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nachrichten g 3336 31.1.2008 24. jahrg./issn 0945-3946 1,30 ¤
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Während deutsche Politiker uner- rest erhebliche Auswirkungen haben dürf- ckung der Truppenobergrenze.[9] Die
müdlich den Mythos aufrechterhal- te. Zumal bis dahin auch das gesamte NATO hat bereits im Jahr 2007 ihre Ge-
ten, bei der in Afghanistan operie- NATO-Besatzungs- und Aufstandsbe- samtstärke von 31.000 auf 43.000 Soldaten
renden NATO-Truppe ISAF handele es kämpfungskonzept grundlegend überar- erhöht (zusätzlich kämpfen noch Soldaten
sich um eine reine Friedens- und Stabilisie- beitet und verfeinert werden soll. Nicht zu- im Rahmen der US-geführten Operation
rungsmission, wird immer deutlicher, dass letzt können die NATO-Strategen dabei auf Enduring Freedom) und bewegt sich damit
die Entwicklung vor Ort sich in die genau Vorarbeiten diverser Think Tanks zurück- – wenn auch langsam – in Richtung der
entgegengesetzte Richtung bewegt. Denn greifen. Vorschläge des Senlis Council.
bei dem ISAF-Einsatz, an dem gegenwär- Think Tanks drängen auf weitere Wie der Think Tank weiter betont, hät-
tig ca. 3.300 Bundeswehrsoldaten beteiligt Eskalation ten vor allem die „Lerneffekte“ aus dem
sind (Stand 16. Januar), handelt es sich kei- Guerillakrieg im Irak zur Effektivierung
neswegs um einen Entwicklungshilfeein- Schon im November 2006 hatte die kana- des Widerstands beigetragen, indem dort
satz, vielmehr verschiebt sich der Operati- dische Denkfabrik Senlis Council in einem „erfolgreich“ erprobte Kampfmaßnahmen
onsschwerpunkt immer deutlicher in ein Bericht eindringlich vor der sich ver- übernommen wurden.[10]
und dieselbe Richtung: Aufstandsbekämp- schlechternden Sicherheitslage und dem Doch nicht nur den Widerstandsgruppen
fung! Anwachsen des Widerstands gewarnt.[5] dient der extrem blutige Krieg im Irak als
Obwohl die Aufstandsbekämpfung So stieg die Zahl der Selbstmordattentate Vorbild. Ausgerechnet eine Analyse eines
schon lange ein zentrales Element der von 27 (2005) auf 139 (2006), Bombenan- regierungsnahen Think Tanks, Stiftung
ISAF-Operationsführung ist[1], drängen schläge nahmen von 783 (2005) auf 1677 Wissenschaft und Politik (SWP), plädiert
die USA seit einiger Zeit massiv darauf, (2006) zu und auch die direkten Angriffe dafür, die Bundeswehr müsse das von den
sich nahezu ausschließlich auf diese Auf- auf die westlichen Truppen (mit leichten USA im Irak angewandte Aufstandsbe-
gabe zu konzentrieren.[2] Inzwischen deu- Waffen, Granaten etc.) verdreifachten sich kämpfungskonzept für Afghanistan über-
tet alles darauf hin, dass auch die anderen von 1588 (2005) auf 4542 (2006). Im Jahr nehmen. Man müsse sich, so die Autoren
NATO-Staaten – allen voran Deutschland - 2007 erhöhten sich die durchschnittlichen der Studie, Timo Noetzel und Benjamin
dem Ruf Washingtons folgen und so be- monatlichen Auseinandersetzungen noch- Schreer, an der US-Strategie im Irak orien-
wusst eine weitere Eskalation der ohnehin mals um 30%, was Anthony Cordesman, tieren, die sich auszeichne durch die
schon schweren Kampfhandlungen in einer der führenden US-Militärexperten, „Durchführung gezielter Operationen und
Kauf nehmen. Ein wesentlicher Schritt in zu der Schlussfolgerung veranlasst: „Die eine wesentlich breitere Truppenpräsenz in
diese Richtung sind die sich mittlerweile meisten Experten kommen zu dem Ergeb- der Fläche.“ Der Vergleich mit Afghanistan
konkretisierenden Absichten der Bundes- nis, dass sich die Sicherheitslage im Jahr biete sich geradezu an, denn: „Wie im Irak
regierung, die in Nordafghanistan operie- 2007 kontinuierlich verschlechtert hat.“[6] bestehen auch dort [in Afghanistan] klassi-
rende „Quick Reaction Force“ von den Vor diesem Hintergrund schlug der Sen- sche Herausforderungen durch Aufständi-
Norwegern zu übernehmen. Zwar wird of- lis Council in einem neuen Bericht Ende sche, die möglichst wirksam bekämpft
fiziell betont, es sei noch nichts entschie- 2007 Alarm. Dort kam er zu dem Ergebnis, werden müssen. [Deshalb ist] die militäri-
den, da sich allerdings offensichtlich nie- dass die Widerstandsgruppen weiter auf sche Präsenz der Koalitionstruppen in der
mand vordrängelt, scheint die Entschei- dem Vormarsch seien und die „Sicherheits- Fläche und die Durchführung gezielter of-
dung hierfür bereits gefallen, wie der Chef lage mittlerweile die Dimension einer ech- fensiver Operationen gegen radikale Auf-
des Bundeswehrverbandes Bernhard Gertz ten Krise angenommen hat.“[7] Zwar beto- ständische notwendig.“ Generell gehe es
betont: „Es bleibt uns gar nichts anderes nen die Senlis-Leute, dass der große Zu- für Deutschland und die NATO darum, den
übrig. Wir haben die Verantwortung für lauf für die Widerstandsgruppen maßgeb- „Operationsschwerpunkt Aufstandsbe-
Nordafghanistan, und keiner der Partner lich damit zusammenhängt, dass die „inter- kämpfung“ in den Mittelpunkt der Planung
hat sich beworben.“[3] Auch Rainer Ar- nationalen Entwicklungs- und Wiederauf- zu rücken – von der ohnehin primär auf
nold, der verteidigungspolitische Sprecher baubemühungen unterfinanziert und ohne dem Papier existierenden Entwicklungs-
der SPD-Fraktion, gibt an: „Diese Aufgabe signifikante Auswirkungen auf die lokalen hilfemission ist nicht mehr viel übrig ge-
wird im Sommer auf Deutschland zukom- Lebensbedingungen waren.“ Ferner blieben.
men.“[4] kommt die Studie zu dem Ergebnis, dass In diesem Kontext beklagen die SWP-
Nach der Entscheidung zum Einsatz von sich der Großteil des Widerstands aus „ar- Autoren, die Situation würde dadurch „er-
Bundeswehrtornados im umkämpften Sü- mutsgetriebenen ,Graswurzelgruppen‘“ schwert, dass ISAF im Norden nur sehr be-
den Anfang 2007 und der Beteiligung an und nicht aus islamistischen Fundamenta- schränkt über einsetzbare Kräfte zur
umfangreichen Kampfhandlungen in listen zusammensetzt. Dennoch plädiert Durchführung offensiver Operationen oder
Nordafghanistan unter deutschem Ober- der Think Tank für eine massive Eskalation zur Reaktion auf Angriffe verfügt.“ Dies
kommando im Herbst letzten Jahres, ist der westlichen Kriegsführung, indem er gelte auch und besonders für Deutschland,
dies nun der dritte „Meilenstein“, mit dem fordert, die ISAF-Truppenstärke auf insge- das schließlich das Oberkommando in
sich Deutschland innerhalb nur eines Jah- samt 80.000 Soldaten zu erhöhen und Nordafghanistan innehabe. Doch genau in
res immer tiefer in die Kriegsführung am gleichzeitig nationale Vorbehalte (caveats), diesem Bereich sehen die SWP-Strategen
Hindukusch verstrickt. Selbst SPD-Mann die teils die Teilnahme an umfangreichen Licht am Ende des Tunnels: „Anstoß zur
Arnold sieht in dem Bundeswehreinsatz Kampfhandlungen einschränken bzw. ver- Veränderung bietet sich mit dem angekün-
eine „neue Qualität“; und in der Tat handelt bieten, abzuschaffen.[8] Gemäß eines Um- digten Abzug der norwegischen schnellen
es sich hierbei um eine Richtungsentschei- lageschlüssels würde dies für Deutschland Eingreiftruppe der QRF: Würde Deutsch-
dung, die auch für die geplante Neufassung eine Verdopplung des gegenwärtigen Kon- land diese Kräfte ersetzen, verfügten die
des Afghanistan-Konzeptes zum nächsten tingents erfordern, und tatsächlich fordern deutschen Kommandeure künftig über Fä-
NATO-Gipfel Anfang April 2008 in Buka- bereits verschiedene Politiker eine Aufsto- higkeiten, die ihnen eigenständige und mit
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