Bekanntenkreis der befragten Personen hängen gens überwiegend mit geschlossenen sowie ein-
geblieben zu sein. Darauf weisen zwei Punkte zelnen offenen Fragen erfasst. 36
hin. Erstens der große Anteil derjenigen, die kei-
nen Zugang durch mangelnde Erklärung des 4.5.3.1 Nutzungsnachfrage
Projekts gefunden haben, und ferner die abneh- Von den interviewten Männern und Frauen, die
mende Kenntnis dessen, was in der Stadt erwartungsgemäß alle das Projekt Stadt 2030
geschieht, je weiter es aus dem persönlichen und den Bauwagen kannten, hat über die Hälfte
Nahbereich entrückt. die Stelenreihe wahrgenommen und weiß, dass
es sich bei dem Projekt um ein Forschungspro-
jekt handelt.
Mit 96 % findet ein Großteil der Interviewten
das Projekt interessant, nur ein sehr geringer
Teil hält es für unsinnig bzw. für Geldver-
schwendung.
Die Bevölkerung Dietzenbachs wurde mittels der
Stelenreihe, Plakaten, Flugblättern, einer Inter-
netseite sowie durch Berichte in der lokalen
Presse über das Projekt informiert. Zusätzliche
Informationen konnten im Bauwagen-Büro an
34
Vgl. hierzu Punkt 4.3.2.
35
Der Rest entfiel aufgrund Doppel-Anmeldungen, unzurei-
chender Deutschkenntnisse, die ein Interview verunmög-
lichten, bzw. war telefonisch nicht erreichbar.
36
Vgl. hierzu den Fragebogen im Anhang.
135
der Rakovnikpassage eingeholt werden. möglichkeiten für Kinder ist für die Projektteil-
Mit fast zwei Drittel hat der überwiegende Teil nehmerinnen und -teilnehmer mit Migrations-
der interviewten Frauen und Männer von der hintergrund am größten. Fast die Hälfte der tür-
Flächenvergabe zuerst über Bekannte erfahren, kischstämmigen und über ein Viertel der Frauen
der Bauwagen war 28,2 % aufgefallen. Nur ein und Männer marokkanischer Abstammung äu-
geringerer Teil (je 10,5 %) wurde über Zeitun-
gen und Flugblätter erreicht. Die Stelenreihe Mehrfachnennungen
hatte 7,3 % der TeilnehmerInnen neugierig ge- möglich

macht. Die Plakate fielen nur 4,8 % der Befrag-


ten auf.
71,8 % der interviewten Frauen und Männer
haben auch mit ihren Bekannten über das Pro-
jekt gesprochen. Auch hier fiel die Beurteilung
mit über 80 % überwiegend positiv aus.
Die Aktivierung zur Teilnahme an unserem Pro- Abb. 94. Nutzungsvorstellungen
jekt erfolgte in unserer Stichprobe somit über-
wiegend durch "Mund-zu-Mund-Propaganda" ßern einen solchen Wunsch. Im Gegensatz dazu
über Verwandte, NachbarInnen, FreundInnen, meldeten 60 % der in Deutschland Geborenen
ArbeitskollegInnen etc. Auch bei der Frage, was Interesse an einem Kunstprojekt an.
besonders gut in Dietzenbach gefällt, wurden Über die Hälfte der Garten-Wünsche wurde von
an erster Stelle die hier lebenden FreundInnen den Bewohnerinnen und Bewohnern des Spes-
und Bekannten genannt. 37 Dieser Sachverhalt sartviertels geäußert, über die Hälfte wünscht
lässt auf gut funktionierende soziale Netzwerke sich auch einen Platz zum Spielen für die Kin-
schließen, so dass hier von einer eher kleinstäd- der. Knapp ein Viertel der Garten- bzw. Spiel-
tisch bis dörflich organisierten Öffentlichkeits- platz-Wünsche kommt von Bewohnerinnen und
struktur ausgegangen werden kann. Bewohnern des Westends. Ein Großteil der o. a.
Migrantinnen und Migranten gibt diese beiden
4.5.3.2 Nutzungswünsche Quartiere als Wohnort an. 38
Die vielfältigen Nutzungswünsche für die Zwi- Es ist also davon auszugehen, dass die bekann-
schennutzung einer Parzelle reichten von einem ten Defizite dieser Siedlungen mit ihrem ver-
Schulprojekt der Ernst-Reuter-Schule, initiiert dichteten Geschosswohnungsbau, wie geringe
von zwei Lehrern, über Themengärten (Apothe- Aufenthaltsqualität, mangelhafte Infrastruktur
kergarten, mittelalterlicher Kräutergarten, inter- oder mangelnde Freizeitangebote, vor allem für
nationale Gärten, Kräuterspirale), einem gepflan- Kinder und Jugendliche, erhebliche Auswirkun-
zten Stadtplan Dietzenbachs, Kunstprojekten, gen auf die Struktur der geäußerten Nutzungs-
Bolzplätzen für Jugendliche, einem Hühnerhof wünsche hatten. Die große Nachfrage nach
bis hin zu einem Abenteuerspielplatz. einem Garten bzw. einem Spielplatz deckt somit
Mit über 80 % bezog sich jedoch der größte Teil die nicht ganz unbekannten Defizite im Wohn-
der Nutzungsanfragen auf eine Kleingartennut- bereich von Migrantinnen und Migranten in
zung sowie Spielmöglichkeiten für die Kinder. Dietzenbach auf.
Nur ein geringer Teil war an Nachbarschaft, Auffällig ist das große Interesse der zumeist
Kunst oder Sonstigem interessiert. muslimischen Frauen an einem Garten: Dieser
Bezüglich der Nutzungswünsche ist eine starke
Konzentration auf wenige Bevölkerungsgruppen 37
Vgl. hierzu Punkt 4.5.3.4 "Was gefällt Ihnen besonders gut
bzw. wenige Wohnquartiere festzustellen: in Dietzenbach".
Das Interesse an einem Garten bzw. an Spiel- 38
Vgl. hierzu Punkt 4.5.3.3. "Wohnort"
136
Wunsch ist bei den befragten Frauen mit 90 %
erheblich stärker ausgeprägt als bei den Män-
nern (79,7 %). Für die befragten Männer wie-
derum ist ein Platz zum Spielen für die Kinder
Abb. 95. Nutzungswünsche
100 % wichtiger, über die Hälfte äußern einen solchen
90 % Wunsch, bei den Frauen sind dies nur 42 %.
Dieses Ergebnis macht somit die spezifischen
80 % Männer
Probleme dieser Frauen mit der Nutzung des
70 % Frauen öffentlichen und privaten Raums deutlich: Zwar
treffen die zuvor beschriebenen Defizite der
60 %
Wohngebiete verstärkt alle vor Ort lebenden
50 % Frauen. Jedoch fehlen gerade den muslimi-
40 %
schen Frauen ganz offensichtlich die für sie so
wichtigen öffentlichen und halböffentlichen
30 % Räume, wie sie Gärten bzw. Grabeland darstel-
20 % len, als eine Art Übergangszone zwischen Pri-
vatheit und Öffentlichkeit. 39
10 %
Neben dem individuellen Nutzen - der überwie-
0 % gende Teil der Flächenwünsche soll mit der ei-
genen Familie umgesetzt werden - fördern sol-
che Gärten bzw. Grabeland auch Anknüpfungs-
punkte für Gespräche und den Austausch, auch
Mehrfachnennungen möglich über kulturelle Grenzen hinweg.

4.5.3.3 Strukturmerkmale

Abb. 96. Geburtsjahr Nutzerstruktur


50 % Es wurden mit 59,7 % mehr Männer als Frauen
45 % (40,3 %) und zu über 62 % jüngere Bewohne-
Männer rinnen und Bewohner Dietzenbachs interviewt.
40 % Die Kohorte der 1930 bis 1940 Geborenen setzt
35 % Frauen sich nur aus Frauen zusammen.
Drei Viertel der InterviewteilnehmerInnen sind
30 %
verheiratet. Über 80 % der Befragten haben Kin-
25 % der, davon über ein Viertel mehr als drei (siehe
20 %
Tab. 35.).
Es wurden somit folglich überwiegend kinderrei-
15 % che junge Familien erreicht.
10 %
Ethnizität
5 %
Mit 97,6 % ist der größte Teil der befragten
0 % Frauen und Männer nicht in Dietzenbach gebo-

39
Vgl. hierzu Punkt 4.5.3.5.
137
ren, sondern zugezogen.
Hier fällt der hohe Anteil von Menschen mit
Migrationshintergrund auf: Von den zugezoge-
nen Frauen und Männern sind 83,1 % nicht in
Abb. 97. Geburtsland
Deutschland geboren, sondern zu 39,5 % in 50 %
der Türkei und zu 24,2 % in Marokko. Weitere
45 %
Herkunftsländer in der Reihenfolge ihres Anteils Männer
sind Afghanistan, Jugoslawien, Pakistan, Ägyp- 40 %
ten, Algerien, England, Indien, Jordanien, Kroa- Frauen 35 %
tien, Libanon, Liberia, Nigeria, Slowakei, Togo
30 %
und Vietnam.
Der größte Teil der Befragten stammt somit aus 25 %
der Türkei, aus Marokko und aus Deutschland.
20 %
Differenziert nach Geschlecht ist fast die Hälfte
der teilnehmenden Frauen in der Türkei geboren, 15 %
fast ein Viertel in Deutschland und 14 % in Ma- 10 %
rokko. Von den teilnehmenden Männern gibt
5 %
über ein Drittel als Geburtsland die Türkei an,
gefolgt von Marokko und Deutschland (siehe 0 %
Abb. 71.).
Fast die Hälfte der nicht in Deutschland gebore-
nen Befragten besitzt die deutsche Staatsange-
hörigkeit. Unter den in Deutschland geborenen
Befragten mit deutscher Staatsangehörigkeit
Tab. 35. Kinder
befinden sich auch junge Frauen und Männer
mit Migrationshintergrund. Kategorie Häufigkeit Prozent
nein 23 18,5
Wohnort 1 Kind 17 13,7
Fast die Hälfte der befragten Projektteilnehme- 2 Kinder 28 22,6
rinnen und -teilnehmer wohnt im Spessartvier- 3 Kinder 24 19,4
tel, ein Viertel im angrenzenden Westend und je mehr als 3 Kinder 32 25,8
11,3 % in den Stadtteilen Steinberg und "Neue
Mitte", der Rest verteilt sich auf die Altstadt, Total 124 100,0
Hexenberg bzw. sonstige Wohngebiete (siehe
Tab. 36. Wohnort nach Stadtteilen
Tab. 36.).
Differenziert nach Ethnizität wohnt über die Kategorie Häufigkeit Prozent
Hälfte der interviewten Migrantinnen und Mi- Altstadt 5 4,0
granten im Spessartviertel, fast ein Viertel im Steinberg 14 11,3
Westend. Der Rest verteilt sich auf die "Neue Hexenberg 1 0,8
Mitte" (9,7 %), Steinberg (7,8 %), die Altstadt Neue Mitte 14 11,3
(3,9 %) sowie auf Hexenberg und sonstige Westend 31 25,0
Wohngebiete. Spessartviertel 57 46,0
Die in Deutschland geborenen Projektteilneh- Sonstiges 2 1,6
merinnen und -teilnehmer wohnen zu jeweils
über einem Viertel im Westend oder in Stein- Total 124 100,0
berg, jeweils knapp ein Fünftel gibt die "Neue
138
Mitte" oder das Spessartviertel als Wohnort an, befragten Arbeiterinnen und Arbeiter sowie 44 %
4,8 % leben in der Altstadt. der befragten Arbeitslosen - alle mit Migrations-
Die Mehrzahl der Projektteilnehmerinnen und - hintergrund. Auch die Hälfte der im Haushalt
teilnehmer, überwiegend Migrantinnen und Mi- tätigen Frauen wohnen in diesem Viertel.
granten, lebt somit in den Siedlungen mit hoch-
verdichtetem Geschosswohnungsbau, die, neben Wohndauer
den schon erwähnten baulichen Defiziten, zu- Über 70 % der befragten Frauen und Männer
sätzlich durch hohe Arbeitslosigkeit, einen hohen leben schon länger als 10 Jahre in Dietzenbach
Anteil einkommensschwacher Haushalte sowie (siehe Tab. 37.). Im Spessartviertel beläuft sich
durch eine überproportional starke Zuwanderung dieser Anteil sogar auf 77,2 %.
von benachteiligten Haushalten und solchen mit Die lange Wohndauer der befragten Frauen und
Migrationshintergrund gekennzeichnet sind. So Männer im Spessartviertel überrascht, da im
wohnen im Spessartviertel fast zwei Drittel der Allgemeinen die durchschnittliche Verweildauer
in diesem Quartier erheblich geringer ausfällt. 40
Tab. 37. Wohndauer
Dieser Sachverhalt lässt darauf schließen, dass
Kategorie Häufigkeit Prozent die im Spessartviertel lebenden Projektteilneh-
1 Jahr 3 2,4 merinnen und -teilnehmer, zumeist Migrantin-
1-5 Jahre 14 11,3 nen und Migranten, Dietzenbach dauerhaft als
5-10 Jahre 20 16,1 Wohnstandort gewählt haben.
> 10 Jahre 87 70,2
Arbeitsort
Total 124 100,0 Weit über ein Drittel der interviewten Frauen
und Männer pendelt zum Arbeiten ins Umland
oder nach Frankfurt, nur bei einem geringen Teil
Tab. 38. Arbeitsort
befindet sich der Arbeitsplatz wohnortnah in
Kategorie Häufigkeit Prozent Dietzenbach (siehe Tab. 38.).
Dietzenbach 19 15,3
Frankfurt 17 13,7 Bildungsstand, Berufsausbildung
Landkreis Offenbach 18 14,5 Fast die Hälfte der befragten Frauen und Männer
Rhein-Main-Gebiet 12 9,7 der Stichprobe besitzen einen Hauptschulab-
kein Arbeitsort 58 46,8 schluss, nur ein geringer Teil hat studiert bzw.
hat das Abitur bzw. einen Realschulabschluss
Total 124 100,0 erreicht. 9,7 % haben keinen Schulabschluss
(siehe Tab. 39.).
Mit 43,5 % verfügt ein hoher Prozentsatz der
Tab. 39. Bildungsstand
befragten Frauen und Männer über keine Be-
Kategorie Häufigkeit Prozent rufsausbildung. Hier ist der Anteil der in der
kein Schulabschluss 12 9,7 Türkei Geborenen mit 40,7 % am größten, ge-
Hauptschule 58 46,8 folgt von den in Marokko Geborenen (31,5 %).
Realschule 17 13,7 Bei den in Deutschland geborenen Befragten
Abitur 17 13,7 beträgt dieser Anteil nur 11,1 %.
Studium 19 15,3
k. A. 1 0,8 40
Sie beträgt im Spessartviertel üblicherweise nur ein bis fünf
Jahre, nur 29,2 % der Bevölkerung leben in diesem
Total 124 100,0 Quartier schon länger als zehn Jahre (vgl. hierzu Punkt
2.2.2.2).
139
Erwerbsstatus
Fast die Hälfte der befragten Frauen und Männer
ist nicht erwerbstätig, hiervon ist der größte Teil
arbeitslos oder im Haushalt tätig. Der Rest ver- Abb. 98. Erwerbsstatus
teilt sich auf SchülerInnen, RentnerInnen, Stu- 50 %
dentInnen und Auszubildende. Über ein Fünftel
der Befragten sind als Arbeiterinnen bzw. Arbei- 45 %
Männer
ter, 14,5 % sind als Angestellte beschäftigt. Nur 40 %
ein geringer Teil ist selbstständig tätig oder ver- Frauen
35 %
beamtet (siehe Tab. 40.).
30 %
Alle Arbeitslosen, alle Arbeiterinnen und Arbeiter 25 %
sowie über 80 % der im Haushalt tätigen Frau-
en und Männer sind nicht in Deutschland gebo- 20 %
ren. 15 %
Differenziert nach Geschlecht ist mit knapp
10 %
einem Drittel der größte Teil der befragten Män-
ner als Arbeiter beschäftigt, über ein Viertel ist 5 %
arbeitslos. Mit 42 % ist der größte Teil der be- 0 %
fragten Frauen im Haushalt tätig.
Der hohe Anteil von Menschen unter den Pro-
jektteilnehmerinnen und -teilnehmern ohne Be-
rufsausbildung4 1 in Verbindung mit einem ver-
muteten eher traditionellen Rollenverständnis -
ein Großteil der befragten Frauen ist im Haus-
halt tätig - lässt den Rückschluss zu, dass hier
Tab. 40. Erwerbsstatus
die Familienväter oftmals als an- oder ungelern-
te Arbeiter sowie "Alleinernäherer" der Familie Kategorie Häufigkeit Prozent
beschäftigt sind. Dieser Sachverhalt sowie die selbstständig 12 9,7
hohe Zahl an, überwiegend männlichen, Ar- angestellt 18 14,5
beitslosen kann als Indikator für eine vermutete Arbeiter 26 21,0
Armutssituation angesehen werden. verbeamtet 2 1,6
arbeitslos 25 20,2
im Haushalt tätig 22 17,7
Schule 6 4,8
Studium 3 2,4
Azubi 3 2,4
in Rente 6 4,8
k. A. 1 0,8

Total 124 100,0

41
Vgl. hierzu Punkt 4.5.3.3. "Bildungsstand, Berufsausbil-
dung"
140
4.5.3.4 Wahrnehmung von Dietzenbach

"Was sind für Sie wichtige Orte in "In welchen Stadtteilen Dietzenbachs
Dietzenbach, an denen Sie sich gerne bewegen Sie sich Ihrer Einschätzung
und häufig aufhalten?" nach häufig?"
Für drei Viertel der Befragten gibt es in Dietzen- Knapp zwei Drittel der Befragten sind häufig in
bach wichtige Orte, an denen sich gerne und der "Neuen Mitte" von Dietzenbach unterwegs.
häufig aufgehalten wird. An erster Stelle wird In Steinberg bewegen sich 43,5 % der Befrag-
hier die Natur genannt, der Rest der Antworten ten häufig, in der Altstadt und im Spessartvier-
bezieht sich auf andere Stadtteile, öffentliche tel sind jeweils gut ein Drittel häufig unterwegs.
und privat-öffentliche Räume sowie das Zu- Die Stadtteile Wingertsberg, Hexenberg und
hause. Für ein Viertel gibt es keine wichtigen Westend werden von den befragten Männern
Orte in Dietzenbach (siehe Tab. 41.). und Frauen eher selten aufgesucht.
Befragt nach ihrem Einkaufsverhalten suchen
Es gibt jedoch keine wichtigen Orte, denen mehr fast 80 % der Befragten die Geschäfte der
als 50 % der Befragten zustimmen könnten, "Neuen Mitte" auf, über zwei Drittel kaufen au-
d. h. es fehlt ein Ort, an dem sich die Mehrheit ßerhalb Dietzenbachs ein. Seltener (18,5 %)
der befragten Frauen und Männer gerne und wird hier die Dietzenbacher Altstadt genannt.
häufig aufhält. Fast 90 % der befragten Frauen und Männer
Die Dietzenbacher Altstadt, ein Traditionsbereich geben unter "Sonstiges" einen Discounter als
der alteingesessenen Bevölkerung mit eher dörf- Einkaufsort an. Auch türkische Läden in Woh-
licher Struktur, wird hier von den befragten nungsnähe werden häufiger genutzt.
Haushalten eher weniger aufgesucht. Vielmehr
bewegt man sich in bestimmten Gruppen und "Wenn Sie ein Bild von Dietzenbach
in bestimmten Teilen der Stadt. entwerfen würden, wie würden Sie
dieses benennen?"
Tab. 41. Häufig besuchte Orte
Für mehr als zwei Drittel der befragten Frauen
Kategorie Häufigkeit Prozent und Männer (69,7 %) entsteht auf diese Frage
ein positives Bild von Dietzenbach. Sie antwor-
öffentliche Räume 9 5,3 ten auf diese Frage mit "Ruhe/Grün", gefolgt von
Kneipen, priv.-öffent. "Heimat". Positiv hervorgehoben wird hier auch
Räume 16 9,4 die multikulturelle, viele Kulturen umfassende
Natur 24 14,0 Seite Dietzenbachs.
Naherholung 6 3,5 Für deutlich weniger Frauen und Männer ent-
Altstadt 11 6,4 steht bei dieser Frage ein eher negatives Diet-
Steinberg 20 11,7 zenbach-Bild wie "Ghetto" (18,5 %), "Provinz"
Neue Mitte 12 7,0 (12,1 %), "Ödlandschaft, Brache" (11,3 %)
andere Stadtteile 16 9,4 oder "Langeweile" (7,3 %). Letzeres wird über-
zu Hause 14 8,2 wiegend von den jüngeren Befragten genannt
keiner 43 25,1 mit dem Hinweis auf fehlende
Freizeiteinrichtungen.
Total 171 100,0 Differenziert nach Geschlecht entwerfen die
Mehrfachnennungen möglich
Männer bei dieser Frage ein etwas positiveres
Bild von Dietzenbach. Für die Frauen entsteht
141
hier an erster Stelle das Bild Heimat, für die
Männer, vermehrt für die als Arbeiter tätigen,
der Aspekt Ruhe bzw. Grün. Bei den Nega-
tivausprägungen fällt das Urteil der befragten
Abb. 99. Bild von Dietzenbach
Frauen pessimistischer aus (siehe Abb. 73.). 50 %
Diese markanten Negativ-Ausprägungen können
45 %
als Hinweis darauf gewertet werden, dass die Männer
Frauen, durch ihre Zuständigkeit für die Erzie- 40 %
hung der Kinder und größtenteils für die Versor- Frauen 35 %
gung der Familie viel im Stadtteil unterwegs, die
negativen Seiten dieser Wohngebiete deutlicher 30 %

als die Männer wahrnehmen. Gerade auch die 25 %


ausgeprägte Differenz beim Aspekt "Langeweile"
20 %
lässt auf Mängel im näheren Wohnumfeldbe-
reich bzw. auf fehlende Angebote für Frauen 15 %
schließen. 42 Gleichwohl wird Dietzenbach ver- 10 %
stärkt auch unter dem Aspekt "Heimat" gesehen.
5 %
Hierbei spielen für die Frauen ganz offensicht-
lich die in der Nähe lebenden Verwandten eine 0 %
herausragende Rolle.

"Was gefällt Ihnen besonders gut in


Dietzenbach?" Mehrfachnennungen möglich

Für einen Großteil der befragten Männer und


Frauen sind die Familienbeziehungen von zen-
traler Bedeutung: So gefällt an erster Stelle
besonders gut, dass in Dietzenbach viele Ver-
wandte, Nachbarn und Freunde leben. 4 3 17,5 Tab. 42. Positiv an Dietzenbach
Prozent der Befragten gefällt die Ruhe und das Kategorie Häufigkeit Prozent
Grün besonders gut an Dietzenbach (siehe
Tab. 42.). nichts 28 17,5
Differenziert nach Geschlecht sind sowohl für Zentralität zu Frankfurt 11 6,9
die Frauen wie für die Männer die in Dietzen- Ruhe/Grün 28 17,5
bach lebenden Verwandten und Bekannten von Vereine 1 0,6
entscheidender Bedeutung. Dieser Aspekt wur- Veranstaltungen 4 2,5
de jedoch von den interviewten Frauen häufiger Nachbarn/Freunde 40 25,0
genannt. Auch die Mobilität vor Ort ohne Pkw, multikulturell 8 5,0
die guten Einkaufsmöglichkeiten sowie Veran- kein Pkw nötig 8 5,5
staltungen spielen für die Frauen eine größere EK-Möglichkeiten 8 5,0
Rolle. alles 6 3,8
Sonstiges 17 11,2

Total 160 100,0

Mehrfachnennungen möglich
142
"Was fehlt in Dietzenbach?"
An erster Stelle fehlen den interviewten Frauen
Abb. 100. Besonders gut gefällt in Dietzenbach und Männern ausreichende Einkaufsmöglich-
50 % keiten. Bemängelt werden auch die fehlenden
Freizeiteinrichtungen für Erwachsene sowie die
45 %
Männer fehlenden Einrichtungen für Kinder und Jugend-
40 % liche, gefolgt von der schlechten Verkehrsan-
35 % Frauen bindung Dietzenbachs (siehe Tab. 43.).
Von den befragten Frauen wurden also verstärkt
30 % die vorhandenen Defizite im Reproduktionsbe-
25 % reich, wie fehlende Einkaufsmöglichkeiten4 4 ,
fehlende Freizeiteinrichtungen sowie fehlende
20 %
Einrichtungen für Kinder und Jugendliche,
15 % angesprochen. Mehr Frauen als Männer vermis-
10 %
sen auch fehlende Nachbarn und Freunde.
Die befragten Männer, wiederum verstärkt die
5 % nicht erwerbstätigen, bemängeln eher die feh-
0 % lende gute Verkehrsanbindung sowie die fehlen-
den Einkaufsmöglichkeiten, für die erwerbstäti-
gen Männer, verstärkt für die Arbeiter unter
ihnen, ist die Ruhe und das Grün, das ein eige-
ner Garten bietet, wichtiger.
Mehrfachnennungen möglich Diese Ausprägungen lassen darauf schließen,
dass ganz offensichtlich die negativen Aspekte
Abb. 101. Was fehlt in Dietzenbach der betroffenen Gebiete wie schlechte Versor-
50 % gungsinfrastruktur, mangelnde Freizeitangebote
45 % oder fehlende Einrichtungen für Kinder und
Männer Jugendliche die Frauen in viel stärkerem Maße
40 %
treffen als die Männer. Auch fehlen offensicht-
35 % Frauen lich den Frauen, trotz der konstatierten sozialen
Netzwerke, zum Teil die außerfamiliären sozia-
30 %
len Beziehungsnetze. Aber auch die arbeitslosen
25 %
42
Vgl. hierzu Punkt 4.5.3.4 "Was fehlt in Dietzenbach?".
20 % 43
Für die Wohnortwahl von Migrantinnen und Migranten
15 % spielt die Nähe zu Familienangehörigen und Bekannten
eine herausragende Rolle. Ebenso sind gerade die nachbar-
10 % schaftlichen Selbsthilfestrukturen für sozio-ökonomisch
schwächere Migrantengruppen von besonderer Bedeutung.
5 % Jedoch können sich durch diese räumliche Trennung auch
die Abkopplungsprozesse zur deutschen Bevölkerung ver-
0 % stärken und zur Stigmatisierung der räumlichen Umgebung
und somit auch ihrer Bevölkerung führen. Vgl. hierzu Insti-
tut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung des Landes
Nordrhein-Westfalen (Hg.), Integration von Migrantinnen
und Migranten im Wohnbereich. ILS Nr. 1 8 0. Dortmund
2002, S. 22 f.
44
Hier wurde oft der Wunsch nach einem Einkaufszentrum
Mehrfachnennungen möglich mit einem Angebot an auch höherwertiger Kleidung geäußert.
143
Männer sind von diesen Defiziten betroffen, für
sie spielt jedoch die fehlende Mobilität eine grö-
ßere Rolle.
Abb. 102. Einschätzung in 10 Jahren
"Wie zufrieden sind Sie mit dem 50 %
Leben in Dietzenbach?" 45 %
Männer
Über 80 % der befragten Frauen und Männer 40 %
sind mit dem Leben in Dietzenbach zufrieden. Frauen 35 %
Differenziert nach Geschlecht ist hier die Zufrie-
30 %
denheit bei den Männern mit 85,2 % etwas
stärker ausgeprägt als bei den Frauen (80 %). 25 %

20 %
"Wie sehen Sie Ihre Zukunft in
15 %
Dietzenbach?"
10 %
Über zwei Drittel der befragten Frauen und
5 %
Männer sehen ihre Zukunft in Dietzenbach po-
sitiv. Hier wird oft betont, dauerhaft in Dietzen- 0 %
bach leben zu wollen, die (zukünftigen) Kinder
sollten hier aufwachsen. Oft wurde Wohnungs-
eigentum erworben oder ein solcher Erwerb ist
für die Zukunft geplant.
Differenziert nach Geschlecht sehen auch hier
Tab. 43. In Dietzenbach fehlt...
mit 69,1 % die Männer ihre Zukunft etwas
positiver als die Frauen (67,3 %). Kategorie Häufigkeit Prozent

"Wenn Sie sich Dietzenbach in zehn nichts 29 17,9


Jahren vorstellen, wie wird die Stadt gute Schulen 1 0,6
Einr.f.Kinder/Jugendl. 15 9,4
aussehen?" Einkaufsmöglichkeiten 33 20,4
zu viele Ausländer 5 3,1
Über 70 % der befragten Frauen und Männer Freizeiteinrichtungen 16 9,9
stellt sich Dietzenbach in zehn Jahren positiv Verkehrsanbindung 14 8,6
vor und geht von mehr Größenwachstum der Stadtbild 1 0,6
Stadt aus. Nachbarn/Freunde 9 5,6
Differenziert nach Geschlecht erwarten mit Garten 13 8,0
32 % jedoch fast doppelt so viele Frauen wie Sonstiges 26 16,0
Männer (16,3 %) eine eher negative Entwick-
lung. Total 162 100,0
Fast ein Drittel der interviewten Frauen sehen Mehrfachnennungen möglich
ihre Zukunft also durchaus pessimistischer als
die Männer. Sie vermuteten vor allem eine für
sie offensichtlich negative Entwicklung Dietzen-
bachs in Richtung Verdichtung, verbunden mit
zu vielen Häusern und wenigen Grünflächen.
144
Auch ein Wachstum ohne Zentrum wurde be- lieren. Zum anderen entsprach der Ansatz zeit-
fürchtet. lich, räumlich und organisatorisch den Alltags-
Die Männer bewerten das erwartete Wachstum geschäften der betroffenen Frauen.
der Stadt eher positiv und erwarten diesbezüg- Verstärkt wurden zwei Gruppen von Frauen
lich, auch durch den Bau der S-Bahn, positive mobilisiert, die normalerweise nicht in her-
Anstöße. kömmlichen Beteiligungsverfahren zum Zuge
Generell kann jedoch davon ausgegangen wer- kommen: ältere Frauen sowie muslimische
den, dass bei den Projektteilnehmerinnen und - Migrantinnen.
teilnehmern unserer Stichprobe ein positives Die vor Ort lebenden Frauen, insbesondere die
Dietzenbach-Bild bei gleichzeitiger großer Zufrie- älteren Frauen mit ihren altersbedingten Mobi-
denheit mit dem Leben in dieser Stadt vor- litätseinbußen, sind von der Verfügbarkeit klein-
herrscht, auch die Zukunft wird überwiegend räumiger Strukturen, kurzer Wege und guter
positiv gesehen. Es kann somit konstatiert wer- Verbindungen abhängig. Ebenso müssen soziale
den, dass sich bei den interviewten Projektteil- und kulturelle Einrichtungen am Wohnort vor-
nehmerinnen und -teilnehmern das in der Au- handen bzw. leicht zu erreichen sein. 45 Die
ßenwahrnehmung vorherrschende Negativimage diesbezüglich in Dietzenbach vorhandenen Defi-
Dietzenbachs in der Innenwahrnehmung nicht zite wie bspw. die Verlagerung des Stadtzen-
in gleichem Maße abbildet. trums von der Altstadt in die Neue Mitte und
die damit für sie verbundenen längeren Wege
4.5.3.5 Fazit wurden von den älteren Diezenbacherinnen im
Durch unsere aktive und aktivierende Beteili- Projektverlauf immer wieder kritisiert. 4 6
gungsform haben wir einen Teil der Dietzen- Bei den muslimischen Frauen fällt das große
bacher Bürgerinnen und Bürger selbst zu Wort Interesse an einem eigenen Garten auf. Auch
kommen lassen und dadurch offenkundig Men- wurden in unserem Projektbüro vor Ort gerade
schen erreicht, die normalerweise durch Status, von den Migrantinnen häufig die fehlenden Treff-
Geschlecht oder ihre Lebenssituation strukturell punkte für Erwachsene bzw. Wünsche nach
von gleichberechtigter gesellschaftlicher Teilhabe einem Park mit Aufenthaltsqualität angespro-
ausgegrenzt sind, nämlich Frauen, Kinder, Ju- chen. 47 Dies lässt den Rückschluss zu, dass den
gendliche, MigrantInnen, alte Menschen und muslimischen Frauen ganz offensichtlich die für
Erwerbslose. sie so wichtigen öffentlichen und halböffent-
Auffallend ist hier die hohe Zahl überwiegend lichen Räume fehlen.
junger kinderreicher Familien mit Migrations-
hintergrund unter den Nutzungsinteressentinnen
45
und -interessenten, von denen die Mehrzahl - Auch die älteren Frauen stellen eine zukünftig nicht zu
übersehende Größe dar, die es einzubinden gilt. Zwar
und somit auch ein Großteil der Kinder - in den
wurde bislang das Umland der Großstädte fast ausschieß-
Siedlungen mit hochverdichtetem Geschosswoh- lich als Region der Familien mit kleinen Kindern angese-
nungsbau und seinen schon ausgeführten Defi- hen. Es ist jedoch davon auszugehen, dass der demogra-
ziten lebt. Diese Defizite sind u. a. ein Erklä- phische Alterungsprozess, der zunächst die Kernstädte
erfasst hat, auch das Umland erreichen wird. Vgl. hierzu
rungsansatz für den stark ausgeprägten Wunsch Engel, Frank u. a. Weiblich, ledig, kinderlos und alt.
eines Großteils der InteressentInnen nach einem Soziale Netzwerke und Wohnbiographien alter alleinstehen-
Garten bzw. einem Spielplatz für die Kinder. der Frauen. Opladen 1996.
46
Vgl. hierzu Punkt 4.3.2.3
Ebenfalls ist ein hoher Beteiligungsgrad bei den 47
Ebd.
Frauen zu konstatieren. Erreicht wurde dies 48
Vgl. hierzu Waltz, Viktoria. Sozialraumanalyse aus der Sicht
zum einen durch die niedrigschwellige Beteili-
sozial engagierter Raumplanung - am Beispiel Migration.
gungsform des Vor-Ort-Büros, die den Frauen In: http://www.raumplanung.uni-dortmund.de/pz/
eine Möglichkeit bot, ihre Interessen zu artiku- download/vik/ raumanalysedoc.pdf, 17.03.2003, S. 8 ff.
145
Bisher differiert die Nutzung des öffentlichen ditionellen Lebensgewohnheiten ihrer Herkunfts-
und privaten Raumes durch muslimische Frauen kultur Rücksicht nehmen, sind dementspre-
und Männer aufgrund des kulturellen Rollenver- chend ausgegrenzt und beschränkt auf die eige-
ständnisses und gesellschaftlicher Zwänge stark. ne Wohnung. Aufgrund dieser fehlenden Öffent-
Typische Männerräume sind eher die Moscheen- lichkeit mangelt es den Frauen an Gelegen-
und Vereinsräume, Spiel- und Teestuben, Boule- heiten zur Kontaktaufnahme und sie sind dies-
plätze etc. 48 Gerade den arbeitslosen Muslimen, bezüglich auf die Hilfe durch den Ehemann
ebenso wie die Frauen verstärkt im Quartier prä- bzw. ihre schulpflichtigen Kinder angewiesen.
sent, bieten solche Räume wichtige Treffpunkt- Die große Anzahl der geäußerten Garten-Wün-
und Rückzugmöglichkeiten. Frauen aus dem sche kann folglich, neben den Defiziten des Ge-
islamischen Kulturkreis, die sich ihrer kulturel- schosswohnungsbaus, auch als ein Hinweis auf
len Tradition verbunden fühlen, sind stärker auf solche zur Zeit noch fehlenden öffentlichen und
die halböffentlichen Räume als verdeckte Frau- halböffentlichen Räume, wie sie Gärten oder
enräume angewiesen, die Art des Raumes hat Grabeland darstellen, interpretiert werden.
eine extreme Bedeutung für das Netz und die Diesem Defizit könnte durch die Umwandlung
Art sozialer Beziehungen dieser Frauen. des bislang unstrukturierten und weitgehend
Im traditionellen Herkunftsort oder Stadtteil be- ungenutzten Raumes in öffentliche und halböf-
reitet das keine Schwierigkeiten: Ein ausgespro- fentliche, vor allem von Frauen genutzte, soziale
chener Frauenraum ist hier das Haus. Dieses Räume abgeholfen und somit eine wichtige An-
muss neben dem Männerbereich die Möglich- forderung an eine geschlechtergerechte Stadt-
keit von Frauenbereichen zulassen. 4 9 Ebenfalls planung erfüllt werden. 5 0
ausgesprochene Frauenräume sind beispielswei-
se Innenhöfe oder hausbezogene Gärten. Aus-
gesprochene Männerräume sind die Moschee
oder das Kaffee- oder Teehaus. Zwischenräume
sind die öffentlichen Wege und dörflichen Orte,
die gemeinsam mit Männern genutzt werden.
In der Emigration fehlt jedoch das soziale und
sichere Netz der Beziehungen zwischen öffent-
lich und privat völlig. Hinzu kommt, dass im
Geschosswohnungsbau die für Frauen zu nut-
zenden Räume katastrophal eingeengt werden.
Diese werden durch eine oft viel zu kleine Woh-
nung ersetzt und die Kommunikationsräume
beschränkt auf das Wohnzimmer. Die Arbeits-
bereiche der Frauen im halböffentlichen Raum
wie z. B. Felder, Hauswirtschaftsräume oder der
Markt, fehlen im Allgemeinen völlig. Gerade die
vorherrschende Funktionstrennung zwischen
Wohnen, Arbeiten und Freizeit verstärkt diese
Reduzierung des Frauenraums noch. Dies hat
zur Folge, dass den Frauen die geschlechtsspe-
zifisch genutzten öffentlichen und halböffent- 49
Die Trennung hat auch etwas mit dem Schutz der Frauen
lichen Räume als wichtige Identifikationsorte und mit festen sozialen Beziehungsregeln zu tun. Männer
völlig fehlen. haben diese Räume zu respektieren.
Die muslimischen Migrantinnen, die auf die tra- 50
Vgl. hierzu auch Punkt 4.5.4.4.
146
4.5.4 Die Entdeckung des "Reich- scheidet sich die Bevölkerungsbefragung deut-
tums". Die Besonderheiten der lich: Nur 43 % sind verheiratet und 42,3 %
ledig. Fast die Hälfte hat keine Kinder, 43,6 %
Gruppe der Nutzungsinteressierten haben ein bis zwei Kinder, nur 5,4 % haben
- Vergleich der beiden Befragungs- drei, ein verschwindend geringer Anteil (2 %)
reihen hat mehr als drei Kinder.
Von den Nutzungsinteressierten lebt fast die
Die strukturell relevante Differenz der beiden Hälfte im Spessartviertel, das einen Gesamtbe-
Befragungsreihen besteht darin, dass einerseits völkerungsanteil von 25 % an der Stadt-
von einer definierten Gruppe - der Interessierten bevölkerung ausmacht, sowie ein Viertel im
an dem Projekt 2030 - und andererseits von Westend.
einer nach Stadtquartieren geschichteten Grund- 70 % der potenziellen Nutzerinnen und Nutzer
gesamtheit ausgegangen wurde. Im Folgenden lebt schon länger als zehn Jahre in Dietzenbach,
werden zentrale Unterschiede zwischen den Be- die BewohnerInnen des Spessartviertels sogar
fragungsergebnissen herausgearbeitet, um die zu 77,2 %. Das Ergebnis der Bevölkerungsbe-
Besonderheiten der Gruppe der Nutzungsinter- fragung ergibt, dass etwas über die Hälfte schon
essierten im Rahmen des Projekts 2030 gegen- länger als zehn Jahre in der Stadt leben. Diffe-
über der Gesamtbevölkerung zu verdeutlichen. renziert nach Quartieren wohnen in den traditio-
Die Unterschiede lassen sich zwar aus der Dar- nellen Quartieren 59 % schon länger als zehn
stellung der Ergebnisse der beiden Befragungen Jahre hier, in der "Neuen Mitte" sind dies 45 %
herauslesen, werden hier aber an den Punkten im Spessartviertel nur 29,2 %.
"Sozialstruktur" und "Wahrnehmung Dietzen- Unter den Nutzungsinteressierten gibt es einen
bachs" durch Gegenüberstellung pointiert. hohen Anteil (46,8 %) mit Hauptschulab-
schluss, nur 13,7 % haben die Realschule ab-
4.5.4.1 Sozialstruktur solviert oder besitzen das Abitur, nur 15,3 %
In den beiden Befragungsreihen ist der Frauen- haben studiert. Bei der Bevölkerungsbefragung
bzw. Männeranteil unter den Befragten in etwa haben 30,9 % die Realschule und 26,8 % die
gleich groß, es wurden zu 60 % Männer und Hauptschule absolviert, 20,1 % besitzen Abitur.
zu 40 % Frauen interviewt. Der Anteil der Menschen mit einem Studienab-
Bezüglich der Strukturmerkmale gibt es inner- schluss fällt hier mit 14,8 % etwas geringer aus.
halb der beiden Gruppen folgende Besonder- Bei den Nutzungsinteressierten ist der Anteil
heiten: (43,5 %) von Menschen ohne Berufsausbildung
Der Großteil (97,6 %) der Nutzungsinteressier- recht hoch. Bezogen auf die Gesamtstadtbevöl-
ten ist nicht in Dietzenbach geboren, darunter kerung fällt dieser Anteil deutlich geringer aus,
ein hoher MigrantInnenanteil (89,9 %), größ- nur knapp ein Drittel verfügt über keine Ausbil-
tenteils aus der Türkei und Marokko. Auch die dung.
Befragung innerhalb der Quartiere Dietzenbachs Bei den Nutzungsinteressierten ist fast die Hälfte
ergab einen hohen, wenn auch im Vergleich et- nicht erwerbstätig, davon der größte Teil arbeits-
was geringeren Anteil Zugezogener (89,9 %). los oder im Haushalt tätig. Von den Erwerbstä-
Der Anteil der Migrantinnen und Migranten liegt tigen ist mit über einem Fünftel der größte Teil
bei 24,5 %. Diese kommen ebenfalls überwie- als ArbeiterIn tätig. Der größte Teil der Befragten
gend aus der Türkei und Marokko, zudem aber auf die Gesamtstadt bezogen (43,6 %) ist als
auch aus Italien. Angestellte/r tätig. 41,6 % sind nicht erwerbstä-
Von den befragten Nutzungsinteressierten sind tig, den größten Anteil stellen hier mit 15,4 %
über drei Viertel verheiratet, 80 % haben Kin- die RentnerInnen, nur ein geringer Teil (7,4 %)
der, über ein Viertel mehr als drei. Hier unter- ist arbeitslos.
147
Kennzeichnen kann man die Nutzungsinteres- nur zu 17,4 %.
sierten in Relation zu den Ergebnissen der Be- Für einen Großteil der befragten Nutzungsinter-
völkerungsbefragung also folgendermaßen: essierten sind die sozialen Beziehungen von
• Der Anteil der Personen mit Migrationshinter- zentraler Bedeutung: So gefällt an erster Stelle
grund ist größer. besonders gut, dass in Dietzenbach viele Ver-
• Der Anteil der in Dietzenbach geborenen Per- wandte, NachbarInnen und FreundInnen leben.
sonen ist geringer. 17,5 % der Befragten gefällt die Ruhe und das
• Sie sind häufiger verheiratet und kinderreicher. Grün besonders gut an Dietzenbach.
• Sie leben vor allem im Spessartviertel. Über 80 % der Nutzungsinteressierten sind mit
• Sie leben recht lange in Dietzenbach. dem Leben in der Stadt zufrieden.
• Sie sind weniger gebildet. Bei der Stadtbevölkerung sind es nur 43 %, fast
• Sie sind häufiger ohne Berufsausbildung. ein Drittel (27,5 %) ist eher unzufrieden.
• Sie können mehrheitlich ihre Interessen auf Dies gilt auch für die individuelle Zukunftspers-
dem Weg der Wahl politischer Parteien in die pektive in Dietzenbach. Über zwei Drittel der
Stadtverordnetenversammlung nicht wahrneh- Nutzungsinteressierten sehen ihre Zukunft in
men. Dietzenbach positiv, innerhalb der Stadtbevöl-
kerung sind dies nur etwas über die Hälfte.
4.5.4.2. Wahrnehmung Dietzenbachs Ebenso trifft dies für die Einschätzung "Wie wird
Für drei Viertel der befragten Nutzungsinteres- Dietzenbach in zehn Jahren aussehen?" zu.
sierten gibt es wichtige Orte, an denen sie sich Über 70 % der Nutzungsinteressierten stellen
gerne und häufig aufhalten. Hier wird an erster sich Dietzenbach in zehn Jahren positiv vor, ver-
Stelle die Natur genannt, der Rest der Antworten bunden mit einem verstärkten Wachstum der
bezieht sich auf andere Stadtteile, öffentlich und Stadt. Bei der Befragung in der Gesamtstadt
privat-öffentliche Räume sowie das Zuhause. Es sieht auch hier das Bild anders aus. Über die
fehlt aber an einem gemeinsamen Bezugspunkt, Hälfte sehen ihre Zukunft in der Stadt eher ne-
es gibt keine wichtigen Orte, denen die Mehr- gativ, nur 46 % gehen von einer positiven Ent-
heit zustimmen könnte. wicklung aus.
In der Bevölkerungsbefragung ist auffällig, dass Zusammenfassend lässt sich über die Gruppe
es einerseits oftmals keine explizit benannten der Nutzungsinteressierten in Relation zur
Orte gibt, am liebsten hält man sich zu Hause Befragung der Gesamtbevölkerung sagen:
auf. Meist sind sie auf den jeweiligen Stadtteil • Sie haben ein positiveres Bild von der Stadt.
bezogen. Öffentliche Orte (Kino, Bürgerhaus) • Ihre Zukunftseinschätzungen sind deutlich
werden mitunter als wesentliche Orte benannt. positiver.
Mehr als zwei Drittel der befragten Nutzungsin-
teressierten entwerfen ein eher positives Bild 4.5.4.3 Resümee
von Dietzenbach, sie antworten auf diese Frage Deutlich wird im Vergleich, dass mit dem Pro-
mit "Ruhe/Grün", gefolgt von "Heimat". Positiv jektansatz 2030 in Dietzenbach eine besondere
hervorgehoben wird auch die multikulturelle, Gruppe erreicht wurde. Man kann sie als Kerne
viele Kulturen umfassende Seite der Stadt. Im von Aktivität und Selbstorganisation in Stadt-
Rahmen der Befragung der Stadtbevölkerung vierteln des Geschoßwohnungsbau ansehen, die
entsteht für einen Großteil der Befragten ein sich auf Grund langer Wohndauer vor der Folie
negatives Bild Dietzenbachs. Größtenteils wird eines fast durchgängig vorhandenen Migrations-
Dietzenbach als Ghetto wahrgenommen hintergrunds diese Orte angeeignet haben. Sie
(40,3 %), gefolgt von "Provinz" (29,5 %) und sind mit ihrem Wohnort vielfältig verbunden.
"Langeweile "(23,5 %). Positive Zuschreibungen Dies betrifft soziale Netzwerke wie Freundinnen,
wie "Heimat" nur zu 27,5 %, "Ruhe/Grün" sogar Freunde und Nachbarinnen, Nachbarn. Dies
148
betrifft aber auch Wahrnehmungen und Bilder für nachbarliche Kontakte, die offenkundig
der Stadt, die im Kontrast zur Betrachtung der einem Teil der befragten Migrantinnen zur Zeit
Gesamtbevölkerung völlig aus dem Rahmen fal- noch fehlen.
len - in einem deutlich positiven Sinne. Bezüglich der Nutzung des öffentlichen und pri-
Insofern gehört diese Gruppe der kinderreichen vaten Raumes wäre damit eine wesentliche Ziel-
armen Bevölkerung Dietzenbachs mit Migra- setzung von Gender Mainstreaming5 2 erreicht,
tionshintergrund, die keine politischen Mitbe- nämlich Frauen und Männern die gleichberech-
stimmungsrechte in der Kommune hat und in tigte Nutzung des öffentlichen und privaten
starker ökonomischer Abhängigkeit von den Raumes zu ermöglichen und somit die Stadt für
Möglichkeiten, die die Stadt bietet, steht, zum Frauen und Männer gleichermaßen lebenswert
"Reichtum" der Stadt. Hat sie doch nicht nur ein zu gestalten.
positiveres Bild von der Stadt, sondern ist auch Zusammenfassend kann festgehalten werden,
bereit, statt einer passiven Versorgungsmentali- dass unsere Vorgehensweise mit ihrer Möglich-
tät zu frönen, das Angebot der Verbesserung der keit der temporären Flächennutzungen Politik,
eigenen Situation durch Projekte wie Dietzen- Verwaltung sowie die Bürgerinnen und Bürger
bach 2030 anzunehmen. Die große Bedeutung, zu durchaus unüblichen Handlungen herausfor-
die dabei den Frauen zukommt, ist besonders derte. Es wurden Bedürfnisse artikuliert, die
zu beachten. sich auf den Reichtum der Stadt und die unge-
Durch das Projekt 2030 wurde auf diese Weise nutzten Ressourcen beziehen: den Boden und
eine Bevölkerungsgruppe identifiziert, die für die Bevölkerung. Dieses bislang noch brach lie-
den "aktivierenden Staat"51 , für den die personel- gende Potenzial könnte und müsste besser
le und finanzielle Entlastung durch tätige Mitge- genutzt werden.
staltung der Bürgerinnen und Bürger angesichts Eines dieser bisher ungenutzten Potenziale stel-
grundsätzlich veränderter ökonomischer und len die in Dietzenbach lebenden Migrantinnen
sozialer Bedingungen immer bedeutsamer wird, und Migranten dar. Die Belange und speziellen
eine Bereicherung darstellen kann. Vom Versor- Ansprüche dieser Bevölkerungsgruppe - ein
gungsstaat hingegen wird diese Gruppe immer Großteil besitzt die deutsche Staatsangehörigkeit
noch eher als Belastung empfunden. und hat Dietzenbach als dauerhaften Wohn-
standort bzw. Lebensmittelpunkt gewählt -auch
4.5.4.4 Empfehlungen
Die große Zahl der Garten-Wünsche für die Nut- 51
v. Bandemer, Stephan/Hilbert, Josef; Vom expandierenden
zung einer brach liegenden Parzelle wurde von zum aktivierenden Staat; in: v. Bandemer u.a. (Hrsg.),
politischer Seite zwar negativ bewertet, weil hier Handbuch zur Verwaltungsreform, Opladen 1998, S. 29.
52
Vorstellungen von Schmuck bzw. Verschönerung Mit dem Begriff wird eine Strategie zur nachhaltigen
Förderung der Chancengleichheit von Frauen und Män-
vorherrschten. Jedoch könnten gerade Gärten nern bezeichnet. Diese Top-down-Strategie wurde in fast
und Grabeland als Anforderung an eine integra- allen EU-Staaten, so auch in der Bundesrepublik, auf
tionswillige Politik und eine geschlechtergerech- Grund von Vorgaben der Vereinten Nationen und der
Europäischen Union implementiert oder befindet sich der-
te Stadtplanung begriffen werden. zeit in der Implementationsphase. Zielsetzung ist hierbei,
Durch eine "Rückeroberung" des bislang unstruk- dass die Akteurinnen und Akteure in Politik, Wirtschaft und
turierten und weitgehend ungenutzten Raumes Gesellschaft in alle Entscheidungsprozesse die Perspektive
des Geschlechterverhältnisses einbeziehen und alle Ent-
bzw. der Brachflächen durch öffentliche und
scheidungsprozesse für die Gleichstellung der Geschlechter
halböffentliche, vor allem von Frauen genutzte nutzbar machen. D. h. die möglicherweise unterschied-
soziale Räume, könnte das Quartier attraktiv lichen geschlechtsspezifischen Auswirkungen von Politiken
und belebt und die Wohn- und Lebensqualität sind zu berücksichtigen. Auch im Bereich der Stadtent-
wicklungspolitik besteht daher auf allen politischen Hand-
erhöht werden. Auch bietet gerade der halböf- lungsebenen die Anforderung, Gender Mainstreaming in
fentliche Raum der Gärten Anknüpfungspunkte Verwaltungshandeln umzusetzen.
149
in Hinsicht auf die Stadtentwicklung, wurden
bisher noch zu wenig berücksichtigt.
Insbesondere die Migrantinnen, die nicht nur
die negativen Aspekte ihrer Wohnumgebung
eher wahrnehmen, sondern sich auch von posi-
tiven Veränderungen stärker angesprochen füh-
len, könnten hier eine wichtige Rolle als Akteu-
rinnen in Erneuerungs- und Veränderungspro-
zessen einnehmen. Auch ihre stabilisierende
Funktion für die Stadtteile sollte genutzt werden.
Als handlungsleitend für die künftige Stadtent-
wicklung Dietzenbachs gilt es also, an vorhan-
dene Interessen, Aktivitäten und Bedürfnislagen
anzuknüpfen, um diese bisher ungenutzte Res-
source für das Zusammenleben im Gemein-
wesen nutzbar zu machen.
PROJEKTREALISIERUNG
4.1 METHODIK, STRATEGIE UND
GENESE

71
Das Projekt "Dietzenbach 2030 - definitiv un- Stelle verstandene Botschaft ließ sich auf die
vollendet" bestand aus zwei Projektteilen, die Brachflächen in der gesamten Stadt übertragen.
eng miteinander verknüpft waren. Auf der einen Nach der Transformation stellte die individuelle
Seite stand das Thema - der Boden in Dietzen- Besetzung einer Parzelle mit vier Stelen quasi
bach mit der Option zur Besetzung durch die die Einfriedung der Brache dar und kann auch
Bürgerinnen und Bürger - und auf der anderen als Symbol temporärer Verwurzelung eines Diet-
Seite die Vermittlungsaktion - die ästhetische zenbacher Bewohners oder einer Bewohnerin
Setzung der Stelenreihe in der Stadtmitte mit gelesen werden.
der Option zur Transformation. Beide zusammen
boten den Bürgerinnen und Bürgern an, für ihre
Stadt Verantwortung zu übernehmen, und for-
derten von ExpertInnen, Verwaltung und Politik
für diese Übernahme von Verantwortung An-
knüpfungspunkte zu erstellen.

4.1.1 Ästhetische Setzung


4.1.1.1 Das Medium: Ästhetik und Symbol
Das Medium der Kommunikation war eine
"ästhetische Setzung" im Stadtraum. Beim Pro-
jekt Dietzenbach 2030 handelte es sich um
eine Stelenreihe, die sich zwischen den unter-
schiedlichen Verkehrsbändern in der Stadtmitte
aufspannte. In der Achse der Einflugschneise
zum Rhein-Main-Flughafen symbolisierte sie
das Ankommen, das (noch) Nicht-verwurzelt-
Sein der Dietzenbacher Bürgerinnen und Bür-
ger, die zum großen Teil "Hinzugezogene" sind. 1
Damit wurde das zu verhandelnde städtebauli-
che Thema, der temporäre Umgang mit unge-
nutzten Flächen, sowohl durch den Standort
Brachfläche als auch durch die Objektteile
selbst versinnbildlicht: Die 2.500 Holzstelen Abb. 30. Montage Stelenreihe
standen für die Option eines jeden Bürgers und Abb. 31. Montage Claimabsteckung
einer jeden Bürgerin, sich mittels einer Stele
einen Claim auf einer 100 qm großen Parzelle gegenüberliegende Seite: Konzept
auf den ausgewiesenen Brachflächen abzuste- Abb. 27. Montage der Stelenreihen zwischen
cken. den Verkehrsachsen: Kreisstrasse, S-Bahn-
Die Präsenz der Stelenreihe im öffentlichen trasse, Einflugschneise
Raum war Zeichen für eine konkrete Hand- Abb. 28. Montage: Stelenreihe durch den Ort
lungsoption in der Gegenwart und nicht für ein Abb. 29. Montage: Stelenreihe als Setzung auf
künftiges Planungsziel, das mit einem Leitbild den Brachen in der Neuen Mitte
in der Regel intendiert wird.
Als erstes Anzeichen einer Besetzung der Fläche 1
Lt. der durchgeführten Befragung sind nur etwa 10 % der
löste die Stelenreihe Nachfragen über die Be- Bewohnerinnen und Bewohner Dietzenbachs in Dietzen-
bauung dieses Grundstückes aus. Die an dieser bach geboren. Vgl. Kap. 4.1.2.2.
72
4.1.1.2 Der Einfluss der Kunst nehmung der Störung sowie der nachfolgenden
Mehrfach wurde die Frage aufgeworfen, ob es Verteilung über die gesamte Stadt gegeben.
sich bei der Setzung um Kunst handle oder um Daneben wurde der Aufruf durch Informationen
eine Installation, um eine Provokation oder um im "Bürgerbüro" für alle verdeutlicht. Jedem und
einen Überraschungscoup. jeder Einzelnen wurde die Chance zur Teilnahme
an der Kunstaktion gegeben sowie die Möglich-
7.000 Eichen von Beuys keit, auf die Gestaltung ihrer Stadt nachhaltig
Inspiriert wurde das Projekt von Josef Beuys' einzuwirken.
documenta-Werk der 7.000 Eichen: Ein "Stein- Die Bürgerinnen und Bürger in diese Rolle ein-
haufen" aus 7.000 Basaltblöcken wurde vor treten zu lassen war auch das stadtplanerische
das Museum Friedericianum gesetzt. 2 Dieser be- Ziel in Dietzenbach. Ihre Einwirkung wurde
legte und veränderte den Platz sichtbar, der nur aber nicht als einmalige Aktion, sondern als
durch privates Engagement zurückgewonnen kontinuierlicher Einsatz in der Stadt gedacht.
und "in Ordnung gebracht" werden konnte. Das Analog zu den Basaltblöcken wurde vom Pro-
Konzept sah das aktive Auftreten der Bürgerin- jektteam - also von außen - eine kleinteilige
nen und Bürger vor, die die Entfernung jeweils Installation in den öffentlichen Raum der Mitte
eines Basaltblockes veranlassen konnten, indem Dietzenbachs gesetzt. Diese sollte sich - ver-
sie den öffentlichen Raum mit einer Baumpflan- gleichbar mit den Beuys'schen Eichen - durch
zung bereicherten. individuelles Handanlegen über den gesamten
Die große Anzahl der Elemente - 7.000 Basalt- Stadtraum verteilen und dadurch positiv auf das
blöcke und 7.000 Eichen - spielte eine nicht Verhältnis zur eigenen Stadt einwirken. Durch
unerhebliche Rolle, denn nur so war die Wahr- die bewusste Übertragung eines künstlerischen
Konzeptes auf die Stadtentwicklung wurde die
Stadtverwaltung konsequenterweise als Mit-
spielerin in das Projekt integriert.
Abb. 32. Beuysprojekt zur dokumenta 1982
Basaltblöcke vor dem Friedericianum in Kassel Weitere provokative Kunstaktionen
Der Künstler Olaf Metzel bringt Menschen, die
Ausstellungen in der Regel nicht besuchen, zu
von ihm zuvor veränderten Orten. So bestückte
er für die vierte Biennale 1995 in Istanbul einen
Kiosk mit Devotionalien eines türkischen Fuß-
ballvereins und führte dadurch Fußballer und
ihre Fachpresse ins Museum.
Wie Reaktionen auf Projekte eine Eigendynamik
entwickeln können, zeigt auf besondere Weise
eine Arbeit des Berliner Künstlerduos p.t.t.red.
Zu ihrem Langenhagener Projekt von 1997, bei
dem auf dem Marktplatz ein Podium aufgebaut
wurde und Plakate den Auftritt von Ulrike Mein-
hof verkündeten, strömten die Massen und ge-
rieten in heftige Diskussionen.
Die KünstlerInnen provozieren mit ihren Aktio-
nen, intendieren jedoch nicht explizit eine Ver-

2
dokumenta-Arbeit, Hrsg. Veit Loers, Pia Witzmann, 1993.
73
4.1.1.3 Der Grad des Reizes
Durch die Transformation der Installation sollten
sich einerseits individuelle Handlungsräume für
Bürgerinnen und Bürger erschließen und sollte
sich andererseits das Stadtbild verändern. Es
stellt sich die Frage, ob zur Erreichung der not-
wendigen Aufmerksamkeit in der Bürgerschaft
heute noch eine möglichst provokative Installa-
tion - ähnlich dem Beuysprojekt - maßgeblich
ist.
In der heutigen Zeit der Reizüberflutung und
des anything goes vermag man mit Provokatio-
nen bestenfalls eine kurzzeitige Verwunderung
auslösen. Zumal sich in einer fragmentierten
Stadt ohne Mitte und Identifikationsangebote so
schnell keine persönliche Betroffenheit wegen
eines "Haufens" o. ä. erzeugen lässt - dazu sind
diese in Dietzenbach zu alltäglich. Ziel war es
also vielmehr, den Bürgerinnen und Bürgern die
Ernsthaftigkeit des Angebotes und der Aufnahme
ihrer Interessen zu vermitteln.
Um die Aufmerksamkeit zu erhöhen, sollte an-
stelle einer Provokation ein Überraschungscoup,
die Installation in einer Nacht-und-Nebel-Aktion,
erfolgen. Letztlich war diese Umsetzung auf
Grund der Menge der aufzustellenden Stelen
Abb. 33. Beuysprojekt: Versetzen eines technisch nicht zu bewältigen.
Basaltsteins und Pflanzen einer Eiche Im Nachhinein lässt sich feststellen, dass das
mit der Überraschungsabsicht praktizierte Still-
änderung, die sie nach eigenen Aussagen nicht schweigen über die Aktion dem Projekt nicht
vorhersehen können und wollen. Die Ergebnisse förderlich war. Denn dies schränkte die Kom-
haben keinerlei Einfluss auf die Gültigkeit und munikation vorab ein, die gerade auf der politi-
Originalität der Idee. schen Ebene notwendig gewesen wäre, um
Anders die Stelenreihe als Setzung im öffentli- weitere Förderer sowie MultiplikatorInnen zu ge-
chem Raum im Rahmen des Projektes Stadt winnen.
2030: Eine ausbleibende Reaktion der Bürger- So beschränkte sich die Kommunikation auf die
Innen würde die Stelenreihe als Instrument der PartnerInnen im Stadtplanungsamt und auf den
Stadtplanung disqualifizieren. Hier waren also Bürgermeister, dem die Schlüsselrolle in der
die Ergebnisse ausschlaggebend für die Bewer- Unterstützung zugedacht wurde. Auf das Ange-
tung der Idee. bot, das Projekt zu dem Seinigen zu machen
und sich mit dem Erfolg in der Stadt zu profilie-
ren, ging er nicht ein.
74
4.1.1.4 Die Partizipation am Aufbau
Um das Projekt in einem ersten Schritt in die
Bevölkerung zu tragen, wurden im Sinne einer
klassischen Beteiligungsstrategie zahlreiche
Mitmach-Aktionen organisiert. Von Beginn an
boten die Stelen die Möglichkeit des Handelns:
Schulkinder und Jugendliche waren eingeladen,
Hand anzulegen und die Stelen zu bemalen.
Von Anfang August bis Mitte September 2002
beteiligten sich Gruppen aus den Ferienspielen
und der Lernwerkstatt, später kamen Schul-
klassen aus verschiedenen Schulen hinzu.
Die Vor- und Nachbereitung der Aktionen sowie
die Begleitung der Durchführung erforderten
einen erheblichen Aufwand, der die eigentliche
sowie die beauftragte Planungsleistung bei wei-
tem überstieg. Auch der Kommunikationsauf-
wand, um die Werkstatt- und Schulleiter für die
Mitwirkung zu gewinnen, war beträchtlich. Die
Beteiligung der Kinder und Jugendlichen sollte
das Projekt sowohl in ihrem Umfeld (Eltern,
FreundInnen) bekannt machen als auch die
Partizipationsprojekten innewohnende Strategie
von Akzeptanz und Identifikation bewirken.

Abb. 34. Faltblatt zur Beteiligung der Schulen


an den Aktionen der Stelenbemalung
75
76
4.1.1.5 Die Ritualisierung der Transformation konzentrierten Reihe punktuell über die gesam-
Sobald die Aufstellung der ersten 500 Stelen te Stadt. Brachliegende Freiflächen wurden
die weitere Reihung erahnen ließ, diente ein einer temporären Nutzung zugeführt. Permanent
"Richtfest" dazu, das Projekt durch den Bürger- ist nur der Prozess des Nutzungswandels, den
meister und das Projektteam der Presse und der es zu kultivieren gilt.

4.1.1.6 Die Zeichen des Handelns


Die ästhetische Setzung löste in Verbindung mit
dem Bauwagenbüro ca. 1.000 Anfragen aus,
die mit annähernd 300 Eingaben zur konkreten
Nutzung von Parzellen verbunden waren. Als be-
greifbares Angebot hielt die Stelenreihe Schwel-
lenängste und Verständigungsschwierigkeiten
gering und förderte so die Vermittlung der Inhal-
te gerade auch für viele ausländische Bürgerin-
nen und Bürger.
Die Stelen bleiben nach Abschluss des Projekts
versetzt als sichtbares Zeichen in der Stadt:
Einerseits als Zeichen der Teilnahme Einzelner
und ihrer individuellen Übernahme von Verant-
wortung für ein Stück Stadt. Gleichzeitig auch
als Zeichen des realisierten Gesamtprojektes,
das hier von außen initiiert wurde und andern-
orts in anderer Form und mit anderem Thema
von einer Kommune initiiert werden kann.
Abb. 35. Eine Stele als Angebot für jede/n ein-
zelne/n BürgerIn zur Projektteilnahme

Öffentlichkeit vorzustellen. Von da an konnten


Wünsche für die Parzellennutzung im Projekt-
büro, das in der Mitte der Stelenreihe in einem
Bauwagen eröffnet wurde, eingereicht werden.
Die Fertigstellung der Stelenreihe bot Gelegen-
heit, mittels einer Vernissage Presse und Bevöl-
kerung über den Stand und den weiteren Pro-
jektverlauf zu informieren sowie erste Nutzungs-
wünsche als Inspiration zur Teilnahme weiterer
Bürgerinnen und Bürger zu vermelden.
Mit der Versetzung der Stelen von der Reihe auf
die Parzelle wurde - wiederum als Event mit
Politik, Presse und Fernsehen - die Inbesitz-
nahme ritualisiert und der Claim anschließend
visualisiert. So fanden im Laufe des Projektes
Transformationen auf zwei Ebenen statt: Die
Stelen verteilten sich von der in der Stadtmitte
Abb. 36. und Abb. 37.
Transformation der Stelen
aus der Reihe in der
Stadtmitte auf das
gesamte Stadtgebiet
78
4.1.2 Die Kampagne "100 qm" Diese Herangehensweise erforderte von Exper-
tinnen und Experten, Planerinnen und Planern
Das Thema des Bodens wurde in der Kampa- wie von Politikerinnen und Politikern eine par-
gne "100 qm" umsetzungsorientiert aufgegriffen. tielle Abkehr von der Haltung, die diese Gruppen
Die Kampagne "100 qm" rief zur temporären bisher oft als "Katalysator schöpferischer Synthe-
Besetzung Dietzenbacher Brachflächen auf und se, Verfechter des allgemeinen Wohls und Ver-
damit zur Übernahme von Verantwortung für treter benachteiligter Gruppen" verstanden hat. 3
die Flächen. Verstärkt und im Stadtraum sicht- Stattdessen wurde eine Aushandlungskultur
bar wurde das Thema durch die Aktion in Form nötig, die, statt Gemeinwohldefinition anzustre-
der Stelenreihe. Die Stelenreihe spiegelte diese ben, der Konsensfindung dienen sollte.
neu geschaffene Handlungsoption, indem die
Stelen aus der Reihe entnommen und zum Ab-
stecken der zu besetzenden 100 qm Dietzen-
bacher Boden genutzt werden konnten.
Mit dem Thema des Bodens wurde ein Aspekt
der Stadt und ihrer Geschichte aufgegriffen, an
dem sich vielfältige Probleme der Vergangen-
heit, aber auch Chancen der Zukunft erkennen
lassen. Der Boden als für Verkehrsflächen ver-
brauchtes Gut, als Gegenstand von Gerichts-
verfahren, als Brachfläche und Zeichen für sto-
ckende Entwicklung, aber auch als Chance für
die Bürgerinnen und Bürger, ihren Raum abzu-
stecken, sich niederzulassen und heimisch zu
fühlen. Die Stelenreihe durch die Stadtmitte ver-
deutlichte diese Chancen: Mit den Stelen ließen
sich Claims abstecken, die große Zahl der Ste-
len symbolisierte dabei die unglaubliche Anzahl
absteckbarer Claims und damit Handlungsop-
tionen der Bürgerinnen und Bürger in der Stadt.
Die Kampagne "100 qm" und die Stelenreihe
bezogen sich aufeinander, verstärkten sich und
erhielten so städtebauliche Relevanz.
Die Flächenbesetzungen der Bürgerinnen und
Bürger, ihre Projekte auf 100 qm Boden, wur-
den Gegenstand von Diskussionen über die Abb. 38. Paradies auf 100 qm
Stadt. Die Einzelprojekte wurden zwischen
unterschiedlichen AkteurInnen der Stadt verhan-
delt, um eine Realisierung der Projekte durch
die Bürgerinnen und Bürger zu ermöglichen
und einen Interessenausgleich zwischen den
AkteurInnen zu erlangen. Die Diskussionsgrund-
3
lage war nicht mehr die Projektion einer zukünf- Spiegel, Erika; Konzepte und Modelle zur Gestaltung des
tigen und als ideal gedachten Umwelt in die Planungsprozesses, Manuskript, Hamburg im Juni 1992,
zitiert nach Düwel, Jörn und Gutschow, Niels; Städtebau in
Gegenwart, sondern das Handeln Einzelner und Deutschland im 20. Jahrhundert, Verlag B.G. Teubner,
damit die Vielzahl der Einzelprojekte. Stuttgart 2001, S.170.
79
4.1.2.1 Strategie auch bei Grundstücken in Privateigentum relativ
Die entwickelte Strategie lässt sich in fünf schnell und unbürokratisch gelöst.
Arbeitsphasen gliedern: Sehr viel kontroverser wurde die Art der tempo-
rären Nutzung diskutiert. Die Angst vor Kontroll-
Beschreibung des Themas oder "Nervs" der verlust seitens der Verwaltung und vor allem der
Stadt Politik beschnitt hier die Nutzungsvielfalt schon
In einem ersten Schritt wurde das zentrale The- im Vorfeld erheblich. Bei den durchgeführten
ma der Stadt gesucht. Dazu wurden Einzelbeob- Projekten sollte sich diese Vorsicht als unbe-
achtungen mit Hilfe von Methoden wie Back- gründet herausstellen. Es kam bisher weder zur
casting und Scapes identifiziert und extrapoliert. Zerstörung von Projekten noch zu Problemen
In der anschließenden Diskussion der gewonne- bei der Wiederherstellung der Flächen.
nen Ergebnisse wurde das zentrale Thema defi-
niert. Als Thema wurde der Boden in Dietzen- Entwurf eines Prozesses zur Umsetzung
bach aufgegriffen. Für die in dieser Form neue Zusammenarbeit
Innerhalb des Entwicklungsbereiches ist er als von Politik, Verwaltung, Bürgerinnen und Bür-
Brache und Leere präsent. 4 In Vorbereitung auf gern wurde ein Vorgehen konzipiert, das die
die Kampagne "100 qm" befasste sich das Pro- Verwaltungsabläufe beschleunigen und trans-
jektteam intensiv mit den Eigentumsverhältnis- parent gestalten sollte. Die Abstimmung zwi-
sen, mit dem Stand der Entwicklungsmaßnah- schen Verwaltung und Politik wurde zeitlich
me, mit den politischen Einflussnahmen auf die engmaschig angelegt. Das frühzeitige Aufgreifen
Entwicklung und der städtebaulichen Relevanz von Bürgerideen stand im Mittelpunkt dieses
einzelner Flächen innerhalb des Projektes. In Vorgehens.
Gesprächen mit AkteurInnen in der Stadt wie
Verwaltung, EigentümerInnen sowie Vereinen Das Thema in die Stadtöffentlichkeit bringen
wurden dreißig Flächen identifiziert, die inner- Das Thema Boden wurde in enger Abstimmung
halb des Projektes diskutiert werden sollten. mit der Stelenreihe in Form von 10.000 Flug-
Diese Auswahl verstand sich als vorläufig. blättern sowie 400 Plakaten mit dem Aufruf zur
Auffallend war allerdings, dass weder Flächen Besetzung und mit Informationen über Ablauf
hinzugefügt wurden noch alle genannten und AnsprechpartnerInnen in die Öffentlichkeit
Flächen innerhalb des Projektes in die öffent- getragen.
liche Diskussion gerieten. Verstärkt wurde die Kampagne durch die ästhe-
tische Setzung, die das Thema des Bodens auf-
Transformation des Themas in eine umset- greift und stadträumlich sichtbar werden lässt.
zungsorientierte Kampagne Sie zeigte durch die Stelen auch die Handlungs-
Das Thema wurde durch den Aufruf zur Beset- optionen für jede einzelne Bürgerin und jeden
zung des Bodens von einer reflektierenden Be- einzelnen Bürger auf, mit vier Stelen aus der
trachtung der Situation in eine konkrete Hand- Stelenreihe ihre/seine 100 qm Boden abstecken
lungsoption transformiert. In intensiven Diskus- zu können.
sionen wurden Gefahren und Chancen eines
solchen Aufrufs vom Projektteam gegeneinander
abgewogen. Die rechtlichen Konsequenzen wur-
den mit Hilfe von ExpertInnen in der Verwaltung
bedacht und ein Vertragsmuster für eine tempo-
räre Bodennutzung entworfen.
Versicherungsrechtliche Fragen wurden sowohl
bei Grundstücken in städtischem Eigentum als 4
Vgl. Kapitel 2: Baustruktur, Fragmentierung.
80
Begleitung der Umsetzung und Anstoßen von 4.1.2.2 Thema finden - Nerv treffen
langfristigen Prozessen Das Thema des Bodens wurde nach einer Rei-
Die Beratung der Bürgerinnen und Bürger bei he von Vorarbeiten, die an der TU Darmstadt
der Umsetzung ihrer Ideen stellte sich als sinn- erfolgten, festgelegt. Eine Annäherung an die
voll heraus, da der Vorgang selbst nicht einge- Dietzenbacher Situation und für die Stadt städ-
übt war. tebaulich relevante Themen wurde in Zusam-
Parallel zur Besetzung einzelner Flächen wur- menarbeit mit Studierenden erbracht.
den die für das Projekt notwendigen Verfahren Im Winter 2001 wurde an der Fachgruppe
in Politik und Verwaltung der jeweiligen Aufgabe Stadt eine städtebauliche Übung herausgege-
angepasst. Die Presse wurde möglichst weitge- ben, die es zur Aufgabe hatte, kleine Entwick-
hend über den jeweiligen Stand des Projektes lungen in Dietzenbach aufzuspüren und diese
informiert. Einzelentwicklung in einer Projektion auf das
Das Entstehen langfristiger Strukturen, z.B. in Jahr 2030 fortzuschreiben. Die Ergebnisse die-
Form von neu zu gründenden Vereinen, oder ser Fortschreibung sollten dann zurückgebro-
Engagement im Rahmen bestehender Struk- chen werden auf Erkenntnisse oder Empfeh-
turen wie dem Ausländerbeirat wurde geför- lungen für die Gegenwart.
dert. 5
Das Projekt wurde durch einen Bauwagen
ergänzt, in dem von ProjektmitarbeiterInnen
Informationen zur Kampagne "100 qm" und der
Stelenreihe weitergegeben wurden. Er erwies
sich als sehr gut angenommenes, niedrig-
schwelliges Angebot für Bürgerinnen und
Bürger. 6

Abb. 39. Statistik, Studentenarbeit TUD

Die studentischen Arbeiten griffen sehr unter-


schiedliche Beobachtungen auf. Ein Team, das
zusammen mit einem Mathematiker arbeitete,
errechnete unter statistischer Modifikation eines
Parameters, dass Dietzenbach mit einiger Wahr-
5
Vgl. hierzu: Internationale Gärten Göttingen, www.interna-
tionale-gaerten.de.
6
Vgl. Kapitel 4.3.3: 1.000 Stellungnahmen, 292 konkrete
Nutzungsideen.
81
scheinlichkeit im Jahr 2030 die gesamte ar- Beobachtung auf die Stadtplanung und projizie-
beitsfähige Bevölkerung Hessens beheimaten ren diese auf lange Zeiträume. Die Scapes wan-
könnte. Andere Teams thematisierten die Ju- dern dabei auf dem Grat zwischen ernsthafter
gend der Bevölkerung. Ein Team schrieb die mit Kritik und Polemik. 7 Aus den aus den Scapes
dem Hessentag eindrucksvoll begonnene Festi- entwickelten Argumenten in der städtebaulichen
valisierung der Stadt fort mit dem Ergebnis, Diskussion folgt dann eine konkrete gegenwärti-
dass die Stadt im Jahr 2030 die olympischen ge Form, die sich direkt aus den Scapes ablei-
Spiele ausloben könnte. Die Ausbildung von ten lässt, und in sich das Argument als fiktive
einer großen Zahl von Zentren stand im Mittel- Funktion widerspiegelt. Form follows fiction statt
punkt einer Arbeit, mit dem Ergebnis der Frag- form follows function. 8
mentierung in kleinste Dorfeinheiten bis zum In einer Weiterentwicklung der niederländischen
Jahr 2030. Ein Team schließlich schlussfolgerte Beispiele wurden im vorliegendem Projekt die
aus Videointerviews mit Bürgerinnen und aus den Scapes gewonnenen Anregungen in der
Bürgern die Umlagerung der Großwohnanlagen Kampagne "100 qm" aufgegriffen. Die Kampag-
auf die dünn besiedelten oder brachliegenden ne bot Bürgerinnen und Bürgern einen Anlass,
Flächen der Stadt. in ihrer Stadt und in ihrem Interesse aktiv zu
In der Diskussion über diese erarbeiteten Scapes werden. Politik und Verwaltung wurden gefor-
kristallisierten sich über einen langen Zeitraum dert, dafür Abläufe und Strukturen zu entwi-
die für das Projekt 2030 relevanten Themen ckeln. Verstärkend wurde zeitgleich die Wahr-
heraus. Dazu gehört die demographische Ent- nehmung des Stadtraumes durch das Einfügen
wicklung, die für Dietzenbach eine extrem junge einer symbolisch mit dem Thema verbundenen
ästhetischen Setzung verändert.
Es wurden also die Beobachtungen jenseits
ihrer Wertung auf ihr Umsetzungspotenzial hin
untersucht. Eine städtebaulich relevante Um-
setzung, ein Anstoßen von Prozessen war das
Ziel der Strategie. Damit wurde das Handeln
nicht auf ein "Später" verschoben, sondern es
wurden konkrete Herausforderungen geschaffen
und Druck erzeugt, mit diesen Herausforde-
rungen umzugehen. These war, dass aus die-
sem Umgang eine Auseinandersetzung mit
städtebaulichen Themen abgeleitet werden
würde.

Abb. 40. Studentenarbeit TUD

Bevölkerung ergibt, sowie die Asymmetrie von


Wohnform und Bodennutzung bzw. fehlende
Verfügbarkeit von Boden für einen großen Teil
der Bevölkerung.
Die Studentinnen und Studenten erarbeiteten 7
Vgl. MVRDV; METACITY / DATATOWN, 010 Publishers,
diese Projektionen in Anlehnung an aktuelle Rotterdam, 1999, S. 64 - 93
niederländische Beispiele. Diese extremen 8
Bosman, Jos; form follows fiction, von der Meta City zur
Szenarios oder Scapes behandeln ein jedes den Mega City in: Daidalos 74, Berlin, 2000.
Einfluss von nur einer Einzelentwicklung bzw.
82
4.1.2.3 Vorbilder Chora / Bunschouten
Vorbilder für diesen Ansatz lassen sich sowohl Chora untersucht akribisch die Möglichkeit,
in der Kunst als auch in Architektur- und Pla- durch Mini-Szenarios im städtischen Raum neue
nungstheorie finden. Im Bereich der Kunst sei Entwicklungsoptionen, Potenziale auf ihre Wirk-
neben der schon beschriebenen Beuys Aktion samkeit, Kommunizierbarkeit hin auszutesten.
‚7000 Eichen' auf folgende KünstlerInnen und Die Mini-Szenarios können sich zu Erzählungen
ihre Arbeit verwiesen: 9 und Geschichten entfalten. Akteure in der Stadt
kommen durch diese Szenarios in Kontakt mit-
Wochenklausur einander. Im günstigsten Fall entstehen durch
Die derzeit aktive österreichische Künstlergruppe die Szenarios neue Entwicklungsdynamiken und
Wochenklausur agiert ebenfalls im städtischen
Raum. 10 Sie arbeitet jeweils für acht Wochen an
einem Ort. Im Vorfeld ihrer Arbeit versucht sie
den Ort zu analysieren, sie sucht nach einem
Aspekt des Ortes, d.h. auch der Stadt, der dann
in einem Projekt aufgegriffen wird. Es ist ihnen
wichtig, zu einer Veränderung der Situation vor
Ort beizutragen. Die Situation wird dabei meist
als soziale Situation beschrieben. Sie versuchen
durch ihren Blick von außen Dinge in Bewe-
gung zu bringen, die von den städtischen Ak-
teurinnen und Akteuren nicht mehr wahrge-
nommen werden oder für die bisher keine Lö-
sung entwickelt werden konnte. Innerhalb der
acht Wochen setzen sie dann ein Projekt wie
z.B. die ärztliche Betreuung von Obdachlosen
um und versuchen eine Struktur zu entwickeln,
die das Projekt auch langfristig trägt. Nach acht
Wochen verlassen sie die Stadt wieder.
In der Architektur- und Planungstheorie lassen
sich ähnliche Tendenzen beobachten. Allerdings
fokussieren diese in der Regel auf den Stadt- Textures of the Loom: some elements for weaving
raum und weniger auf den sozialen oder politi- A Pull of the Mountain. Desire for paradise. The Wilderness.
schen Raum der Stadt. Gemeinsam ist ihnen, The Landscape.
B The fold as the gate, regulating the pull towards the lands-
dass sie versuchen, die Diskussion über Inhalte cape. Existing institutions as "gatekeepers"
abzulösen durch eine Betonung des Prozesses. C The river, origin of Linz, source of the floodplane. Horizon
Sie geben damit den keinen Veränderungen den of the second frame. The river creates the open space.
Vorzug vor nicht zu realisierenden Zukunfts- D Fissure: singularity of the earth, geomorphic boundary of
the Traun basin.
räumen. 11 E Industrial cores, economic engines, city blight, ecological
banes, complex symbols, architectural showcases.
F Gardening, model airplanes and other leisure.
9
Vgl. Kap. 4.1.1.2. G The Euro-harbour, Pearl of the Loom, music theatre, fringe
10
www.wochenklausur.at. culture, living on the water.
11 H Living in the Loom, housing estates and other residential
Vgl. auch Spiegel, Erika in: Planung + Projekte, Verständi- use.
gungsversuche zum Wandel der Planung, Hrsg. Donald A.
Keller, Michael Koch, Klaus Selle, Dortmunder Vertrieb für Abb. 41. Urban Flotsam, Chora, Raoul
Bau- und Planungsliteratur, Dortmund 1 9 9 8, S.1 6 - 2 1. Banschouten
83
Diskurse in der Stadt. In daraus entstehenden Öffentlichkeit.
Konflikten wird die Chance zur Reorganisation, Aus der Auseinandersetzung mit diesen Ein-
d.h. Veränderung, gesehen. In der Stadtplanung flüssen entstand eine Strategie, die maßgebliche
gilt es die Dynamiken zu erkennen, die sich für Charaktere von diesen Beispielen übernimmt:
solch eine Entwicklung eignen, und diese Dyna- • Sie hat die Fähigkeit, einen Diskurs zu initi-
mik in ihrer Entwicklung zu fördern. ieren.
Die Stadtplanerinnen und Stadtplaner treten • Sie trägt die Möglichkeit der Transformation
nicht mehr als ideale EntwerferInnen auf, son- in sich.
dern als OrganisatorInnen inhaltsoffener Pro- • Sie fordert nichts, ermöglicht aber vieles.
zesse. Sie greifen informelle, Bunschouten • Sie identifiziert ein Thema und verbindet es
nennt sie weiche Strukturen in der Stadt, auf, mit einer konkreten Handlungsoption für
aus denen ein neues Szenario in der Stadt und Bürgerinnen und Bürger und schafft damit
damit eine neue Entwicklungsdynamik entste- Anknüpfungspunkte zwischen verschiedenen
hen könnte. AkteurInnen in der Stadt.
• Sie verwirklicht mit der ästhetischen Setzung
Königs eine sinnlich wahrnehmbare und symbolisch
Königs betont ähnlich wie Chora die Prozess- mit dem Thema verbundene Aktion in der
haftigkeit von Stadtentwicklung. Eine Zielformu- Stadt.
lierung für die Zukunft wird abgelehnt. • Sie lebt von zufälligen Einflüssen und emp-
Stadtplanung wird mit einem Open-Source- findet diese nicht als störend.
Projekt verglichen. Qualität und Verbesserungen • Sie verändert die Rolle der ExpertInnen von
werden durch die Teilnahme vieler Menschen klassischen EntwerferInnen zu Organisa-
garantiert, die ihre Ideen und Kompetenzen in torInnen der Prozesse und sich entwickeln-
das Projekt einbringen können. Voraussetzung den Dynamik.
ist eine Offenlegung der bisherigen Projektstruk- Die Strategie macht es sich zum Ziel, über den
tur und des vorhandenen Wissens. 1 2 Projektzeitraum hinaus städtebaulich nachhalti-
ge Entwicklungen anzustoßen und damit Dyna-
MVRDV mik zu erzeugen.
Die Architektengruppe MVRDV macht durch dra-
matische Hochprojektionen und deren plakative
Darstellung auf planungsrelevante Entwicklun-
gen aufmerksam. Es entstehen als Darstellung
gut gestaltete Entwürfe, so zum Beispiel "pig
city", zu gigantischen Hochhäusern gestapelte
Schweinekoben, die auf die ungebremste Aus-
weitung der Schweinemast in der niederländi-
schen Landwirtschaft hinweisen, oder die
Niederlande als ein einziges Häusermeer als
langfristige Fortschreibung der ungebremsten
Zersiedelung der Landschaft. Diese Entwürfe
sind keineswegs als die Lösung eines Problems
gedacht, sondern als die mehr oder weniger
zynische und aufrüttelnde Ästhetisierung von 12
Königs, Ulrich; Divercity - Strategien zur Entwicklung des
Fehlentwicklungen. Über erfolgreiche Ausstel- urbanen Raumes in: strategischer Raum, Urbanität im ein-
undzwanzigsten Jahrhundert, Internationales Forum für
lungen vermitteln diese Entwürfe die zu Grunde Gestaltung, Süddeutsche Verlagsgesellschaft, Ulm 2000,
liegenden Tatsachen an ExpertInnen und die S.5 6 - 7 2.
4.2 SETZUNG DER STELENREIHE

84
4.2.1 Voraussetzungen: Verhand- 4.2.2 Entgegensetzung: Kosten-
lungen mit der Verwaltung faktor
Das einfache Erscheinungsbild der Stelenreihe Während der Planung konkretisierten sich die
täuscht darüber hinweg wie aufwändig es war Ausgaben für weitere Aktionen im Rahmen der
die Genehmigungen einzuholen, um eine fast Stelensetzung. Aus Zeitgründen konnte nicht
ununterbrochene Reihe von 2.500 Stelen in abgewartet werden, bis alle Schulklassen bereit
600 Meter Länge durch das Zentrum der Stadt waren, sich an der Malaktion zu beteiligen.
zu legen. Bei Privateigentümern, Landes- Kreis- Dann hätte man auf professionelle Hilfe zu-
und Stadtämtern war Überzeugungsarbeit zu lei- rückgreifen müssen. Auf Grund dessen ent-
sten. Die Schwierigkeiten Privateigentümer zur schied die Projektsteuerungsgruppe, die Zahl
Einwilligung in eine auch nur temporäre Nut- der Stelen von 10.000 auf 5.000 zu reduzie-
zung ihrer Flächen zu bewegen, sind allgemein ren, die Zahl der aufgestellten Stelen auf 2.500
bekannt; die Angst vor einer sich verstetigenden zu beschränken und die übrigen zum Abstecken
Inbesitznahme vielleicht auch verständlich. der Parzellen in Reserve zu halten. Zunächst
Dennoch konnten in mehreren Gesprächen und war vorgesehen, symbolisch für jeden Haushalt
durch die Präzisierung des Vorhabens Bedenken eine Stele, also 10.000 Stelen aufzustellen.
zerstreut werden. Bei einer klar beschriebenen
Aktion mit fester zeitlicher Begrenzung stimmten
selbst die Privateigentümer und die übergeord-
nete Verkehrsbehörde der Nutzung ihrer Fläche
zu. Jedoch an der Stelle, an der die Stelenreihe
die Bundesstraße überqueren und sich auf einer
Verkehrsinsel fortsetzen sollte, wollte die zustän-
dige Verkehrsbehörde die Straße auch für weni-
ge Stunden nicht verengen. Im Hinblick darauf
ist der mögliche Verbleib von Stelen auf diesem
Abschnitt im Stadtraum ein erfreuliches Ergeb-
nis. Der Bürgermeister selbst stellte den Antrag
beim zuständigen Straßenbaulastträger, der eine
unbefristete Nutzungsdauer des Mittelstreifens
schließlich bewilligte.
85
4.2.3 Inszenesetzung des Pro-
zesses
Die Bemalung der Stelen bewirkte die Einbin-
dung von Jugendgruppen wie der Lernwerkstatt
in Dietzenbach, die problematischen Schulkin-
dern handwerkliche Kenntnisse vermittelt. Mit
den SchulleiterInnen musste abgestimmt wer-
den, zu welcher Zeit im Rahmen des jeweiligen
Lehrprogramms der Einsatz erbracht werden
konnte.
Die Malaktion fand auf den Brachen im Zen-
trum statt, erzeugte Neugier und vermittelte
eine Offenheit zum Mitmachen. Dies geschah
durch unser Angebot an Interessierte, den
Pinsel in die Hand zu nehmen.
Die Malaktion lieferte mittels dessen, was da
geschah, Bilder mit wichtigen Inhalten des Pro-
jektes. Der ungezwungene Pinselstrich und das
Signieren verdeutlichten das Individuelle. Das
Malen in Gruppen von Schulkindern und ihr
selbst auferlegter Wettstreit, wer die meisten
Stelen bemalen wird, verdeutlichte ihnen das
leichtere Weiterkommen durch Kommunikation
und Kooperation. Die einheitliche Farbauswahl
und die einfache Gesamtform vermittelten, dass
es sich um eine die gesamte Stadt betreffende
Aktion handelt. Die kreisrunde bzw. sternförmi-
ge Aufstellung der Malwerkstatt zeigte, dass
auch das Improvisierte und Temporäre schön
und kommunikativ sein kann. Kinder kamen
freiwillig außerhalb der Schulzeit wieder, um
weitere Stelen zu bemalen.

Abb. 42. Bildcollage Anlieferung

Folgende Seiten Abb. 43. Bildcollage


“Malaktion”
86
87
88
4.2.4 Einsetzung: Aufbau der
Stelenreihe
Die Aufstellung der Stelen war technisch bedingt
eine professionelle Aufgabe. Das Bohren verlief
entsprechend der Bodenschichtung und parallel
zum Fortschritt der Malaktion.
Dadurch konnten die Kinder während sie mal-
ten, die Stelenreihe entstehen sehen. Dies war
für die Kinder ein Ansporn zum Weitermachen.
Der ganze Prozess dauerte lange genug, um als
eine weitere Etappe der Vermittlung, sowohl für
die Kinder als auch für Erwachsene, zu dienen.
Viele PassantInnen stellten Fragen über die ent-
stehende Reihe und diskutierten über den Sinn
oder Unsinn eines solchen Vorhabens in Diet-
zenbach. In der Regel waren sie vor allem um
die Unversehrtheit der Stelenreihe besorgt - in
Dietzenbach eine nicht unbegründete Sorge.
Der befürchtete Vandalismus trat jedoch nur
äußerst geringfügig ein, da nur wenige Stelen
umgestoßen wurden.
Sobald die Verbindung zwischen der Stelenreihe
und den 100 qm Parzellen verstanden wurde,
wurden wir mit Fragen überschüttet wie das vor
sich gehen könnte. Besonders Kinder waren
während der Malaktion eifrig dabei sich auszu-
malen, was sie alles mit 100 qm anfangen
könnten. Dadurch bot die Malaktion eine weite-
re Gelegenheit zum sich Austoben. Manche Fra-
gen wurden von unserer Seite beantwortet an-
sonsten verwiesen wir auf den Infowagen nahe
der Mitte der Stelenreihe. Damit wurde auch
eine weitere Phase des Projektes aktiviert, die
jetzt gleichzeitig mit der Malaktion und dem
Aufbau lief.
Diese Art von Vielschichtigkeit der Aktionen und
Angebote beim Aufbau der Stelenreihe stärkte
die Vermittlung des Projektes an die Bevölke-
rung.

oben:
Abb. 44. Bohrer
Seite 89:
Abb. 45. Bildcollage “Stelensetzung”
89
90

Abb.46. Stelenreihe im Winter


91

Abb.47. Stelenreihe im Sommer


92
4.2.5 Entsetzung: Reaktionen
Die Errichtung der Stelenreihe wurde feierlich
zunächst durch ein "Richtfest" nach dem Auf-
stellen der ersten 500 Stelen, dann einer Presse-
konferenz und einer Vernissage begleitet. Dabei
stellte sich das Projekt der Öffentlichkeit und
der überregionalen Presse vor.
Die geringe Zahl an AbonnentInnen in Dietzen-
bach selbst ließ wenig Hoffnung auf eine Wir-
kung in der Stadt durch die Berichterstattung.
Dennoch gab es durch Leserbriefe beachtliche
Reaktionen. Sie waren in der Regel positiv,
obwohl die übliche Kritik von Geldverschwen-
dung nicht ausgeblieben ist. 13 Schlagwörter wie
Stelenzauber und Riesenmikado zeigten Ver-
ständnis für den spielerischen Charakter des
Projektes und belegten die Stelenreihe mit posi-
tiven Assoziationen.
An der Fußgängerbrücke über die Bundesstraße
formten sich acht Stelen zu einer Art Torgebilde,
ein Schlussstein in der geographischen Mitte
der Stelenreihe, gut sichtbar sowohl für Fußgän-
gerInnen als auch für AutofahrerInnen auf der
Bundesstraße. Trotz der professionellen Befes-
tigung deklarierte das Ordnungsamt die Stelen
zu einer großen Gefahr für klettermutige Kinder.
Wegen der Vorbehalte ordnete das Stadtpla-
nungsamt ihre Entfernung an.
Große Bedenken äußerten die städtischen Be-
triebe, als es darum ging, einen mit hochge-
wachsenen Büschen belegten Randstreifen der
Bundesstraße mit Stelen zu besetzen. Um die
Stelen zu setzen und dann sichtbar werden zu
lassen, mussten die Büsche zurückgeschnitten
werden. Dazu bedurfte es mehrerer Gespräche
und Ortsbesichtigungen, bis der Stadtrat als
zuständiger Dezernent seine Einwilligung gab.
Heute, nach einem Jahr, wachsen die Büsche
wieder und scheinen bald die zurückgelassene
Leere zu füllen.

Presseartikel, Ausschnitte
Abb. 48. Dreieich Spiegel 28.10.02
Abb. 49. Offenbach Post 15.10.02
13
Vgl. Kap. 4.1.1. Abb. 50. Dreieich Spiegel 15.10.02
93
94
4.2.6 Versetzung: Transformation
der Stelenreihe
Ein weiteres Ritual geschah an den Tagen der
Entnahme von Stelen für das Abstecken der
100-qm-Parzellen. Zu diesem Anlass waren die
neuen PächterInnen der Parzellen eingeladen,
selbst die Stelen aus der Stelenreihe zu entneh-
men und sie in einen Transportwagen zu laden.
Dabei kamen sie in Kontakt mit Gleichgesinn-
ten, wodurch eine Gelegenheit zur Kommuni-
kation gegeben war. Die Erzeugung von Lücken
in der Stelenreihe, als sichtbares Zeichen der
Projektannahme, konnte in der Folgezeit noch
Unentschlossene animieren.
In diesem Sinne ist zu unterstreichen, dass die
Stelenreihe als sichtbares Objekt im öffentli-
chem Raum wertvolle Dienste leistete, um
einem Projekt über einen längeren Zeitraum
Präsenz im Bewusstsein der Bevölkerung zu
verschaffen.

Abb. 51. Collage: Stelenentnahme und


Versetzung
95
4.2.7 Zeichensetzung: Individuelle
Teilnahme

Im Rahmen der Kampagne 100 qm errichtet


eine Familie einen temporären Hühnerstall. Die
sorgfältige Gestaltung bis hin zur Hühnerleiter
zeugt von der Vielfalt der Möglichkeiten, zu
denen das einfache Element der Stele die Bür-
gerInnen anregte.
Abb. 52. / Abb. 53. Individuelle Anlage

Über die Claimabsteckung mittels der Stelen


aus der Reihe auf einer ersten Brachfläche in
der Waldstrasse wurde die temporäre Inbesitz-
nahme der Parzellen für alle wahrnehmbar.
Da die Umsetzung auf den 100-qm-Parzellen
im vorhandenen Zeitraum kaum stattfand, wur-
de Interessierten in der Schlussphase des Pro-
jektes die Mehrzahl der Stelen ohne Auflage
einer Parzellennutzung angeboten.
Abb. 54. / Abb. 55. Claimbesetzung

Es gab lediglich die Vorgabe, die Stelen sichtbar


im öffentlichen Raum zu verwenden. Binnen
weniger Tage waren die Stelen vergriffen.
BürgerInnen setzten Stelen dazu ein, Hecken
einer öffentlichen Grünanlage vor unsanften
Pflegeschnitten zu schützen.
Abb. 56. / Abb. 57. Öffentliche Grünanlage

Auch das Gartenamt, das die Stelen zu


Projektbeginn als unbrauchbar abgewiesen
hatte, sicherte sich am Ende eine große Anzahl
von Stelen, u. a. als Anwachsstütze junger
Bäume. Zwar gab es auch einige wenige, die
Bäume im eigenen Garten abstützen wollen,
doch die Mehrzahl der Anfragen war gemein-
nützig ausgerichtet.
Abb. 58. / Abb. 59. Pflanzhilfen
Von der Malaktion inspiriert, gestalten Schüler
im Kunstunterricht über 50 Stelen und diskutie-
ren dabei über das Miteinander der Kulturen in
der Stadt.
Abb. 60. Gedankenstütze

Pfadfinder errichteten mittels der Stelen einen


Windschutz auf ihrem bereits genutzten Grund-
stück auf einer Hügelkuppe und bereicherten
ihre Außenanlagen durch einen aus Stelen kon-
struierten Grill.
Abb. 61. / Abb. 62. Vereinsdarstellung

Ein Sportverein aus Steinberg markierte mit den


Stelen einen bestehenden Rundlauf im Wald,
um auch den nicht vereinsgebundenen
Sportlern eine bessere Orientierung zu ermög-
lichen.
Abb. 63 / Abb. 64. Orientierung

Die Sportvereinigung Dietzenbach vereinheitlicht


mit Stelen die Umfassung ihres Außenbereichs
samt Biergarten und gestaltet damit gleichzeitig
einen Stadteingang an einer großen Kreuzung
nach Dietzenbach.
Abb. 65. Stadteingang
4.3 ÖFFENTLICHKEITSARBEIT

98
4.3.1 Faltblatt und Plakate Während dieser Gespräche wurde das Thema
also schon bei vielen Beteiligten vorbereitet.
Als Informationsgrundlage für die Kampagne Zeitgleich mit den Faltblättern wurden an unter-
"100 qm" diente ein Faltblatt, auf dem eine schiedlichen Stellen im Stadtraum Plakate auf-
polemisch verfälschte Stadtkarte abgebildet war. gestellt. In vier Motiven, Paradies auf 100 qm,
Darin waren auffallend leere Flächen herausge- Stadion auf 100 qm, Königreich auf 100 qm,
hoben und damit in das Zentrum der Wahr- und Basar auf 100 qm, haben sie auf die Op-
nehmung gerückt. In einer Darstellung wurde tion zur Nutzung von Brachflächen hingewiesen
eine Fläche beispielhaft in 100-qm-Parzellen und auf die Internetseite des Projektes aufmerk-
aufgeteilt dargestellt. Den leeren Flächen wur- sam gemacht. Die Plakataktion hatte dabei
den Nummern gegeben, um sie identifizierbar, wenig Öffentlichkeitswirksamkeit. Das Motiv
benennbar und handhabbar zu machen. Basar wurde vom Ordnungsamt wegen Aufrufs
Die Kartierung auf dem Faltblatt wurde als stra- zu illegaler Handelstätigkeit untersagt. Die übri-
tegisches Instrument eingesetzt, um Potenziale gen Plakate verschwanden äußerst schnell und
in der Stadt auszuloten und sichtbar zu machen. wurden teilweise in Privatwohnungen als Wand-
Die "gefälschte Karte" wurde 10.000-mal durch schmuck wieder gesehen.
Schülerinnen und Schüler an Dietzenbacher
Haushalte verteilt. In sieben Sprachen rief das
Faltblatt die Bürgerinnen und Bürger auf, leere
Flächen in ihrer Stadt zu entdecken, dafür Ideen
zu entwickeln und sie zu besetzen.
Vorangegangen war der Verteilung eine intensi-
ve Recherche über die Dietzenbacher Brachen,
über ihre Besitzverhältnisse und ihren Planungs-
stand. Flächencharaktere wurden herausgear-
beitet, Gespräche über Vergangenheit, Status
und Zukunft der Flächen geführt, die Flächen Abb. 66. Paradies auf 100 qm
wurden ausgewählt und gewertet bis hin zu Abb. 67. Stadion auf 100 qm
Szenarien und Empfehlungen hinsichtlich Abb. 68. Königreich auf 100 qm
Nutzungs- und Besetzungschancen. Folgende Seite : Abb. 69. Faltblatt
Abb. 71. Standort des
Bauwagens an der
Kreuzung von Stelen-
reihe und Fußweg

100
4.3.2 Arbeiten im öffentlichen tiert. Bezüglich dieser Wünsche wurden keiner-
Raum - der Bauwagen lei Vorgaben gemacht.
Dieser niedrigschwellige Beteiligungsansatz
4.3.2.1 Beschreibung des Ansatzes setzte ein hohes Maß an Eigeninitiative der
Um eine Diskussion über Brachflächen und Bürgerinnen und Bürger voraus, die Menschen
temporäre Nutzungen vor Ort zu ermöglichen, wurden gerade nicht aufgesucht, sondern wur-
wurde ein Büro in einem Bauwagen an der den selbst initiativ. Unter diesen Bedingungen
Rakovnikpassage - in der Mitte der Stelenachse ist es als bemerkenswert anzusehen, dass sich
- eingerichtet. Wichtig war hierbei, außer der so viele Menschen interessiert und beteiligt
Nähe zur Stelenreihe, dass der Standort auch haben.
am zentralen Fußweg für alle Dietzenbacher Das Projektbüro vor Ort diente auch der nicht
Stadtteile westlich der "Neuen Mitte", der Altstadt standardisierten teilnehmenden, unmittelbaren
und Hexenberg lag. Beobachtung der Kommunikationsprozesse zwi-
Die Bürgerinnen und Bürger Dietzenbachs schen den Akteurinnen und Akteuren. Durch
konnten in diesem Projektbüro von August bis das Angebot - der Möglichkeit der temporären
Dezember 2002 an sechs Tagen in der Woche Flächennutzung - wurde ein Schlüsselreiz ge-
einen Nutzungswunsch äußern, die Größe der setzt und der daraufhin folgende Verlauf beob-
Fläche konnte maximal 100 qm pro Person be- achtet.
tragen, um möglichst vielen Dietzenbacherinnen Bei der verwendeten Kombination von teilneh-
und Dietzenbachern die Chance der Teilnahme mender Beobachtung und nicht standardisier-
zu ermöglichen. Die Nutzungswünsche wurden tem Verfahren nahmen die Projektmitarbeiter-
im Projektbüro aufgenommen und dokumen- innen und -mitarbeiter vor Ort unmittelbar an
den zu erforschenden Lebenszusammenhängen
Abb. 70. Büro im Bauwagen teil. Für die nicht standardisierte Beobachtung
wurde eine vollkommene Offenheit in jeder
Beziehung angenommen, erst im Feld entwi-
ckelten sich Gegenstände und Perspektiven.
Die Feldbeobachtungen wurden chronologisch
protokolliert.
101
4.3.2.2 Struktur des Publikums einer muslimischen Gesellschaft, wonach auch
Die Mobilisierung von Teilen der Dietzenbacher oder gerade in der Migration der Mann immer
Bevölkerung kann als gelungen angesehen wer- noch als Oberhaupt der Familie gilt und diese
den: Während des Projektzeitraums wurde das nach außen repräsentiert. 1 4 Dies zeigte sich
Projektbüro vor Ort von ca. 1.000 Menschen auch daran, dass die Frauen weiterhin präsent
für Fragen, Anregungen und Kritik genutzt, 260 blieben.
Dietzenbacher Bürgerinnen und Bürger melde- Viele der Migrantinnen und Migranten suchten
ten sich dort bzw. beim Stadtplanungsamt zur den Bauwagen zu zweit oder in Gruppen mit
Nutzung einer Parzelle an. Bekannten oder Familienmitgliedern auf. Der
Überraschend ist hier die Beteiligungsstruktur. islamisch-türkische Kulturverein meldete Inter-
Ganz offensichtlich gelang die Mobilisierung esse an der Nutzung einer Parzelle an, ebenso
bislang wenig eingebundener Gruppen inner- Vertreter der Ahmadiyya-Religionsgemeinschaft.
halb der Stadtbevölkerung. So nutzten zu einem Ebenfalls wurden Flugblätter über das Projekt
Großteil Dietzenbacher Bürgerinnen und Bürger zur Verteilung in der türkischen Moschee ausge-
mit Migrationshintergrund das Vor-Ort-Büro als geben. Eine komplette Hausgemeinschaft mel-
Anlaufstelle, vor allem muslimische Migran- dete sich über ihren Hausmeister für die Nut-
tinnen und Migranten aus dem Spessartviertel zung einer Parzelle an.
und dem benachbarten Westend. Im Laufe des Projektzeitraums wurde der Bau-
Bemerkenswert ist ebenfalls, dass sich vom wagen von den Frauen, Männern und Kindern
Projekt viele Frauen, insbesondere Migrantinnen oft mehrmals aufgesucht, etwa um Erkundigun-
angesprochen fühlten, die als besonders schwer gen nach dem Projektstand, nach der Resonanz
erreichbare Gruppe gelten. Auch den vermehrt innerhalb der Bevölkerung oder um weitere Falt-
präsenten älteren deutschen Frauen mit ihren blätter zur Weitergabe an interessierte Bekannte
eher privaten Netzwerken wurde mit diesem einzuholen. Diese "Mund-zu-Mund-Propaganda"
niedrigschwelligen Beteiligungsmodell ein Zu- der Multiplikatorinnen und Multiplikatoren er-
gang zu Öffentlichkeit und eine Anlaufstelle ge- wies sich als äußerst erfolgreich.
boten, an der sie ihre Interessen artikulieren Durch den niedrigschwelligen Ansatz eines Pro-
konnten. jektbüros vor Ort haben wir somit gerade die
In der Anfangsphase des Projektes erfolgte die Menschen erreicht, die normalerweise durch
Kontaktaufnahme zum Bauwagenteam überwie- konventionelle partizipative Methoden nicht
gend durch Frauen, Kinder und Jugendliche mit angesprochen werden. 1 5 Verstärkt wurde dieser
Migrationshintergrund sowie durch ältere deut- Effekt sicher noch dadurch, dass das Beteili-
sche Frauen. Diese nutzten das Projektbüro gungsmodell nicht zu sehr auf die deutsche
zum Einholen von Projekt-Informationen und Sprache fixiert war, so dass sich auch Bürge-
übernahmen somit die Funktion von Multiplika- rinnen und Bürger mit geringeren deutschen
torinnen. Hier wurde die Erfahrung gemacht, Sprachkenntnissen beteiligten - obwohl natür-
dass über die Frauen oftmals die Familien als
Ganzes zu erreichen waren. 14
Waltz, Viktoria. Muss das Kopftuch herunter? Zur Situation
Nach dieser Anfangsphase wurde das Bau- der Migrantinnen in unseren Städten, in: Bauhardt,
Christine, Becker, Ruth (Hg.). Durch die Wand!
wagen-Team vermehrt von Männern mit Migra-
Feministische Konzepte zur Raumentwicklung. Stadt,
tionshintergrund aufgesucht, die sich und ihre Raum, Gesellschaft, Bd. 7. Hg. Hartmut Häusermann u.
Familien zur Nutzung einer Parzelle anmelde- a., Pfaffenweiler 1997, S. 123 ff..
15
ten. Daraus lässt sich jedoch weniger ein nach- Zahlreiche Beteiligungsverfahren, wie z. B. Bürgersprech-
lassendes Interesse von Seiten der zumeist stunden etc., werden vermehrt von der klassischen bürger-
lichen Mittelschicht wahrgenommen, die diese Äußerungs-
muslimischen Frauen ableiten, vielmehr erklärt formen gewohnt ist, und grenzen sozial Benachteiligte, ins-
sich dies mit dem Normen- und Wertesystem besondere auch Migrantinnen und Migranten, aus.
102
lich auch teilweise die klassische bürgerliche müse nicht aus dem Supermarkt kommt". Oder
Mittelschicht angesprochen wurde. So suchten Projektteilnehmerinnen und -teilnehmer, in ihrer
im Projektverlauf vermehrt Menschen mit eher Heimat als Landwirte tätig, bekundeten jetzt als
geringen Deutschkenntnissen das Projektbüro Rentnerinnen bzw. Rentner ein starkes Interesse
auf, um sich für die Nutzung einer Parzelle regi- am Gemüseanbau. Oft wurde genau erläutert,
strieren zu lassen. was angepflanzt werden soll. Auch wurde von
Auch die Defizite herkömmlicher Beteiligungs- den oft kinderreichen Familien die Enge der
praxis in Bezug auf das Engagement von Frauen Wohnungen beklagt, auch hier versprach man
konnten durch die Möglichkeit, im Projektbüro sich durch einen Garten einige Besserung.
vor Ort Frauen getrennt von Männern anzuspre- Die das Bauwagenteam aufsuchenden jungen
chen, ausgeglichen werden. 1 6 deutschen Familien zeigten ein großes Interesse
an dem Projekt und der Stadtentwicklung Diet-
4.3.2.3 Ablauf der Gespräche zenbachs, auch das multikulturelle Miteinander
Die jeweilige Gesprächsdauer zwischen den in Dietzenbach wurde oft positiv hervorgeho-
Bürgerinnen und Bürgern sowie den Mitarbei- ben. Auch von den älteren deutschen Frauen
terinnen und Mitarbeitern im Projektbüro vor Ort kamen vermehrt positive Rückmeldungen.
variierte, je nach Interessenlage und auch Aber auch für Kritik und Anregungen bot der
Sprachkenntnis, von ca. zehn Minuten bis zu Bauwagen eine niedrigschwellige Anlaufstelle,
über einer Stunde. die solche Äußerungen ermöglichte:
Teilweise waren die Menschen durch die Stelen- Die den Bauwagen aufsuchenden älteren deut-
reihe aufmerksam geworden, ein Teil hatte schen Männer sowie die älteren deutschen Ehe-
durch die örtliche Presse davon erfahren, ein paare waren teilweise sehr skeptisch und be-
Teil kam zufällig vorbei. In den folgenden Wo- zweifelten, ob sich in Dietzenbach noch etwas
chen suchten immer mehr Menschen das Vor- zum Positiven verändern lasse. Auch die ver-
Ort-Büro auf, die über "Mund-zu-Mund-Propa- meintlich zu hohen Kosten des Projektes, unter
ganda" vom Projekt erfahren hatten. Zu Ge- Verweis auf Presseartikel, waren oft ein Kritik-
sprächsbeginn stand immer die Erläuterung des punkt. Hier wurde nach Erläuterung des Kon-
Projektkonzeptes durch die Mitarbeiterinnen zeptes und durchaus auch kontroverser Diskus-
und Mitarbeiter vor Ort. sion oft eine positive Meinung gefasst.
Vielen Dietzenbacher Bürgerinnen und Bürgern, Einige deutsche Dietzenbacherinnen äußerten
aber auch auswärtigen, in Dietzenbach arbei- ihre Enttäuschung und Frustration über den in
tenden oder zu Besuch weilenden Menschen, Dietzenbach trotz persönlichem Engagements
waren die Stelen aufgefallen und wurden als seit Jahren ergebnislos verlaufenden Lokalen
"tolle Idee" positiv kommentiert. Agenda-21-Prozess. Es wurde befürchtet, dies
Die zeitliche Befristung des Projektes wurde von könnte sich wiederholen und so nur zu weiterer
vielen Interessierten als negativ angesehen und Frustration der Bürgerinnen und Bürger beitra-
auch von denjenigen bemängelt, die sich nicht gen, im Sinne: Es passiert ja sowieso nichts.
zur Nutzung einer Parzelle gemeldet hatten. Die älteren deutschen Frauen kritisierten, dass
Der größte Teil der Nutzungswünsche für eine sich das Stadtzentrum von der Altstadt zur
Parzelle bezog sich auf Gärten bzw. Grabeland "Neuen Mitte" hin verlagere. Die damit verbun-
sowie Spielplätze für die Kinder. Hier wurde von 16
Vgl. hierzu auch Rodenstein, Marianne. Beteiligungsfor-
vielen der Projektteilnehmerinnen und -teilneh- men von Frauen an der Stadtplanung am Beispiel Frank-
mer mit Migrationshintergrund, die die größte furts, in: Gesündere Zukunft für Hamburg (Hg.). Frauen-
Nachfragergruppe stellten, der Wunsch geäußert, blicke auf die Großstadt. Dokumentation des Symposiums
"Beteiligungsmöglichkeiten für Frauen an einer gesund-
ihre Kinder sollten das Wachsen von Pflanzen heitsfördernden Stadtentwicklung". Hamburg 1993,
kennen lernen, "damit sie wissen, dass das Ge- S. 30 ff.
103
denen längeren Wege stellen offensichtlich gera- 4.3.3 Struktur und Umgang mit
de für in der Altstadt wohnende ältere Dietzen- Nutzungswünschen
bacherinnen ein Problem dar.
Viele Frauen, deutsche wie nicht-deutsche, 4.3.3.1. Struktur der Nutzungswünsche
bemängelten, dass es nichts für Erwachsene Die im Projektbüro, über Postkarten und über
gäbe, "nichts, wo man hingehen kann, ohne Telefonate geäußerten Nutzungswünsche wur-
Geld zu bezahlen". Gerade von den Migrantin- den umgehend bei der Stadtverwaltung EDV-
nen wurden häufig die fehlenden Treffpunkte für technisch erfasst und ausgewertet. Insgesamt
Erwachsene bzw. Wünsche nach einem Park gingen 260 Anfragen ein, wobei die Zahl der
mit Aufenthaltsqualität angesprochen. am Projekt Teilnehmenden wesentlich höher
Männliche jugendliche Migranten, die sich teil- liegt, da es sich häufig um gemeinsame Anfra-
weise auch für die Nutzung einer Parzelle regi- gen von Ehepartnerin und -partner oder Fami-
strieren ließen, um einen Bolzplatz oder einen lien handelt. Es kann davon ausgegangen wer-
Grillplatz anzulegen, kritisierten oft das fehlende den, dass die Anfragen von Einzelpersonen
Freizeitangebot für Jugendliche in Dietzenbach. ebenfalls in vielen Fällen mit der Familie abge-
Auch bezüglich der künftigen Nutzung der Frei- sprochen sind.
fläche zwischen Toom-Einkaufszentrum und Im Folgenden wird die Geschlechterverteilung
Kreishaus kamen häufig Nachfragen. Positiv er- derjenigen aufgezeigt, die im Verlauf des Pro-
wähnt wurde hier auch des Öfteren die Archi- jektes ihre Nutzungswünsche aufnehmen lie-
tektur des neuen Kreishauses sowie dessen ßen. Hierbei wurde die Kategorie "Familie" ein-
Bürgernähe, Behördengänge nach Offenbach geführt, um gemeinsame Anfragen von
erübrigten sich nunmehr. Ehepaaren darzustellen.
Die Probleme, die das Wohnen im ehemaligen Bei den Anfragen, die von einer Person genannt
Starkenburgring mit vielen verschiedenen Kul- wurden, kann nicht eindeutig gesagt werden, ob
turen auf engem Raum offensichtlich mit sich sich dieser Wunsch ausschließlich auf die Vor-
bringt, fanden ebenfalls Gehör (viele der Pro- stellungen einer Person bezieht oder ob sich
jektteilnehmerinnen und -teilnehmer mit Migra- ebenfalls "Familienwünsche" dahinter verbergen.
tionshintergrund haben dort Wohneigentum er- Deshalb kann keine eindeutige Aussage darüber
worben). Hier wurden sehr oft die positiven Ver- getroffen werden, wie viele Personen an dem
änderungen der letzten Zeit angesprochen aber Projekt tatsächlich teilgenommen haben. Aus
auch die Hoffnung auf weitere zukünftige Ver- diesem Grund wird die den nachfolgenden Dia-
besserung geäußert. grammen zu Grunde liegende Anzahl der Anfra-
Auch ganz private Geschichten wurden erzählt: gen im Folgenden als Anzahl der beteiligten
von Krankheit und Arztbesuchen, Flucht und Haushalte bezeichnet.
Vertreibung. Gerade von den Männern mit Die Auswertung zeigt, dass Nutzungswünsche
Migrationshintergrund wurde oft die Angst vor in deutlich mehr als der Hälfte der Fälle allein
der Arbeitslosigkeit betont. von Männern geäußert worden sind (58,46 %).
Nur in etwas mehr als einem Viertel der Fälle
wurden Nutzungswünsche allein von Frauen
geäußert (26,92 %). In rund einem Siebtel der
Fälle wurden die Nutzungswünsche von Ehe-
paaren gemeinsam, teilweise auch in Beglei-
tung ihrer Kinder, geäußert und deutlich als
Wunsch der Familie artikuliert.
Wie in Kapitel 4.3.2.2 bereits angedeutet, kann
davon ausgegangen werden, dass ein
104
eines Migrationshintergrunds wurden daher die
Familien- und Vornamen herangezogen. Diese
Methode führte zu dem Ergebnis, dass fast
90 % der Teilnehmenden vermutlich einen
Migrationshintergrund haben. Selbst bei einer
für ausgesprochen unwahrscheinlich gehaltenen
Fehleinschätzung in 50 % der Fälle läge diese
Quote immer noch bei fast 45 % und damit
deutlich über dem prozentualen Anteil von Aus-
länderinnen und Ausländern an der Gesamtbe-
völkerung Dietzenbachs. Es wird jedoch auf
Grund persönlicher Kontakte zu den Teilneh-
menden von einer deutlich geringeren Fehler-
einschätzungsquote ausgegangen, so dass der
Anteil der Personen mit Migrationshintergrund
Abb. 72. Personen, die Nutzungswünsche auf mindestens 80 % eingeschätzt wird.
geäußert haben (260 beteiligte Haushalte ins- Auffallend ist auch die räumliche Verteilung der
gesamt) Wohnquartiere der am Projekt teilnehmenden
Personen. Hierzu wurde das Stadtgebiet in
Wohnquartiere eingeteilt.
Über 28 % der teilnehmenden Personen kam
aus den fünf Hochhausblocks des östlichen
Spessartviertels. Ebenso hoch war der Anteil der
Personen aus dem restlichen Spessartviertel.
Eine plausible Erklärung ist die Aufstellung des
Bauwagens, in dem sich das Projektbüro als
Ansprechstelle befand, an der sog. Rakovnik-
passage, welche als Fußgängerüberführung
über die B 459 das Spessartviertel mit dem
Stadtzentrum verbindet. Die Bewohnerinnen
und Bewohner der genannten Wohnquartiere
kamen hier beim Weg zum Einkaufen wie
selbstverständlich vorbei und suchten den Bau-
wagen daher auch auf. Auffallend ist jedoch
auch die Häufigkeit der Wohnquartiere Stein-
berg, Stadtzentrum und Westend. Für diese
Abb. 73. Äußerung von Wünschen - Wohnquartiere liegt der Bauwagen weniger gün-
Migrationshintergrund vorhanden? (260 betei- stig. Eine detailliertere Untersuchung nach
ligte Haushalte insgesamt) Straßen mit Hilfe eines geographischen Infor-
mationssystems17 konnte in Steinberg keinen
eindeutigen Beleg dafür liefern, dass vorwie-
erheblicher Teil der am Projekt Teilnehmenden gend die Bewohnerinnen und Bewohner aus
vermutlich auf einen Migrationshintergrund zu- den Hochhäusern im Bauwagen vorsprachen.
rückblicken kann. Diesbezüglich wurden jedoch
keine Erhebungen bei der Aufnahme der Nut- 17
Die Untersuchung wurde mit Hilfe des Bürger-GIS des
zungswünsche durchgeführt. Zur Einschätzung Kreises Offenbach, www.kreis-offenbach.de, durchgeführt.
Steinberg

Stadtzentrum 105
Östl. Spessartviertel
Westend
Restl. Spessartviertel
Zwischen Spessart-
viertel und Altstadt

Altstadt

Wingertsberg
Gewerbegebiet Süd

Hexenberg

Abb. 74. Einteilung Dietzenbachs in Wohnquartiere zur Untersuchung der Herkunft der Teilneh-
menden am Projekt (260 beteiligte Haushalte insgesamt)

Vielmehr verteilten sich die Einwohnerinnen Vermutung zu, dass vier der fünf nicht eindeutig
und Einwohner auf verschiedene Bereiche zuzuordnenden Anfragen vermutlich im Ge-
Steinbergs, wobei einige auch in Einfamilien- schosswohnungsbau leben 18 , so dass insgesamt
häusern wohnen. Anders ist es bei den Vor- achtzehn teilnehmende Personen aus diesem
sprechenden aus dem Westend. Hier kann für Wohnquartier, das sind 85 %, vermutlich im
mindestens 70 % der insgesamt zwanzig Anfra- Geschosswohnungsbau wohnen. Dies ist umso
gen aus diesem Wohnquartier festgestellt wer- bemerkenswerter, als im Westend auch ein gro-
den, dass sie in Hochhäusern leben. Die Aus- ßer Anteil an Eigenheimen vorhanden ist. Aus
wertung des Kartenmaterials lässt auch die dem Wohnquartier Stadtzentrum haben eben-
106

Abb. 75. Anfragen nach Wohnquartieren (260 Haushalte insgesamt)

falls zwanzig Personen Nutzungsvorschläge für weise mehr als ein Nutzungswunsch geäußert
das Projekt "Stadt 2030" geäußert. Von diesen wurde, liegt hier die zu Grunde liegende Grund-
leben sechzehn Personen (80 %) im Geschoss- gesamtheit im Gegensatz zu den vorherigen
wohnungsbau, zwei in Einfamilienhäusern, zwei Auswertungen höher als 260. Insgesamt wur-
konnten nicht eindeutig zugeordnet werden den 292 Nutzungswünsche geäußert.
(jeweils 10 %). Allerdings befinden sich in die- Augenfällig ist die Schwerpunktsetzung auf die
sem Wohnquartier vorwiegend Wohnungen im Nutzung "Kleingarten/Grabeland", die rund 73 %
Geschosswohnungsbau. Dennoch ist bemer- der Nennungen ausmacht. Mit deutlichem Ab-
kenswert, dass ein Großteil der Teilnehmenden stand folgt der Nutzungswunsch "Spielplatz,
aus Stadtquartieren mit einem hohen Anteil an etwas für Kinder" mit rund 10 %. Die verblei-
Geschosswohnungsbau kommt (östliches und benden 17 % verteilen sich auf andere Nut-
übriges Spessartviertel, Stadtmitte) oder aber im zungswünsche, wobei Grillplätze, Sportplätze,
Geschosswohnungsbau lebt, selbst wenn der Projektbeiträge mit stadtgestalterischem oder
Geschosswohnungsbau nicht die dominante künstlerischem Bezug und Themengärten noch
Wohnform in dem jeweiligen Stadtquartier ist am häufigsten genannt werden.
(Westend). Trotzdem scheint auch die räumliche 18
Die Auswertung nach Straßen kam für das Westend zu fol-
Nähe des Projektbüros im Bauwagen zu den genden Ergebnissen: Insgesamt kamen zwanzig Anfragen
jeweiligen Wohnquartieren ein wesentlicher aus dem Westend, vierzehn der Teilnehmenden aus die-
Faktor für die Teilnahme am Projekt gewesen zu sem Wohnquartier leben in Hochhäusern (70 %), fünf las-
sen sich mit der gewählten Untersuchungsmethode nicht
sein. Die Anzahl der telefonischen und postali-
eindeutig zuordnen (25 %), wobei bei drei von diesen auf
schen Meldungen von Wünschen sind zumin- Grund der in der Karte ablesbaren Baustruktur die Wahr-
dest vernachlässigbar gering. scheinlichkeit sehr hoch ist, dass sie im Geschosswoh-
Bei der Kategorisierung der Nutzungswünsche nungsbau leben. Eine Person konnte als in einem Einfami-
lienhaus lebend zugeordnet werden (5 %). Daraus ergibt
lassen sich eindeutige Schwerpunkte der Nach- sich, dass 85 % der Teilnehmenden aus dem Westend im
fragen feststellen. Da bei den 260 Anfragen teil- Geschosswohnungsbau lebt.
107

Abb. 76. Nachgefragte Nutzungen (Mehrfachnennungen möglich - 260 beteiligte Haushalte insg.)

Geäußerte Nutzungswünsche Zumeist wurde der Wunsch geäußert, die Flä-


Auffällig ist der Punkt Themengärten. Von ein- chen mögen in der Nähe der Wohnungen lie-
zelnen Bürgerinnen und Bürgern sind verschie- gen, häufig kam auch die Antwort, der Standort
dene Themengärten vorgeschlagen worden, die sei "egal". Als bekannt wurde, dass erstes Gra-
öffentlichen Charakter haben. Themengärten beland auf der Parzelle 20 realisiert werden
und stadtgestalterische bzw. künstlerische Pro- soll, wurde dieser Standort sehr häufig genannt,
jektbeiträge nehmen somit immerhin fast 5 % vermutlich weil viele der Teilnehmenden sich
der Nennungen ein und lassen ein Interesse der erhofften, auf diese Art ihren Wunsch schneller
Bevölkerung, die eigene städtische Umwelt auf- realisieren zu können.
zuwerten, vermuten. Im Einzelnen wurden fol-
gende Themengärten genannt: Die Ergebnisse der statistischen Auswertung
• Apothekergarten (Vorschlag eines Dietzen- lassen sich knapp wie folgt zusammenfassen:
bacher Apothekers), • Männliche Personen äußerten weitaus häufi-
• Zengarten ger Nutzungswünsche als Frauen.
• Mittelalterlicher Kräutergarten, • Das Projekt hat überwiegend Personen mit
• Internationaler Garten (Pflanzen aus allen Migrationshintergrund erreicht.
Teilen der Welt), • Das Projekt hat vorwiegend Personen erreicht,
• Bildungsgarten (Beschilderung von Pflanzen die ihren Wohnstandort räumlich nah am
in deutscher und englischer Sprache), Projektbüro haben.
• Garten in Form eines Dietzenbacher Stadt- • Das Projekt hat viele Menschen erreicht, die
plans (Vorschlag eines Eigentümers eines kar- im Geschosswohnungsbau wohnen.
tographischen Verlages). • Die Nutzungswünsche stehen meistens in
Bezüglich der Lage zur Realisierung der Nut- direktem Zusammenhang mit Grün- und
zungswünsche wurden von den Teilnehmenden Freizeitnutzungen, wie Gärten, Spielplätze,
häufig keine konkreten Vorschläge gemacht. Grillplätze, Sportplätze o.ä.
108
• Die Teilnehmenden wollen häufig, dass ihre Nutzungswünsche mit einem Nutzen für die
Nutzungswünsche in der Nähe ihrer Wohn- Allgemeinheit - wie z.B. der Garten in Form des
standorte realisiert werden. Dietzenbacher Stadtplans - sollten an öffent-
licheren Stellen realisiert werden, wie z.B. dem
4.3.3.2 Umsetzungs- und Abstimmungsprozess Stadtpark. 19
Die Nutzungswünsche erreichten das Projekt- Da die Stadtverordnetenversammlung allein dar-
team auf verschiedene Arten: Am häufigsten über entscheiden kann, welche Nutzungen an
meldeten sich Personen direkt im Projektbüro welchem Standort im Stadtgebiet zugelassen
im Bauwagen, entweder weil die Stelenreihe sie werden können 2 0 , ließ das Projektteam noch vor
aufmerksam machte oder der Bauwagen selbst, der Übergabe der Stelenreihe und Öffnung des
oder weil sie über den an die Haushalte verteil- Projektbüros über acht von dreißig vorgeschla-
ten Flyer oder über Kommunikation mit Dritten genen Flächen beschließen, dass eine Vergabe
von dem Projekt erfahren hatten. Weitaus selte- der Flächen über den Magistrat ausreichend ist.
ner wurde die dem Flyer beigefügte Postkarte Damit sollte die Flächenvergabe beschleunigt
mit Nutzungswünschen versehen und an die werden, da die Stadtverordnetenversammlung
Stadt zurückgesendet. Sehr selten war die tele- nur alle sechs bis sieben Wochen tagt, der
fonische Äußerung von Nutzungswünschen. Magistrat hingegen einmal wöchentlich. Die
Jeder einzelne Nutzungswunsch wurde mit der Flächen wurden zuvor unter Rücksprache mit
zugehörigen Kontaktadresse oder -telefonnum- dem Bürgermeister, dem Hauptamt und der
mer erfasst. Dann erfolgte die Prüfung, ob der Entwicklungsträgerin DSK bestimmt, die Eigen-
Nutzungswunsch auf der genannten Fläche rea- tümerin der betreffenden Flurstücke ist.
lisiert werden kann. Da häufig keine Flächen- Um den Magistrat über die Vergabe der Flächen
wünsche geäußert wurden, musste in der Regel an einzelne Nutzerinnen und Nutzer endgültig
lediglich nach einem geeigneten Standort für beschließen lassen zu können und die Verträge
die Nutzungswünsche gesucht werden. mit den potenziellen Nutzerinnen und Nutzern
Wurde zu Beginn des Projektes noch davon aus- der 100 qm großen Flächen abschließen zu
gegangen, dass die Flächen je nach Nutzungs- können, galt es, zunächst von behördlicher
und auch Flächenwunsch einzeln an die Inter- Seite Einverständnis einzuholen. Hier sind ins-
essierten vergeben werden können, so stellte besondere die Untere Naturschutzbehörde und
sich bald heraus, dass angesichts des großen
Andrangs, vor allem mit dem Wunsch nach 19
Bei dem Dietzenbacher Stadtpark - dem sog. Hessentags-
Kleingärten, diese Vorgehensweise nicht prakti- park - handelt es sich nicht um eine intensiv gepflegte
Parkanlage, sondern eher um extensiv gepflegte Wiesenflä-
kabel war. Stattdessen wurden einzelne Blöcke chen, die vom Bieberbach durchflossen werden. Teile des
von Projekten ausgewählt, die zügig umgesetzt Parks dienen als Hochwasserrückhaltebecken. Es gibt
werden sollten. Auf Grund der großen Nach- Pläne, den Park in Teilen umzugestalten und ihm einen
parkähnlicheren Charakter zu verleihen. Es gab während
frage sollten zunächst einige Flächen mit Grabe- des Projekts "Stadt 2030" Ideen, einige Projektbeiträge -
land realisiert werden. Zudem gaben einige der wie z.B. die Themengärten - für eine Aufwertung des
an Grabeland Interessierten zu verstehen, dass Parks zu nutzen.
20
sie schon seit Jahren auf einen Kleingarten war- In der Regel geschieht dies mit einer Abstimmung über
einen Satzungsbeschluss für einen Bebauungsplan gemäß
ten.
§10 Abs. 1 BauGB
Die Liste mit den damaligen Nutzungswünschen 21
Grob betrachtet ist die gesamte Gemarkungsfläche
wurde dem Bürgermeister vorgelegt, der im Dietzenbachs Wasserschutzgebiet, wobei der größte Teil
Namen der Stadt zunächst eine Fläche in einem auf die Schutzzonen III a und III b entfällt, wo die
Gewerbegebiet für die Nutzung als Grabeland Realisierung von Projekten weitaus unproblematischer ist
als in der Schutzzone II oder I, welche zum Teil mit erheb-
freigab (Fläche Nr. 20). Hier sollten zeitlich be- lichen Nutzungsbeschränkungen bis hin zur Unnutzbarkeit
fristet Grabelandparzellen vergeben werden. - mit Ausnahme der Wassergewinnung - belegt sind.
109
die Untere Wasserbehörde beim Kreis Offenbach lender Wasseranschluss und das Verbot der Ab-
sowie die Vertreter der örtlichen Landwirtschaft grenzung einzelner Gartenparzellen mit Zäunen
zu nennen. Hausintern war vor allem der Fach- kritisiert. Trotz des Bemühens um eine kosten-
bereich Städtische Betriebe mit einzubeziehen, günstige Herrichtung der Wasserversorgung
da dieser u.a. für die Pflege der öffentlichen konnte diese nicht realisiert werden.
Flächen zuständig ist. Diese Aufgaben wurden Bei anderen Projektbeiträgen - insbesondere bei
vorzugsweise vom städtischen Fachbereich für solchen, die nach dem Willen der Politik auf
Stadtplanung und Bauen übernommen. Grund ihres ortsbildverbessernden Charakters
Das Beispiel "Kleingärten / Grabeland" verdeut- auf öffentlich gut wahrnehmbaren Flächen reali-
licht den notwendigen Abstimmungsbedarf: siert werden sollten - war eine Abstimmung mit
Zunächst stimmte der Bürgermeister zu, dass dem Fachbereich Öffentliche Dienste, der die
Flächen für "Kleingärten" an die Teilnehmenden Pflegearbeiten für öffentliche Grünflächen wahr-
des Projektes vergeben werden dürfen. Auflagen nimmt, notwendig. Häufig wurden die Ideen als
waren der temporäre Charakter der Gartenflä- störend für die Pflege benachbarter Flächen an-
chen, was beinhaltete, dass die Einzelgärten gesehen. Zudem wurde befürchtet, dass die
nicht durch Zäune voneinander getrennt wurden Flächen bei nachlassendem Interesse seitens
und dass keine einzelnen Hütten pro Garten- der Nutzenden vom Fachbereich Öffentliche
parzelle errichtet werden dürfen. Dienste weiter gepflegt oder entfernt werden
Im nächsten Schritt waren Abstimmungen mit müssten und dies im Haushalt des Fachbe-
der Unteren Wasserbehörde und der Unteren reichs nicht vorgesehen ist.
Naturschutzbehörde, welche beim Kreis Offen- Das Projektteam versuchte auch Parzellen auf
bach angesiedelt sind, notwendig. Hatte die an Privatpersonen verpachtete Flurstücke zu
Untere Naturschutzbehörde keine größeren Be- vermitteln, wobei hier keine Einigung mit dem
denken gegen das Vorhaben, so hatte die Untere Pächter erzielt werden konnte. Ein weiteres Pro-
Wasserbehörde Bedenken, da der Standort für blem, welches alle zu vergebenen Flächen be-
die "Kleingärten" unmittelbar an die Schutzzone trifft, war die Haftungsfrage im Schadensfall. Da
II eines Wasserschutzgebiets angrenzte. 2 1 Erst in die zur Vergabe freigegebenen Flächen sich nicht
diesem Abstimmungsschritt wurde festgelegt, im Eigentum der Stadt Dietzenbach, sondern
dass keine "Kleingärten", sondern nur "Grabe- der Treuhandgesellschaft für die Entwicklungs-
land" umgesetzt wird. Dieses Entgegenkommen maßnahme DSK befinden, war mit dem Ver-
des Projektteams war notwendig, da ansonsten sicherungsträger der Stadt eine Abstimmung
eine kostenintensive Toilettenanlage hätte errich- über die Schadensregulierung notwendig.
tet werden müssen, um einer Verunreinigung
des Grundwassers vorzubeugen.
Da der Standort zudem unmittelbar an landwirt-
schaftlich genutzte Flächen und Wegeverbin-
dungen angrenzt, war ebenfalls eine Abstim-
mung mit dem Ortslandwirt notwendig, der die
Interessen der örtlichen Landwirtschaft zu ver-
treten hat.
Nicht zuletzt war aber auch Abstimmungsbedarf
mit den potenziellen Nutzerinnen und Nutzern
notwendig. Diese waren mit den Auflagen der
Stadt keineswegs einverstanden. So wurde nicht
nur der kurze Bewirtschaftungszeitraum, son-
dern auch das Verbot einzelner Hütten, ein feh-
4.4 UMSETZUNGEN UND UMSET-
ZUNGSPLÄNE DER KAMPA GNE
100 QM"

110
Die Kampagne "100 qm" hatte zur Besetzung 4.4.1 Temporäre Flächenbeset-
Dietzenbacher Brachflächen aufgerufen. zungen
Innerhalb der Projektlaufzeit kam es zu fünf
Flächenbesetzungen. Drei weitere Besetzungen Diesem Situationstyp lassen sich zwei Beispiele
wurden konzipiert und werden voraussichtlich zuordnen. Es wird im Folgenden zunächst ein
über den Projektzeitraum hinaus weiterverfolgt. Hühnerhof für Kinder beschrieben und dann die
Die Flächen und die auf ihnen durchgeführten Umsetzung von Grabelandparzellen für sechs-
bzw. geplanten Einzelprojekte lassen sich in undzwanzig Familien.
Form von Situationstypen beschreiben. Die
Genese eines jeden Typs zeigt, welche charakte-
ristischen Chancen und Probleme auftreten,
wenn einem umsetzungsorientierten Handeln
seitens der Bürgerinnen und Bürger und den
dazugehörenden Aushandlungsprozessen mit
Politik und Verwaltung Raum gegeben wird.

Abb. 77. Brachfäche

Hühnerhof
Der Hühnerhof für Kinder ist in einem Dietzen-
bacher Wohngebiet entstanden, das durch seine
Stadtrandlage und die erst wenige Jahre alte
Reihenhausbebauung geprägt ist. Das Projekt
wurde von einer Familie in enger Abstimmung
mit den Nachbarn konzipiert. Zusätzlich ver-
schaffte sich die Familie für die zu besetzende
Fläche alle benötigten Informationen zu Ver-
marktungs- und Planungsstand. Die Fläche liegt
im direkten Wohnumfeld und befindet sich in
einem Bebauungsplanverfahren, das zeitnah
realisiert werden soll. Es ist dort eine Erwei-
terung des Wohngebietes vorgesehen. Die zeitli-
che Befristung der Flächenbesetzung wurde von
der Familie als Rahmenbedingung akzeptiert,
weit wichtiger war die direkte Nähe zum eige-
nem Haus. Die Kinder wurden von Beginn an
mit der Tatsache der zeitlichen Befristung kon-
frontiert und akzeptierten diese mit dem Hin-
weis auf die wohlschmeckende Hühnersuppe,
die nach einem halben Jahr entstehen würde.
111

Abb. 78. Vortrag in der Stadtverordnetenver- Abb. 79. Hühnerhof


sammlung

Das Projekt wurde im nächsten Schritt in der ken, deren Nutzung ein vornehmlich privates
Verwaltung vorgestellt. Da die Vorbereitung ideal Interesse zugrunde lag (Hühnerhof, Grabeland).
geleistet worden war, passierte der Vorschlag Angesichts der Höhe der Kaution von 500 Euro
die Verwaltung binnen weniger Tage und wurde kam sie jedoch für viele Interessentinnen und
mit großer Unterstützung in den Magistrat ein- Interessenten einem Ende der Option für kurzfri-
gebracht. Alle vom Projektteam etablierten Struk- stige Flächennutzungen gleich. Die Familie war
turen und Abläufe funktionierten schnell und in der Lage, die Kaution aufzubringen, so dass
reibungslos, bis der Bürgermeister die Umset- für ein halbes Jahr auf 100 qm Boden ein Frei-
zung mit dem Hinweis auf potenzielle Nach- gehege für Hühner entstand. Es wurde mit einer
ahmerInnen und dem Schreckbild von Dietzen- kleinen Besucherbank erweitert, einer Feuer-
bach als Bauernhof untersagte. Die Diskussion stelle und ab und an steht das Zelt der Kinder
mit der Familie wurde abgebrochen. Die Familie neben ihm und lädt zum Übernachten auf dem
akzeptierte diese Entscheidung jedoch nicht. Sie Feld ein. Die Kinder des Quartiers nutzen den
wurde durch den das Projekt begleitenden Do- Hühnerhof mittlerweile als Treffpunkt. Aus einer
kumentarfilmer darauf aufmerksam gemacht, Aktion zum privaten Nutzen entwickelte sich
dass die Stadtverordnetenversammlung eine eine Veränderung für das angrenzende Quartier.
Bürgersprechstunde anbietet. Eines der Kinder Damit ist das Projekt ein Musterprojekt für tem-
erläuterte das Projekt kompetent und einpräg- poräre Flächennutzung. Das Projekt verdeutlicht
sam vor den Stadtverordneten. zudem in aller Schärfe, dass Stadtplanung aus
Es gewann danach, wie deren Vorsitzender den Verwaltungen und der Politik wieder in die
sagte, in einem historischen Moment der ge- Mitte öffentlichen Interesses gerückt werden
sunde Menschenverstand und die Stadtverord- muss, um einen Städtebau auf "Gutsherrenart"23
neten billigten das Projekt. 22 Der Bürgermeister zu verhindern.
konnte sich mit seiner Ablehnung trotz aller In diesem Herbst sollen die Hühner nun "der
Polemik nicht durchsetzen. Allerdings legte er Nahrungskette zugeführt" werden. 24
am nächsten Tag fest, dass für alle zu verge-
benden Parzellen in Zukunft eine Kaution in 22
Dokumentiert in: Dietzenbach sucht seine Mitte, Film von
Höhe von 1.000 Euro als "Abräumpauschale" Wolf Lindner, Frankfurt 2003.
23
aufzubringen sei. Das Projektteam konnte diese Formulierung des Bürgermeisters, um sein Verständnis von
Stadtplanung zum Ausdruck zu bringen, Gedächtnisproto-
Summe in Diskussionen mit dem Bürgermeister koll Martin Wilhelm, Gespräch mit dem Bürgermeister,
zwar halbieren und auf die Parzellen beschrän- 2002.
112
Grabeland Außenraum. 25 Als erste Fläche innerhalb der
Die bei weitem größte Zahl von Anfragen von Kampagne "100 qm" wurde eine schlecht zu
Bürgerinnen und Bürgern betraf Gärten. Dies ist vermarktende Gewerbefläche für temporäre
bei der räumlichen Situation in Dietzenbach Grabelandnutzung durch den Magistrat bereitge-
nicht erstaunlich, handelt es sich doch um eine stellt. Ausgerechnet diese Fläche entwickelte
ländlich geprägte Stadt, in deren Mitte Groß- sich im Verlauf des Projektzeitraums zur Pro-
wohnanlagen stehen. Daraus folgt für viele Bür- blemfläche für das Projektteam. Sechsund-
gerinnen und Bürger ein Defizit an verfügbarem zwanzig Familien übernahmen die Fläche nach

Abb. 81. Gestaltungsvorschlag für Grabeland-


parzellen

einer zuvor durchgeführten und gut besuchten


Informationsveranstaltung. Sie grenzten die Par-
zellen mit Stelen voneinander ab, organisierten
selbst einen Traktor zum Umpflügen des stark
verdichteten Bodens. Dann stoppte der Prozess.
Die verständlichen Wünsche der Bürgerinnen
und Bürger nach einer gewissen längerfristigen
Sicherheit für ihre Mühe und Investitionen, wie
z.B. ein geplanter Wasseranschluss, standen in
24
Zitat des Kindes in der Stadtverordnetenversammlung, vgl.
Video: Dietzenbach sucht seine Mitte, Wolf Lindner,
Frankfurt 2003.
25
Im Kleingartenleitplan Hessen, hrsg. v. Hessischen Landes-
amt für Regionalentwicklung und Landwirtschaft aus dem
Jahr 2000, wird der Bedarf an Kleingärten für einzelne
Kommunen dargelegt. Hier wird von einem Fehlbestand
von 984 Kleingärten in Dietzenbach ausgegangen.

Abb. 80. Lageplan


Abb. 82. Stelenentnahme Abb. 83. und Abb. 84. Absteckung der Grabelandparzellen

113
direktem Konflikt mit dem nach wie vor auf- wird über die geeignete Organisationsform der
rechterhaltenen Ziel der Stadt, die Fläche lang- Interessentinnen und Interessenten nachge-
fristig zu vermarkten. Es wurde den Bürgerinnen dacht. Vorbild für eine gelungene Umsetzung
und Bürgern keine Erlaubnis für das Errichten von Gärten durch Bürgerinnen und Bürger sind
von Zäunen, Hütten und einem Grillplatz gege- in diesem Zusammenhang die "Internationalen
ben, um langfristig die Vermarktungschancen Gärten Göttingen". 28
nicht zu mindern. Andererseits wollten die Inter- Der Erfolg temporärer Flächenbesetzung ist
essentinnen und Interessenten sich nicht auf demnach stark von der Art der Einzelnutzung
ein Provisorium einlassen. 26 Es war ihnen nicht abhängig. Als Flächen wurden sowohl auf eine
zu vermitteln, dass es nichts Dauerhafteres als mittelfristig nicht zu vermarktende städtische
Provisorien gibt. Nachrückende Interessierte Fläche (Fläche 20, Grabeland) als auch auf
wurden von der neu eingeführten Kaution von eine Fläche (Fläche 2, Hühnerhof) zugegriffen,
500 Euro abgeschreckt. die zeitnah bebaut werden wird. Es scheint ein
Trotz eines viel versprechenden Anfangs liegt Vorteil zu sein, wenn sich Beginn und Ende der
heute genau diese Fläche wieder brach, es ge- Besetzung klar benennen lassen, die Wieder-
lang nicht, einen für beide Seiten akzeptablen herstellung der Fläche geklärt ist und die Rah-
Modus der Zwischennutzung zu finden. Flexi- menbedingungen von den beteiligten AkteurIn-
bilität ist eben nicht nur auf Seite der Stadt ein- nen eindeutig entwickelt und formuliert werden
zufordern, sondern auch von den Nutzerinnen können.
und Nutzern zu erlernen, gerade wenn es um Es muss für eine erfolgreiche Umsetzung zu-
die Aufgabe von lieb gewonnenen Maximal- dem beides, die geeignete Fläche und die ge-
forderungen, wie in diesem Fall unbegrenzter eignete Organisationsform der Interessentinnen
Nutzungsdauer, Hüttenbau, hohe Zäune, geht. und Interessenten, gefunden oder entwickelt
Einzelpersonen, die sich mit großem Engage- werden.
ment für einen Aushandlungsprozess mit den
städtischen Interessen einsetzten, konnten sich
in dem gruppendominierten Prozess nicht durch-
setzen. Durch die Diskussionen über diese
Fläche kam es jedoch zu einer Thematisierung
der Entwicklungsmaßnahme. Letztlich entstand
eine intensive auch öffentlich geführte Diskus-
sion über die Notwendigkeit von mehr Gärten in
der Stadt, die bis in das Stadtparlament reich-
te. 27 Die Aktivitäten rund um die Fläche 20
haben letztlich den Blick auf Grundstücke ge-
lenkt, die sich langfristig für Gartennutzungen
anbieten wie Fläche 22, ein Grundstück, für
das ein rechtsgültiger Bebauungsplan für Klein-
gärten seit vierundzwanzig Jahren existiert,
diese aber für die Stadt aus finanziellen Grün-
den nicht mehr umsetzbar waren. Gleichzeitig
26
Vgl. im Gegensatz dazu "Internationale Gärten Göttingen",
www.internationale-gaerten.de.
27
Vgl. "Für mehr Gärten in der Stadt", in: Dietzenbacher
Stadtpost, 24.10.2002.
28
Internationale Gärten Göttingen, a.a.O.
114
4.4.2. Übernahme öffentlicher misst sie den Anknüpfungspunkt für ihre Ideen.
Aufgaben in Form von Gestaltung Die Kampagne "100 qm" hat vorübergehend
solch einen Anknüpfungspunkt geschaffen. In-
öffentlicher Flächen nerhalb der oben genannten Einzelprojekte wol-
len Bürgerinnen und Bürger Energie, Aktivität
Mehrere Dietzenbacher Bürgerinnen und Bürger und Geld für ihre Stadt investieren und Aufga-
brachten ihren Wunsch zum Ausdruck, kleine ben der Stadt übernehmen. Bei diesen rein für
öffentliche Gärten in der Stadt anzulegen und die Öffentlichkeit bestimmten Einzelprojekten
zu pflegen. Es wurde ein internationaler Garten, gibt es in der Umsetzung trotzdem unzählige
eine Kräuterspirale und ein Apothekergarten vor- Schwierigkeiten und Verzögerungen. Ein Magis-
geschlagen. tratsbeschluss ermöglichte die Gärten in einem
ersten Schritt auf Fläche 18, einem im Bebau-
ungsplan festgelegten, jedoch nur in Ansätzen
umgesetzten Park. Seitens der ExpertInnen in
der Verwaltung war einer der größten Vorbehalte,
dass es keinerlei Sicherheit gäbe, dass die Bür-
gerinnen und Bürger von ihnen angelegte Gär-
ten auch dauerhaft pflegen würden. Es entstand
die Angst, dass die Stadt langfristig die Gärten
pflegen und sichern müsste. Zusätzlich wurde
stets mit dem Hinweis auf die Gefahr von Van-
dalismus gegen die Gärten argumentiert. So
entstand eine für die Interessierten frustrierende
Situation, in der die Probleme für eine Umset-
zung immer größer wurden, bis letztendlich kei-
ner der Gärten realisiert wurde.
Eine ortsbekannte sehr aktive Familie hatte das
Projekt Abenteuerspielplatz mit klaren Vorstel-
lungen begonnen, die Kinder hatten sogar zwei
Modelle von dem Spielplatz gebaut und Zeich-
Abb. 85. eingereichte Darstellung der Kräuter- nungen angefertigt.
spirale Schnell entstanden dann im Herbst die ersten
zwei Indianertipis. Die Familie hatte in der
Eine Familie konzipierte einen Abenteuerspiel-
platz für Kinder in ihrem Quartier. Ein Geschäfts-
inhaber schlug einen gepflanzten Stadtplan Diet-
zenbachs vor, wollte aber selbst für die Umset-
zung und Pflege keine Verantwortung überneh-
men. Die Bürgerin, die eine Kräuterspirale pflan-
zen wollte, artikulierte den Hintergrund für ihr
Engagement am deutlichsten aus: Sie sei pen-
sioniert, aber tatkräftig und ideenreich, wie ihrer
Meinung nach unzählige weitere Dietzenbache-
rinnen und Dietzenbacher, und sie würde lie-
bend gerne für ihre Stadt Verantwortung über-
nehmen und selbst tätig werden. Allerdings ver- Abb. 86. Kinderzeichnung: Indianerspielplatz
115
Nachbarschaft um Unterstützung bei weiteren eine schlummernde Quelle für Stadtentwick-
Bauten geworben, diese allerdings nicht im ge- lungsdynamik innerhalb der Stadtgesellschaft er-
wünschten Umfang erhalten, so dass den Indi- schlossen werden, die gerade in von externen
anertipis keine weiteren Spielgeräte folgten. Entwicklungen so geprägten Städten wie Diet-
Zusammen mit den Themengärten gab es je- zenbach bisher zu wenig ernst genommen
doch an dieser Stelle die Möglichkeit, auf einer wurde.
in einer Nachbarschaft gelegenen öffentlichen,
im Bebauungsplan ebenfalls als Parkanlage

Abb. 87. Stelenentnahme für Indianertipi Abb. 88. Stelen zur Markierung der Spielfläche

festgelegten aber heute nur als Hundewiese ge-


nutzten Fläche ein erstes Beispiel dafür entste-
hen zu lassen, dass tatsächlich Aufgaben, die
von der Stadt nicht mehr geleistet werden kön-
nen, wie eben die geplante Umsetzung einer
öffentlichen Parkfläche, von den Bürgerinnen
und Bürgern geleistet werden können.
Beide Beispiele verdeutlichen auch, wie wichtig
es ist, dass innerhalb der Einzelprojekte relativ
schnell Strukturen entstehen, die das Projekt
über eine erste Begeisterung hinaus tragen kön-
nen. Allerdings hat es anhand der Indianerzelte
und des Spaliers aus Stelen auch deutlich ge-
macht, mit wie viel Phantasie selbst bei be-
schränkten finanziellen Mitteln das Umfeld an-
geeignet, genutzt und aufgewertet werden kann.
Generell stehen Verwaltung, Politik und Exper-
tInnen vor der Aufgabe, die "individualisierte
Gesellschaft" als Partnerin im Planungsprozess
und als Ressource für Umsetzungen zu akzep-
tieren. Damit geht natürlich eine gewisse Kon-
trolle und das Ausführungsmonopol der Stadt
im öffentlichen Raum verloren. Es kann aber
116
4.4.3. Veränderung und lage vorgesehen. 1979 wurde ein kleiner Teil
Umsetzung überambitionierter, des Bebauungsplanes in Form von achtund-
zwanzig Kleingärten umgesetzt. Die Gärten sind
nicht realisierter Planungen sehr großzügig geschnitten und erschlossen, für
jede Gartenparzelle besteht die Versorgung mit
Die Kampagne "100 qm" rief anhand dreier Pro- Wasser und Strom. Da die weitere Umsetzung
jektideen von Bürgerinnen und Bürgern eine des Bebauungsplanes, d.h. die Herstellung die-
Auseinandersetzung mit alten, nicht realisierten ser Anlage für die Stadt, nicht zu finanzieren
Planungen in der Verwaltung hervor. Die Bürge- war, liegt die restliche Fläche brach. Zudem
rinnen und Bürger schlugen vor, in Eigenarbeit wurde sie für den Bau der S-Bahn als Lager-
Kleingärten, einen Bolzplatz für Jugendliche und Arbeitsfläche vorgehalten. An weitere Gär-
und ein Festzelt zu realisieren. Im Folgenden ten war nicht zu denken. Erst im Rahmen des
sollen die drei Projektideen kurz vorgestellt wer- Projektes wurde die Sinnhaftigkeit der Vorhal-
den. tung überprüft. Bei Überprüfung des Flächen-
bedarfes für den S-Bahn-Bau wurde deutlich,
Kleingartenanlage dass schon ein kleiner Teil der Fläche ausrei-
Im Rahmen der Kampagne "100 qm" wurde an- chend Lagerfläche für Erdaushub darstellen
hand der Rückmeldungen aus der Bürgerschaft würde. Es wurde im Projektteam, Verwaltung
sehr schnell deutlich, dass es einen großen Be- und Politik begonnen, über Umsetzungsmög-
darf an Gärten in der Stadt gibt. Der hessische lichkeiten für die Gärten nachzudenken. In
Kleingartenleitplan unterstützt diese Beobach- mehreren alternativen Projektskizzen wurde eine
tung, indem dort für Dietzenbach 984 fehlende Gartenanlage dargestellt, die durch eine Verrin-
Kleingärten festgestellt werden. 29 Gärten tempo- gerung der Gartengröße und des Erschließungs-
rär anzulegen schien dem Projektteam nach luxus (gebündelte Wasserversorgung statt Was-
den Erfahrungen auf Fläche 20 zumindest pro- serversorgung für jede Parzelle, Verzicht auf
blematisch, weshalb für den Gartenmangel eine Strom) kostengünstig für bis zu 150 Gärten
längerfristige Lösung gesucht wurde. Durch die Raum schaffen könnte. Derzeit wird kontrovers
intensive Diskussion der leeren Flächen in Diet- diskutiert, wie man mit dieser Projektidee und
zenbach rückte die Fläche 22 in das Bewusst- dem bestehendem Bebauungsplan weiterarbei-
sein des Projektteams. Dort ist laut Flächennut- ten kann. Da sich die Umsetzung dieses Pro-
zungs- und Bebauungsplan eine Kleingartenan- jektes nicht mehr innerhalb des Projektzeit-
raumes verwirklichen lässt, erklärte sich der
Abb. 89. Projektskizze für die Anlage von Ausländerbeirat dazu bereit, die Umsetzung von
Gärten Gärten auf dieser Fläche weiter zu verfolgen
und den Kontakt zu den interessierten Bürgerin-
nen und Bürgern zu halten. Der Ausländerbeirat
wird diesen Herbst eine Anfrage zu den Gärten
auf dieser Fläche in den Magistrat einbringen.

Bolzplatz
Der Ausländerbeirat übernimmt neben den Gär-
ten auf Fläche 22 auch eine Vermittlerfunktion
für den türkisch-islamischen Kulturverein in
Dietzenbach. Der Kulturverein möchte für Ju-

29
Kleingartenleitplan Hessen, a.a.O.
117
gendliche einen Bolzplatz betreiben. Dieser soll park, die durch die ungelösten strukturellen Pro-
mit Fußballtoren, Basketballkörben und evtl. bleme entstanden sind. Hierfür bietet auch der
einer Tischtennisplatte ausgestattet werden. Für bestehende Bebauungsplan für ein Festzelt
den Verein von großer Bedeutung ist die Lage keine Lösungsansätze an. Bei Fragen der tech-
des Bolzplatzes in unmittelbarer Nähe zur nischen Infrastruktur scheint zudem die Grenze
Moschee, um den Jugendlichen einen mög- der finanziellen Belastbarkeit der Bürgerinnen
lichst unkomplizierten Übergang von Weiter- und Bürger rasch erreicht. 3 0
bildungsangeboten des Vereins zu sportlichen Diese zwei nicht realisierten Bebauungspläne
Aktivitäten zu ermöglichen. In der Nähe des (Bolzplatz und Festzelt sind innerhalb eines
Vereins befindet sich eine Sportfläche, deren Bebauungsplanes festgesetzt) sind Beispiele für
Gliederung schon durch einen Bebauungsplan überdimensioniert angelegte Planungen in der
festgelegt ist. Auch hier verfügt die Stadt nicht stark sozialdemokratisch geprägten Stadt Diet-
über die finanziellen Ressourcen, den Bebau- zenbach. Die Stadt war schon sehr bald nach
ungsplan alleine umzusetzen. Bisher wurde auf der ursprünglichen Planung bis heute nicht in
einen Investor von außen gehofft, der das Ge- der Lage, diese Bebauungspläne in Eigenregie
lände z.B. als Golfplatz entwickelt. Derzeit wer- umzusetzen, da unklar ist, wie die Kosten für
den in dieser Richtung Verhandlungen geführt. Erstellung, Unterhalt und Pflege getragen wer-
Der Kulturverein könnte hingegen sofort auf der den können. Gleichwohl gibt es einen großen,
Fläche aktiv werden. Er verfügt über die nötigen bekannten Bedarf an den festgesetzten Nut-
finanziellen und zeitlichen Ressourcen, ein sol- zungsmöglichkeiten. Die Kampagne "100 qm"
ches Vorhaben umzusetzen, und würde durch hat hier eine neue Dynamik erzeugt mit der ein-
ein solches Engagement enger in die städtische fachen Anregung und Erkenntnis, dass die Bür-
Wahrnehmung eingebunden. Die Auseinander- gerinnen und Bürger und interessierten Vereine
setzungen zwischen Ausländerbeirat, Verein, und Gruppierungen die Umsetzung gerne und
Verwaltung und Politik anhand dieses Projektes problemlos selbst bewerkstelligen können. Das
erzeugen einen Aushandlungsprozess zwischen stellt einen wichtigen Neubeginn für die Ent-
den Akteurinnen und Akteuren. Es geht um die wicklung dieser Grundstücke unter Einbezie-
Zugänglichkeit der Sportanlage, Förderung hung der finanziellen und zeitlichen Ressourcen
sportlicher Aktivitäten islamischer Frauen und von Bürgerinnen und Bürgern dar. Die Stadt
die Einbindung des Vereins in die Stadt. Auch sowie die ExpertInnen sind dabei nach wie vor
dieses Projekt ist innerhalb des Förderzeitraumes stark gefragt in ihrer Rolle als ManagerIn der
von "Stadt 2030" nicht umzusetzen, es hat viel- Abläufe und als PlanerIn für die geänderten
mehr einen Diskussionsprozess in Gang gesetzt, Rahmenbedingungen.
der mit offenem Ergebnis andauert.

Festzelt
Der von Bürgerinnen und Bürgern geäußerte
Wunsch nach einem Festzelt für große Familien-
feste erzeugte im Gegensatz zu den zwei ande-
ren Projekten keine andauernde Diskussion,
sondern wurde relativ schnell innerhalb der
Verwaltung abgeblockt. Zu groß erschienen hier
die infrastrukturellen Probleme wie Abfallentsor-
gung, Wasserver- und -entsorgung, Strom etc.
Verstärkt wurde diese Haltung durch negative 30
Diskussion im Rahmen des Verwaltungstreffens vom
Erfahrungen solcher Großfeste im Hessentags- 21.Mai 2003.
4.5 DIE SOZIALWISSENSCHAFTLICHE
PROJEKTBEGLEITUNG

118
Im Rahmen der sozialwissenschaftlichen Pro- 4.5.1 Inhaltsanalyse der Presse-
jektbegleitung wurde erstens überprüft, inwie- veröffentlichungen - öffentliche
weit sich die öffentlichen Aktivitäten des Pro-
jektteams (Stelenreihe, Kampagne 100 qm) in
Diskurse
der Medienöffentlichkeit und bei der Bevölke- Im Rahmen der Projektarbeit wurden unter-
rung verankern ließen und Widerhall fanden. schiedliche Strategien der Öffentlichkeitsarbeit
Wurden durch diese Diskurse ausgelöst und verfolgt. 31 Ein zentraler Baustein war die
wenn ja, worüber? Zur Beantwortung dieser Kooperation mit der lokalen Presse ("Frankfurter
Fragen diente in erster Linie eine Inhaltsanalyse Rundschau", "Offenbach Post", "Frankfurter
der lokalen Presse, aber auch die zwei im Fol- Neue Presse", "Frankfurter Allgemeine Zeitung",
genden erwähnten Befragungsreihen. Zweitens "Dreieichspiegel", "Dietzenbacher Stadtpost").
wurde die Bevölkerung Dietzenbachs in den Bei FR, FNP und FAZ handelt es sich um über-
verschiedenen Ortsteilen sozialstrukturell sowie regionale Zeitungen mit eigenem kurzen Lokal-
nach ihren Bildern über die Stadt untersucht. teil für den Landkreis Offenbach. "Dreieich-
Hierzu wurden in den verschiedenen Quartieren spiegel" und "Dietzenbacher Stadtpost" sind
Dietzenbachs 160 Personen befragt. Ziel war es lokale Anzeigenblätter, während die "Offenbach
nicht, räumliche und/oder soziale Fragmentie- Post" das eigentliche Lokalblatt darstellt, aller-
rung, Segmentierung oder Segregation nachzu- dings auch nur seitenweise aus Dietzenbach
weisen, da diese Begriffe nur dann sinnvoll für berichtet. Insofern ist zunächst anzumerken,
Analysen verwendbar sind, wenn man sie vor dass es sich in Dietzenbach um eine mengen-
einem Hintergrund von räumlicher bzw. sozialer mäßig begrenzte Medienlandschaft handelt.
Einheit verwenden kann. Sie implizieren ein Eine weitere Randbedingung stellt die geringe
Defizit an möglicher Integration. Solche Vorstel- Abonnentenzahl in der Dietzenbacher Bevölke-
lungen von Einheit bzw. Integration werden je- rung dar. So zählt die "Offenbach Post" ca.
doch der Dietzenbacher Situation nicht gerecht. 1.400 und die "Frankfurter Rundschau" ca. 400
Die auf Dietzenbacher Gemarkung Lebenden Abonnentinnen und Abonnenten. Die Zahl der
sind weder als eine soziale, politische noch anderen Zeitungen ist in ihrer Dimension ver-
räumlich integrierte Einheit anzusehen. Deshalb nachlässigbar. Das bedeutet, dass nur etwa ein
wurden die Ergebnisse dieser Untersuchung als Fünftel der Dietzenbacher Haushalte über ein
Differenzierungen innerhalb der Bevölkerung Abonnement einer Tageszeitung verfügt. Dies ist
und als potenzieller Reichtum interpretiert. bei der Betrachtung der Presseöffentlichkeit und
Drittens wurde analysiert, welche sozialen deren Reichweite sicherlich zu bedenken. Wie
Charakteristiken diejenige Gruppe hat, die sich an anderer Stelle erwähnt, ist dies auch ein
zur Teilnahme am Projekt entschloss. Deshalb Merkmal der jungen Stadt Dietzenbach und der
wurde eine telefonische Befragung bei 124 an daraus resultierenden Struktur der lokalen
der Kampagne 100 qm Dietzenbach beteiligten Öffentlichkeit, die kaum als Einheit zu fassen
Personen durchgeführt. ist.
Im Rahmen der Inhaltsanalyse wurden fünfund-
vierzig Presseartikel aus dem Zeitraum von
August 2002 bis April 2003 untersucht. In der
quantitativen Dimension umfassen diese Artikel
eine Bandbreite von kurzen Notizen bis hin zu

31
Die vollständige Übersicht über Verteilungen und relevante
Beziehungen finden sich im Tabellenteil im Anhang des
Berichts.
119
fast halbseitigen Artikeln. Insgesamt ist anzu- der Bewohnerinnen und Bewohner. Diese "prag-
merken, dass zumindest im Jahr 2002 und matische Lawine" fand in zweierlei Hinsicht Be-
gegen Ende des Projekts in 2003 umfänglich achtung. Einerseits wurde durch das Bilden an-
berichtet wurde. Die Anzahl von fünfundvierzig gemessener Kategorien versucht, den Stellen-
Pressemeldungen in einem Zeitraum von sieben wert dieses Pragmatismus zu messen. Anderer-
Monaten läßt Rückschlüsse darauf zu, dass das seits wurde versucht, den Effekt auf das ur-
Projekt von öffentlichem Interesse gewesen ist. sprünglich formulierte Projektziel, der diskursi-
Ausgewertet wurden die Artikel, um öffentliche ven Bezugnahme auf die Stadt, darzustellen.
Bewertungen, Beschreibungen und auch initi-
ierte Diskurse des Projektes zu messen. Es soll- 4.5.1.1 Initiierung von Diskursen
te nachvollzogen werden, ob die Zielsetzung, Zielsetzung des Forschungsprojektes war es,
die Stadt als Gesamtheit in die Betrachtung der über das Instrument der Stelenreihe Diskurse zu
Bewohnerinnen und Bewohner zu rücken, mit- initiieren. Im Rahmen der vorliegenden Auswer-
tels des Instrumentariums als gelungen zu be- tung wurde versucht, entsprechende Kategorien
zeichnen ist. zu definieren und zu überprüfen, inwiefern eine
Grundlage zur Bildung der Kategorien waren Verknüpfung von Projekt und Diskursentwick-
unterschiedliche Dimensionen. 32 lung in der Presseöffentlichkeit einen Nieder-
• In seiner Ursprungsformulierung gingen so- schlag fand. Die Verteilung der Kategorie "Stadt-
wohl der Dachantrag des Projekts und noch viel entwicklung" in der Auswertung gibt hierüber
mehr der Antrag des Projektpartners Universität erste Aufschlüsse:
Frankfurt davon aus, dass mittels des Projekts
Diskurse zu erzeugen seien, die die festgestellte
Tab. 9. Nennungen von Begriffen der Kategorie
Fragmentierung als Fakt und mögliche Norma-
Stadtentwicklung in Presseartikeln
lität anzuerkennen hätten. Andererseits sollte
versucht werden, über die Diskurse einen ge- Häufigkeit 0 1 2 3 6 Gesamt
meinsamen Bezugsrahmen hinsichtlich des Ge-
samtgebildes Dietzenbach herzustellen. Dieser Nennungen 18 12 10 4 1 45
Absicht wurde in der vorliegenden Auswertung
Rechnung getragen. Schon auf den ersten Blick wird deutlich, dass
• "Öffentliche Reduzierungen" des Projekts wur- die Verknüpfung des Themas Stadtentwicklung
den erwartet. Diese waren vor allem an den mit dem Projekt nur begrenzt gelungen ist. In
Themen "Kunst" und "Geldverschwendung" fest- etwa 40 % der Veröffentlichungen tauchen Be-
stellbar. Die etwaige Dominanz und die damit griffe aus der Kategorie Stadtentwicklung nicht
aus Projektsicht Blockade des eigentlichen An- auf. Dies wird deutlicher, betrachtet man die
liegens wurde in den Auswertungskategorien Verteilung auf unterschiedliche Zeiträume mit
berücksichtigt. differenzierten Aktivitäten des Projektteams in
• Im Projektverlauf wurde recht schnell ein der Öffentlichkeit. Die folgende Übersicht (Tab.
neuer Diskursstrang eröffnet, der sich auf kon- 10.) verdeutlicht, dass es zu einer Konzentration
krete Nutzungen bezog. Insbesondere das The-
32
ma Garten/Grabeland wurde schnell zu einem Insgesamt wurden 29 Kategorien gebildet, die unter-
dominierenden Thema. Das Anliegen, einen ge- schiedliche Facetten des Projekts und seiner öffentlichen
Diskussion beleuchten sollten. Diesen Kategorien wurden
meinsamen diskursiven Bezugsrahmen herzu- wiederum unterschiedliche Begriffe zugeordnet, die diese
stellen, wurde dadurch stark in den Hintergrund Kategorien mindestens in Teilen ausfüllen sollten. Zur Aus-
gedrängt. Das Projekt bewegte sich sozusagen wertung wurden dann die Begriffe in den Artikeln ausge-
zählt. Die Kategorien wurden als normativ gerichtete Kate-
im Bestand Dietzenbachs und entlang der all- gorien von Aussagezusammenhängen gebildet, was in der
täglichen Wünsche und Bedürfnisse eines Teils Auswertung verdeutlicht und betont wird.
120
der Begriffe aus der Kategorie Stadtentwicklung fungspunkte bietet. Wie die Übersicht zeigt, ist
in den ersten drei Monaten kommt. genau das Gegenteil der Fall. In mehr als 50 %
der Artikel tauchen Begriffe aus dieser Kategorie
überhaupt nicht auf:
Tab. 10. Stadtentwicklung als Nennung im
Zeitverlauf
Tab. 11. Nennungen der Kategorie Gedanken,
Nennung 0 1 2 3 6 Gesamt
Diskurse in Presseartikeln
08.02 0 2 3 1 0 6
09.02 6 5 1 0 0 12 Häufigkeit 0 1 2 3 Gesamt
10.02 3 1 4 2 1 11
11.02 4 1 1 0 0 6 Nennungen 24 13 6 2 45
12.02 3 0 0 0 0 3
01.03 0 0 1 0 0 1 Zudem beschränkt sich die maximale Häufigkeit
02.03 1 1 0 0 0 2 auf drei Begriffe je Veröffentlichung. Deutlich
03.03 0 1 0 0 0 1 wird im Vergleich zur Kategorie "Stadtentwick-
04.03 1 1 0 1 0 3 lung", dass die fachlichen Begriffe des Projekt-
teams erstens überhaupt öffentlich benutzt und
Gesamt 18 12 10 4 1 45 auch aufgegriffen werden, während die lebens-
weltlichen Begriffe der diskursiv zu Infizierenden
Es sind dies die Monate, in denen seitens des entweder überhaupt nicht auftauchen oder aber
Projektteams begleitende Veranstaltungen (Richt- uninteressant für die Presseöffentlichkeit sind,
fest, Vernissage, erste Flächenvergaben) statt- wobei ersteres zu vermuten ist. Als Schluss
fanden. Diese waren immer mit inhaltlichem ließe sich daraus ziehen, und das bestätigt den
Input seitens des Projektteams versehen. Man Schluss aus der Auswertung der Kategorie
kann den Schluß ziehen, dass man in den Pres- "Stadtentwicklung", dass diskursive Momente
severöffentlichungen die Begriffe des Teams wie- kaum hergestellt werden konnten.
derfindet. In späteren Zeiträumen verschwindet Eine weitere Kategorie, die in diesem Zusam-
die Kategorie Stadtentwicklung fast völlig aus menhang zu nennen ist, ist die der "Eigeninitia-
der Öffentlichkeit. Offensichtlich ist es nicht ge- tive". Diese besteht aus Begriffen, die mit dem
lungen, das Projekt mit dem Thema Stadtent- selbständigen und eigenverantwortlichen Gestal-
wicklung zu verbinden und einen sich selbst ten von Stadt zu tun haben, ohne dass ein kon-
stabilisierenden und befeuernden Diskurs in der kretes Projekt benannt wird. Nennungen aus
Öffentlichkeit zu initiieren. diesem Bereich sind verschwindend gering, wie
Ähnliches gilt für Begriffe aus der Kategorie "Ge- folgende Übersicht zeigt:
danken, Diskurse". Hier wurden eher abstrakt
gehaltene Begriffe kategorisiert, die sich mit
Tab. 12. Nennung der Kategorie Eigeninitiative
dem Gedankenmachen über die Stadt, dem Ge-
spräch über die Stadt und über Bilder von der Häufigkeit 0 1 2 4 Gesamt
Stadt befassen. Eigentlich ist naheliegend, dass
eine solche offene Kategorie, die nicht so stark Nennungen 33 6 5 1 45
an Begriffen aus dem Planungsbereich hängt,
stärker besetzt sein sollte als die Kategorie Das Moment der Eigenintiative, des Engage-
"Stadtentwicklung". Zumindest dann, wenn es ments, bezogen auf die Gesamtstadt Dietzen-
in der Öffentlichkeit Diskurse geben sollte, denn bach, ist in der öffentlichen Diskussion nur rudi-
es handelt sich um eine abstrakte, lebenswelt- mentär vorhanden.
lich orientierte Kategorie, die reichlich Anknüp-
121
4.5.1.2 Diskussion über Nutzungen bei um die ganz konkrete Aneignung, die durch
Auch wenn es wie gezeigt nicht gelang, Dis- das Projekt und den Diskussionsverlauf initiiert
kurse zu initiieren, so hat das Dietzenbacher
Projekt doch für rege Öffentlichkeit gesorgt. Wie
Tab. 14. Boden als Nennung im Projektzeit-
der folgende Abschnitt zeigt, verschob sich der
raum
Projektverlauf von der recht abstrakten Idee,
Bewohnerinnen und Bewohner für die Entwick- Nennung 0 1 2 3 4 5 Gesamt
lung begeistern zu können, recht schnell zu 08.02 0 2 1 1 2 0 6
sehr konkreten Nutzungsvorstellungen. Wie in 09.02 1 5 4 0 1 1 12
der Auswertung der begleitenden Befragungen 10.02 4 1 4 2 0 0 11
dargestellt, wurde das Thema "Boden" sehr 11.02 1 3 1 0 0 1 6
schnell von einem Teil der Dietzenbacherinnen 12.02 1 0 1 0 0 1 3
und Dietzenbacher auf Nutzung reduziert. 01.03 0 0 1 0 0 0 1
Boden als abstrakter Gegenstand wurde durch 02.03 1 1 0 0 0 0 2
sehr konkrete Aneignungsvorstellungen und 03.03 0 0 1 0 0 0 1
Interessenartikulation ersetzt. Auch wenn dies 04.03 0 0 3 0 0 0 3
zu Beginn des Projekts nicht in dieser Form ge-
plant war, so entwickelte sich ein spannender Gesamt 8 12 16 3 3 3 45
Prozess ungewöhnlicher Partizipation, wie auch
die Presseveröffentlichungen aufzeigen: wurde. Diese Diskussion scheint alle denkbaren
Diskursstränge zu den Themen "Stadt", "Stadt-
entwicklung" und "Gedanken" überlagert zu
Tab. 13. Nennungen der Kategorie Boden
haben.
Häufigkeit 0 1 2 3 4 5 Gesamt Deutlicher wird dies an der zugespitzten Dis-
kussion über Gartennutzungen. Wünsche einer
Nennungen 8 12 16 3 3 3 45 Gartennutzung tauchten wie aus dem Nichts
massenhaft auf und wurden ebenso jäh, poli-
Bei diesen Nennungen handelt es sich um Nen- tisch motiviert, gestoppt. Nach wie vor, betrach-
nungen des Themas "Boden", die aus Begriffen tet man die Artikel zum Projektende hin, ist
wie Claim und Parzelle bestehen. Begriffe also, Gartennutzung eines von zwei dominierenden
die aneignungsbezogen sind, ohne in die Kon- Identifikationsmomenten mit dem Projekt:
kretion der je spezifischen Nutzung zu gehen.
Die Häufigkeit ist im Vergleich mit den Häufig-
Tab. 15. Nennungen der Kategorie
keiten der im vorherigen Kapitel dargestellten
Gartennutzung
eher abstrakten Kategorien sehr hoch. In mehr
als 80 % aller Artikel taucht diese Thematisie- Häufigkeit 0 1 2 3 4 6 7 9 Gesamt
rung auf. Zwar findet man auch hier die zeitli-
che Konzentration auf den Beginn des Projekts Nennungen 22 9 2 5 3 1 1 2 45
mit zahlreichen Events, doch im Gegensatz zu
den Kategorien "Stadtentwicklung" und "Gedan- Der zeitliche Verlauf zu diesem Thema ist inter-
ken, Diskurse" ziehen sich die Nennungen essant. So ist zu Beginn von Garten oder Gra-
durch den gesamten Projektzeitraum (siehe beland überhaupt nicht die Rede, während im
Tab. 14.) September, Oktober und November 2002 das
Das Thema Boden lässt sich in einem konkre- Thema förmlich explodiert, um dann nach der
ten, nutzenorientierten Sinne also als dominie- politischen Intervention fast völlig zu verschwin-
rendes inhaltliches Thema fassen. Es geht hier- den. In der öffentlichen Reflexion zum Ende des
122
Projekts hingegen ist das Thema wieder prä- te sich die Diktion der Beschreibung, bis schließ-
sent. lich im Jahr 2003 überhaupt keine Nennung
des Themas "Kunst" mehr erfolgte.
Zugleich muß festgehalten werden, dass die
Tab. 16. Garten/Grabeland als Nennung im
Thematisierung "Kunst" das Projekt in deutlich
Projektzeitraum
positivem Sinne beförderte. Eine nahe liegende
Nennung 0 1 2 3 4 6 7 9 Gesamt Vermutung ist, dass die ursprüngliche Absicht,
08.02 6 0 0 0 0 0 0 0 6 Diskurse zu initiieren, bei einem Teil der Diet-
09.02 7 4 0 0 1 0 0 0 12 zenbacher Bevölkerung sicher einfacher über
10.02 1 3 1 2 1 1 1 1 11 die forcierte Thematisierung mittels der Kate-
11.02 3 1 0 0 1 0 0 1 6 gorie "Kunst" möglich gewesen wäre. Allerdings
12.02 2 0 0 1 0 0 0 0 3 ist ebenso anzunehmen, dass mittels einer sol-
01.03 1 0 0 0 0 0 0 0 1 chen Herangehensweise die "klassische Mittel-
02.03 1 0 1 0 0 0 0 0 2 schichtsklientel" erreicht worden wäre und das
03.03 0 0 0 1 0 0 0 0 1 Ergebnis damit in dieser Hinsicht nicht den
04.03 1 1 0 1 0 0 0 0 3 Anforderungen der besonderen räumlichen und
Sozialstruktur Dietzenbachs entsprochen hätte.
Gesamt 22 9 2 5 3 1 1 2 45 Ähnliches gilt für die Kategorie "Provokation".
Diese wurde anfangs durch das Projektteam in
die Öffentlichkeit geschoben und findet sich
analog zum Strang "Kunst" über den Zeitraum
4.5.1.3 Reflexe: Geldverschwendung, verteilt. Auch hier war es der Fall, dass diese
Provokation und Kunst Begrifflichkeit durch die Presse aufgegriffen
Drei weitere Stränge lassen sich im Verlauf des wurde und mit den konkreten Nutzungsan-
Projekts finden, die zeitweise strukturierenden sprüchen verschwand.
Einfluss auf die Diskussion hatten. Es sind dies
Tab. 17. Kunst als Nennung im
die Thematisierungen "Kunst", "Provokation" und
Projektzeitraum
"Geldverschwendung". Insbesondere hinsichtlich
der Fragestellung der Übertragbarkeit einer He- Nennung 0 1 2 3 6 Gesamt
rangehensweise wie im Dietzenbacher Projekt 08.02 0 3 1 1 1 6
sind diese Thematisierungen sicherlich nicht 09.02 7 2 3 0 0 12
singulär, sondern an anderen Orten wiederkeh- 10.02 11 0 0 0 0 11
rend - somit auch kalkulierbar - und zudem 11.02 5 0 1 0 0 6
Öffentlichkeit verstärkend, also durchaus instru- 12.02 2 1 0 0 0 3
mentell einsetzbar. 01.03 1 0 0 0 0 1
In der Sprache des Projektteams tauchte die 02.03 2 0 0 0 0 2
Begrifflichkeit "Kunst", bezogen auf die Stelen- 03.03 1 0 0 0 0 1
reihe, überhaupt nicht auf. Die Kategorie "Kunst" 04.03 3 0 0 0 0 3
wurde bei Eröffnung der Stelenreihe öffentlich
seitens der Politik eingeführt, wohl um das Gesamt 32 6 5 1 1 45
etwas unübliche Projekt zu legitimieren.
Interessant ist die Reaktion in der Presseöffent-
lichkeit, die das Thema "Kunst" im Sinne einer Eine wesentliche Kategorie, die als Reflex auf
spektakulären Aktion, eines Events deutlich in die anfangs erhebliche Öffentlichkeit zu verste-
die Öffentlichkeit brachte. Mit dem konkreten hen ist, ist die der "Geldverschwendung". Inhalt-
Zugang von Nutzerinnen und Nutzern veränder- lich oft auf die Begriffe "Kunst" und "Provokation"
123

Abb. 90. Presseartikel:


Dreieichspiegel
28.09.2002
124
Abb. 91. Pressebild
Abb. 92. Presseartikel:
Dreieichspiegel
14.12.02

Abb. 93. Presseartikel:


Frankfurter Rundschau
17.08.02
125
bezogen, unterstützte diese Thematisierung die ten. Ebenso die verspielten Momente, die sich
Verankerung in der Öffentlichkeit. Vermeidbar ist in Form des Verbauens des Holzes nach Ab-
eine solche Thematisierung bei Projekten dieser schluss des Projektes im Dietzenbacher Stadt-
Art wohl kaum. Mit der Konkretion von Nut- bild wiederfanden. Insofern erfüllte die Stelen-
zungsansprüchen verschwand dieses Thema
Tab. 19. Nennungen der Kategorie Stele
ebenfalls fast gänzlich.
Häufigkeit 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 Gesamt
Tab. 18. Geldverschwendung als Nennung im
Projektzeitraum
Nennungen 3 10 5 8 9 4 1 1 2 2 45
Nennung 0 1 2 3 4 Gesamt
08.02 4 2 0 0 0 6
09.02 7 4 1 0 0 12 reihe ihre Funktion als ästhetisches Instrument
10.02 8 0 1 0 2 11 vorzüglich durch die Breite der Anknüpfungs-
11.02 6 0 0 0 0 6 möglichkeiten. Ein Blick auf den Verlauf ver-
12.02 2 0 1 0 0 3 deutlicht dies:
01.03 0 1 0 0 0 1
Tab. 20. Stele als Nennung über Projektverlauf
02.03 1 0 0 1 0 2
03.03 1 0 0 0 0 1 Nennung 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 Gesamt
04.03 3 0 0 0 0 3 08.02 0 0 1 2 2 1 0 0 0 0 6
09.02 2 2 1 2 3 2 0 0 0 0 12
Gesamt 32 7 3 1 2 45 10.02 0 3 2 0 4 0 1 0 1 0 11
11.02 0 4 0 2 0 0 0 0 0 0 6
12.02 0 0 1 0 0 1 0 0 1 0 3
01.03 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1
02.03 0 1 0 1 0 0 0 0 0 0 2
4.5.1.4. Zentrale Dimension: Das Stelen- 03.03 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 1
projekt 04.03 0 0 0 1 0 0 0 1 0 2 3
Über all diese Thematisierungen hinaus domi-
nierte in der Presseöffentlichkeit ein Thema. Gesamt 3 10 5 8 9 4 1 1 2 2 45
Lassen sich im Projektzeitraum vielfältige
Schwankungen in den dominierenden Thema-
tisierungen feststellen, so zog sich eine Kategorie Die Stelenreihe wurde mit zahlreichen "Kose-
durch den gesamten Zeitraum. Das eigentliche namen" versehen, wie etwa "Riesenmikado",
Medium und Instrument des Projekts, die ästhe- "Stelenzauber" oder "Dietzenbach im Stelen-
tische Setzung in Form der Stelenreihe, war und taumel", was die Intensität der Wahrnehmung
ist das dominierende Identifikationsmerkmal mit zusätzlich verdeutlicht. Dies unterstreicht die
dem Projekt Dietzenbach 2030. Dies gilt zu- Möglichkeit und die Reichweite eines solchen
nächst für die Zahl der absoluten Nennungen Projektzugangs.
(siehe Tab.19.).
Die Gründe lagen wohl in den zahlreichen
Anknüpfungspunkten, die die Stelenreihe bot.
Sowohl Themenschwankungen von "Kunst" und
"Provokation" hin zu "Nutzungsorientierung" lie-
ßen sich mit dem Bild der Stelenreihe verknüp-
fen, wie auch kritische Stimmen, die die Geld-
verschwendung am verbauten Holz festmach-
126
4.5.2 Facetten der Differenz und baulich wie sozial heterogenen Struktur, wie
des Reichtums - die Befragung der dies in Dietzenbach der Fall ist, mit stark diffe-
rierenden Einschätzungen der Stadt zu rechnen
Stadtbevölkerung ist, diese jedoch unterschiedlich stark in die
städtische Öffentlichkeit kommuniziert werden.
Im Rahmen des Projektes fand eine Befragung Eben diese differenzierten Einschätzungen auf-
im Stadtraum statt, die die fragmentierte soziale zuspüren, sie sichtbar zu machen und im Sinne
Struktur belegen sollte und diesbezüglich meh- des Projektanliegens der "Ressourcenentwick-
rere Zielsetzungen verfolgte. So wurde einerseits lung" aufzugreifen, war ein zentrales Merkmal
versucht, mittels der Befragung Vorstellungen, der Befragtenauswahl.
Bilder und Wahrnehmungen der Stadt seitens Zudem wurde versucht, in der Stichprobe die
der Bevölkerung zu erheben. Ferner ging es da- Altersstruktur der Stadt zu repräsentieren, was
rum, Nutzungsansprüche an den Stadtraum der auch wesentlich gelungen ist. Die zu Grunde
unterschiedlichen Teile der Stadtbevölkerung in liegende Annahme bestand darin, dass in einer
den Blick zu nehmen. Letztlich wurde mittels dynamisch gewachsenen Stadt das Alter einen
der Befragung auch der Versuch unternommen, wesentlichen Faktor der Wohndauer darstellt.
die Reichweite des Projekts 2030 in die städti- Mit der Wohndauer wiederum lassen sich klas-
sche Öffentlichkeit hinein abzuschätzen und sischerweise Indikatoren der Integration in die
somit zu einer Einschätzung der Tragweite der Struktur einer Stadt (etwa: politische Teilhabe,
gewählten Strategie zu gelangen. Vereinsmitgliedschaften, ehrenamtliches Enga-
gement) verbinden. Über die Schichtung nach
4.5.2.1 Methodische Anmerkungen dem Alter wurde in der Tat die im Sozialstruktur-
Die Befragung fand in den Monaten Januar bis atlas des Landkreises beschriebene Wohndauer
März 2003 statt und wurde an unterschied- in Dietzenbach abgebildet.
lichen Orten in den Quartieren Dietzenbachs Kritisch ist bei der Betrachtung der Befragten-
durchgeführt. Befragt wurden 160 Personen. auswahl anzumerken, dass die Geschlechter-
Aufgrund von Mängeln in einigen Fragebögen relation mit anteilig 41 % Frauen und 59 %
gingen jedoch lediglich 149 Fragebögen in die Männern nicht abgebildet wurde, was der stär-
Auswertung ein. keren Präsenz und Ansprechbarkeit von Män-
Die Befragung war nicht im klassischen Sinne nern im öffentlichen Raum geschuldet ist. Die
einer Zufallsstichprobe angelegt. Vielmehr wurde Interviews fanden in öffentlichen Räumen der
sie inhaltlich begründet geschichtet. Einerseits einzelnen Quartiere statt.
wurde versucht, der in Kapitel 2.2.2 vorgenom-
men Gebietstypisierung (traditionelle Quartiere, 4.5.2.2 Quartierstypische Differenzen
"Neue Mitte", Spessartviertel) Rechnung zu tra- Ein Ziel der Befragung war es, die Quartiers-
gen, da von der Hypothese ausgegangen wurde, struktur Dietzenbachs abzubilden. Dies gelang
dass sich die Bevölkerung dieser unterschied- in etwa (siehe Tab. 21.).
lichen Quartierstypen hinsichtlich ihrer Nut- Wie oben angedeutet, war ein zentrales Ziel der
zungsinteressen an der Stadt wie auch ihrer Befragung, die Wohndauer der befragten
Bilder von der Stadt differenzieren läßt. Bevölkerung zu messen. Diese stellt sich in der
Entsprechend wurden die Anteile der Quartiere Auswertung wie folgt dar (siehe Tab. 22.).
an der Gesamtbevölkerung gewichtet. Die Ent- Als erstes Ergebnis läßt sich festhalten, dass
scheidung, die Befragung in diesem Sinne zu knapp 50 % aller Befragten weniger als zehn
strukturieren, trägt mit der oben genannten Jahre in Dietzenbach leben, was den Vergleichs-
Hypothese dem zentralen Anliegen des Projekt- zahlen des Sozialberichts des Landkreises Offen-
antrags Rechnung, dass bei Vorliegen einer bachs entspricht. 33 Setzt man diese Zahlen in
127
Relation zu den in Kapitel 2.2.2.2 definierten
Tab. 21. Prozentualer Anteil Befragte und
Gebietstypen (traditionelle Quartiere, "Neue
Stadtbevölkerung*
Mitte", Spessartviertel), so ergibt sich folgendes
Bild (siehe Tab. 23.). Traditionelle "Neue Spessart
Deutlich zeigen sich die Verteilungsunterschiede. Quartiere Mitte" -viertel
Während erwartungsgemäß die Verweildauer in
den traditionellen Quartieren am höchsten ist, Anteil Stadt-
unterscheiden sich Spessartviertel und "Neue bevölkerung 6 3,3 % 1 1,7 % 25 %
Mitte" deutlich. Bei beiden handelt es sich um
Quartiere, die während der vergangenen fünf- Anteil in der
undzwanzig Jahre entstanden sind. Das Spes- Befragung 6 7,7 % 1 3,4 % 18,9 %
sartviertel ist, zumindest im östlichen Teil, das * laut Sozialbericht 99 / 00
deutlich ältere Quartier und gleichwohl ist die
Verweildauer hier niedriger. Das Spessartviertel Tab. 22. Wohndauer in Jahren in Prozent
scheint für viele Bewohnerinnen und Bewohner
eher eine Durchgangsstation zu sein, während < 1 Jahr 1-5 Jahre 5-10 Jahre > 10 Jahre
der Bereich "Neue Mitte", der durch Eigentums-
wohnungsbau geprägt ist, sich als ein dauerhaf- 12,1 % 2 0,8 % 1 3,4 % 53,7 %
ter Siedlungsbereich zu entwickeln scheint.
Nimmt man die Ergebnisse der Frage "Sind Sie
Tab. 23. Wohndauer in Jahren in Prozent
in Dietzenbach geboren?" hinzu, so verstärkt
innerhalb der Quartierstypen
sich zunächst das Bild der schnell gewachsenen
Stadt, die fast einer Stadtneugründung gleich- Traditionelle "Neue Spessart
kommt. Lediglich 10,1 % bejahen diese Frage, Quartiere Mitte" -viertel
bei knapp 90 % der Befragten handelt es sich
um Zugezogene. Interessant ist auch hier der < 1 Jahr 8 % 20 % 25 %
Blick auf quartiersspezifische Verteilungen 1-5 Jahre 18 % 20 % 37,5 %
(siehe Tab. 24.). 5-10 Jahre 15 % 15 % 8,3 %
Deutlich wird, dass die Verteilung zwischen den > 10 Jahre 59 % 45 % 29,2 %
traditionellen Quartieren und der "Neuen Mitte"
annähernd gleich ist, also auch gebürtige Diet-
zenbacherinnen und Dietzenbacher die "Neue
Tab. 24. Gebürtig in Dietzenbach in Prozent
Mitte" als Wohnquartier in Anspruch nehmen
nach Quartierstypen
Auffällig ist hingegen, dass keine befragte Person
aus dem Spessartviertel in Dietzenbach geboren Traditionelle "Neue Spessart
ist. Quartiere Mitte" -viertel
Untersucht man ferner die Herkunft der Befra-
gten, so zeigen sich weitere Unterschiede (siehe Geboren in
Tab. 25.). Dietzenbach 1 2,4 % 10 % 0 %
Deutlich wird an diesen Zahlen einerseits die
Konzentration der Bevölkerung mit Migrations- Nicht
hintergrund im Spessartviertel, andererseits der geboren in 8 7,6 % 90 % 100 %
stark unterdurchschnittliche Anteil am Gesamt- Dietzenbach
anteil nicht-deutscher Bevölkerung im Eigen-
tumsgebiet "Neue Mitte". Der Anteil für die
Gesamtstadt liegt bei 28,7 % nicht-deutscher 33
Vgl. hierzu auch Kapitel 2.2.2.
128
mit Studienabschluss im Spessartviertel am
Tab. 25. Nationalität der Befragten nach
höchsten.
Quartierstypen
Traditionelle "Neue Spessart 4.5.2.3 Bewegungsräume in der Stadt
Quartiere Mitte" -viertel Die Betrachtung der quartiersspezifisch genutz-
ten Bewegungsräume in der Stadt stützt das
Deutschland 7 9,8 % 90 % 50 % Bild der unzusammenhängenden Stadtinseln.
Am höchsten frequentiert sind dabei die Quar-
Anderer tiere mit Zentrenfunktion, also Altstadt und
Staat 20,2% 10 % 50 % "Neue Mitte". So bewegen sich 57,7 % aller
Befragten häufig in der Altstadt und 71,8 % im
Bevölkerung. Bezogen auf Bevölkerungsanteile Bereich "Neue Mitte". Neben diesen zentralen
mit Migrationshintergrund ist also eine deutliche Quartieren finden sich nennenswerte Bewegun-
Spreizung der Verteilung zwischen den Quar- gen lediglich zwischen den Quartieren Steinberg
tieren festzustellen. und Altstadt. Eine kleinere Zahl Nennnungen
Ähnlich signifikante Verteilungen lassen sich für verteilten sich von unterschiedlichen Quartieren
die Bereiche Schul- und Berufsausbildung fest- auf den Bereich Wingertsberg, dies immer im
stellen. So verfügen in den Quartieren "Neue Zusammenhang mit Freizeitbewegungen.
Mitte" und traditioneller Bereich jeweils etwa Ansonsten finden sich kaum Anhaltspunkte da-
70 % der Befragten über eine Berufsausbildung, für, dass Quartiersbewohner und -bewohnerin-
während sich das Verhältnis im Spessartviertel nen in anderen Quartieren häufiger unterwegs
fast umkehrt - hier verfügen lediglich 35,8 % wären. So bewegt sich keine/r der Befragten
der Befragten über eine Berufsausbildung. aus dem Bereich der Altstadt im Spessartviertel,
Aber auch die Betrachtung der Schulabschlüsse obwohl beide Quartiere unmittelbar nebenein-
eröffnet interessante Eindrücke (siehe Tab. 26.). ander liegen.
Für die Befragungsreihe lässt sich für einige
Stadtteile ein Beziehungsparameter berechnen.
Tab. 26. Schulabschlüsse nach Quartierstypen
Diesen erhält man, indem man die Häufigkeit
Traditionelle "Neue Spessart des Besuchs quartiersfremder Personen in Rela-
Quartiere Mitte" -viertel tion zur Gesamtmenge der quartiersfremden
Personen in der Befragung setzt. Durch die Mul-
K. Abschluss 6,8 % 0,0 % 16,7 % tiplikation mit dem Kehrwert des Quartiersanteils
Hauptschule 2 9,8 % 5,0 % 33,3 % der Befragung an der Gesamtbefragung erhält
Realschule 2 8,8 % 55,0 % 20,8 % man einen standardisierten Wert. Bei Erhalten
Abitur 2 1,2 % 25,0 % 12,5 % des Werts 1 wäre der Stadtteil innerhalb der
Studium 1 4,3 % 15,0 % 16,7 % Befragung durchschnittlich häufig als Ort von
Quartiersfremden aufgesucht. Ist der Wert klei-
Zunächst ist auffällig, dass der Anteil der Befrag- ner 1, so wird er unterdurchschnittlich häufig
ten ohne Abschluss oder mit Hauptschulab- von Quartiersfremden aufgesucht. Entsprechend
schluss im Spessartviertel bei exakt 50 % liegt. umgekehrt verhält es sich bei einem Wert grö-
Im zweiten Zuwandererquartier, der "Neuen ßer 1, der Ort wird relativ häufiger aufgesucht.
Mitte", liegen diese Merkmalsausprägungen bei Seriöserweise lässt sich ein solcher Wert nur bei
lediglich 5 %. Auffällig ist auch die relative Nor- einer Mindestanzahl von Befragten berechnen,
malverteilung der Bewohnerinnen und Bewoh- der für einzelne Stadtteile gegeben ist und fol-
ner der traditionellen Quartiere. gendes Bild vermittelt (siehe Tab. 27.).
Auf der anderen Seite ist der Anteil der Personen Deutlich wird an dieser Maßzahl die Zentralität
129
aus dem Bereich der "Neuen Mitte" aus. Sie
Tab. 27. Beziehungsparameter ausgewählter
sind auf öffentliche Räume orientiert (häufigste
Dietzenbacher Quartiere
Nennungen sind hier Theatervorstellungen im
Steinberg 1,04 Bürgerhaus, Kino, Besuch von Stadtfesten etc.)
Altstadt 1,40 oder nutzen eine wesentliche Ressource der
"Neue Mitte" 4,35 Stadt, die Lage im Grünen (siehe Tab.28.).
Westend 0,35 Die Gruppen der traditionellen Quartiere benen-
Spessartviertel 0,25 nen zu 50 % traditionelle Orte als Bewegungs-
raum. Kneipen als privat-öffentliche Orte des
Tab. 28. Häufig besuchte Orte nach Stadtteilen Meinungsaustauschs, die Altstadt als Kerngebiet
des alten Dietzenbachs und der Besuch bei
Traditionelle "Neue Spessart Freundinnen und Freunden in anderen Stadt-
Quartiere Mitte" -viertel teilen sind hier neben der privaten Orientierung
dominierend. Deutlich am wenigsten im Dietzen-
Öffentliche bacher Kontext bewegen sich die Bewohnerin-
Räume 11,3 % 27,3 % 16,7 % nen und Bewohner des Spessartviertels im
Kneipen etc. 22,5 % 9,1 % 16,7 % öffentlichen Raum. Über 40 % nennen direkt
Natur 5,6 % 27,3 % 11,1 % oder indirekt ihr Zuhause als wichtigsten
Naherholung 5,6 % 9,1 % 5,6 % Bezugspunkt in Dietzenbach.
Altstadt 15,5 % 18,2 % 5,6 %
Andere 4.5.2.4 Wahrnehmung der Stadt
Stadtteile 12,7 % 0 % 0 % Im Rahmen der Befragung wurde gefragt, wel-
Explizit: chen Namen die Befragten einem Bild geben
Kein Ort 9,9 % 0 % 22,2 % würden, das sie von ihrer Stadt zeichnen wür-
Zuhause 29,6 % 9,1 % 22,2 % den. Die vorgeschlagenen Bilder trugen die
Namen "Brache", "Heimat", "Ghetto", "Provinz",
des Bereichs der "Neuen Mitte". Ebenso die re- "Langeweile" und "Ruhe/Grün". Hier wurde die
lative Häufigkeit von Besuchen in der Altstadt Zustimmung oder Ablehnung zu jedem Bild ein-
sowie die Beziehungen nach Steinberg. Ebenso zeln abgefragt, so dass in der Auswertung Mehr-
deutlich werden aber auch die geringen Bezie- fachnennungen auftreten.
hungen einzelner Quartiere in die anderen Bei der Beantwortung dieses Fragenkomplexes
Wohnstandorte. lassen sich nur Tendenzen feststellen, die selten
Dieses Bild wird durch die Antworten auf die signifikant sind, aber immerhin Einschätzungen
Frage "Welche Orte besuchen Sie in Dietzenbach zulassen. Auszuschließen ist einerseits das Bild
häufig?" unterstützt. Auch hier ging es darum, der Brache, das nur 6 % der Befragten für sinn-
Bewegungen in der Stadt zu lokalisieren. Zu- voll hielten. Das eigentliche Thema des Projekts,
nächst verblüfft, dass fast 30 % der Bewohne- die Brachen und der Boden der Stadt, scheinen
rinnen und Bewohner der traditionellen Quar- in dieser Form zunächst einmal zu abstrakt für
tiere und 22 % des Spessartviertels diese Frage eine alltägliche Wahrnehmung zu sein, um an
mit "Zuhause" beantworten. Nimmt man den Relevanz zu gewinnen. Gleiches gilt für das Bild
expliziten Ausschluss irgendeines Ortes hinzu, "Ruhe/Grün", das lediglich für 17,4 % der
so addieren sich diese Nennungen in beiden Befragten eine Rolle spielt.
Quartierstypen auf um etwa je 40 %. Die Frage Differenzierungen findet man jedoch auch bei
nach (öffentlichen) Orten wird also mit privatem den Bewohnerinnen und Bewohnern unter-
Rückzug oder der Nicht-Existenz beantwortet. schiedlicher Quartierstypen. Das mit Abstand
Deutlich unterschiedlich fallen die Antworten negativste Bild der Stadt besteht bei den Bewoh-
130
nerinnen und Bewohnern des Quartiers "Neue sönliche Zufriedenheit in Dietzenbach. Dies ge-
Mitte". Hier dominiert das Bild des Ghettos, schah zunächst durch eine Gesamteinschätzung
dem 65 % der Befragten zustimmen. Die zweit- auf einer Skala von eins bis sechs, von sehr
und dritthäufigste Nennung erhielten die eben- positiv bis sehr negativ. Hier ergibt sich folgen-
falls negativ anmutenden Bilder "Provinz" mit des Bild:
35 % und "Langeweile" mit 25 % Zustimmung. Deutlich wird an dieser Übersicht vor allem,
Das Bild des Ghettos ist auch für die Bewohne- dass die Bewohnerinnen und Bewohner der tra-
rinnen und Bewohner der traditionellen Quar- ditionellen Quartiere die höchste Zufriedenheit
tiere mit 36,2 % und des Spessartviertels mit aufweisen. Mehr als 65 % sind mit ihrer Situ-
37,5 % das am häufigsten genannte Bild. Bei ation in Dietzenbach zufrieden. Die tendenziell
beiden Quartieren erfolgt aber als zweithäufig- geringste Zufriedenheit findet sich bei den Be-
stes Bild ein positives, das der "Heimat". 30,5 % wohnerinnen und Bewohnern des Spessartvier-
der Befragten aus den traditionellen Quartieren tels, während die Befragten aus dem Bereich
stimmen dem zu und 27,5 % des Spessartvier- "Neue Mitte" zu Aussagen im mittleren Bereich
tels. tendieren.
Verstärkt wird dieser Eindruck mit den Antwor- Nimmt man eine weitere Frage hinzu, die Frage
ten auf die Frage "Was gefällt Ihnen an Dietzen- "Wie sehen Sie Ihre persönliche Zukunft in Diet-
bach besonders gut?", so lassen sich auch hier zenbach?", so wird das oben beschriebene Bild
die Konnotationen der Antworten differenzieren. im Kern bestätigt. Allerdings sind die Erwartun-
Orientieren sich die Antworten bei den Bewoh-
nerinnen und Bewohnern der traditionellen
Tab.30. Persönliche Zukunft in Dietzenbach
Quartiere hier auf Kategorien "Vereine" und
nach Quartieren
"Freunde", so orientieren sich die Antworten im
Bereich des Spessartviertels auf die Kategorie Traditionelle "Neue Spessart
"Nachbarschaft", die sehr viel mehr den Charak- Quartiere Mitte" -viertel
ter eines stützenden Netzwerks als der persön-
lichen sozialen Nähe beinhaltet. Sehr positiv 2 % 0 %
Abgefragt wurde mit mehreren Fragen die per- Positiv 16 % 0 % 8,3 %
Eher positiv 41 % 5 % 24,9 %
Eher negativ 24 % 25 % 24,9 %
Tab. 29. Persönliche Zufriedenheit in Dietzen-
Negativ 15 % 55 % 33,6 %
bach nach Quartieren
Sehr negativ 2 % 10 % 8,3 %
Traditionelle "Neue Spessart
Quartiere Mitte" -viertel gen an die Zukunft schlechter als das Bild der
Gegenwart. Dies betrifft alle Gruppen gleicher-
Sehr zufrie- maßen, wenn auch die Befragten der traditio-
den 0,9 5 % 0 % 0 % nellen Quartiere nach wie vor eine positive Er-
Zufrieden 1 7,1 % 15 % 8,3 % wartung hegen.
Eher zufrie- Das gleiche Bild findet sich bei einer weiteren
den 4 7,6 % 30 % 33,3 % zukunftsgerichteten Frage, nämlich danach wie
Eher unzu- wohl Dietzenbach in zehn Jahren aussehen
frieden 21 % 45 % 41,7 % wird. Auch hier sind die Antworten eher skep-
Unzufrieden 8,6 % 10 % 8,3 % tisch. Offensichtlich sind die Erwartungen an
Sehr unzu- die Zukunft in Dietzenbach häufig mit negativen
frieden 4,8 % 0 % 8,3 % Vorstellungen belegt. Dies betrifft insbesondere
die Gruppen der Zugezogenen aus den Berei-
131
chen Spessartviertel und "Neue Mitte". Anzu- etwa 20 % der Befragten benennen dies als
merken ist hier noch, dass eine Abhängigkeit zentrales Problem.
der Zufriedenheit und der Zukunftserwartungen Eher generationen- als quartiersspezifisch lässt
weder vom Alter noch von der Wohndauer in sich der Unterschied zwischen den traditionel-
Dietzenbach festzustellen ist. Es handelt sich len Quartieren und den Quartieren "Neue Mitte"
also in der Tat um quartierspezifische Merkmals- und Spessartviertel benennen. Im Durchschnitt
ausprägungen. der Befragung, wie auch im Durchschnitt der

Tab. 31. In Dietzenbach fehlt... nach Quartie- Tab. 32. Positiv an Dietzenbach nach Quartie-
ren ren
Traditionelle "Neue Spessart Traditionelle "Neue Spessart
Quartiere Mitte" -viertel Quartiere Mitte" -viertel

Nichts 17,1 % 0 % 15 % Nichts 3 4,3 % 30 % 37,5 %


Gute Nähe zu
Schulen 3,8 % 10 % 0 % Frankfurt 8,6 % 20 % 12,5 %
Für Kinder/- Grün 1 3,3 % 10 % 0 %
Jugendl. 12,4 % 25 % 30 % Vereine 1 5,2 % 5 % 4,2 %
Einkaufs- Veranstal-
möglk. 5,7 % 10 % 0 % tungen 7,6 % 5 % 4,2 %
Zu viele Freunde
Ausländer 4,8 % 5 % 4,2 % Nachbarn 2 4,8 % 20 % 37,5 %
Freizeitmög- Günstige
lichkeit 30,5 % 30 % 33,3 % Mieten 1,9 % 10 % 4,2 %
Verkehrs-
anbindung 4,8 % 0 % 4,2 % Dietzenbacher Bevölkerung, sind die Bewohne-
Schönes rinnen und Bewohner der letztgenannten Quar-
Stadtbild 21 % 20 % 21 % tiere jünger und in der Regel in der Familien-
phase mit Kindern. Ihnen fehlen Einrichtungen
Ein weiterer Fragekomplex, der in diesem für Kinder und Jugendliche.
Zusammenhang zu nennen ist, ist der nach den Etwas differenzierter zeigt sich das Bild, wenn
Besonderheiten der Stadt. Es handelt sich um die Vorzüge Dietzenbachs benannt werden sol-
die Fragen "Was fehlt in Dietzenbach?" und len. Übereinstimmung herrscht zunächst bei
"Besonders gut in Dietzenbach finde ich...?". jeweils über 30 % der Befragten gruppenüber-
(siehe Tab. 31. und Tab. 32.) greifend, dass "nichts" an Dietzenbach positiv
Zunächst springt die Übereinstimmung ins Auge, sei.
die darin besteht, dass alle Gruppen mit etwa Auch die mengenmäßig zweithäufig besetzte
30 % Anteil den größten Mangel in fehlenden Kategorie ist mit "Freunde/Nachbarn" identisch.
Freizeitmöglichkeiten sehen. Da die Frage offen Allerdings variiert hier der prozentuale Anteil von
gestellt wurde und erst während der Auswertung 37,5 % im Spessartviertel bis 20 % im Bereich
kategorisiert wurde, lassen sich hier Beispiele "Neue Mitte". Auch die inhaltliche Belegung,
benennen, die vor allem die Bereiche Sport, wieder wurde offen gefragt und bei der Auswer-
Kino und Ausgehen in den Vordergrund rücken. tung kategorisiert, ist zu differenzieren. Wie oben
Übereinstimmung lässt sich auch im Mangel beschrieben beziehen sich die Nennungen im
der Ästhetik des Stadtbilds feststellen. Jeweils Bereich Spessartviertel sehr stark auf die Begriffe
132
Nachbarschaft, kultureller Kontext und die Mög- nerinnen und Bewohner der "Neuen Mitte" auf-
lichkeit, eigene Traditionen leben zu können. fällig, während für die anderen Quartiere die
Für die Bewohnerinnen und Bewohner der tra- Einbindung über das Bild "Heimat" sehr viel
ditionellen Quartiere haben eher Begriffe wie stärker ausgeprägt ist.
Freunde, öffentliches Leben und dörfliche Iden- • Durchgängig als größter Mangel der Stadt
tität Bedeutung. Ähnlich zu typisieren ist für den werden die geringen Freizeitmöglichkeiten be-
Bereich "Neue Mitte" nicht möglich, hier streuen nannt. Gleiches trifft für das als schlecht emp-
die Aussagen erheblich. fundene Stadtbild zu.
Deutlich ist der Bezug der Bewohnerinnen und • Wertschätzung genießt die Stadt in unter-
Bewohner des Quartiers "Neue Mitte" nach schiedlicher Art und Weise. Für die Gruppen
Frankfurt. 20 % benennen es als den zentralen der traditionellen Quartiere wie des Spessart-
Vorzug, dass Dietzenbach nah an Frankfurt viertels liegt die größte Bedeutung im Eingelas-
liege. Dies korrespondiert sehr stark mit dem sensein in die je spezifischen Communities. Für
Anteil des Arbeitsortes Frankfurt von 35 % an den Bereich "Neue Mitte" ist einer der zentralen
allen Arbeitsorten in diesem Quartier, der ge- Vorzüge ein ortsfremder, die Nähe zu Frankfurt.
genüber 21 % im Spessartviertel und 12,4 % Die Befragung zeigt, dass es eine quartierstypi-
in den traditionellen Quartieren deutlich über sche Differenzierung der Dietzenbacher Bevölke-
diesen liegt. Der Vorzug Dietzenbachs ist für rung gibt. Sie zeigt auch, dass die negative
diese Gruppe also auch etwas Äußerliches, Selbsteinschätzung der Stadt, die in öffentlichen
seine Lage im Verhältnis zum Arbeitsplatz. Diskursen über die Stadt dominiert, in einem
Zusammenfassend lassen sich also folgende Viertel, der "Neuen Mitte" mit einer Vielzahl von
Muster nachvollziehen: Pendlerinnen und Pendlern, besonders ausge-
• Die Quartiere sind durch eine unterschiedli- prägt ist. Aber auch positive Selbsteinschätzun-
che durchschnittliche Wohndauer zu kennzeich- gen der Stadt lassen sich feststellen. Sie sind
nen. Der Bereich "Neue Mitte" scheint sich dabei vor allem im Spessartviertel bei einer Bevölke-
als dauerhafter Wohnstandort zu entwickeln, rung zu finden, die aufgrund ihrer Arbeits- und
während das Spessartviertel eher von Zu- und Lebenssituation viel abhängiger von der städti-
Wegzügen gekennzeichnet ist. schen Umwelt und ihren Möglichkeiten ist, als
• Bewegungen in der Stadt finden höchst selten dies etwa bei Pendlerinnen und Pendlern der
zwischen unterschiedlichen Quartieren, als Fall ist. Diese relativ positive Einschätzung der
Wohnstandorte verstanden, statt. Es ist die Stadt Dietzenbach durch eine Bevölkerung, die
Zentralitätsfunktion des Bereichs "Neue Mitte" im politischen Raum und in den lokalen Ver-
und eingeschränkt der Altstadt, die diese Orte einen wenig vertreten ist (vgl. hierzu Kap.
zu höher frequentierten Orten macht. 2.2.2.2), ist ein erster Fingerzeig auf den uner-
• Öffentliche Orte werden nur eingeschränkt kannten Reichtum der Stadt, den das Projekt
genutzt. Eigentlich sind es nur die Bewohnerin- 2030 mobilisieren konnte.
nen und Bewohner der "Neuen Mitte", die diese
als relevant benennen. Dominierend ist hingegen 4.5.2.5 Wahrnehmung des Projekts Stadt
bei der anderen Gruppe der Rückzug in das Pri- 2030
vate oder die explizite Nennung, dass kein Ort Im Rahmen der Erhebung sollte auch ermittelt
in Dietzenbach häufig besucht wird. Am wenig- werden, wie das Projekt 2030 in die Stadt hin-
sten in der Öffentlichkeit bewegen sich eingewirkt hat. In der Befragung äußerten
Bewohnerinnen und Bewohner des Spessart- 52,3 % der Befragten, Kenntnis vom Projekt
viertels. Dietzenbach 2030 zu besitzen. Die Befragten
• In der bildhaften Beschreibung Dietzenbachs gaben ferner Auskunft darüber, was sie denn
ist die negative Einschätzung seitens der Bewoh- vom Projekt 2030 wissen. Bei den Befragten,
Tab. 33. Kenntnis von Bestandteilen aus dem
Projekt 2030
Ja Nein
Tab. 34. Kenntnis des Projekts über...

Zeitung 6 6,7
Ja

%
Nein

33,3 %
133
Stelen 100 % 0 % Flugblätter 2,6 % 97,4 %
Flächenvergabe 4 6,2 % 53,8 % Plakate 5,1 % 94,9 %
Bauwagen 3 2,1 % 77,9 % Über Bekannte 2 8,2 % 71,8 %
Forschungsprojekt 2 4,6 % 75,4 % Neugierde durch
Stelenreihe 3 3,3 % 66,7 %
die Kenntnis des Projekts besaßen, ergab sich Bauwagen 9,0 % 91,0 %
dabei folgende Verteilung: Mehrfachnennungen möglich
Wie schon in der Inhaltsanalyse deutlich wurde,
so ist auch bei der Befragung bei der Frage kannten über das Projekt erfahren. Eine zentrale
nach Kenntnis von Projektteilen die Stelenreihe Zielsetzung des Projekts 2030 war es, Diskurse
das dominierende Element. Alle Befragten, die in der Stadtbevölkerung zu erzeugen. Hier finden
Kenntnis vom Projekt besitzen, kennen auch die sich erste Hinweise darauf, dass dies zumindest
Stelenreihe. Anscheinend handelt es sich bei bei einem Teil der Bevölkerung funktioniert hat.
einer solchen Installation um ein ideales Instru- Die gemeinsame Rede über das Stelenprojekt
ment, Aufmerksamkeit zu erzeugen und diese eröffnet einen ersten Zugang. Bei dieser Gruppe
auch nachhaltig zu verankern. handelt es sich vornehmlich um Bewohnerinnen
Aber auch die anderen Bestandteile des Projekts und Bewohner der Quartiere Altstadt, Steinberg
wurden hinreichend transportiert. Immerhin und der "Neuen Mitte", die mit Anteilen zwi-
kennt fast die Hälfte das Thema Flächenverga- schen 33 % und 38 % über Bekannte vom Pro-
be, so dass nicht nur Aufmerksamkeit erzeugt jekt erfahren haben. Im Vergleich hierzu sind es
wurde, sondern eben auch die Inhalte und Ab- im Spessartviertel lediglich 8,3 %.
sichten vermittelt wurden. Selbst etwas Fernes Hieran schließt sich unmittelbar die Frage an, ob
wie die Verbindung mit einem Forschungsprojekt das Projekt nach Kenntnisnahme weiter disku-
ist einem Viertel der Befragten präsent. tiert wurde. 68,2 % der Befragten bejahen dies.
Die daran anschließende Frage war die, wie In den traditionellen Quartieren geben 74 % an,
man denn von dem Projekt erfahren habe. Im mit Bekannten im Fortgang über das Projekt ge-
Rahmen des Projekts erfolgte eine rege Öffent- sprochen zu haben, im Bereich der "Neuen
lichkeitsarbeit, die sowohl Pressearbeit über Mitte" 50 % und im Bereich des Spessartvier-
Pressemitteilungen und Veranstaltungen als tels 66,3 %. Über das Interessewecken hinaus
auch eigene Medien einschloß. Die Befragten ist es also gelungen, in erheblichem Maße Ge-
machten hierzu folgende Angaben (siehe spräche in der Stadt zu erzeugen.
Tab. 34.) Gefragt wurden die Personen auch, wie sie das
Das Projekt wurde also offensichtlich wesentlich Projekt insgesamt einschätzen. Hier verteilen
über die Presse transportiert. Aber auch bei die- sich die Antworten folgendermaßen. Am häufig-
ser Frage spielt die Stelenreihe als Medium mit sten erfolgt die etwas unscharfe Antwort "ver-
einem Drittel an Nennungen eine Rolle, wäh- ständnislos" mit 38,2 %, die keineswegs mit
rend die Bemühungen, über eigene Medien negativ gleichgesetzt werden kann. Hier ist im
(Plakate und Flugblätter) Öffentlichkeit herzu- Nachhinein ein Defizit in der Projektkommunika-
stellen, nicht funktioniert haben. tion festzustellen. Offenkundig wurde das Projekt
Ein interessanter Aspekt ergibt sich aus den zu wenig erklärt. Die Waage halten sich die Ant-
28,2 % der Nennungen, man habe von Be- worten "neutral" und "eher negativ" mit 21,8 %,
134
während 18,2 % das Projekt als "eher positiv" 4.5.3 Befragung der Projektteil-
einschätzen. nehmerinnen und Projektteilnehmer
Kenntnis von den Nutzungswünschen anderer,
eine Frage also, die sich mit dem befasst, was
in der Stadt durch andere initiiert wird, hatten Von August bis Dezember 2002 konnten die
42,3 % der Befragten mit Kenntnis des Projekts. Bürgerinnen und Bürger Dietzenbachs an sechs
Die Informationen von Realisierungsvorschlägen Tagen in der Woche im Vor-Ort Büro im Bauwa-
kamen dabei zu 75 % aus der Zeitung. Hier ist gen an der Rakovnikpassage einen Nutzungs-
also festzustellen, dass die Kommunikation zu- wunsch für eine Parzelle äußern. 3 4 In diesem
nehmend medial vermittelt geschehen ist. Zeitraum haben sich dort bzw. direkt beim
Eigene Flächenwünsche oder die Vorstellung, Stadtplanungsamt insgesamt 260 Personen für
Flächenwünsche zu äußern, wurden hingegen die Nutzung einer Parzelle angemeldet.
lediglich von 8,1 % der Befragten kundgetan. Von diesen Projektteilnehmerinnen und -teilneh-
Zusammenfassend ist zu sagen; mern standen 124 für ein Telefoninterview zur
• Es ist gelungen, das Projekt in die Öffentlich- Verfügung. 35 Die Erhebung erfolgte im Zeitraum
keit zu transportieren. Hierbei spielten vor allem von Januar bis März 2003. Erhebungseinheit
die klassischen Medien und die Installation eine waren Einzelpersonen, diese standen für jeweils
Rolle. einen Haushalt.
• Ebenfalls gelungen ist es, Diskussionen in Zur Erhebung des Datenmaterials wurde die
Gang zu setzen, die sich mit der Stadt und ihrer Methode des quantitativen Interviews gewählt.
Nutzung befassen. Die Daten wurden in Form strukturierter Inter-
• Diese Diskussionen scheinen aber im nahen views anhand eines standardisierten Fragebo-
Bekanntenkreis der befragten Personen hängen gens überwiegend mit geschlossenen sowie ein-
geblieben zu sein. Darauf weisen zwei Punkte zelnen offenen Fragen erfasst. 36
hin. Erstens der große Anteil derjenigen, die kei-
nen Zugang durch mangelnde Erklärung des 4.5.3.1 Nutzungsnachfrage
Projekts gefunden haben, und ferner die abneh- Von den interviewten Männern und Frauen, die
mende Kenntnis dessen, was in der Stadt erwartungsgemäß alle das Projekt Stadt 2030
geschieht, je weiter es aus dem persönlichen und den Bauwagen kannten, hat über die Hälfte
Nahbereich entrückt. die Stelenreihe wahrgenommen und weiß, dass
es sich bei dem Projekt um ein Forschungspro-
jekt handelt.
Mit 96 % findet ein Großteil der Interviewten
das Projekt interessant, nur ein sehr geringer
Teil hält es für unsinnig bzw. für Geldver-
schwendung.
Die Bevölkerung Dietzenbachs wurde mittels der
Stelenreihe, Plakaten, Flugblättern, einer Inter-
netseite sowie durch Berichte in der lokalen
Presse über das Projekt informiert. Zusätzliche
Informationen konnten im Bauwagen-Büro an
34
Vgl. hierzu Punkt 4.3.2.
35
Der Rest entfiel aufgrund Doppel-Anmeldungen, unzurei-
chender Deutschkenntnisse, die ein Interview verunmög-
lichten, bzw. war telefonisch nicht erreichbar.
36
Vgl. hierzu den Fragebogen im Anhang.
135
der Rakovnikpassage eingeholt werden. möglichkeiten für Kinder ist für die Projektteil-
Mit fast zwei Drittel hat der überwiegende Teil nehmerinnen und -teilnehmer mit Migrations-
der interviewten Frauen und Männer von der hintergrund am größten. Fast die Hälfte der tür-
Flächenvergabe zuerst über Bekannte erfahren, kischstämmigen und über ein Viertel der Frauen
der Bauwagen war 28,2 % aufgefallen. Nur ein und Männer marokkanischer Abstammung äu-
geringerer Teil (je 10,5 %) wurde über Zeitun-
gen und Flugblätter erreicht. Die Stelenreihe Mehrfachnennungen
hatte 7,3 % der TeilnehmerInnen neugierig ge- möglich

macht. Die Plakate fielen nur 4,8 % der Befrag-


ten auf.
71,8 % der interviewten Frauen und Männer
haben auch mit ihren Bekannten über das Pro-
jekt gesprochen. Auch hier fiel die Beurteilung
mit über 80 % überwiegend positiv aus.
Die Aktivierung zur Teilnahme an unserem Pro- Abb. 94. Nutzungsvorstellungen
jekt erfolgte in unserer Stichprobe somit über-
wiegend durch "Mund-zu-Mund-Propaganda" ßern einen solchen Wunsch. Im Gegensatz dazu
über Verwandte, NachbarInnen, FreundInnen, meldeten 60 % der in Deutschland Geborenen
ArbeitskollegInnen etc. Auch bei der Frage, was Interesse an einem Kunstprojekt an.
besonders gut in Dietzenbach gefällt, wurden Über die Hälfte der Garten-Wünsche wurde von
an erster Stelle die hier lebenden FreundInnen den Bewohnerinnen und Bewohnern des Spes-
und Bekannten genannt. 37 Dieser Sachverhalt sartviertels geäußert, über die Hälfte wünscht
lässt auf gut funktionierende soziale Netzwerke sich auch einen Platz zum Spielen für die Kin-
schließen, so dass hier von einer eher kleinstäd- der. Knapp ein Viertel der Garten- bzw. Spiel-
tisch bis dörflich organisierten Öffentlichkeits- platz-Wünsche kommt von Bewohnerinnen und
struktur ausgegangen werden kann. Bewohnern des Westends. Ein Großteil der o. a.
Migrantinnen und Migranten gibt diese beiden
4.5.3.2 Nutzungswünsche Quartiere als Wohnort an. 38
Die vielfältigen Nutzungswünsche für die Zwi- Es ist also davon auszugehen, dass die bekann-
schennutzung einer Parzelle reichten von einem ten Defizite dieser Siedlungen mit ihrem ver-
Schulprojekt der Ernst-Reuter-Schule, initiiert dichteten Geschosswohnungsbau, wie geringe
von zwei Lehrern, über Themengärten (Apothe- Aufenthaltsqualität, mangelhafte Infrastruktur
kergarten, mittelalterlicher Kräutergarten, inter- oder mangelnde Freizeitangebote, vor allem für
nationale Gärten, Kräuterspirale), einem gepflan- Kinder und Jugendliche, erhebliche Auswirkun-
zten Stadtplan Dietzenbachs, Kunstprojekten, gen auf die Struktur der geäußerten Nutzungs-
Bolzplätzen für Jugendliche, einem Hühnerhof wünsche hatten. Die große Nachfrage nach
bis hin zu einem Abenteuerspielplatz. einem Garten bzw. einem Spielplatz deckt somit
Mit über 80 % bezog sich jedoch der größte Teil die nicht ganz unbekannten Defizite im Wohn-
der Nutzungsanfragen auf eine Kleingartennut- bereich von Migrantinnen und Migranten in
zung sowie Spielmöglichkeiten für die Kinder. Dietzenbach auf.
Nur ein geringer Teil war an Nachbarschaft, Auffällig ist das große Interesse der zumeist
Kunst oder Sonstigem interessiert. muslimischen Frauen an einem Garten: Dieser
Bezüglich der Nutzungswünsche ist eine starke
Konzentration auf wenige Bevölkerungsgruppen 37
Vgl. hierzu Punkt 4.5.3.4 "Was gefällt Ihnen besonders gut
bzw. wenige Wohnquartiere festzustellen: in Dietzenbach".
Das Interesse an einem Garten bzw. an Spiel- 38
Vgl. hierzu Punkt 4.5.3.3. "Wohnort"
136
Wunsch ist bei den befragten Frauen mit 90 %
erheblich stärker ausgeprägt als bei den Män-
nern (79,7 %). Für die befragten Männer wie-
derum ist ein Platz zum Spielen für die Kinder
Abb. 95. Nutzungswünsche
100 % wichtiger, über die Hälfte äußern einen solchen
90 % Wunsch, bei den Frauen sind dies nur 42 %.
Dieses Ergebnis macht somit die spezifischen
80 % Männer
Probleme dieser Frauen mit der Nutzung des
70 % Frauen öffentlichen und privaten Raums deutlich: Zwar
treffen die zuvor beschriebenen Defizite der
60 %
Wohngebiete verstärkt alle vor Ort lebenden
50 % Frauen. Jedoch fehlen gerade den muslimi-
40 %
schen Frauen ganz offensichtlich die für sie so
wichtigen öffentlichen und halböffentlichen
30 % Räume, wie sie Gärten bzw. Grabeland darstel-
20 % len, als eine Art Übergangszone zwischen Pri-
vatheit und Öffentlichkeit. 39
10 %
Neben dem individuellen Nutzen - der überwie-
0 % gende Teil der Flächenwünsche soll mit der ei-
genen Familie umgesetzt werden - fördern sol-
che Gärten bzw. Grabeland auch Anknüpfungs-
punkte für Gespräche und den Austausch, auch
Mehrfachnennungen möglich über kulturelle Grenzen hinweg.

4.5.3.3 Strukturmerkmale

Abb. 96. Geburtsjahr Nutzerstruktur


50 % Es wurden mit 59,7 % mehr Männer als Frauen
45 % (40,3 %) und zu über 62 % jüngere Bewohne-
Männer rinnen und Bewohner Dietzenbachs interviewt.
40 % Die Kohorte der 1930 bis 1940 Geborenen setzt
35 % Frauen sich nur aus Frauen zusammen.
Drei Viertel der InterviewteilnehmerInnen sind
30 %
verheiratet. Über 80 % der Befragten haben Kin-
25 % der, davon über ein Viertel mehr als drei (siehe
20 %
Tab. 35.).
Es wurden somit folglich überwiegend kinderrei-
15 % che junge Familien erreicht.
10 %
Ethnizität
5 %
Mit 97,6 % ist der größte Teil der befragten
0 % Frauen und Männer nicht in Dietzenbach gebo-

39
Vgl. hierzu Punkt 4.5.3.5.
137
ren, sondern zugezogen.
Hier fällt der hohe Anteil von Menschen mit
Migrationshintergrund auf: Von den zugezoge-
nen Frauen und Männern sind 83,1 % nicht in
Abb. 97. Geburtsland
Deutschland geboren, sondern zu 39,5 % in 50 %
der Türkei und zu 24,2 % in Marokko. Weitere
45 %
Herkunftsländer in der Reihenfolge ihres Anteils Männer
sind Afghanistan, Jugoslawien, Pakistan, Ägyp- 40 %
ten, Algerien, England, Indien, Jordanien, Kroa- Frauen 35 %
tien, Libanon, Liberia, Nigeria, Slowakei, Togo
30 %
und Vietnam.
Der größte Teil der Befragten stammt somit aus 25 %
der Türkei, aus Marokko und aus Deutschland.
20 %
Differenziert nach Geschlecht ist fast die Hälfte
der teilnehmenden Frauen in der Türkei geboren, 15 %
fast ein Viertel in Deutschland und 14 % in Ma- 10 %
rokko. Von den teilnehmenden Männern gibt
5 %
über ein Drittel als Geburtsland die Türkei an,
gefolgt von Marokko und Deutschland (siehe 0 %
Abb. 71.).
Fast die Hälfte der nicht in Deutschland gebore-
nen Befragten besitzt die deutsche Staatsange-
hörigkeit. Unter den in Deutschland geborenen
Befragten mit deutscher Staatsangehörigkeit
Tab. 35. Kinder
befinden sich auch junge Frauen und Männer
mit Migrationshintergrund. Kategorie Häufigkeit Prozent
nein 23 18,5
Wohnort 1 Kind 17 13,7
Fast die Hälfte der befragten Projektteilnehme- 2 Kinder 28 22,6
rinnen und -teilnehmer wohnt im Spessartvier- 3 Kinder 24 19,4
tel, ein Viertel im angrenzenden Westend und je mehr als 3 Kinder 32 25,8
11,3 % in den Stadtteilen Steinberg und "Neue
Mitte", der Rest verteilt sich auf die Altstadt, Total 124 100,0
Hexenberg bzw. sonstige Wohngebiete (siehe
Tab. 36. Wohnort nach Stadtteilen
Tab. 36.).
Differenziert nach Ethnizität wohnt über die Kategorie Häufigkeit Prozent
Hälfte der interviewten Migrantinnen und Mi- Altstadt 5 4,0
granten im Spessartviertel, fast ein Viertel im Steinberg 14 11,3
Westend. Der Rest verteilt sich auf die "Neue Hexenberg 1 0,8
Mitte" (9,7 %), Steinberg (7,8 %), die Altstadt Neue Mitte 14 11,3
(3,9 %) sowie auf Hexenberg und sonstige Westend 31 25,0
Wohngebiete. Spessartviertel 57 46,0
Die in Deutschland geborenen Projektteilneh- Sonstiges 2 1,6
merinnen und -teilnehmer wohnen zu jeweils
über einem Viertel im Westend oder in Stein- Total 124 100,0
berg, jeweils knapp ein Fünftel gibt die "Neue
138
Mitte" oder das Spessartviertel als Wohnort an, befragten Arbeiterinnen und Arbeiter sowie 44 %
4,8 % leben in der Altstadt. der befragten Arbeitslosen - alle mit Migrations-
Die Mehrzahl der Projektteilnehmerinnen und - hintergrund. Auch die Hälfte der im Haushalt
teilnehmer, überwiegend Migrantinnen und Mi- tätigen Frauen wohnen in diesem Viertel.
granten, lebt somit in den Siedlungen mit hoch-
verdichtetem Geschosswohnungsbau, die, neben Wohndauer
den schon erwähnten baulichen Defiziten, zu- Über 70 % der befragten Frauen und Männer
sätzlich durch hohe Arbeitslosigkeit, einen hohen leben schon länger als 10 Jahre in Dietzenbach
Anteil einkommensschwacher Haushalte sowie (siehe Tab. 37.). Im Spessartviertel beläuft sich
durch eine überproportional starke Zuwanderung dieser Anteil sogar auf 77,2 %.
von benachteiligten Haushalten und solchen mit Die lange Wohndauer der befragten Frauen und
Migrationshintergrund gekennzeichnet sind. So Männer im Spessartviertel überrascht, da im
wohnen im Spessartviertel fast zwei Drittel der Allgemeinen die durchschnittliche Verweildauer
in diesem Quartier erheblich geringer ausfällt. 40
Tab. 37. Wohndauer
Dieser Sachverhalt lässt darauf schließen, dass
Kategorie Häufigkeit Prozent die im Spessartviertel lebenden Projektteilneh-
1 Jahr 3 2,4 merinnen und -teilnehmer, zumeist Migrantin-
1-5 Jahre 14 11,3 nen und Migranten, Dietzenbach dauerhaft als
5-10 Jahre 20 16,1 Wohnstandort gewählt haben.
> 10 Jahre 87 70,2
Arbeitsort
Total 124 100,0 Weit über ein Drittel der interviewten Frauen
und Männer pendelt zum Arbeiten ins Umland
oder nach Frankfurt, nur bei einem geringen Teil
Tab. 38. Arbeitsort
befindet sich der Arbeitsplatz wohnortnah in
Kategorie Häufigkeit Prozent Dietzenbach (siehe Tab. 38.).
Dietzenbach 19 15,3
Frankfurt 17 13,7 Bildungsstand, Berufsausbildung
Landkreis Offenbach 18 14,5 Fast die Hälfte der befragten Frauen und Männer
Rhein-Main-Gebiet 12 9,7 der Stichprobe besitzen einen Hauptschulab-
kein Arbeitsort 58 46,8 schluss, nur ein geringer Teil hat studiert bzw.
hat das Abitur bzw. einen Realschulabschluss
Total 124 100,0 erreicht. 9,7 % haben keinen Schulabschluss
(siehe Tab. 39.).
Mit 43,5 % verfügt ein hoher Prozentsatz der
Tab. 39. Bildungsstand
befragten Frauen und Männer über keine Be-
Kategorie Häufigkeit Prozent rufsausbildung. Hier ist der Anteil der in der
kein Schulabschluss 12 9,7 Türkei Geborenen mit 40,7 % am größten, ge-
Hauptschule 58 46,8 folgt von den in Marokko Geborenen (31,5 %).
Realschule 17 13,7 Bei den in Deutschland geborenen Befragten
Abitur 17 13,7 beträgt dieser Anteil nur 11,1 %.
Studium 19 15,3
k. A. 1 0,8 40
Sie beträgt im Spessartviertel üblicherweise nur ein bis fünf
Jahre, nur 29,2 % der Bevölkerung leben in diesem
Total 124 100,0 Quartier schon länger als zehn Jahre (vgl. hierzu Punkt
2.2.2.2).
139
Erwerbsstatus
Fast die Hälfte der befragten Frauen und Männer
ist nicht erwerbstätig, hiervon ist der größte Teil
arbeitslos oder im Haushalt tätig. Der Rest ver- Abb. 98. Erwerbsstatus
teilt sich auf SchülerInnen, RentnerInnen, Stu- 50 %
dentInnen und Auszubildende. Über ein Fünftel
der Befragten sind als Arbeiterinnen bzw. Arbei- 45 %
Männer
ter, 14,5 % sind als Angestellte beschäftigt. Nur 40 %
ein geringer Teil ist selbstständig tätig oder ver- Frauen
35 %
beamtet (siehe Tab. 40.).
30 %
Alle Arbeitslosen, alle Arbeiterinnen und Arbeiter 25 %
sowie über 80 % der im Haushalt tätigen Frau-
en und Männer sind nicht in Deutschland gebo- 20 %
ren. 15 %
Differenziert nach Geschlecht ist mit knapp
10 %
einem Drittel der größte Teil der befragten Män-
ner als Arbeiter beschäftigt, über ein Viertel ist 5 %
arbeitslos. Mit 42 % ist der größte Teil der be- 0 %
fragten Frauen im Haushalt tätig.
Der hohe Anteil von Menschen unter den Pro-
jektteilnehmerinnen und -teilnehmern ohne Be-
rufsausbildung4 1 in Verbindung mit einem ver-
muteten eher traditionellen Rollenverständnis -
ein Großteil der befragten Frauen ist im Haus-
halt tätig - lässt den Rückschluss zu, dass hier
Tab. 40. Erwerbsstatus
die Familienväter oftmals als an- oder ungelern-
te Arbeiter sowie "Alleinernäherer" der Familie Kategorie Häufigkeit Prozent
beschäftigt sind. Dieser Sachverhalt sowie die selbstständig 12 9,7
hohe Zahl an, überwiegend männlichen, Ar- angestellt 18 14,5
beitslosen kann als Indikator für eine vermutete Arbeiter 26 21,0
Armutssituation angesehen werden. verbeamtet 2 1,6
arbeitslos 25 20,2
im Haushalt tätig 22 17,7
Schule 6 4,8
Studium 3 2,4
Azubi 3 2,4
in Rente 6 4,8
k. A. 1 0,8

Total 124 100,0

41
Vgl. hierzu Punkt 4.5.3.3. "Bildungsstand, Berufsausbil-
dung"
140
4.5.3.4 Wahrnehmung von Dietzenbach

"Was sind für Sie wichtige Orte in "In welchen Stadtteilen Dietzenbachs
Dietzenbach, an denen Sie sich gerne bewegen Sie sich Ihrer Einschätzung
und häufig aufhalten?" nach häufig?"
Für drei Viertel der Befragten gibt es in Dietzen- Knapp zwei Drittel der Befragten sind häufig in
bach wichtige Orte, an denen sich gerne und der "Neuen Mitte" von Dietzenbach unterwegs.
häufig aufgehalten wird. An erster Stelle wird In Steinberg bewegen sich 43,5 % der Befrag-
hier die Natur genannt, der Rest der Antworten ten häufig, in der Altstadt und im Spessartvier-
bezieht sich auf andere Stadtteile, öffentliche tel sind jeweils gut ein Drittel häufig unterwegs.
und privat-öffentliche Räume sowie das Zu- Die Stadtteile Wingertsberg, Hexenberg und
hause. Für ein Viertel gibt es keine wichtigen Westend werden von den befragten Männern
Orte in Dietzenbach (siehe Tab. 41.). und Frauen eher selten aufgesucht.
Befragt nach ihrem Einkaufsverhalten suchen
Es gibt jedoch keine wichtigen Orte, denen mehr fast 80 % der Befragten die Geschäfte der
als 50 % der Befragten zustimmen könnten, "Neuen Mitte" auf, über zwei Drittel kaufen au-
d. h. es fehlt ein Ort, an dem sich die Mehrheit ßerhalb Dietzenbachs ein. Seltener (18,5 %)
der befragten Frauen und Männer gerne und wird hier die Dietzenbacher Altstadt genannt.
häufig aufhält. Fast 90 % der befragten Frauen und Männer
Die Dietzenbacher Altstadt, ein Traditionsbereich geben unter "Sonstiges" einen Discounter als
der alteingesessenen Bevölkerung mit eher dörf- Einkaufsort an. Auch türkische Läden in Woh-
licher Struktur, wird hier von den befragten nungsnähe werden häufiger genutzt.
Haushalten eher weniger aufgesucht. Vielmehr
bewegt man sich in bestimmten Gruppen und "Wenn Sie ein Bild von Dietzenbach
in bestimmten Teilen der Stadt. entwerfen würden, wie würden Sie
dieses benennen?"
Tab. 41. Häufig besuchte Orte
Für mehr als zwei Drittel der befragten Frauen
Kategorie Häufigkeit Prozent und Männer (69,7 %) entsteht auf diese Frage
ein positives Bild von Dietzenbach. Sie antwor-
öffentliche Räume 9 5,3 ten auf diese Frage mit "Ruhe/Grün", gefolgt von
Kneipen, priv.-öffent. "Heimat". Positiv hervorgehoben wird hier auch
Räume 16 9,4 die multikulturelle, viele Kulturen umfassende
Natur 24 14,0 Seite Dietzenbachs.
Naherholung 6 3,5 Für deutlich weniger Frauen und Männer ent-
Altstadt 11 6,4 steht bei dieser Frage ein eher negatives Diet-
Steinberg 20 11,7 zenbach-Bild wie "Ghetto" (18,5 %), "Provinz"
Neue Mitte 12 7,0 (12,1 %), "Ödlandschaft, Brache" (11,3 %)
andere Stadtteile 16 9,4 oder "Langeweile" (7,3 %). Letzeres wird über-
zu Hause 14 8,2 wiegend von den jüngeren Befragten genannt
keiner 43 25,1 mit dem Hinweis auf fehlende
Freizeiteinrichtungen.
Total 171 100,0 Differenziert nach Geschlecht entwerfen die
Mehrfachnennungen möglich
Männer bei dieser Frage ein etwas positiveres
Bild von Dietzenbach. Für die Frauen entsteht
141
hier an erster Stelle das Bild Heimat, für die
Männer, vermehrt für die als Arbeiter tätigen,
der Aspekt Ruhe bzw. Grün. Bei den Nega-
tivausprägungen fällt das Urteil der befragten
Abb. 99. Bild von Dietzenbach
Frauen pessimistischer aus (siehe Abb. 73.). 50 %
Diese markanten Negativ-Ausprägungen können
45 %
als Hinweis darauf gewertet werden, dass die Männer
Frauen, durch ihre Zuständigkeit für die Erzie- 40 %
hung der Kinder und größtenteils für die Versor- Frauen 35 %
gung der Familie viel im Stadtteil unterwegs, die
negativen Seiten dieser Wohngebiete deutlicher 30 %

als die Männer wahrnehmen. Gerade auch die 25 %


ausgeprägte Differenz beim Aspekt "Langeweile"
20 %
lässt auf Mängel im näheren Wohnumfeldbe-
reich bzw. auf fehlende Angebote für Frauen 15 %
schließen. 42 Gleichwohl wird Dietzenbach ver- 10 %
stärkt auch unter dem Aspekt "Heimat" gesehen.
5 %
Hierbei spielen für die Frauen ganz offensicht-
lich die in der Nähe lebenden Verwandten eine 0 %
herausragende Rolle.

"Was gefällt Ihnen besonders gut in


Dietzenbach?" Mehrfachnennungen möglich

Für einen Großteil der befragten Männer und


Frauen sind die Familienbeziehungen von zen-
traler Bedeutung: So gefällt an erster Stelle
besonders gut, dass in Dietzenbach viele Ver-
wandte, Nachbarn und Freunde leben. 4 3 17,5 Tab. 42. Positiv an Dietzenbach
Prozent der Befragten gefällt die Ruhe und das Kategorie Häufigkeit Prozent
Grün besonders gut an Dietzenbach (siehe
Tab. 42.). nichts 28 17,5
Differenziert nach Geschlecht sind sowohl für Zentralität zu Frankfurt 11 6,9
die Frauen wie für die Männer die in Dietzen- Ruhe/Grün 28 17,5
bach lebenden Verwandten und Bekannten von Vereine 1 0,6
entscheidender Bedeutung. Dieser Aspekt wur- Veranstaltungen 4 2,5
de jedoch von den interviewten Frauen häufiger Nachbarn/Freunde 40 25,0
genannt. Auch die Mobilität vor Ort ohne Pkw, multikulturell 8 5,0
die guten Einkaufsmöglichkeiten sowie Veran- kein Pkw nötig 8 5,5
staltungen spielen für die Frauen eine größere EK-Möglichkeiten 8 5,0
Rolle. alles 6 3,8
Sonstiges 17 11,2

Total 160 100,0

Mehrfachnennungen möglich
142
"Was fehlt in Dietzenbach?"
An erster Stelle fehlen den interviewten Frauen
Abb. 100. Besonders gut gefällt in Dietzenbach und Männern ausreichende Einkaufsmöglich-
50 % keiten. Bemängelt werden auch die fehlenden
Freizeiteinrichtungen für Erwachsene sowie die
45 %
Männer fehlenden Einrichtungen für Kinder und Jugend-
40 % liche, gefolgt von der schlechten Verkehrsan-
35 % Frauen bindung Dietzenbachs (siehe Tab. 43.).
Von den befragten Frauen wurden also verstärkt
30 % die vorhandenen Defizite im Reproduktionsbe-
25 % reich, wie fehlende Einkaufsmöglichkeiten4 4 ,
fehlende Freizeiteinrichtungen sowie fehlende
20 %
Einrichtungen für Kinder und Jugendliche,
15 % angesprochen. Mehr Frauen als Männer vermis-
10 %
sen auch fehlende Nachbarn und Freunde.
Die befragten Männer, wiederum verstärkt die
5 % nicht erwerbstätigen, bemängeln eher die feh-
0 % lende gute Verkehrsanbindung sowie die fehlen-
den Einkaufsmöglichkeiten, für die erwerbstäti-
gen Männer, verstärkt für die Arbeiter unter
ihnen, ist die Ruhe und das Grün, das ein eige-
ner Garten bietet, wichtiger.
Mehrfachnennungen möglich Diese Ausprägungen lassen darauf schließen,
dass ganz offensichtlich die negativen Aspekte
Abb. 101. Was fehlt in Dietzenbach der betroffenen Gebiete wie schlechte Versor-
50 % gungsinfrastruktur, mangelnde Freizeitangebote
45 % oder fehlende Einrichtungen für Kinder und
Männer Jugendliche die Frauen in viel stärkerem Maße
40 %
treffen als die Männer. Auch fehlen offensicht-
35 % Frauen lich den Frauen, trotz der konstatierten sozialen
Netzwerke, zum Teil die außerfamiliären sozia-
30 %
len Beziehungsnetze. Aber auch die arbeitslosen
25 %
42
Vgl. hierzu Punkt 4.5.3.4 "Was fehlt in Dietzenbach?".
20 % 43
Für die Wohnortwahl von Migrantinnen und Migranten
15 % spielt die Nähe zu Familienangehörigen und Bekannten
eine herausragende Rolle. Ebenso sind gerade die nachbar-
10 % schaftlichen Selbsthilfestrukturen für sozio-ökonomisch
schwächere Migrantengruppen von besonderer Bedeutung.
5 % Jedoch können sich durch diese räumliche Trennung auch
die Abkopplungsprozesse zur deutschen Bevölkerung ver-
0 % stärken und zur Stigmatisierung der räumlichen Umgebung
und somit auch ihrer Bevölkerung führen. Vgl. hierzu Insti-
tut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung des Landes
Nordrhein-Westfalen (Hg.), Integration von Migrantinnen
und Migranten im Wohnbereich. ILS Nr. 1 8 0. Dortmund
2002, S. 22 f.
44
Hier wurde oft der Wunsch nach einem Einkaufszentrum
Mehrfachnennungen möglich mit einem Angebot an auch höherwertiger Kleidung geäußert.
143
Männer sind von diesen Defiziten betroffen, für
sie spielt jedoch die fehlende Mobilität eine grö-
ßere Rolle.
Abb. 102. Einschätzung in 10 Jahren
"Wie zufrieden sind Sie mit dem 50 %
Leben in Dietzenbach?" 45 %
Männer
Über 80 % der befragten Frauen und Männer 40 %
sind mit dem Leben in Dietzenbach zufrieden. Frauen 35 %
Differenziert nach Geschlecht ist hier die Zufrie-
30 %
denheit bei den Männern mit 85,2 % etwas
stärker ausgeprägt als bei den Frauen (80 %). 25 %

20 %
"Wie sehen Sie Ihre Zukunft in
15 %
Dietzenbach?"
10 %
Über zwei Drittel der befragten Frauen und
5 %
Männer sehen ihre Zukunft in Dietzenbach po-
sitiv. Hier wird oft betont, dauerhaft in Dietzen- 0 %
bach leben zu wollen, die (zukünftigen) Kinder
sollten hier aufwachsen. Oft wurde Wohnungs-
eigentum erworben oder ein solcher Erwerb ist
für die Zukunft geplant.
Differenziert nach Geschlecht sehen auch hier
Tab. 43. In Dietzenbach fehlt...
mit 69,1 % die Männer ihre Zukunft etwas
positiver als die Frauen (67,3 %). Kategorie Häufigkeit Prozent

"Wenn Sie sich Dietzenbach in zehn nichts 29 17,9


Jahren vorstellen, wie wird die Stadt gute Schulen 1 0,6
Einr.f.Kinder/Jugendl. 15 9,4
aussehen?" Einkaufsmöglichkeiten 33 20,4
zu viele Ausländer 5 3,1
Über 70 % der befragten Frauen und Männer Freizeiteinrichtungen 16 9,9
stellt sich Dietzenbach in zehn Jahren positiv Verkehrsanbindung 14 8,6
vor und geht von mehr Größenwachstum der Stadtbild 1 0,6
Stadt aus. Nachbarn/Freunde 9 5,6
Differenziert nach Geschlecht erwarten mit Garten 13 8,0
32 % jedoch fast doppelt so viele Frauen wie Sonstiges 26 16,0
Männer (16,3 %) eine eher negative Entwick-
lung. Total 162 100,0
Fast ein Drittel der interviewten Frauen sehen Mehrfachnennungen möglich
ihre Zukunft also durchaus pessimistischer als
die Männer. Sie vermuteten vor allem eine für
sie offensichtlich negative Entwicklung Dietzen-
bachs in Richtung Verdichtung, verbunden mit
zu vielen Häusern und wenigen Grünflächen.
144
Auch ein Wachstum ohne Zentrum wurde be- lieren. Zum anderen entsprach der Ansatz zeit-
fürchtet. lich, räumlich und organisatorisch den Alltags-
Die Männer bewerten das erwartete Wachstum geschäften der betroffenen Frauen.
der Stadt eher positiv und erwarten diesbezüg- Verstärkt wurden zwei Gruppen von Frauen
lich, auch durch den Bau der S-Bahn, positive mobilisiert, die normalerweise nicht in her-
Anstöße. kömmlichen Beteiligungsverfahren zum Zuge
Generell kann jedoch davon ausgegangen wer- kommen: ältere Frauen sowie muslimische
den, dass bei den Projektteilnehmerinnen und - Migrantinnen.
teilnehmern unserer Stichprobe ein positives Die vor Ort lebenden Frauen, insbesondere die
Dietzenbach-Bild bei gleichzeitiger großer Zufrie- älteren Frauen mit ihren altersbedingten Mobi-
denheit mit dem Leben in dieser Stadt vor- litätseinbußen, sind von der Verfügbarkeit klein-
herrscht, auch die Zukunft wird überwiegend räumiger Strukturen, kurzer Wege und guter
positiv gesehen. Es kann somit konstatiert wer- Verbindungen abhängig. Ebenso müssen soziale
den, dass sich bei den interviewten Projektteil- und kulturelle Einrichtungen am Wohnort vor-
nehmerinnen und -teilnehmern das in der Au- handen bzw. leicht zu erreichen sein. 45 Die
ßenwahrnehmung vorherrschende Negativimage diesbezüglich in Dietzenbach vorhandenen Defi-
Dietzenbachs in der Innenwahrnehmung nicht zite wie bspw. die Verlagerung des Stadtzen-
in gleichem Maße abbildet. trums von der Altstadt in die Neue Mitte und
die damit für sie verbundenen längeren Wege
4.5.3.5 Fazit wurden von den älteren Diezenbacherinnen im
Durch unsere aktive und aktivierende Beteili- Projektverlauf immer wieder kritisiert. 4 6
gungsform haben wir einen Teil der Dietzen- Bei den muslimischen Frauen fällt das große
bacher Bürgerinnen und Bürger selbst zu Wort Interesse an einem eigenen Garten auf. Auch
kommen lassen und dadurch offenkundig Men- wurden in unserem Projektbüro vor Ort gerade
schen erreicht, die normalerweise durch Status, von den Migrantinnen häufig die fehlenden Treff-
Geschlecht oder ihre Lebenssituation strukturell punkte für Erwachsene bzw. Wünsche nach
von gleichberechtigter gesellschaftlicher Teilhabe einem Park mit Aufenthaltsqualität angespro-
ausgegrenzt sind, nämlich Frauen, Kinder, Ju- chen. 47 Dies lässt den Rückschluss zu, dass den
gendliche, MigrantInnen, alte Menschen und muslimischen Frauen ganz offensichtlich die für
Erwerbslose. sie so wichtigen öffentlichen und halböffent-
Auffallend ist hier die hohe Zahl überwiegend lichen Räume fehlen.
junger kinderreicher Familien mit Migrations-
hintergrund unter den Nutzungsinteressentinnen
45
und -interessenten, von denen die Mehrzahl - Auch die älteren Frauen stellen eine zukünftig nicht zu
übersehende Größe dar, die es einzubinden gilt. Zwar
und somit auch ein Großteil der Kinder - in den
wurde bislang das Umland der Großstädte fast ausschieß-
Siedlungen mit hochverdichtetem Geschosswoh- lich als Region der Familien mit kleinen Kindern angese-
nungsbau und seinen schon ausgeführten Defi- hen. Es ist jedoch davon auszugehen, dass der demogra-
ziten lebt. Diese Defizite sind u. a. ein Erklä- phische Alterungsprozess, der zunächst die Kernstädte
erfasst hat, auch das Umland erreichen wird. Vgl. hierzu
rungsansatz für den stark ausgeprägten Wunsch Engel, Frank u. a. Weiblich, ledig, kinderlos und alt.
eines Großteils der InteressentInnen nach einem Soziale Netzwerke und Wohnbiographien alter alleinstehen-
Garten bzw. einem Spielplatz für die Kinder. der Frauen. Opladen 1996.
46
Vgl. hierzu Punkt 4.3.2.3
Ebenfalls ist ein hoher Beteiligungsgrad bei den 47
Ebd.
Frauen zu konstatieren. Erreicht wurde dies 48
Vgl. hierzu Waltz, Viktoria. Sozialraumanalyse aus der Sicht
zum einen durch die niedrigschwellige Beteili-
sozial engagierter Raumplanung - am Beispiel Migration.
gungsform des Vor-Ort-Büros, die den Frauen In: http://www.raumplanung.uni-dortmund.de/pz/
eine Möglichkeit bot, ihre Interessen zu artiku- download/vik/ raumanalysedoc.pdf, 17.03.2003, S. 8 ff.
145
Bisher differiert die Nutzung des öffentlichen ditionellen Lebensgewohnheiten ihrer Herkunfts-
und privaten Raumes durch muslimische Frauen kultur Rücksicht nehmen, sind dementspre-
und Männer aufgrund des kulturellen Rollenver- chend ausgegrenzt und beschränkt auf die eige-
ständnisses und gesellschaftlicher Zwänge stark. ne Wohnung. Aufgrund dieser fehlenden Öffent-
Typische Männerräume sind eher die Moscheen- lichkeit mangelt es den Frauen an Gelegen-
und Vereinsräume, Spiel- und Teestuben, Boule- heiten zur Kontaktaufnahme und sie sind dies-
plätze etc. 48 Gerade den arbeitslosen Muslimen, bezüglich auf die Hilfe durch den Ehemann
ebenso wie die Frauen verstärkt im Quartier prä- bzw. ihre schulpflichtigen Kinder angewiesen.
sent, bieten solche Räume wichtige Treffpunkt- Die große Anzahl der geäußerten Garten-Wün-
und Rückzugmöglichkeiten. Frauen aus dem sche kann folglich, neben den Defiziten des Ge-
islamischen Kulturkreis, die sich ihrer kulturel- schosswohnungsbaus, auch als ein Hinweis auf
len Tradition verbunden fühlen, sind stärker auf solche zur Zeit noch fehlenden öffentlichen und
die halböffentlichen Räume als verdeckte Frau- halböffentlichen Räume, wie sie Gärten oder
enräume angewiesen, die Art des Raumes hat Grabeland darstellen, interpretiert werden.
eine extreme Bedeutung für das Netz und die Diesem Defizit könnte durch die Umwandlung
Art sozialer Beziehungen dieser Frauen. des bislang unstrukturierten und weitgehend
Im traditionellen Herkunftsort oder Stadtteil be- ungenutzten Raumes in öffentliche und halböf-
reitet das keine Schwierigkeiten: Ein ausgespro- fentliche, vor allem von Frauen genutzte, soziale
chener Frauenraum ist hier das Haus. Dieses Räume abgeholfen und somit eine wichtige An-
muss neben dem Männerbereich die Möglich- forderung an eine geschlechtergerechte Stadt-
keit von Frauenbereichen zulassen. 4 9 Ebenfalls planung erfüllt werden. 5 0
ausgesprochene Frauenräume sind beispielswei-
se Innenhöfe oder hausbezogene Gärten. Aus-
gesprochene Männerräume sind die Moschee
oder das Kaffee- oder Teehaus. Zwischenräume
sind die öffentlichen Wege und dörflichen Orte,
die gemeinsam mit Männern genutzt werden.
In der Emigration fehlt jedoch das soziale und
sichere Netz der Beziehungen zwischen öffent-
lich und privat völlig. Hinzu kommt, dass im
Geschosswohnungsbau die für Frauen zu nut-
zenden Räume katastrophal eingeengt werden.
Diese werden durch eine oft viel zu kleine Woh-
nung ersetzt und die Kommunikationsräume
beschränkt auf das Wohnzimmer. Die Arbeits-
bereiche der Frauen im halböffentlichen Raum
wie z. B. Felder, Hauswirtschaftsräume oder der
Markt, fehlen im Allgemeinen völlig. Gerade die
vorherrschende Funktionstrennung zwischen
Wohnen, Arbeiten und Freizeit verstärkt diese
Reduzierung des Frauenraums noch. Dies hat
zur Folge, dass den Frauen die geschlechtsspe-
zifisch genutzten öffentlichen und halböffent- 49
Die Trennung hat auch etwas mit dem Schutz der Frauen
lichen Räume als wichtige Identifikationsorte und mit festen sozialen Beziehungsregeln zu tun. Männer
völlig fehlen. haben diese Räume zu respektieren.
Die muslimischen Migrantinnen, die auf die tra- 50
Vgl. hierzu auch Punkt 4.5.4.4.
146
4.5.4 Die Entdeckung des "Reich- scheidet sich die Bevölkerungsbefragung deut-
tums". Die Besonderheiten der lich: Nur 43 % sind verheiratet und 42,3 %
ledig. Fast die Hälfte hat keine Kinder, 43,6 %
Gruppe der Nutzungsinteressierten haben ein bis zwei Kinder, nur 5,4 % haben
- Vergleich der beiden Befragungs- drei, ein verschwindend geringer Anteil (2 %)
reihen hat mehr als drei Kinder.
Von den Nutzungsinteressierten lebt fast die
Die strukturell relevante Differenz der beiden Hälfte im Spessartviertel, das einen Gesamtbe-
Befragungsreihen besteht darin, dass einerseits völkerungsanteil von 25 % an der Stadt-
von einer definierten Gruppe - der Interessierten bevölkerung ausmacht, sowie ein Viertel im
an dem Projekt 2030 - und andererseits von Westend.
einer nach Stadtquartieren geschichteten Grund- 70 % der potenziellen Nutzerinnen und Nutzer
gesamtheit ausgegangen wurde. Im Folgenden lebt schon länger als zehn Jahre in Dietzenbach,
werden zentrale Unterschiede zwischen den Be- die BewohnerInnen des Spessartviertels sogar
fragungsergebnissen herausgearbeitet, um die zu 77,2 %. Das Ergebnis der Bevölkerungsbe-
Besonderheiten der Gruppe der Nutzungsinter- fragung ergibt, dass etwas über die Hälfte schon
essierten im Rahmen des Projekts 2030 gegen- länger als zehn Jahre in der Stadt leben. Diffe-
über der Gesamtbevölkerung zu verdeutlichen. renziert nach Quartieren wohnen in den traditio-
Die Unterschiede lassen sich zwar aus der Dar- nellen Quartieren 59 % schon länger als zehn
stellung der Ergebnisse der beiden Befragungen Jahre hier, in der "Neuen Mitte" sind dies 45 %
herauslesen, werden hier aber an den Punkten im Spessartviertel nur 29,2 %.
"Sozialstruktur" und "Wahrnehmung Dietzen- Unter den Nutzungsinteressierten gibt es einen
bachs" durch Gegenüberstellung pointiert. hohen Anteil (46,8 %) mit Hauptschulab-
schluss, nur 13,7 % haben die Realschule ab-
4.5.4.1 Sozialstruktur solviert oder besitzen das Abitur, nur 15,3 %
In den beiden Befragungsreihen ist der Frauen- haben studiert. Bei der Bevölkerungsbefragung
bzw. Männeranteil unter den Befragten in etwa haben 30,9 % die Realschule und 26,8 % die
gleich groß, es wurden zu 60 % Männer und Hauptschule absolviert, 20,1 % besitzen Abitur.
zu 40 % Frauen interviewt. Der Anteil der Menschen mit einem Studienab-
Bezüglich der Strukturmerkmale gibt es inner- schluss fällt hier mit 14,8 % etwas geringer aus.
halb der beiden Gruppen folgende Besonder- Bei den Nutzungsinteressierten ist der Anteil
heiten: (43,5 %) von Menschen ohne Berufsausbildung
Der Großteil (97,6 %) der Nutzungsinteressier- recht hoch. Bezogen auf die Gesamtstadtbevöl-
ten ist nicht in Dietzenbach geboren, darunter kerung fällt dieser Anteil deutlich geringer aus,
ein hoher MigrantInnenanteil (89,9 %), größ- nur knapp ein Drittel verfügt über keine Ausbil-
tenteils aus der Türkei und Marokko. Auch die dung.
Befragung innerhalb der Quartiere Dietzenbachs Bei den Nutzungsinteressierten ist fast die Hälfte
ergab einen hohen, wenn auch im Vergleich et- nicht erwerbstätig, davon der größte Teil arbeits-
was geringeren Anteil Zugezogener (89,9 %). los oder im Haushalt tätig. Von den Erwerbstä-
Der Anteil der Migrantinnen und Migranten liegt tigen ist mit über einem Fünftel der größte Teil
bei 24,5 %. Diese kommen ebenfalls überwie- als ArbeiterIn tätig. Der größte Teil der Befragten
gend aus der Türkei und Marokko, zudem aber auf die Gesamtstadt bezogen (43,6 %) ist als
auch aus Italien. Angestellte/r tätig. 41,6 % sind nicht erwerbstä-
Von den befragten Nutzungsinteressierten sind tig, den größten Anteil stellen hier mit 15,4 %
über drei Viertel verheiratet, 80 % haben Kin- die RentnerInnen, nur ein geringer Teil (7,4 %)
der, über ein Viertel mehr als drei. Hier unter- ist arbeitslos.
147
Kennzeichnen kann man die Nutzungsinteres- nur zu 17,4 %.
sierten in Relation zu den Ergebnissen der Be- Für einen Großteil der befragten Nutzungsinter-
völkerungsbefragung also folgendermaßen: essierten sind die sozialen Beziehungen von
• Der Anteil der Personen mit Migrationshinter- zentraler Bedeutung: So gefällt an erster Stelle
grund ist größer. besonders gut, dass in Dietzenbach viele Ver-
• Der Anteil der in Dietzenbach geborenen Per- wandte, NachbarInnen und FreundInnen leben.
sonen ist geringer. 17,5 % der Befragten gefällt die Ruhe und das
• Sie sind häufiger verheiratet und kinderreicher. Grün besonders gut an Dietzenbach.
• Sie leben vor allem im Spessartviertel. Über 80 % der Nutzungsinteressierten sind mit
• Sie leben recht lange in Dietzenbach. dem Leben in der Stadt zufrieden.
• Sie sind weniger gebildet. Bei der Stadtbevölkerung sind es nur 43 %, fast
• Sie sind häufiger ohne Berufsausbildung. ein Drittel (27,5 %) ist eher unzufrieden.
• Sie können mehrheitlich ihre Interessen auf Dies gilt auch für die individuelle Zukunftspers-
dem Weg der Wahl politischer Parteien in die pektive in Dietzenbach. Über zwei Drittel der
Stadtverordnetenversammlung nicht wahrneh- Nutzungsinteressierten sehen ihre Zukunft in
men. Dietzenbach positiv, innerhalb der Stadtbevöl-
kerung sind dies nur etwas über die Hälfte.
4.5.4.2. Wahrnehmung Dietzenbachs Ebenso trifft dies für die Einschätzung "Wie wird
Für drei Viertel der befragten Nutzungsinteres- Dietzenbach in zehn Jahren aussehen?" zu.
sierten gibt es wichtige Orte, an denen sie sich Über 70 % der Nutzungsinteressierten stellen
gerne und häufig aufhalten. Hier wird an erster sich Dietzenbach in zehn Jahren positiv vor, ver-
Stelle die Natur genannt, der Rest der Antworten bunden mit einem verstärkten Wachstum der
bezieht sich auf andere Stadtteile, öffentlich und Stadt. Bei der Befragung in der Gesamtstadt
privat-öffentliche Räume sowie das Zuhause. Es sieht auch hier das Bild anders aus. Über die
fehlt aber an einem gemeinsamen Bezugspunkt, Hälfte sehen ihre Zukunft in der Stadt eher ne-
es gibt keine wichtigen Orte, denen die Mehr- gativ, nur 46 % gehen von einer positiven Ent-
heit zustimmen könnte. wicklung aus.
In der Bevölkerungsbefragung ist auffällig, dass Zusammenfassend lässt sich über die Gruppe
es einerseits oftmals keine explizit benannten der Nutzungsinteressierten in Relation zur
Orte gibt, am liebsten hält man sich zu Hause Befragung der Gesamtbevölkerung sagen:
auf. Meist sind sie auf den jeweiligen Stadtteil • Sie haben ein positiveres Bild von der Stadt.
bezogen. Öffentliche Orte (Kino, Bürgerhaus) • Ihre Zukunftseinschätzungen sind deutlich
werden mitunter als wesentliche Orte benannt. positiver.
Mehr als zwei Drittel der befragten Nutzungsin-
teressierten entwerfen ein eher positives Bild 4.5.4.3 Resümee
von Dietzenbach, sie antworten auf diese Frage Deutlich wird im Vergleich, dass mit dem Pro-
mit "Ruhe/Grün", gefolgt von "Heimat". Positiv jektansatz 2030 in Dietzenbach eine besondere
hervorgehoben wird auch die multikulturelle, Gruppe erreicht wurde. Man kann sie als Kerne
viele Kulturen umfassende Seite der Stadt. Im von Aktivität und Selbstorganisation in Stadt-
Rahmen der Befragung der Stadtbevölkerung vierteln des Geschoßwohnungsbau ansehen, die
entsteht für einen Großteil der Befragten ein sich auf Grund langer Wohndauer vor der Folie
negatives Bild Dietzenbachs. Größtenteils wird eines fast durchgängig vorhandenen Migrations-
Dietzenbach als Ghetto wahrgenommen hintergrunds diese Orte angeeignet haben. Sie
(40,3 %), gefolgt von "Provinz" (29,5 %) und sind mit ihrem Wohnort vielfältig verbunden.
"Langeweile "(23,5 %). Positive Zuschreibungen Dies betrifft soziale Netzwerke wie Freundinnen,
wie "Heimat" nur zu 27,5 %, "Ruhe/Grün" sogar Freunde und Nachbarinnen, Nachbarn. Dies
148
betrifft aber auch Wahrnehmungen und Bilder für nachbarliche Kontakte, die offenkundig
der Stadt, die im Kontrast zur Betrachtung der einem Teil der befragten Migrantinnen zur Zeit
Gesamtbevölkerung völlig aus dem Rahmen fal- noch fehlen.
len - in einem deutlich positiven Sinne. Bezüglich der Nutzung des öffentlichen und pri-
Insofern gehört diese Gruppe der kinderreichen vaten Raumes wäre damit eine wesentliche Ziel-
armen Bevölkerung Dietzenbachs mit Migra- setzung von Gender Mainstreaming5 2 erreicht,
tionshintergrund, die keine politischen Mitbe- nämlich Frauen und Männern die gleichberech-
stimmungsrechte in der Kommune hat und in tigte Nutzung des öffentlichen und privaten
starker ökonomischer Abhängigkeit von den Raumes zu ermöglichen und somit die Stadt für
Möglichkeiten, die die Stadt bietet, steht, zum Frauen und Männer gleichermaßen lebenswert
"Reichtum" der Stadt. Hat sie doch nicht nur ein zu gestalten.
positiveres Bild von der Stadt, sondern ist auch Zusammenfassend kann festgehalten werden,
bereit, statt einer passiven Versorgungsmentali- dass unsere Vorgehensweise mit ihrer Möglich-
tät zu frönen, das Angebot der Verbesserung der keit der temporären Flächennutzungen Politik,
eigenen Situation durch Projekte wie Dietzen- Verwaltung sowie die Bürgerinnen und Bürger
bach 2030 anzunehmen. Die große Bedeutung, zu durchaus unüblichen Handlungen herausfor-
die dabei den Frauen zukommt, ist besonders derte. Es wurden Bedürfnisse artikuliert, die
zu beachten. sich auf den Reichtum der Stadt und die unge-
Durch das Projekt 2030 wurde auf diese Weise nutzten Ressourcen beziehen: den Boden und
eine Bevölkerungsgruppe identifiziert, die für die Bevölkerung. Dieses bislang noch brach lie-
den "aktivierenden Staat"51 , für den die personel- gende Potenzial könnte und müsste besser
le und finanzielle Entlastung durch tätige Mitge- genutzt werden.
staltung der Bürgerinnen und Bürger angesichts Eines dieser bisher ungenutzten Potenziale stel-
grundsätzlich veränderter ökonomischer und len die in Dietzenbach lebenden Migrantinnen
sozialer Bedingungen immer bedeutsamer wird, und Migranten dar. Die Belange und speziellen
eine Bereicherung darstellen kann. Vom Versor- Ansprüche dieser Bevölkerungsgruppe - ein
gungsstaat hingegen wird diese Gruppe immer Großteil besitzt die deutsche Staatsangehörigkeit
noch eher als Belastung empfunden. und hat Dietzenbach als dauerhaften Wohn-
standort bzw. Lebensmittelpunkt gewählt -auch
4.5.4.4 Empfehlungen
Die große Zahl der Garten-Wünsche für die Nut- 51
v. Bandemer, Stephan/Hilbert, Josef; Vom expandierenden
zung einer brach liegenden Parzelle wurde von zum aktivierenden Staat; in: v. Bandemer u.a. (Hrsg.),
politischer Seite zwar negativ bewertet, weil hier Handbuch zur Verwaltungsreform, Opladen 1998, S. 29.
52
Vorstellungen von Schmuck bzw. Verschönerung Mit dem Begriff wird eine Strategie zur nachhaltigen
Förderung der Chancengleichheit von Frauen und Män-
vorherrschten. Jedoch könnten gerade Gärten nern bezeichnet. Diese Top-down-Strategie wurde in fast
und Grabeland als Anforderung an eine integra- allen EU-Staaten, so auch in der Bundesrepublik, auf
tionswillige Politik und eine geschlechtergerech- Grund von Vorgaben der Vereinten Nationen und der
Europäischen Union implementiert oder befindet sich der-
te Stadtplanung begriffen werden. zeit in der Implementationsphase. Zielsetzung ist hierbei,
Durch eine "Rückeroberung" des bislang unstruk- dass die Akteurinnen und Akteure in Politik, Wirtschaft und
turierten und weitgehend ungenutzten Raumes Gesellschaft in alle Entscheidungsprozesse die Perspektive
des Geschlechterverhältnisses einbeziehen und alle Ent-
bzw. der Brachflächen durch öffentliche und
scheidungsprozesse für die Gleichstellung der Geschlechter
halböffentliche, vor allem von Frauen genutzte nutzbar machen. D. h. die möglicherweise unterschied-
soziale Räume, könnte das Quartier attraktiv lichen geschlechtsspezifischen Auswirkungen von Politiken
und belebt und die Wohn- und Lebensqualität sind zu berücksichtigen. Auch im Bereich der Stadtent-
wicklungspolitik besteht daher auf allen politischen Hand-
erhöht werden. Auch bietet gerade der halböf- lungsebenen die Anforderung, Gender Mainstreaming in
fentliche Raum der Gärten Anknüpfungspunkte Verwaltungshandeln umzusetzen.
149
in Hinsicht auf die Stadtentwicklung, wurden
bisher noch zu wenig berücksichtigt.
Insbesondere die Migrantinnen, die nicht nur
die negativen Aspekte ihrer Wohnumgebung
eher wahrnehmen, sondern sich auch von posi-
tiven Veränderungen stärker angesprochen füh-
len, könnten hier eine wichtige Rolle als Akteu-
rinnen in Erneuerungs- und Veränderungspro-
zessen einnehmen. Auch ihre stabilisierende
Funktion für die Stadtteile sollte genutzt werden.
Als handlungsleitend für die künftige Stadtent-
wicklung Dietzenbachs gilt es also, an vorhan-
dene Interessen, Aktivitäten und Bedürfnislagen
anzuknüpfen, um diese bisher ungenutzte Res-
source für das Zusammenleben im Gemein-
wesen nutzbar zu machen.
REFLEXIONEN
5.1 PROJEKTERGEBNISSE AUS
SICHT DER STADT DIETZENBACH

152
5.1.1 Erfolge bei der Beteiligung doch bemüht, Netzwerke zwischen interessier-
der Bürgerinnen und Bürger ten Bürgerinnen und Bürgern sowie anderen
Institutionen herzustellen, welche bei der Befrie-
Aus Sicht der Stadt Dietzenbach konnte mit digung der geäußerten Nutzungswünsche be-
dem gewählten Projektansatz ein Ziel erreicht hilflich sein können. Hierzu zählen neben dem
werden, welches für die Stadt Dietzenbach bei Ausländerbeirat 1 oder der Integrationsbeauftrag-
der Antragstellung von besonderer Bedeutung ten des Kreises Offenbach auch Kontakte zu
war: Ein neuer Kommunikationsansatz zwischen Vereinen, welche die Bürgerinnen und Bürger
Verwaltung, Politik und Bevölkerung. Die hohe bei der Umsetzung ihrer Wünsche unterstützen
Anzahl der Teilnehmenden zeigt, dass mit dem können.
gewählten niedrigschwelligen Ansatz tatsächlich Die Vereine nutzten die geknüpften Kontakte
eine Kommunikationsebene zwischen Stadtver- ihrerseits, um ihre eigenen Anliegen in die Ver-
waltung und allen Bevölkerungsgruppen gefun- waltung hineinzutragen. Die aufgebauten Kom-
den werden konnte. munikationsstrukturen können so über den Zu-
Zwar ist es nicht gelungen, die Vorschläge in sammenhang des befristeten Forschungsprojekts
der kurzen Zeit zu realisieren, die Stadt ist je- Dietzenbach 2030 hinaus genutzt werden.

Wegweisende
Stelen im Wald

Stelen als
Baumstützen

Hüherhof Heckenschutz
100qm durch Stelen
Abenteuer-
spielplatz
Windräder
Grabeland
aus Stelen
100 qm
Stelen auf Waldstrasse
Verkehrsinsel

Stelen als
Abb. 103. Übersichts- Baumstützen
plan: Umgesetzte
Stelen markieren
Projekte
den Stadteingang Pfadfinder
Stelen für
Windschutz
153
5.1.2 Umgang mit Nutzungs- Hühnergehege
wünschen Im Westen Dietzenbachs wurde, angrenzend an
ein Neubaugebiet, eine Parzelle zum Bau eines
Im Rahmen des Projektes "Dietzenbach 2030 - Hühnergeheges vergeben. Das Hühnergehege
definitiv unvollendet" wurden nur vier Projekt- wurde mit einer zusätzlichen Sitz- und Spiel-
beiträge von Bürgerinnen und Bürgern realisiert. ecke für Kinder in gemeinschaftlicher Arbeit von
Hiervon war ein Projektbeitrag nur für sehr kurze mehreren Nachbarn umgesetzt. Es hat sich zu
Zeit im Stadtraum sichtbar. Bei einem weiteren einem beliebten Treffpunkt für Kinder entwickelt.
Projektbeitrag wurde mit der Umsetzung des
Nutzungswunsches begonnen, er wurde jedoch
nicht vollständig umgesetzt. Die nicht erfolgte
Realisierung vieler angekündigter Projektbeiträge
war Anlass für Kritik an dem Projekt. 2 Im Folgen-
den wird dargestellt, welche Nutzungswünsche
umgesetzt wurden und welche Schwierigkeiten
die Umsetzung bei anderen Nutzungswünschen
verhindert haben.
Die Stadt Dietzenbach war bereit, verschiedene
Nutzungswünsche der Bürgerinnen und Bürger
durch diese umsetzen zu lassen. Dies waren:
• 26 Grabelandparzellen an der Waldstraße, Abb. 104. Hühnergehege
• Abenteuerspielplatz (Ufo-Landschaft /
Indianerdorf) am Bieberbach, Kunstprojekt der Ernst-Reuter-Schule
• Kunstprojekte der Ernst-Reuter-Schule am An dem Kunstprojekt der Ernst-Reuter-Schule
Stadtpark, waren ein fünftes und ein siebtes Schuljahr be-
• Anlage eines Blumenbeets in Form eines teiligt, wobei lediglich die Kunstwerke der fünf-
Stadtplans von Dietzenbach, ten Klasse aufgebaut wurden. Dabei handelte es
• Internationaler Garten, sich um von SchülerInnen farblich individuell
• Mittelalterlicher Kräutergarten, gestaltete Holzstelen, an deren Spitze aus ge-
• Kräuterspirale, brauchten Polyäthylenflaschen hergestellte Wind-
• Bildungsgarten, rädchen befestigt waren. Nachdem die Stelen
• Apothekergarten, im Zuge von Baumaßnahmen in der Nähe der
• Blumenbeete in der Stadtmitte,
• Hühnergehege.
Von diesen Projekten sind lediglich das Hühner-
gehege und die erste Stufe des Kunstprojektes
der Ernst-Reuter-Schule realisiert worden.
Darüber hinaus wurde der Abenteuerspielplatz
für sehr kurze Zeit umgesetzt, sowie die Umset-
zung der Grabelandparzellen in der Waldstraße
begonnen.

1
Vgl. Kap. 4.4.3.
2
Vgl. Christoph Zöllner; "Nichts ist unmöglich". In: Abb. 105. Individuelle Gestaltung von Stelen
Offenbach-Post, 12.04.2003. durch Schüler
154
Flächen beseitigt worden waren, nahm die Grabeland
Schule Abstand davon, die Kunstwerke der sieb- Im Gewerbegebiet Nord im Osten Dietzenbachs
ten Klassen aufzubauen. Unsicherheiten bezüg- sollte eine Anlage mit 26 Grabelandparzellen
lich der Verfügungsmöglichkeiten über die Flä- entstehen. Die Fläche wurde für eine Saison
che lähmten das Interesse der Schule. Ein Kon- von November 2002 bis Oktober 2003 für die
takt zur Stadt oder zur Projektgruppe zur zeitna- Interessierten zur Verfügung gestellt.
hen Klärung dieser Frage wurde nicht gesucht.
Die ermöglichte Flächenbesetzung wurde auf
Grund der vorliegenden Unsicherheiten nicht
vollständig in Anspruch genommen.

Abenteuerspielplatz
Für die Nutzung als Abenteuerspielplatz wurde
auf Wunsch der InteressentInnen eine Feucht-
wiese am Bachlauf der Bieber vorgesehen. Die

Abb. 107. Claimabsteckung Waldstraße

Die Arbeiten zur Umsetzung der Anlage wurden


begonnen. Die Parzellen wurden mittels der Ste-
len abgegrenzt und die Teilnehmenden ließen
die Fläche mähen. Stadt und Teilnehmende
konnten sich nicht gemeinsam auf die Gestal-
tungsmöglichkeiten des Grabelands verständi-
Abb. 106. Erste Stelen für den geplanten gen. Während die Teilnehmenden zum Teil Ein-
Abenteuerspielplatz zelhütten auf jeder der 100 qm großen Parzel-
len realisieren wollten, war es - schon auf Grund
Arbeiten an dem Abenteuerspielplatz begannen der kurzfristigen Vergabe von nur einer Saison -
recht euphorisch. Im Herbst wurde ein proviso- der Stadt nur möglich, eine gemeinschaftliche
risches Indianerzelt aufgebaut. Es fiel jedoch Hütte in Leichtbauweise zuzulassen, um nicht
nach kurzer Zeit in sich zusammen und wurde hinterher auf einer Vielzahl von Altlasten in Form
auf der feuchten Fläche nicht wieder aufgebaut. nicht genutzter Gartenhütten "sitzen" zu bleiben.
Im Winterhalbjahr war die Wiese über- Eine Einigung konnte hier nicht erzielt werden,
schwemmt, so dass ein Wiederaufbau nur unter so dass viele der ehemals Interessierten ihr In-
erschwerten Bedingungen hätte stattfinden kön- teresse an dem Grabelandprojekt aufgaben und
nen. Nach der Wintersaison wurde der geäußer- ihre Nutzungsvereinbarung kündigten. Wegen
te Nutzungswunsch nicht wieder aufgenommen. der später eingeführten Abräumpauschale in
Ursprünglich war der Abenteuerspielplatz als Höhe von 500 Euro3 konnten keine nachrü-
Nachbarschaftstreffpunkt von den InitiatorInnen ckenden Interessentinnen und Interessenten für
geplant. Für die Umsetzung in einem größeren die freigewordenen Grabelandparzellen gewon-
Rahmen fehlten jedoch offenkundig die nach- nen werden.
barschaftlichen Akteurinnen und Akteure.
3
Vgl. Kap. 4.4.1.
155
Der Fachbereich Stadtplanung und Bauen hat Flächen zum Anpflanzen von Blumen angebo-
sich zudem um einen Wasseranschluss auf der ten worden, mit denen sie das "Erscheinungs-
Fläche bemüht, der jedoch nicht realisiert wer- bild Dietzenbachs" verbessern wollten. Die Nut-
den konnte. Nach Vergabe und Herrichtung der zungsvereinbarungen wurden diesen Interessier-
Fläche im Herbst 2002 und den Diskussionen ten zugesandt. Diese sagten telefonisch die Um-
um den Bau von Hütten war ein Bemühen der setzung zu, realisierten sie dann jedoch nicht,
Projektteilnehmenden auf den ihnen zur Verfü- weil sie nicht die Pflege der angelegten Flächen
gung gestellten Flächen nicht mehr feststellbar. übernehmen wollten. Die InteressentInnen gin-
Die Flächen wurden nicht als Grabeland genutzt. gen davon aus, dass die Stadt die Pflege nach
Auch die sichtbaren Zeichen der Flächenbeset- Errichtung der Flächen übernimmt. Der Versuch
zung, die Stelen, kamen im Laufe des Projektes des Projektteams, die Pflege durch eine Alten-
abhanden. wohneinrichtung sicherzustellen, scheiterte, da
Intern stand eine Verlängerung des Projekts um die der Fläche benachbarte Einrichtung nur von
eine weitere Saison zur Diskussion, jedoch unter höchst pflegebedürftigen Personen bewohnt
der Voraussetzung einer erfolgreichen und für wird.
die Stadt problemlosen Umsetzung der Grabe- Bei einem Nutzungswunsch zur Errichtung
landparzellen. Wegen des abgenommenen Inter- einer Kräuterspirale konnte in Kooperation mit
esses wurde das Projekt nicht über den Zeitraum dem Obst- und Gartenbauverein Dietzenbach
von einer Saison hinaus verlängert. eine Fläche auf dem Vereinsgelände im Stadt-
park angeboten werden. Diese Fläche lehnte die
Themengärten Interessentin ab. Sie betonte ihr Interesse an
Auf großes Interesse stießen in Verwaltung und dem besonderen projektgebundenen Zusam-
Politik die hier als "Themengärten" bezeichneten menhang und die damit verbundene Vorstellung
Flächennutzungswünsche. Hier bestand ein nach Kontakten zu anderen engagierten Diet-
grundsätzliches Interesse seitens der Stadt, diese zenbacherinnen und Dietzenbachern. Sie war
Projektbeiträge durch die Bürgerinnen und Bür- nicht bereit, die geplante Kräuterspirale auf
ger umsetzen zu lassen, da sich die Stadt hier- einem Vereinsgelände innerhalb von herkömm-
durch eine Aufwertung ihres Stadtbildes ver- lichen Strukturen umzusetzen.
sprach. Jedoch wurde von Seiten der Stadt von Einem Teilnehmenden wurde zur Anlage eines
vornherein klargestellt, dass weder eine Anlage internationalen Gartens eine Fläche in räum-
noch eine Pflege der Themengärten aus finan- licher Nähe zur Kläranlage angeboten. Ebenfalls
ziellen Gründen von städtischer Seite übernom- auf dieser Fläche konnte zwischenzeitlich der
men werden konnte. Dafür wurde jedoch auf schon erwähnte Abenteuerspielplatz realisiert
eine Abräumpauschale von vornherein verzich- werden. Bei einem verstärkten Engagement war
tet. vorgesehen, hier eine Gartenanlage mit mehre-
Bei dem Nutzungswunsch "Anlage eines Blu- ren Themengärten zuzulassen. Von dem Inter-
menbeetes in Form eines Stadtplanes von Diet- essenten für einen internationalen Garten wurde
zenbach" wurde von dem interessierten Bürger die Fläche wegen einer vermuteten Geruchsbe-
deutlich geäußert, dass er sich eine konkrete lästigung nicht angenommen, obwohl er im Ge-
Umsetzung seiner Nutzungsidee persönlich nicht spräch sein sehr starkes Bedürfnis nach einer
vorstellen kann, sondern er sich als Ideengeber Gartenanlage und -pflege aus gesundheitlichen
für die ausführende Stadtverwaltung versteht. Gründen betonte.
Dieser Anspruch widersprach jedoch dem Pro- Einer Familie wurden mehrere Flächenvor-
jektansatz und wurde auf Grund der begrenzten schläge zur Herrichtung des von ihr gewünsch-
kommunalen Ressourcen nicht übernommen. ten Bildungsgartens (Beschriftung der Pflanzen
Zwei Teilnehmenden waren wunschgemäß in englischer Sprache) gemacht. Die Familie
156
wünschte jedoch eine bestimmte Fläche. Dem 5.1.3 Defizite in der Stadtentwick-
Pächter dieser Fläche erschien es unwirtschaft- lung Dietzenbachs
lich, 100 qm dieser Fläche für den Bildungsgar-
ten zur Verfügung zu stellen, da jede Anpflan- Die genannten Nutzungswünsche der Bürge-
zung auf der Fläche eine maschinelle Landwirt- rinnen und Bürger können als Informationspool
schaft stark beeinträchtigen könnte. Die ge- der Verwaltung bezüglich der Interessen ihrer
wünschte Fläche konnte den Nutzungsinteres- BürgerInnen gesehen werden. Sie müssen auch
sierten nicht zur Verfügung gestellt werden. Aus als Handlungsaufforderung an die Stadt gese-
diesem Grund sahen sie von einer Realisierung hen werden.
ab. Die Umsetzung der städtebaulichen Entwick-
Einem Interessenten, der einen mittelalterlichen lungsmaßnahme ist für die Funktionen Wohnen
Kräutergarten anlegen wollte, wurde mitgeteilt, und Arbeiten bereits sehr weit fortgeschritten.
ihm könne eine Fläche zugeteilt werden, der Die Wohngebiete sind zum größten Teil kom-
Interessent nahm aber keinen weiteren Kontakt plett erschlossen, für ein Baugebiet dauert der-
zur Stadt auf. zeit noch das Verfahren der Bauleitplanung an. 4
Auch für einen Apothekergarten wurden Flä- Die Gewerbegebiete Dietzenbachs sind vollstän-
chenangebote an den Interessenten unterbreitet, dig erschlossen. Es steht jedoch noch ein gro-
allerdings deckten sich seine Vorstellungen hier- ßes Flächenpotenzial zur Verfügung. Auch die
von nicht mit denen der Stadt, weshalb es nach Versorgung mit sozialer Infrastruktur ist relativ
langen Bemühungen seitens der Stadt nicht zu weit vorangeschritten. 5 Es besteht eine breite
einer Vermittlung kam. Versorgung mit Schulen und Kindertagesstätten,
Letzten Endes war niemand der ursprünglich Jugendeinrichtungen sind dagegen noch nicht
Interessierten bereit, den geäußerten Nutzungs- ausreichend vorhanden. Die Umsetzung der
wunsch "Themengarten" unter den Bedingungen Versorgung mit Einzelhandel wird aktuell anvi-
des Projekts Dietzenbach 2030 zu realisieren. siert. 6 Wegen der finanziellen Probleme, die aus
Entweder bestand grundsätzlich kein Interesse, der Entwicklungsmaßnahme resultieren, wurden
diesen Wunsch alleine zu realisieren und zu jedoch die Planungsabsichten, die sich auf den
pflegen, oder aber die Teilnehmenden waren mit Erholungsaspekt der ansässigen Bevölkerung
den angebotenen Flächen oder Bedingungen beziehen, zurückgestellt, da hier mit investiven
nicht einverstanden. Somit wurde keines der Maßnahmen zu rechnen ist, die keine Gegen-
angekündigten Themengartenprojekte realisiert. finanzierung durch private Investoren erfahren.
Einige der Teilnehmenden reagierten auch nicht Der Gestaltungswille der Stadt Dietzenbach, der
auf mehrmalige Rückspracheangebote der Stadt. durch die Aufstellung von Bebauungsplänen
Hierin kann ein herkömmliches Verständnis von zum Ausdruck gebracht wird, bezieht sich auch
kommunalen Aufgaben gesehen werden. Die auf Bereiche des Stadtgebiets, die der Naher-
Bereitschaft der Bürgerinnen und Bürger, über holung vorbehalten sind. Der Bebauungsplan
die traditionellen kommunalen Aufgabenvertei- 46 sieht die Errichtung einer Kleingartenanlage
lungen hinaus Verantwortung zu übernehmen, entlang der S-Bahn im östlichen Stadtgebiet
war im Projekt Dietzenbach 2030 nur sehr vor. 7 Die Anlage soll sich auf 4,82 ha beziehen.
begrenzt vorhanden. Von der Gesamtfläche, die für Kleingärten vor-
Die hier aufgeführten Beispiele bestätigen zu- gesehen ist, ist ein Teilbereich von 1,3 ha als
mindest teilweise die Befürchtungen von man-
gelndem ernsthaften Engagement der Bürge- 4
Baugebiet 70, vgl. Punkt 2.2.3.3.
rinnen und Bürger, die viele Kritikerinnen und 5
Vgl. Punkt 2.1.4.2.
Kritiker am Projekt "Dietzenbach 2030 - defini- 6
Vgl. Kap. 2.2.1.3.
tiv unvollendet" geäußert haben. 7
Bebauungsplan 46 ist seit 1979 rechtskräftig.
157
Kleingartenanlage realisiert. Die übrige für eine
Kleingartennutzung vorgesehene Fläche wurde
aus finanziellen Gründen nicht umgesetzt. Für
eine Umsetzung gibt es derzeit keine zeitliche
Zielvorgabe.
Ein weiterer Bebauungsplan setzt im östlichen
Stadtgebiet Freizeitnutzungen fest. 8 Für dieses
Gebiet sind auf einer Fläche von insgesamt
12,6 ha ausschließlich Freizeitnutzungen, wie
Sportanlagen, weitere vereinsgebundene Frei-
flächen, Grünflächen mit Grillplatz, Festplatz,
sowie die entsprechenden Ausgleichsflächen
festgesetzt. Die Intention dieses Bebauungs-
planes war es, den Freiflächenbedarf der stark Abb. 108. Übersicht über die Geltungs-
gewachsenen Gemeinde mit einer Ortsrandein- bereiche der Bebauungspläne 46 und 79
grünung zu verbinden, so dass hier die Sied-
lungsentwicklung abgeschlossen werden kann.
Aus den beschriebenen finanziellen Engpässen
heraus wurde die vorgesehene Planung bisher
nicht umgesetzt. Am Rand dieses Geländes an
der Oberrodener Straße wurde im Jahr 2003
eine Skater-Anlage angebracht. So wurde ein
kleiner Baustein der dem Bebauungsplan zu
Grunde liegenden Planungsabsichten realisiert.
Die im Projekt Dietzenbach 2030 geäußerten
Nutzungswünsche beziehen sich zum überwie-
genden Teil auf Freizeitnutzungen. 9 Mit diesen
Nutzungswünschen wird sehr deutlich, dass der
Bedarf für die bereits vom Parlament beschlos-
senen Nutzungen vorhanden ist. Die hohe An-
zahl der geäußerten Nutzungswünsche sowie 46
deren eindeutige Ausrichtung belegen ein Defizit
in der Stadtentwicklung Dietzenbachs, das in 79
einer einseitigen Ausrichtung auf renditeorien-
tierte Baumaßnahmen begründet liegt. Hier
wird deutlich, dass in der Stadt Dietzenbach
dringender Handlungsbedarf besteht, für die
Einwohnerinnen und Einwohner der Stadt Frei-
zeiteinrichtungen zu schaffen.

8
Bebauungsplan 79, seit 1999 rechtskräftig.
9
Von den geäußerten Nutzungswünschen können ca. 98 %
einer Freizeitnutzung zugerechnet werden. Die Nutzungen
mit einem Bezug zu Tieren wurden hierbei zu den Freizeit-
nutzungen hinzugerechnet, vgl. Punkt 4.3.3.1.
5.2 REFLEXIONEN AUS SICHT DES
BÜRO TOPOS

158
5.2.1 Erreichung der Zielsetzung 5.2.2 Individuum und Gesellschaft
Gleich zu Projektbeginn wurde seitens der Stadt 5.2.2.1 Überprüfung des Anspruchsdenkens
als Problem die allgemein mangelnde Teilnahme Angesichts der Finanzlage der Kommunen wird
der Bürgerinnen und Bürger an der Stadtent- es in der Stadtentwicklung künftig verstärkt
wicklung hervorgehoben. Um ein Interesse auf darum gehen müssen, Gestaltungsfelder für
Seiten der Bevölkerung anzustoßen, wurde die Akteure der Stadt zu öffnen. Dies erfordert ein
ästhetische Setzung als neues Kommunikations- Umdenken seitens Politik und Verwaltung.
medium eingeführt. Damit war die Hoffnung ver- Umgekehrt wurde schon zu Beginn der Stelen-
bunden, eine niedrigschwellige Ansprache frei aktion deutlich, dass bei vielen Bürgerinnen
von Sprachbarrieren zu ermöglichen. und Bürgern gegenüber der Kommune die Er-
Dieses Ziel wurde in hohem Maße erreicht und
die Erwartungen durch die ca. 1.000 Anfragen
von Bürgerinnen und Bürgern während der Pro-
jektdauer bei weitem übertroffen. Insbesondere,
wenngleich nicht ausschließlich, signalisierten
Bürgerinnen und Bürger ausländischer Herkunft,
die sich sonst nicht zu Wort melden, ihr Inter-
esse an dem Projekt.
Dass dies auf dem Medium der Stelenreihe be-
ruht, belegt die Auswertung der Presseartikel 10 ,
die den hohen Bekanntheitsgrad der Stelenreihe
im Vergleich zu den parallel laufenden Ver-
suchen mit Flugblättern und Postern nachweist.
Die greifbare Stelenreihe wurde so zum sinn- Abb. 109. Stelenwünsche
lichen Symbol des Projektes, was auch in den
durch die Presse verbreiteten Kosenamen wie wartungshaltung vorherrscht, die Stadt sei für
"Stelenzauber" und "Riesenmikado" zum Aus- die Erfüllung ihrer Bedürfnisse zuständig. Dies
druck kommt. kam zum Ausdruck, als Kinder und Erwachsene
Das Experiment im Rahmen dieses Forschungs- aufgefordert waren, sich eine spätere Parzellen-
projektes, die ästhetische Setzung als ein neues absteckung durch namentliche Kennzeichnung
Instrument zum Dialog und als Impuls für bür- einer Stele zu reservieren, stattdessen aber Wün-
gerschaftliches Engagement einzusetzen, kann sche an die Stadt formulierten wie Schwimm-
also als gelungen bezeichnet werden. bad, Phantasialand, Radweg, Garten. Auch die
Bürgerschaft muss von ihrer Gewohnheit, ihre
Bedürfnisse durch andere erfüllen zu lassen,
Abstand nehmen.
Ein nicht unberechtigter Vorwurf der Verwaltung
im Rahmen des schon früher begonnenen
Agendaprozesses war die fehlende Bereitschaft
der teilnehmenden BürgerInnen, Ideen mit ihren
eigenen Ressourcen umzusetzen. Das Projekt
Stadt 2030 zeigte nun aber, dass die erlebte
Blockade durch die Stadt und der sich breit
machende Pessimismus nicht nur daran liegen
10
Vgl. Tab. 33. und Tab. 34., Seite 133 konnte. Als BürgerInnen im Rahmen des Pro-
159
jektes Stadt 2030 eigene Ressourcen einbrin- Entwicklung der finanzschwachen und damit
gen wollten, wurden sie nachträglich mit einer handlungseingeschränkten Stadt soll also über
Kaution von 500 € für die Flächennutzung kon- individuelles Handeln geschehen. Eigeninteres-
frontiert, die sich viele nicht leisten konnten. sen können zur Handlungsoption werden, für
Diese Kaution war ein Beispiel für die distan- die die Stadt den Spielraum zur Verfügung stellt.
zierte Haltung der Politik gegenüber den 260
konkreten Eingaben zur Nutzung von Parzellen.
Der Vorwurf, die Anfragen seien zu individualis-
tisch motiviert und zu stark von Menschen aus-
ländischer Herkunft geprägt, stiftete Verwirrung
und Entrüstung.
Insofern müssen sowohl Bürgerinnen und Bür-
ger als auch Politik und Verwaltung ihre gegen-
seitigen Ansprüche überprüfen. Einige zeigten
im Rahmen des Projektes ihre Bereitschaft dazu.

5.2.2.2 Gemeinschaftssymbol und Handlung


Jede Stele wurde mit den Farben der Stadt be-
malt, um die Zugehörigkeit einer/s jeden Bür-
gerIn zur Stadt und damit ihre/seine Möglichkeit
an einer Projektteilnahme zu unterstreichen.
Über die symbolische Reservierung einer Stele
für jede/n BürgerIn hinaus wurde erwogen, die
individuelle Ansprache durch deren Namens-
nennung auf den Stelen zu verstärken. Dies er- Abb. 110. Stelenbeschriftung
wies sich jedoch in der Umsetzung als zu auf-
wendig. So blieb es den Kindern vorbehalten, Eine große Nachfrage nach Grabeland bestätigte
am Ende der Malaktion jeweils eine Stele mit den der Stadt bereits bekannten Bedarf an Klein-
ihrem Namen zu kennzeichnen. Diesem schein- gärten. Dieser wird gerade für die ausländischen
baren Detail wurde seitens der Kinder eine gro- Mitbürger in den Hochhaussiedlungen ohne pri-
ße Bedeutung zugemessen, die - im Akt des vaten Garten weder seitens der Stadt noch von
Sichwiederfindens in der Masse - eine Verstär- den bestehenden Kleingartenvereinen befriedigt.
kung der Identifikation vermuten lässt. Eine Familie wollte auf 100 qm einen Hühner-
hof mit Stall für vier Hühner anlegen.
5.2.2.3 Teilhabe über individuelles Interesse Die Vorbehalte seitens der Politik an der Um-
Mit den ca. 1.000 erfolgten Anfragen ist die in- setzung jenes individuellen Interesses verdeut-
dividuelle Ansprache über die ästhetische Set- lichen die niedrige Toleranzschwelle und den
zung gelungen. Ihr Element, die Stele, steht für geringen individuellen Spielraum, den die Ge-
die Ansprache eines jeden einzelnen Bürgers, meinschaft dem Einzelnen derzeit einräumt.
jeder einzelnen Bürgerin, sich mit seinen/ihren
individuellen Interessen in die temporäre Nut- 5.2.2.4 Chancen für das Gemeinwesen
zung und Gestaltung der zur Verfügung gestell- Primär wurde nicht der Versuch unternommen,
ten Stadträume einzubringen. In einer auf Eigen- die Heterogenität der Bevölkerungsgruppen und
verantwortung und Selbstverwirklichung ausge- -interessen aufzuheben und unbedingt einen Ge-
richteten Gesellschaft ist der/die Einzelne aufge- meinsinn zu erreichen. Dennoch bestand die
rufen, individuell zu handeln. Die räumliche Möglichkeit der gemeinsamen Interessensfin-
160
dung und -gestaltung durch den Zusammen- trag eines Kindes in der Stadtverordnetenver-
schluss von Parzellennutzern und durch das sammlung erstritten werden.
Austarieren von neuen Beziehungen. So können Im Vorfeld einer gepflegten Reihenhaussiedlung
nicht nur Nachbarschaftsbeziehungen, sondern am Rande einer Kleinstadt passt ein Hühnerstall
auch soziale Beziehungen neu aufgebaut wer- nicht in das Selbstbild der Bewohner - dem Bür-
den. germeister graute vor der Fortsetzung in Form
Insbesondere bei der Nachfrage nach einem eines Ziegenstalls. Dies, obwohl in der Realität
Stück eigenem Grabeland äußerten einige über- der fragmentierten Stadt einerseits vieles bezie-
wiegend ausländische Familien den Wunsch hungslos aufeinander trifft und unvermittelt ne-
nach Zusammenlegung und gemeinsamer Nut- beneinander steht. Andererseits wird der Verlust
zung von Flächen. der historischen Ortsränder mit einem differen-
Aber auch ein darüber hinausreichendes Bürger- zierten Übergang in die Landschaft beklagt, zu
schaftsengagement ist im Projektansatz gegeben dem neben Nutzgärten und Streuobstwiesen
und wurde von mehreren einzelnen Bürgern ge- auch die Kleintierhaltung gehörte. Dennoch löst
nutzt: Bewohner einer Reihenhaussiedlung wol- nun der kleine Hühnerstall am Stadtrand als
len auf mehreren Parzellen mit den Stelen einen weiteres bezugloses Fragment und gleichzeitiger
Abenteuerspielplatz gestalten. Ebenso gab es Rückgriff auf Vergangenes Irritationen und Ab-
den Antrag für ein großes Zelt zur Ausrichtung wehr aus.
muslimischer Hochzeiten. Angesprochen fühlten Heute erscheint ungewohnt, was vordem Nor-
sich auch für das Gemeinwohl engagierte Men- malität und Alltag war. Und gerade davon - vom
schen, die beispielsweise einen öffentlichen Apo- Dorf - möchte man sich in der Zwischenstadt
thekergarten bzw. die Dietzenbacher Stadtkarte distanzieren, bis hin zur gefühlten Entfremdung:
als Blumenbeet anlegen wollen. Lieber werden weite Wege zurückgelegt, um
Diese Projekte sind bisher nicht umgesetzt, was den Kindern einen kurzen Kontakt mit Tieren im
zum einen an Widerständen in der Verwaltung Streichelzoo zu ermöglichen und um ihnen zu
und der Politik und auch am nachlassenden In- zeigen, woher die Nahrungsmittel kommen.
teresse der AntragstellerInnen liegen mag. Denn Das Zurückweisen der Störung einer vorgestell-
es stellte sich schon früh heraus, dass es, nach- ten Ordnung zeigt die geringe Toleranzschwelle
dem die Aufmerksamkeit geweckt wurde, einer für Lebenszeichen der Mitbürger. Also eine ge-
sehr intensiven Kommunikation bedarf. Dies ist ringe Bereitschaft, die Sehnsucht nach der euro-
unter hohem Aufwand bei der Organisation und päischen Stadt mit ihrer Dichte und Vielfalt in
Durchführung der Malaktionen gelungen. So der erforderlichen Rücksicht und Duldung noch
knüpften Schulen an den von uns eingefädelten zu leben.
Kontakt an: Sie holten über 50 Stelen für den
Kunstunterricht ab. Über die Stelenbearbeitung
fanden die Schüler dort zur Diskussion über das
Zusammenleben der Bewohner aus unterschied-
lichen Kulturen. Sie verliehen ihren anschlie-
ßend temporär auf einer Brachfläche aufgestell-
ten Stelen Flügel in Form von Windrädern.

5.2.2.5 Toleranz und Aushandeln


Ein von vielen als exotisch angesehener Wunsch
einer Familie war der Bau eines Hühnerhauses
auf einer Parzelle unter Verwendung der Stelen.
Dessen Umsetzung musste erst durch den Vor-
161

Abb. 111. Windräder


aus Stelen, die im Rah-
men des Kunstunter-
richts entstanden und in
einer temporären Aus-
stellung auf einer Stadt-
brache gezeigt wurden
162
5.2.3 Ästhetische Setzung als quasi in der Natur der Sache: In der Greifbar-
geeignetes Instrument keit des Projektes ist auch seine Angreifbarkeit
enthalten. Hier wird das Sichtbare verbunden
5.2.3.1 Spielerischer Input mit einem Vermuten von Kosten für dessen Her-
Eigeninitiative, Engagement und Kreativität, wie stellung, auch wenn man deren Höhe nicht
sie die Erbauer des Hühnerstalls und Schulklas- kennt, geschweige denn einordnen kann.
sen mit der Diskussion um das Zusammenleben Das Problem - insbesondere auch für Politiker -
zeigten, sind gefragt, um Bewegung in festge- ist, dass wer handelt sich auch angreifbar macht
fahrene Denkweisen zu bringen. Die ästhetische im Gegensatz zu dem, der sich durch Nichthan-
Setzung erzeugte diese Bewegung und zugleich deln und Nichtunterstützung einer Kritik weit-
eine spielerische Atmosphäre, auf die sich eini- estgehend entzieht. 1 2 Es bedarf also des Mutes
ge Bürgerinnen und Bürger einlassen konnten. und des Selbstvertrauens der maßgeblichen
Die sichtbaren Vorteile einer derartigen Beteili- Politiker, sich dieser Kritik aus Unwissenheit zu
gung vermögen andere zu animieren, ebenfalls stellen, um sie dann mit sachlichen Argumen-
eine Teilnahme zu wagen. ten zu entkräften.
Auch die Flächeneigner profitieren von der Ak- Letztendlich summierten sich die Ausgaben für
zeptanz des Temporären als Spielregel. die anderen Sachmittel des Projektes (Broschü-
Durch eine derartige Spielanordnung können ren, Faltblätter, Plakate, Webseite, Veranstaltun-
Nutzungen und Beziehungen neu gesehen und gen, Filme, Fotoaufnahmen etc.) auf den glei-
so Erfahrungen gesammelt werden, die dem chen Betrag, was jedoch von niemandem wahr-
Prinzip des Temporären eine seriöse Bedeutung genommen und hinterfragt wurde. Dies gilt auch
in Planungsprozessen jeglicher Art verleihen. für die generell akzeptierten Kosten der städti-
schen, wissenschaftlichen und privatwirtschaft-
lichen MitarbeiterInnen des Projektes, die aber
Abb. 112. Hühnerstall: Kreativer Umgang mit
Stelen und Brache noch unsichtbarer blieben. Zudem sei an dieser
Stelle der Hinweis erlaubt, dass das Dietzen-
bacher Projekt den mit Abstand kleinsten Etat
im Forschungsverbund 2030 erhielt.

5.2.3.2 Angemessenheit
Die ästhetische Setzung erreichte ihr Ziel, da
sie, wie die Befragungen ergaben, einen hohen
Bekanntheitsgrad erzielte und darüber hinaus
ca. 1.000 Bürgerinnen und Bürger zur Kon- 11
Die Kosten für die Steleninstallation (Material/Aufbau/
taktaufnahme animierte. Abbau beliefen sich auf ca. 33.000 Euro incl. Miete und
Nebenkosten für das Bauwagenbüro.
Von der Presse wurde die Frage einzelner Bür- 12
Vgl. Sigurd Trommer, "Chancen der Stadt in der Zukunft",
gerInnen nach den Kosten der Installation und Einführungsreferat des 4. Städtebaulichen Kolloquiums,
ihrer Angemessenheit aufgegriffen. 11 Es liegt Darmstadt, 16.07.03.
163
5.2.3.3 Typologischer Vergleich sich als Sonderfall aus, dessen Finanzierung
Ein Vergleich zwischen dem Projekt "Stadt und Realisierung von einem starken politischen
2030", dem Agenda-21-Prozess und dem Hes- Willen abhing.
sentag in Dietzenbach lässt einen typologischen Der Hessentag wird in Dietzenbach als Erfolg
Unterschied erkennen. empfunden, kann aber typologisch gesehen kei-
Die Gemeinsamkeiten der Projekte "Stadt 2030" ne Nachhaltigkeit bewirken. Der Erfolg liegt im
und "Agenda 21" liegen in der Prozessorientie- Imagegewinn nach außen und in der Stärkung
rung und dem Nachhaltigkeitsanspruch, der ent- der Identifikation mit der Stadt in der unmittel-
scheidende Unterschied jedoch in der Planung baren Zeit danach. Dieses Gefühl bezieht sich
und Umsetzung. also auf eine Ausnahmesituation, die der Stadt
Mit der ästhetischen Setzung instrumentalisiert Dietzenbach beschert worden ist. Ziel des Pro-
das Projekt "Stadt 2030" ein sinnliches Objekt jektes "Stadt 2030" ist es aber, positive Entwick-
als Medium der Kommunikation zwischen Pla- lungen anzuregen, die nicht auf eine Ausnahme-
nerIn und BürgerIn sowie BürgerInnen unterein- situation beschränkt bleiben.
ander. Dieses Medium vermittelt eine Verbind- Dagegen versuchte ein Projekt im Rahmen der
lichkeit seitens der Planer aufgrund seiner räum- "Sozialen Stadt" sich verstetigende Ausnahme-
lichen Präsenz und seiner Beziehung zu einem situationen, wie die sozialen Brennpunkte in
unmittelbar vorliegenden realen Angebot. Diese Dietzenbach, einzudämmen. Geplant wurde -
Qualität lässt die Agenda 21 vermissen, deren mit einem Etat von einer Millionen Euro - die
abstraktes Medium der Sprache Projekte zwar Verschönerung der Außenanlagen von Hoch-
erdenken lässt, deren Realisierung aber unge- häusern im Spessartviertel und ihre Ausstattung
wiss bleibt. mit Freizeitinfrastruktur. Also ein Ansatz, der mit
Der Hessentag unterscheidet sich von beiden einem konkreten Ergebnisbild arbeitete und we-
dadurch, dass seine Umsetzung als Event ins- nig Spielraum für Input aus dem Viertel zuließ.
zeniert und auf wenige Wochen beschränkt Eine Veränderung der inneren Dynamik im Vier-
wird. Seine Wirkung soll eine kollektive Erfah- tel, die selbsttragend sein könnte, kam nicht zu-
rung sein, die möglichst lange in Erinnerung stande. Doch genau darauf zielt der gewählte
bleibt. Ansatz im Projekt "Stadt 2030", hier langfristig
Diese unterschiedlichen Eigenschaften prägen Anknüpfungspunkte zu bieten.
auch die Akzeptanz der Bürger gegenüber der
Projektfinanzierung. Mit einer sichtbaren Umset-
zung als erstem Schritt öffnet sich die ästheti-
sche Setzung der Möglichkeit einer Kritik. Ganz
anders verhält es sich beim Agenda-21-Prozess,
dessen Kommunikationsform, die Sprache, einer
Moderation bedarf. Dessen Finanzierung erfor-
dert zwar erhebliche Personalkosten 1 3 , die aber
für den Bürger und die Bürgerin weitaus weniger
fassbar sind als die Realisierungskosten für ein
Objekt im öffentlichem Raum. Deshalb waren
im Rahmen des Agendaprozesses Vorwürfe über
"Geldverschwendung" selbst dann nicht zu hö-
ren, als sich die Teilnahme an den Veranstaltun- 13
Im Jahr 2000 beantragte Moderationskosten für Agenda
gen auf wenige Bürger und Bürgerinnen (15 - 21 in Dietzenbach lagen bei 25.000 Euro.
25) beschränkte. 14
Die Kosten beliefen sich auf 5 Mio. Euro und bescherten
Der Hessentag 2001 in Dietzenbach 14 zeichnete der Stadt ein Defizit von 3 Mio. Euro.
164
5.2.4 Übertragbarkeit • Ein großer Vorteil der ästhetischen Setzung
liegt in ihrer Anschaulichkeit auch im wört-
Die eingangs beschriebene Problematik, dass lichen Sinne. Einem städtischen Anliegen ver-
immer weniger Bevölkerungsschichten noch leiht sie durch ihre Präsenz im öffentlichen
über herkömmliche Planungsinstrumente wie Raum physische Prägnanz.
Planoffenlegung, Öffentlichkeitsveranstaltungen, • Das Medium muß in aller Einfachheit die
Pressemitteilungen zu erreichen sind, ist in Diet- Zielsetzung vermitteln können. Die wahr-
zenbach zwar besonders ausgeprägt, die Ten- nehmbare Installation bietet der Kommune
denz zur Teilnahmlosigkeit an der Stadtentwick- immer wieder Anknüpfungspunkte für Veran-
lung einerseits und die Finanzschwäche der staltungen und Medienberichte, um das ge-
kommunalen Haushalte andererseits sind je- wählte Thema zu transportieren und im
doch generell zu verzeichnen. öffentlichen Diskurs zu halten.
In Anbetracht ihrer finanziellen Situation werden • Der beabsichtigte Gestaltungs- und Qualitäts-
Kommunen künftig verstärkt darauf angewiesen anspruch des städtischen Anliegens wird
sein, für die Stadtentwicklung die Einsatzbereit- durch die ästhetische Setzung selbst sichtbar
schaft ihrer Bürger zu fördern. Dazu stellt die vermittelt.
ästhetische Setzung in idealer Weise ein Me- • Ihre Existenz bewirkt bereits eine erste Ver-
dium des gegenseitigen Austausches von Inter- änderung des städtischen Kontextes.
essen und Wissen mit einem starken Hand- • Sie impliziert Handlungsorientierung und
lungsbezug dar. Konkretheit.
Das eingesetzte Medium funktionierte und ist Da in der Stadtplanung herkömmliche Planungs-
als Strategie auch auf andere Kommunen über- instrumente immer seltener greifen, werden sie
tragbar. auch weniger bei Stadtplanungsbüros nachge-
fragt.
Dabei seien folgende Vorzüge hervorgehoben: Mit dem Medium der ästhetischen Setzung kön-
• Die ästhetische Setzung bewährte sich als nen StädtebauerInnen ihr Planungsrepertoire er-
Kommunikationsform, um unterschiedliche weitern und Konzepte einem wesentlich breite-
Bevölkerungsteile zu mobilisieren. ren Publikum vermitteln. Anders als im neuen
• Durch ihre eigene Symbolhaftigkeit fördert sie Aufgabenfeld der Moderation bleibt mit der äs-
die Kreativität der Bürgerinnen und Bürger thetischen Setzung ein wesentlicher Arbeits-
und liefert Anregungen für bürgerschaftliches schwerpunkt in der Gestaltung und in der kon-
Engagement. kreten Auseinandersetzung mit dem Raum er-
• Mittels der ästhetischen Setzung kann ein halten.
konkretes Anliegen der Stadt bereits in der Als neues Kommunikationsmedium wirkt die
Installation zum Ausdruck kommen und ver- ästhetische Setzung also als Katalysator, um
handelt werden sowohl kommunale Anliegen wahrnehmbar zu
• Vergleicht man die Kosten mit den Ausgaben machen und zu vermitteln als auch bürger-
für herkömmliche Öffentlichkeitsarbeit (Bro- schaftliches Engagement zu entfalten und frei-
schüren, Veranstaltungen, Moderationen, zusetzen.
interne und externe Personalkosten), so erge-
ben sich keine höheren Ausgaben, auch wenn
dies so scheinen mag, weil sie hier sichtbar
werden. Sie stehen in Relation zu Aufwen-
dungen vergleichbarer Öffentlichkeitsarbeit
und haben mit diesem Projekt ihre Effizienz
bewiesen.
5.3 RESÜMEE AUS SICHT DER
FA CHGRUPPE STADT,
TU DARMSTADT

165
5.3.1 Was wurde erreicht? gesichts der leeren Kassen nicht zu tolerierendes
Desinteresse erkennen, auf die "Ressource Bür-
Mit der Kampagne "100 qm" wurde ein zentra- gerIn" mit einem gewissen Risiko zuzugehen
les Thema, die leeren Flächen inmitten der und Anknüpfungspunkte für die Energien der
Stadt, angesprochen. Dietzenbacher Bürgerin- Bürgerinnen und Bürger zu entwickeln. So
nen und Bürger entdeckten in den Flächen ein scheint es noch ein langer Weg bis zur routi-
Potenzial für eigene Ideen, Vorschläge und Ak- nierten Übernahme von Verantwortung für Be-
tivitäten. lange der Stadt durch Bürgerinnen und Bürger
Die Beschäftigung einiger hundert Bürgerinnen zu sein.
und Bürger mit unterschiedlichen Themen der Anhand dieser Erfahrung wird deutlich, dass
Stadt ist ein Erfolg der Projektstrategie. Infolge sich für Expertinnen und Experten in Zukunft
der Kampagne entstand in der Presse, Verwal- ein neues Aufgabenfeld entwickelt, da ein sol-
tung und Teilen der Politik eine kontrovers ge- cher Prozess angestoßen und gegebenenfalls
führte Diskussion über Städtebau in Dietzen- moderiert werden muss.
bach.
Kurzfristige Aktionen - langfristige Veränderun-
Bürgerinnen und Bürger als Ressource gen
Schon kurze Zeit nach Projektbeginn regten Diet- Für die Entwicklung der Projektstrategie standen
zenbacher Bürgerinnen und Bürger neue Nut- zwei Fragen im Vordergrund:
zungen auf mehreren Brachflächen an. Im Ver- Kann die Initiierung von Prozessen unter be-
lauf des Projektes konnten daraus verallgemei- wusster Ablehnung der Entwicklung neuer Leit-
nerbare Situationstypen entwickelt und beschrie- bilder die Zukunft der Stadt gestalten?
ben werden. Die Bürgerinnen und Bürger stell- Können sich aus kurzfristigen Aktionen und Si-
ten sich als Ressource für solche Aufgaben in tuationsverbesserungen auch langfristige Verän-
der Stadtentwicklung dar, die von der Kommune derungen entwickeln?
alleine nicht mehr geleistet werden können. Die Zur Beantwortung dieser Frage scheint es sinn-
Zusammenarbeit von Bürgerinnen, Bürgern und voll, die Akteurinnen und Akteure innerhalb der
Kommune müsste zur Aktivierung dieser Res- Umsetzungsprozesse und die über den Projekt-
sourcen jedoch wesentlich verbessert werden. zeitraum hinausgehenden Vorhaben zu betrach-
Oft genug scheiterte die Umsetzung von Nut- ten.
zungsideen daran, dass die Bürgerinnen und Die Vorhaben stellen sich zum gegenwärtigen
Bürger den Anspruch auf starke Unterstützung Zeitpunkt wie folgt dar:
der Stadt, z.B. bei der Pflege von neu angeleg- • Diskussionen über mögliche Vereinsgründun-
ten Gärten, einforderten. Hier muss ein Be- gen durch Bürgerinnen und Bürger (Club
wusstsein dafür entstehen, dass langfristige Zu- 100, Internationale Gärten Dietzenbach).
sagen der Stadt nur einzufordern sind, wenn • Aufgreifen von Vorhaben durch Ausländerbei-
jede/jeder Einzelne bereit ist, ebenfalls in einem rat (Festzelt, Bolzplatz).
definierten Rahmen langfristig Verantwortung • Gestaltung öffentlicher Freiflächen durch
für bestimmte Aufgaben zu übernehmen. Bürger (Abenteuerspielplatz, Themengärten).
Für die Akteurinnen und Akteure ist es von ent- • Mögliche Umsetzung eines seit 24 Jahren
scheidendem Vorteil, das Wissen von Expertin- bestehenden und zum Großteil nicht umge-
nen und Experten in Anspruch nehmen zu kön- setzten Bebauungsplans für Kleingärten durch
nen, da sie erst so die Möglichkeit erhalten, in- interessierte Bürgerinnen und Bürger.
nerhalb der komplexen Verwaltungs- und Politik- • Geplante Diskussionsrunde auf Initiative ein-
zusammenhänge ihre Projektideen zu verwirk- zelner Stadtverordneter mit dem Projektteam.
lichen. Auf Seite der Gemeinde ließ sich ein an- • Andauernder Erfolg des "Hühnerhofes".
166
Im Verlauf der Einzelprojekte kristallisierten sich Boden, durch das Projekt zu entdecken.
Akteurinnen und Akteure heraus, die, aufbauend Mit einigem Optimismus darf man hoffen, dass
auf den geäußerten Ideen, die umsetzungsorien- sich dieses Erkennen von Chancen in der Stadt
tierte städtebauliche Dynamik über den Projekt- sowohl auf Seiten der Bürgerinnen und Bürger
zeitraum weitertragen könnten. Dies sind zum als auch der Politik und Verwaltung weiter aus-
einen Privatpersonen, die nicht nur einzelne breitet. Vor allem aber besteht die Hoffnung,
Umsetzungen leisten können, sondern bei de- dass sich langfristig, z. B. durch Vereinsgrün-
nen es ein wachsendes Bewusstsein darüber dungen, bürgerschaftliches Engagement als ein
gibt, dass sich die Rolle der Bürgerinnen und ernst zu nehmendes, konstruktives Gegenüber
Bürger als konstruktives Gegengewicht zu Ver- für die Stadtplanung in Politik und Verwaltung
waltung und Politik entwickeln könnte. Zum bildet, ein Gegenüber, das in der Lage ist, wich-
anderen entsteht langsam auch in der Politik tige Impulse für die Stadtentwicklung einzubrin-
ein zunehmendes Interesse an einem langfristi- gen. Mit der Aufnahme der Impulse durch die
gen strukturellen Wandel der städtebaulichen Stadt würde die Innenentwicklung entscheidend
Arbeit. gestärkt, d. h. die Planung setzte sich in einem
Der Ausländerbeirat bringt sich bei der Umset- Aushandlungsprozess stärker mit den Anliegen
zung von Kleingärten und eines Bolzplatzes in aber auch den Ressourcen der schon ansässi-
die städtebauliche Diskussion ein. gen Bevölkerung und Betriebe auseinander. So
Damit sind wichtige Etappenziele erreicht. Aller- könnte es gelingen, die starke Abhängigkeit von
dings wird auch deutlich, dass sich noch kein externen Faktoren, insbesondere von Entwicklern
Automatismus entwickelt hat, der als sinnvoll und Investoren, zu verringern und einer neuen
zu erachtende Vorhaben wie etwa die Umset- städtebaulichen Dynamik Raum zu geben.
zung des Bebauungsplans für Kleingärten Ähnliche Impulse sind zu erwarten, wenn eta-
(Punkt 4) mit Hilfe von Bürgerinnen und Bür- blierte Akteure wie der Ausländerbeirat ihr Mo-
gern nun durch die Hürden des Alltags tragen bilisierungspotenzial für konkrete Realisierungen
könnte. Hier ist der Verdacht angebracht, dass in der gegenwärtigen Situation Dietzenbachs
die Politik mit allen Mitteln das Vorhaben verzö- ausnutzen würden.
gert. Ohne bürgerschaftliche Organisation und Bei der Verwaltung wiederum entstanden mit
ohne Druck werden sich also solche sinnvollen dem Entwurf eines Vertragsmusters sowie mit
Projekte nicht durchsetzen lassen. Es ist ein Ver- der Erprobung von schnellen, umsetzungsorien-
säumnis des vorliegenden Projektes, diese bür- tierten Entscheidungsabläufen bei Bürgereinga-
gerschaftliche Organisation nicht gefördert zu ben langsam neue, über die klassische Bürger-
haben, obwohl mit einigen AkteurInnen zeitwei- beteiligung hinausgehende Anknüpfungspunkte
lig intensiver Kontakt und Austausch bestand. für die Bürgerinnen und Bürger. Noch herrschen
Diese AkteurInnen nehmen innerhalb der vor- Bedenken bezüglich eines möglichen Kontroll-
handenen sozialen Netzwerke zumeist Schlüs- verlustes und Zweifel daran, dass bürgerschaft-
selpositionen ein, wodurch die Einzelprojekte an liches Engagement auch langfristig wirksam ist.
Dynamik hätten gewinnen können. In diesem Zusammenhang ist es sehr bedauer-
Das Projektteam hat sich zu stark von den aktu- lich, dass der intensiv genutzte Kontaktpunkt
ellen Umsetzungen temporärer Nutzungen ver- mit der Stadtplanung durch einen vom Projekt-
einnahmen lassen. team besetzten Bauwagen in der Stadtmitte
Im Verlauf der Umsetzungen begannen Bürge- nicht über den Projektzeitraum hinaus erhalten
rinnen und Bürger, sich mit dem Thema des werden konnte.
Städtebaus zu beschäftigen. Bürgerinnen und Durch die Diskussion über ein neues Rollenver-
Bürger äußerten, wie erfreulich es ist, Möglich- ständnis von ExpertInnen und Verwaltung kann
keiten der Stadt, wie z.B. die Besetzbarkeit von sich die Erkenntnis durchsetzen, dass Städte
167
angesichts von Finanzkrisen und Strukturwan- vorbildlich umgesetzte Hühnerhof für Kinder
del Umsetzungserfolge dann erzielen werden, zeigt, wie viel Möglichkeiten die Stadt bietet.
wenn sie sich als Managerinnen von Ressour- Es wird allerdings auch deutlich, wie wichtig
cen, als Organisatorinnen von Aushandlungs- Wissen und persönliches Engagement, Aus-
prozessen und als Wissenspool verstehen und dauer und eine intensive Kommunikation sind.
nicht mehr als Monopolistinnen für die Erstel- Eine Zukunftsaufgabe für ExpertInnen und Stadt
lung von öffentlichem Wohl. ist es daher, dieses Wissen an die Bürgerinnen
Viele kommunale Aufgaben werden in Zukunft und Bürger weiterzugeben.
erst durch bürgerschaftliches Engagement um-
gesetzt werden können. In Dietzenbach wird
das an dem Thema der fehlenden Kleingärten
deutlich. Ein gültiger Bebauungsplan für Klein-
gärten kann seit 24 Jahren für einen Großteil
des Geltungsbereichs nicht umgesetzt werden,
weil die Kommune nicht in der Lage ist, die für
die Umsetzung notwendigen Kosten zu über-
nehmen.
Es bestand die realistische Hoffnung, diese
Kleingärten nun unter Einbindung der Eigenini-
tiative der interessierten Bürgerinnen und Bür-
ger im Rahmen der Kampagne "100 qm" umzu-
setzen. Durch den kurzen Projektzeitraum fehlt
nun sowohl eine treibende Kraft, diese Chance
weiter im politischen Raum zu verfolgen, als
auch das Projektteam, das mit seiner Arbeit das
Bewusstsein für die Realisierbarkeit der Gärten
bei Bürgerinnen und Bürgern fördern könnte.
Die mit dem Projektende wegfallende Stelle
beim Stadtplanungsamt macht sich neben dem
Wegfall der Option für Werkverträge mit freien
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hier besonders
negativ bemerkbar. Gäbe es hier einen kleinen
Spielraum, könnte langfristig mit geringem finan-
ziellen Aufwand viel bewegt werden.
Die Politik in Dietzenbach beginnt sich langsam
für das Thema Innenentwicklung und seine
Möglichkeiten zu interessieren. Dieses Interesse
wurde erst relativ spät geweckt, da das Projekt-
team mit dem Ziel der schnellen Umsetzung
von Einzelprojekten und der begrenzten Projekt-
laufzeit die zeitaufwendige Diskussion in den
politischen Gremien vermieden hat.
Schließlich weisen Thematisierungen von Stadt
und Boden sowie erfolgreiche Flächenbesetzun-
gen die Möglichkeiten, die die Stadt ihren Bür-
gerinnen und Bürgern bietet, auf. Besonders der
168
5.3.2 Die geänderte Rolle des in Richtung der Bürgerinnen und Bürger ge-
Städtebauers/der Städtebauerin macht und dem Städtebau Bodenhaftung gege-
ben. Die vorgefundenen Strukturen der Stadt
Angesichts der Stadtplanungsgeschichte Diet- und damit die alltägliche Lebensumwelt der
zenbachs sowie aus Erfahrungen mit einem frü- Dietzenbacher wurden nicht als Ursache der
heren Projekt zur Umgestaltung der Stadtmitte Probleme gesehen, sondern als Chance. Es stellt
Dietzenbachs an der Fachgruppe Stadt der TU sich heraus, dass gerade die heute städtebau-
Darmstadt war eine wichtige Herausforderung lich durchaus problematische Struktur der Stadt,
des Projektes, eingeübte städtebauliche Hand- hier vor allem die Brachen, durchaus auch bild-
lungsreflexe zu revidieren und wenn nötig aus- lich gemeint ungeahnte Nischen und Zwischen-
zuschalten. räume bieten. Der oft unter Städtebauern als
selbstverständlich angenommene Zusammen-
5.3.2.1 Eingeübte städtebauliche Handlungs- hang zwischen Baustruktur und Gesellschafts-
muster revidieren struktur und damit die Verknüpfung, dass die
Die städtebaulichen Handlungsmuster, die jede gebaute Struktur der Stadt Ausdruck ihrer ge-
Expertin und jeder Experte schon nach kurzer sellschaftlichen Realität sei, wurde hier zu Recht
Analyse Dietzenbachs entwickelt, sind insbeson- abgelehnt. Damit stellte sich das Projekt nicht in
dere, die "Neue Mitte" zu bebauen und damit le- eine Gegnerschaft zu Großwohnanlagen oder zur
bendig gestalten zu wollen, Großwohnanlagen Logik der Entwicklungsmaßnahme. Der Erfolg
und Verkehrsanlagen rückbauen zu wollen, die dieser Herangehensweise zeigt sich eindrucks-
städtebauliche Entwicklung stärker zu ordnen voll in dem großen Interesse der Bürgerinnen
und eine integrative Lösung für die Gesamtstadt und Bürger.
zu entwickeln. Diese städtebaulichen Reflexe
finden in der Dietzenbacher Situation aber kaum 5.3.2.3 Konkrete Umsetzungen und
Umsetzungsressourcen und bleiben deshalb im- Vermeidung von Leitbildern
mer wieder auf schmerzliche Weise irrelevant. Das Projektteam entwickelte keine Leitbilder,
Der fortgesetzte und erfolglose Versuch, die Stadt sondern versuchte ohne diese zu arbeiten. Zwar
mit einem aus diesen Reflexen resultierenden wird die Problematik der Arbeit mit Leitbildern
stadträumlichen Umbau grundlegend verändern im städtebaulichen Bereich allgemein erkannt
und verbessern zu wollen, führt im Gegenteil zu und kritisiert, gleichwohl fehlt es an alternativen
einer wachsenden Frustration und Handlungs- methodischen Herangehensweisen. Das vorlie-
unfähigkeit. gende Projekt hat nun statt dem allgemeinen
Das vorliegende Forschungsprojekt zeigt in die- und komplexen Bild den Einzelfall "in die Mitte
ser Situation Alternativen städtebaulichen Han- des Tisches" gelegt und zum Kristallisations-
delns, verbunden mit einer veränderten Rolle punkt für Diskussionen und Prozesse gemacht.
des der Städtebauerin/Städtebauers, auf. Für die Arbeit der Expertinnen und Experten be-
deutet dies, nicht mit den großen Zusammen-
5.3.2.2 Akzeptanz des Vorhandenen hängen zu beginnen und zu hoffen, dass davon
Angesichts der problematischen Erfahrungen mit in großer zeitlicher Ferne ein Bruchteil realisiert
der Dietzenbacher Planungsgeschichte hatte für wird, sondern darauf zu setzen, dass sich aus
den Städtebauer statt idealistischer, utopischer, Einzelprojekten und vorhandenen Ressourcen
leitbildorientierter und auf jeden Fall verändern- langfristige und übergeordnete Zusammenhänge
der Planung die Akzeptanz der bestehenden entwickeln und eine städtebauliche Dynamik
Stadt Priorität. Konkrete und kurzfristig umset- entsteht.
zungsorientierte Einzelprojekte standen im Es hat sich herausgestellt, dass schon in den
Mittelpunkt, und damit wurde ein großer Schritt wenigen Monaten der Projektlaufzeit so ent-
169
scheidende Themen der Stadt angeschnitten 5.3.2.5 Umsetzungsorientierter Prozess und
wurden. Diese Themen waren durchaus nicht Umgang mit dem Unerwarteten
immer neu, aber es hat sich durch die hier an- In Erweiterung der niederländischen Herange-
gewandte Strategie eine neue, umsetzungsori- hensweise, die das Gefundene häufig in starken
entierte Ungeduld eingestellt, die Themen direkt Bildern polemisiert, wurde aus dem Hauptthema
anzugehen, wie zum Beispiel im Fall der seit der Stadt, dem Boden, ein umsetzungsorientier-
24 Jahren nicht realisierten Kleingartenanlage. ter Prozess und eine symbolische Aktion konzi-
Mit dem Überspringen der oftmals unnötigen piert. Der Boden wurde besetzbar gemacht und
Komplexität des langfristigen Städtebaus konnte die ansässige Bevölkerung wurde aufgerufen,
durch das vorliegenden Projekt eine entschei- sich hier zu betätigen. Die in der Analyse erar-
dende kommunikative Hürde zwischen Bürge- beiteten Themen wurden weder in Leitbilder
rInnen und PlanerInnen genommen werden. übersetzt noch zu Problemstellungen und Lö-
Wie wichtig aber das Leitbild nach wie vor in sungsansätzen weiterentwickelt, sondern nur
der Expertendiskussion ist, zeigt sich an den dazu benutzt, einen inhaltsoffenen Prozess in
wiederholten Fragen, ob man mit dieser Kon- Gang zu setzen. Dieser Prozess wiederum lebte
zentration auf den Einzelfall nicht doch wieder wie jede Strategie vom Zufall und dem Uner-
ein Leitbild aufgestellt habe. Das sei hier noch warteten. Sie sind die eigentlichen Kräfte. Die
einmal mit aller Deutlichkeit zurückgewiesen: Ideen und die Tatkraft der Bürgerinnen und
Leitbilder sind langfristige inhaltliche Festlegun- Bürger, die Reaktionen und Diskussionen der
gen. Genau diese werden mit der vorliegenden ExpertInnen und der Politik, die neu entdeckten
Strategie vermieden. Möglichkeiten und Probleme haben den Prozess
getragen. Die Aufgabe der Expertinnen und Ex-
5.3.2.4 Analyse und "positive Provokation" perten lag in der offenen Reaktion auf das Un-
Im vorliegenden Projekt wurde eine "positive erwartete. Das Unerwartete und Unplanbare,
Provokation" konzipiert. die "Wildcards", sind also nicht das Störende,
Die Stadt wurde dazu in Bezug auf ihre Bau- was die Lösungsfindung behindert, sondern das
struktur und Freiflächen, Potenziale und vorlie- Konstituierende des Prozesses und das, was die
genden Planungen analysiert. Es wurden Flä- Arbeit der Expertinnen und Experten auslöst.
chen für das Projekt ausgewählt, die als in der Damit hat das Projekt aus den unvermeidlichen
Stadtstruktur besonders markant bewertet wur- Schwierigkeiten, die etwa in der Dietzenbacher
den, oder aufgrund ihrer Planungssituation und Entwicklungsmaßnahme entstanden, die Konse-
Eigentumsverhältnisse interessant erschienen. quenzen gezogen und hat das inhaltlich Uner-
Es wurden Flächen thematisiert, für die es seit wartete und das nicht Planbare in ein strategi-
Jahren gültige Bebauungspläne gibt, die jedoch sches Konzept eingebunden. Dieser Ansatz
nicht umgesetzt werden können, vergessene, kann angesichts des gesellschaftlichen und
aus dem Bewusstsein verschwundene Flächen wirtschaftlichen Strukturwandels als verallge-
wurden in die Diskussion eingebracht. meinerbar gelten.
Diese städtebauliche Analyse Dietzenbachs hatte
das Ziel, den empfindlichen Nerv der Stadt zu 5.3.2.6 Prozessplanung und städtebauliche
finden und durch eine gezielte Intervention zu Unterstützung
treffen. Die einzelnen Projektteile des Projektes "Dietzen-
Im nächsten Schritt wurde aus diesem Nerv der bach 2030 - definitiv unvollendet" wurden in-
Stadt ein umsetzungsorientierter Prozess entwi- tensiv vorbereitet. Das Projektteam analysierte
ckelt. mögliche Gefahren und Chancen sowie die not-
wendigen Reaktionen hierauf. Es wurde z. B.
sehr kontrovers diskutiert, ob es notwendig
170
wäre, leere Flächen von Seiten des Projektteams waren, dass sie mit guter Aussicht auf Erfolg
zu markieren und damit in den Mittelpunkt der weiterentwickelt werden könnten. Diese Perso-
Wahrnehmung zu rücken, womit die Interes- nen und Ideen erforderten eine intensive Exper-
sensbekundung für die Bürgerinnen und Bürger tenbegleitung, um ihnen die Möglichkeit einer
stark erleichtert wäre. Allerdings führte die Ent- langfristigen, über die Arbeit der Expertinnen
scheidung für eine Festlegung dazu, dass keine und Experten hinausgehende Dynamik zu ge-
weiteren Flächen von Bürgerinnen und Bürgern ben. 15 Expertenarbeit kann dabei helfen, Mög-
in die Diskussion eingebracht wurden. lichkeiten aufzuskizzieren und Pressearbeit zu
Die Interdisziplinarität des Projektteams hätte unterstützen. Expertenarbeit kann aber auch be-
noch stärker genutzt werden können, um die deuten, Beispiele aus anderen Städten zu erar-
AkteurInnen und ihre Handlungsmuster intensi- beiten und den Bürgerinnen und Bürgern vorzu-
ver zu reflektieren und mit diesem Wissen lang- stellen. Ein gutes Beispiel dafür war die Einla-
fristige Entwicklungen zu unterstützen. dung von Vertreterinnen und Vertretern der "In-
Aus städtebaulicher Sicht wurde die Beschäfti- ternationalen Gärten Göttingen" zu einem Vor-
gung mit dem Ungeplanten notwendig, mit Be- trag in Dietzenbach durch das Projektteam. Die
setzungsvorgängen und deren Analyse. Diese Schilderungen, wie einfach es eigentlich ist, sol-
Vorgänge verlaufen in der Regel nach gewissen che Gärten durchzusetzen, regten das Publikum
Schemata und sind sehr stark selbstregulierend, stark an. Zwar waren kurz danach Ideen für die
verlangen aber an bestimmten Punkten nach Gründung eines entsprechender Vereins in Diet-
einem Minimum an ordnendem Eingreifen. Da- zenbach zu hören, allerdings wird es wohl noch
mit verschiebt sich das städtebauliche Aufgaben- ein langer Weg sein, bis die Akteurinnen und
feld. Innerhalb der Prozesse wurde vieles zuge- Akteure in Dietzenbach willens und fähig sein
lassen und auf eine Selbstregulierung vertraut, werden, sich die notwendigen umsetzungsorien-
bei konkreten Realisierungen wurde durch das tierten Strukturen zu geben und innerhalb die-
Einbringen von Wissen helfend und ordnend ser Strukturen selbstverantwortlich zu agieren.
eingegriffen. Dabei sind es diese Zusammenschlüsse, die
Die im Projekt erstellten Planungen und Bilder, Stadtentwicklungen heute eine langfristige Per-
etwa für die Verteilung von Grabelandparzellen spektive geben können, und nicht die langfristi-
und Gemeinschaftseinrichtungen oder für die gen Leitbilder vom grünen Tisch. Im bürger-
Anlage von Themengärten, gaben den Absich- schaftlichen und umsetzungsorientierten Enga-
ten ein konkretes Gesicht und dienten den Ak- gement für die Stadt kann sich schließlich ein
teurInnen als Diskussionsgrundlage und Darstel- neues Stadtverständnis herausbilden, das als
lung der Möglichkeiten und Potenziale ihrer Handlungsleitlinie für Expertinnen, Experten,
Ideen. Ständig lauerte hier die Gefahr der Über- Verwaltung und Politik wirksam werden kann
planung durch die Expertinnen und Experten. und als Träger neuer Entwicklungen in Zeiten
So wurde die Besetzung von temporärem Gra- knapper Mittel an Bedeutung gewinnen wird.
beland durch die den Interessen der Bürgerin-
nen und Bürger widersprechende Planung von 5.3.2.8 Veränderte städtebauliche Sicht
Gemeinschaftseinrichtungen stark verzögert und Durch die vorgestellte Strategie verändert sich
vielleicht entscheidend geschwächt. der Blick von ExpertInnen und anderen Akteu-

5.3.2.7 Betreuung langfristiger Entwicklungen


15
In den konkreten Umsetzungen kristallisierten Vgl. dazu: Hardt-Waltherr Hämer in: Hardt-Waltherr
sich Schlüsselpersonen und Ideen heraus. Die Hämer, Karl Ganser, Wolfgang Roters; Internationale
Bauausstellung Berlin und behutsame Stadterneuerung;
Reaktionen in der Presse und in der Politik zeig- ils Inovationsforum 1; Institut für Landes- und Stadtent-
ten, welche Ideen so nahe liegend und treffend wicklungsforschung des Landes Nordrheinwestfalen
171
rInnen auf die Stadt. Die Wahrnehmung und • Die bewusste Aktivierung alternativer Ressour-
Aktivierung von Potenzialen vor Ort rückt in den cen und eine langfristige Einbindung dieser
Vordergrund. Die leeren Flächen in Dietzenbach Ressourcen in die Stadtplanung (die im vor-
sind in dieser Sichtweise Träger bestimmter liegenden Projekt durch das Projektende stark
Potenziale, die durchaus im Zusammenhang geschwächt wurde) lassen neue Stadtent-
mit den für sie geltenden Planungen und Eigen- wicklungsprozesse entstehen.
tumsverhältnissen stehen. Die Betrachtung der • Es ist notwendig und sinnvoll für die Städte,
Potenziale und AkteurInnen einer Stadt wird da- Anknüpfungspunkte für diese Ressourcen
mit zum Ausgangspunkt der Stadtentwicklung. sowie Prozess- und Kommuniakationsman-
Vereine, aber auch Einzelpersonen, sind poten- agement bereitzustellen.
zielle AkteurInnen, die mit den Flächen der Stadt • Um diese Prozesse zu initiieren, müssen neue
in Zusammenhang gebracht werden müssen. Strategien mit eingeübtem Wissen kombiniert
Im Rahmen dieses Vorgehens ist eine interdiszi- werden und muss sich das Selbstverständnis
plinäre Zusammenarbeit von Vorteil. Die Zusam- der Expertinnen und Experten verändern.
menarbeit sollte anwendungsbezogen sein und • Die Konzentration auf Innenentwicklung statt
durch einen Diskurs die Einbindung aller Teil- Wachstumsorientierung macht die Städte
disziplinen fördern und damit vielfältige Aspekte weniger abhängig von unkontrollierbaren
der Stadt widerspiegeln. Die methodische Auf- externen Faktoren.
arbeitung dieser neuen Interdisziplinarität und • Man kann Vertrauen in die Selbstregulierung
ihrer Herausforderungen steht noch aus. ungeordneter Entwicklungen aus der Bürger-
schaft haben.
• Mit konkreten Umsetzungen durch die Bür-
5.3.3 Kritik und Empfehlungen gerinnen und Bürger beginnt sich ein neues
bürgerschaftliches Stadtverständnis herauszu-
Betrachtet man den Verlauf des Projektes heute, bilden, das ein konstruktives Gegenüber für
so ist festzustellen, dass die Übertragbarkeit des das Handeln von Verwaltung, Politik und
Projektes nicht in der konkreten Ausgangssitua- ExpertInnen bilden kann.
tion der Stadt Dietzenbach liegt, sondern in der
angewandten Strategie. Die Zusammenarbeit zwischen Verwaltung, Po-
In Dietzenbach hat die bundesweit größte Ent- litik und Bürgern darf sich nicht länger auf all-
wicklungsmaßnahme mit ihrer umfassenden, gemeine Bekenntnisse und Willensbekundungen
idealistischen, leitbildorientierten, aber starren beschränken.
und heute über weite Strecken veralteten Pla- Die hier vorgestellte Strategie bündelt das Enga-
nung zu einem Einfrieren städtebaulicher Dyna- gement und die unterschiedlichen Kompetenzen
mik und der Beschäftigung mit der Stadt in der anhand von Einzelprojekten und unterstützt da-
Bürgerschaft geführt. Hier konnte ein Projekt, mit eine neue Dynamik in der Stadtentwicklung.
das sich gegen diese Art traditioneller Planung
stellt, viel bewirken.
Für andere Städte und Situationen können die
hier gewonnen Erkenntnisse und die erprobte
Strategie in erster Linie eine Erweiterung des
städtebaulichen Denkens und Handelns bedeu-
ten. Aus dem Projekt "Dietzenbach 2030 - defi-
nitiv unvollendet" lassen sich folgende Erkennt-
nisse ableiten:
5.4 REFLEXIONEN AUS SICHT DER
JOHANN WOLFG ANG G OETHE-
UNIVERSITÄT FRANKFURT

172
5.4.1 Integration darin, dass sie sich auf ihre Art und Weise in
Dietzenbach "integriert" fühlen. Integriert in die
Man könnte wahrscheinlich einen Slogan aus Räume und Nachbarschaften, die ihnen zur An-
der Werbung paraphrasieren und sagen "Diet- eignung zur Verfügung stehen und in denen
zenbach, die wahrscheinlich bestgeplanteste ihnen Raum geboten wird, ihre mitgebrachte
Stadt im westlichen Nachkriegsdeutschland!" Identität unter veränderten Bedingungen zu
und wäre zugleich konfrontiert mit dem schlech- leben. Auf der Ebene räumlicher Organisation
ten Image der Stadt, der inneren Unzufrieden- wird so das "Integrationsproblem", das Teil des
heit mit dem Stadtbild wie der Entwicklungs- schlechten Images der Stadt ist, zu einem gro-
perspektive, Begriffen wie Identitätslosigkeit und ßen Potenzial sozial kompetenter Organisation
Fragmentierung und einem nicht gerade kleinen der eigenen Interessen, die wir als Nutzungsin-
Set von Vorurteilen. Diese offenkundige Wider- teressierte im Rahmen des Dietzenbacher Pro-
sprüchlichkeit ist Grund genug, eben diese herr- jekts kennen gelernt haben. Unter vermeintlich
schenden Wahrnehmungen und ihre Logik zu widrigsten Bedingungen (relative Armut, Leben
hinterfragen. Es ist zunächst die Arbeit der be- in räumlicher Enge, Konzentration vermeint-
grifflichen Dekonstruktion. licher Problemgruppen) gelingt es, soziale Netz-
Ziel des Projekts war es, Diskurse zu initiieren, werke aufzubauen, die in weiten Teilen selbst-
Blicke auf die Stadt und ihren unentdeckten tragend und stützend sind. Es ist die traditionel-
"Reichtum" an Boden und zivilgesellschaftlichem le Wahrnehmung von Verwaltung, Politik und
Potenzial zu öffnen sowie bestehende Denkwei- eines großen Teils der Bevölkerung, dass dies
sen von städtischer Entwicklung in Frage zu nicht sein könne, weil die Menschen nicht in
stellen. Dies wurde im Zuge der Projektdurch- der Lage sind, ihre Interessen nach hiesigen
führung in wesentlichen Teilen erreicht. Es ge- Maßstäben zu organisieren und auch gar dazu
lang auch zu zeigen, dass zwar die Rede über legitimiert sind.
Fragmentierung, Identitätslosigkeit, Anästhetik Woher kommt nun dieser verstellte Blick? Der
Teil des herrschenden Diskurses über die Stadt offensichtlichste Grund liegt in der unzureichen-
Dietzenbach ist, damit jedoch das für die Stadt den Möglichkeit der Interessenartikulation. Diese
positive Potenzial an bürgerschaftlichem Enga- begrenzte Möglichkeit beginnt auf einer formalen
gement überdeckt wird. Ebene, der Ebene des Wahlrechts. Interessenar-
Leider konnte dieses Potenzial nicht faktisch tikulation wird dann interessant, wenn es ge-
wirksam werden, hätte es dazu doch des Auf- lingt, gesellschaftlichen Druck zu entwickeln,
brechens von Routinen, von Verfahren und Interessen mit Macht zu verknüpfen. Dies ge-
auch eines liberalen Verständnisses von Integra- schieht klassischerweise durch Wahlen. Für
tion einer randständigen Bevölkerung bedurft. einen großen Teil der Migrantencommunity
Integration wird heute landläufig als die politi- besteht dieser Zugang nicht. Sie sind in dieser
sche Strategie der Anpassung der Migrantinnen Hinsicht "Lame Ducks". Artikulierte Interessen
und Migranten in die neu gewählte Gesellschaft sind lästig, störend und beschneiden unter den
angesehen, so dass diese ein angemessenes Bedingungen knapper Kassen die Möglichkeit,
Leben führen können. Die Projektergebnisse die Interessen potenzieller Wählerinnen und
legen nahe, dass dieses Verständnis, sei es für- Wähler zu befriedigen. Sie sind aus der Perspek-
sorgend-sozialstaatlich oder aber einfach mit tive kurzfristiger politischer Rationalität uninter-
Anpassungszwängen einer "Leitkultur" versehen, essant.
nicht hinreichend ist. Die Wertschätzung, die Aber auch aus der Perspektive paternalistischer
die nutzungsinteressierten Migrantinnen und Fürsorge kann es nicht sein, dass es Bewohne-
Migranten im Rahmen des Projekts der Stadt rinnen und Bewohnern solcher Quartiere gelin-
Dietzenbach entgegenbrachten, besteht gerade gen könnte, ihr Leben selbst zu organisieren,
173
denn ein solcher Blick stellt das Selbstverständ- abgeschlossenen Projekt 2030 doch für den
nis ganzer Berufszweige in Frage. Wendet man ersteren Weg entscheidet.
den Blick weg von der Pädagogisierung hin zur Mit der dem Projekt immanenten Annahme,
Anerkennung der Interessenartikulation als legi- dass das Zulassen von Differenz als Grundlage
tim, dann wäre man in der Lage bei diesem Ver- eines liberalen Integrationsverständnis anzuse-
ständnis von Integration, den Reichtum, den hen ist, stellten sich neue Anforderungen an die
kinderreiche engagierte Migrantinnen und Mi- Bürgerschaft, die Politik und an das Verwal-
granten für eine Stadt wie Dietzenbach bedeu- tungshandeln. Diese Anforderungen wurden mit
ten können, auszuschöpfen. zunehmendem Projektverlauf deutlich. Beteiligte
In Dietzenbach war, wie sich zeigte, jedoch das Bürgerinnen und Bürger, Politik und Verwaltung
traditionelle enge Verständnis von Integration als wurden beständig mit neuen Situationen kon-
Anpassung vorhanden. In der Situation der öf- frontiert, in denen routinierte Handlungsmuster
fentlichen Artikulation von Interessen von Mi- nicht griffen und neue Regeln ausgehandelt wer-
grantinnen und Migranten, hervorgerufen durch den mussten. In diesem Sinne entwickelte das
das Projekt 2030, hätte es prinzipiell zwei poli- Projekt eine dekonstruktive Praxis.
tische Reaktionsmöglichkeiten gegeben.
Die erste Möglichkeit, die sich das Projektteam
gewünscht hätte, wäre folgende gewesen. Ob-
gleich Migrantinnen und Migranten nach herr-
schender Lesart zum schlechten Ruf der Stadt
beitragen, hätten sich die politisch Verantwort-
lichen auf die Seite der Nutzungsinteressierten
schlagen können, den Prozess der kurzfristigen
Landnahme, der Zwischennutzung von seit über
dreißig Jahren brachliegendem Bodens beför-
dern und damit herausstellen können, dass die
Migranten und Migrantinnen nicht herrschen-
den Vorurteilen entsprechen müssen. Die politi-
schen Risiken, die damit verbunden gewesen
wären, eine nicht repräsentative Nutzung des
öffentlichen Raums durch eine randständige Be-
völkerung zuzulassen, wollte der Bürgermeister
jedoch nicht tragen. Damit wäre die Gruppe, die
nach herrschender Meinung zum schlechten Ruf
der Stadt beigetragen hat, unnötig ins Rampen-
licht gerückt worden.
Deshalb wählte er den zweiten möglichen Weg,
durch Aufrichtung einer neuen Hürde, der Kau-
tion von 500 Euro pro Fläche, die artikulierten
Interessen zumindest vorübergehend zum
Schweigen zu bringen und damit nicht noch
mehr Aufmerksamkeit auf die das negative
Image seiner Stadt befördernde Bevölkerungs-
gruppe zu lenken. Es ist jedoch nicht ausge-
schlossen, dass sich die politische Vertretung
der Stadt nach eingehender Befassung mit dem
174
5.4.2 Ergebnisse dekonstruktiven "Was gibt uns die Stadt?"
Vorgehens In recht langwierigen Prozessen waren Selbst-
verständnisse beteiligter Bürgerinnen und Bür-
Im Rahmen des Projektes sind mannigfaltige Er- ger zu klären. Auch hier ging es um das Verän-
fahrungen im Einüben eines neuen Verfahrens dern von Routinen und Selbstverständlichkeiten.
gesammelt worden, die für alle Beteiligten aus In den ersten Nachfragen tauchte zunächst Un-
dem Projektteam, der Verwaltung, der Politik gläubigkeit auf: "Umsonst?", war die erste Ein-
und der beteiligten Bevölkerung neu waren. Im schätzung, die am Bauwagen zu hören war. Bei
Folgenden werden einige Beispiele herausgegrif- der Konkretion in Richtung Umsetzung war
fen, um zentrale Erkenntnisse zu dokumentieren. dann aber wiederum ein klassisches Muster zu
vernehmen. Die Frage danach, was die Stadt
"Das geht so nicht!" hinzugibt (auch zu übersetzen mit: bezahlt). Die
Ein zentrales Muster, um Veränderungen zu blo- Erklärungen, dass dies in diesem Projekt nicht
ckieren, ist der Verweis auf die Unmöglichkeit vorgesehen sei, es vielmehr auf Selbstorganisa-
des Anliegens. Das Argument ist vor allem eines tion ankäme und selbst Dinge in die Hand zu
einer klassischen Verwaltung, die zunächst ein- nehmen seien, erwies sich keineswegs durch-
mal gewohnt ist, aus der Perspektive der Regel- gängig als selbstverständlich. Ebenso erwies
haftigkeit heraus zu agieren. Routine strukturiert sich als nicht selbstverständlich, dass es einen
wesentlich den Arbeitsalltag, macht ihn sicher Rahmen mit Regeln gab. Dieser war immer wie-
und schafft individuelle Machtpositionen. Mehr- der Gegenstand von Aushandlungsprozessen.
fach führte das Übergehen eines Amtes in der
Verwaltung zur Blockade. Der zentrale Hinter- "Dann nicht!"
grund der handelnden Personen war jeweils das Relativ schnell stellte sich bei potenziellen Nut-
Nichtbeteiligtsein. Aufgelöst wurden solche Kon- zerinnen und Nutzern Frustration ein. Zu Grunde
flikte, nachdem man die ersten Erfahrungen ge- lag die Vorstellung, dass es völlig selbstverständ-
sammelt hatte, durch eine mitunter aufwändige lich sei, dass die Stadt ihren Boden zur Verfü-
und breite Information. gung stellt. Was zunächst unvorstellbar schien,
wurde binnen kurzer Zeit zur Selbstverständlich-
"Wir haben da andere Erfahrungen und kennen keit. Mit dieser Selbstverständlichkeit wuchsen
das schon!" die Ansprüche an das Projektteam und die
In eine ähnliche Richtung wie die vermeintliche Stadt. Die Nichterfüllung dieser Ansprüche führ-
Unmöglichkeit etwas zu tun geht der Hinweis te zu zahlreichen Nutzungsaufgaben.
auf Erfahrungen in der Stadt. Jede Veränderung
im Ablauf eines Verfahrens stellt das Experten- "Die Verwaltung bin ich!"
wissen vorhandener Akteurinnen und Akteure in Konfrontiert wurde das Projektteam auch mit
Frage. Der Ansatz im Rahmen des Projektes, zu- Sprunghaftigkeiten. Dies stellte insbesondere
nächst recht abgeschlossen zu agieren, kam als ein Problem dar, weil der Projektablauf wesent-
Bumerang zurück. Blockaden entstanden da- lich auf weichen Grundlagen wie "Vertrauen"
durch, dass man sich düpiert, sich mit seinem aufgebaut war. Gegenstand des Verfahrens wa-
Wissen nicht ernst genommen fühlte. "Da kom- ren Aushandlungsprozesse, die sehr viel mit Ver-
men ahnungslose Spinner, die die Stadt nicht bindlichkeit zu tun hatten, die nicht in Schrift-
kennen." Im Rahmen von Gesprächen zum Ende form oder mit Leistungszusagen verbunden wa-
des Projektes konnte diese Struktur geöffnet wer- ren. Die Botschaft war hier: "Ihr könnt machen,
den. Strukturell handelte es sich um ein Problem wir haben Möglichkeiten geschaffen und garan-
fehlender Anerkennung. tieren diese." Unglaubwürdig wurde das Projekt-
team gegenüber Nutzerinnen und Nutzern, als
175
Zusagen nicht mehr eingehalten werden konn- 5.4.3 Die Verallgemeinerbarkeit
ten. Die Spitze des Ganzen und die Verkehrung des dekonstruktiven
des Projekts entstand in dem Moment, in dem
aus dem kostenfreien Projekt ein Projekt mit
Planungsprozesses
500 Euro Kaution, verordnet durch die Verwal-
tungsspitze, wurde. Das Projekt "Dietzenbach 2030 - definitiv unvoll-
endet" ging von der Prämisse aus, auf keinen
"Das interessiert uns nicht" Fall ein Leitbild für künftiges Handeln in einer
Bestandteil des Projektes war es auch, die loka- imaginierten Zukunft entwickeln zu wollen. Ver-
le Politik möglichst lange aus dem Verfahren schiedene hier im Projektbericht genannte Grün-
heraus zu halten. Hintergrund war die Befürch- de sprachen dagegen. Statt dessen war das Ziel,
tung, durch lange Debatten im parlamentari- einen Beitrag zur Bewältigung aktueller und ab-
schen und öffentlichen Raum könnte die Reali- sehbarer zukünftiger Probleme 1 6 der Stadt auf
sierung verhindert werden. Ein sicher ernst zu eine Weise zu leisten, die aus den eingefahre-
nehmender Gedanke, der andererseits in der Si- nen Gleisen von Stadtplanung und Politik des
tuation zugespitzter politischer Konflikte in Diet- Versorgungsstaates hinausführen können. Inso-
zenbach zum Desinteresse der politischen Mehr- fern ging es um die Entwicklung eines Weges
heit im Parlament führte. In der Situation, dass für die Stadt Dietzenbach hin zu einer "aktivie-
es einen Bürgermeister mit anderem Parteibuch renden Stadt". In Analogie zum "aktivierenden
als die Mehrheit im Parlament gibt, wurde das Staat" kann man unter einer "aktivierenden
Projekt eher als "Bürgermeisterprojekt" betrach- Stadt" eine Stadt verstehen, die zwar an einer
tet, dessen Scheitern man ihm hätte anhängen öffentlichen Verantwortung für gesellschaftliche
können. Dies strukturierte ebenso die Handlun- Aufgaben festhält, jedoch nicht alle Leistungen
gen des Bürgermeisters und dessen individuelle selbst erbringen muß. Vielmehr sollte sie es als
Risikobereitschaft. Zum Ende des Projekts ge- Aufgabe sehen, die städtische Gesellschaft zu
lang es schließlich, einen Zugang zur Politik zu aktivieren, zu fordern und zu fördern und sich
finden, um das Projekt zu verstetigen. Gespräche selbst als Problemlöser zu engagieren. In dem
mit Parlamentariern, über den Stadtverordneten- Sichtbarmachen und Zutagefördern der für die
vorsteher organisiert, sind nach der Sommer- Stadt potenziell nutzbaren gesellschaftlichen und
pause des Parlaments geplant. stadtplanerischen Ressourcen im Planungspro-

Anarchischer Input 16
Für Dietzenbach relevante Beispiele aktueller wie zukünfti-
Zentrales Merkmal des dekonstruktiven Vorge- ger Herausforderungen, die aber durchaus generalisierbar
hens ist der immer wieder auftauchende "anar- sind, sind etwa folgende: die Ebene der Ökonomie (im
Projektkontext etwa der Dynamik und der Beschleunigung
chische Input" von Unplanbarem. Beispielhaft der Immobilienverwertung), die Möglichkeit staatlicher
sei der Auftritt eines kleinen Jungen genannt, Steuerung (Durchgriffsmöglichkeiten mittels Planung,
der seine Interessen am Hühnerhof in einer Re- finanzielle Situation der Kommunen) und auch die Frage
demographischer Entwicklungen (in einer zunehmend ver-
de im Stadtparlament auf eine Art und Weise änderten Altersstruktur, wie unter dem Gesichtspunkt der
geltend machte, dass sein Anliegen genehmigt Migration). All diese Beispiele führen zur Notwendigkeit,
wurde. sich neuen Anforderungen zu stellen, während gleichzeitig
in Dietzenbach der Korridor der Entwicklungsmaßnahme
in den Köpfen wie in den baulichen Entwicklungen fortbe-
steht. Fragestellungen wie die, was mit der Unvollendet-
heit einer langfristig angelegten Planung in ökonomischen
Krisenzeiten und bei fehlenden Investoren geschieht und
wie man mit dem Resultat (hier: die Brache) einer solchen
Planung flexibel, gebrauchswertorientiert und im städti-
schen Interesse umgeht, ist eine überaus relevante Frage.
176
zess sah das Projekt 2030 ein konkretes, auf problematisiert werden muß. Mit anderen Wor-
die städtische Zukunft gerichtetes Ziel. ten: Sozialer Wandel muß als soziologisches Pro-
Auch wenn die Erfahrungen in Dietzenbach we- blem betrachtet werden, nicht so sehr, weil er
gen ihrer Besonderheiten nicht eins zu eins auf notwendig oder schwierig ist, sondern einfach,
andere Städte übertragbar sind, so hat sich doch weil er weder naturwüchsig noch selbstverständ-
für das Auffinden solcher Ressourcen ein verall- lich ist. (...) Er kann nur als Prozess kollektiver
gemeinerbarer Weg, eine Vorgehensweise ge- Schöpfung verstanden werden, in dessen Ver-
zeigt, die hier als dekonstruktiver Planungspro- lauf die Mitglieder einer bestimmten Gesamtheit
zess bezeichnet wird. (...) eine neue soziale Praxis erlernen, das heißt
Erster Baustein eines solchen Verfahrens ist das erfinden und festlegen, und in dessen Verlauf
Aufspüren eines zentralen Themas der Stadt. sie sich die dafür notwendigen kognitiven, rela-
Zweiter Baustein ist die Konstruktion eines Ex- tionalen und organisatorischen Fähigkeiten an-
periments, das die dekonstruktiven Prozesse eignen."17
auslösen soll. Im Dietzenbacher Beispiel wurde
sich dazu der Stelenreihe und der Kampagne Übersetzt man dies auf die Erfahrungen des
100 qm bedient. Die Stelenreihe bot für viele Dietzenbacher Projekts und die Anforderungen
Gruppen aus unterschiedlichen Motivationen an die Akteurinnen und Akteure, kann man die
heraus die Chance anzuknüpfen, Äußerungen wesentlichen Schlüsse in folgendem Schaubild
kundzutun und Engagement zu entfalten. War zusammenfassen:
es das Thema Boden, das Thema Kunst, das
Thema Geldverschwendung oder auch aktive
Teilnahme am Aufbau, der Zugang war überaus
mannigfaltig und vor allen Dingen offen ange-
legt.
Dass die gewählte Strategie der Dekonstruktion
zu Konflikten führen mußte, lag auf der Hand
und war intendiert, so dass man als dritten Bau-
stein die Konfrontation, den Konflikt und an-
schließende Aushandlungsprozesse nennen
muss. Das Brechen mit Verwaltungsroutinen,
Versuche, eventuell ungeliebte, mindestens aber
andere als gewohnte Gruppen der Stadt zu be-
teiligen, Anforderungen an Bürgerinnen und Bür-
ger zu stellen, die über die Saturierung ihrer
Wünsche hinausgehen, vielmehr Engagement
fordern, und auch politisch dominierte Macht-
und Entscheidungsstrukturen auch nur minimal
in Frage zu stellen, verändern die Wirklichkeit.
Um es mit den Begrifflichkeiten von Crozier/
Friedberg zu benennen:

"Wenn dieser (sozialer Wandel, d. Verf.) auch


eine Antwort auf die Veränderung externer Be-
dingungen ist, so stellt er doch eine menschli- 17
Zit nach: Crozier, Michel/Friedberg, Erhard, Die Zwänge
che Errungenschaft, das heißt eine soziologische kollektiven Handelns, Königstein 1979, hier: Neuausgabe
Neuerung dar, die als solche untersucht und Frankfurt 1993, S.19.
177
Tab. 44. Anforderungen an eine offene, lernende und bürgerschaftliche Kommune

Akteurinnen/ Akteure Verwaltung Politik Bürgerschaft

Anforderung der • Interne Kooperation • Verbindlichkeit • Regelbildung


Verwaltung an... • Geringe Hierarchisie- • Zielkorridore • Verlässlichkeit
rung • Fachliche Argumente

Anforderung der Politik • Monitoring • Offenheit • Verantwortungsüber-


an... • Expertise • Problemorientierung nahme
• Zielerreichung als • Kooperationswille • Risikoübernahme
Maßstab

Anforderung der • Differenzierte • Wahrnehmung jen- • Wahrnehmung von


Bürgerschaft an... Zugänge seits von Gremien Differenz
• Offenheit • Wahrnehmung diffe- • Legitimität von
• Wahrnehmung renzierter Lebens-, Differenz
Einfluss- und Inter-
essenlagen sowie
Organisationsformen

Strukturanforderungen • Kooperation • Öffnung aus dem • Selbstorganisation


an... • Konkrete Ansprech- parlamentarischen • Kooperationswille
partnerInnen Raum • Engagement
• Ermöglichungsort • Selbstverwaltung jen-
• Ansprechbarkeit seits von Staatlich-
• Niedrigschwelligkeit keit denken

Kommunikationsanfor- • Anlassorientierung • Offenheit • Interessenartikulation


derungen an... • Darstellen von Zielen • Bereitschaft zum
• Einholen von Inter- Öffentlichen
essen
ANHANG
6.1 ABBILDUNGS- UND TABELLEN-
VERZEICHNIS

180
1. Einleitung
Titelbild Büro Topos 9

2. Ausgangslage
Titelbild Büro Topos 15

2.1. Entwicklung der heutigen Struktur Dietzenbachs

Tab. 1. Einige Stationen der Entwicklung Dietzenbachs


nach dem Zweiten Weltkrieg Stadt Dietzenbach 17
Abb. 1. Luftbild Entwicklungsmaßnahme Stadt Dietzenbach 21
Abb. 2. Übersicht über die Bebauungspläne in Dietzenbach Stadt Dietzenbach 24
Tab. 2. Chronologische Auflistung von Infrastruktureinrichtungen Stadt Dietzenbach 27
Abb. 3. Bevölkerungsentwicklung in Dietzenbach seit 1945 Stadt Dietzenbach 27
Tab. 3. Bevölkerungsentwicklung nach Stadtteilen und Art
des Wohnsitzes Stadt Dietzenbach 28

2.2 Bewertung der Folgen: Die aktuelle Situation der Stadt

Abb. 4. Schwarzplan: Ortskern Dietzenbach mit Erweiterungen TU Darmstadt 34


Abb. 5. Ortskern Dietzenbach am Stadtbrunnen TU Darmstadt 35
Abb. 6. Dietzenbach Spessartviertel Büro Topos 35
Abb. 7. Schwarzplan: Alter Ortskern Dietzenbach TU Darmstadt 35
Abb. 8. Schwarzplan: Dietzenbach Spessartviertel TU Darmstadt 35
Abb. 9. Schwarzplan Wettbewerbsgebiet TU Darmstadt 36
Abb. 10. Siedlungsrand Stadt Dietzenbach 36
Abb. 11. Ortstrennende Bundesstrasse Büro Topos 37
Abb. 12. Dietzenbach Großwohnanlage Büro Topos 37
Abb. 13. Dietzenbach Blockrandbebauung Büro Topos 38
Abb. 14. Dietzenbach Reihenhausbebauung TU Darmstadt 38
Abb. 15. Stadtbrachen TU Darmstadt 39
Abb. 16. Stadtbrachen TU Darmstadt 39
Abb. 17. Stadtbrachen TU Darmstadt 39
Abb. 18. Innerörtliche Kreuzung TU Darmstadt 39
Abb. 19. Neue Mitte TU Darmstadt 40
Abb. 20. Schwarzplan Soziale Räume Dietzenbachs TU Darmstadt 43
Tab. 4. Durchschnittliches Geburtsjahr nach Quartier J. W. G.-Universität 43
Tab. 5. Wohndauer nach Quartierstypen in Prozent J. W. G.-Universität 44
Tab. 6. Quartierstypen und Kinderanteil J. W. G.-Universität 44
Tab. 7. HLU - Bezug nach Quartierstyp J. W. G.-Universität 45
Tab. 8. Verteilung 'öffentlicher Funktionäre' in den Quartierstypen J. W. G.-Universität 46
Abb. 21. Vorgehensweise Workshopverfahren Baugebiet 70 J. W. G.-Universität 49
181
3. Projektbeschreibung
Titelbild Büro Topos 55

3.1. Zur Vorgeschichte

Abb. 22. Schlampis in Dietzenbach(OSA) TU Darmstadt 56

3.4. Zielsetzungen

Abb. 23. Potential Bürger Stadt Dietzenbach 62


Abb. 24. Dietzenbach Brachfläche Stadt Dietzenbach 63
Abb. 25. Dietzenbach Brachfläche TU Darmstadt 65
Abb. 26. junge Bevölkerung als Potenzial Büro Topos 66

4 Projektrealisierung
Titelbild Büro Topos 69

4.1. Methodik, Strategie und Genese

Abb. 27. Montage der Stelenreihe zwischen den Verkehrachsen Büro Topos 70
Abb. 28. Montage der Stelenreihe durch den Ort Büro Topos 70
Abb. 29. Montage der Stelenreihe als Setzung auf den Brachen Büro Topos 70
Abb. 30. Montage der Stelenreihe Büro Topos 71
Abb. 31. Claimabsteckung Büro Topos 71
Abb. 32. Beuysprojekt aus: 'dokumenta-Arbeit', Ausstellungskatalog
Museum Friederizianum, Kassel Hrsg. Veit Loers und
Pia Witzmann, 1993, S.223 72
Abb. 33. Beuysprojekt aus: 'dokumenta-Arbeit', Ausstellungskatalog
Museum Friederizianum, Kassel Hrsg. Veit Loers und
Pia Witzmann, 1993, S.223 73
Abb. 34. Faltblatt zur Beteiligung
Bildbearbeitung und Grafik Büro Topos Anja Schilder 74 + 75
Abb. 35. Eine Stele als Angebot für jeder/jeden einzelnen BürgerIn Anja Schilder 76
Abb. 36. Transformation der Stelen Büro Topos 77
Abb. 37. Transformation der Stelen Büro Topos 77
Abb. 39. Statistik, Studentenarbeit TUD 80
Abb. 40. Studentenarbeit TUD 81
Abb. 41. 'Chora, Urban Flotsam', Raoul Bunschouten. S. 307 82

4.2. Umsetzung der Stelenreihe

Abb. 42. Bildcollage Anlieferung, Büro Topos (Collage) Anja Schilder 85


Abb. 43. Bildcollage Malaktion, Büro Topos (Collage) Anja Schilder 86 + 87
182
Abb. 44. Bohrer Anja Schilder 88
Abb. 45. Bildcollage Stelensetzung,Büro Topos (Collage) Anja Schilder 89
Abb. 46. Stelenreihe Winter Stadt Dietzenbach 90
Abb. 47. Stelenreihe Sommer Büro Topos 91
Abb. 48. Presseartikel, Ausschnitte Dreiechspiegel 93
Abb. 49. Presseartikel, Ausschnitte Offenbachpost 93
Abb. 50. Presseartikel, Ausschnitte Dreiechspiegel 93
Abb. 51. Stelenentnahme und Versetzung, Bildcollage Büro Topos Büro Topos 94 + 95
Abb. 52. Individuelle Anlage Stadt Dietzenbach 96
Abb. 53. Individuelle Anlage Stadt Dietzenbach 96
Abb. 54. Claimbesetzung TU Darmstadt 96
Abb. 55. Claimbesetzung TU Darmstadt 96
Abb. 56. Öffentliche Grünanlage Anja Schilder 96
Abb. 57. Öffentliche Grünanlage Anja Schilder 96
Abb. 58. Pflanzhilfen Bürger 96
Abb. 59. Pflanzhilfen Anja Schilder 96
Abb. 60. Gedankenstütze Stadt Dietzenbach 97
Abb. 61. Vereinsdarstellung Büro Topos 97
Abb. 62. Vereinsdarstellung Büro Topos 97
Abb. 63. Orientierung Anja Schilder 97
Abb. 64. Orientierung Anja Schilder 97
Abb. 65. Stadteingang, Montage Büro Topos Büro Topos 97
Abb. 66. Paradies auf 100 qm TU Darmstadt 98
Abb. 67. Stadion auf 100 qm TU Darmstadt 98
Abb. 68. Königreich auf 100 qm TU Darmstadt 98
Abb. 69. Faltblatt für die Kampagne 100 qm TU Darmstadt 99
Abb. 70. Büro im Bauwagen Anja Schilder 100
Abb. 71. Standort des Bauwagens Büro Topos 101

4.3 Öffentlichkeitsarbeit

Abb. 72. Personen, die Nutzungswünsche geäußert haben Stadt Dietzenbach 104
Abb. 73. Äußerung von Wünschen- Migrationshintergrund vorhanden? Stadt Dietzenbach 104
Abb. 74. Einteilung Dietzenbachs in Wohnquartiere Stadt Dietzenbach 105
Abb. 75. Anfragen nach Wohnquartieren Stadt Dietzenbach 106
Abb. 76. Nachgefragte Nutzungen Stadt Dietzenbach 107

4.4. Umsetzungen und Umsetzungspläne der Kampagne "100qm"

Abb. 77. Brachfläche TU Darmstadt 110


Abb. 78. Vortrag in der Stadtverordnetenversammlung
Aus dem Film: Dietzenbach sucht seine Mitte Wolf Lindner 111
Abb. 79. Hühnerhof Stadt Dietzenbach 111
Abb. 80. Lageplan TU Darmstadt 112
Abb. 81. Gestaltungsvorschlag für Grabeland Parzellen TU Darmstadt 112
Abb. 82. Stelenentnahme Stadt Dietzenbach 113
183
Abb. 83. Abstecken der Grabelandparzellen Stadt Dietzenbach 113
Abb. 84. Abstecken der Grabelandparzellen Stadt Dietzenbach 113
Abb. 85. Eingereichte Darstellung der Kräuterspirale private Zeichnung 114
Abb. 86. Kinderzeichnung Indianerspielplatz private Zeichnung 114
Abb. 87. Stelenentnahme für Indianertippi Stadt Dietzenbach 115
Abb. 88. Stelen zur Markierung der Fläche Stadt Dietzenbach 115
Abb. 89. Projektskizze für die Anlage von Gärten TU Darmstadt 116

4.5. Die sozialwissenschaftliche Projektbegleitung

Tab. 9. Nennungen von Begriffen der Kategorie Stadtentwicklung J. W. G.-Universität 120


Tab. 10. Stadtentwicklung als Nennung im Zeitverlauf J. W. G.-Universität 120
Tab. 11. Nennungen der Kategorie Gedanken, Diskurse J. W. G.-Universität 120
Tab. 12. Nennungen der Kategorie Eigeninitiative J. W. G.-Universität 120
Tab. 13. Nennungen der Kategorie Boden J. W. G.-Universität 121
Tab. 14. Boden als Nennung im Projektzeitraum J. W. G.-Universität 121
Tab. 15. Nennungen der Kategorie Gartennutzung J. W. G.-Universität 121
Tab. 16. Garten/Grabeland als Nennung im Projektzeitraum J. W. G.-Universität 122
Tab. 17. Kunst als Nennung im Projektzeitraum J. W. G.-Universität 122
Abb. 90. Presseartikel Dreieichspiegel 123
Abb. 91. Pressebild FAZ 124
Abb. 92. Presseartikel Dreieichspiegel 124
Abb. 93. Presseartikel Frankf. Rundschau 124
Tab. 18. Geldverschwendung als Nennung im Projektzeitraum J. W. G.-Universität 125
Tab. 19. Nennungen der Kategorie Stele J. W. G.-Universität 125
Tab. 20. Stele als Nennung über Projektverlauf J. W. G.-Universität 125

4.5.2. Facetten der Differenz und des Reichtums - die Befragung der Stadtbevölkerung

Tab. 21. Prozentualer Anteil Befragte und Stadtbevölkerung J. W. G.-Universität 127


Tab. 22. Wohndauer in Jahren in Prozent J. W. G.-Universität 127
Tab. 23. Wohndauer in Jahren in Prozent innerhalb der Quartierstypen J. W. G.-Universität 127
Tab. 24. Gebürtig in Dietzenbach in Prozent nach Quartierstypen J. W. G.-Universität 127
Tab. 25. Nationalität der Befragten nach Quartierstypen J. W. G.-Universität 128
Tab. 26. Schulabschlüsse nach Quartierstypen J. W. G.-Universität 128
Tab. 27. Beziehungsparameter ausgewählter Dietzenbacher Quartiere J. W. G.-Universität 129
Tab. 28. Häufig besuchte Orte nach Stadtteilen J. W. G.-Universität 129
Tab. 29. Persönliche Zufriedenheit in Dietzenbach nach Quartieren J. W. G.-Universität 130
Tab. 30. Persönliche Zukunft in Dietzenbach nach Quartieren J. W. G.-Universität 130
Tab. 31. In Dietzenbach fehlt... nach Quartieren J. W. G.-Universität 131
Tab. 32. Positiv an Dietzenbach nach Quartieren J. W. G.-Universität 131
Tab. 33. Kenntnis von Bestandteilen aus dem Projekt 2030 J. W. G.-Universität 133
Tab. 34. Kenntnis des Projekts J. W. G.-Universität 133
184
4.5.3 Befragung der Projektteilnehmerinnen und Projektteilnehmer
Abb. 94. Nutzungsvorstellungen J. W. G.-Universität 135
Abb. 95. Nutzungswünsche J. W. G.-Universität 136
Abb. 96. Geburtsjahr J. W. G.-Universität 136
Abb. 97. Geburtsland J. W. G.-Universität 137
Tab. 35. Kinder J. W. G.-Universität 137
Tab. 36. Wohnort nach Stadtteil J. W. G.-Universität 137
Tab. 37. Wohndauer J. W. G.-Universität 138
Tab. 38. Arbeitsort J. W. G.-Universität 138
Tab. 39. Bildungsstand J. W. G.-Universität 138
Abb. 98. Erwerbstatus J. W. G.-Universität 139
Tab. 40. Erwerbsstatus J. W. G.-Universität 139
Tab. 41. Häufig besuchte Orte J. W. G.-Universität 140
Abb. 99. Bild von Dietzenbach J. W. G.-Universität 141
Tab. 42. Positiv an Dietzenbach J. W. G.-Universität 141
Abb. 100. Besonders gut gefällt in Dietzenbach J. W. G.-Universität 142
Abb. 101. Was fehlt in Dietzenbach J. W. G.-Universität 142
Abb. 102. Einschätzung in zehn Jahren J. W. G.-Universität 143
Tab. 43. In Dietzenbach fehlt... J. W. G.-Universität 143

5. Reflektion
Titelbild Büro Topos 151

5.1 Projektergebnisse aus Sicht der Stadt Dietzenbach


Abb. 103. Übersichtsplan: Umgesetzte Projekte Büro Topos 152
Abb. 104. Hühnergehege Büro Topos 153
Abb. 105. Individuelle Gestaltung von Stelen durch Schüler Stadt Dietzenbach 153
Abb. 106. Erste Stelen für den geplanten Abenteuerspielplatz Stadt Dietzenbach 154
Abb. 107. Claimabsteckung Waldstrasse Büro Topos 154
Abb. 108. Übersicht über die Bebauungspläne 46 und 79 Stadt Dietzenbach 157

5.2 Reflexionen aus Sicht des Büros Topos


Abb. 109. Stelenwünsche Anja Schilder 158
Abb. 110. Stelenbeschriftung Anja Schilder 159
Abb. 111. Windräder, Bildcollage Büro Topos Stadt Dietzenbach 161
Abb. 112. Hühnerstall: Kreativer Umgang mit Stelen und Brache Stadt Dietzenbach 162

5.4 Reflexionen aus sozialwissenschaftlicher Perspektive


Tab. 44. Anforderungen an eine offene, lernende, und
bürgerschaftliche Kommune J. W. G.-Universität 177
6.2 LITERATURVERZEICHNIS

185
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• Wentz, Martin; Die kompakte Stadt,
Frankfurt/New York 2000
• Zöllner Christoph; Nichts ist unmöglich. In:
Offenbach-Post 12.04.2003
IMPRESSUM

188
Projektgruppe und Verfasser
Stadtverwaltung Dietzenbach Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt
Fachbereich Stadtplanung und Bauen Fachbereich Gesellschaftswissenschaften
Abteilung Stadtplanung Institute für Gesellschafts- und Politikanalyse
Lic. rer. reg Angela Bernhardt Arbeitsbereich Stadt- und Regionalforschung
Dipl.-Ing. Burkhard Huhn (bis 2002) Prof. Dr. Marianne Rodenstein
Dipl.-Ing. Claas Bigos (ab 2002) Dipl.-Soz. Stefan Böhm-Ott
Dipl.-Ing. Stefanie Rohbeck Petra Günther, M. A.
Offenbacher Str. 1 1 Robert-Mayer-Str. 5
63128 Dietzenbach 60054 Frankfurt/Main
unter Mitarbeit von:
Daniel Grebe Technische Universität Darmstadt
Kathrin Rappenecker Fachbereich Architektur, Fachgruppe Stadt
El Lissitzky Str. 1
Topos, Darmstadt Prof. Stefan Goerner
Büro für Architektur und Stadtgestaltung 64285 Darmstadt
Dipl.-Ing. Barbara Boczek seit 01.09.02 vertreten durch:
Dipl.-Ing. Vasili Saridis Büro mwas, Frankfurt
Taunusstr. 52 Dipl.-Ing. Martin Wilhelm
64289 Darmstadt Dipl.-Ing. Claudia Becker
unter Mitarbeit von: Brönnerstr. 2 2
Dipl.-Ing. Melanie Klaus 60313 Frankfurt
unter Mitarbeit von: Britta Eiermann,
Julia Goldschmidt, Christian Hertweck

Dokumentation
Fotos
Anja Schilder
Fotografin
Frauenlobstr. 40
55118 Mainz
weiter Fotos: Projektteam

Satz und Layout Druck


Büro Topos Lichtpause Eins
Taunusstr. 52 ColoRepro
64289 Darmstadt Bessunger Str. 10
boczek_topos@ web.de 64285 Darmstadt

Lektorat Auflage
Petra Günther, M. A. 80 Exemplare
DIETZENBA C H 20

DEFINITIV U

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