Als Beihefte der Zwe·imonatsschrift POLITISCHE STUDIEN liegen vor: Beiheft 10 der Zweimonatsschrift POLITISCHE STUDIEN

1 Günther Müller, König Max 11. und die soziale Frage,

112 S., DM 9,80.

2 Heinrich Bennecke, Die Reichswehr und der "Röhm-Putsch",

96 S., DM 9,80.
PETER AURICH
3 Otto Strasser, Der Faschismus - Geschichte und Gefahr,
112 S., DM 12,-.

4 Franz Josef Stegmann, Von der ständischen Sozialreform

zur staatlichen Sozialpolitik, DER
187 S., DM 16,80.

5 Stefan T. Possony, Der Casus Belli der NATO,

DEUTSCH-POLNISCHE
36 S., DM 3,80.
SEPTEMBER 1939
6 XIII. Politischer Club Tutzing (Hrsg.), Umstrittene Pressefreiheit,
88 S., DM 9,80.

7 Feo Jernsson, Das Ostdeutschtum vor der Entscheidung, Eine Volksgruppe zwischen den Fronten
96 S., DM 12,-.

8 Manfred Worm, SPD und Strafrechtsreform,

160S., DM 12,80.

9 Hans F. Zacher, Sozialpolitik und Menschenrechte

in der Bundesrepublik Deutschland,
78 S., DM 9,80.

10 Peter Aurich, Der deutsch-polnische September 1939,

148 Seiten mit 12 Bildtafeln, DM 16,-.

11 KurtWedl, Der Gedanke des Föderalismus in Programmen

politischer Parteien Deutschlands und Österreichs,
232 S., DM 20,-.

12 Cordula KoepGke,Oder-Neiße - Die Pflicht zur Entscheidung,

ca. 160 S., DM 14,80. GüNTER OLZOG VERLAG MüNCHEN - WIEN

•
Bildnachweis: Archiv des Ostdeutschen Kulturrats (4), Bundesarchiv (3), Burghardt, K. H.
INHALT
Fenske (3), J. G. Herder-Institut, Marburg (2), W. Kohte, Wemer Zimmermann (2)

Einleitung 5
Unter polnischem Gesetz 19
Das" Vorspiel" vom Frühjahr 1939 19
Minderheitenerklärungen unwirksam 20
Verschärfung der Spannungen . 21

Im Vorfeld des Zweiten Weltkrieges 24

Parolen und Gerüchte • 25
Kundgebungen - Verhöre - Verhaftungen 27
"... bis zur Vernichtung gefährdet'" 28
Die Rolle der polnischen Presse 31
Konfessionelle Nebentöne . 36
Massenverhaftungen verursachen MassenfIucht 40
"Schwarze Listen" von Galizien bis Pommerellen 42
Rückwirkungen auf die polnische Minderheit in Deutschland 45

Weg ohne Ziel 48

An den Straßen nach Low:icz 49
Das Schicksal der Posener Verschleppten 54
Die Internierten aus Kleinstädten . 58
In der Zitadelle von Brest-Litowsk 63
Endstation Bereza Kartuska 65

Im Niemandsland zwischen Netze und Weichsel 71

Die Entwicklung der Militäroperationen 71
Der "Bromberger Blutsonntag" 73
"Die Psychose hat große Augen'" 75
Kirchturm-Legenden 79
Aus Sicherungshaft wird Menschenjagd 82
"Geiselfestnahme nicht erforderlich" 86
Jägerhof - Eichdorf - Jesuitersee . 88
Beiderseits der Rückzugsstraßen an der Weichsel 92
Die dezimierten kleineren Gemeinden 95
ISBN 3 7892 7006 7
2. durchgesehene Auflage 1970
Auf Polens Fahnen vereidigt 100
© 1969 by Günter Olzog Verlag, München 22.
Alle Rechte liegen beim Verlag. Nachdruck, auch auszugsweise, ist ohne Einwilligung des In den Tagen der Mobilmachung 101
Verlages nicht statthaft, Schwarze- und rote Stempel 104
Gesamtherstellung: Buchdruckerei Amold Hanuschik, München 23. Bis zum bitteren Ende 106
 108 Einleitung
Spielball der Mächte oder "Fünfte Kolonnc"?
Zweierlei Maß 109
Selbstschutz und Sabotage 112 Am 1. September 1969 sind dreißig Jahre seit dem Tage vergangen, an dem mit dem
Kommando-Unternehmen in OS und am Jablunka-Paß 114 Angriff der deutschen Wehrmacht auf Polen der Zweite Weltkrieg begann, der bei den,
Briefmarken als Belastungsmotiv 118 dem Angegriffenen wie dem Angreifer, die schwerste Niederlage ihrer Geschichte
Das »Merkblatt" des Majors Prinz Reuss 119 bringen sollte.
»Geheimsender in Bäumen und Grüften" 121 Auch jetzt, nach einem Menschenalter, tragen beide Völker noch die schwere Last der
Folgen dieser Katastrophe, mögen auch äußere Umstände - die Westversmiebung
Menschlichkeit an den Straßen des Krieges 126 Polens und die anhaltende Wirtsmaftsblüteder Bundesrepublik Deutschland - ihr
volles Ausmaß manchmal in Vergessenheit geraten lassen. Aufbeiden Seiten ist die
135 Erkenntnis gewachsen, daß die Feindschaft mit den Höhepunkten von Krieg, Okku-
Quellen und Literatur
pation, Vernichnungsmaßnahmen, Enteignung und Vertreibung zahlreichen Angehöri-
gen bei der Völker unendliches Leid gebracht hat, das dturm das Interesse oder das
Anhang 1: Deutscher Text des im Bildteil veröffentlichten
Prestige des einen oder des anderen Volkes und Staates nie gerechtfertigt werden kann.
Internierungsbefeh.ls 143
Darüber hinaus besteht heute auf beiden Seiten Klarheit darüber, daß es die vor
dreißig Jahren beiderseits so oft beschworene »deutsch-polnische Erbfeindsdiafl" in der
Anhang 2: Todesfälle volksdeutseher Zivilpersonen im September 1939
144 Gesdüchte nicht gegeben hat, sondern daß das friedliche, gewiß nicht spannungslose
(Karte)
Zusammenleben beider Völker den Normalzustand in der tausendjährigen Geschichte
145 der Beziehungen darstellte, die Gegnerschaft und schließlich Feindschaft des späten
Personenverzeichnis
19. und des 20. Jahrhunderts aber den Ausnahmezustand. Er ist außerdem nicht ein-
mal für das letzte Jahrhundert typisch.
Die Erkenntnis, daß die Zukunft unseres Kontinents von der Bereitschaft aller seiner
Völker zu einem friedlichen, die Rechte und die Eigenheiten des anderen berücksich-
tigenden und achtenden Miteinander abhängt und durch ein erneutes Gegeneinander
in die endgültige Katastrophe geführt werden kann, ist eine der positiven Erfahrungen
des Zweiten Weltkrieges und seiner Folgeerscheinungen. Ein solches Miteinander kann
aber nicht allein auf der Grundlage prakcischer Erfordernisse und auf dem Willen
zum Bessermachen aufbauen. Dazu gehören auch die Kenntnisse der Vergangenheit,
die durch das Verschweigen negativer Erscheinungen nicht einfach verdrängt werden
kann, und das Vertrauen in die beiderseitige Wahrhaftigkeit und Redlichkeit bei ihrer
Darstellung ebenso wie bei ihrer Überwindung. Aus diesem Grunde, nicht um anzu-
klagen, zu rechtfertigen und zu verteidigen, hat sich die Historisch-Landeskundliehe
Kommission für Posen und das Deutschtum in Polen, deren Vorstand die drei Unter-
zeichneten bilden, entschlossen, einen der schwierigsten und umstrittensten neuralgi-
schen Punkte der deutsch-polnischen Beziehungen des 20. Jahrhunderts neu ze unter-
suchen: Das Schicksal der Deutschen in Polen in den ersten Wochen des Zweiten Welt-
krieges.
Auf beiden Seiten sind hier schon vor dem 1. September 1939 und mehr noch danach
Mauernder Unwahrhein.des Hasses und der Verleumdung aufgerichtet worden, die
dem gegenseitigen Verständnis und der Verständigung ,im Wege stehen und an denen
durch unbedachte oder 'bewußte Wiederholung von Unwahrheiten und unbewiesenen
Behauptungen auch nach dreißig Jahren gelegentlich noch weitergebaut wird. Wäh-

5
rend die eine Seite aus den Deutschen in Polen Agenten, Spione und "Diversanten"
machte die zum Teil noch inden ersten Kriegstagen ihre gerechte Strafe durch den
Tod gefunden hätten, den Tod gänzlich unverdächtiger Menschen aber verschwieg oder
sogar strikt ableugnete, hat die andere Seite das Leid der Getöteten zur Rechtfe~gung
der eigenen Unmenschlichkeit und zur Untermauerung der Thes: vo.m "polnIschen
Untermenschen" ausgenutzt und die bewußt erlogene Behaupoung in die Welt gesetzt,
es seien insgesamt 58000 Deutsche in Polen nachweislich getötet worden oder würden
noch vermißt. Diese lügenhafte, durch nichts zu rechtfertigende Zahl wurde durch
einen Erlaß der Reichsregierung vom 7. 2. 1940 *) als verbindlich und unantastbar
festgesetzt und durfte trotz besseren Wissens während des Krieges nicht in Frage
gestellt werden. Sie ist sogar noch in lange nach dem Kriegsende erschienene Dar-
stellungen übernommen worden,**) während ein. polnischer Wisse~sch~~ler mühelos
ihre Lügenhafligkeit und ,ihre Entstehung nachweisen konnte, dabei freilich der Ver-
suchung unterlag, die Zahl der Getöteten auf ein weit unter der Wirklichkeit liegendes
Minimum herabzudrücken- ***)
Auf der einen Seite die Behauptung, die Deutschen in Polen hätten den Armeen Hitlets
als Fünfte Kolonne" gedient urrd hätten ihr gerüttelt Maß an Schuld an der über
Erwarten schnellen Niederlage des polnischen Heeres und damit auch an dem ihr
folgenden furchtbaren Schicksal des polnischen Volkes unter der deutschen Besetzung.
Auf der anderen Seite die Lüge der bewußt verzehnfachten Zahl der zunächst gemel-
deten Todesopfer und die Betonung, nur Grausamkeit und Mordlust "polnischer
Untermenschen" hätten die Blutopfer verursacht -die Mauer des Mißtrauens und der
Verleumdung schien zunächst weder abtragbar noch übersteigbar.
Die einst in Polen lebenden Deutschen, heure dezimiertundin alle Welt verstreut, in
einer großen Gruppe inder Bundesrepublik Deutschland lebend, mußten und müssen
am meisten unter ,diesem Gegensatz leiden, haben sie es dodi lange Zeit als eine ihrer
besonderen Aufgaben angesehen, nicht nur am eigenen Volkstum festzuhalten und es
auch in einem fremden Staat zu pflegen, damit dem Vorbild ihrer polnischen Nachbarn
folgend, sondern auchzwisch,en bei den Völkern zu vermitteln, Brücken zu schlagen
und Verständnis für die andere Seite zu erwecken.
Für sie für ihr Selbstverständnis und ihr Verhältnis zur eigenen Geschichte ist es des-
halb besonders wichtig, die Wahrheit zu wissen und auszusprechen, mag sie auch oft
immer noch unbequem und hart sein. Nur die Wahrheit, die nichts beschönigt und
keinen neuen Legendenbildungen Vorschub leistet, aber auch nicht anklagt und verur-
teilt sondern zu erklären versucht, was dem Handelnden, dem Leidenden und dem
Zeugen oft unverständlich war, kann schließlich zur Einsicht und zur Verständigung
führen. Dabei halben wir das Vertrauen und die HoffllJUng,daß andi polnische und
keinem der bei den Völker angehörende Historiker sich von dem g1leichenStreben lei-
ten lassen. Die überlas:sung eines Mikrofilms der Kartei der "Zentrale für Gräber
') Abschrift des Fernschreibens des Reichsministers des Inneren an die "Gräberzentrale"
Ich t W'edergabe bel Pospleszalskl - s. Anm .••• - S. 121.
Im Besitz der
U t
•• nerze ne en. F Idzug 1939 in Polen; die Operationen des Heeres. WeiBenburg (1958)S. 45.
I.
••• ~ ~~~~:a~~~a~Opr:~~:~z~r~kl:eSprawa 58000 "Volksdeutsch6w". Spro~towanie hitl.erowskich osz~ze~tw.
(Th f 58 000 Volksdeutsche". An investigation into nazi ctatms concernmg losses of t e er-
ma~ :;;~~~rfty In pOländ betore and durlng September 1939.) Documenta occupationis VII, Posen 1959.
ermordeter Volksdeutscher" in Posen, deren Original sich heute im Besitz des Pose-
ner Westinstituts 'befindet, an das Bundesarchiv war ein deutliches Zeichen für die
dieser Hoffnung.
Beredltig1l1111g
Gleich nach dem September 1939, oft unmittelbar nach der Heimkehr aus Gefängnis,
Verscbleppu11lg,KriegsgeEa11lgensch.aftund Internierung, haben viele dem Tod entgan-
gene Augenzeugen ihre Erlebnisse niedeligeschrieben oder ei11lgehendeZeugenaussagen
vor Gerichtsoffizieren oder bei amtlichen Vernehmungen gemacht. Es kann als weit-
gehend sicher angenommen werden, daßa:lle diese Aussagen, soweit sie das persönliche
Erleben betreffen, subjektiv wahrheitsgetreu und objektiv lichtig sind, zumal Beein-
flussungen durch die nationalsozialistische Propaganda in den ersten zwei Monaten
nach rdem September noch wenig wirlksam W'aren. Soweit es sich um das Schick-
sal anderer, mit dem Berichtenden nicht verwandter Personen und um Zahlen handelte,
sind vielleicht Irrtümer und Verwechslungen, auchunbewußte Übertreibungen nicht
auszuschließen.
Seitens der deutschen Volksgruppe in Polen hat man zunächst unter dem Eindruck
des Geschehenen Verdust- und Vermißtenmeldungen. Berichte und Erlebnisdarstellun-
gen gesammelt. Mittelpunkt war die Zentrale ·rur Gräber ermordeter Volksdeutscher
in Posen, ,für deren Tätigkeitzunäch.st Pastor Lic. Karl Berger und Dr. Kart Lück
verantwortlich waren. In der bereits erwähnten Kartei erfaBte siezunächst die Ver-
mißten zusammen mit den namentlich bekannten Toten; an der Sorgfalt ihrer Arbeit
ist nicht zu zweifeln.
Heeresdienststellen und Polizeieinheiten des Reichs begannen unmittelbar nach dem
Einmarsch mit der Untersudmngdes Geschehenen. Während diese noch lief und in
kriminalistischer GriinldlichkJeit weitergeführt wurde (der zusammenfassende Bericht
wurde erst 1942 vom Reichskriminalpolizeiamt herausgegeben; der verantwortliche
Kriminalkommissar Dr. Wehner hat sich noch 1961 zur fachl:ichen Zuverlässigkeit der
dJamal'~gen Uncersuchuegsmethoden bekannt), begannen schon die standrechtlichen
Erschießungen von polnischen ZiV'irLpersonen, deren Welle in Bromberg schon am
Sonntag, dem 10. September einen ersten Höhepunkt erreichte, und die blutige
Tätigkeit der "EinsatiZgruppen", an der sich auch Angehönlge des rasch aufgestellten
Seilbstsdlutzes der deutschen Volk~gruppe 'beteiligten. Etwas lälllger dauerte es naeur-
gemäß, bis ordentliche Gerichtsverfahren in Gang kamen.
In Berlin hegann gleichzeitig die Propaganda, die den Angriff auf Poilen und die
brutale Härte des Vergehens zu rechtfertligen suchte. Sie nutzte die Möglichkeiten, die
ihr die Meldungen über immer neue Freilegungen von Opfernder Versdrleppungs-
märsche bis in den Winter hinein boten, sah sich alber bald der Aufgabe gegenüber,
sich mit den Meldungen auseinanderzusetzen, :die über die Erschießungen und Zwangs-
aussiedlungen von Polen ins AusIan'd durchsickerten. Die Verbreitung von Berichten
und Darstellungen über die blutigen Verluste der deutsdien Volksgruppe in Polen
schien das rechte Mittel zu sein: Kurz vor dem Jahresende 1939 erschien die Schrift
"Die polnischen Greueltaten an den Volksdeutschen in Polen. Im Autftrage des Aus-
wärtigen Amts auf Grund urkundlichen Beweismallerialszusammengestellt". In ihr
wurde (aller Wahrscheinlidtkeit nach auf Grund der Angaben der Posener Kartei) die
Zahl von 5437 Opfern genannt. Nach allem, was sich rückblickend sagen läßt, ent-
sprach sie tatsächlich dem damaligen Zahlenstand der Kartei, mag allerdings die da-
mals noch ungeklärten Fälle mit enthalten. Gegenüber den ohne Zweifel viel höheren
Zahlen polnischer Opfer deutschen Blutvergießens in den letzten Monaten des Jahres
1939 mußte die Zahl aber als viel zu gering erscheinen. Deshalb wurde durch den
erwähnten Erlaß vom 7.2.1940, dem nach glaubwürdigen mündlichen Berichten ein
persönlicher Eingriff Hitlers zugrundelag, angeordnet, daß in Zukunfl die Zahl der
"mit Sicherheit identifizierten Ermordeten" 12857, die der Vermißten mit 45000
anzugeben sei. Die im Februar 1940 erschienene 2. Auflage und eine erweiterte Aus-
gabe unter dem Titel "Dokumente polnischer Grausamkeit" bringen dementsprechend
auf Blättern, die dem eigentlichen Text vorangestellt und offenbar unmittelbar vor
der Auslieferung eingefügt sind, diese Zahlen. Später war bald nur noch von 58000
Toten die Rede. Daß diese Zahl falsch war, war allen Beteiligten innerhalb der Volks-
gruppe klar, zumal die Riesenzahl der Vermißten nicht zu den ursprünglichen Ver-
mißtenmeldungen vom Herbst 1939 paßte. Jedoch hielten viele, einschließlich der
Unterzeichneten, die durch die Autorität einer "klassischen" Behörde, des Auswärtigen
Amtes, gedeckte Zahl von 12857 für richtig. Die erste und zweite Auflage der "Greuel-
taten" und Teil III der "Dokumente" stimmen überein. Den Inhalt bilden fast aus-
schließlich Berichte und Vernehmungsprotokolle aus der Tätigkeit der kriminalpolizei-
liehen und wehrmachtsgerichtlichen Untersuchungskommissionen der ersten Wochen
nach dem September-Feldzug. Mögen die überschriften, die stilistische Fassung, die
redaktionelle Aufmachung oder die Auswahl durch propagandistische Gesichtspunkte
bestimmt sein, - in ihrem sachlichen Gehalt wird man diese Aussagen unmittelbar
Beteiligter als eine zeitnahe Quelle anzusehen haben.
Lehrreich ist aber ein Blick auf die Teile I, II und IV der erweiterten Ausgabe; sie
behandeln "die Errichtungder polnischen Gewaltherrschaft in den Deursdiland geraub-
ten Gebieten", "den Ausrottungskampf des polnischen Staates gegen das Deutschtum"
und "polnische Kriegsgreuel an deutschen Soldaten". Hier wird eine harte Tendenz
sichtbar, die sich im September noch nicht so stark durchgesetzt hatte: den polnischen
Kriegsgegner zum "Erbfeind" und zum "Untermenschen" zu stempeln, bei dessen
Unterdrückung sittliche Bedenken nicht am Platze seien. Für die Verbreitung dieser
Tendenz boten die Nachrichten über das blutige Geschehen in zahlreichen deutschen
Siedlungen und während der Verschleppungsmärsche ein nur allzu erwünschtes Pro-
pagandamaterial. Wenn auch diese Teile und die Zahlenangaben als Quelle ausschei-
den,an der Glaubwürdigkeit der eigentlichen Aussagen ändern sie nichts, zumal diese
durch andere Berichte bestätigt werden.
Trotzdem sind ·die Berichte dieser Dokumentensemmlung, der das Odium der falschen
Zahl und der propagandistischen AJufmadllUng anhaftet, hier nUll"in wenigen (insge-
samt vier) Fällen herangezogen worden. Im ersten Fall (S. 91192) gab es für die
Erschießungen am Jesuitersee überhaupt nur zwei Zeugen, die nach dem Kriege nicht
wieder aufgefWlden und erneut bef~ werden konnten. Im zweiten Fan (S. 124)
8 9
handelt es sich um den Bericht einer internationalen Xrztekommission und in den
beiden letzten Fällen (S. 130 und 131) sind es Berichte über Hilfeleistungen von Polen
gegenüber Deutschen, die ganz sicher über jeden Verdacht der Beeinflussung erhaben
sind, hätte es doch dem propagandistischen Zweck eher gedient, solche Fälle der
Menschlichkeit zu verschweigen.
Diesen offiziellen Veröffentlichungen von Zeugenaussagen stehen eigene Erlebnis-
herichte der unmittelbar Betroffenen gegenüber, die vom Herbst 1939 bis in
den Sommer 1940 erschienen. Diese Gruppe umfaßt zahlreiche, unter dem frischen
Eindruck der vorangegangenen Schrecken und im Gefühl, von einem schweren
Druck befreit zu sein, spontan niedergeschriebene Erlebnissdiilderungen, oft von
Pastoren und Pfarrfrauen verfaßt, von denen viele den Unterzeichneten persönlich
bekannt sind. Diese Schilderungen sind häufig in kirchlichen Veröffentlichungen oder
in Kalendern, wie dem Landwirtschaftlichen Kalender, gedruckt worden und propa-
gandistisdi nicht beeinflußt. Ihre Verfasser, die in dien Herbstmonaten des Jahre"
1939 noch vertrauensvoll an eine bessere ZukWlft und an deutsdie Gerechtigkeit und
Rechtlichkeit glaubten, wurden oft schon wenige Wochen später eines Schlechterer
bel ehrt und sahen fassungslos auf die nationalsozialistische Gewaltpolitik gegenüber
der polnischen Bevölkerung, die sie keinesfalls billigten, die sie aber, oft selbst wegen
ihrer kirchlichen Haltung schwer gefährdet, auch nicht verhindem konnten.
An der Wahrhaftigkeit dieser Aussagen kann keinerlei Zweifel bestehen; sie sind
auch nach dem Krieg von den noch Lebenden voll aufrechterhalten worden, gelegent-
lich mit dem Zusatz, daß das eigene Leid nun in der Rückschau klein erscheine
gegenüber dem Leid und Unrecht, das bald darauf den polnischen Nachharn zuge-
fügt wurde. Das Literaturverzeichnis hat in der Gruppe V einen Teil dieser Berichte
aufgeführt (z. B. Berger, Hein, Horst, KammeI, Liske, Nehring, Rhode, Vogt).
Erst in einer dritten Gruppe von Veröffenelichucgender J AAre 1940/42, deren Ver-
fasser meist nicht dem Deutschtum in Polen angehörten, überwiegen die propagan-
diseisdien Akzente auch in der Darstellung der Ereignisse, so daß sie nicht als zu-
verlässig angesehen werden können. Sie sind hier aber überhaupt nicht verwendet
worden und erscheinen auch nicht im Literaturverzeichnis. Im Lauf des Jahres 1940
trat das Thema für die deutsche Seite langsam zurück, nicht aber für 'die polnische,
die zunächst ,in Frankreich, dann wirksamer in London langsam wieder ihre Pro-
paganda aufbaute. Die Behauptung, am Morgen des 3. September hätten die Deut-
schen in Bromberg einen Aufstand gegen das polnische Heer versucht, ist schon
bald nach den Ereignissen verbreitet worden und hat zusammen mit der Behauptung
von der Verräterrolle der deutschen Volksgruppe in Polen 1941 in der von der
Londoner Exilregierung 1941 verbreiteten Schl"ift "The German F,ifth column in
Poland" ihren Niederschlag gefunden, 1945 in der "Faktomontage" von Kolodziej-
czyk (vgl. Literaturverzeidmis).
Dennoch scheint über den "Bromberger Blutsonntag" nachdem Kriege keine feste
und einheitliche Meinung auf polnischer Seite bestanden zu haben. Ein aus der Vor-
kriegszeit bekannter nun in England 'lebender Publizist, J. Giertydi, richtete nach
Pressemeldungen 1949 an General Bortnowski die Aufforderung, er möge seinerseits
mit Sachkenntnis zur Frage der Ereignisse in Bromberg Stellung nehmen.
Diese Nachrichten veranlaßten den einstigen Schriflleiter der sozialdemokratismen
.Lodzer Volkszeinmg" und späteren Stadtarchivar von Lodz, Otto Heike, die Sam-
lage aud; deutsdierseits neu ,~u untersuchen, Er wandte sich analle Personen, von denen
Berichte in den Zasamrnenstellungen des Auswärt]gen Amts von 1940 oder andern-
orts veröffentlicht worden waren und deren Anschriften sich zehn Jahre später noch
ermitteln ließen, underrief in den Heimatblättern weitere Zeugen auf. Er konnte -
ungeachtet der damaligen Schwierigkeiten - an hundert neue Aussagen sammeln;
eine Anzahl der Befragten bezog sidi ausdrücMich auf die Aussagen von 1939 und
bestätigte deren Wahrheit. Diese Beridstssammlnng wurde in den folgenden Ja:hren
fortgeführt und später dem Bundesarchiv ühergeben; sie bildet eine wesentliche
Quelle für die vorliegende Schrift; ihre Berichte werden gewöhnlidi nur mit "BA."
zitiert.
Speziell den Fragen des "Bromherger Blutsonntags" widmete Anfang der 60er Jahre
Marian Hepke, früher in Bromberg Smfiiftleiter an der "Deutschen Rundschau in
Polen" ,eine gründliche Untersuchung, die die polnischen Veröffentlichungen aus-
wertete, deutsche Zeugen ermittelte und befragte und minutiös in Einzelheiten ging.
Hepke,der 1968 verstarb, hat Teilergebnisse in der Zeitschrift "Der Westpreuße"
veröffentlicht; sein umfangreiches Manuskript - heute gileichfalls im Bundesarchiv -
ist in der vorliegen/den Smrift ausgewertet worden,
Der Umfang des blutigen Gesch.ehens und ,die Zahl seiner Opfer unter den Volks-
deutsdien war aber weiter nimt genau bekannt und ibHeb strittig. Eine Klärung war
nur von der wichtigsten Quelle hierfür zu erwarten, der Kartei der Posener Gräber-
zentrale, di,e 1945 an das Westinstitut (Instytut Zadiodni) in Posen gelangt war.
Das Bundesarchiv in Koblenz nahm sich aufgrund eines Antrages der Historisch-
Landeskundlichen Kommission für Posen und das Deutschtum in Polen vom Okto-
ber 1955 der Sache an und konnte durch Vermittlung des damaligen Generaldirek-
tors der Staatlichen Archive Polens, Henryk Altmam, einen Mikrofilm dieser Kartei
erhalten, Die Überlassung verdient um so höhere Anerkennung, MS etwa gleichzeitig
Prof. Karol Marian Pospieszalski sein oben (Anmerwnlg*** S. 6) zitiertes Rum "Die
Frage der 58000 Volksdeutschen" herausgebracht hatte, das sich gleichfalls wesent-
lich auf die Kartei stützt und dessen kritische Unrersudrung nun möglich wurde.
In einer neuen umfrungreimen Aktion") wurden nun alle Wissensträlger befragt, die
in der Bundesrepublik noch ermittelt werden konnten, Dem Bundesarchiv liegen die
Ergebnisse einer Befragung mittels Fragebogen von 6106 Personen vor, sowie rd.
400 Erlebnisberidire, in .denen die Berichterstatter die Erlebnisse jener Tage aus ihrer
Sicht sowie ihr eigenes Schicksal bzw. das ihrer Angehörigen oder anderer Personen
schildern. Soweit diese Berichte in der vorliegenden Smrift rz,itiert werden, ist der
Fundort ebenfalls mit "BA." angegeben. In diesem Material sind 3841 Angehörige
*) Für Ihre Durchführung Ist besonders Hlrrn Hans von Spaeth-Meyken zu danken.
der deutschen Volksgruppe in Polen, die in den ersten September-Tagen 1939 durch
Gewalttaten ihr Leben verloren haben, namentlich aufgeführt, und zwar in jedem
Einzelfalle durch mehr als einen Zeugen benannt, hiervon 2063, die im Heimatort
oder in seiner Nähe auf gewaltsame Weise ihr Leben verloren, 1576, die auf einem
Verschleppungsmarsch ums Leben kamen und weitere 202, die die Folgen von Ver-
sdileppung oder Mißhandlung nicht überlebten, Alle Personen, die durch Kampfhand-
lungen, Bornben u. ä. ums Leben kamen, sind dagegen in dieser Zahl nicht enthalten,
ebensowenig die zum polnischen Heere eingezogenen und nicht heimgekehrten Sol-
daten.
Die Zahl 3841 bleibt auch hinter der ersten, im Herbst 1939 genannten Zahl 5437
beträchtlich zurück, dürfte diese (in 'der ja zn jenem Zeitpunkte auch Fälle echten
Irrtums nicht ausgeschlossen werden konnten) dodi der Größenordnung nach etwa
bestätigen, wenn man sich vor Augen hält, daß von vornherein nicht 'damit gerechnet
werden konnte, daß nach über 20 Jahren Wissensträger für alle Geschehnisse im
Gebiet der Bundesrepublik Deutschland aufzufinden seien, Wenn auch die Zahl der
Getöteten und Vermißten sich wch bei sorgfältigster Arbeit nicht mehr genau feststel-
len läßt, so wird man sie doch bestimmt zum wenigstenzwischen 4000 und 5000 an-
setzen müssen.
Die Befragungerga!b jedenfalls, daß auch die Zahl von ,,12857 idenoifizierten
Ermordeten", die in der im Auftrag des Auswärtigen Amtes herausgegebenen zwei-
ten Auflage des Dokumentenwerkes in der Einleitung genannt wurde und die zahl-
reiche Deutsche in Polen in gutem Glauhen während des Krieges und danach für
richtig hielten, manipuliert und bewußt gefälscht war.
Mit diesen Feststellungen einer traurigen Statistik und einer g,eschichtlichen Lüge
sind aber die Probleme des Schicksals der Deutschen in Polen zur Zeit des Kriegs-
ausbruchs noch nicht gelöst. Durch die Stichworte "Bromberger Blutsonnrag" , '"Fünfte
Kolonne", "V,erschleppung" und "Diversion" sind vielmehr weitere Fragen ange-
deutet, deren Erforschung einen wesentlichen Bestandteil der neuesten Geschichte des
Deutschtums in Polen und ,derdeutsch-polnischenBeziehungen bildet.
Nach dem Abschluß dieser Befragung hat deshalb eine Gruppe von Forschern nicht
nur ihre Auswertung begonnen, sondern auch versucht, allen Vorwürfen der Agen-
ten-, Spionage- und Sabotagetärigkeir durch Deutsche in Polen sorgfältig nachzu-
gehen mit der unwandelbaren Absicht, die tatsächlich vorgekommenen Fälle solcher
Tänigkeit nicht nur nicht zu verschweigen, sondern soweit möglich bis ins letzte
aufzuklären. Weitere Aufgruben bestanden in der Klärung des Schicksals der Deut-
schen in Polen vor dem Kriegsausbruch. in der sorgfältigen Analyse aller polnischen
Darstellungen der Täügkeiteiner "Fünften Kolonne", der Erfassung der Verhaftun-
gen und Verschleppungen, und inder Analyse des Ablaufes der Kampfhandlungen
auf beiden Seiten, soweit in ihnen Sabotage, Diversion und Panik eine Rolle spielen
konnten. Die Ergehnisse ldieser Forschungsarbeit sollen in einem umfangreichen
Sammelwerk vorgelegt werden,
11
Angesichts der Fülle des gesammelten und durchzuarbeitenden Materials und der
Notwendigkeit, allen Behauptungen über die "Fünfte Kolonne" und den "Brom-
berger Aufstand" sorgfältig nachzugehen und eine Klärung bis in die letzten Einzel-
heiten hinein zu versuchen, zeigte eseidi aber, daß dieses Sammelwerk nicht vor
Ende des Jahres 1970 im Manuskript fertiggestellt sein und mithin frühestens 1971
vorgelegt werden kann. In jedem Ball muß bei der Behandlceg so schwieriger und
kontroverser Fragen das Streben nach äußerster wissensch:afl:licher Genauigkeit dem
Streben nach einer baldigen VeröffeIlltlic:huDigvorangestellt werden. huf eine Ver-
öffentlichung noch im Herbst 1969 mußte deshalb vernichtet werden.
Um aber diesen Jahrestag nicht ohne jede sachliche Stellungnahme vorübergehen zu
lassen und das Feld allein neuen Legendenbildungen von beiden Seiten zu über-
lassen, hat sich die Kommission entschlossen, die wichtigsten bereits vorliegenden
Ergebnisse ,in einer kürzeren Schri.ft vorweg zu veröffentlichen. In ihr sollte in erster
Linie das Schicksal der Deutschen in Polen im September 1939 mit seiner Vorge-
schichte im Sommer dargestellt werden, ohne daß auf die Statistik der Opfer näher
eingegangen wurde. Diese soll, einschließlich der Versuche, die Frage der Vermißten
zu klären, dem Sammelwerk vorbehalten bleiben. Notwendig schien es aber, sich
auch jetzt 'schon mit dem Vorwurf der "Diversion", Sabotage und Agententätigkeit
auseinanderzusetzen, soweit das in einem knappen Rahmen möglich ist. Die Vor-
bereitung dieser Schrift hatte im Herbst vorigen Jahres Dietrich Vogt übernommen,
der frühere Direktor des Posener Sc:hillergymnasiums. Als Teilnehmer am Verschlep-
pungsmarsch der Posener Deutschen nach Zlak6w Borowybei Kutno war er selbst
Augenzeuge, ais Mitglied der Forschungsgruppe hatte er die Darstellung der Vcr-
schleppungsmärsche aus Posen-Pommerellen übernommen unId kannte das gesammelte
Material ebenso wie die immer umfangreicher werdende Literatur. Kurz nach dem
Beginn der Arbeiten an dem Manuskript erkrankte er schwer und starb a:n
18. Januar 1969 in Berlin.
An seiner Stelle konnte erst im Frühjahr 1969 Peter Aurich als Verfasser gewonnen
werden, ein Autor, der selbst dem Deutschtum in Polen entstammt und sich in
früheren Veröffentlichungen 'besonders um Verständnis und Versöhnung mit den
Nachbarn im Osten bemüht hat. Er sah sich vor die sdiwierige Aufgrube gestellt, sich
in kurzer Zeit mit dem umfangreichen Material vertraut zu machen und ein druck-
fertiges Manuskript vorzulegen. Mit vollem Recht hat er dabei umfangreiche Aus-
einanderseteurigen mit den Behauptungen über die "Diversioos"-un'dSabotagetätigkeit
ebenso wie die Klärung der Fragen vermieden, wieweit denn eine solche Tätigkeit
überhaupt in den Feldzugsplan der Wehrmacht und in den Ablauf der Kampf-
handlungen paßte und wo und inwieweit die rasche Niederlage der polnischen
Armeen und die überall immer wieder ausbrechende Panik tatsächlich mit einer
Aktivität hinter der Front begründet werden könnte.
Er hat sich vielmehr im wesentlichen darauf beschränkt, die Dokumente selbst
sprechen zu lassen, mit ihrer Aussage die Vorkr.iegsschicksale und die Kriegsgeschichte
verschiedener Gruppen des Deutgehrums in Polen darzustellen und zu zeigen, wie in
12
vielen Fällen Angst, Panik, grenzenlose Enttäuschung und gewissenlose Propaganda
Menschen zu Untaten gegenüber ihren Mitmenschen und Nachbarn trieb, deren
andere Sprache und nanionales Bekenntnis sie plötzlich zu Todfeinden stempelten.
Im Mittelpunkt steht dabei die tragische und oft ausweglose Situation von Menschen,
die einem Staat angehörten, der sie als potentielle und bei Kriegsausbruch als wirk-
liche Feinde behandelte, von Menschen, die unter dem Gesetz eines Staates standen,
das im Frieden nicht immer leicht zu erfüllen und nicht selten ungerecht war, das
mit dem Kriegsausbruch aber zur tödlichen Bedrohung werden konnte und oft wurde.
Ihr Schicksal verständlich zu machen, das Leid und die ausweglose Verstrickung
zwischen zwei feindlichen Gewalten zu zeigen, ist das Hauptanliegen dieser Schrift.
Daß sie keine Anklage gegen das polnische Volk oder einzelne seiner Glieder erheben
will, zeigt das Bemühen, die Erscheinungen der Menschlichkeit, der Hilfeleistung von
Polen gegenüber Deutschen indem Chaos des Hasses nicht zu vergessen, sondern
sie ausdrücklich hervorzuheben. *)
Während des Krieges und auch heute noch ist das Schicksal der Deutschen in Polen
oft mit dem Begriff des "Bromberger Blutsonntags" identifiziert worden, über den
am meisten Legenden verbreitet und auch geglaubt worden sind. Dabei hat den
Erfindern und Verbreitern der Legenden von weit über 1000 getöteten Deutschen
allein in Bromberg einerseits und von einem bewaffneten hinterhältigen Aufstand
der Bromberger Deutschen andererseits offenbar selten das tragische Geschick der
Toten und ihrer Angehörigen vor Augen gestanden, sondern der propagandistische
Zweck. trat in den Vordergrund - hier die Anklage gegen die Polen im allgemeinen
und die polnische Bevölkerung Brombergs im besonderen als Mörder und Totschlä-
ger, dort die Anklage gegen die deutsche Bevölkerung Brombergs und ihre geheim-
nisvollen, angeblich von außerhalb kommenden Helfershelfer, von denen aber in
allen Behauptungen über den angeblichen Aufstand nicht ein einziger mit Namen
genannt oder gar identifiziert wird.
Es hätte nahegelegen. die Bromberger Ereignisse als besonders spektakulär, bekannt
und umstritten in den Mittelpunkt dieser Schrift zu rück.en und sich vor allem' auf
sie zu konzentrieren. Eine solche, vielleicht das Sensationsbedürfnis befriedigende
oder zumindest möglichen sensationell aufgemachten Darstellungen entgegentretende
Konzentration auf den 3. und 4. September in Bromberg ist aber bewußt vermieden
worden. In Bromberg und seiner nächsten Umgebung ist nur etwa ein Fünftel der
insgesamt zu beklagenden Toten ums Leben gekommen, und der Tod am Heimatort
unter der Beschuldigung der "Diversion", der Spionage usw., wie es für die Brom-
berger Opfer charakteristisch ist, bildet bei den Verlusten des übrigen Deutschtums
*) Dabei sind noch zwei weitere Quellenwerke der belden ersten Kriegsjahre herangezogen worden, die
.Dokumente zur Vorgeschichte des Krieges". hrsg. vom Auswärtigen Amt, und die von dem 1942 gefalle-
nen Kurt LOck zusammengestellte Berichtssammlung "Volksdeutsche Soldaten unter Polens Fahnen".
Ersteres war notwendig, weil die Akten zur Deutschen Auswärtigen Politik nicht alle Berichte aus Polen
wiedergeben, wAhrend eine Verlflzlerung der Berichte im Polnischen Archiv des Auswärtigen Amtes
aber aus ZeltgrOnden nicht möglich war. Ohne das zweite Sammelwerk hätte auf das Kapitel Ober die
deutschen Soldaten Im pOlniSchen Heer verzichtet werden müssen, da Ober diesen Komplex keine
neuen Befragungen vorgenommen wurden.
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außerhalb der Stadt und des Kreises Bromberg nicht die Regel. Ein großer Teil dieser
Opfer ist zunächst verhaftet, abtransportiert und verschleppt worden und meist fern
vom Heimatort, oft ohne Zeugen, ums Leben gekommen. Diese Tatsache machte schon
1939 genaue Feststellungen so schwierig, ließ und läßt den Tod vieler Menschen, deren
Leichen oft erst nach langer Zeit aufgefunden wurden, im ungewissen, gab vielen Hin-
terbliebenen noch lange Zeit Hoffnung und eröffnete unbeweisbaren Behauptungen
weiten Spielraum.
Andererseits zeigt diese Tatsache auch, daß die polnischen Zivil- und Militärbehörden
keine Massenerschießungen oder Kriegsgerichtsverfahren planten, sondern daß sie
bestrebtwaren, Personen, die ihnen verdächtig oder gefährlichersch.ienen, durch
Verhaftung und Abtransport auszuschalten. Sehr rasch entglitt ihnen aber jegliche
Lenkung und Kontrolle, und in der zwischen Zuversicht, Großsprecherei, Angst und
Panik schwankenden Stimmung kam es zu meist unorganisierten Untaten kleinerer
verhetzter Gruppen oder gar einzelner.
Daher ist der "Blutsonntag" hier nur in einem Abschnitt als ein besonders hervor-
ragendes, nicht aber als das Ereignis im Schicksaldes Deutschtums in Polen im Sep-
tember 1939 behandelt worden. Polnische propagandistisch gefärbte Darstellungen
gehen gerade umgekehrt vor; sie konzentrieren sich gänzlich auf Bromberg, weil man
hierglauht, den "Aufstand", die "Diversion" als das auslösende Moment, als die
Schuld der Opfer kennzeichnen zu können, übergehena:ber gänzlich die Erschießung
von Verschleppten, die doch aUlf dem Marsch, erschöpft und halb verhungert, un-
möglich Spionage oder Diversion betrieben haben konnten und die Erschießung der
männlichen deutschen Bevölkerung ganzer Dörfer wie Sockelstein bei Wr.eschen oder
Slonsk in der Weichselniederung, die beide keinesfalls Objekte irgendeines Aufstan-
des oder einer militänischen Aktion sein konnten.
Mit den zahlreichen zum Teil sehr widersprüchlichen Darstellungen des angeblichen
"Bromberger Aufstandes" wird sich das erwähnte Sammelwerk eingehend und gründ-
lich auseinandersetzen und deutlich machen, daß es sich hier um eine Legende han-
delt,del"en Entstehung ähnlich erklärt werden kann wie die Legende von den
belgiseben Franctireurs in Löwen zu Beginn des Ersten Weltlkrieges.*)
Da Bromberg aber schon jetzt zu einem zentralen Problem mancher Darstellungen
geworden ist, kann einiges vonwegnehmend festgestellt werden:
1. In der strategischen Prlanung der Wehrmacht spielte die Einnahme von Bromberg
überhaupt keine Rolle. Der Vorstoß der 4. Armee mit ihren Panzerkeilen ging viel-
mehr nördlich an Bromberg vorbei, mit dem Auftrag, so rasch wie möglich die
Weichsel zu erreichen, was .ihr auch schon am Abend des 2. September gelang. Am
3. September 'gab es vor Bromberg fast keine Kampftäcigkeit, und erst am späten
Vormittag des 5. September wurde die Inzwischen von polnischen Truppen geräumte
Stadt durch das IH. AK. besetzt. Es war also absoLut unnötig und widersinnig, in
Bromberg am 3. 9. einen Aufstand zu entfachen, wenn man idiesen nicht sofort
.) Siehe Peter Sch6Uer: Der Fall Löwen und das Weißbuch. Eine kritische Untersuchung der deutschen
DOkumentation über die Vorgänge In Läwen vom 25. bis 28. August 1914. Köln / Graz 1958.
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massiv von 3lUßerhaJh unterstützte, und das, um eine strategisch unwichtige Stadt
zu besetzen, die einem ohnehin in kurzer Zeit kampflos zufallen mußte,
2. über andere völkerrechtlich unzulässigen oder widerredirlidien Unternehmungen
zu Beginn des Krieges wie über den inszenierten angeblichen polnischen überfall
auf den Sender Gaeiwlitz, ilber das Vorgehen des Freikorps Ebbinghaus in Ober-
schlesien oder über das Kommando-Unternehmen am J3Iblunka-Paß ist von Betei-
ligeen, zum Teil noch während des Krieges, 'Z'UIOl
Teil danach beriditet worden, und
zwar ausführlich und oft mit einem gewissen Stolz. Nichts dergleichen ist bei Brom-
berg bekannt, obwohl sim unter den angeblich Vel"hafteten 'zahlreiche vonaußerhalb
eingeschleuste "Aufständische" befunden haben so1len, die noch am Abend des 3. Sep-
tember angeblich wieder freigelassenwurden,
3. Nach Kniegsende sind aufgrund des Regierungsdekrets vom 31. August 1944 vor
einem Senderstrafgericht in Thorn in Iden Jahren 1945/46 insgesamt 1782 Strafver-
fahren gegen Deutsche und Polen aUISPommerellen und dem Nordteil Posens ein-
geleitet worden, die verschiedener Verbrechen ,gegen die Interessen des polnischen
Volkes angeklage waren, Obwohl d'3ibei auch kleinere Vergehen unter Anklage ge-
stellt wurden - z. B. daß ein Deutscher lin Kulmseein SA-Uniform Polen gezwungen
hatte, ihn zu grüßen -, ist kein einziges Verfahren wegen der Teilnahme am "Auf-
stand" oder wegen irgendeiner "Diversion" erwähnt,") Es ist nahezu ausgeschlossen,
daß bei so weitreichenden, das Gesamtverhalten während des Knieges bewertenden
Ermitrlungen gerade alle Ank:lagen wegen eines "Aufstandes" unterlassen wurden,
wenn nur die geringste Beweisunterlage vorlag. Es ist auch nicht bekannt geworden,
daß die Regierung der Votlksrepublik Polen auch nur ein einziges Auslieferungsgesuch
an die Westmächte oder die Bundesrepublik Deutschland wegen der Teilnahme an
einem "Aufstand" oder an irgendeiner "Div,ersion" geridiree hat. Auch das wäre
zweifellos geschehen, wenn der geringste Beweis vorgelegen hätte.
Zu den gegen die Deutschen in Polen gerichteten Anklagen gehört audi die Betonung,
daß sie die einmarschierendendeucschen Truppen begeistert als ihre Befreier begrüße,
daß sie ihnen Hilfe geleistet und sich ihnen als Dolmetscher, Wegweiser, Begleiter
u. ä. zur Verfügung gestellt hätten. Dies und das ,in verschiedener Form ausgespro-
chene Bekenntnis 'zum NacionalsozialismUisder großen Volkstumsorganisationen
wird als Indiz für eine Tätigkeit als "Fünfte Kolonne" angesehen. Selbstverständlich
sind die ersten Behauptungen richtig. Wie hätten sich aber auch Menschen, die zu-
mindest seit April 1939 wegen ihres Bekenntnisses zum Deutschrum ständi:gange-
griffen, benachteilige und schließlich bis aufs äußerste :bedroht worden waren, anders
verhalten sollen? Daß nach der Befreiung von einem ungeheuren physischen und
psychischen Druck 'Spontane Treuebekenntnisse zum Deutschen Reich und zu Hitler
ausgesprochen wurden, auch von Vertretern der Kirche, die der Welkanschauung des
Narionalsczsalismusablehnend gegenüberstanden, war nur natürlich, und Fand seine
.) Janlna Wo)clechowska: Przestepcy hitlerowscy przed specjalnym sadem karnym w Torunlu
5 1945-1946) (HItIerverbrecher vor dem Sonderstrafgericht
Freisprüchen.
In Thorn) Thorn 1965. Bd. VI, Heft 2 der Studla
urldlca. Von den 1159 In den Jahren 1945/48 entSchiedenen Verfahren endeten übrigens 423°/.
'
mit
lS
Parallelen selbst dort, wo es sich nicht um Deutsche handelte, etwa in Nordostpolen,
Litauen und Lettland im Sommer 1941.
Was das Bekenntnis zum Nationalsozialismus angeht, so ergab sich das im allgemei-
nen logisch und zwingend aus dem Bekenntnis zum Deutschtum und aus der fast
mythischen Verehrung, die das Deutsche Reich bei den Auslandsdeutschen in Ost-
mitceleuropa genoß, wobei Mängel und innere Widersprüche von jenseits der Grenze
nicht gesehen oder bewußt übersehen wurden.
Es war für eine kleine, weit verstreute und keine geschilosseneEinheit bildende Volks-
gruppe ganz unmöglich, am Deutschtum festzuhalten und sich zugleich in bewußten
und schaden Gegensatz zu dem zu setzen, was bei der Hauptmasse des Volkes und
in dem idealisierten Deutschen Reich geschah, besonders nach dem Anschluß Oster-
reichs. Nur weit entfernte Deutschtumsgruppen mit einer starken kulturellen und
wirtschaflilichen Eigenständigkeit konnten diesen Weg der bewußten Absonderung
gehen, für alle anderen gab es nur die Alternative der Angleichung an das Geschehen
im Deutschen Reich, mit Modifikationen 'und Vorbehalten aller Art, oder des be-
wußten Bekenntnisses zu einer anderen staatlichen Gemeinschaft bei der Gefahr des
allmählichen Absinkens der deutschen Sprache dieser Gruppe zu einer reinen Haus-
sprache.
Daß manche Angehörige des Deutschtums in Polen nach 1939 auch den "Herren-
menschen" herauskehrten und sich bei der Unterdrückung ihrer bisherigen polnischen
Nachbarn unrühmlich hervortaten, ist eine nicht zu leugnende beschämende Tat-
sache; sie beweist aber nichts für die Haltung der weit überwiegenden Mehrheit der
Volksgruppe im Sommer und September 1939, der übrigens nach 1940 von den
Parteidienststellen immer wieder" Weichheit", "Sentimentalität", "unbedachtes Ein-
treten für die Polen" vorgeworfen wurde. Bezeichnend ist, daß kein einziger Ange-
höriger des Deutschtums in Polen nach 1939 in höhere Führungsstellen von Partei
und Staat in den "eingegliederten Ostgebieten" oder im "General-Gouvernement"
aufstieg und daß sogar fast alle mittleren Führungspositionen mit Zuwanderern aus
dem Reich besetzt wurden.
Im übrigen waren die Opfer, wie eine Listeder namentlich festzustellenden Toten
zeigen könnte und wie auch die in dieser Schrift wiedergegebenen Auszüge zeigen, nur
zu einem kleinen Tell politisch oder in irgendeiner Organisation tätig. über 600 der
namentlich festgestellten Opfer waren älter als 60 Jahre und schon deshalb kaum
als politische Aktivisten einzuordnen,ebensowenig wie die 50 Kinder unter 15 Jah-
ren. Bekenntnisse einer Organisation zum Nationalsozialismus vor oder nach 1939
und Einbeziehung in die VerschJ.eppung und Verstrickung in das Schicksal des Sep-
tember 1939 standen also in keinem ursächlichen Zusammenhang. Nur von der Seite
der die feindliche Stimmung anheizenden Presse und von den mehrfach auftreten-
den erregten Volksmengen wurde die Gleichsetzung Niemiec-hitlerowiec (Deut-
scher= Hideraahänger) automatisch und unüberlegt vorgenommen.
Dem Autor und den Unterzeicpnecen wird vielleicht der Vorwurf gemacht werden,
16
daß in dieser Schrift wie in dem vorbereiteten Sammelwerk der gewaltsame Tod von
weniger als 4000 Menschen und das ungewisse Schicksal einer weiteren nicht sehr
großen Zahl über Gebühr in den Vordergrund gestellt werde und daß diese Ver-
luste nichts besagten vor den Millionenverlusten, die das polnische Volk durch deut-
sche Schuld unmittelbar anschließend erlitten hatte, von den Mordaktionen gegen-
über den Juden ganz zu schweigen. Selbstverständlich kann und soll keinen Augen-
blick vergessen werden, was nachfolgte und welche großen Opfer die polnische Be-
völkerung durch die systematische Dezimierungs- und Ausrottungspolitik erlitt. Es
wird in dem vorgesehenen Sammelwerk auch ausdrücklich auf die grausamen" Ver-
geltungsaktionen" z. B. in Bromberg am 10.9.1939 eingegangen werden, soweit sie
im Zusammenhang mit den Opfern der ersten Kriegstage standen. In dieser Schrift
war es aus Raum-und Zeitgründen nicht möglich, sie zu behandeln, doch muß der
Leser diese Racheaktionen immer mitbedenken,an denen sich auch Angehörige der
deutschen Volksgruppe in sogenannten Selbstschutzorganisationen beteiligten, was
nicht verschwiegen werden soll. Gleichzeitig muß aber festgehalten werden, daß
dieser Vorwurf nur einen Bruchteil derer treffen kann, die einmal dem "Selbstschutz"
angehörten. Ein Kollektivurteil verstieße hier gegen die Wahrheit.
Darüber hinaus ist aber die grausame Ausrottungspolitik gegenüber dem polnischen
Volk in zahlreichen Darstellungen und Dokumentenwerken auch in deutscher Spra-
che so eingehend geschildert worden, die Kenntnis davon ist, nicht zuletzt durch
Schulunterricht und Presse, so weitgehend Allgemeingut des Wissens, daß eine er-
neute ausführliche Schilderung - abgesehen von den erwähnten unmittelbaren "Ver-
gelcungsakrionen" - nicht mehr nötig erscheint, ganz abgesehen davon, daß sie die
Thematik gänzlich verschieben würde.
Schließlich aber sind Leid, Tod, Schicksal und tragische Verstrickungen in ihrer Wir-
kung und ihrer Bewertung nicht von der Zahl der Leidenden und Getöteten ab-
hängig. Weder löscht der Tod von Hunderttausenden den Tod von Tausenden aus,
noch vermag er ihn zu rechtfertigen, und das Leid der Angehörigen wird dadurch
nicht geringer, daß danach oder gleichzeitig Zehntausende andere das gleiche oder
gar noch ein härteres Schicksal erlitten haben. Wollte man die Zahl hier zu einer
entscheidenden Kategorie machen, dann müßte jede Geschichtsschreibung unter einer
bestimmten Zahlenschwelle irrevelarite Dinge behandeln!
Es kann und soll hier wie später niemals um das Aufrechnen von Totenzahlen gehen,
die lediglich im Dienste der Wahrheit festgehalten werden müssen. Es geht vielmehr
um die wahrheitsgemäße Darstellung des Schicksals von Einzelmenschen und einer
Menschengruppe, die mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges als erste zwischen
Hammer und Amboß geriet, verstrickt in Ereignisse, die sie nicht hervorgerufen
hatte und die sie nicht zu beeinflussen vermochte, obwohl sie einerseits der Politik
Hitlersein Alibi für seinen Angriff liefern mußte und andererseits zum Objekt
nationalen Hasses und chauvinistischer Ausschreitungen wurde. Der Wahrheit zu
dienen und der weiteren Verbreitung von Legenden entgegenzutreten ist das eine
Anliegen dieser Schrift wie des geplanten Sammelwerkes.
17
 r
Das andere alber ist es, die tragischen Konsequenzen deutlich zu machen, die sich
aus der ObenpillZu11ig des NationaIstaatsgedooJkens für das Deutschttum in Pollen
ergeben halben, die sidi aber ebenso für andere andersnationale oder anderskonfessio-
nelle Gruppen im militanten Nationalstaat ergeben halben und weiter ergeben müs-
sen. Die Konsequenz in einer immer enger werdenden und immer mehr auf Z'USam-
menarbeit angewiesenen Welt kann in der Zukunft nicht die Liquidierung oder
gewaltsame Erutfemungder »Unerwünschten" sein, die ü'berall in der Welt, ob in
Europa, Biafra, Israel oder wo 'auch immer nur neues Leid, Haß und Unterdrückung
hervorruft. Sie kann nur inder Erkenntnis bestehen, ,daß Wege der Verständigung,
des AU~gileichsund der gegenseitigen Toleranz gefunden werden müssen, besonders
auch 'bei Polen und Deutschen.
Die Kenntnis der Irrwege wie des Irrwegs vom Septemlber 1939 kann das Finden
neuer Wege erleichtern, die Kenntnis des Leidens und tralgischen Schicksals der Ver-
gangenheit kann dazu beitragen, daß neues Leid und neue tralgischreVerstrickungen
vermieden werden.
Richard Breyer Wol/gang Kohte Gotthold Rhode
•
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Unter polnischem Gesetz
»Der Herr Staatspräsident hat sich an alle Bürger Polens, also auch an uns Deutsche,
gewandt. Wir stehen unter polnischem Geseoz. Wir wissen, daß sich niemand von uns
zu Handlungen hinreißen lassen wird, die der ganzen Volksgruppe zum Verderben
gereichen müssen. Als getreue Söhne unserer Heimat haben wir diese Situation zu
überstehen, die für alle Völker wahrhaft tragisch ist, nicht zuletzt für uns Deutsche
in Polen ... Wir haben der ganzen Härte eines nicht von uns heraufbeschworenen,
aber auch nicht durch uns selbst abwendbaren Schicksals, wir haben selbst dem Tod
ins Angesicht zu sehen ... " 1)
Es gibt kaum ein einprägsameres - ein die Situation des Deutschtums in Polen bei
Beginn des Zweiten Weltkrieges besser kennzeichnendes Dokument, als diese Sätze
aus einem Leitartikel von Gotthold Starke, den die Bromberger »Deutsche Rundschau
in Polen" am 2. September neben dem Aufruf des polnischen Staatspräsidenten ver-
öffentlichte. Bereits am Vortage war Chefredakteur Starke - wie zahllose Deutsche
in allen Teilen Polens - kaum daß er jene Zeilen in die Setzmaschine diktiert hatte,
verhaftet worden, hatten Tausende anderer Deutscher in Gefangenenkolonnen und
Verschleppungszügen den Weg nach Osten, ins »Nirgendwo" antreten müssen, wäh-
rend die polnische Presse lang und breit darüber berichtete, daß jetzt »,der Marsch
nach Berlin und Ostpreußen" begonnen habe.t)
GotthoZd Starkes denkwürdiger Kommentar, sein beschwörendes Abschiedswort »Wir
stehen unter polnischem Gesetz" fassen gleichsam zwei Jahrzehnte deutschen Schick-
sals in Polen in einer kaum knapper denkbaren Form zusammen. Seine in diesem Zu-
sammenhang zum Ausdruck gebrachte prophetisch-bittere Erkenntnis» Wir haben dem
Tod ins Angesicht zu sehen" freilich konnte im vollen Ausmaß ihrer Bedeutung noch
von niemandem ermessen werden.
Nur darüber waren sich alle im klaren: Zwei Jahrzehnte deutsch-polnischen Mitein-
anders und Gegeneinanders, zwei Jahrzehnte innen- und außenpolitischer Ausgleichs-
bemühungen, aber auch Fehlentscheidungen und menschliche Trugschlüsse waren am
Punkt ihrer »Gesamdösung" angelangt.
DAS" VORSPIEL" VOM FRÜHJAHR 1939
Eine solche »Gesamt:lösung" hatte auch HitZer noch im Januar unter den Aspekten
einer friedlichen Übereinkunft 1m Auge, als er den Plan eines von Deutschland ange-
führten ostmitteleuropäischen Mächtebundes entwarf, der allerdings ein deutsch-pol-
nisches Bündnis nur zum Zwecke der angestrebten Waffenbrüdersch.aft gegen die So-
wjetunion einschloß,") Um dieses Projekts willen blieben Hitlers Forderungen gegen-
über Polen in gewissen Grenzen: Danzig sollte an Deutschland zurückfallen, wobei
') .Deutsche Rundschau in Polen", Nr. 200, vom 2. 9. 1939.
2) .Nach Berlln .•. , die Unseren marschieren nach Berlln, die Armee Posen unter General Kutrzeba .•.
Unsere Divisionen sind schon In Ostpreußen einmarschiert ... " Aus Jerzy Putraments Roman
.WrzeHslen" (September), deutsche Ausgabe im Verlag Volk und Welt, Ost-Berlln 1957 Seite 346ft.
3) Vgl. ans Roos: .Polen und Europa", Tüblngen 1963 (2. Auflage), Seite 381. '
19
 r
die polnischen Interessen durch einen Freihafen und einen exterritorialen Zugang ge-
sichert werden sollten. Zur überbrückung des Korridors und zur dauernden Sicher-
stellung einer Landverbindung zwischen Pommern und Ostpreußen sollte eine ex-
territoriale Straßen- und Eisenbahnverbindung geschaffen werden. Dafür war Hitler
bereit, Polens Grenzen zu garantieren und das Nichtangriffsabkommen von 1934 auf
25 jahre zu verlängern. Er erwartete von Polen, daß es dem Antikomintern-Pakt
beitrete, womit zugleich die eigentliche Ausrichtung des Arrangements angedeutet war.
Hitler zeigte sich darüber hinaus sogar bereit, die Karpatenukraine - auf Grund
eines lange und beharrlich verfolgten polnischen Wunsches nach einer gemeinsamen
Grenze - Ungarn zu überlassen.
Demgegenüber glaubte die polnische Regierung, stark genug zu sein, diese Vorstellun-
gen glatt ablehnen zu können. Warschaus Botschafter in Berlin, Lipski, beharrte im
Auftrage von Außenminister Beck auf der Feststellung, "daß besonders die Einver-
leibung der Freien Stadt Danzig ins Reich unweigerlich zu einem Konflikt führen"
würde. Obwohl diese Zuspitzung des deutsch-polnischen Verhältnisses nicht sofort
publik wurde, klaffle von diesem Zeitpunkt an in den Beziehungen ein Riß, der bald
um so tiefer wurde, als aus Kußerungen der polnischen Presse, des Rundfunks und der
Generalität immer deutlicher wurde, daß zumindest die herrschenden Kreise in Polen
eine Rückgliederung Danzigs an das Reich als untragbar ansahen,")
An Danzig, das schon für Pilsudski ein Prüfstein der deutsch-polnischen Atmosphäre
gewesen war, entzündete sich der schwelende Konflikt um so mehr, als weder ein
Gespräch Becks mit Hitler in Berchtesgaden (Anfang Januar 1939) ROchder Besuch
Ribbentrops am Ende des gleichen Monats in Warschau trotz einer vorübergehenden
Kornpromißbereitschafl Becks eine Annäherung der Standpunkte gebracht hatte. Auch
amerikanische und britische Einflüsse verstärkten die polnische Entschlossenheit, Hit-
lers Vorschläge abzulehnen.
Die Krise brach dann Mitte März offen aus, als Hitler Böhmen und Mähren besetzte
und seine Forderungen an Polen in Form eines unbefristeten Ultimatums stellte. Die
deutsche "Umklammerung Polens" im Norden und Süden wurde durch das Nach-
geben Litauens in der Memelfrage und durch die militärische Beherrschung der Slo-
wakei für jedermann offenkundig. Die sich daraus ergebende Bündnisverflechtung
zwischen Polen und Großbritannien löste zweifellos Hitlers Entschluß mit aus, Polen
mit militärischen Mitteln auszuschalten.
Indessen bedeutete dieser Entschluß nur den Schlußstein einer Entwicklung, die auf
einer anderen Ebene - auf einer Art "Nebenkriegsschauplatz" - zu diesem Zeitpunkt
bereits in das Stadium der offenen Auseinandersetzung eingetreten war und den
deutsch-polnischen Beziehungen ihre unverwechselbare Färbung gegeben hat: im Be-
reiche der Volkstumsfrage, die schon seit 1937 durch ein erbittertes diplomatisches
Ringen gekennzeichnet war.
') Wir folgen bel dieser Darstellung Im wesentlichen zwei Aufsätzen von Dr. Rlchard Breyer in den Zeit-
schriften West-östliche BegegnunIl" (Heft 6/1959. Seite 711.) und .Der Kulturwart" (Heft 96/1969), vgl. auch
Rlchard Breyer: .Das Deutsche ReIch ••nd Polen 1932-1937", Würzburg 1955.
20
MINDERHEITENERKLÄRUNGEN UNWIRKSAM
Nachdem sich der in Versailles festgelegte schwache Minderheitenschutz als wenig
praktikabel erwiesen hatte und durch Deutschlands Austritt aus dem Völkerbund
im Jahre 1933 nahezu unwirksam geworden war, stimmte Polen der Minderheitcn-
erklärung vom 5. 11. 1937, die den beiden Volksgruppen ein erträgliches Dasein
garantieren sollte, in Verbindung mit einer entsprechenden Danzig-Erklärung des
Reiches noch einmal ausdrücklich zu. In Wirklichkeit entpuppte sich dann der zu-
nächst auch von Außenminister Beck noch ehrlich angesteuerte "psychologische Durch-
bruch zu einer neuen Aera der Minderheitenpolitik" bald als Illusion.
Obwohl es in der Außenpolitik - nämlich im Zuge der Sudetenkrise und auf Kosten
der Tschechoslowakei - noch einmal zu engen Kontakten zwischen Deutschland und
Polen kam, versteifte sich Warschaus Haltung, nicht zuletzt unter Einwirkung der
polnischen Presse in der Frage der Minderheitenbehandlung, immer mehr.
Insbesondere brachte die polnische Regierung der von deutscher Seite wiederholt an-
gestrebten "Entpolitisierung der Minderheitenfrage", die darauf abzielte, "beider-
seitige Beschwerden aus der Sphäre der diplomatischen und pressemäßigen Erörte-
rungen herauszunehmen" und sie einem Ausschuß von Sachverständigen bei der Re-
gierungen anzuvertrauen, nicht die geringsten Sympathien entgegen. Selbst eine ent-
sprechende Beschwerde der polnischen Minderheit im Reich konnte die Warschauer
Diplomatie nicht dazu bewegen, die deutschen Vorschläge aufzugreifen, sich also mit
Verhandlungen einverstanden zu erklären, die von Vertretern der beiden Außen- und
Innenministerien "in offener Aussprache, ohne Störung durch die Presse" geführt
werden sollten. Außenminister Beck, der persönlich derartigen Verhandlungen positiv
gegenüberstand, konnte von Moltke im Juli 1938 lediglich eine auf den Herbst ver-
tröstende ausweichende Antwort geben, da "die Angelegenheit die Grenzen seines
Ressorts überschritt" .5)
Es soll hier keineswegs verkannt werden, daß sich seitdem Anschluß österreidis,
besonders aber seit der Besetzung Böhmens und Mährens in polnischen Bevölke-
rungskreisen eine zunehmende Nervosität und Besorgnis bemerkbar gemacht hatte.
Wenn auch hinsichtlich der in der Tschechoslowakei zu erreichenden Ziele eine gewisse
Parallelität mit polnischen Aspirationen bestand - siehe die Besetzung des westlichen
Olsalandes! -, so wirkte, wie Botschafter von Moltke nach Berlin berichtete, doch
"der Umstand alarmierend, daß Deutschland dort - auf seine Minderheit gestützt _
politische Forderungen durchzusetzen vermochte. Hierdurch wurde der Blick natur-
gemäß auf die deutsche Minderheit gelenkt."
VERSCHÄRFUNG DER SPANNUNGEN
Nachdem Anfang November 1938 von der eigens für »volksdeutsche Belange" im
Februar 1937 gebildeten» Volksdeutschen MittelsteIle" ein Memorandum über »die
unhaltbare Lage der Volksdeutschen in Polen und die Notwendigkeit eines Eingrei-
') .Akten zur Deutschen Auswärtigen Politik", Baden-Baden, Bd. V. Serie 0, Dok.-Nr.48, Seite 55.
21
fens des Reiches zur Besserung der Lage" erarbeitet und dem Reicbsaußenminister zur Abfassung eines abschließenden Protokolls kam es nicht, da nach Mitteilung des
zugeleitet worden war und General Karl Haushofer, der Münchener Geopoliciker, Ministerialdirektors Dr. Vollert, der im Auftrage des Reichsinnenministeriums den
als Kenner des Deutschtums im Ausland Hitler einen Vortrag über das gleiche Thema Verhandlungen beigewohnt hatte, die Gäste aus Warschau erklärten, daß sie "ange-
gehalten hatte, solldieser erwidert haben, daß er nicht beabsichtige, "sich das Verhal- sichts der im wesentlichen negativen Ergebnisse der Besprechungen ein Abschluß-
ten Polens gegenüber den Deutschen in Polen länger gefallen zu lassen". Communique für wertlos hielten".
Als erstes Anzeichen für diese neue Haltung kann die Weisullig vom 5.12.1938 an Die von deutscher Seite für einen späteren Zeitpunkt vorgeschlagene Wiederaufnahme
die deutsche Presse in den östlichen Grenzprovinzen gelten, "Tats'achen, die sich er- der Verhandlungen wurde nicht akzeptiert. Dr. Vollert faßte seine Eindrücke folgen-
eignen, als solche zu notieren und auch in gewissem Umfange Rückschlüsse und Folge- dermaßen zusammen: "Die Gespräche haben leider ein durchaus unbefriedigendes
rungen daraus zu ziehen", soweit es sich um deutsch-polnische Volkstumsfragen han- Ergebnis gezeitigt ... Die Polen denken nicht daran, ihre Politik gegenüber der deut-
delte, die in der Vergangenheit - auf Grund entsprechender Weisungen des Reichs- schen Volksgruppe irgendwie zu ändern. Sie mögen auf weniger wichtigen Gebieten
propagandaministeriums - weit zurückhaltender behandelt worden waren. zu kleinen Zugeständnissen bereit sein; in den das Leben der Volksgruppe berühren-
Im Sinne der von Ribbentrop schon am 24. Oktober 1938 angedeuteten "großen den Fragen jedoch sind sie bestrebt, ihre bisherige Entdeutschungspolitik mit allem
Nachdruck fortzusetzen." 7)
Lösung" kam es in Berchtesgaden am 5. Januar 1939 noch einmal zu einer Aussprache
zwischen dem Reichsaußenminister und Oberst Beck, der zusagte, in der Frage der Die am 3. März 1939 gescheiterten Verhandlungen wurden nicht wieder aufge-
Minderheiten "alles zu tun, um diese Dinge in ruhigere Hahnen zu lenken". Drei nommen.
Wochen später wurde im Verlauf des Gegenbesuchs von Ribbentrops in Warschau
vereinbart, daß "die seit langem geplanten Besprechungen zwischen leitenden Beam-
ten der beiden Innenministerien sofort aufgenommen werden" sollten.
Die Aufnahme dieser Verhandlungen erfolgte einen Monat später, am 27. Februar
1939, in Berlin. In einer hochgradig spannungsgeladenen Atmosphäre, die einerseits
durch den innen- und außenpolitischen Machtzuwachs des Dritten Reiches und ande-
rerseits durch zunehmende Besorgnisse der polnischen Regierung gekennzeichnet war,
bereitete bereits die Festlegung der Verhandlungspunkte ungewöhnliche Schwierig-
keiten.
Auf deutscher Seite hatte man ein Programm ausgearbeitet, das von Grenzfragen bis
zu Schul- und Kirchenproblemen sowie zu den beiderseitigen Volksgruppenorganisa-
tionen reichte. Kern dieser Verhandlungsvorschläge war das Bemühen um Vereinba-
rungen, die eine "tatsächliche Gleichbehandlung der Volksdeutschen" hätten ergeben
können. Demgegenüber beschränkte sich die Verhandlungsbereitschaft der Warschauer
Gesprächspartner darauf, "bei den entsprechenden untergeordneten Behörden in Polen
auf die Beachtung der Grundsätze der Minderheitenerklärung hinweisen zu wollen". 6)
Gespräche über die Agrarreformfrage oder über das polnische Grenzzonengesetz be-
zeichnete die polnische Delegation rundweg als "nicht angebracht". Nachdem die Ver-
handlungen dann sehr schleppend und praktisch ohne befriedigendes Ergebnis sei es
auch nur in Teilbereichen vorankamen, kündigten die Polen unvermutet am dritten
Verhandlungstage ihre Abreise an. Nur mit Mühe gelang es, sie zum längeren Ver-
bleiben in Berlin zu bewegen; jedoch lehnten sie weiterhin konsequent die Behandlung
bestimmter Fragen ab, selbst wenn diese bereits vorher Gegenstand vorbereitender
Gespräche zwischen der deutschen Botschaft in Warschau und dem polnischen Außen-
ministerium gewesen waren (so z. B. zur Situation der Deutschen im Olsagebiet). Auch
6) ebenda (ADAP), Bd. V, Nr. 132, Seite 14i. 'l ADAP, Band VI. Nr. 125. Seite 127f.

22 23
 r
Im Vorfeld des Zweiten Weltkrieges
Vor einem sich stetig verdüsternden Horizont fielen die Würfel in der großen inter-
nationalen Politik. Am 14. und 15. März 1939 marschierten deutsche Truppen in
Prag, marschierten ungarische Verbände in der Karpato-Ukraine ein. Schon eine
Woche später, am 22. März, erfolgte die Rückgliederung des Memellandes in das Deut-
sche Reich, und einen Tag später wurde - für die Polen ein "Alarmzeichen erster
Ordnung" -die Slowakei in den deutschen Machtbereich einbezogen. Bereits am
Vortage hatte von Ribbentrop an Lipski die bekannten Vorschläge an Polen in einer
Form wiederholt, die Warschauer Zeitungen als "Provokation" ausdeuteten.
über Nacht aber war gleichzeitig ein mächtiger Bundesgenosse mit einem Konsulta-
tiv- und Beistandsangebot an Polens Seite getreten (21. März). Die polnische Regie-
rung, bei der bis dahin Unsicherheit und Nervosität überwogen hatten, sah nun ihre
Position als ungemein gestärkt an. Die Einberufung dreier Reservisten-Jahrgänge zur
polnischen Armee erfolgte noch am gleichen Tage. Am 26. März übergab Botschafter
Lipski im Auswärtigen Amt mit einem längeren Memorandum die ablehnende Ant-
wort Warschaus an die Reichsregierung. Die offizielle britische Garantieerklärung
(Beck hatte noch am 23. März die Ausweitung des angebotenen Konsultativpakts zu
einem bilateralen Beistandspakt vorgeschlagen) löste am 31. März im ganzen Lande
einen Begeisterungstaumel aus, dem ein von zahlreichen Zeitungen nachgedruckter
Artikel des Militärblattes "Polska Zbrojna" unter der überschrift "Wir sind bereit"
sehr selbstbewußten Ausdruck verlieh.
Die fieberhafte politische und militärische Aktivität der letzten März-Dekade konnte
bei einer zur Demonstration seiner moralischen und physischen Stärke aufgerufenen
und seit jeher emfindsam-emotional reagierenden Bevölkerung nicht ohne Auswir-
kungen bleiben. Hand in Hand mit der durch die Behörden vor allem in Posen-
Pommerellen, bald aber auch in Mittel- und Ostpolen verfügten Schließung deutscher
Lehranstalten und Vereinslokale sowie mit erneuten Massen-Entlassungen deutscher
Arbeiter und Angestellter gingen Ausschreitungen gegen deutsches Eigentum, bran-
dete eine Welle von Verfolgungen und Verhaftungen auf. Zumeist ausgelöst durch
patriotische Kundgebungen und Kanzelreden machten sich angestaute Unsicherheits-
und Haß gefühle plötzlich selbst in abgelegenen Orten und Landschaflen Lufl:, wo
Deutsche und Polen bis dahin ungestört und friedlich zusammengelebt hatten.
Antideutsche Flugschriften und Presseparolen unter dem Motto "Fort mit den Deut-
schen - sie haben lange genug unser Brot gegessen!" waren insbesondere in den In-
dustriegebieten mit stärkeren Deutschtumsgruppen bald an der Tagesordnung. Gleich-
zeitig erfolgten Ausweisungen und Verhafl:ungen von Betriebsleitern, Redakteuren,
Gutsbesitzern und politischen Persönlichkeiten.
Ohne Zweifel trug hier und da auch die Erstarkung der deutschen Volksgruppen-
organisationen in den vorangegangenen Jahren zu den Verhafl:ungs- und Verfolgungs-
24
aktionen bei. Die Propaganda und die unbestreitbaren außenpolitischen Erfolge des
Dritten Reiches konnten ja gar nicht ungehört bei denjenigen verhallen, die jahraus,
jahrein in ihren verbrieften Ansprüchen und Rechten vom polnischen Staat enttäuscht
worden waren. Sie konnten dies um so weniger, als die rigorosen innenpolitischen
Praktiken des NS-Regimes dem Deutschtum im Ausland weitgehend unbekannt blie-
ben und als es auch in Polen selbst bis dahin sogar in Regierungskreisen genug Äuße-
rungen der Bewunderung, zumindest der Anerkennung für die Leistungen und das Er-
starken Deutschlands gegeben hatte. War nicht selbst Polens staatliche und wirtschaft-
liche Machtausweitung durch die Besetzung des westlichen Olsagebietes im Schatten
der Eingliederung des Suderenlandes an das Dritte Reich zustandegekommen? Hatte
nicht auch die polnische Minderheit in Deutschland durch das Zustandekommen der
deutsch-polnischen Minderheiten-Vereinbarung profitiert?
Um so härter wurde das Deutschtum in Polen durch die plötzlich verschärf!: zutage-
getretenen Spannungen betroffen, die durch Aufkündigung des Nicht'angriffspaktes am
28. April ihren vorläufigen Höhepunkt erreichte.
PAROLEN UND GERÜCHTE
In einem Bericht des deutschen Botschafters in Warschau, von Moltke, an das Auswär-
tige Amt vom 28. März lesen wir: "Die erregte Stimmung ... hat erheblich zugenom-
men. In der Bevölkerung sind die wildesten Gerüchte verbreitet, so zum Beispiel, daß
in Oderberg Kämpfe zwischen deutschen und polnischen Truppen stattgefunden
hätten, daß Minister Beck verhaftet worden sei und ähnliche phantastische Nach-
richten. Von ernsterer Bedeutung ist das Entstehen einer Kriegsstimmung, die durch
die Presse, durch antideutsche öffentliche Kundgebungen - besonders in der Provinz
- ... und zum Teil auch durch eine säbelrasselnde offiziöse Propaganda gefördert wird.
In weiten Kreisen glaubt man heute, daß der Krieg unvermeidlich geworden sei ...
Daß es sich hierbei nicht nur um Pressepropaganda handelt, zeigt eine verbürgte Äuße-
rung, die der Vizekriegsminister Gluchowski in einer seriösen Unterhaltung getan hat,
wobei er ausführte, die deutsche Wehrmacht sei ein großer Bluff, denn Deutschland
fehlten die ausgebildeten Reserven, um seine Einheiten aufzufüllen. Auf die Frage, ob
er glaube, daß Polen im Ernst Deutschland militärisch überlegen sei, antwortete Glu-
chowski: ,Aber selbstverständlich!' ... "8)
Dieser Stimmungsbericht deckt sich mit den Aussagen neutraler Beobachter und auch
mit polnischen Schilderungen der Situation in Polen im Frühjahr 1939. Lakonisch regi-
striert Louis de [ong, der Leiter des Niederländischen staatlichen Instituts für Kriees-
dokumentation in Amsterdam: "Kaum eine andere europäische Nation war so geschlos-
"
sen und so leidenschafl:lich gegen das Dritte Reich eingestellt wie die Polen ... Der
8) ADAP,Band VI, Nr. 115, Seite 119f.
25
polnische Nationalismus brannte gleichermaßen in den Herzen der Intellige~z und d~r
Bauern ... Diese Empfindungen herrschten in einer Atmosphäre der öffentlIchen MeI-
nung, die so rasch wie Schießpulver Feuer fängt ... " 9) Und an anderer Stelle: "... Die
Reservisten von drei Jahrgängen wurden einberufen. Begeisterung flammte auf. Am
selben Tage wurden inden Häusern einiger Volksdeutscher in Posen und Krakau und
in der deutschen Botschaft in Warschau die Fenster eingeworfen. Eine Viertelstunde
lang demonstrierten Menschen vor der Botschaft und riefen: ,Nieder mit Hitl~r! Nieder
mit den deutschen Hunden! Es lebe das polnische Danzig!' ... Viele Leute hielten den
Krieg für unvermeidlich. "10)
Der deutsdie Gutsbesitzer Hermann von Bülow erlebte die ersten Auswirkungen der
polnischen Teilmobilmachung lauf seinem Hof im Kreise Schubin: "In der zweiten
Märzhälfte und im April wurde die Stimmung hysterisch. Sämtliche Ortschaften in der
Umgebung wurden mit Soldaten belegt, deren Ausrüstung aber für damalige Zeiten
reichlich altmodisch erschien: sehr viel Kavallerie, schöne Kavallerie sogar, die neben
Karabinern und Säbeln auch noch Lanzen trug ... Die zweifellos gesteuerte Propa-
ganda, die sich besonders in sonntäglichen öffentlichen Kundgebungen in den Städte.n
äußerte, kann nur als kindlich-primitiv bezeichnet werden: ,Nächste Woche gehen wir
nach Berlin!' hieß es,un1d: .Fürditee die Deutschen niditvihre Soldaten sind zu ver-
wöhnt, sie vertragen keine Strapazen. Ihre Panzer sind Attrappen; bloßer Bluff - aus
Pappe!' Das ist wahr, so ist es gewesen. "(iBA.)l1)
Eine Ergänzung dieser Erlebnisse bietendie Aufzeichnungen von Hans Joachim Mo-
drow seit Ende 1938 Vorsitzender des Landbundes Weichselgau, der deutschen Land-
wirtschaflsorganisation in Pommerellen: "Ende März erfolgte Englands Garantie für
Polen. Anfang April wurden drei Angestellte des Landbundes verhaftet und später
verschleppt: der Hauptgeschäftsführer Obuch-Dirschau, der Jurist, Referendar H. G.
Schulze-Dirschau, und der Thorner Kreisgeschäftsführer Bachmann ... über den Grund
der Verhaftungen war bei den Behörden nichts zu erfahren - ein Verfahren fand bis
zum Kriegsausbruch nicht statt. (Diese Verhafteten kamen erst im September in Ost-
polen wieder frei.) Auf Versammlungen, die bald darauf in der ganzen Wojewodschaft
stattfanden, sprachen Agitatoren über die zunehmenden Schwierigkeiten Deutschlands,
sie sprachen aber auch bereits, für den Fall eines Krieges, von dem ,sicheren polnischen
Sieg bei Berlin'. Bei den seit 1920 zugewanderten Polen hatten sie manchen Erfolg,
kaum bei den alteingesessenen Polen, mit denen die Volksdeutschen vor und nach 1920
friedfertig zusammengelebt hatten ... Demgegenüber wurde die Versammlungstätig-
keit deutscher Organisationen weitgehend eingeschränkt. Bei den Generalversamm-
') L de Jong gibt diesen Lagebericht unter ausdrücklicher Zitlerung eines Briefes des Danziger Völker-
b~ndkommissars, Prof. earl Burckhardt, an F. P. Wallers im Generals'!krl!.tariat des Völkerbundes vom
20. 12. 1938 in seinem Buch "Die deutsche fünfte Kolonne Im 2. Weltkrieg , Stuttgart 1959, auf Seite 43
10) wieder.
L. de Jong: "Die deutsch'! fünfte Ko I"onne : .. , S ellt e 44/45 .
") Hermann von Bülow: .Erlnnerungen an die Jahre 1939-1945 Im B.rol!,lberger Raum, Ms: Im Bundes
archiv Koblenz. - Nachfolgend werden die aus dem .Bun~esarchlv übernommenen Berichte und Er-
innerungen lediglich durch einen entsprechenden TexthInweis (BA.) gekennzeichnet (vgl. das VORWORT
der Herausgeber).
26
lungen der einst von Deutschen gegründeten Molkereigenossensdiaflen bemühte sich die
seit 1920 angewachsene polnische Mehrheit der Mitglieder, die Molkereien aus dem
deutschen Revisionsverband, der jahrzehntelang die Molkereien bestens betreut hatte
(es gibt darüber polnische Berichte), herauszubringen und zu einem polnischen Verband
überzugehen ... Im Juli wurden Herr von Koerber-Koerberrode, Kreis Graudenz, und
sein langjähriger Administrator Siebert ausgewiesen; danach Herr von Gordon-Lasko-
witz. Herr Frankenstein-Niederho/, Kreis Soldau, und der Kreisgeschäftsführer des
Landbundes wie auch Dr. von Kries-Colmans/eld, Kreis Briesen wurden nach Ostpolen
abgeschoben. Um nur einige Namen zu nennen ... "12)
KUNDGEBUNGEN - VERHÖRE - VERHAFTUNGEN
Die sich im Frühjahr 1939 sowohl in den Städten wie auf dem flachen Lande ausbrei-
tende Unruhe, die durch eine rege Versammlungstätigkeit der verschiedensten polni-
schen Organisationen eher angeheizt als eingedämmt wurde, machte vor Iden Toren der
Lehranstalten nicht Halt. Studienrat Philipp Rudol] (früher Thorn, jetzt Bremen) be-
richtet: "In den Monaten März und April kam es immer häufiger zu Zwischenfällen.
Fast täglich berichteten mir meine Schüler in Bromberg von Überfällen polnischer
Gymnasiasten und Volksschüler auf deutsche Kinder. Ich selbst war mehrfach Zeuge,
wie Zöglinge unserer Dürerschule von polnischen Gymnasiasten geschlagen wurden,
und ich wurde wegen des Gebrauchs der deutsdien Sprache in der Straßenbahn von
polnischen Soldaten angepöbelt. Als Schriftleiter der ,Deutschen Schulzeitung in Polen'
wurde ich wiederholt auf die Starostei und zur Kriminalpolizei zitiert, unsere Zeitung
verfiel der Beschlagnahme ... " Auch Hans Freiherr von Rosen (Grocholin) berichtet
über ähnliche Vorkommnisse, die er auf die zunehmende Agitation von Presse und
Rundfunk zurückführt. "Im April 1939 wurden unsere Kinder auf der Fahrt zur
Schule mit Steinen beworfen - der polnische Kutscher schützte sie. Schlechter erging
es anderen, die zu Fuß zur Schule gingen ... " (BA.)
In Bromberg erreichte die Kundgebungs- und Versammlungswelle mit einer am letzten
März-Sonntag auf dem Elisabethmarkt von den Aufständischen und vom Westmarken-
verband einberufenen Großkundgebung ihren Höhepunkt. Der Journalist Karl Heinz
Fenske, der an dieser Veranstaltung als Zuschauer teilnahm, schildert ihren Ablauf sehr
anschaulich: "Am Himmel hingen graue Wolken, es war noch kühl an diesem Sonntag
in Bromberg. Dennoch waren die Menschen in großen Scharen zum Elisabethmarkt ge-
kommen. Als der Satz fiel ,Wir wollen Oppeln und Königsberg!' hörte der Beifall
lange nicht auf. ,Wir geben das Land nicht her, aus dem unser Geschlecht stammt' sang
die Menge. Schon die Kinder in der Schule lernten damals die ,Rota' der Dichterin
Maria Konopnidca auswendig, ein Haßlied auf die Deutschen. Gleich nach dem Vater-
" _
") Aus einer Broschüre Im Selbstverlag des Verfassers "Heimat an der Weichsel in Westpreußen 1920-
1939 Im .Korridorgebiet'''. Rheinhausen 1967.
27
unser und der Nationalhymne. Und dann der letzte Vers: ,Die Deutschen werden uns
nicht ins Gesicht speien ... ' hallte es über den Platz. Ein katholischer Priester sprach
seinen Segen, Fahnen senkten sich, die Menge kniete nieder, die Kirchenglocken läute~el:.
Dann formierte sich ein Umzug. Eine halbe Stunde später versuchten polnische Polizi-
sten die Schaufensterscheiben deutscher Geschäfte in den Hauptstraßen vor dem blinden
Eifer der Demonstranten zu schützen. Sie standen mit ausgebreiteten Armen davor und
gaben sich ehrlich Mühe, die Menge zurückzuhalten. Sie taten ihre Pflicht, Aber e~ half
nicht viel ... ,Geben Sie zu, in Ihrem Bericht die Vorfälle in Bromberg entstellt wieder-
gegeben zu haben?' fragte mich 48 Stunden später der ,Untersuchungs:icht~r fü~ beson-
dere Angelegenheiten', Herr Giertych. Er residierte in einem luxuriös eIngerI~teten
Dienstraum im Gebäude des Korpskommandos in Thorn. Nachts hatte man mich ge-
fesselt zu ihm gebracht. Er war korrekt mit einem Anflug eisiger Höflichkeit. ,Ich habe
nichts getan als meine journalistische Pflicht - ich habe wahrheitsgemäß ~erichtet, '!'as
ich selbst gesehen habe', antwortete ich ihm. ,Sie bekennen sich also nicht zu eIn~r
Schuld?' - ,Nein.' Das war das ganze Verhör. Ich unterschrieb ein Protokoll, metn
Gegenüber einen Haftbefehl. Dann wurde ich abgeführt." 13) . ist ... Die Pflege der kulturellen, geistigen, wirtschaA:lichen und persönlichen Beziehun-
Karl Heinz Fenskeerhielt erst ein halbes Jahr später - im September 1939 - In der
Zitadelle von Brest-Litowsk seine Freiheit zurück.
Auch in anderen Städten Polens - von Thorn und Posen bis Kattewitz und Bielitz --
fanden im März und April zahlreiche Kundgebungen statt, die von paramilitärischen
Organisationen organisiert wurden, an denen aber auch zahlreiche andere Verbände
z. B. der Eisenbahn- und Postbeamten sowie die Polnische PfadfinderschaA: teilnahmen.
Ober die anti deutschen Ausschreitungen, die zumeist im direkten Anschluß an diese
Versammlungen stattfanden, finden wir in den März- und April-Ausgaben der deut-
schen Zeitungen in Polen, oA:allerdings nur in vosichtig formulierten Meldungen und
mehr andeutenden Berichten, aufschlußreiche Hinweise. Während die zahllosen Schau-
fenstereinwürfe in deutschen Banken, Buchhandlungen, Vereinslokalen und Pfarrhäu-
sern noch als relativ harmlos bezeichnet werden können, häuften sich in rasch zuneh-
mendem Maße besonders in den Städten die überfälle auf deutschsprechende Passan-
ten, die mit schweren Prügeleien verbundenen Störungen deutscher Versammlungen,
Turnveranstaltungen und sogar Gottesdienste. Boykottaktionen gegenüber deutschen
Firmen, die Schließung ganzer Betriebe und die Beschlagnahmung deutschen Privat-
eigentums gehörten in diesen Wochen und Monaten zum Alltag des Deutschtums in
Polen.
" ••• BIS ZUR VERNICHTUNG GEFÄHRDET"
In einem eindringlichen Appell unterbreiteten namens der deutschen Volksgruppe in
Polen am 12. Mai 1939 Senator Erwin Hasbach und Ingenieur Rudolf Wiesner dem
13) K. H. Fenske: .Von Bromberg bis Brest-Litowsk", unveröffentlichtes Manuskript
Ostdeutschen Ku itu rrats , Bonn.
28
polnischen Staatspräsidenten einen Lagebericht mit der Bitte, "den in der Verfassung
und den Gesetzen verbürgten Rechten Achtung und Geltung zu verschaffen".
In dieser Eingabe heißt es unter anderem: "Die Lage der deutschen Volksgruppe war
immer schwer. Die aus dem weltpolitischen Geschehen entstandenen Spannungen ent-
laden sich seit Wochen in unverhülltem leidenschaA:lichem Haß und überaus zahlreichen
Gewalttaten gegen die deutsche Volksgruppe und ihre einzelnen Angehörigen. Wir
haben von der Regierung die mündliche Versicherung erhalten, daß sie deutschfeind-
liche Ausschreitungen mißbillige und Anweisungen erteilt habe, Aufreizungen und Aus-
schreitungen zu verhindern. Wirksamen Schutz hat die Volksgruppe nicht gefunden.
Sie ist bis zur Vernichtung gefährdet. Die Zahl der arbeitslosen Deutschen ist erschrek-
kend hoch. Sie nimmt besonders in den Industriegebieten ständig zu. Die Organe des
Arbeitsrechts versagenden Deutschen den Schutz. Deutschen ist die Einreihung in den
Arbeitsprozeß so gut wie verschlossen. Für die Agrarreform wird der deutsche Grund-
besitz in unverhältnismäßig höherem Maße herangezogen als der polnische, während
die Zuweisung von Siedlungsflämenan Deutsche geradezu auffallende Ausnahme
gen und der Verkehr mit unserem Muttervolke werden behindert ... Katholischen Deut-
schen wird die Ausübung der religiösen Pflichten in ihrer Muttersprache durch deutsch-
feindliche Elemente vielfach erschwert und sogar unmöglich gemacht, ohne daß sie den
Schutz der Sicherheitsbehörden finden. Auf dem Gebiete der evangelischen Kirchen ...
wurden die Deutschen entrechtet, obwohl sie die bei weitem überwiegende Mehrheit des
evangelischen Kirdienvolkesdarstellen. An den öffentlichen deutschen Schulen werden
polnische Lehrkräfte in einem Ausmaße beschäftigt, daß diese Schulen den Charakter
als deutsche Lehranstalten verloren haben. Für den deutschen Lehrernachwuchs be-
steht keine deutsche Anstalt. Das deutsche Privatschulwesen stößt auf die mannig-
fachsten Erschwernisse ... Eine Zusammenfassung unserer deutschen J ugend in einem
geschlossenen Verband zu erzieherischer und kultureller Betätigung ist bis heute am
Widerstand der Behörde gescheitert. Unsere deutschen Kinder sind gerade in dem
Alter, wo sie für die Erziehung am zugänglichsten sind, sich vollständig selbst über-
lassen ... (14)
Die Eingabe der beiden Senatoren schließt mit dem Hinweis auf die "der Regierung
seit Jahren vorliegenden, eingehend begründeten Denkschriften und Anträge", die bis
dahin unbeachtet geblieben seien, so daß die deutsche Volksgruppe die Überzeugung
gewinnen müsse, "daß ihre Behandlung der Verfassung und in sehr vielen Fällen den
Absichten des Gesetzgebers widerspricht".
Bereits einen Tag nach Veröffentlichung dieses Memorandums erreichten die antideut-
schen Ausschreitungen - diesmal in Mittelpolen - einen weiteren Höhepunkt.
Der bei seiner Aufzählung von Deutschenverfolgungen in Polen während des Frühjahrs
aus dem Archiv des ") Dokumente zur Vorgeschichte des Krieges, Berlin 1939, Nr. 369, Seite 349 f.
29
und Sommers 1939 sehr sparsame und zurückhaltende Holländer de [ong kann nicht werker und Industriearbeiter und sogar Bauern ließen zu Tausenden in diesen Wochen
umhin, festzustellen, daß "Mitte Mai in einer kleinen Stadt, wo 3000 Volksdeutsche und Monaten ihr Hab und Gut im Stich oder verschleuderten ihre Wirtschaften und
unter beinahe 40000 Polen lebten, in vielen Häusern und Läden die Einrichtung in gingen über die »grüne Grenze" nach Deutschland.
Stücke geschlagen" worden sei.15) Frau H. Pyrkosch, die als Reichsdeutsche im Sommer 1938 zum erstenmal nach Polen
gekommen war, erzählt: »Mein Mann übernahm im Juli 1938 die Leitung einer großen
Diesle "kleine Stadt", in der es bis dahin schon angesichts der zahlenmäßigen Unter-
Keramik- und Kachelfabrik in Andrespol bei Lodz, Diese Firma befand sich seit drei
legenheit des Deutschtums niemals zu Auseinandersetzungen zwischen den Angehöri-
Generationen im Besitz der Famile Krause, auch der Name Andrespol ist von Andreas
gen beider Nationen gekommen war, heißt Tomasz6w Mazowiecki und liegt südöstlich
Krause hergeleitet •.. Die Bewohner waren fast durchweg Deutsche, sie sprachen auch
von Lodz an der Pilica. Hier hatte der polnische Gewerkschaftsverband auf großen
noch richtig schwäbisch ... Nachdem bis zum Frühjahr alles gut gegangen war, spitzte
Plakaten offen zu einer »Demonstration gegen die Deutschen" aufgerufen. Die Kund-
sich die Lage im Mai, nach den Deutschenverfolgungen in Tomaszow plötzlich auch
gebung begannam Samstag, dem 13. Mai, mit Ansprachen vom Balkon eines Gebäudes
bei uns sehr zu. Wenn es auch nicht zu Ausschreitungen kam - hier waren die Deut-
aus, in dem u. a. die Regierungspartei OZN und deren Jugendorganisation "Mloda
schen ja in der großen Mehrzahl-, so kennzeichnet der Umstand die absurde Situation
Polska" ihren Sitz hatten. Eine große Menschenmenge wurde zunächst über die »Be-
wohl eindringlich genug, daß der Inhaber einer von Deutschen aufgebauten bei einer
drohung Polens durch die Deutschen" aufgeklärt. Die Empörung wuchs, als andere
zu vier Fünfteln laus Deutschen bestehenden Belegschaft gezwungen wurde, einen gro-
Redner lang und breit über Schikanen berichteten, denen »die Polen im Hitlerreich aus-
ßen Teil dieser Leute bis auf die unentbehrlichsten zu entlassen. Während mein Mann
gesetzt" seien; sie würden gefoltert, man vernichte ihre Schulen und Kirchen und rotte
bei seiner Ankunft in Andrespol vierhundert deutsche und etwa hundert polnische
sie allmählich aus. Das genügte. Die aufgewiegelte Menge zog anschließend durch die
Arbeiter in der Firma Krause vorgefunden hatte, war das Verhältnis im Mai 1939 auf
Stadt, schlug auf jeden Deutschen ein, der als solcher erkannt wurde, demolierte eine
einmal umgekehrt! Jedes Wochenende kamen Agitatoren aus Lodz in unser Dorf, wo
große Zahl von Wohnungen und Geschäften und forderte von allen Fabrikbesitzern
sie inder ,Swietlica', der Gemeindehalle, die polnische Bevölkerung über die ,bösen
die sofortige Entlassung der deutschen Arbeiter und Angestellten. Die Ausschreitungen
Deutschen' aufklärten. Die Folgen ließen nicht auf sich warten,
nahmen am Sonntagabend ihren Fortgang, ohne daß die Polizei eingriff. An beiden
Tagen wurden zahlreiche Verletzte im Tomasz6wer Krankenhaus behandelt; zehn Im Laden, in dem ich einkaufte, unterhielten sich einmal Frauen ungeniert mit Seiten-
Schwerverletzte konnten erst nach Wochen bzw. Monaten aus der Behandlung entlas- blicken auf mich: ,Bald geht's lO'S', sagten sie: ,Unsere Männer werden jetzt bald dafür
sen werden. sorgen, daß Sie schneller bei Ihrem Hitler sind!' Es war selbseverständlich, daß das Ab-
hören deutscher Sendungen verboten war, daß die deutschen Kinder polnische Schulen
Der deutsche Konsul in Lodz, Freiherr von Berchem-Königsfeld, berichtete am 18. Mai
besuchen mußten und daß kein Pole auf dem Gemeindeamt mehr ,Deutsch verstehen',
an das Auswärtige Amt, daß "eine große Anzahl von Deutschen nicht nur aus Toma-
geschweige denn sprechen wollte ... Nach den Vorkommnissen in Tomasz6w bezog
szow selbst, sondernauc:h aus umliegenden Dörfern, wo deutsdie Bauern wohnen, Sach-
unser Chef Nacht um Nacht mit seiner Familie eine Waldhütte: die Angst vor über-
schäden gemeldet und gleichzeitig gebeten haben, ihnen die Abwanderung nach Deutsch-
fällen war allgemein. Und eines Tages bat er uns, ,doch am besten einen längeren Ur-
land zu ermöglichen" .16)
laub anzutreten', denn für unsere Sicherheit könne er nicht mehr einstehen. Wir folgten
Damit war in Mittelpolen eine ähnliche Situation deutlich geworden wie sie in Posen- diesem Rat ... « (BA)
Pommerellen und in Ostüberschlesien schon seit März die Lage der deutsdien Bevölke- Auch in Lodz, Pabjanice und Konstantynow in Mittelpolen kam es - sicher nicht zu-
rung kennzeichnete: Beschädigungen und Diebstahl deutschen Eigentums, nächtliche fällig am gleichen Tage wie in Tomaszow, d. h. am 13. Mai -'zu anti deutschen Demon-
überfälle, Mißhandlungen und Morddrohungen führten zu einer bis dahin niemals in strationen.
diesem Raum beobachteten Unruhe und Angst. Die Konsequenzen, die sich aus dieser
Lage ergaben, wurden zuerst von den - vor allem in den größeren Städten als Fach-
kräfte tätigen - Reichsdeutschen gezogen: da sie in materieller Hinsicht ohnehin unab-
hängiger und »beweglicher" waren als die alteingesessenen deutschen Familien, war der DIE ROLLE DER POLNISCHEN PRESSE

Entschluß in den meisten Fällen schnell gefaßt. Aber auch arbeitslose deutsche Hand-
Die Stimmung im ganzen Lande und die zunehmend antideutsche Haltung selbst in
15! L. de Jong: .Die deutsche fünfte Kolonne .•• ", OVA Stuttgart 1959, Seite 45. . denjenigen Provinzen, in denen die deutsche und die polnische Bevölkerung bis dahin
" Dokumente •.• , Nr. 371, Seite 352, erwähnt auch in ADAP, Band VI, Nr. 402, Seite 435.

30 31

friedlich zusammengelebt oder zumindest nebeneinandergelebt hatte, kann natürlich
nicht allein auf das Wirken bestimmter Organisationen und Agitatorengruppen zu-
rückgeführt werden. Eine Reihe von Zeitungen und insbesondere auch Rundfunksen-
dungen sorgten auf ihre Art für die "Anheizung" der Stimmung und die überzeugung,
daß Deutschland auf dem Wege sei, die "traditionellen Gefühle der Feindschaft gegen-
über Polen wieder einmal in Handlungen umzusetzen".17)
Bereits Anfang April verkündete die dem polnischen Oberkommando nahestehende
Zeitung "Polska Zbrojna" unter dem anspruchsvollen Titel "Polen und die Ehre Euro-
pas" die folgenden Thesen zur moralischen Stärke und überlegenheit des polnischen
Heeres bei künftigen Waffengängen: " ... Heute brauchen wir nicht mehr mit Sensen
zu kämpfen und die Geschütze zu erobern, um sie gegenden Feind zu kehren. Den
Unterschied in der technischen Ausbildung überwindet das polnische Heer durch den
Reichtum seines Geistes, die Widerstandsfähigkeit seines Soldaten, der gewohnt ist,
allein gegen zehn zu kämpfen. Und schließlich wird das ganze Volk um die vor ~o kur-
zer Zeit erst erworbene Freiheit und Unabhängigkeit kämpfen. Jede Schwelle wird uns
eine Festung sein, und man wird Polen nicht an seinen strategischen Knotenpunk:en
oder an seinen Befestigungen und Frontabschnitten erobern können, sondern man wird
es Haus bei Haus Friedhof bei Friedhof, Furche 'bei Furche verteidigen. So lange nur ein
Zaun stehen wird, so lange wird hinter dem Zaun ein Schütze mit einer guten Waffe in
sicherer Hand stehen ... Wir sind gewohnt, uns auf uns selbst zu verlassen. Bündnisse
sind für uns wertvoll, aber man muß bedenken, daß sie noch wertvoller für unsere
Verbündeten sind. "18)
Diese offensichtlich auf Polens neuen Bündniispartner Großbritannien bezogenen Sätze
erfuhren schon bald darauf in derselben Zeitung ihre Ergänzung und Verdeutlichung,
indem "Polska Zbrojna" eine Reihe von Vorträgen des Hauptmanns Polesinski, die
dieser im Mai und Juni in großen polnischen Garnisonsstädten gehalten hatte, aus-
führlich wiedergab. Am Schluß hieß es: "Bei uns herrscht ein von den Vätern über-
kommener Haß gegen die Deutschen und das Deutschtum. Der Krieg wäre für Polen
ein heiliger Kreuzzug. "19)
Derselben Zeitung zufolge führte Polesinski - hier nur kurz umrissen - in immer neuen
Varianten das folgende aus: Auf den Schlachtfeldern der Neuzeit siegten nicht mehr
Maschinen und Waffen, sondern es siege, wer den stärkeren Charakter und Willen habe.
Vom Standpunkt der moralischen Haltung sei der polnische Soldat dem deutschen weit
überlegen. Der polnische Soldat komme vorwiegend vom Lande, er sei somit hart-
näckig, ausdauernd und unbeugsam; der deutsche Soldat sei demgegenüber als Städter
verweichlicht und durch die Bequemlichkeit, die die Technik biete, nachgiebig und grö-
ßeren Schwierigkeiten nicht gewachsen. Auch sei die Uneinheitlichkeit des deutschen
17) .Kurler Poznanskl", Posen, vom 17.6.1939.
18! .Polska Zbrol"na" vom 11. 4. 1939.
" .Polska Zbro na" vom 1. 6. 1939.
32
Heeres bekannt: neben dem brutalen Preußen stehe der dickbäuchige Bayer, der fried-
liebende Osterreicher. Der bescheidene polnische Soldat habe die Fähigkeit zur Entsa-
gung und Selbstverleugnung, der deutsche Soldat sei durch Luxus ebenso verwöhnt, wie
die Junge Generation in Deutschland schlechthin durch einen übermäßigen Genußtrieb
gekennzeichnet sei, was sich in Geschlechtskrankheiten ausdrücke, denen 75 v. H. der
deutschen Jugend verfallen wäre. Deutschland versuche jetzt sogar, Seuchen und Alko-
hol auch nach Polen einzuschleppen. Wörtlich: "Viele Restaurants in Polnisch-Schlesien
erhalten aus Deutschland Unterstützung, um die polnische Jugend systematisch an
Trunksucht zu Igewöhnen und ihre moralische Widerstandskraft zu schwächen. Unter-
suchungen haben ergeben, daß die Hitleristen zu dem gleichen Zweck bewußt Aether
als Rauschgift nach Polen schmuggelten!" Und endlich: Der künftige Krieg verlange
Individualisten; der Pole sei ein typischer Individualist, während sich der Deutsche nur
in der Masse wohlfühle und nicht allein zu helfen wisse.20)
Daß es sich bei derartigen Meinungsäußerungen und Kommentaren keineswegs um
Einzelansichten oder bloße Zweckpropaganda bestimmter militärischer Kreise oder
poLitischer Gruppierungen handelte, beweisen die Leitartikel, die innen- und außen-
politischen Lageberichte in allen größeren polnischen Blättern mit Ausnahme der Links-
presse, wobei oft die abenteuerlidisten Berichte und Meldungen gerade gut genug er-
schienen, die Moral der Bevölkerung zu stärken, die allgemeine Stimmung zu verbessern
und gleichzeitig auch die Situation der nationalen Minderheiten in den beiden Staaten
in entsprechenden Farben zu schildern.
So behauptete der "Kurjer Poznanski" am 16. Juni, Deutschland triebe gegenüber der
polnischen Minderheit eine Politik des Terrors und der Gewalt. Wenn diese Politik
weitergeführt werden würde, dann werde "die Rechnungen dieser politischen Methode
das deutsche Element in Polen bezahlen". Die Deutschen in Polen aber hätten "genug,
womit sie zahlen könnten". Im übrigen habe General Haushofer vor kurzem erst in der
"Zeitschrift für Geopolitik" festgestellt, der Zukunfts krieg werde niemanden verscho-
nen. Gegenüber einer solchen "deutschen Drohung" könne Polen ruhig bleiben, denn
"innerhalb der Grenzen des polnischen Staates befinden sich zwar weniger Deutsche als
Polen in Deutschland, aber das sind wohlhabende Deutsche, in guten Verhältnissen,
darunter sogar viele ,dicke Fische'."
Wenn es die deutsche Armee auf einen Vernichtungskrieg angelegt haben sollte, wäre
Polen gezwungen, "auf hitleristisches Nichtschonen von Frauen und Kindern mit einem
entsprechenden Vorgehen gegen die wohlhabenden und einflußreichen Deutschen zu
antworten, die sich in der Gewalt Polens befinden und die man aus dieser Gewalt nicht
entlassen würde. "21)
In großer Aufmachung berichtete die Krakauer Zeitung "Czas" über katastrophale Zu-
stände innerhalb Deutschlands. Es herrsche Lebensmittelmangel, und die Bevölkerunz
lebte in Angst und Sorgen. Demzufolge wachse auch die Zahl der "heimlichen" Korn-
munisten ständig und betrage bereits zehn Millionen; die kriegsfeindliche Stimmung
im Heer sei offenkundig, denn es gebe in jeder Kasernenstube einen Gestapobeamten,
.., .Polska Zbrolna' vom 1. 6. 1939.
") .Kurjer PoZnanskl", Posen. vom 18. 8. 1939.
33
der die Stimmung überwachen müsse, und Deutschland halbe bei der Aufnahme von
r geschult würden. Die Folgen lägen auf der Hand, und es sei an der Zeit, daß die
Kampfhandlungen jederzeit "mIit einem zweiten Krieg im Landesinneren zu rech-
nen".22)
Das Regierungsblatt "Express Poranny" wußte von ständigen Sabotagefällen zu be-
richten, durch die die deutsche Wirtschaft und insbesondere die Rüstungsbetriebe stark
betroffen seien; die Bergarbeiter leisteten immer weniger, bei der Eisenhahn herrschten
chaotische Zustände, die Lokomotiven seien zumeist reparatUr'bedürftig, und lange
Wehrmachttransportzüge stünden oft Wochen hindurch vergessen auf toten Gleisen.P)
Der unermüdlichen Herausstreichung der Tapferkeit des polnischen Soldaten und der
Kampfkraft polnischer Truppenvel1bände, die auf verschiedensten Kriegsschaupläezen
bewiesen worden seien, srelkeder Krakauer "Uustrowany Kurjer Codzienny", die
polnische Tageszeitung mit der höchsten Auflageziffer, Untächtigkeit und ~lf~osig-
keit auf Seiten des 'deutschen Heeres und seiner Führung entgegen. Das sea bei den
Aufständen im Posener Raum und in Oberschlesien, wo schlecht bewaffnete polnische
Verbarade über gut auslgerustete deutsche Truppen gesiegt hätten, ebenso bewiesen
worden wie .im Weltkrieg 1916 etwa in Wolhynien, wo polnische Soldaten unzählige
Male deutsche Soldaten gerettet hätten.24)
In um so seltsamerem Gegensatz zu den Schilderungen der mangelnden Kampfkraft
des deutschen Soldaten und der wirtschaftlichen Schwäche und organisatorischen Un-
rüchtigkeit des Dritten Reiches standen die z, T. sehr anschaulich ausgemalten Warnun-
gen vor deutschen Spionen und Agenten im Lande, Warnung,en aber auch an die
Adresse der Deutschen selbst. Hier nur zwei typische Zeitungsberichte ausden 'Man- und
Juni-Tagen 1939, deren Wirkung schon deswegen nicht ausbleiben konnte, weil Artikel
dieser Art - wenn sie nur "Neues" brachten und sensationell genug aufgemacht waren
_ bereitwillig auch von anderen Zeitungen nachgedruckt wurden.
Nachdem in kürzeren Meldungen und Berichten der polnischen Presse schon früher des
öfteren auf deutsche Geheimbündelei, Agententätigkeit und staatsfeindliche Unter-
grundorganisationen ,eingegangen worden war, nahm ein einfallsreicher Mitarbeiter des
"Kurjer Polski", eines von der polnischen Schwerindustrie finanzierten Organs, nach -
wie es hieß - "sorgfältiger Erkundungsarbeit" das Thema der "weiblichen deutschen
Spionage in Polen" <lJuf.25Er) breitete beunruhigende Beobachtungen aus. Danach gab
es in Polen nicht weniger 'als zwanzigtausend jungedeutsche Frauen, die in polnischen
Familien als Erzieherinnen und Kindermädchen wirkten; diese Mädchen und Frauen
machten - als Diakonissen getarnt - in Berlin besondere Schulungskurse durch; sie
seien im übrigen ohnehin durch die evangelische Kirche streng und diszipliniert orga-
nisiert und hielten sich an die Verpflichtung, ihr Geld nur deutschen Bankenanzuver-
trauen und sich gegenseitig zu unterstützen. Bei Tanzabenden und anderswo kämen sie
dann zusammen und würden zu "delikaten Missionen" eingesetzt. Im übrigen gehörten
diese "Diakonissen" alle miteinander dem BDM an, und sie kämen in den Ferien wie-
derum in Lager der "Kraft-durch-Fr,eude"-Organisation, wo sie entsprechend weiter-
22)
23)
"Czas" vom 7. 7. 1939.
Express poranny" vom 10. 7. 1939.
") :lIustrowany KurJer Codzienny", Krakau, vom 21.6.1939.
25) .Kurjer Polski" vom 16. 6. 1939.
34
polnische Regierung und die Behörden diesem Treiben ein Ende bereiteten.
Diese Aufforderung ergänzte der Krakauer "Ilustrowany Kurjer Codzienny" schon
wenige Tage späcer durdi die Mitteilung, daß "in Danzig systematisch junge deutsche
Mädchen aus Polen - insgesamt schon mehr als achttausend - als Spioninnen ausge-
bildet" würden.26)
Daß es sich bei der Ausbildung deutscher Mädchen an der "Storchen-Klinik" in Danzig
und in Heimen des Volksbundes für das Deutschtum im Ausland um ganz etwas ande-
res und Harmloseres gehandelt haben könnte, weil nämlich dank der behördlichen
Maßnahmen in Polen selbst die Weiterführung des deutschen Schulunterrichts weit-
gehend eingeschränkt war, ganz 'zu schweigen von den fehlenden Volkshochschulen
und sonstigen Ausbildungsstätten - das zu ergründen machten sich die Redakteure der
Krakauer Zeitung schon deshalb nicht die Mühe, ais sie sich ja dann naheliegenderweise
auch mit der Tatsache hätten auseinandersetzen müssen, daß die Teilnahme an a11die-
sen Ausbildungskursen völlig legal auf Gegenseitigkeitsbasisdurchgeführt wurde und
daß für die in ihren Ferien aus Polen ausreisenden deutschen Schüler und Studenten
eine nicht geringere Zahl polnischer Jugendlicher aus Deutschland in ihr Mutterland
kam ... 27)
Von der Darstellung der deutschen Spionengefahr, auf die wir an anderer Stelle noch
näher einzugehen haben werden, bis zu den Warnungen an die Adresse aller Deut-
schen in Polen, .die ja bereits im März und April drastisch genug mit den an zahllose
deutsche Wohnungen, Betriebe und Scheunentore gemalten Totenköpfe ihren Anfang
genommen hatten, war es nur noch ein Schritt.
Vielsagend schloß die Journalistin Zo/ia Zelska-Mrozowicka in einer Bromberger Ta-
geszeitung einen an die Polen gerichteten Appell zum Zusammenhalten und "zur Be-
kundung harter Entschlossenheit zum Widerstand gegen äußere Feinde" mit dieser
"Klarstellung": " ... Es hat gar keinen Zweck,den Deutschen in Polen zu Hilfe eilen
zu wollen, weil sie nämlich gar keinen Grund haben, um Hilfe zu bitten. Sie wissen
durchaus, daß ihnen in Polen kein Haar gekrümmt wird, so lange hier Ruhe herrscht.
Sie sind intelligent genug, um sich darüber klar zu 'sein, daß im Kriegsfalle kein ein-
heimischer Feind lebend entrinnen wird. Wie dem auch immer sei: die polnischen
Staatsbürger deutscher Nationalität zittern im Gedanken daran, daß es einen feind-
lichen Angriff auf das polnische Hoheitsgebiet geben könnte. Sollte es unter ihnen aber
hier und dort Anhänger eines ausländischen Regimes geben, so wissen sie mit Bestimmt-
heit: der Führer ist weit, aber der polnische Staat ist nahe, und in den Wäldern fehlt
es nicht an Ästen. "28)
In einem hatte Frau Zelska-Mrozowicka zweifellos recht: Die sich nach der Kündigung
des Nichtangriffspaktes mit Polen durch Hitler und nach der Einberufung dreier Re-
servisten- Jahrgänge auf polnischer Seite allmählich immer deutlicher abzeichnende
Möglichkeit eines Kriegsausbruchs beunruhigte die Deutsdien in Polen in weit stärke-
:1I .lIustrowany KurJer Codzienny" vom 22. 6. 1939.
Vgl. das Kapitel .Lehrgänge und Austauschreisen" Im Buch .Deutsche Jugendbewegung und Jugend-
,. arbelt In Polen 1919-1939', Würzburg 1957, Seite 61 ff.
I ,Dzlennlk Bydgoskl" vom 11.5.1939.
3S
rem Maße, als dies aJUS ihren Zeitungen hätte herausgelesen werden können. Und es
lagen - wenn man die positive Haltung weiter Kreise dieses Deutschtums zum Natio-
nalsozialismus in Betracht zog - die Fragen der "Lodzer Volkszeitung", des Organs
der deutschen Sozialdemokraten in Mittelpolen, in einem "In schwerer Stunde" über-
schriebenen Artikel'") nur allzu nahe: "... Wie kommt man dazu, die deutsche Min-
derheit in Polen für diesen Stand der Dinge verantwortlich zu machen? Vielleicht, weil
ein großer Teil dieser Minderheit sich zum Narionalsozialismus bekannte? Also - wie
heute festgestellt wird - nicht loyal sei? Die polnische Presse bringt Tag für Tag
spaltenlange Berichte über die Gefährlichkeit des Nationalsozialismus. Diese Bericht-
erstattung ist in denjenigen polnischen Organen Tageskost geworden, die vor noch
nicht allzu langer Zeit den Nationalsozialismus lobten und diesen selbst für uns in
mehr oder minder klarer Form empfahlen. Wir fragen: Haben diese Organe auch ein
Recht, die deutsche Minderheit in Polen dafür zu verurteilen, weil sie zum Teil einem
System huldigte, das durch diese Organe lobend hervorgehoben wurde?"
Indessen nahm das politische Geschehen beiderseits der zu einem europäischen Brenn-
punkt gewor,denen deutsch ..•polnischen Grenzen unaufhaltsam - nicht zuletzt unter
immer intensiverer Einwirkung der Presse und des Rundfunks in beiden Ländern -
seinen Lauf. Und weder die - ohnehin stark zusammengeschmolzene - Deutsche Sozia-
listische Arbeitspartei Polens, als deren Sprecherin die "Lodzer Volkszeitung" noch
einmal beschwörend ihre Stimme erhoben haste, noch einsichtige und gemäßigte polni-
sche Führungskreise vermochten dem auf eine "So-oder-so-Gesamtlösung" aller stritti-
gen Fragen gerichteten Kurs der Regierungen in Warschau und in Berlin entgegenzu-
wirken. Mit dem August 1939 begann - vor dem endgültigen Zusammenbruch aller
Hoffnungen auf einen friedlichen Ausgleich - der heißeste Monat in der Geschichte
der deutschen Volksgruppe in Polen.
KONFESSIONELLE NEBENTÖNE
Die Gleichsetzung der evangelischen Kirche und ihrer Repräsentanten in Polen mit dem
Deutschtum ("Co ewangelik - to niemiec!") brachte es mit sich, daß die Demonstratio-
nen und Gewaltakte auch vor der Schwelle der Gotteshäuser, der Pfarrämter und
Friedhöfe nicht Halt machten. Nachdem es im Frühjahr 1939 zunächst nur vereinzelt-
hauptsächlich in den westlichen Grenzgebieten - zu Drohungen und Ausschreitungen
gegenüber deutschen Pastoren und Gemeindehelfern gekommen war, häuften sich diese
Fälle im gleichen Maße, in dem die Presse ihre anti deutsche Kampagne verschärfte.
Eine Vertiefung der Spannungen trat ein, als im Juli und August auch polnisch-katho-
lische Priester in immer offenerer Form "die Sache Polens" zu ihrer eigenen machten
und von den Kanzeln herab in den Tenor der Kundgebungsredner einstimmten; dieser
Tenor hieß jetzt nicht mehr nur" Wachsamkeit" und "Bereitschaft zur Verteidigung
der heiligen Güter des Volkes" - er hieß: "Die Deutschen sind eure Feinde, die Feinde
des katholischen Polen!"
2') .Lodzer Volkszeitung" vom 18.6.1939.
Die anonymen Schreiben in den Briefkästen deutscher Pfarrhäuser, Briefe und Zettel,
in denen die Pastoren aufgefordert wurden, das Land innerhalb kürzester Frist zu ver-
Lassen, da sonst" Todesurteile vollstreckt werden" würden, häuften sich.30)Anderswo
wurden Pfarrer und Kantoren von wohlmeinenden polnischen Bürgern, hier und da
auch von katholischen Priestern, gewarnt und darauf hingewiesen, daß sie gut daran
täten, zumindest vorübergehend ihren Wohnort zu wechseln, einen Urlaub anzutreten
oder außer Landes zu gehen, da sie sonst "Unannehmlichkeiten", wenn nicht gar
Schlimmerem entgegenzusehen hätten. In der von Lic, Dr. Richard Kammel im Auf-
trage des Evangelischen Konsistoriums 1940 in Posen herausgegebenen Berichtsamm-
lung unter dem Titel "Er hilft uns frei aus aller Not" schildern zahlreiche deutsche
Pastoren ihre Erlebnisse im Sommer und Herbst 1939. Der Posener Generalsuper-
intendent D. Blau wies in einem Geleitwort 'zu diesem Buch, "das nicht anklagen und
am wenigsten die Stimmung des Hasses und der Rachegefühle wecken ... , sondern nur
Tatsachenberidrre bringen will", darauf hin, daß aus einem noch nicht überschaubaren,
sehr umfangreichen Material nur typische Einzeldarstellungen ausgewählt worden
seien. Auch sie aber zeigten bereits, "in welcher engen Verbundenheit bei uns Volkstum
und Kirche standen, und wie das Volk an der Kirche seinen stärksten Halt ... be-
saß".31)
Daß sich dieser Hinweis zu jenem Zeitpunkt bereits unüberhörbar an die Adresse der
Posener Gauleitungder NSDAP richtete, die 1940 immer einschneidendere Maßnahmen
zur Eindämmung des Einflusses der Kirche auf die Bevölkerung des "Reichsgaues
Wartheland" ergriff, versteht sich bei Lage der Dinge von selbst.
Hier nur wenige Auszüge aus einer erschütternden Bilanz, der ein Verzeichnis von
14 zumeist in den ersten Kriegstagen ermordeter Pastoren vorangestellt ist, Pastor
Martin Schenk-Friedemhorst (jastrebsko Stare, Kreis Neutomisdiel) berichtet über
die letzten August-Wochen in seiner Gemeinde: "Je bedrohlicher im August die
Lage wurde, desto brennender wurde für unsere Gemeindemitglieder die Frage,
wie 'sie sich bei einem Ausbruch des Krieges zu verhalten hätten ... Kleine pol-
nische Kinder sagten ihrem (deutschen) Hauswirt, ,daß er in den Krieg müsse und
die Familie ermordet werden würde. Ein polnischer Händler erklärte: Mit den
Köpfen von Pastors Kindern werden wir Kegel schieben. Ähnliche Drohungen
wurden wiederholt gegen Deutsche ausgesprochen . . . Die polnische Bevölkerung
bereitete indessen ihre Flucht vor. Reichere Polen aus Neutornischel zogen mit
ihren Möbeln fort, das ärmere Volk begann, die Sachen einzupacken. Sie sagten, daß sie
bei ihrem Wegzug noch möglichst viele Deutsche umbringen wollten •.. Am 24. August
wurden etwa zwanzig junge deutsehe Männer, größtenteils Familienväter, zum polni-
schen Heer einberufen ... Am 26. August fand im Pfarrhaus und in der Kirche eine
dreistündige Haussuchung nach Waffen durch einen Wachtmeister sowie einen Korporal
und vier Mannschaften der ,obrona narodowa' (eine Art Volksmiliz) statt. In der
Nacht nach den Haussuchungen brannten sämtliche Ställe der Pflaumsehen Wirtschaft
.., .Er hilft uns frei aus aller Not", Erlebnisberichte aus den Septembertagen 1939 Lutherverlsg Posen
1940, Seite 120. '
") ebends (.Erlebnlsberlchte •.• "), Posen 1940, Seite 3/4.
37
durch polnische Brandstiftung nieder. Wir mußten nun ein gleiches Schicksal befürchten
und verbrachten seitdem die Nächte wachend im Hause ... Die meisten Männer der
Gemeinde aber schliefen überhaupt nicht mehr in ihren Häusern. Viele hielten sich in
den Wäldchen und in den Weidenkulturen auf, mit denen unsere verstreuten Haulände-
reien durchsetzt sind ... Die Angst und Sorge dieser Tage war nicht umsonst ... "32)
Pfarrer Klaus Liske, Hermannsruhe (Kawki, Kreis Srrasburg), erzählt: "Im Juli erhielt
ich einen Brief, er lautete: ,Sie werden aufgefordert, Polen mit Ihren Angehörigen
innerhalb von 14 Tagen zu verlassen. Im gegenteiligen Falle erfolgt die Vollstreckung
der Todesurteile. Die geheime Hand.' ... Kurze Zeit darauf warnte mich ein Ange-
höriger des Schützenverbandes, 'des .Srrzelec', ich sollte Polen verlassen, da sie Auftrag
hätten, mich sobald als möglich zu erschießen ... Dann folgte eine der alrbekannten
Haussuchungen, bei denen natürlich Material gefunden wurde, das uns als Hoch-
verräter stempelte. Ein Rundfunkempfänger und eine kleine elektrische Nachttisch-
lampe waren ein Geheimsender. Ein Stahlhelm sowie eine Schreckschußpistole wurden
zum ,militärischen Eigentum'. Kurz und gut, man hatte Grund, uns alle drei zu ver-
haften ... In der Zeit der Haussuchung war auch dafür gesorgt worden, daß die Dorf-
bevölkerung von unseren Verbrechen und staatsverräterischen Absichten benachrichtigt
worden war. So hatten sich denn die Jungen mit Beilen, .Äxten und Spaten versehen
und standen Spalier. Aber wir kamen gut durch Man brachte uns dann bis Briesen
und dann von Gefängnis zu Gefängnis bis Thorn "33)
Ebenfalls über die letzten August-Wochen in seiner Gemeinde berichtet Pfarrer Benno
Schilberg, Suschen (Sosnie, Kreis Kempen): "... Mich suchten Polizisten in dieser Zeit
dreimal auf, durchsuchten meine Bücher und beschlagnahmten einiges. Pfarrhaus und
Kirche wurden ständig beobachtet ... Obgleich die Versuchung groß war, sich über die
nahe Grenze zu retten, wollte ich unbedingt bei der Gemeinde bleiben. Luthers Worte
waren mir gegenwärtig ,Wer ein Amt hat, der walte sein, auch wenn das Sterben
droht .. .'. Auch am 27. August hielten wir noch Gottesdienst: keiner, der dabei war,
wird ihn vergessen: draußen - Soldatenhaufen, die die Brücken sprengen sollten; in
der Kirche - gepeinigte, zagende Menschen, die nicht mehr ein noch aus wußten ...
Wir erlebten ,in diesen Stunden, wie Gott uns stärkt, wenn alle Menschenkraft zunicht
geworden ist." 34)
Ganz ähnlich war die Lage in anderen Grenzgemeinden. Doch längst auch standen die
evangelischen Pastoren und Kirchen in anderen Landesteilen vor einer ähnlichen Situa-
tion; nicht nurdie Gotteshäuser und Pfarrämter waren das Ziel von Haussuchungen,
übergriffen mißtrauischer Polizeiorgane und Kundgebungen erregter, aufgewiegel-
ter Menschenmassen. In Lodz wurde der neue evangelische Friedhof im Sommer
1939 mehrfach zum Schauplatz antideutscher Demonstrationen. Der damalige Ver-
walter dieses Friedhofs, Alfred Kretschmer, gab darüber zu Protokoll: "Es war am
Christi-Himmelfahrtstag. Es sollte ein Friedhofsgottesdienst mit Konsistorialrat Pastor
Julius Dietrich stattfinden. Als wir uns zum Gottesdienst versammelt hatten, wurden
.
.Erlebnlsberlchte .•. ", Posen 1940, Seite 16 ff.
32)
331 .Erlebnisberlchte
••. ", posen. 1940, Seite 120 ff.
•• .Erlebnlsberlchte •.. ", Posen 1940, Seite 10 .
die ersten Rufe laut: ,Precz z Niemcami!' (Fort mit den Deutschen!), und schon kamen
auch Steine geflogen. Daraufhin sagte Pastor Dietrich: Wir wollen unseren Gottesdienst
in der Leiche.nhalle abhalten. Als wir hier ankamen, hatte sich schon die Menschenmenge
v~: dem Friedhof neu gesammelt; einige kletterten über das Tor, verprügelten den
Wachter ~C:Hlzun~ zwangen ihn, den Eingang aufzuschließen. Als der Eingang offen
war, schwarmten Sie von allen Ecken und Enden auf den Friedhof, verprügelten meh-
rere Gemeindemitglieder ... Pastor Dietrich durfte den Gottesdienst nicht abhalten
und wurde mit allerlei schmutzigen Worten beschimpft und bedroht. Da die Lage im-
mer bedrohlicher und der Eingang von den Polen besetzt gehalten wurde, habe ich den
Herrn Konsistorialrat und mehrere Gemeindemitglieder auf Umwegen vom Friedhof
ge~racht. I~ wurde später verhaftet, meine Frau blieb allein zurück ... Am 28. August
ereignete SIch auf demselben Friedhof ein zweiter überfall ... Die Menschen, die sich
in großer Zahl zusammengerottet hatten, behaupteten, daß wir nicht Leichen sondern
..
Munition und Waffen begraben ... Man begann frische Gräber aufzugrahen, doch
'
gefunden wurdenichts ... " (BA.)
Zu den gleichen Vorgängen erklärte Frau E. Schöps u, a.: "In meinem elterlichen Hause
in Lodz, das dicht neben dem neuenevange1ischen Friedhof in der W.iesnerstraß·e 'lag,
wohnten nur deutscheFamilien; darin befand sich auch unser Friseurgeschäft. Dieselben
Demonstranten, die auch den Friedhof überfielen, erkoren unser Haus als weiteres
Opfer: ~ir Deuts~en verriegelten damals unsere Wohnungen und harrten so lange
aus, bIS die von meinem Vater herbeigerufene Polizei erschien, die die Demonstranten
zerstreute." (BA.)
Nachdem eine nur die Monate März bis Mai zusammenfassende Bilanz von Gewalt-
tätigtkeiten gegen deutsch-evangelisches Kircheneigentum und gegen Pastoren bzw. An-
gestellte dieser Kirche allein in Posen-Pommerellen fünfzehn Fälle schwerer Aus-
schreitungen nachgewiesen hatte,311)erreichten in den folgenden Monaten die gegen
d.eutsch-evange~che Kirchengemeinden und Persönlichkeiten gerichteten Aktionen
ein 'solches Ausm~ß,daß wir in den deutschen Konsulatsber:ichten aus Polen bald
t~ich entsprechende Hinweise finden.
Aus einer Vielzahl solcher Hinweise seien hier lediglich die einschneidendsten Vor-
kommnisse, die auch in mehreren nach Kriegsende erschienenen Publikationen bestä-
1ligt werden, herausgegriffen.w) W.ir zitieren wörtlich: ",Durch Verfügung des Woi-
w~en vom 15. Juni 1939 ist der Verein ,Evangelisches Vereinshaus Herberge zur
Heimae' in Posen liquidiert und am gleichen Tage das Eigentum des Vereins das
:wan~elische Vereinshaus und das sonstige Vermögen einem polnischen Liquidator
ubergeben worden. Das Gebäude gegenüber der deutschen Landesgenossenschaftsbank
der Universität und dem Schloß stellt schon durch seine sehr .günstige Lage und den
guten Zustand des Hauses einen großen Wert dar. Von besonderer Bedeutung ist es
~r als das letzte Haus, das dem Deutschtum in Stadt und Woiwodschaft Posen für
seme kulturellen Zwecke zur Verrugung stand ... " (Bericht des Generalkonsuls Walther,
OS) ~:~~OekruKmentel Ztur. Vorgeschichte des Krieges", Berlln 1939, Seite 258ff. (Sammlung von Berichten
") V I onsu a e In Polen.)
Th ' Blerchschenk•• Ole deutsche Volksgruppe
H~ik:u~ In Polen 1934-1939" Holzner-Verlag 1954 Otto
,. as oeuts tum In Palen 1916-1939", Selbstverlag des Verfassers, Bonn 1955.
'
Posen, vom 16. Juni)- "Auf Anordnung des Woiwoden von Pommerellen vom 20. Juni
d. J. ist ... der sogenannte Johanniter-Orden als .reditlidi nicht bestehend' erklärt wor-
den. In Pommerellen besaß der J ohanniter-Orden das im Jahre 1894 erbaute Johanni ter-
Krankenhaus in Dirschau sowie ein weiteres Krankenhaus in Briesen. Beide Kranken-
häuser sind am 21. d. M. von den Liquidatoren übernommen worden ... " (Bericht des
Generalkonsuls von Küchler, Thorn, vom 23. Juni) - " ... Da das deutsche Element in
seiner überwiegenden Mehrheit dem evangelischen Glauben angehört, hat es sich die pol-
nische Politik zum Ziel gesetzt, die Organisation der deutsch-evangelischen Kirche nach
Möglichkeit lahm zu legen. Bezeichnend sind in diesem Zusammenhang die Vorgänge,
die dazu geführt haben, daß der hochverdiente und wegen seines unerschütterlichen
Glaubens allgemein geachtete Pfarrer Kleindienst aus Wolhynien seines Amtes ent-
hoben und schließlich aus seiner Heimat, in der seine Familie mehr als zwei Jahr-
hunderte lebte, ausgewiesen wurde ... " (Bericht des Botschafters von Moltke, War-
schau.)
Die Amtsenthebung und Ausweisung des Pastors Kleindienst aus Wolhynien bedeutete
für das gesamte Deutschtum dieses Raumes einen schweren Schlag. Pastor Hugo Karl
Schmidt (froher Lodz) bemerkt in diesem Zusammenhang in einer D. Kleindienst
gewidmeten Broschüre: "In Wolhynien war die Volkstumsfrage von entscheidender
Bedeutung ... Es ist bis heute nicht faßbar, ~eso das sonst so freiheitlich gesinnte
Polen gegenüber den nationalen Minderheiten eine so aggressive Polonisierung be-
trieb. Der Hinweis auf die Abwehr nationalsozialistischer Einflüsse übersieht ganz,
daß längst vor 1933 Polonisierungsmaßnahmen gegenüber allen Minderheiten einge-
leitet waren ... War es da verwunderlich, daß sich die Deutschen angesichts dieser
Maßnahmen ihres Volkstums bewußter wurden? Die offenbare wirtschaftliche Be-
nachteiligung der deutschen Bauern, die Schwierigkeiten beim Landerwerb, die Schlie-
ßung der Kantoratsschulen mit dem klaren Ziel, deutsche Kinder zum Besuch polni-
scher Schulen zu zwingen, mußte schon aus Selbsterhaltung zur deutschen Volkstums-
arbeit führen ... Pastor Al/red Kleindienst war Leiter der Arbeitsgemeinschaft deut-
scher Pastoren. Die Verleihung der theologischen Doktorwürde durch die Universität
Breslau wurde als Provokation angesehen ..• Die Ausweisung aus Wolhynien been-
dete die offizielle Tätigkeit Dr. Kleindiensts in Wolhynien ... " 37)
Die Schließung zahlreicher evangelischer Schulen in allen Landesteilen bildete nur
weitere _ beinahe schon selbstverständlich zu nennende - Glieder in der langen
Kette der gegen die deutsche Volksgruppe geriditeten Maßnahmen.
MASSENVERHAFTUNGEN VERURSACHEN MASSENFLUCHT
"Die polnischen Behörden ... erließen weiterhin Sicherungsmaßnahmen gegen die
Volksdeutschen, die ihrerseits zu Tausenden die Grenze zu überschreiten versuch-
ten •.. Gegen Mitte August begannen die Polen, Hunderte von Volksdeutschen vor-
beugend zu verhaften."38) Diese knappe Feststellung des Holländers de Jong in der
17)Aus .Dr. theol. Alfred Kleindienst. Ein Leben}m Dienst an Kirche und Volk". Hannover
"') L de Jong: .Dle deutsche flln~e Kolonne •••• Seite 45.
Einleitung zu seinem "Panik in Polen" überschriebenen ersten Kapitel über die Sep-
tember-Ereignisse deutet die in den letzten Tagen vor Kriegsbeginn eingetretene Si-
tuation nur gerade an.
Die Unruhe innerhalb der gesamten Bevölkerung, die durch ständige Presseberichte
und Erklärungen führender Politiker und Militärs über Polens Stärke eher gesteigert,
als gedämpft wurde, nahm besonders in den westlichen und nördlichen Provinzen des
Landes panikartige Züge an. Nachdem Marschall Rydz-Smigly in mehreren Reden
und insbesondere auch in einem der Zeitung "News Chronide" gegebenen Interview
an die Verteidigungsbereitschaft und an den Patriotismus aller Polen appelliert
hatte ("Im Falle eines Krieges wird jeder Mann und jede Frau, ohne Rücksicht auf
das Alter polnischer Soldat sein!")39) und nachdem die Krakauer Zeitung "Czas" so
weit gegangen war zu verkünden, daß "Polens Geschütze auf Danzig gerichtet" seien,
"um Polens Ehre zu schützen"40), verging kein Sonntag mehr, ohne daß nidu auch
von den Kanzeln "der heilige Krieg gegen das deutsche Neuheidentum" verkündet
und für den Sieg der polnischen Waffen gebetet worden wäre.
In einem Situationsbericht des deutschen Botschafters in Warsch.au, von Moltke, vom
1. August 1939 an das Auswärtige Amt heißt es:
"... Die Parolen der Regierungspropaganda werden blindlings geglaubt; weiteste Kreise
sind tatsächlich davon überzeugt . ""' daß in Deutschland die Bevölkerung hungert,
daß täglich Scharen von hungernden deutschen Soldaten und Arbeitsmännern nach
Polen desertieren, daß das deutsche Kriegsmaterial von sehr fragwürdigem Wert sei,
daß die deutsche Außenpolitik eine Niederlage nach der anderen erleide .. ""41)
Dieser offizielle Bericht des Warschauer Vertreters der Reichsregierung findet seine
Bestätigung in den uns vorliegenden Situationsschilderungen. So berichtet Hermann
von Bülow über die Lage im Kreise Schubin: "Jeder Wirklichkeitssinn, jede reale
Einschätzung der Lage war in diesen Tagen offenbar verloren gegangen. Hieß es
beim polnischen Generalstab: ,Die deutschen Panzer sind aus Pappmadie, die UdSSR
ist ein Koloß auf tönernen Füßen, die Republik fühlt sich bei ihren Ulanen gebor-
gen!', so kam die Stimmung bei der Bevölkerungsmasse einer allgemeinen Hysterie
gleich. Die Arbeiterschaft von Zurawia war auf einer Liste erfaßt; diese hing bei dem
Wachtposten am Haupthoftor. Die anderen Tore waren geschlossen. Wer von den
etwa 120 Beschäftigten das Hoftor passieren wollte, mußte sich ausweisen. Sämtliche
Tauben wurden abgeschlachtet, und zwar wegen der ,Brieftaubengefahr'. Wenn meine
Frau in einen Stall wollte, was sie möglichst vermied, brauchte sie militärische Erlaub-
nis und Begleitung. Die ganze Gegend W''Ir mit meilenlangen Schützengräben, Stachel-
drahtverhauen, Betonbunkern und Maschinengewehrnestern durchsetzt. Alles im
Grunde genommen kein Hindernis für eine modern ausgerüstete Armee ... "(BA.)
Während jedoch die Situation der deutschen Gutsbesitzer hier und da - soweit sie
nimt überhaupt auf Grund ihnen zugegangeuer Drohungen oder Warnungen inzwi-
schen das Land verlassen hatten - noch erträglich erschien, hä.uften sich in den deut-
.Nswl!. Chronlcle" vom 19. 7. 1939•
• Czas • Krakau. vom 7. 8. 1939.
1968. Seite 71. ~ Vgl •• Dokumente zur Vorgeschichte des Krieges". Berlln 1939, Nr. 444, Seite 402-404.
41
schen und in gemisditsprachigen Landgemeinden die Überfälle und Ausschreitungen,
Zahllose Menschen und ganze Familien wagten es niche mehr, in ihren Häusern zu
iibernachten; sie kampierten irgendwo im Freien und in Wäldern, soweit sich nicht
die Gelegenheit bot, über die "griine Grenze" nach Deutschland zu gehen.
In der zweiten Augusthälfte begannen dann mit der gleidrzeicigen Schließung der
letzten kulturellenEinrichtungen des Deutschtums die Massenentlassungen und Massen-
verhaftungen im ganzen Lande. Die allgemeine Erregung erreichte ihren Höhepunkt,
als in der Nacht zum 24. August der Befehl zur Generalmobilmachung erging, Ob-
wohl dieser Mobilmadnmgsaufruf noch nicht über die Presse erfolgte und audi nicht
plakatiert wurde, machten die durch Magistratsbeamte, Lehrer und Luftschutzange-
hörige ausgetragenen Gestellungsbefehle jedermann klar, ,daß die Zeichen auf Sturm
standen und Polens militärische Führung - nidir zuletzt dm Vertrauen auf ihre Ver-
bündeten - zur bewaffneten Auseinandersetzung mit dem lange genug als "Erb-
feind" bezeichneten Nachbarn entschlossen war.
Hand in Hand mit den Einberufungsbefehlen und mit den vor allem in den Grenz-
gebieten fieberhaft einsetzenden Schanzarbeiten gingen die "Sicherungsmaßnahmen",
die darin bestanden, daß die seit Monaten auf besonderen Listen erfaßten "verdämti-
gen" oder als "besonders gefährlich" angesehenen Deutschen - in erster Linie füh-
rende Männer der deutschen Parteien und Wirtsmaftsorganisationen - teils unter
strenge Beobachtung gestellt, teils audi sofort verhaftet und in die örtlichen Gefäng-
nisse, hier und da aberauch schon 'zu diesem Zeitpunkt in besonderen Transporten in
andere, zumeist ösrlidie Landesteile abtransportierr wurden.
Der Verhaftungsgründe grub es genug, wobei die Behörden insbesondere in Ostpolen,
in Galizien und Wolhynien die Gelegenheit nutzten, gleichzeitig auch mißliebige, als
"antipolnisch" verdächtigte Personen anderer Volkstumsgruppen - hauptsächlich
Ukrainer - festzuseteen. über derartige Vorkommnisse berichtete auch am 15. Juli
der deutsche Konsul in Lemberg, Seelos, an das Auswärtige Amt.42) ..
"SCHWARZE LISTEN" VON GALIZIEN BIS POMMERELLEN
Der frühere Beamte des städtischen Gaswerkes in Lemberg, Sepp Müller, Vorstands-
mitgdied des Verbandes deutscher Genossenschaften sowie anderer Organisationen,
berichtet aus eigenem Erleben: "Seit dem Mai 1939 standen infolge kurzfristiger
Kündigung des Selbstverwaltungs- Vertrages durch den .polnisdien Revisionsverband
rund hundert deutsche Genossenschaften ,in Galizden, Wolhynien und im Lublincr
Gebiet vor dem Nichts. Trotz mehrfacher Versuche gelang es uns nicht, die Kündi-
gung rückgängig zu machen ... In demselben Monat wurden in Lernberg alle Eltern,
deren Kinder die deutsch-evangelische Volksschule besuchten, zum Stadtschulamt be-
fohlen, angeblich um festzustellen, ob die Einschreibezettel von ihnen tatsächlich
eigenhändig unterfertigt worden waren. In Wirklimkeit jedoch, um einen weiteren
Druck auf sie auszuüben ... Nadi Rückkehr aus einem Urlaub erfuhr ich von den
") Dokumente ... , Nr. 400, Seite 370.
42
ersten Verhaftungen enger Mitarbeiter ... Am 19. August führte man den schwersten
Schlag' gegen uns: Rudolf Bolek, der Vorsitzende des Deutschen Volksrates für Gali-
zien und Leiter unseres Genossensdiaflswesens wurde verhaftet. Der Verhaftung ging
eine mehrständige Haussuchung voran, die jedoch keinerlei belastendes Material
erbrachte, Boleks Verhaftung legte sich wie Blei auf unsere Gemüter: er war unser
Berater in allen wichtigen Fragen gewesen ... Am 27. August folgte die Verhaftung
von Dr. Ludwig Schneider. Schon zehn Tage vorher hatte mir mein Betriebs-Direktor
,im Auftrage höherer Stellen' gesagt, ich müßte ihm verschiedene Angaben über
Familie, Organisationen, denen ich angehörte u. a. m. machen. Auf meine erstaunte
Frage, wozu er das alles benötige ... , sagte er mir wörtlich: ,Sie stehen auf der
schwarzen Liste. Man will Sie retten, verlangt aber von Ihnen, daß Sie Ihre Kinder
aus der deutschen in eine polnische Anstalt umschulen, Man würde das als genügenden
Beweis Ihrer Loyalität ansehen' '" Ich erbat Bedenkzeit, und später zog sich die
ganze Angelegenheit in die Länge, wobei mir der Umstand zu Hilfe kam, daß die
Schulgebäude inzwischen von Militär belegt wurden. " Am 29. August erhielt ich
eine Karte von meiner Schwägerin aus Falkenberg, daß mein Bruder am 27. August
zum Kriegsdienst einberufen worden sei. Das war ein harter Schlag. Der Mann hatte
den Weltkrieg 1914/18 in der österreidiischen Armee mitgemacht, war 1918 als
Kriegsinvalide entlassen worden, hatte niemals im polnischen Heer gedient und wurde
nun im Alter von 44 Jahren eingezogen, obwohl sogar der am 30. August veröffent-
lichte Mobilisierungsbefehl eine solche Einberufung nicht vorsah. Wie ich später er-
fuhr, waren an diesem Tage alle Falkeaberger deutschen Männer eingezogen worden,
während die Polen daheim bleiben durften ... " (BA.)
Sepp MüllerWUJroe arn 1. September zusammen mit zahlreichen anderen Galizien-
,deutschen verhaftet und nach seiner Verschleppung erst am 18. September in Bereza
Kartuska befreit. Xhnlich wie ihm erging es mehr als siebenhundert deutschen
Männern aus Wolhynien, von denen ein großer Teil bereits zwei Wochen vor Kriegs-
beginn verhaftet worden war. (BA.) Die Verhaftungsgründe waren stets die gleichen:
Betätigung in "polenfeindlimen Organisationen", "staatsfeindlime Umtriebe" oder
gar ••Spionage", die allerdings in so abgelegenen Gebieten wie Wolhynien und Gali-
zien noch sehr viel schwerer zu konstruieren war als etwa in den grenznahen Gebieten
Ostobersmlesiens und Posen-Pommerellens,
Das Geschehen in Ostoberschlesien nahm während der letzten beiden Augustwochen
einen um so ersdireckenderen Verlauf, als hier durch das Einwirken des seiner deutsch-
feindlimen Einstellung wegen bekannten Kattowitzer Wojewoden Grazynski alle
••Simerungsmaßnahmen" noch konsequenter und koordinierter getroffen wurden als
anderswo. Besdilagnahmungen deutschen Eigentums, Massenentlassungen und Aus-
schreitungen gegen Deutsche - zu denen bereits in deutscher Sprache geführte Unter-
haltungen in Lokalen oder auf den Straßen Anlaß boten - gehörten hier seit Mai
1939 zum "täglimen Brot" der deutschen Minderheit. Der Aufständischen-Verband
tat sich bei a11diesen Vorkommnissen besonders hervor.
Eine erste größere Verhaftungswelle, mit der gleichzeitig die Schließung einer ganzen
43
Anzahl von deutschen Schulen und Versammlungsstätten sowie Turnhallen verbun-
den war, wurde am 14. und 15. August durchgeführt. Angesichts der einsetzenden
r Während die polnische Presse aus naheliegenden Gründen die Fluchtbereitsmaft der
Massenfluche wurde am 15. August der »Kleine Grenzverkehr" seitens der Behörden
rigoros unterbunden. Die Hauptleidtragenden waren etwa zehntausend deutsche Ar-
beiter, die z. T. erst wenige Wochen oder Monate vorher angesichts ihrer Entlassung
aus den alten Betrieben einen neuen Arlbeitsplatz jenseits der Grenzen gefunden hat-
ten. Allein in Bielitz wurden am 15. August die Lokale des deutschen Lehrlingsver-
eins, des Gesangvereins, des Turnerbundes und des Wandervogels geschlossen.
Oscar Biesmer, der Vorsitzende des Gesellenheimes und der Kinderschutzorganisa-
cion in Bielitz, schildert seine persönlichen Erlebnisse wie folgt: »Ich wurde am
15. August 1939 ZUS3JIIl:IIlenmit Ing. Wiesner 'und Eugen Jeikner verhaftet und zu-
nächst dem Gefängnis in Teschen überstellt. Ing. Wiesner wurde dort wieder entlas-
sen; wie es hieß, nur deshalb, weil von Seiten der Reichsregierung die Drohung aus-
gesprochen worden war, auch den Führer der polnischen Minderheit in Deutschland
zu verhaften, wenn man Wiesner nicht wieder auf freien Fuß setzen würde. Zusam-
men mit 280 deutschen Männern und 18 Frauen wurden wir sodann, wie Schwerver-
brecher zu je vier Personenaneinandergekettet, über Krakau nach Kielce transpor-
tiert ... Hier sind wir nur dank des raschen Eintreffens deutscher Truppen einem
schlimmeren Schicksal, wie es andere Landsleute betroffen hat, entgangen." (BA.)
Karl Hoffmann, ebenfalls ein Bielitzer Bürger, der von 1933 bis 1939 unter Dr.
Przybila als Bürgermeister auch dem städtischen Gemeinderat angehörte, konnte im
August 1939 dank einer Warnung seiner bevorstehenden Verhaftung entgehen. Er
ergänzt die Schilderungen Biesmers und berichtet über die Lage in seiner Heimat-
stadt: »In der zweiten Augusrhälfte wurden zur Verstärkung der Polizei Aufständi-
sche (Powstancy) mit Gewehren bewaffnet eingesetzt. Dieselben patroullierten auf
Straßen und Plätzen ... Sogar minderjährige deutsche Kinder wurden verhaftet und
verprügelt, Am Abend war es nicht ratsam, die Wohnung zu verlassen. Einige Deut-
sche wurden ohne vorherigen Anruf von den Aufständischen erschossen." (BA.) Auch
Schlossermeister Ludwig Zangl - ein Nachbar Biesmers - wurde auf diese Art beim
überqueren der Straße umgebracht, ein anderer Bielitzer - der Lehrer Raschke - nach
Alt-Bielitz verschleppt und dort erschlagen.
Es kann angesichts solcher und ähnlicher Vorfälle im ostoberschlesischen Industrie-
gebiet und im Teschener Schlesien nicht wundernehmen, daß allein aus diesem Raum
bis Ende August zehntausende von Flüchtlingen in ostdeutschen Durchgangs- und
Notaufnahmelagern gezählt wurden. Zu ihnen gesellten sich auch aus anderen Woje-
wodschaften - und insbesondere aus den Grenzgebieten Posen-Pommerellens - junge
Deutsche, die mit ihrer Einberufung zur polnischen Armee rechnen mußten. Der Ber-
liner Rundfunk tat seit April 1939 das seine, indem er durch pessimistische Lagebe-
richte und durch übertriebene Flüchtlingszahlen die ohnehin gespannte Atmosphäre
verschärfte. 43)
") In den ersten Mal-Tagen gab der Deutschlandsender bekannt, daß In FIUchtlingslagern in Pommern
und Schlesien "allein Im Zeitraum vom 15.-30. April •.• 6320 volksdeutsche FlUchtlinge aus Polen und
dem Korridorgebiet Aufnahme gefunden" hätten.
Deutschen herunterzuspielen suchte und von einer »befohlenen Absetzbewegung"
sprach"), gab das Reichspropagandaamt vor allem im August mehrmals Weisungen
zur »verstänkten Herausstellung von Berichten und Bildern über die Flucht von
Volksdeutschen aus Polen" heraus.45) Daß angesichts derartiger Tendenzen der Pro-
paganda auf bei den Seiten genaue Zahlenangaben über die Fluchtbewegung von
Deutschen aus Polen während des Frühjahrs und Sommers 1939 nidu möglich sind,
liegt auf .der Hand. Nicht zuletzt werden alle Versuche einer genauen Schätzung da-
durch erschwert, daß viele Flüchtlinge während der letzten Wochen vor Kriegsbeginn
im Danziger Raum und in Deutschland bei Verwandten und Bekannten Aufnahme
fanden, ohne ein Lager zu berühren und daher von der offiziellen Statistik nicht er-
faßt wurden.
RÜCKWIRKUNGEN AUF DIE POLNISCHE MINDERHEIT IN DEUTSCHLAND
Die polnische Minderheit in Deutschland - insbesondere in Ost- und Westpreußen
sowie in West-Oberschlesien - blieb im Frühjahr und Sommer des jahres 1939 vor
den Auswirkungen der zwischen Berlin und Warschau immer tiefer klaffenden Gegen-
sätze nicht verschont.
Nachdem am 5. November 1937 eine »übereinstimmende Erklärung der deutschen
und der polnischen Regierung über den Schutz der beiderseitigen Minderheiten" ver-
offeneliehe worden war und sowohl HitZer als auch der polnische Staatspräsident
Moscicki am gleichen Tage bei Empfängen der ibeiderseitigen Volksgruppenvertreter
die Beachtung der in dieser Erklärung enthaltenen Richtlinien zugesagt hatten, war
in beiden Staaten noch einmal die Hoffnung auf eine Besserstellung der Volksgruppen
und auf eine Entspannung der Beziehungen gewachsen.
Wahrend jedoch diese Hoffnung auf Seiten der deutschen Minderheit in Polen schon
deshalb getrübt wurde, weil sich bereits in den Kommentaren der polnischen Presse
zu dem Abkommen beträchtliche Dissonanzen hinsichtlich seiner Bedeutung und prak-
tischen Auswirkung ergabenw), war für die polnische Minderheit in Deutschland der
5. November »ein großer Tag", Nach den Worten des Polenbundführers Dr. Kacz-
marek begrüßten die Polen die Erklärung mit »lebhafter Befriedigung". Und am
6. März 1938 erklärte Kaczmarek bei der 15-Jahresfeier des Polenbundes im Rahmen
einer Großveranstaltung in Berlin vor zahlreichen Gästen auch aus dem Mutterlande:
,.Wir sind wiedergeboren!"47)
Diese Erneuerung betraf in erster Linie die nach polnischen Angaben in fünf Gaue
(dzielnice) und 650 Ortsgruppen gegliederten 50000 Mitglieder des "Bundes der
PoIen [n Deutschland" (Zwiazek Polaköw w Niemczech); sie hatten sich mancherlei
:) Hier zitiert nach Eugenlusz Guz, .Flucht auf Befeh'" In Polityka Warschau Nr 41 vom 12 10 1968
) rIQesserundschreiben des Relchspropadandaamtes
•• ••• nenen 70/01).
Berlln, Nr: 11/182/1939 (Institut für Zeligeschichte
'
)!~
dejr .Gaze~ Polska" vom 6.11.1937 erklärte Smogorzewskl zum MInderheitenabkommen:
nte ede Regierung .,' • zu en~elden
.Es wird
haben, In welchem Maße die WUnsche und Forderungen der
., b e reffenden Minderheit berechtigt sind.
) .Sprawy Narodowosciowe", V1l1/1934,Seite 348ft.
45
Klagen zufolge deshalb bis dahin als diskriminiert angesehen, weil "Deutschland und
insbesondere der Nationalsozialismus die Angehörigen anderen Volkstums zu Men-
schen zweiter Klasse abgestempelt hatte" .48) Darüber hinaus stand die Leitung des
Polenbundes auf dem Boden der "Auffassung von der blutsmäßigen - nicht aber der
bekenntnismäßigen Volkszugehörigkeit". Eine Auffassung, die zwar aus dem Wun-
sche heraus, eine möglichst hohe Zahl von Polen in Deutschland nachzuweisenw), als
verständlich angesprochen werden kann, die jedoch der Wirklichkeit in keiner Weise
entsprach, da zum Beispiel in den deursdi-polnisdien Grenzgebieten eine klare Tren-
nung der nationalen Zugehörigkeit niemals nach den Merkmalen der Sprache und
Abstammung allein getroffen werden konnte und die Bekenntnisscheide oft mitten
durch die Familien ging. Auf einem besonderen Blatt steht das ständige Albgleiten
vieler Familien in das deutsche Volkstum infolge der innen- und außenpolitischen
Festigung des Deutschen Reimes.50)
Für den von vielen Polen als ein "Krankheitssymptom der nationalen Psyche" emp-
fundenen - rapiden Rückgang der Bekenntnisfreudigkeir zum Polentum in Deutsch-
land, der sidi auch darin ausprägte, daß der Drang nacheigenen Schulen außerordent-
lich gering war und infolge des polnischen Desinteresses erst 1937 ein zweites polni-
sdies Gymnasium in Marienwerder neben dem alten Gymnasium in Beuthen errichtet
werden konnte, machte man in Polen selbst "Unterdrü~un,gsmaßnahmen" der Be-
hörden verantwortlidi, 51)
Einer der maßgeblichsten Volkstumsstanistiker, Professor Dr. Wilhelm Winkler, Wien,
bemerkte zu den auch bei den Wahl ergebnissen - jener "geheimen Volkszählung" .-
ständig sinkenden Zahl polnischer Stimmen: "Wahlziffern weisen nach der gleichen
Richtung wie Volksabscimmungen:daß wir es überwiegend mit einer Volksmasse zu
tun haben, die auf die Betonung und Bewahrung ihres Volkstums keinen allzu großen
Wert legt und die nationalen Rücksichten hinter politischen, wirtsdiafblichen, sozialen
und anderen Rücksichten zurückzustellen bereit ist. "52)
Sowohl vom Polenbundin Deutschland als auch von Warschauer Regierungsstellen
wurde die schon 1938 geplante und 1939 durchgeführte Volkszählung in Deutsch-
land deshalb als ein konsequent gegen die polnische Minderheit gerichteter Schritt
angesehen, weil hier zum erstenmal neben der Sprache in einer besonderen Rubrik
auch die Volkszugehörigkeit festgestellt werden sollte. Die von den Deutschtums-
organisationen in Polen stets angestrebte Forderung nach einem "Bewährungsvolks-
turn" mußte bei den Polen in Deutschland schon im Hinblick auf ihr schwankendes
Volkstumsbewußtsein und erst recht im Zeichen des nationalsozialistischen Maditzu-
wachses auf .A:blehnun,gstoßen. So verkündete Dr. Kaczmarek bei der 15-Jahrfeier des
Polenbundes 1938 in Berline "Die Statistiken werden nicht die Wahrheit erfassen,
wenn 'Sie das Volkstum vom menschlichen Willen abhängig machen ... Pole ist, wer
<B) .Dzlen Pomorza" vom 8. 11. 1936.
") .Gazeta Polska" nannte für das Jahr 1937 1470000 Polen In Deutschland, .Front Zachodni"
1650000.
sogar
50) Vgl. Richard Breyer, .Das Deutsche Reich und Polen 1932-1937", Würzburg 1955, Seite 272ff.
zrt,
51) ebenda, Seite
52) Wilhelm Winkler, .Statistisches Handbuch", Seite 75.
46
polnisches Blut ,in sich trägt, gleichgültrg für wen er seine Stimme bei Wahlen od
Volkszählungen abgibt. "53) er
Eine solche, der Mentalität vieler Polen zwar entsprechende, aber etwa bei Anwen-
dung auch auf ~as Deutschtum in Polen für diesen Staat doch ungleich "gefährlichere"
Thes~ erfuhr eine .dementsprechende Ausdeutung in Artikeln der polnischen Presse
und In Reden polnischer Geistlicher und Militärs.
So wurden in der Zeitsmrift "Front Zamodni" die Polen in Deutschland di .
lks ähl b ' ie eine
vor za ung ; w ersidi ergehen lassen sollen, zu Helden, Heiligen und Märtyrern des
vz
Polentums" gestempelr.ss)
Von ähnlichem P.athos und zugl~im von einer unverhüllten Aggressivität gegenüber
Deutschland als einem Polen "ewlg bekämpfenden Nachbarn" erfüllt waren in diesen
Women und Monaten zahllose Artikel und Reden aus verschiedensten Anlässen, vor
allem aber arn Tage der Volkszählung, dem 17. Mai, in Deutschland. Generalstabs-
oberst Switalski hielt im Namen der polnischen Armee in Graudenz bei einem Em _
fang der Bischöfe Dominik und Dr. Okoniewskieine Rede, die er mit den Wort;n
~dl1oß: "Bet~n Sie mit uns heute ... darum, daß unsere Brüder aushalten mögen, daß
ihre Probezelt verkürze wird, und um eine große Tat - um ein zweites Grunwald5;;)
das si: aus der Unfreiheit erlöst und uns einen entsprechenden Frieden sichert. "56) ,
Angesichts einer s~lchen Haltung, der bald ununterbrochene Bekundungen des polni-
schen .überle~enheltsgefühls und der militärischen Stärke in Polen folgten, zersdilu-
ge.n sich - nicht zuletzt auch angesidus entsprechender Reaktionen auf Seiten der
relmsdeutschen P.resse und angesichts der dmmer eindeutiger auf eine "Gesamtlösung"
der deutsch-polmsmen Fraigenkomplexe abzielenden Politik Hitlers - die nodi ein
Jahr zuvor hochgespannten Hoffnungen der polnischen Minderheit in Deutsmland
auf Zeiten der inneren Sammlung und Konsolidierung in ein Nichts.
=1 G·Front
55
Hier zitiert nach .Front Zachodni", Heft
Zachodni", V1/2, Februar 1939.
VI/3, 1938.
runwald ist die pol . ch B·ch -
56 te.n pOlniSch-litauisch~~S St~eit~~~t ~~~~J,~~~a~~~~~genW~u~~~ ein Ordensheer von einer vereinig-
) Hier zitiert nach .Gazeta Pomorska", Nr. 116, vom 2O.121~
5. 1939.
47

Weg ohne Ziel
Seit dem Erlaß eines polnischen Sondergesetzes über den Kriegszustand vom 30. Juni
1939, das die Aufhebung der bürgerlichen Rechte und Freiheiten ebenso wie Sonder-
maßnahmen, d. h. die "überwachung und Internierung verdächtiger Personen für den
Kriegsfall" umriß, konnte niemand mehr sich irgendwelchen Illusionen hinsichtlich
der Behandlung der Deutschen hingeben. Dies um so weniger, als bereits vorher R~-
präsentanten der deutschen Volksgruppe, wie Dr. Kohnert in Pose~ u~d L~dwtg
Wolf! in Lodz, von den Behörden aufgefordert worden waren, V~rzelchmsse f~hren-
der Persönlichkeiten einzureichen; Verzeichnisse, deren Zweckbestunmung so einden-
tig war, daß es bei den Volkstumsvertretern auf polnischer Seite nicht e~al mehr
verübelt wurde, als sie dieses Ansinnen zurückwiesen. Ein höherer Beamter. im polni-
schen Innenministeriums erklärte Dr. Kohnert Anfang August, daß man Sich "schon
zu behelfen wissen" werde und daß man »für alle wichtigen Deutschen besondere
Schutzmaßnahmen in Aussicht genommen" habe.67).
Ober diesen "Behelfsweg" konnte es angesidits der' längst sorgsam gehandhabten
Registrierpflicht für alle Vereine und Verbände ebensowenig Zweifel geben, wie auch
über den Charakter der Schutzmaßnahmen durch vertrauliche Hinweise und durch
die Behördenprakciken in verschiedenen Landesteilen längst vor Kriegsbeginn genug
bekanntgeworden war. Die Festnahmen und Abtransporte von Deutschen seit Mitt~
August sagten genug. Und auch die Errichtung eines großen Geisel-Sammellagers bei
Brest-Litowsk konnte nicht lange verborgen bleiben.s'')
Während jedoch die Verhaftungen und Verschleppurigen als "unzuverlässig" oder
»staatsfeindlich" bezeichneter Deutscher vor Kriegsbeginn noch willkürlich und regel-
los - je nach Haltung und Stimmung örtlicher Polizei- und Behördenstellen hier und
da auch wirklich als Schutzmaßnahmen - aufgefaßt und vorgenommen wurden, ent-
sprachen die gegenüber den Angehörigen der nationalen Minderheiten in Polen ange-
wandten Maßnahmen des 1. September und der folgenden Tage durchweg zentralen,
nach einheitlichen Richtlinien festgelegten Weisungen. Übereinstimmend ist in den
vorliegenden Berichten und eidesstattlichen Aussagen immer wieder von einem, in kur-
zen Abständen über den Warschauer Rundfunk durchgegebenen Rundruf die Rede,
der mit den Worten »Uwaga, uwaga ... " (Achtung, Achrungl) begann und der die
Weisung enthielt, den in einem bestimmten Zahlenstichwort enthaltenen "Befehl so-
fort auszuführen". Dieser Befehl bedeutete offenbar dlie Durchführung der für den
Kriegsfall vorgesehenen Verhaftungen entsprechend den vorbereiteten Geisel-Listen
bzw. den Abtransport dieser Verdächtigengruppen.
So verständlich oder gar notwendig eine solche durch den Einmarsch der deutschen
Wehrmacht in Polen begründete Aktion auch erscheinen mochte, so katastrophal und
voraussehbar waren die Folgen für die Betroffenen. Einsichtige polnische Kreise, die
auf Grund ihres guten nachbarschafl:lichen Verhältnisses zu den Deutschen in den
Zwischenkriegsjahren noch so manchem ihrer Mitbürger Warnungen hatten zukom-
l1J Persönliche Mitteilungen von Dr. Kohnert. • ") Vgl. Otto Heike,
51) Vgl. Th. Blersdlenk, .Dle deutsche Volksgruppe In Polen 1934-1939 ,Seite
48
men lassen, sahen sich schon deshalb außerstande, dem bereits in den ersten Kriegs-
tagen sichtbar werdenden Chaos, der Verfolgung und dem Leid tausender unschuldi-
ger Menschen zu steuern, weil sie selbst als verdächtig galten und schon bald mit in
die Wirren der entfesselten Zerstörungsmaschinerie hineingerissen wurden.
Offiziell gab es drei, nach Farben unterschiedene Arten von Hafl:befehlen: rote Zettel
für die Gruppe der Hauptverdächtigen, das heißt für führende Persönlichkeiten der
Volkstumsorganisationen und Vereine, für Verlagsleiter, Redakteure, Bankdirektoren
- in den Landgemeinden gehörten vielfach auch Lehrer, Pastoren und Kantoren zu
dieser Gruppe -, rosa Zettel hauptsächlich für Reichsdeutsche und weniger hervorge-
tretene, politisch unbelastete, aber um ihres Bekenntnisses zum Deutschtum willen
eben doch mißliebige Partei- und Vereins-Angehörige, und gelbe Zettel für die nur zur
vorübergehenden Evakuierung vorgesehenen, an sich unverdächtigen Deutschen, die
sich an einen anderen Wohnort in Mittel- oder Ostpolen begeben und dort" vorüber-
gehend unter Polizeiaufsicht leben" sollten. Da diese Evakuiertengruppen aber vom
ersten Kriegstage an praktisch gar keine Möglichkeit mehr hatten, mit der Bahn ir-
gendwohin zu fahren, wurden sie zumeist den Verhafl:etengruppen zugeteilt und
erlitten deren Schicksa1.59)
über die sich angesichts der Kampfhandlungen und des allgemeinen Durcheinanders
jener Tage an den Verschleppungsstraßen abspielenden Ereignisse geben die nach-
folgenden Auszüge aus eidesstattlichen Erklärungen trotz aller Nüchternheit der mei-
sten Schilderungen anschaulich Aufschluß.
AN DEN STRASSEN NACH LOWICZ
Der Chefredakteur der "Deutschen Rundschau" in Bromberg, Gotthold Starke, be-
richtet:
"Am 1. September 1939, abends um 1/28 Uhr, wurde ich in meiner Wohnung durch
einen polnischen Polizisten verhaftet ... Ich wurde im Krafl:wagen in das frühere
Reichskriegerwaisenhaus in Bromberg gebracht, in dem ich bereits viele Volksdeutsche
und Reichsdeutsche antraf, die gleichfalls am 1. September verhaftet worden waren.
Dazu war, wie ich später 'erfuhr, über den polnischen Rundfunk ein Generalbefehl
für das ganze Land verbreitet worden. Die Arrestantenlisten müssen schon Ende
April oder Anfang Mai fertiggestellt worden sein. Personen, die später nach Brom-
berg zugezogen waren und die genau so oder mit noch größerem Recht als wir ande-
ren als politisch verdächtig erscheinen konnten, wurden nämlich nicht verhaftet. Da-
gegen forschte man auch nach Leuten, die in den letzten Monaten verzogen waren ...
Offenbar hatte man die Absicht, uns alle in ein Lager zu verschleppen. Am 2. Sep-
tember wurden noch weitere Verhaftete zu uns gebracht, darunter der Vorsitzende
der Deutschen Vereinigung, Dr. Kohnert ... Am gleichen Nachmittag wurden wir in
zwei Reihen aufgestellt und auf den Hof geführt. Vorher wurden durch einen Solda-
ten einige Paare herausgesucht, deren Hände aneinander gefesselt wurden. Dann
bildeten wir auf dem Hof ein großes Karree, man lud Karabiner und Maschinen-
.Das DeutSchtum In Polen 1918-1939", Seite 233.
362ff.
49
pistolen und setzte uns in Marsch. Zuerst durch die uns laut beschimpfende polnische
Bevölkerung Brombergs ... Als es dunkel geworden war, marschierten wir weiter
über Langenau und Schulitz nach Thorn, ein Gewaltmarsch von rund 58 km, ganz
unerträglich für die Greise und Kinder, die bei uns waren. Die Strapazen wurden
verschärft durch den Mangel an Nahrung und den immer wiederkehrenden Befehl,
in den Straßengraben zu gehen, wenn deutsche Flieger auftauchten. Schon bei Lan-
genau blieb als Sterbende Martha Schnee liegen, eine Nichte des bekannten Gouver-
neurs aus Deutsch-Ostafrika, die ihr Leben dem Dienst an Armen gewidmet hatte,
zuletzt als Leiterin der Deutschen Volkswohlfahre. In 11horn waren wir nachts im
schmutzigen Saal eines Vororts untergebracht. Die ersten Geisteserkrankungen mach-
ten sich bemerkbar ... Am 4. September marschierten wir von 11horn bis Ciediocinek:
hier wurden wir in einem Jugendlager untergebracht ... " (BA.)
Am gleichen Tage begegnete der Pole Michal K. Pawlikowski dem Bromberger Ver-
schlepptenzug. Er schildert; diese Begegnung wie folgt: "Der Morgen des 4. Septem-
ber stieg klar, warm, nur sacht im Tau beperlt herauf. Unterwegs ... auf der Chaus-
see Thorn=Ciechocinek ... Kolonnen von Flüchtlingen, die auf Pferdewagen. Fahr-
rädern und zu Fuß unterwegs waren. Unter ihnen erregten lange Reihen von Deut-
schen beiderlei Geschlechts die Aufmerksamkeit; sie wurden von jungen Burschen
eskortierte Kolonisten, polnische Staatsbürger, die hauptsächlich in den Orten entlang
der Chaussee Bromberg-Thorn wohnten. Manche von ihnen waren in Unterwäsche.
Ober das weitere Schicksal dieser ausgesiedelten Deutschen hat man sehr verschieden
geredet, sowohl damals, als auch später ... "80)
Was geredet wurde, gibt Pawlikowskisodann am Beispiel einer Szene, der er in
Wloolawek (Leslau), in den Räumen des 'dortigen Starosten beiwohnte, wieder: "In
Wlodawek war T adeusz Zeuge eines merkwürdigen Gesprächs. In das Zimmer des
Starosten, in der WoJewode Raczkiewicz, der Vizewojewode Szczepanslei, der Starost
von Wloclawek, der Leiter der sozialpolitischen Abteilung, Cichalewski, und irgend-
ein Major saßen, trat unibemerkt ein Offizier herein, anscheinend ein Verbindungs-
offizier des Generals Bortnowski. T adeusz kannte seinen Namen weder damals noch
später. Das Gespräch drehte sich um Evalcuierungsmöglichkeieen aus Wloclawek, das
eine Art Sammelbecken für ganz Pommer ellen war. Es war die Rede von Omnibus-
sen, von Panjewagen, sogar von Weichseldampfern. ,Und was sollen wir mit den ver-
hafteten Deutsdien machen?' fragte der Starost: ,Es sind ihrer .. .' - hier nannte er
die Zahl von einigen tausend. ,Was denn, was?' mischte sich der Major in das Ge-
spräch: ,Liquidieren!' - Tadeusz hob unwillkürlich seine Augenbrauen, und sein Blick
traf sich mit dem gläsernen Blick des Herrn Raczkiewicz. - ,Panie Tadeuszu', sagte
der Wojewode, ,bitte, seien Sie doch so nett, mir den Leiter der Landwirtschaftsabtei-
lungzu suchen und herbeizuführen .. .' Tadeusz ging und hörte das Ende dieses
interessanten Gespräches nicht mehr."
Die Atmosphäre und die Gespräche in diesem Landratszimmer in Wloclawek - wie
sie ein polnischer Zeuge rekonstruiert - geben die Stimme jener Tage bei den polni-
60) Mlchal K. Pawlikowski. "Krieg und Saison" (Wojna I sezon). Kultura-Blbliothek.
50
sehen Behörden, in denen häufig entgegengesetzte Meinungen hinsichtlich der Lösung
des Problems der verhafteten Deutschen und der Flüchtlinge auf den Straßen aufein-
anderprallten, glaubwürdig wieder. Folgen wir jedoch weiter dem Bericht von Gott-
hold Starke:
"Am 5. September marschierten wir in großer Hitze bis Wloclwek. Fußkrankheiten
griffen immer weiter um sich, der Hunger wurde größer. Vorräte, die einige mitge-
nommen hatten, wurden geteilt ... In Nieszawa lagerten wir mittags bei sengender
Glut auf einem großen Müllabladeplatz. Hier kam ein größerer Trupp Gefangener
aus Pommerellen hinzu, der uns angeschlossen wurde. Auch Frauen und Greise waren
dabei, bis aufs letzte ausgemergelte Gestalten. Wir zogen dann hart am Weichselufer
entlang in das stark zerschossene Wloclawek, wo wir in eine Turnhalle eingepfercht
und eingeschlossen wurden. Die ganze Nacht über gab es kein Wasser, obwohl viele
von uns nahe am Verdursten waren ... Am Morgen wurden wir weitergetrieben ...
Der Weg ging bis zur Zuckerfabrik Chodzeä bei Chodecz, wo wir mit mehreren an-
deren Kolonnen aus Pommerellen vereinigt wurden und die Gesamtzahl von Ver-
schleppten wohl die Zahl von viertausend erreichte, davon aus Bromberg etwa 600
bis 800 Personen ... Am nächsten Morgen, auf dem Weitermarsch nach Kutno, wur-
den wir unaufhörlich als Mörder, Banditen und ,Hurensöhne' beschimpft, besonders
von Frauen - und von Offizieren. Unseren Weg begleiteten Flüchtlingskolonnen,
militärische und zivile, die immer wieder Gelegenheit nahmen, über uns herzufallen.
Wer nicht weiterkam, wurde manchmal auf den uns begleitenden Wagen gebracht, in
der Regel aber am Schluß des Zuges erschossen. Wir marschierten die ganze Nacht
hindurch mit wenigen Ruhepausen im Straßengraben oder im Mist der Landstraße
bis zum Morgen des 8. September, bis wir auf ein Gut Starawies, etwa drei Kilo-
meter hinter Kutno, kamen, wo vier Stunden lang Halt gemacht wurde ... Mittags
ging es weiter, wieder eine Nacht hindurch, taumelnd, schlafend, durch unsere Gei-
steskranken ständig beunruhigt, durch die Schüsse in unserem Rücken erschüttert _
jemand hat allein 44 erschossene Deutsche in dieser Nacht gezählt - und belästigt
durch die vielenzurückflutenden Militärkolonnen. Wer nicht in Reih und Glied mar-
schierte, wurde von der Begleitmannschaft, die .besser ernährt war als wir, die teil-
weise auf Rädern fahren konnte, teilweise auch schon abgelöst war, mit Keulen-
schlägen und Bajonettstichen wieder ins Glied zurückgetrieben. Selbst unser Arzt, Dr.
Staemmler, wurde davon nicht verschont, wenn er in der endlosen Kolonne einmal
zurückblieb, um einem Unglücklichen mit einem Stärkungsmittel zu helfen ... Im-
mer wieder mußten wir aufrücken, weil die Reihen sich lichteten ... Am 9. Septem-
ber um 9 Uhr trafen wir in Lowicz ein, und zwar an einem Punkt zwischen Pulver-
magazin und Kasernen, bei heftigster deutscher Artilleriebeschießung. Die polnischen
Wammannschaften verließen uns bis auf ganz wenige, der Kommandant war nicht
mehr zu sehen. Wir verzogen uns aus der gefährlichen Gegend in ein oberhalb der
Stadt gelegenes Wäldchen. Von dem Zuge der viertausend sind in Lowicz das zu
gleicher Zeit von deutschen Truppen besetzt wurde, sind zweitausend gerettet wor-
Paris 1965. Seite 291 f. den .•. " (BA.)
51
Im gleichen Verschlepptenzug wie Gotthold Starke befanden sich die Angestellte der
Bromberger Paßstelle des Thorner Deutschen Generalkonsulats, Müller-Marquardt, und
deren Chef, Konsul Wenger. Frau Müller bestätigte in ihrer eidesstattlichen Aussage
den Bericht von Chefredakteur Starke in vollem Umfang; sie gab darüber hinaus
folgendes zu Protokoll: »Unser Leidenszug vergrößerte sich unterwegs durch immer
neu hinzustoßende Kolonnen von Internierten ... Während des Marsches wurde die
Polizei oft durch Pfadfinder (harcerze) abgelöst. Sie erwiesen sich als besonders fana-
tisch ... In unseren Reihen waren junge Mütter mit ihren Säuglingen. Ich selbst
habe es erlebt, wie zwei Frauen keine Nahrung mehr für ihre Kleinstkinder hatten
und diese dann elend starben. Jüngere Leute versuchten unterwegs zu entfliehen. So
sah ich zum Beispiel einmal zwei Männer, die davonliefen und hinter denen herge-
schossen wurde. Während der eine von einer Kugel getroffen wurde, entkam der
andere in einem nahen Walde. Oft hörte man während des Marsches am Ende des
Zuges Schüsse fallen, die davon herrührten, daß man die Alten und nicht mehr
Marschfähigen einfach erschoß ... " (BA.)
In nahezu allen Berichten über die Verschlepptenmärsche finden wir immer wieder
teils kurze, teils ausführliche Hinweise auf die Erschießungen von erschöpften, kran-
ken und greisen Menschen. So sicher es ist, daß offensichtlich auf Grund zentraler An-
weisungen die Begleitmannschaften auf diese Art die Gefangenentransporte in Fluß
zu halten und Stockungen allein schon im Hinblick auf die rasch vordringenden deut-
schen Truppen zu vermeiden suchten, so unverständlich ist doch, daß man nicht ein-
fach Bauernwagen und Pferde requirierte, um die Gehunfähigen und Kranken wei-
terzutransportieren.
Hans Joachim Modrow, der in Tagebuchform die Ereignisse während des gleichen,
von G. Starke geschilderten Verschleppungsmarsches unter besonderer Berücksichti-
gung der Verhafteten aus dem Kreise Schwetz registriert, teilt mit, daß von der
Sammelstelle - dem Schwetzer Gefängnis -, am 2. September morgens 39 Deutsche
abmarschiert 'Seien. Beim Verlesen der Übergabeliste auf dem Thorner Gefängnis-
hof habe sich dann herausgestellt, daß ursprünglich die dreifache Zahl von Deutschen
aus dem Kreise Schwetz hatte verhaftet werden sollen. Ein Teil der zur Internierung
bestimmten Personen war bereits vorher zum Militär eingezogen worden, anderen
war es gelungen, dem Zugriff der Polizei in letzter Stunde zu entgehen. Allein von
den 39 Verschleppten der Schwetzer Gruppe wurden auf dem Wege bis Lowicz acht
Personen erschossen. (21 weitere Deutsche aus dem Kreise Schwetz wurden in der
gleichen Zeit auf ihren Höfen, in ihren Wohnungen, z. T. auch auswärts - so zum
Beispiel fünf Bauern und ein Förster nach einem ihnen befohlenen Vieh abtrieb in
Bromberg - errnordet.j'")
übereinstimmend nennen zahlreiche Teilnehmer des Marsches nach Lowicz in ihren
eidesstattlichen Aussagen Verlust ziffern zwischen 20 und 25 v. H., wobei die Mehr-
zahl dieser Toten unterwegs erschossen wurde, während andere bei Fluchtversuchen
61) H. J. Modrow. "Heimat an der Weichsel .•. ", Seite 31 ff. Vgl. auch Rh. Rudolf,
in Schulltz ... ", 1941, Seite 62.
verwundet wurden und erst später in Krankenhäusern - teils auch infolge von Miß-
handlungen oder an Entkräftung - starben.
Ahnlich wie für den Kreis Schwetz lauten die Berichte und Befragungsergebnisse für
den Kreis Strasburg. Die genaueste Zahl gibt A. H ollatz mit 176 Opfern des Lowicz-
Marsches an. (BA.)
Der Mühlenbesitzer Max Goertz, der Landwirt Günther Hewelke und Landbund-
Ges~äftsführer Helmut Becker bestätigen diese Angaben, ohne allerdings genaue Ver-
lustziffern zu nennen, wobei alle die Massenerschießungen bei Alexandrowo beson-
ders hervorheben. Hier wurden infolgeeiner durch einen deutschen Fliegerangriff
hervorgerufenen Panikstimmung mindestens 40 Deutsche erschossen und am Wegrand
verscharrt. (BA.)
Eine zusätzliche Bestätigung dieser Aussagen finden wir in einem ausführlichen Be-
richt von Cbarlotte Grabowski aus Krone a. d. Brahe, d. h. einer der etwa fünfzio-
Frauen, die an dem Marsch nach Lowicz teilnahmen. (BA.) "
Pastor Paul Rakette, der mit etwa dreißig Angehörigen seiner Gemeinde Schokken
ebenfalls am 1. September verhaftet worden war, erlebte die ersten Kriegstage in
Gefängnissen und später -zusammengepfercht mit immer neuen Verhafteten aus
dem Raum Wongrowitz - in Personen- und Güterwaggons. Infolge ständiger deut-
scher Fliegerangriffe und Reparaturarbeiten an den Bahngleisen dauerte die quä-
lende Fahrt über Thorn bis Wloclawek mehrere Tage. Von hier ging es zu Fuß weiter
bis zur Zuckerfabrik bei Chodecz, dem Sammelplatz aller Internierten, wo am
6. September auch die - zu diesem Zeitpunkt bereits stark dezimierte - Hauptgruppe
der aus Bromberg und den umliegenden Orten Verschleppten eintraf. Pastor Rakette
erzählt: »Am Donnerstag, dem 7. September, begannen die Gewaltmärsche in Rich-
tung Kutno-Lowicz. Fast ununterbrochen marschierten wir beinahe 26 Stunden lang
bis kurz hinter Kutno. Hier wurde eine längere Rast auf einer Wiese eingelegt, die
sechs Stunden dauerte. Auf diesem Marsch erlebte ich selbst, wie schlapp gewordene
Volksgenossen vor Erschöpfung am Wegesrand liegenblieben und dann auf Geheiß
eines polnischen Polizeiwachtmeisters wie räudige Hunde abgeknallt wurden ...
Nach dem, was ich gesehen und erlebt habe, ist das in dreißig Fällen geschehen. Nach
dem Halt hinter Kutno ging es 16 Stunden in fast ununterbrochenem Marsch bis
Lowicz. Zuweilen begegneten wir polnischen Truppenteilen. Sobald wir an ihnen
vorbeimarschierten, begann ein wüstes Schimpfen, nicht selten hörte ich auch hinter
mir Schießen ... Kurz vor Lowicz kamen wir in einen für die Polen überraschenden
Vorstoß deutscher Truppen hinein. Unsere Begleitmannschaften versuchten nun uns
. . '
in eine bestimmte Richtung zu treiben, um uns aus der für sie bestehenden Gefahren-
Zone herauszubringen." (BA.)
Von diesem Augenblick an, d. h. angesichts der unmittelbar vor Lowicz entbrannten
Kampfhandlungen zwischen deutschen und polnischen Verbänden und der unter den
Wachmannschaften entstandenen Verwirrung nahmen, soweit sie noch einer selbstän-
~igen ~egung. fäh~g waren, kleinere und größere Gruppen des Verschlepptenzuges
•.Deutsches Schicksal Ihr Schicksal in die Hand und suchten auf eigene Faust dem sich abzeichnenden
53
 , der überlebenden wurde durch den tragischen Tod träumen ließen, daß sie - durch die W:ammannschaften nahezu ungeschützt - vom
Chaos zu entgehen. Die Rettung h ld St ke berichtet über die letzten Vor- Beginn ihres Aufbruchs aus Posen an die Qualen eines 320 Kilometer langen Hetz-
von Dr. Staemmler übersmattet. Gott 0 ar Z twa amthundert Men- marsches zu ertragen haben würden. Dr. Weise berichtet: "Am 2. September um die
eh Lowicz: Unser ug von e
kommnisse au f d em W ege na . " .. F' ih G 1"0 von Gersdorff, der Land- Mittagszeit ... begann unser Marsch, Schon das Stück durch Posen bis Glowno waren
d ich u a Dr Kohnert, rei err e ck
sehen, unter enen SI ., . ch .di lbbefanden wurde in ein langgestre tes wir schwersten Mißhandlungen ausgesetzt ... Dabei wurde in der Breiten Straße in
st
bundvorsitzende Modrow und au I se p K' ehe als Führer der kongreß- Posen der Direktor der Westpolnischen Landwirtschaftlichen Gesellschaft, Dr, Gustav
Dorf nordöstlich Lowicz abgedrängt. astor rus " Dr K ohnert Klusak, durch zwei Steinwürfe gegen den Hinterkopf so schwer getroffen, daß er
.. , di d wi B bergerberatsmlagten, was zu tun sei. .
polnismen Deuts en un wir rom, it dem Ietzten uns noch begleitenden Brom- mit dem Gesicht auf das Straßenpflaster fiel und bewußtlos liegenblieb. Als Arzt
und Dr. Staemmler wurden beauftragt'lm ' K raden heI'lbeiziehen, damit uns hatte ich sofort den Verdacht, daß Dr. Klusak einen Schädelbasisbruch davongetra-
I , . handeln Er so lte seine ame ,
berger Po izisten zu ver '. knallten. Dafür wollten wir den Beglelt- gen hatte. Im versuchte daher, bei dem Kommandanten unseres Zuges durchzusetzen,
die zurückflutenden Soldaten ... nidit ~b f 11 ir In deutsme Hand fielen. Als daß Dr. Klusak in einem Krankenhaus oder Lazareot zurädcgelassen würde, Meine
f L b d Stellung garantieren, a s wir I f 1 ch
mannsma ten e en un P l' . äherten verstand er dies a s Bitte wurdeatber abgeschlagen. Wir schleppten Dr. Klusak, der aus Mund und Nase
D Staemmler dem 0 izisten nanerteu, d
sich Dr. Ko h nert un d r,' ch ih di Waffe zu entwinden, er blutete, sim mehrfach erbrach und halb bewußtlos war, bis nach Glowno . , . Hier
. D S ler versu re I m ie
und wurde aggressiv. r. taemm d ch ß' ih 'M'It lauten Rufen nach Polizei vergrößerte sich unser Zug durch neue Gruppen aus Posen und der Wollsteiner Ge-
.' Sm' ück un ers 0 I n.
Polizist trat emige ritte zuru, h d ßein allgemeines Smießen be- gend auf etwa 260 Mann ... Am selben Tage ging es zunächst-nach Schwersenz. Hier
d . b en Dorf Wir na men an, a . '
versmwan er Im 0 er . ff PI' ehrbar Da ersmien plötzlich ein wurden wir von der Bevölkerung ähnlich wie in Posen behandelt .. ." (BA)
ürd Ob 11 wurden bewa nete 0 en SI . M'
ginnen wur e. era Fl di ach Lowicz abriegeln sollte. rt Die nächsten Stationen hießen Wresmen-Slupca-Marantow-Slesin. Da sidi inzwi-
hm daß er unseren u rweg n
Tank. A 11e na en an, ck ai ih Dr Kobnert und Pastor Kru- sehen die miJ,itärische Situation infolge des schnellen Vormarschs der deutsdien Trup-
.-L di ' Sto gmgen Im,
einem weißen TasUlentu an em~~ d beid Parlamentären nadi. Da entdeck- pen über Nacht zugespitzt hatte, wurde der Verschlepptenzug zu Eilmärschen ange-
W' anderen stromten en ei en
sehe entgegen. . . Ir ich um ei d tschen Tank handelte, der uns trieben. Die Folgen blieben nidit aus: "... Da kein Wagen mehr zur Verfügung
. f halb Wege daß es SI um einen eu 1
ten wir au em , 'd' Umwegen etwa 240 Kilometer ang stand, wurden ein gewisser Schmolkeausder Nähe von Wollstein - ein Prothesen-
befreite ... Der Marsch nadi LOWICZ, er mit .
träger vom Ersten Weltkriieg her - mit seiner Ehefrau, seiner etwa 16jährigcn Tom-
gewesen war, hatte ein Ende. , ." (BA,) " der roßen Zivilgefan- tel' und seinem eineinhalbjährigen Söhnchen, ferner ein weitert:r Prorhesenträger, des-
" f"llig zur letzten Station einer er g
Indessen war Lowlcz Ja nur z.u a Se tember den Weg ins Ungewisse angetrete!l sen Namen im alber ni cht angeben kann, und eine Frau Blank aus Ketsch bei Posen
genen-Kolonnen geworden, d.le am 1. P lens die erst später von deutsdien Trup- zurückgelassen. Angeblich sollten sie in einem Wagen nachgefahren werden. Gelegent-
hatten. Auf vielen Straßen Mittel~ ~nd o~~po ;0 September und an den folgenden lich einer Mittagsrast am gleichen Tage in Babia:k erfuhr im aber von einem Begleit-
pen erreicht wurden, smleppten SI an lle~em .: d odi Tausende und Abertau- mann ... , daß diese Deutschen erschossen worden seien ... " (BA.)
T .cht weniger tragischen Beg eltumstan en n ,
agen unter m.-L ab a eh Angehörige anderer Minderheitengruppen, die man Ein gleiches Schicksal erlitten am nächsten Morgen Fräulein Dr. Hanna Bochnik,
sende von DeutSUlen, er u h: Ziel orten
Teil ahll Fräulein Molzahn, der Landwirt von Treskow, Vincenz Gierczynski, der Jude Gold-
zum ei w os rniit auf die Internierten-Listen gesetzt atte, ungewissen
schmied, der Student Karl Hermann Pirscher, der sich erboten hatte, die Marsehuri-
entgegen.
tüchtigen zu betreuen, und eine Reihe anderer - Dr. Weise dem Namen nach nicht
mehr bekannter - Personen: "' .. Nachdem wir etwa zwei Kilometer marschiert wa-
ren, hörten wir Schüsse. Für mim bestand kein Zweifel, nachdem ich von der Er-
DAS SCHICKSAL DER POSENER VERSCHLEPPTEN
mordungder vorher Zurückgebliebenen wußte, daß auch diese Menschen erschossen
'1 ter weiteren Fußmarsch als die Verschleppten Pom-
Einen um fast hundert KI ome ' M' 1 1 hatten die Deutsmen aus den worden waren. Ausgrabungen halben dies später bestätigt, , ," (BA.)
merellens und ein Teil der Deutsm en aus Ittpepo enGn,esen Scharnikau, Smrimm, Einer der ebenfalls aus Posen Verschleppten .adit evangelischen Pastoren war der
desteil ückzu egen
l - aus osen, ,
westlimen Lan estei en zum " 'R' .-L Jarotsmin und damals 70jährige Superintendent Arthur Rhode. Er berichtet: "Im habe neun Nächte
Ob ik Wollstem LlSSa Kosten, awitscn,
Birnbaum, Rogasen, borrux, , ~ d später die größten Vermiß- unter freiem Himmel zugebracht, davon vier ohne Stroh, bloß in die Pelerine gehüllt,
Krotosmin (um nur einige der Orte zu nennen, m enen bisweilen auf feuchter Erde. Wir wickelten uns dann drei zusammen in eine Decke
ten- und Todeszahlen registriert wurd~n). D R b t Weise gehörte zu der ein, um uns gegenseitig zu wärmen .,. Daß wir unterwegs einige Rasttage hatten,
Der Direktor des DiakonissenhausesDm pch°s.en, di r. f ~;:nd ihre: gesellschr.dl:1imen, war nicht etwa darauf zurückzuführen, daß man uns das Ausruhen gönnte, Von über-
"ß G' Posener euts en, e au ' , all her wurde nämlich das Auftauchen deutscher Heereseinheiten gemeldet, so daß
ersten gro eren ruppe von " b . K' bezi rechneten die sich jedom nicht
. ihr
Stellung zwar mit I er Intermerung ei rregs egmn ,
55
wir vielfach im Zickzack hin und her zogen und erst viel später als vorgesehen Kutno
erreichten. Dort war aber erst recht kein Unterkommen, da ... alle Häuser mit Mili-
tär und Flüchtlingen überbelegt waren. So zogen wir weiter in nordöstlicher Richtung
ziemlich planlos, denn ein Herauskommen aus dem Kessel nach. Warsch.au zu war
nicht mehr möglich ... "62)
Erich Nehring, der sich in demselben Verschlepptenzug befand, vermutet, daß die
Bewachungsmannschaften sich zu diesem Zeitpunkt nur deshalb nicht zu einer Auf-
lösung der gesamten Marschgruppe und zur Freilassung der Deutschen entschließen
konnte, weil sie um ihre eigene Sicherheit fürchteten: "... Wir waren Geiseln, mit
denen man meinte, im gegebenen Augenblick etwas anfangen zu können. Aber man
hatte für nichts gesorgt, an nichts gedacht. Man hatte kein Nachtlager, keine Nahrung,
kein Wasser. Man konnte auch nicht mehr sorgen. Es war einfach nichts da ... Den-
noch ließ man uns nicht los. Man wollte uns behalten und an ein Ziel bringen, wenn
man auch nicht wußte, an welches."63)
über die letzten Verschleppungstage der Posen er erzählt Superintendent Rhode:
"Nach meiner Kenntnis der Bevölkerung hatte ich gehoffi, daß in den kongreßpolni-
schen Städten und Dörfern der Haß gegen uns Deutsche weniger groß sein würde als
im Posenschen. Leider habe ich mich darin getäuscht ... Offenbar war das Volk durch
... Radiomeldungen und die Flugblätter gegen uns aufgehetzt worden, denn überall
hörte man die gleichen Beschimpfungen: Spione, Verräter, Aufständische ... Eine be-
sondere Wut hatte man gegen Brillenträger. Wir steckten deshalb vor dem Einzug in
eine Stadt die Brillen in die Tasche, zum Teil auch deshalb, um unsere Augen vor
Glassplittern zu schützen, Wir erlangten allmählich eine ziemliche übung darin, den
Arm mit dem Mantel hochzuhalten und dadurch Hiebe und Schläge etwas abzu-
schwächen. Da uns kein Wagen mehr gestellt wurde, hielten manche die Gewaltmär-
sche nicht mehr aus. Am 11. September früh mußten wir eine Gruppe von 6 Mannern
und zwei Frauen zurücklassen. Diese sind bald nach unserem Abzuge erschossen
worden. Drei Tage später mußten wir nach einem neuen Gewaltmarsch in Gostynin
wiederum 20 Mann zurücklassen, die nicht mehr weiterkonnten. Sie ... sind glücklich
zurückgekommen. Schlimmer erging es einem von uns abgesplitterten Trupp von
82 Mann, der viele Tote aufweist."64)
Am Sonntag, dem 17. September - dem dritten Sonntag seit dem Aufbruch - wurde
diese Verschlepptengruppe von Soldaten eines Passauer Infanterie-Regiments aufge-
funden und mit Bauernwagen bis Kutno und sodann mit Lastkraftwagen auf großen
Umwegen nach Posen zurückgebracht.
Otto Adam aus Tarnowo, Kreis Wollstein, gehörte zu der von Arthur Rhode erwähn-
ten 82köpfigen Männergruppe, die von polnischen Feldgendarmen von der Haupt-
gruppe der Posener und Wollsteiner - angeblich zum Zwecke der Überstellung an eine
polnische Militäreinheit - abgetrennt wurde. Der Weg dieser Gruppe führte bis in die
Gegend von Gombin; bereits vier Tage später war diese Gruppe um nahezu die Hälfte
62).Wartburg". Deutsche evangelische Monatsschrift. Berlin. Heft 11. No,:,ember 1939, Seite 320ff.
63).Posener Evangelisches Kirchenblatt", Posen, Heft 1, Januar 1940, Seite 91.
") .Wartburg", Helt 11i1939, Seite 323.
dezimiert. Otto Adam berichtet: "Am 7. September stießen zehn oder elf Mann - wir
hatten in einem Dorf hinter SIesin in einzelnen Gruppen in Scheunen übernachtet -
nicht mehr zu uns. Sie wurden später ermordet aufgefunden; von ihnen sind mir noch
heute im Gedächtnis: Otto Preuß-Tarnowo, Paul Druse und Erich Schulz-Faustinberg,
Gustav Schobert und Gustav Woyt-Guschin sowie Groch-Tannheim ... Am 10. Sep-
tember hatten wir das Pech, in einen Fliegerangriff auf Kutno zu geraten. Nachdem die
Gruppe auseinandergerissen worden war, weil jeder Deckung gesucht hatte, griff pol-
nisches Militär 23 Männer auf und erschoß sie im Schießstand von Kutno, Unter ihnen
waren: Pastor Schwertfeger, Diakon Lubenau und Machatschek aus Posen, Gustav
Schulz, Steinberner und Grunewald aus Rothenburg/Obra, Lange-Neutomischel, Al-
fred Meinaß-Tarnowo und Ferdinand Wiedemann-Faustinberg. Zwei von ihnen -
Haupt aus Saatengrün und Kloke aus Rakwitz - wurden dabei nur schwer verwun-
det. Da man sie liegen ließ, konnten sie nachts entkommen, und sie haben später alles
genau geschildert ... Wir wurden erst am 18. September von deutschen Truppen be-
freit." (BA.)
Zusammen mit den evangelischen Pfarrern aus Posen war am Abend des 1. Septem-
ber auch einer der Seelsorger der Posener deutschen Katholiken, Pater Lorenz Brei-
tinger (Ordensname Hilarius) verhaftet und in das Sammellager im Polizeipräsidium
gebracht worden. Nachdem Pater Breitinger, der sich bei einer Rast am nächsten
Abend in Glowno plötzlich einem katholischen Amtsbruder gegenübersah, von diesem
vergeblich um Schutz oder auch nur um eine Auskunft über sein weiteres Schicksal
gebeten hatte, begann ein regelrechtes Spießrutenlaufen dieses Priesters durch Schwer-
senz und Kostrzyn bis Wreschen. Wir lesen in seiner inhaltsreichen Aussage u. a.:
"Auf einer von einer großen Menschenmenge umlagerten Wiese (in Glowno) kamen
weitere Gruppen Internierter hinzu, darunter Frauen UIIldKinder, zwei Krüppel, die
kaum laufen konnten ... und eine große Menge mit verbundenen Köpfen, deren
Kleider mit Blut besudelt waren. Auf der Wiese mußten wir uns in Reihen zu vieren
aufstellen und wurden abgezählt. Darauf mußten wir ... exerzieren und einen Haß-
gesang auf Deutschland anstimmen. Sodann ließ man mich unter dem Gejohle der
Menge in meiner Ordenstracht allein vortreten und exerzierte mit mir allein. Schließ-
lich stellte man mich in die erste Reihe, gleichsam als Anführer der Aufständischen,
als die wir stets bezeichnet wurden ... Am nächsten Tage bemerkte lich, daß fast
sämtliche Vorsitzende aller deutschen Organisationen und die gesamte deutsche Geist-
lichkeit zusammengetrieben war. Alles Menschen, die überzeugt waren, daß sie dem
polnischen Staat gegenüber ihre Staats bürgerpflicht stets gewissenhaft erfüllt hatten
und die darum auch nicht begreifen konnten, daß man sie jetzt noch schlechter als
Schwerverbrecher behandelte ... In Schwersenz erhielten wir wieder schwere Stock-
hiebe und Fußtritte. Hier fuhr mein Kardinal an uns vorbei, der uns als Posener
Internierte erkannt haben mußte. Er setzte sich jedoch nicht für uns ein ... " (BA.)
Pater Breitinger faßt seine Erlebnisse zusammen: "Viele werden noch lange, vielleicht
ihr ganzes Leben hindurch unter den Folgen dieses Marsches zu leiden haben, Teil-
nehmer anderer Gruppen erzählen, daß sie zum Teil tagelang in Viehwagen einge-
57
sperrt wurden ohne jede Verpflegung, ohne einen Tropfen Wasser und ohne Möglich-
keit, den Wagen zur Verrichtung ihrer Notdurft zu verlassen. Viele mögen wohl heute
sagen, daß dies nicht stimmt, weil 'Menschen nicht so grausam sein könnten, besonders
in einem katholischen Lande. Aber ich muß bekennen, daß ... sich alles gar nicht so
furchtbar schildern läßt, wie es in Wirklichkeit war."
DIE INTERNIERTEN AUS KLEINSTÄDTEN
Je weitere Strecken die Verschleppungskolonnen zurückzulegen hatten, je kürzer die
Abstände zu den vormarsehierenden deutschen Kampfverbänden wurden und je mehr
sich die Hoffnungen der Bevölkerung ebenso wie der polnischen Truppen auf einen
Sieg bei Königsberg und Berlin als leere Wunschträume erwiesen, desto härter wirkte
sich das Geschehen an den Fronten auf das Schicksal der deutschen Zivilinternierten
aus. Besonders deutlich läßt sich das an dem Abtransport der in Rogasen und Obor-
nik verhafteten Deutsdien und an ihrem Weg ins Landinnere verfolgen.
Während die in den beiden Städten und deren näherer Umgebung am 1. September
aufgegriffenen etwa 450 Personen, darunter dreißig Frauen, zunächst noch mit Fuhr-
werken bis Studziniec und Goslin gefahren und hier im Postgebäude untergebracht
wurden, während noch bis zum AbtranspDrt kaum Mißhandlungen vorkamen und
den Verlhafteten Iediglich Wertsachen und Gepäckstücke abgenommen wurden, än-
derte sich die Situation schlagartig, als die ersten Meldungen über das rasche VDr-
dringen deutscher Truppen eintrafen und in aller Eile die Vorbereitungen zum Ab-
marsch in Richtung Gnesen getroffen wurden. Die Ansprache eines polnischen Offi-
ziers, der die Internierten zur "BesDnnenheit" aufrief und ihnen dafür "humane Be-
handlung" versprach, wurde schon wenige Stunden später durch die Wachmannschaf-
ten in drastischer Weige widerlegt. Carl Tonn, Rogasen, berichtet: "Das Marschtempo
wurde VDn Stunde zu Stunde verschärft ... In den Orten, durch die wir gejagt wur-
den, hatrenuns radfahrende Begleirmänner als Aufständische angemeldet, wir wurden
mit Steinen und Knüppeln empfangen. Der Empfang spätabends in Gnesen, WO' wir
im Laufschritt bis zu einem Kino gejagt wurden, glich einer Hölle. Jeder schlug auf
uns ein und warf Steine und andere Gegenstände in unseren Zug: wir waren ja Auf-
ständische, die polnische Frauen und Kinder ermordet haben sollten ... In dem Kino
blieben wir bis Montag, Zu essen und zu trinken gab es während dieser Tage
nichts ... Am Montag nadimitrag wurde der Gnesener Bahnhof VDn deutschen Flug-
zeugen angegriffen, auch in unsererunmittelbaren Nähe fielen einige Bomben. Jetzt
wurden wir aus dem Kino heraus in eine Schule gejagt, Unter Schlägen und Stein-
würfen, an denen sich auch polnische Offiziere beteiligten, kamen wir dort an. Auf
dem Schulhof mußten wir knien und lange Zeit in dieser Stellung bleiben: auf den
Kieselsteinen eine wahre Qual ... Nach Einbruch der Dunkelheit bekamen wir Zuzug
durch Deutsche aus Gnesen und der Umgebung; diese Menschen kamen in einer
fürchterlichen Verfassung an ... Gegen Mitternacht wurden wir in Richtung Tremes-
sen in Marsch gesetzt, morgens kamen wir dort an, wurden in einen viel zu kleinen
Saal getrieben und verbrachten mehrere Stunden stehend. Dann ging es weiter ... "
(BA.)
earl. Tonn sch~ldert sodann die Erlebnisse während des Weitermarschs in Richtung
LOWICZ,er schildert die ersten Liquidierungen VDn Marschunfähigen, die Auswechs-
lung der Begleitmannsdiaften und deren immer rücksichtsloseres Verhalten, Erleb-
nisse, die den b~reits an anderen Straßen geschilderten bis zu dem Punkt glichen, an
dem es dem Berichtenden dank eines Glücksfalls - in der Nacht zum 9. September -
gelang zuentkommen und 24 Stunden später auf deutsche Soldaten zu stoßen.
Weniger Glück hatten Kurt Seehagel aus Rogasen und Willy Großmann VDmGutshof
Przependowo, Kreis Obornik (das Gut gehörte der Gräfin Lüttichau). Beide erlebten
eine regelrechte Treibjagd ·auf die Angehönigen dieses Versdileppten-Transports arn
9. September im Stadtpark VDn Sochaczew. Seehagel berichtet: "BevDr wir in den
Park einzogen (indem die Gruppe zum erstenmal verpflegt werden sollte), stand
am Eingang ein polnischer Offizier der in der Nähe befindlichen Truppenabteilung
und Fragte die Begleitrnannschafren, was mit uns IDs sei. Als diese erwiderten, daß
wir Hitler nachPolen gerufen hätten und Deutsche seien ... , ZDg der Offizier seine
Pistole, rief, daß er so einen auch niederknallen müsse und drückte auf einen VDr mir
gehenden Mann ab. Durch die Schläfe geschossen, blieb dieser tot Liegen. Ich selbst
mußte über ihn hinwegsteigen. Hinter mir schDßdieser Offizier nochmals in die
Gruppe hinein ... " (BA.)
Das Schießen nahm auch während der Rast und beim Abmarsch des Zuges seinen
Fortgang, Wie Großmann nach seiner Befreiung und Rückkehr am 2. Oktober 1939
berichtete, wurden noch drei Männer 'im Stadtpark VDn Sochaczew völlig grundlos
ersch~ssen; .und w~iter - wirzitieren wörtlich -: »VDn Sochaczew begann überhaupt
der eigentliche Leidenszug. Alte Männer, die vor Schwäche hinfielen, wurden nieder-
geknallt ... Nach einem Fliegerangriff ... wurde Herr Heckert, Rechnungsführer
unseres Gutes, VDn den Polizisten erschossen. Auf dem weiteren W,eg wurden noch
andere umgebracht, unsere Reihen lichteten sich immer mehr. VDn unserem Gut fehlen
jetlZt noch zehn Personen." (BA.)
Die Zahl der in diesem Verschlepptenzug Umgekommenen ist niemals genau ermit-
teltworden;sie dürfte bei 250 bis 300 Personen liegen. Carl Tann vermerkt in sei-
nem Bericht: "Es gab in Rogasen kaum eine deutsche Familie, die nicht einen Ermor-
deten zu beklagen hatte." CBA.)
' Am 2. September begann der Leidensweg der im Raume KDsten-Sch,rimm-SchrDda-
Schmiegel-Wreschen größtenteils schon am Vortage verhafteten Deutschen, deren
Festnahme jedoch zunächst noch im Zeichen der über Rundfunk und Presse verbreite-
ten Dptimistisch-übermütigen Prognosen hinsichtlich des Verlaufes der Kampfhand-
lungen als polizeiliche Sicherungsmaßnahme gekennzeichnet werden konnte, Mit der
Oberna:hme der Interniertengruppen durch militärische Wachmannschaften mit dem
Zustrom immer neuer Verhafteter und mit rasch durchsickernden Lageberichten von
den Fronten, die zu den Jubelmeldungen VDm 1. September im schroffen Gegensatz
standen, änderte sich die Haltung gegenüber den Deutschen schlagartig.
59
Schon in Czempin, aber erst recht in Schrimm und Schroda, wo. der Interni~rtenzug
auf etwa 400 Personen angewachsen war, glich der Weg durch die Straßen, in denen
die Bevölkerung mit der Errichtung von Schützengräben und Panzersperren begon-
nen hatte einem wahren Spießrutenlaufen. Walter Kabsch, Vogt auf dem Gutshof
des Freiherrn von Gersdorff (Parsko bei Woinitz), berichtet: " ... Wo wir vorbeigeführt
wurden stürzten sich die Leute auf unseren Zug. Sie schlugen mit Spaten und Knüp-
peln auf uns ein. Eine große Anzahl von uns wurde dabei verletzt ... Zu. essen be-
kamen wir an diesem Tage ebensowenig wie an den folgenden Tagen. Wlr mußten
uns in das teilen, was einzelne bei sich hatten, und uns schließlich von Rüben nähren,
die wir von den Feldern holten." (BA.)
Pastor Leszczynski, der die Nacht vom 1. zum 2. September zusammen mit an~eren
Deutschen aus Schmiegel und Kosten im Gerichtsgefängnis verbracht hatt~, schildert
den Fußmarsch seiner Interniertengruppe ähnlich: "... Schon in Czempin wurden
wir von einer aufgewiegelten Menschenmenge mit übelsten Schimpfworten bedacht ...
In Schrimm wurden wir zum erstenmal mißhandelt ... Mit Kolben und Stöcken
wurde unbarmherzig auf uns eingeschlagen. Ich selbst erhielt mehrere Fußtritte ...
A uch in Schroda , wo wir am nächsten Abend des nächsten Tages eintrafen,
ß
wurden
. Wacholdergebüsch aus, in dem ich mich versteckte, hörte ich eine Reihe von Schüssen.
wir durch Schläge und Steinwürfe mißhandelt. In einem Fabrikhof mu. t~n Wl~ uns
auf den Steinen niederlassen. Der Führer des Militärkommandos, dem wir Jetzt über-
geben wurden, vergriff sich in grausamster Weise an uns. Besonders mißhandelte er
Pastor Kienitz, Miecke und mich." (BA.)
Immerhin erging es dieser Gruppe bis zu diesem Zeitpunkt noch glimpflich, gemessen
an den Vorgängen, die Karl und Walter Kabsch schildern: "Wir wurden nachts ... a~
den Handgelenken in Gruppen von je sechs Mann aneinandergefesselt, und zwar mit
ganz dünnen Schnüren. Die Schnüre wurden so fest wie möglich angezogen, so da.ß
die Hände ganz dick anschwollen und blau wurden, weil das Blut stockte, und die
Leute vor Schmerz aufschrien. So ließ man uns die ganze Nacht gefesselt. Am anderen
Tage mußten wir, immer noch gefesselt, nach Tuliszköw marschieren ... In d~ Dör-
fern beschimpfte uns die Bevölkerung und bewarf uns mit Stöcken und Stemen, so
daß wieder viele von uns Verletzungen davontrugen." (BA.)
über den weiteren Marsch berichten die Brüder Kabsch und Pastor Leszczynski, deren
Z·· e während einer Rast vor Miloslaw zusammentrafen, übereinstimmend. Beide
Schilderungen gehen jetzt auch auf die Ermordung des Barons von Gersdorff bei
Tuliszk6w ein. Walter Kabsch, dem der Tod des Barons schon deshalb besonders
naheging, weil von Gersdorff ihn am Tage der Verhaftung von ~er .beabsichtigten
Flucht abgehalten hatte mit der Mitteilung, daß sie "alle zusamn:en ~n e~n Lager kom-
men" würden und sonst "nichts weiter geschehen" werde, weil sie sich den Polen
gegeniiber ja "niemals etwas hatten zuschuldenkommen lassen", erzählt: "Wir wur-
den auf eine Wiese geführt. Dabei stolperte Herr von Gersdorff, der etwa 65 Jahre
alt war und nicht mehr recht laufen konnte, als er zu einem deutschen Flieger aufsah.
Da bekam er von einem Soldaten einen Kolbenstoß, daß er taumelte." (BA.) Ob und
wie der alte Baron in diesem Augenblick - in einem Zustand äußerster Erregung und
Erschöpfung - reagierte, was auch immer er seinem Peiniger zugerufen haben mag:
fest steht, daß er zu einer tätlichen Gegenwehr gar nicht mehr die Kraft hatte. Der
Wachmann machte indessen kurzen Prozeß: "... Er stieß ihn mit der Mündung des
Gewehrs vor die Brust, daß er in den Graben fiel, und drückte ab. Um den Toten
kümmerte sich niemand. W[r durften auch nicht zu ihm." (BA.)
über Drosina ging der Marsch weiter. Im gleichen Maße, ,in dem sich der Kampflärm
der nahen Front von Stunde zu Stunde verstärkte, nahm die Erregung der Begleit-
mannschaft dieses Verschlepptenzuges zu. Da die Älteren nicht mehr rasch genug
marschieren konnten, erfolgte nachts - bei einer kurzen Rast - die Auf teilung des
Zuges in zwei Gruppen. Pastor Leszczynski blieb mit der Älteren-Gruppe, "die sich
nur noch mühselig fortschleppen konnte, weil alle in dieser Gruppe wunde Füße
hatten" zurück. Er berichtet: "Wir verbrachten die Nacht in einem kleinen Wäldchen;
am Morgen entfernten sich einzelne, darunter auch Dr. Bambauer. Als wir sahen, daß
sie am Eingang zu einer Ortschaft von einem Posten festgenommen wurden, flüchteten
wir in ein nahegelegenes, waldbestandenes Hügelgelände. Ich konnte aber mit den
anderen nicht mehr Schritt halten und blieb schließlich allein zurück. Von einem
Ohne Zweifel waren eingefangene Deutsche niedergeschossen worden. Der Wald
wurde von Militär umstellt. Drei Tage und Nächte blieb ich ohne Nahrungsmittel
und Wass·er liegen. Gegen die Kälte der Nacht schützte ich mich, indem ich mit den
Händen ein Schlupfloch grub. Nachdem das Militär in der Nacht zum 8. September
abgerückt war, wagte ich mich hervor. Ein älterer Bauer nahm sich meiner an und
brachte mich nach Tuliszk6w, wo ich ins Gefängnis gebracht wurde." (BA.)
Aus diesem Gefängnis konnte Pastor Leszczynski zusammen mit zehn anderen Deut-
schen nach dem Abzug der polnischen Behörden am 16. September entweichen.
Inzwischen hatte die Hauptgruppe der 181 meist jüngeren Angehörigen desselben
Verschlepptenzuges - zum Teil schon vor Turek, nordöstlich von Kalisch, vor allem
aber dann in der Nähe des Dorfes Tarnowa - ihr Schicksal ereilt. Folgen wir dem
Bericht der Brüder Kabsch: " ... Die erste Gruppe haben wir dann nicht wieder ge-
troffen. Die Soldaten sagten uns, als wir weiter marschierten, in Turek würden wir
alle erschossen. In dem nächsten Dorf riefen die Soldaten der Zivilbevölkerung zu,
wir seien diejenigen, die die polnischen Frauen und Kinder ermordeten. Darauf
stürzten sich die Leute natürlich auf den Zug und schlugen mit Peitschen, Stöcken und
was sie sonst gerade zur Hand hatten, wahllos in uns hinein. Wenn jemand die
Schläge abwehren oder auch nur etwas sagen wollte, schlugen die Wachen selbst mit
den Karabinern drein. Einige von uns konnten nicht mehr Schritt halten, weil sie
vollkommen erschöpft waren. Die Soldaten schossen einfach auf diese Leute und er-
schlugen sie dann mit den Kolben ... So sind in dieser Nacht an die zwanzig von
uns umgebracht worden ... Kurz hinter Turek kamen wir dann an einem Gut vor-
bei, als ein deutscher Flieger erschien. Unsere Wachmannschaft ließ uns auf der Straße
stehen. Die Soldaten selbst nahmen im Straßengraben und hinter Weidenbüschen
Deckung. Der Flieger muß aus dieser Bewegung wohl den Schluß gezogen haben, daß
und die ·Überführung. der Toten in 'i'hre Heimatgemeinden ••.. aus füh
beridirere u r lieh
1
P f arrer Ltc, Berger im Posener 'Iageblatt.67)
es sich bei uns um einen Transport von Volksdeutschen handelte, denn er nahm sofort
Die
.. hier . erzählten Vorkommnisse stehen für ähnliche Begebenheit
' ,el en, dile - wenn
die WIeidenbüsche unter Feuer ... " (BA.)
sie sm einzelnen
. auch
. nicht in eine so entsetzliche Massenhinridrt ung U nsUlU_L ldi
ger
Und nun wiederholt sidi ein Vorkommnis, das unzähligen von Deutschen - sei es in
ausarteten wue bei Tarnowa - eindringlich genug das Schick cru sa .e ntausen d er von
I Z h
den Verschleppungszügen, sei es in Ausübung ihres Waffen dienstes in polnischen Uni-
De~tsmen aus den westlichen Landesteilen während der ersten Septemberhälfte 1939
formen - in diesen Septembertagen in verschiedenen Teilen Polens zum Verhängnis
soolldern.
wurde. In Befolgung ihrer Einsatzbefehle, aber in völliger Verkennung der Auswir-
kungen ihres Tuns führten die Angriffshandlungen deutscher Truppen - hier eines
IN DER ZITADELLE VON BREST-LITOWSK
einzigen Tieffliegers zum Tode unsdnrldiger Menschen.")
Folgen wir dem Bericht eines der wenigen Deutschen, die das Gemetzel von Tarnowa ~ liegt eine Tragik eigener Art darin, daß es die auch von den polnischen Behörden
heil überstanden: "Von der Wachmannschaft, die sich inzwischen, je mehr wir uns der lffiGrun~e genomme~ als wenig gefährlim und politismharmlosangesehenenDeutsch-
Front näherten, verstärkt hatte und ungefähr achtzig bis neunzig Mann betrug, wurde rumskreise
. .. waren, die an den Verschleppungsstraßenund ..in den K amp f gebiieten mit.
eine große Zahl von Soldaten verwundet. Sie gerieten darüber in eine solche Erre- ~e höchsten Blutopfer zu tragen hatten. Während sich ein Teil der "aktiven" und
gung, daß sie noch aus ihrer Deckung heraus wahllos mit Maschinengewehren und J~ngeren Angehörigen der deutschen Parteien und Verbände der bereits im August
Karabinern in unseren Zug hineinzuschießen begannen. Wer getroffen war, blieb lie- emsetz~nden großen .Verhaftungswelle durch die Flumt hatte entziehen können, wäh-
gen, als wir dann weitergetrieben wurden. Die Soldaten kümmerten sich nicht darum, rend ein anderer" Tell der durch ihre führende Tätigkeit in Volkst umsorgarusauonen
..
db die Leute tot oder nur verwundet waren. Wir waren jetzt nur noch ein Viertel als ~.belas1)et .angese~enen Deutschen in Gefängnisse eingeliefert und hier und da
der ursprünglich 181 Mann starken Gruppe. Es ging noch anderthalb bis zwei Stun- bereits vor Kriegsbeginn nach Ostpolen abtransportiert worden war - bekamen die
den, bis wir hinter Turekauf ein weites Feld kamen. Dort mußten wir uns in zwei am 1. und 2. September überstürzt zusammengestellten, zur Internierung bestimmten
Reihen nebeneinander aufstellen. Die Soldaten gingen schräg links vor uns in einer DeutschJtumsgruppenebenso wie die guten Gewissens in ihren Häusern und Woh _
Linie in Anschlag und begannen nun, Paar um Paar von uns niederzuschießen. Es war gen .zuru··ckgeebli benen D euts ehendie Härte des Kriegsbeginns und den für die polni- nun

wie bei einer Hinrichtung ... Mein Bruder Willi stand neben mir, etwas weiter vorn s~e ~ee ebenso wie für die Zivilbevölkerung überraschenden Verlauf des "Blitz-
mein Bruder Karl, Dieser schrie plötzlich ,Ausrücken, wer kann!' Damit Lief er weg krieges m voller Härte zu spüren.
und ich mit Willi ebenfalls. Man schoß mit Maschinengewehren und Karabinern hin- Währe~d die Festn~hme der auf den Internierten1isten erfaßten Deutschen _ der
teruns her. Da die Wiesen an dieser Stelle teilweise mit Gebüsd; durchsetzt waren, B~uern und Gutsbesirzer, der Pfarrer, Kantoren und Gemeindehelfer, der Betriebs-
ist es uns gelungen zuenrkommen ... " (BA.) 1.e1ter.un~ GeschäftsJeute - zunächsr noch in geregelten Formen vor sich gegangen
Walter Kabsch, der nach nochmaligem Gefängnisaufenthalt und schweren Mißhand- war (I? VIelen Fällen kannten ja besonders auf dem flachen Lande die Festnehmen-
lungen durch einen polnischen Offizier in einen anderen Versdileppungszug eingereiht ~;:e yerhaftet.en,
hattJ~ sie mit ~nens~it Jahrzehnten friedlich zusammen-
und erst bei Lowicz von deutschen Truppen befreit wurde, kam anschließend in ein ·riu-ch ifi ~erte das Bllid sml~gart1g, wo Immer die begleitende Polizeieskorte
SIl~

Lodzer und später in das Strehlener Krankenhaus, wo man seine Kopfverletzungen üda fest litär abgelöst wurde, wo Immer eine siegestrunkene Wadlmannschaft plötz-
behandelte. Als er dann im Oktober nach Sehrniegel 'zurückkehrte, erfuhr er, daß •. stelle~ mußte, d.aß von den erhofften Eisenbahntransporten ins Landesinnere
außer seinem Bruder Karl nur noch drei Männer das Gemetzel von Tarnowa überlebt .; __~~ehrdie Rede sein konnte (weil nämlich plötalidi gar keine Züge für diesen
uw~ zur V rf·· d d . .
~.M . e ugung .stan en oer die Gleise zerstört waren) und daß für sie selbst
hatten und zurückgekehrt waren. , w... arsch ins Ungewisse begann,
Die Opfer dieses Massenmordes wurden erst nach fünf Tagen auf Anordnung der ~f~ cl ..
~. Kr. re euts~ Abgeordnete im polnischen Sejm und Gutspächter von Hilarhof
polnischen Behörden in Reihengräbernam Friedhofszaun von Tarnowa beerdigt.")
Frau Hedwig Drews aus Rosterschütz, Kreis Turek, deren Mann - der Kantor fosef
~Eine ~se Jarotschm:. Bernd von Saenger, schildert eine leider nicht seltene Situation:
:t ••... ru.pped von VIerzehn Verhafteten aus dem südlichen Teil1 d es Krei h d
. eises atte en
August Drews am 5. September - ohne den geringsten Anlaß in einen Wald gebracht 4'U11QUuß

und dort erschossen worden war, identifizierte zwei Women später einige dee Toten Ilidit rnehan e~ am 2. Se~te~ber vo~ Bahnhof J arotsdiin abgehenden Transportzug
i:~!t. r erreicht, da die SIe begleitenden Polizisten in einem Gasthaus W
der Verschleppungsgruppe nach öffnung der Massengräber, darunter ihren Vetter II&ltgemamt d sim d . . am ege
1':. un 51 ort an Erwartung des sicheren Sieges über die Deutschen be-
Herbert Beutler aus Bilczewo,Kreis Konin (BA.) über die öffnung der Massengräber
~I..PoIener Tageblatt" vom 17 Oktob
IICImmeite Leichen ermordeter VOlks3~u~~erSen1~e·~l.~ber Ober GrAber .•• Bel Turek hundert ver-
") Vgl. die Erlebnisberichte in .Er hilft uns frei aus aller Not ... ", Posen 1940 (Hrsg. R. Kammei) und
.,In Polen verschleppt" von J. Horst, Beriin 1939.

63
trunken hatten, so daß sie erst mit großer Verspätung und nach Abgang desTranspor-
Desin J arotschin eintrafen. Diese Gefangenen - schuldlose und unverdächtige deutsche'
Bauern - wurden sodann im Fuß marsch nach Osten getrieben, jedoch sof~rt nadl
überschreitung der Ostgrenze des Kreises ausnahmslos erschlagen." (BA.)
Die schon länger Verhafteten und aus Posen-Pommer ellen nach Mittel- und Ostpolen
abtransportierten Deutschen konnten sich angesichts des Gesmehens an den Ver-
schleppungsstraßen und in den Kampfgebieten geradezu glücklich schätzen, dem
Chaos in den Gr,enzgebieten und an den Rückmarsmstrecken der polnischen Heeres-
verbände entgangen zu sein. In jenen Tagen allerdings bewegten sie andere Gefühle.
Der schon ,im März in Bromberg verhaftete Journalist Karl-Heinz Fenske, der später
nach Sieradz an der Warrhe abtransportiert worden war und im dortigen Zuchthaus
mit anderen Deutschen quälende Monate der Ungewißheit verbracht hatte, berichtet
über seine Erlebnisse dort bis zur Einlieferung in das Festungsgefängnis von Brest-
Litowsk:
"Am 29. August holte man uns deutsch,e UntersuchungshäfHinge - niemand war in
den zurückliegenden Monaten vor den Richter gekommen - in die Kleiderkammer,
einen nach dem anderen. Wir mußten unsere Zivilsachen ausziehen, einer nam dem
anderen, jeder erhielt Gefangenenkleider, schmutzigbraune, verblichene, geflickte Lum-
pen, Holzpantinen und eine Sträflingsmütze. Die Köpfe wurden uns kahlgesdlOren.
Dann bramte man uns, mit Eisenketten aneinandergefesselt, zur Bahn ... Mit mir
zusammengekettet war der alte Schünemann aus Dirschau, damals längst über die
sechzig hinaus, Direktor der größten polnischen Schiffahrtsgesellschaft, weIterfahren,
tüchtig in seinem Beruf und deshalb auch als Deutscher lange Zeit unentbehrlich bei
der ,Vistula', wüe das Unternehmen hieß. Mir gegenüber der junge Dentist Voise aus
Lemberg, neben ihm der Genossenschaftsprokurist Bachmann aus Thorn, auch schon
über die fünfzig hinaus. Alle grau im Gesicht, mürbe von der langen Einzelhaft, alle
ohne Nachrimt von ,ihren Familien. So fuhren wir in Richtung Osten ... Mehrere
Güterzüge passierten uns bei einem Aufenthalt zwischen Lodz und Warschau. Sie fuh-
ren nam Westen. Polnisme Truppen in neuen Felduniformen, auf Platten wagen Ge-
schütze, Feldküchen, Troßfahrzeuge. Dann ein paar geschlossene Waggons, mit Kreide
beschriftet, gerade noch lesbar der Satz: ,Aus Wilna nach Berlin!' ... Erst eine Woche
später, im Zuchthaus von Siedlce, erfuhren wir, daß das Wort Krieg, das seit Tagen
durch die dicken Wände von Zelle zu Zelle getrommelt worden war, wirkl,im zutraf.
Am späten Nachmittag begann es irgendwo hoch über unseren Köpf,en zu brummen,
und dann begann es böse zu heulen, überall in der Luft. Plötzlich standen viele kleine
Rauchwolken auf den Dächern, die wir sehen konnten, wenn einer auf des anderen
Schultern stieg. Als die Brandbomben das Feuer entfacht hatten, fielen Sprengbomben
in die knisternde, immer weiter um sich fressende Glut, ,einige auch inden Gefängnis-
hof ... ".68)
Fenske schildert sodann, wie die Kriminellen freigelassen und wie die etwa dreihun- St, Martin-Straße in Posen
dert deutschen Zivilgefangeneneiner Militär-Einheit angeschlossen wurden, die in
Die frühere Provinzial-, spätere Wojewodschaftshauptstadt hatte 1939 zwar nur
68) K. H. Fenske: .Von Bromberg bis Brest-L1towsk", Manuskript im Archiv des Ostdeutschen Kuiturrats, I~och einen geringen Anteil deutscher Bevölkerung, war aber noch immer Sitz wich-
Bann.
tiger deu tscher Organisa tionen.
•
64
Der Marktplatz von Rakwitz
Rakwitz bei Wollstein im Posener Land war eine der kleinen Tuchmacherstädte, die 1I1 der
Zeit der Gegenreformation an der Westgrenze entstanden waren.

Bauernhof am Rande des Netzebruchs im Kreis Schubin

Marktplatz und Rathaus in Thorn an der Weichsel

..
Die mitte/polnische Großstadt, Zentrum der im 19. Jahrhundert von deutschen Einwanderern
begründeten Baumwollindustrie, hatte in der Zwi-schenkriegszeit die größte Zahl deutscher
Einwohner unter allen Städten Polens.

Petrikauer Straße in Lodz

.,
 Tag- und Nachtmärschen nach Osten zog. Und nun wiederholen sidi bald die glei-
chen Bilder, wie wir sie bereits von anderen Verschleppungsstraßen kennen - mit dem
.~r~~~i.' dnia )fil..,_ _tJj..r. einen Unterschied nur, daß die Reaktionen der Begleitmannschaften auf die sich
immer deutlicher abzeichnende militärische Katastrophe und auf den Zusammenbruch
. 303/B
. Nt..•.•-=+:':
00 \
L~t.te rmanna .If're dc 4.ci* Ika
PANA (I) --.- ..... - •.....•..• - ...----.- ....................•.•.•.•... - aller Verteidigungsfronten nicht mehr so heftig und spontan erfolgen, wie in den
ersten Tagen des Krieges im Westen des Landes, Wohl kommt es auch bei diesem
Verschleppungsmarsch - vor allem hinter Biala Podlaska - immer wieder zu Erschie-
/
f
ßungen, wohl begleiten Hunger, Durst und Erschöpfung den Elendszug bis Brest-
Litowsk, doch sind die Soldaten nach den pausenlosen Rückmärschen, nach dem
Schwinden der letzten Illusionen auf einen Sieg der polnischen Waffen zu mürbe und
abgestumpft - schon schwingt auch die immer stärkere Unruhe und Unsicherheit hin-
sichtlrich ihres eigenen Schicksals mit -, als daß es zu jenen Ausbrüchen hysterischer
Massenmordaktionen kommen kann, wie sie das Geschehen während der ersten Sep-
Na ••••• ..rl. 3 usa..., : &J. ~.hdOtIO 1931 r. 0 otaDI. "
wYktkowy';' {D%~11..ft. P.
temberwoche im Westteil des Landes kennzeichnen.
~.!17•.RfMI '''.!If~ l14.~ ..MIII!Wa~Spr:
~ • <!caIa s.~ 10z. u..JtP. Nr 48 • .,., •. 373}
Freilich, die Bilanz auch dieses Marsches im Raum östlich von Warschau ist schrecklich
.al'Zl\d..... przylr"ymacl. i ","r~owule PIUIS (i) na okre. dni 30. lieZl\.·cd dnla dzisiejszogo.
genug: besonders der letzte Abschnitt von Wioska bis Brest-Litowsk fordert noch
zahlreiche Opfer. Karl Mielke aus Bromberg berichtet darüber: »W~r marschierten
von 6 Uhr nachmittags bis 3 Uhr morgens. Auf diesem Teil des Weges knallte es un-
barmherzig in den letzten Reihen ... Wir atmeten auf, als wir endlich die Silhouette
unseres Zieles in der mondhellen Nacht auftauchen sahen ... "69) Die Gesamtzahl der
Toten schätzt Mielke auf sechzig.
Ober das Ende des Marsches von Siedlee (etwa 120 km östlich der polnischen Haupt-
stadt) bis Brest-Litowsk erzählt Karl-Heinz Fenske: »" .. Es muß der frühe Morgen
des 17. September gewesen sein. Es ist noch dunkel. Wir haben uns über eine lange
Holzbrücke geschleppt und sind dann in ein dunkles Tor gedrängt worden, in einen
langen ausgemauerten Tunnel, an dessen Wänden Panzer standen. Wir waren am
Ende unserer Kraft und wohl auch am Ende unserer Reise. Wir waren in der Zita-
delle von Brest-Litowsk, .. Drei Tage lang mußten wir noch das Bombardement über
uns ergehen lassen, mit dem die Festung sturmreif geschossen wurde ... In den glei-
chen Zellen, in denen Ende der zwanziger Jahre die parlamentarische Opposition
POliCZENIE. Polens von Pilsudski zusammengetrieben worden war, lagen wir hinter verrammelten
1. Osoba in.iernowana pcwicne zabrad ze 50b", opröcz ubrenle na sobie, ooowiapkowo: dwie Stahltüren neben- und übereinander, ausgemergelt, schmutzstarrend, mit geschunde-
. :tmillllYbielizny, zapasowe obuwie, koc lub koldre przybory do mycia oraz zywno§c na 4 dni.
nen Gliedern und eiternden Füßen. So fand man uns, als die Zitadelle fiel." (BA.)
Opr6cz !ego wolno jej zabra~ rz ec zy osobiste 0 cieäarze 10 kg.
2. Osoble ialet1lo ••••• ej nie wolno posiadac PI'ZY sobie [akiejkolwiek brcni, dokumentöw
osoblotyeh. ~y lub koszto ••••
no§ci.
3. Oooby Illtemowane nie olrZymuj, odziery: od wladz.

..
ENDSTATION BEREZA KARTUSKA

Mit keinem zweiten Ortsnamen in Polen verband sich in weiten Bevölkerungskreisen

eine so klar umrissene Vorstellung eines großen Straf- und »Besserungs"-Lagers wie
mit dem Namen Bereza Kartuska. Zahllose politische Häftlinge aller in Polen leben-
den Nationalitäten hatten seit 1934 mit Bereza Bekanntschaft gemacht; Bereza war
Internierungsbefehl bei Kriegsausbruch
Der Text dieses Internierungsbefehls für Dr. Alfred Lattermann, Studienrat am Po~ener ") K. Mlelke: .Verhaftet, verschleppt und befreit" In der Zeitschrift .Der Volksdeutsche". Ausgabe 19
deutschen Gymnasium und Geschäftsführer der Historischen Gesellschaft für Posen, ist 111 vom Oktober 1939.

übersetzung auf Seite 143 wiedergegeben.

65
nicht nur seiner weltabgeschiedenen Lage, sondern auch seiner strengen Bewachungs-
und Strafmethoden wegen berüchtigt,
Einer der hekanntesten und geistreichsten polnischen Publizisten, Stanislaw Cat-
Mackiewicz der bis zum Jahre 1938 zu den konsequenten Verfechterneiner deutsch-
polnischen Verständigung gehörte?") und der im März 1939 wegen seiner "Kritik an
der Regierung und Untergrabung des nationalen Vertrauens" in Bereza gefangen-
gesetzt worden war, erzählt über die dortigen V:erhä.ltnisse u. a.: "Im ka~nte Be~:za
schon aus Erzählungen ... Kostek-Biernacki, ... WOjewode von Nowogrodek, spater
von Polesien . . . war ein krankhafter Sadist. In dem seiner Obhut anvertrauten
Konzentrationslager erfand er mit Vorliebe Torturen und benannte sie mit einer
wirklich entarteten Freude mit sanften Namen wie ,Gymnastik', ,Reglement' usw,
Die Menschen mußten Stunden lang ohne Unterbrechung mit erhobenen Händen in
der Tiefhocke bleiben und in dieser Stellung gehen, laufen, Treppen hinauf- und
herabsteigen. Dabei wurde schrecklich geprügelt ... Die Prügelstrafe war offi~iell
eingeführt ... Bewacht wurden wir von 84 Polizisten, die ~an auf d~ Wege emer
Disziplinarsträfe ... hierhergeschickt hatte ... Man durfte 111 Bereza nacht sprechen,
jeder war verpflichret, zu verstummen. Dieses Verbot w~r ~atürlich nicht durdizu-
führen, und selbst die Kriminellen, die die anderen beaufsichtigten, sdrwatzten unter-
einander ... Wenn aber ein Polizist ein einziges Wort hörte, ging es für sechs Tage
in den Arrest ... Man durfte auch nicht beten, kein Medaillon um den Hals tragen,
sich nicht bekreuzigen, für all das gab es Prügel ... "71)
An anderer Stelle seiner "Geschichte Polens" faßt Mackiewicz seine Bereza-Eindrücke
wie folgt' zusammen: "Unter uns waren Gefangene aus den schlechtesten Strafanstal-
ten Polens. Sie sagten, daß sie dort lieber ein Jahr säßen, als einen Monat in Bereza,
obgleich hier wirklich niemand wußte, wofür er saß, wie lange er saß und wie lange
er noch sitzen würde."72)
Nachdem bereits im Frühjahr und Sommer 1939 in allen Provinzen des Landes, vor
allem aber in den ehemals russischen Teilgebieten, Deutschen damit gedroht worden
war, daß im Falle eines Kriegsausbruchs Bereza Kartuska sie "erwarte", konnte es bei
der Zusammenstellung der Interniertenzüge keinen Zweifel mehr geben, welches das
Ziel dieser Züge sein würde. Und da in den mittel- und ostpolnischen Großstädten
wie Warsmau, Lodz, Wilna, Bialystok und Lemberg ebenso wie in Bereza selbst alle
Vorbereitungen für den Abtransport bzw, die Aufnahme von Tausenden, führenden
Angehörigen der Minderheitengruppen rechtzeitig getroffen worden waren, wickelte
sich auch hier die Internierungsaktion überall verhältnismäßig rasch und ohne größere
Zwischenfälle ab. Die streng bewachten Personen- und Güterzüge, in denen sich
70) Mackiewlcz, der nach Krie\lsend~. In London wi~der poli~isch. und publizistisch tätig wurde (von
1954-1955 war er sogar Mlnlsterpräsldent der polnischen EXllr~Qlerung) machte 1~56 noc~. einmal von
sich reden als er sich - sechzigjährig - im Zeichen des "politischen :rauwett~r~ zur !:!~ckkehr nach
Polen entsCllloß. In Warschau unterschrieb er 1964 jenen berühmten B~I~I an Mlnlsterpr~sldent ~yran-
kiewicz in dem 34 polnische Intellektuelle eine liberalere Kulturpolitik I.orderten; spater verotlent-
lichte Mackiewicz in der Pariser Exilzeitschrift "Kultura" noch mehrere Artikel unter dem Pseudonym
Gaston de Cerisay, er wurde 1965 aus dem Journalistenverband ausgeschlossen und verstarb Im
71) ~f.b~:~k1=i:z: "Geschichte Polens vom 11.11.1918 bis 17.9.1939", London 1941, hier zitiert
der deutschen Fassung, Marburg 1956, S. 425 tI.
") ebenda, S. 430
66
Reims- und Volksdeutsche, Juden und Russen, Ukrainer und Weißruthenen - fast
durchweg Angehörige der Intelligenz - zusammenfanden, erreichten, wenn audi zum
Teil erst nach tagelangen Umleitungen und Aufenthalten, in den 'Lagen vom 3. bis
zum 6. September ihr Ziel.
über den "Empfang" in Bereza Kartuska berichtet Hugo Peter, Besitzer einer die-
mischen Fabrik und sechs jahre hindurch Vertreter der deutschen Minderheit im
Stadtrat von Bialystok: "Gleim nach unserer Ankunft mußten wir auf einem großen,
ungepflasterten, von meist dreistöckigen Gebäuden umgebenen Platz Aufstellung
nehmen; die Gebäude hatten vor dem Ersten Weltkrieg als russische Militärkasernen
gedient, in denen - wie uns erzählt wurde - zwei Regimenter untergebracht waren.
Das ganze Gelände war durch einen hohen Stacheldrahtzaun umzäunt, in kurzen
Entfernungen voneinander standen hohe Wamttürme, die den mit Masdiinengeweh-
ren ausgerüsteten Wachen einen guten überblick über den Platz erlaubten. Immer
wieder gingen die Polizeimannschaften unsere Front entlang, sie beschimpften und
verhöhnten uns: ,Wartet nur, wir haben für euch einen schönen Ball, eine Hochzeit
vorbereitet!' Noch konnten wir uns keine Vorstellung machen, was damit gemeint
war ... " (BA.)
Weit unangenehmer als dieser "Empfang" des Interniertenzuges aus den nordöstlichen
Gebieten Polens verlief die Ankunft eines Verschlepptentransports aus dem Krakauer
Raum. Der deutsch-katholische Priester Odilo Gerhard schildert in einer ZeitschrH
der katholischen Mission für das Deutschtum im Ausland seine Erlebnisse in Bereza
wie folgt: "Gleim nach unserer Ankunft ... im Internierungslager entfernte man
unsere zehn Mann Bedeckung. Dann hieß es Spießrutenlaufen durch eine Gasse von
etwa 200 Polizisten, die mit Gummiknüppeln, Gewehrkolben und Holzlatten auf
uns einschlugen, wobei sie 70jährige Greise nicht verschonten, Auf dem Übungsplatz
wurden wir abgezählt und dann in einen geheizten Raum gebracht, wo jeder mit
dem Gesicht nach unten auf dem Zementboden liegen mußte .. , Am 8. September
sagten meine Leidensgefährten bei der ärztlichen Untersuchung auf dem übungsplatz:
,Man hat dich ja ganz schwarz geschlagen!' Bevor man mich ohne Ordenskleid, nur
in Hemd und Hose, auf den Platz führte, verhörten mim fünf Kommandanten.
Jeder sagte: ,Wenn Sie römisch-katholischer Geistlicher sind, sind Sie ein Pole!' Im
erwiderte. ,Nein, im bin Deutscher.' - ,Ja, ein deutscher Spion', und schon bekam ich
auf meine Verneinurig einen Schlag mit dem Gummiknüppel. Auf dem Platz mußten
wir in glühender Sonnenhitze und unerträglichen Staubwolken bis zum Abend stehen,
ohne Essen und Trinken, Dann wurde uns bis auf das Geld und die notwendigste
Wäsche alles abverlangt; selbst Rosenkranz, Medaillon, Brevier usw. mußten abge-
geben werden •.. " 73)
Die gleichen Erlebnisse und Erfahrungen zeichnet für die große Gruppe der aus dem
Raum Lemberg, Przemysl und Sambor Internierten - darunter Ukrainer, Juden und
Russen - Sepp Müller, Vorstandsmitglied des Verbandes deutscher Genossenschaften
nach
sowie anderer deutscher Organisationen in Galizien, vom Tage der Ankunft in Bereza
73) .Die Getreuen", Oktoberheft 1939.
67
Kartuska auf: "... Spießrutenlaufen, wie vorhin beschrieben, Reihenschließen, ab-
zählen, Geld und Wertgegenstände abgeben, die übrigen Sachen in solche, die in die
Zellen mitgenommen werden durften, und solche, die ins Magazin abzugeben waren,
zu teilen und zu verpacken, das füllte den Rest des Tages aus. Dabei wurde uns immer
vorgehalten, was für verwerfliche Subjekte wir wären ... Zwischendurch regnete es
Schläge von allen Seiten, und bald merkten wir auch, daß die ,Komman,danten' es
besonders auf die Angehörigen geistiger Berufe abgesehen hatten." (BA.)
über den Verlauf der nächsten 14 Tage berichtet der Bialystoker Hugo Peter, der
ausdrücklich vermerkt, daß die Deutschen zusammen mit Ukrainern und Angehörigen
anderer Nationen untergebracht waren ("in unserem Saal waren auch zwei Juden,
einer aus Bialystok, namens Mandel, ein Beamter der Speditionsfirma Schenker, sowie
ein Wiener Jude"): "Ehe der Morgen graute, mußten wir im Laufschritt hinaus zum
Übungsplatz. An jeder Wegbiegung stand ein Sträfling oder Polizist, der auf manchen
der Vorübergehenden einschlug. Auf dem Platz mußten wir von früh bis spät schwere
Freiübungen unter dem Kommando eines ,Instrukteurs' machen, in der Hocke sitzen,
liegen, stehen, weder links noch rechts schauen. Wenn jemand bei den raschen Kom-
mandos aus der Reihe geriet, gab es aus dem Hintergrund Schläge, ohne daß man
bemerkte, woher sie kamen. Wurde jemand dabei ertappt, daß er ... sich mit seinem
Nachbarn zu verständigen suchte, gab es noch schwerere Strafen, wie etwa das Hüp-
fen auf dem sandigen Boden die ganze Front entlang, bis er besinnungslos liegen-
blieb."
Den Schikanen und Drangsalierungen auf dem Exerzierplatz entsprach die hygienische
Situation. Während des ganzen Aufenthalts in Bereza durften die Internierten sich
nicht ein einziges Mal waschen oder rasieren, vom Wäschewechseln ganz zu schweigen.
Als Tageslatrine diente ein langer Graben, zu dem jeweils zweimal am Tage ge-
schlossene Gruppen gejagt wurden, um ihre Notdurft zu verrichten.
über die Verhältnisse in den Quartieren sagt Bernd 'Von Saenger u. a. aus: "Nachdem
wir von Mithäftlingen allenthalben kahl geschoren worden waren, wurde aus einer
eilig zusammengestellten Gruppe von 140 Mann die Belegschaft des ,Saales 10' ...
Abends jagte man uns im Laufschritt dorthin. Es handelte sich um einen sonst kahlen
Raum, der - abgesehen von den Durchgängen - an allen Wänden gänzlich von
einem roh zusammengeschlagenen Holzgerüst ausgefüllt war, in dem Bretter zwei
Etagen bildeten, während das ,Parterre' von dem Zementfußboden gebildet wurde.
Wir mußten eilends unsere Lagerstätten einnehmen, wobei sich herausstellte, daß
diese viel zu eng waren. In dem Appartement, das ,ich erwischt hatte - die Pfosten
grenzten Abteilungen für je sechs Mann ab -, konnten wir nur hochkant liegen,
zumal zu der Belegschaft ein sehr dicker Mann gehörte, der allerdings nach drei
Tagen an Entkräftung starb, so daß es weniger eng wurde. Sodann machte man uns
mit dem Reglement vertraut, dessen Hauptpunkte das Verbot jeden Sprechens, Her-
umstehens und gar aus dem Fenster-Hinausblickens waren. Man war also während
der Nacht und später auch fast den ganzen Tag über dazu verurteilt, auf der Pritsche
zu liegen, was insofern besonders qualvoll war, als die den Boden bildenden schmalen
68
Bretter nicht eine gleiche Fläche hatten, so daß sich einem die Ränder in Fleisch und
Bein schnitten ..• " (BA.)
Die Verpflegung schildere Bernd 'Von Saenger so: "... Das Essen bestand aus einer zu
einer beliebigen Tageszeit gereichten sogenannten Suppe, sprich Wasser mit wenig
Graupen oder Kleie. Dazu wurde ein Stück Brot in etwa der doppelten Größe einer
Streichholzschachtel verabreicht." (BA.)
Dieses karge Mahl erhielt insofern für die Insassen des Saales 10 eine besondere
"Untermalung", als jeweils zwei Gefangenenreihen einander beim Essen gegenüber-
zutreten hatten, sodann ~n die Kniebeuge gehen mußten, worauf die beiden Gegen-
über die Suppe aus einer Schüssel zu verzehren hatten.
"Das unzweifelhaft Qualvollste war in Bereza der Durst, da nur einmal abends
Wasser ausgegeben wurde, und zwar ein Eimer für jede Abteilung, so daß auf jeden
Häftling etwa ein Likörglas kam. Bei der in diesen Septembertagen herrschenden
H~tze sowie bei den vielen Übungen auf dem Kasernenhof war diese Menge so unzu-
reichend, daß viele der Häftlinge - bevor kühleres Wetter eintrat - in eine Art Deli-
rium gerieten, bei dem insbesondere nachts Wahnvorstellungen auftraten." (BA.)
Ober die Gesamtzahl der in Bereza Kartuska inhaftierten Deutschen und die Ange-
hörigen anderer Nationalitäten liegen unterschiedliehe Angaben vor. Die Mindestzahl
wird in einem Bericht des Posener Tageblatts mit 5,768 Personen, darunter 3500
Deutschen und 1600 Ukrainern am Tage der Befreiung, d. h. am 18. September an-
gegeben.t-) In dieser Zahl sind die an Erschöpfung und Krankheiten Verstorbenen
sowie die ermordeten Internierten nicht enthalten. (Hugo Peter und Bernd 'Von Saen-
ger schätzen die Zahl der Bereza-Häftlinge im September 1939 auf annähernd acht-
ta~send, Sepp Müller nennt eine Zahl von sechs- bis siebentausend Personen.)
DIe Zahl der nach Bereza verschleppten Reichsdeutschen und der Bürger der Freien
Stadt Danzig dürfte mit mindestens zweihundert anzunehmen sein.
Vom 16. September an, das heißt am Vorabend des sowjetischen Einmarschs in Ost-
polen begann sich unter den Wachmannschaften von Bereza Kartuska eine zuneh-
mende Unruhe und Unsicherheit abzuzeichnen. Auf der am Lagerzaun vorbeiführen-
den Straße fluteten nahezu ununterbrochen Militär- und Flüchtlingskolonnen vorbei
die Lagerpolizei war z. T. abgelöst worden, die einen oder anderen Polizisten hatten
~.ohl auch selb~t. das W.eite gesucht. "Irgend etwas lag in der Luft - eine Bedrohung
fur unsere Peiniger, eine Hoffnung für uns", erzählt Hugo Peter; und weiter:
"Abends holte man aus allen Sälen die gelernten Bäcker heraus, aus unserem Saal
waren es allein drei Mann. Nach Ablauf zweier Stunden kehrten diese aufgeregt zu-
rück: im Flüsterton gaben sie weiter, daß man sie zum Brotbacken eingesetzt hatte,
dann aber plötzlich wieder von der Arbeit entfernte ... Niemand schloß in dieser
Nacht ein Auge, alle lauschten gespannt auf den Lärm an der Straße, das Wagenrol-
le~, d:u Stimmengewirr in unserer Nähe, das dann immer näherkam ... Noch wagten
wir nidir, an unsere Befreiung zudenken, als jemand laut im Korridor in weißrussi-
scher Sprache sagte: ,Habt noch etwas Geduld, wir werden euch bald die Türen öff-
74) .Posener Tageblatt" v. 'Z1. Oktober 1939.
69
nen!' ... Dann aber hielt es uns nicht länger, und wir stürmten hinaus. Von den Im Niemandsland zwischen Netze und Weichsel
Wachmannschaften und den Sträflingen, die mit zur Wache hinzugezogen waren, war
Nachdem der durch Presse- und Rundfunkmeldungen, durch patriotische Aufrufe
niemand mehr zu sehen. Sträflingskleider lagen auf dem großen Gelände verstreu.t.
und Kanzelpredigten erzeugte Begeisterungstaumel in weiten Kreisen der polnischen
Wahrscheinlich hatten die Kriminellen sie gegen Zivilkleiderausgewechselt ... DIe
Bevölkerung schon innerhalb der ersten beiden Tage nach Kriegsbeginn einer zuneh-
Stunde unserer Befreiung war gekommen." (BA.)
menden Ernüchterung Platz gemacht hatte und nachdem angesichts des Zurückflutens
Die Befreiung und der wenig später in großen Gruppen einset~end: .A~~arsch der
polnischer Truppenverbände und der pausenlosen deutschen Luftangriffe die Hoffnun-
Bereza-Inrernierten nach Westen vollzog sich im Zeichen der gleichzeitig uber Polens
gen auf einen raschen Vorstoß nach Berlin, Danzig und Königsberg zerstoben waren,
Ostgrenzen - angeblich zum Schutze der weißrussischen und ukrainischen Bev~lke-
richteten sich die Blicke aller auf die Verbündeten Polens. Hatten nicht Frankreich
rung - flutenden Sowjetarmeen. Noch ahnten nur wenige der ~n diesen Stu~d~n Ihren
und England ausdrücklich Polens Grenzen garantiert? War es nicht eigentlich selbst-
in Ostpolen gelegenen Heimatgebieten zustrebenden Wolh!llJlen- und Gahzlendeu.t-
verständlich, daß Frankreichs Armeen den Rhein überschreiten und Englands Luft-
sehen, daß damit zugleich das Schicksal dieser Gebiete besiegelt war und kaum ein
waffe die deutsche Industrie in Schutt und Asche legen würde? Mußte nicht Englands
Vierteljahr später eine der größten Volksgruppen-Umsiedl~gen un~res !ahrhunderts
Kriegserklärung die deutsche Angriffslust lähmen? Sollten nicht Hitlers Panzer-
ihren Anfang nehmen würde. Andererseits haben gerade die Erlebnisse dieser. und der
Attrappen schon gleich nach den ersten Gegenschlägen die Ohnmacht des "Dritten
darauffolgenden Wochen die innere Bereitschaft der i~ di~en ~äumen beheimateten
Reiches" erweisen und Revolutionen in den von Deutschland besetzten Gebieten das
Deutschen zum Verlassen ihrer Heimatgebiete wesentlich mitbestimmt.
ganze morsche Staatsgebäude Hitlers erschüttern und zu Fall bringen?
Hoffnungen und weitgespannte Erwartungen verwandelten sich über Nacht in Ver-
wirrung und Zweifel. Louis de lang analysiert die Situation in Polens Westgebieten
bei Kriegsbeginn zweifellos zutreffend, wenn er feststellt, daß der "Iillusionäre Ope-
raoionsplan" und eine "schrankenlose Überschätzung ihrer eigenen Kraft" die polni-
sche militärische Führung von vornherein in eine aussichtslose Lage gebracht hatten.t-)
Starke polnische Kräfte waren zwar in Westpolen konzentriert worden, jedoch verur-
sachten gerade der überstürzte Nachschub immer neuer Einheiten !in diese Gebiete
während der letzten Augusttage und Anfang September schon deshalb von nieman-
dem vorausgeahnte Verkehrssdrwierigkeiten, weil ein Großteil dieser Truppen nicht
motorisiert und daher auf Eisenbahntransporte angewiesen war. Gerade auf die
Eisenbahnverbindungen und Brücken aber hatte es in den ersten Septembertagen die
deutsche Luftwaffe abgesehen.
Hinzu kamen die von Tag zu Tag anwachsenden Flüchtlingskolonnen, die hauptsäch-
lich mit Bauernwagen, aber auch zu Fuß und mit Lastkraftwagen aus dem Frontgebiet
zu entkommen suchten.

DIE ENTWICKLUNG DER MILITÄROPERATIONEN

General von Vormann schildert in seinem Buch "Der Feldzug 1939 in Polen" die
Situation im Bereich der deutschen Heeresgruppe Nord wie folgt: "Die 4. Armee
hatte den Auftrag, aus einer Bereitstellung ostwärts der Linie Krojanke-Schlochau
verbrechend, den Übergang über die Brahe zu erzwingen, schnell das Westufer der
Weichsel firn Abschnitt Topolno (10 km südlich von Kulm) und Graudenz zu gewin-
nen und den Feind im Korridorgebiet zu vernichten ... Nach Überschreitung der
Weichsel hatte die 4. Armee im Zusammenwirken mit der 3. Armee nach Warschau
vorzustoßen '" Die Südflankeder 4. Armee war an der Netze, dem Bromberger
") Louis. de Jong: "Die deutsche fünfte Kolonne ... ", Stutlgart 1959. S. 48.
Kanal und später ~egen Thorn hin zu sichern."76) Und an anderer Stelle: "Die
4. Armee bildete nördlich Flatow aus dem 11. Korps und dem XIX. Korps eine
Durchbruchsgruppe, die ... über die Brahe zwischen Krone und Tuchel auf Kulm
gegen die Weichsel durchstoßen sollte (d, h. also an Bromberg vorbei) ... Zur Siche-
rung der rechten Flanke gegen die Armee Posen hatte das um Krojanke versammelte
IH. Korps sic:hin den Besitz des Netzeabschnitts zu setzen und später auf Bromberg
vorzugehen. "77)
Schon hieraus wird, wenn man die Landkarte betrachtet, ersichtlich, daß es die deut-
sche Heeresleitung von vornherein auf weiträumige Ziele, auf rasche Vorstöße an
möglichen polnischen Widerstandszentren vorbei und auf die Einkreisung bzw. Zer-
splitterung möglichst starker gegnerischer Verbände abgesehen hatte. Ein solcher Ope-
rationsplan brachte zwangsläufig die Aussparung der meisten größeren Städte aus den
Angriffshandlungen schon deshalb mit sich, weil sich anderenfalls an soldien Orten
der polnisc:he Widerstand hätte versteifen können. Weite Räume wurden auf solche
Art in den ersten Septembertagen zum "Niemandsland".
Das bestätigt in sehr klarer Form auch der polnische General Jerzy Kirchmayer in
einem Buch über Polens militärische Lage 1939-1944, indem er über die Kräftever-
teilung in Posen-Pommerellen und den deutschen Vormarsch folgendes feststellt: "Das
Interventionskorps (d. h. die zum Einsatz gegen Danzig bereitgestellten Truppen),
hatte seine Kräfte sehr weit auseinandergezogen und dadurc:h waren auc:h die Ver-
bände der gesamten Armee Pommerellen sehr verstreut. So hatte die 9. Infanterie-
Division einen Frontabschnitt von ca. 70 km Länge zu bestreiten ... Als Haupt-
kampflinie wurde die Weichsel zwischen Bromberg und Thorn festgelegt mit einem
Brückenkopf auf dem linken Weichselufer bei Bromberg. Diesen Brückenkopf sollten
die Armeen Posen und Pommerellen gemeinsam halten. Denn durch ihn sollten Vor-
stöße nach dem Norden ermöglicht werden '" Indem jedoch die deutsc:hen Armeen
von Ostpreußen ostwärts und südlic:h der Weichsel nach Warschau vorstießen, hatte
die Hauptkampflinie Weichsel-Bromberg-Thorn und der nie existent gewordene
,Brückenkopf Bromberg jede Berechtigung verloren. "78)
Die Folgen dieser deutschen Operationsplanung und der in konsequentem Zusam-
menwirken zwischen Heer und Luftwaffe durchgeführten Kampfhandlungen lagen
auf der Hand. Katastrophal aber waren diese Auswirkungen für jene Teile der deut-
schen Zivilbevölkerung, die als "unsichere" oder gar als "staatsfeindliche" Elemente
angesehen wurden und die sich sowohl dem Zorn und der Verzweiflung ihrer polni-
schen Nachbarn als auch der Verbitterung und Enttäusc:hung ohnmächtiger Behörden
und den sich von ihrer obersten Führung verraten fühlenden Truppenverbände aus-
geliefert sah.
Als "unsicher" , "verdächtig" und "staatsfeindlich" galten in diesen Tagen nicht etwa
nur diejenigen Angehörigen der nationalen Minderheiten, die am Tage des Kriegs-
ausbruchs verhaftet, in Gefängnisse eingewiesen und zur Internierung bestimmt wor-
Vgl. .Der Feldzug 1939 In Polen", Weißenburg 1958, S. 70.
ebenda, S. 76 ff. •
Vgl. Jerzy Klrchmayar: .Kllka zagadnlan polsklch 1939/1944 , S. 69.
~
72
den waren. Die allgemeine Verwirrung brauchte ein stärkeres Ventil, als es die ein-
fache Kenntnisnahme der Verhaftung kleinerer und größerer Gruppen von pauschal
zu "Staatsfeinden" erklärten und immerhin noch dem Schutz der Behörden und der
Polizeiorgane anvertrauten Deutschen hätte bieten können. Waren nicht im Grunde
genommen die Deutschen in Polen alle miteinander überhaupt schuld am Kriegsaus-
bruch? Hatten sie nicht mit ihrem zähen Festhalten an ihrem Volkstum, mit ihren
Vereinigungen und Parteien Hitler die Handhabe für seine Politik geboten? Hatten
nicht schon immer ihre Repräsentanten Unzufriedenheit mit den Verhältnissen be-
kundet und hatte nicht gar die große Masse der Deutschen immer besser gelebt als die
Polen selbst? Ungestüm brachen sich solche und ähnliche Gefühle, brach sich ein durch
Jahre und Jahrzehnte angestauter Unmut Bahn: nun sollten diese Deutschen allesamt
wenigstens auc:h die Folgen tragen, wenn das unglückliche Polen mit durch ihre
Sc:huld einer neuen Katastrophe seiner leidvollen Geschichte entgegenging,
DER "BROMBERGER BLUTSONNTAG"
Mit den Vorgängen am Rande des Kriegsgeschehens im September 1939 in Polen ist
der Name einer Stadt aufs engste verknüpft, die in den Frontberichten jener Tage
kaum auftauchte, die angesichts der Umgehungsstrategie der Wehrmacht fast eine
Woche hindurch militärisches "Niemandsland" war, die aber infolge einer Verkettung
fataler Begleitumstände zu einem Symbol rausendfachen leidvollen Erlebens unschul-
diger Menschen geworden ist: Bromberg.
Nachdem sich zunächst am Tage des Kriegsbeginns und auch am Vormittag des 2.
September die Lage in Bromberg nur wenig von der Situation in anderen Städten
des Korridorgebietes unterschieden hatte, nachdem die auf den Internierungslisten
erfaßten Deutschen verhaftet worden waren und ihren Fußmarsch nach Osten ange-
treten hatten, nachdem hier und da - besonders nachts - auch schon Ausschreitungen
gegenüber deutschen Zivilisten vorgekommen waren, verschärfte sich die allgemeine
Spannung mit dem Augenblick des ersten deutschen Fliegerangriffs und mit den im
Bromberger Straßenbild immer häufiger auftauchenden Flüchtlingsgruppen. Schon am
frühen Samstagnachmittag gesellten sich zu diesen zivilen, Panikstimmung verbreiten-
den Flüchtlingskolonnen kleinere und größere militärische Verbände, die wildeste,
einander entgegengesetzte Gerüchte in Umlauf brachten; so hieß es zum Beispiel, pol-
nische Armee- und Marine-Einheiten hätten Danzig besetzt, andererseits aber auch:
daß nur wenige Kilometer nördlich der Stadt bereits gekämpft würde und "deutsche
Panzer sicher schon bald in Bromberg einrücken" könnten. (Wie sich später heraus-
stellte, waren deutsche Vorauseinheiten - allerdings keine Panzerverbände - bis in
die Stadtnähe vorgedrungen, jedoch ohne den Befehl und die Absicht, Bromberg zu
besetzen.)
Ober die bereits am zweiten Kriegstage nahezu in Auflösung befindliche und z. T.
über Bromberg zurückweichende 27. polnische Infanterie-Division, die ohne jeden
Zusammenhang mit der Armeeführung operierte, lesen wir in einem Werk des polni-
73
schen General-Sikorski-Instituts, London: "In einer durch Panik gekennzeichneten
Situation kam es (am 2. September) hier und da zu Auflösungserscheinungen bei den
verschiedenen Verbänden. Das Ergebnis waren blutige Verluste in den eigenen Rei-
hen ... Bei einem Bataillon des 24. Infanterie-Regiments (das den Befehl zum Rück-
zug auf Brombergerhalten hatte), brach aus unbekanntem Grund noch vor Eintritt
der Dämmerung auf der Straße Bladzin-Schwetz eine Panik aus, die die Auflösung
eines großen Teils dieses Bataillons zur Folge hatte ... Auch des 23. Infanterie-Regi-
ments bemächtigte sich eine Panik, die indessen schnell eingedämmt werden konnte,
durch die aber das 1. Artillerie-Bataillon von der Infanterie getrennt wurde. Ursache
der Verwirrung war hier die eigene Kavallerie, die zur gleichen Zeit durch diese Ge-
gend ritt. Irgend jemand rief .Kavallerie von hinten', und -dieser Ruf löste bei den
übernervösen Mannschaften eine Panik aus. "79)
In demselben Werk werden an anderer Stelle (S. 95) Schießereien zwischen Truppen
des 50. Infanterie-Regiments verzeichnet, die zu Verlusten führten. Auch mehrere
Armee-Kuriere gehörten hier zu den Gefallenen.
Der Rechtsanwalt Günter Hübschmann, früher Bromberg, der später eine ganze Reihe
von Polen beim Sondergericht in Brornberg verteidigte, bestätigt die Vorkommnisse
an der Rückmarschstraße der 27. Infanterie-Division, ,indem er zu den Angaben pol-
nischer Angeklagter, denen zufolge auf polnisches Militär geschossen worden sei, be-
merkt: "... In der Verhandlung wurde erklärt, daßentl.ang der Brahe auf der Straße
nach Thorn bzw. nach Fordon am Sonntag, dem 3. September, polnisches Militär
zurückflutete. Im Morgennebel soll dann eine dieser polnischen Einheiten über die
Brahe hinweg auf die andere polnische Einheit das Feuer 'eröffnet haben, in der An-
nahme, daß es sich bereits um die nachdrängenden deutschen Truppen gehandelt
hätte. Es entwickelte sich ein Feuergefedir zwischen zwei polnischen Einheiten, das
beiderseits Opfer forderte. Und so wäre die Parole innerhalb der polnischen Bevöl-
kerung aufgekommen, Deutsche hätten auf Polen geschossen." (BA.)
Die Auswirkungen dieser -durch mündliche Weit;ergabe aufgebauschten - Meldungen
von den Rückzugsstraßen der polnischen Truppenverbände waren um so verheeren-
der, als sie sich auf keinen Nenner mit den noch immer Optimismus und Siegeszuver-
sicht verbreitenden Zeitungs- und Rundfunknachrichten bringen ließen. Die Konfron-
tation der erlebten Wirklich:keit mit den ohne jeden Übergang als leere Propaganda
offenbarten Wunschbildern erreichte am Sonntagvormittag- dem 3. September -in einer
Stunde ihren Höhepunkt, in der eigentlich niemand der wenig später auf so grausame
Art Betroffenen diese Zusammenballung von tragischen Ereignissen erwartet hatte.
Doch nicht die Flüditlingskolonnen, die an diesem Morgen wie schon am Vortage das
Straßenbild in Bromberg kennzeichneten, und auch nicht die Alarmmeldungen abge-
hetzter, versprengter Soldatengruppen waren es, die den Funken in dieser Stadt zum
Zünden brachten, in der noch 31m Freitag Gotthold Starke in seinem Kommentar
zum Aufruf des Staatspräsidenten Moleielei die jahrzehntelange "gute Nachbar-
schaft mit dem polnischen Volk" beschworen und der Hoffnung Ausdruck gegeben
") ••Polskie Sily Zbrojne w drugiej wojnie swiatowej" (Polens Streitmacht im Zweiten
Band I, Teil 2, Seite 83-100.
74
hatte, daß die Verzweiflung über das Geschehen nicht überhand greifen dürfe und
"dre starke Hand Gottes, ", in deren Schutz wir getrost den nächsten Tagen und
Nächten entgegengehen" das Schicksal der Menschen beider Nationen bestimmen
werde.w)
Die Sprache, die an diesem Sonntagmorgen manche Kanzelpredigten in den überfüll-
ten polnisch-katholischen Gotteshäusern Brombergs bestimmte, besagte etwas ganz
anderes, Hier war - wie eidesstattliche übereinstimmende Aussagen zeigen - von
"Rache" und "Vergeltung", von "der Wahrung der heiligsten Güter", von "Vernich-
tung" und "Ausrottung" die Rede. Und diese Kanzelreden, die ja im Grunde genom-
men nur den Schlußpunkt unter eine Vielzahl ähnlicher Priester-Reden aus den Vor-
monaten setzten, mußten in einem Augenblick der grenzenlosen Verwirrung und Ver-
zweiflung gerade der gläubigen, einfachen Bevölkerungskreise das sprichwörtliche
"Faß zum Überlaufen" bringen.
So kann es nicht wundernehmen, daß am 3. September, dem ersten Sonntag nach
Kriegsbeginn, auch in Bromberg die Gotteshäuser zu Versammlungsstätten wurden,
an denen die in ihrem Glauben an Gott und die Menschheit wankend gewordenen
Bürger, insbesondere aber auch die im patriotischen Geiste erzogene Jugend gewisser-
maßen die "letzte Weihe" für eine als Selbstverteidigung und Befreiungstat gepriesene
Aktion empfingen, die wenig später in einen Massenmord ausartete.
Nicht zufällig wird in allen uns vorliegenden Berichten über die Vorgänge am "Brom-
berger Blutsonntag" übereinstimmend "die Zeit nach der Messe", "nach dem Gottes-
dienst" - hier und auch noch genauer "nam 10 Uhr" oder "ungefähr 10.20 Uhr" -
als Beginn des "Schießens lin verschiedenen Stadtteilen" und der Massenverhaftungen
von Deutschen angegeben.st) Audi Major Wojciech Albrycht, der Brornberger Stadt-
kommandant, gibt diesen Zeitpunkt - den er allerdings als "unverhofften überfall
der deutschen Diversanten auf polnisches Militär" bezeichnet - mit 10.20 Uhr an.S2)
Was Major Albrycht zu seiner eigenen Rechtfertigung 1946 vor dem Posener Staats-
anwalt Garczynski als "überfall deutscher Diversanten auf poln:isches Militär" he-
zeichnete und was seither in mancherlei Varianten noch an Legenden dazu erfunden
wurde, um die Schuld an den Bromberger Vorgängen den dortigen Deutschen anzu-
lasten, ist inzwischen hier und da auch auf polnischer Seite als absurde Verzerrung
der tatsächlichen Vorkommnisse erkannt worden.
"DIE PSYCHOSE HAT GROSSE AUGEN"
Eines der anschaulichsten literarischen Dokumente über die Septembertage in Posen-
Pommerellen legte T adeusz N owakowski, der diese Zeit in seiner Jugend in Bromberg
miterlebt hat, mit seinem Buch "Polonaise Allerheiligen" vor.83) Den in großer Zahl
im Bundesarchiv Koblenz gesammelten Augenzeugenberichten über den "Bromherger
80) Siehe Einführung!
81) Vgl. die Berichte von Frau Emmy Heuchert, Frau Charlolte Frenser, geb. Bigalke Frau Margarete
Lieske, Frau Annemarie Klotzbücher, geb. Doerfel, und Otto Schendei (BA.). '
82) Vgl. ••Panorama P6lnocy" Nr. 44 v. 2. 11. 1958 (Aussage vor dem Staatsanwalt Garczynski Posen
1~~ ,
Weltkrieg),
13) Das Buch erschien 1959 in deutseher Obersetzung von Armin Dross bei Kiepenheuer u. Witsch, Köln.
75
Blutsonntag", die wir nachfolgend zitieren, sei hier nur eine der von Nowakowski
sehr einprägsam geschilderten Szenen vorangestellt. Sie spielt "Am dritten Kriegstag
in Bromberg" und schildert die Stimmung der polnischen Bevölkerung beim Durchzug
polnischer Truppen: »Weißüberstäubte Infanteristen bogen im Geschwindemarsch als
ungeordnete Haufen in die Grunwaldstraße ein. Sie zogen nicht von Osten nach We-
sten, wie man erwartete, sondern sie kamen aus westlicher Richtung und wandten sich
ostwärts. Der Anblick der Marschierenden war deprimierend. Unter den Helmen
hielten die Soldaten die Augen gesenkt. Sie sahen stur auf die Absätze ihrer Vorder-
männer , zählten die einzelnen Pflastersteine und blieben stumm. Die alten Sokols, die
Schützenbrüder, Kegler und Hallerarmisten überkam langsam ein schlimmes Vorge-
fühl. ,Was ist das für ein trauriger Krieg', wunderten sie sich: ,Keiner singt!' - .Sie
ziehen sich zurück', sagte ein Passant: ,Auf dem Rückzug singt der Soldat niemals'
... Zwei Stunden danach brach eine Panik aus. Sirenengeheul durchschnitt die Lufl,
obgleich keine Flugzeuge am Himmel zu sehen waren.B4) Staubwolken bedeckten
Laub und Gras an den Straßenrändern mit einer weißen Schidir. Die engen Straßen
füllten sich mit tobenden Banden und Marodeuren. Zügellose Haufen fliehender Ver-
sprengter, weder als Zivilisten noch als Soldaten anzusprechen, fielen wie ein Heu-
sdireckensdrwarm in die Grunwaldstraße ein. Die Fenstersdreiben klirrten vom Knat-
tern beim Anlassen der Motoren. Sogar riesige Möbelwagen machten sich auf den
Weg. In den Gärten am Fluß fielen einzelne Karabinerschüsse. ,Was ist passiert?'
fragte der junge Gregortschik ein paar Halbwüchsige, die die Straße entlangtobten.
,Wir jagen die fünfte Kolonne! Wir hauen den Schwaben eins in die Fresse!' riefen
sie ihm vergnügt zu. Die Psychose hat große Augen. Unversehens waren angeblich
Saboteure aufgetaucht. überall glaubte man sie zu sehen. Auf dem Dach der Fahrrad-
fabrik, im Hof der Süßwarengroßhandlung, in der deutschen Tischlereiwerkstatt
,Heima' und im Dürer-Gymnasium. ,Runter mit dem jackett!', schrien bewaffnete
Jugendliche jeden an, der ihnen verdächtig erschien. Sie sahen unter den Achseln nach,
ob dort nicht etwa eine Fallschirmleine Spuren hinterlassen habe. ,Militärpaß vor-
zeigen - aber ruck-zuck, alter Luj' - ,Hier, hier, da haben wir den Vogel!, schrie
aufgeregt ein Bäckergeselle mit weißer Mütze, einen Karabiner über der Schulter: .Ein
Lurher, Ewangelik, Robert Stenze! heißt er! Hab ihm seinen Rucksack durchsudit und
einen Taschenspiegel gefunden. Zu was braucht so ein alter Kerl einen Spiegel? Sicher
hat er damit feindlichen Flugzeugen Zeichen gegeben!' - ,Seid ihr wahnsinnig?' rief
entsetzt das gebeugte, quittegelbe Männlein mit den aufs Rad geschnürten Bündeln:
,Ein Spiegelchen braucht doch jeder, zum Rasieren!' - ,Aber du bist ja unrasiert',
nahm ihn der Geselle beim Wort: ,Siehst du, wie du lügstl' - .Krank bin im', stöhnte
der Alte, ,hab zum Rasieren keine Lust. Von Dirschau her komm' ich zu Fuß. Ist
mein Sohn an die Front gegangen mit dem sechzehnten Ulanenregiment - und ihr
wollt mim festnehmen!? .. .' ,Die Numerierung der Regimenter kennt er auch!' Die
Augen des Burschen blitzten auf ... "
") Gleichlautende Berichte deutscher Augenzeugen besagen. daß dieser Fliegeralarm, .nach dem keine
Entwarnung erfolgte, zu der Vermutung Anlaß gegebE!n habe, daß damit das StartsIgnal zur Aktion
gegen die Bromberger Deutschen gegeben worden sei (BA.).
76
Nowakowski schildert sodann, wie sich weitere Vorübergehende in die Auseinander-
setzung einschalten, wie der junge Gregortschik den Mann in Schutz zu nehmen sucht,
doch ohne Erfolg: »... ,Wir haben diesen Knieg nicht angefangen!' Die Augen des
Bäckergesellen werden ganz klein vor Haß: ,Wir haben ihn nicht gewollt! Wo ge-
hobelt wird, da fallen aber Späne. Die Starostei hat's befohlen, und Schluß.' ... Der
junge Gregortschik fror innerlich. Schmerzerfüllt wandte er sich von der Straße fort,
um den Haufen von Marodeuren nicht mehr zu sehen."
Der Erinnerungsbericht des Brombergerdeutsdien Journalisten Marian Hepke bestä-
tigt und ergänzt die polnische Situationsschilderung aus dem Blickfeld eines deutschen
Bürgers der Stadt, der bei Kriegsbeginn zwar nicht verhaftet und verschleppt worden
war, dem man jedoch auferlegt hatte, sich täglich bei der Polizei zu melden. H epke
berichtet über den Sonntagvormittag: »Ich verließ etwa um 10 Uhr das Regierungs-
gebäude, wo ich dem Meldebefehl nachgekommen war und begab mich zum Theater-
platz und von dort in die Danziger Straße, die im in nördlicher Richtung hinaufging.
Als ich etwa in der Nähe des Hotels Adler war, kamen polnische Truppen vom Nor-
den her die Straße herunter im wilden Durcheinander. Es handelte sich offenbar um
eine Fourageabteilung mit Kastenwagen. Die ganze Fahrbahn einnehmend, sprengten
die Pferde mit den hinterher ratternden Wagen die Straße hinunter; offenbar waren
die Soldaten bemüht, den südlichen Ausgang der Stadt zu erreichen, Einige Soldaten
hatten sogar Gasmasken vor den Gesichtern, was die Bestürzung unter den Straßen-
passanten noch verstärkte. Was ist los? fragte man. Was war ratsächlich geschehen?
Wie mir später Augenzeugen berichteten, soll die Truppe am Nordrand der Stadt
noch in gewisser Ordnung gefahren sein. Als die Bevölkerung die Soldaten fragte, wo
die Front sei, hätten diese geantwortet: ,Die Deutschen sind hinter uns!' Und der Ruf
,Die Deutschen kommen!' habe sich durch Häuser und Straßen fortgepflanzt und
habe auch die Truppe selbst zu immer besdileunigterem Tempo angetrieben. Dabei
wurde von einem Wagen eine Gaslaterne der Straßenbeleuchtung umgerissen und der
Ruf ,Gas, Gas!' veranlaßte einige Soldaten, Gasmasken aufzusetzen ... " (BA.)
M arian H epke schildert, wie wenig später !in der Nähe der Paulskirche das Gerücht
aufgekommen sei, daß Deutsche vom Turm dieser Kirche geschossen hätten und daß
diese »Diversanten" mit Maschinengewehren und Handgranaten ausgerüstet wären.
Wir kommen auf dieses Gerücht und seine Hintergründe noch zurück. Hepke erzählt
weiter: »Obwohl ich mich um die gleiche Zeit in unmittelbarer Nähe dieser Kirche
befunden habe, habe im kein Schießen gehört, weder aus Gewehren noch aus Maschi-
nengewehren, im habe auch keine Detonationen von Handgranaten wahrgenom-
men ... Ebensowenig habe ich verwundete oder getötete Soldaten gesehen."
Die Gerüchte und der eilige Durchzug eines Truppenverbandes durch die Danziger
Straße beunruhigten Hepke natürlich in nicht geringem Maße. Er überquerte den
Weltzienplatz, in der Hoffnung, über die parallel zur Danziger Straße verlaufende
Bachmannstraße rasch nach Hause zu gelangen. Hepke erzählt: »Auch in dieser Straße
dasselbe Bild: Hier handelte es sich um leichte Artillerie, die sich in schnellem Galopp
südwärts bewegte. Offiziere zügelten ihre Pferde und versuchten, das Durcheinander
77
ihrer Truppe aufzuhalten ... Da aber die Soldaten weiterrasten. zogen die Offiziere
- ich sah zwei dies tun - ihre Pistolen und schossen unter fortwährenden ,St6j'
Rufen in die Luft ... Nach und nach kam jetzt einige Ordnung in die Kolonnen ... "
Die von M arian H epke geschilderten Vorkommnisse finden in zahlreichen, an Eides-
statt niedergelegten Zeugenaussagen ihre Bestätigung: so nüchtern diese Aussagen zum
Teil sind, so geht doch aus ihnen mit aller Deutlichkeit hervor, wie durch das Zu-
sammentreffeneiniger Ereignisse eine folgenschwere Aktionswelle ausgelöst wurde,
deren Auswirkungen nicht zuletzt auch die polnische Bevölkerung in voller Härte
trafen.
Folgen wir den in umfangreichen Dokumentationsmappen des Bundesarchivs gesam-
melten Aussagen, Arthur Thom (früher wohnhaft in Bromberg, Bahnhofstraße 88)
berichtet: "Am Sonntag, dem 3. September, gingen die Polen in die katholische Kir-
che am Elisabethmarkt. Als sie zurückkamen, waren alle sehr aufgeregt, und Frau
Kendzierska, die Frau eines Eisenbahners, die meine Frau und die Kinder in den
Luftschutzkeller geholt hatte, sagte zu dieser leise und am ganzen Körper zitternd,
daß heute die Deutschen alle aus ihren Wohnungen geholt werden sollten. Meine Frau
und die Kinder möchten ja nicht sprechen, wenn die Leute kämen, um sich nicht zu
verraten ... " Wenig später ritt mit Lanzen und Gewehren bewaffnete polnische Ka-
vallerie durch die Straßen; beim überstürzten Einbiegen in eine Nebenstraße stürzten
einige Tiere mit ihren Reitern. Thom fährt fort: "Das Geräusch (auf der Straße) ver-
anlaßteeine Polin, die Frau des über uns wohnenden Uhrmachers Chmielewski, an
das Fenster zu laufen. Ein Kavallerist ... legte an und schoß der Frau in die Schul-
ter. Die Frau wurde dann mit einem Krankenwagen fortgeschafft Als die Horden
auf der Straße hörten, daß in unserem Hause eine Polin angeschossen worden sei,
hieß es sofort: das könnten nur Deutsche getan haben! Der Haß steigerte sich so weit,
daß man das Haus in die Luft sprengen wollte; nur den hier wohnenden Polen gelang
es, dieses zu verhindern." (BA.)
Frau Emmy Heuchert (früher Bromberg-Schleusenau) schreibt über ihre Erlebnisse in
der Anker- und .A!ltenSchulstraße. "Mein Mann konnte in dieser Nacht (vom 2. 'zum
3. 9.) schlecht schlafen und stand deshalb früh auf. Obwohl er mich nicht beun-
ruhigen wollte, sah ich, daß er sehr nervös war ... Er ging von einem Fenster zum
anderen, ließ die Jalousien herunter und beobachtete das Leben und Treiben auf der
Straße. Es dauerte nicht lange, da sah mein Mann, wie Herr Walter Schulz in die
Kirdie'") ging, bald darauf aber wieder herauskam. Vor der Kirche. hatten sich in-
zwischen Soldaten und polnische Jugendwehr eingefunden. Sie sprachen mit Schulz
heftig, stieß-en ihn und führten ihn ab. Ungefähr eine halbe Stunde danach beob-
achtete mein Mann, wie Fräulein Hertha Schulz mit Soldaten, Polizei und anderen
Burschen ankamen, in die Kirche gingen und nach geraumer Zeit wieder heraus-
kamen. Während dieser Zeit kam unser Mädchen vom Milchholen. Sie sagte: Pol-
nische Frauen haben sich erzählt, daß die Deutschen jetzt aus ihren Wohnungen
geholt und erschossen werden ... " (BA.)
85) Es handelt sich hier um die evangelische Kirche in der Alten SchulstraBe.
78
Frau Heuchert schildert sodann ausführlich mehrere Durchsuchungen des ganzen
Hauses und Verhöre seiner Bewohner, u. a. auch ihres Mannes, der es nur dem Ein-
stehen seiner polnischen Nachbarn für ihn zu danken hatte, daß er nicht abgeführt
wurde. (Wir kommen auf diesen Bericht noch ,im letzten Kapitel zurück.) Der Haus-
wächter und der Eisenbahner Makowskierzählten Frau Heuchert bei dieser Gelegen-
heit, daß "der polnische Geistliche nach dem Gottesdienst alle Männer und jugend-
lichen aufgefordert" habe, "Gewehre und Munition zu holen, um Bromberg zu
verteidigen". Der Bericht schließt mit der Darstellung der Unruhen und der blutigen
Vorkommnisse in Bromberg bis zum Dienstag, die jedoch Frau Heuchert selbst nicht
erlebte, da sie die Zeit mit ihrem Mann und den Mitbewohnern ihres Hauses im
Keller zubrachte.
KIRCHTURM-LEGENDEN
Die phantastischen Gerüchte über-deutsche "Diversionszentren" in den Türmen evan-
gelischer Kirchen werden dadurch nicht glaubwürdiger, daß sie auch in anderen
Städten Posen-Pommer:ellens auftauchen.
So verständlich auch immer vor dem Hintergrund des panikartigen Rückzugs der
polnischen Truppen der Betätigungsdrang der zur Verteidigung ihrer "heiligsten
Güter"aufgerufenen Zivilbevölkerung und insbesondere der leicht zu patriotischen
Taten entflammbaren polnischen Jugend anmuten mag, so abgründig erwiesen sich
die Folgen der organisierten Massenhysterie, die vor den Toren der Gotteshauser
nicht Halt machte. Die bereits im Bericht von Frau Heuchert zitierte Lehrerin Hertha
Schulz schildert, wie sie am Sonntagvormittag von einem Polizisten abgeholt und
aufgefordert wurde, das Kirchentor aufzuschließen: »Vor der Kirche angekommen,
sah ich dort einen Korporal mit ungefähr zehn bis zwölf Mann stehen, die auf das
öffnen der Tür warteten, Ich schloß auf, und der Polizist sowie der Korporal mit
ungefähr acht Mann gingen hinein, die übrigen blieben draußen und verteilten sich,
wie ich später erfuhr, um die Kirche herum ... Im gleichen Augenblick will sich auch
ein Junge ,in der Uniform der polnischen Jugendwehr (gemeint ist die Uniform der
Pfadfinder) an mir vorbeidrängen. Ich schob ,ihn zurück, da hob mir der Junge eine
Pistole entgegen, und die polnischen Soldaten waren inzwischen weiter hineinge-
gangen, aber der Polizist stand noch neben mir. Ich sagte ihm: ,Der Junge hat ja
einen Revolver!' - .Pani, to jest tylko straszak!' (,Frau, das ist nur eine Schreck-
schußpistole!') erwiderte er darauf, wies aber doch den Jungen zurück. So schloß ich
von innen ab und ging mit dem Polizisten den Mittelgang entlang. Es kam der Kor-
poral noch dazu, nachdem er den Soldaten den Befehl zum Durchsuchen der Kirche
erteilt haben muß, denn ich beobachtete das aufgeregte Suchen der Soldaten. Einige
gingen durch die Bänke, andere gingen in die ... Sakristei, wiederum andere unter-
suchten den Altar, hoben die Decke, die Leuchter, zogen den auf den Altarstufen
liegenden Teppich zur Seite, und als gerade einer die Bibel durchblätterte, fragte ich,
wonach sie eigentlich suchten. Darauf erhielr ich die Antwort: ,Das Maschinengewehr,
79
das Ihr Bruder in der Kirche aufgestellt hat.' Ich fand das so entsetzlich lächerlich
und konnte mir die Bemerkung nicht versagen: ,Na, in der Bibel werden Sie es wohl
nicht finden.' ... " (BA.)
Bei der Beobachtung der auf der Empore und an der Orgel weitersuchenden Soldaten
entdeckte Fräulein Schulz abermals den an der Kirchentür zurückgewiesenen Pfad-
finder, diesmal im Inneren der Kirche. Sie rief dem Polizisten daraufhin zu: »Da
läuft euer Maschinengewehr! Wenn wirklich aus der Kirche geschossen wurde, dann
ist es der Bengel gewesen - der macht den Weg durch das Fenster bestimmt nicht zum
erstenmal!" Der Korporal rief nun den Jungen zu sich: »... Aus dem Wortschwall
hörte ich heraus, er wäre zu dumm, von den Deutschen ließe er sich abfangen." (BA.)
Doch die Kirche in der alten Schulstraße war - wie gesagt - nicht die einzige, aus
der heraus polnische Bewohner und Soldaten Schüsse und sogar Maschinengewehr-
feuer gehört haben wollten. Ernst Zühlke (früher Bromberg, Lilienstraße 11): »Dem
Schuhmacher haben Polen gesagt, er hätte in der Kirche ein MG aufgestellt und haben
ihn (ebenso wie den Kirchendiener David) erschossen und die Kirche in Brand ge-
steckt."
Kurt Mill (früher Kleinbartelsee) berichtet: »Die Polen beschossen sich gegenseitig. Es
brach eine Panik aus, als ein polnischer Offizier rief, deutsche Soldaten seien in Brom-
berg. Von unserer Hausecke, Manfred-Laubert-Straße und Maßstraße schossen polni-
sche Soldaten auf die evangelische Kirche und sagten: ,Wir haben vom Kirchturm
Feuer bekommen.' Nach einer Weile hörten wir, daß Herr Marau und sein Sohn er-
mordet worden sind. Er war der Kirchendiener." (BA.)
Auch aus der Paulskirche am Weltzienplatz, über den am Sonntag besonders viele
Truppeneinheiten zurückfluteten, wollen später polnische Zivilisten und Soldaten
Schüsse gehört haben. In polnischen Schriften, so z. B. bei Pospieszalski, ist sogar
nachzulesen, daß diese Schüsse »den Beginn der deutschen Diversionsaktion angezeigt"
hätten. Wahrscheinlich gehen diese Gerüchte auf den Umstand zurück, daß die für
Feindbeobachtungen besonders günstige Position dieses Kirchturms bereits vor Kriegs-
beginn zu Verhandlungen der städtischen Behörden mit Superintendent Assmann,
dem Pfarrer der Paulskirche, geführt hatte. Gotthold Starke, Mitglied des Kirchen-
rates, teilte Marian Hepke in einem Brief in diesem Zusammenhang mit: "In der
letzten Augustwoche erschien bei Herrn Superintendent Assmann ein Polizist, der die
Mitteilung brachte, auf dem Turm der Kirche müsse ein Beobachtungsposten einge-
richtet werden, da Fliegerangriffe zu erwarten seien." (BA.)
Pfarrer Assmann setzte sich daraufhin mit Gotthold Starke in Verbindung, der den
Behörden mitteilte, daß »angesichts der Lage nichts gegen die Einrichtung eines Beo-
bachtungspostens seitens der Kirchenleitung eingewandt" würde. Die Einrichtung
eines solchen Postens ist jedoch nicht erfolgt.
Der Verfasser eines anderen polnischen Buches, [oze] Kolodzieiczyk, zitiert Aussagen
eines »Mitbürgers Stanislaw Bielecki" über angebliches Schießen von der evangelischen
Pfarrkirche am Hann-von-Weyhern-Platz aus; hier sei auch ein junger Deutscher mit
zwei Granatzündern aufgegriffen worden - was auf die Verwendung von Handgra-
80
naten schließen ließe - und endlich hätten die Deutschen sogar »einen unterirdischen
Gang zur Kirche" angelegt.81)
:'farrer Karl Droß, der damals der genannten Kirche vorstand, nahm zu diesen
Kußerungen
, " Stellung, die er als Phantasiegebilde bezeidmet
w. Wohl' seien po 1nrisdie
Zivilisten gewaltsam in seine Kirche eingedrungen und hätten diese nach Waffen und
ve,rsteckte~ Deutschen erfolglos durchsucht. Was den unterirdischen Gang betreffe, so
ermnert Sich Pfarrer Droß einer Sage, der zufolge »einmal zwischen Bernhardiner-
und Kl:rissinenkloster ein unterirdischer Gang existiert haben soll, der unter der
Brahe hmdurchführte" .87) Unter oder bei der Pfarrkirche habe es niemals einen sol-
chen Gang gegeben. (Die Kirche wurde 1903-1904 auf Sumpfgeländeerrichtet.)
Pfarrer Droßerwähnt in seiner Stellungnahme ausdrücklich »die kochende Volks-
seele", die an diesem Sonntag noch dadurch angeheizt worden sei, daß es viele Be-
tr~nkene g~geb~n habe; ein Umstand, der auch durch andere Zeugenaussagen belegt
Wird, auf die wir noch einzugehen haben werden. (BA.)
~icht zufällig richteten sich der Zorn und die ersten Gewaltaktionen am 3. September
in Bromberg gegen die evangelischen Kirchen und die deutschen Pfarrhäuser. Hatte
man es doch hier - nach der Schließung der deutschen Turn- und Vereinshäuser, der
deutschen Schulen, Verlagsgebäude und Banken - mit den einzigen noch zugängli-
chen, allen gut bekannten und schon optisch herausragenden deutschen Versammlungs-
zentren zu tun. Und war nicht schon seit Monaten auch die Enteignung der evangeli-
schen - also deutschen - Gotteshäuser gefordert worden? Sollte also diese Forderung
r:
unbegründet gewesen sein?
ie Erlebnisse deutscher Geistlicher in jenen Tagen seien hier abschließend durch
el~en kurze~ Auszug aus den Aufzeichnungen Pastor Hans Martin Stalfehls belegt.
Diese Au~zelchnungen, die z. T. auch in einer Broschüre unter dem Titel »Ein Augen-
zeuge / Ein Tatsachenbericht über die Bromberger Bluttage" veröffentlicht wurden88)
kommt insofern besondere Bedeutung zu, als Pastor Stalfehl als einziger von seinen
~romb.erger deutsch-evangelischen Amtsbrüdern in Bromberg geblieben war. Er hatte
Sich seiner Festnahme und der Verschleppung nach Osten dadurch entziehen können
daß er mit einer 72jährigen Gemeindeschwester im Garten und in den Kellern des
Al.umnats, einer Filiale des Bromberger Diakonissenhauses, Zuflucht gesucht hatte.
Hierfand ihn eine vierköpfige Soldatengruppe, denen sich auch Zivilisten darunter
zwei jüngere Frauen, zugesellt hatten, bei einer Durchsuchung des Alumnats und des
umliegenden Geländes.
,
P!arrer Stalfehl berichtet: »... Ich hatte meine älteste Sportmütze auf, die bereits
Viel Wetter erlebt hat ... Eine der polnischen Frauen riß mir die Mütze herunter mit
den Worten: ,Was, so eine Mitze fir einen Herrn Pfarrer? So eine schlechte Mitze hat
doch kein pan pastor! Du Schwein, du Spion! Totschießen!' Jemand anders rief:
,Aufhängen!' übrigens war diese Kußerung wohl die Grundlage jener Behauptung,
") ~g~~~a~f.lo~:c:~g!~~iw:~~~~t~tu~ ~~w;J ~;edzleli BydgoskleJ" (Wahrheit aber den Bromberger Blut-
07) Hier zitiert nach Bromberg"1 Fol 1S s °t b
Posener Christuskirche wu ge, e~ em er 1964, Hrsg. Marlan Hepke. Seite 9. Auch auf der
schaft Im Pfarrhaus elnquari?:rt (~~h~orrS~r Re~~~:9Iwl e~n B~~bacg~Ungsposten"eingesetzt. die Mann-
w
Oll H. M. Staffehl : .Eln Augenzeuge I Ein Tatsachenberichte • •e~
••
reg
efrnar e1r940 kam , Essen 1939).
. uns
81
welche polnische Nachbarn am Blutsonntag dem Fräulein Mundstock entgegenschJeu-
derten, indem sie auf den Schleusenauer Kirdiplatz wiesen: ,Euer dicker Pfarrer hängt
dort schon am Baum!' - Das Verhör der Soldaten und Zivilisten gipfelte in dem
Punkte, daß im Alumnatgarten geschossen worden wäre. Ich überzeugte den Gefrei-
ten, wie unsinnig ein solches Schießen, das man mir in die Schuhe schob, gewesen
wäre. Wi'e sich nachher ergab, hatte der junge Mann selber die Schüsse abgegeben,
Und diese Beobachtung, daß polnische Zivilisten Schüsse in der Nähe deutscher Woh-
nungen und deutscher Kirchen abgaben, ist mehrfach gemacht worden. (89)
Pfarrer Stajfehl hatte es später nur seiner Obers teIlung zum 3. Bromherger Polizei-
kommissariat und seiner Einweisung in ein Gefängnis zu danken, daß er - wenn
auch unter Mißhandlungen und nach ständigen weiteren Verhören, die jedoch nicht
die geringsten Anhaltspunkte für eine "Schuld" an den Bromberger Vorgängen erga-
ben - diese Tage überlebte.
Aus SICHERUNGSHAFT WIRD MENSCHENJAGD
Während mit der verängstigten und eingeschüchterten deutschen Bevölkerung auch
viele polnische Familien die Keller ihrer Häuser aufsuchten oder die Türen und Fen-
ster ihrer Wohnungen zu verbarrikadieren begannen, erreichte in den Mittags- und
Nachmittagsstunden des 3. September die Haß- und Vergeltungsorgie in den Straßen
Brombergs und vorallem in den Vororten ihren Höhepunkt. Unter dem Einfluß der
in Panikstimmung noch immer durch die Stadt ziehenden, teils tief deprimierten, teils
demoralisierten Truppenverbände wurde aus einer improvisierten, chaotischen Ver-
haftungsaktioneine regelrechte Menschenjagd.
Die Tatsache, daß von einer Gewährleistung der Ruhe und Ordnung durch die Be-
hörden und die Polizei nicht mehr die Rede sein konnte, wird durch polnische Fest-
stellungen einwandfrei belegt. So z. B.erklärte der Militärkommandant von Brom-
berg, Major Albrycht, in seinen 1946 vor Gericht gemachten Aussagen: "Am 2. Sep-
tember war in Bromberg fast kein Militär (gemeint ist hier die Bromberger Garnison).
Es war nur der Divisionsstab der 15. 1.D. unter General Przyjalkowski anwesend.
Am 3. September vormittags war der Landrat schon nicht mehr da. Der Polizeikom-
mandant für die Stadt Bromberg, Kowalski, war ebenfalls in dieser Zeit nicht mehr
anwesend ... "90)
Ein zur "Sicherung der Ordnung" herangezogenes Reservebataillon des 62. Regiments
sah sich schon deshalb einer nahezu aussichtslosen Aufgabe gegenüber, weil fanatisierte
Bevölkerungsgruppen auf eigene Faust eine "Sicherungsaktion" in die Hand genom-
men hatten, bei der die verbliebenen Polizeieinheiten und das Militär zumeist nur
noch Statistenrollen spielten.
Wie diese Aktion im einzelnen verlief und wie sie alsbald auch dort wo gar keine
polnischen Truppen in Erscheinung getreten waren, in eine allgemeine Menschenjagd
ausartete, die von Polen selbst als "Polowanie na Niemc6w" ("J.agd auf Deutsche")
") ebenda, S. 8.
") Hier zitiert nach "Panorama P6lnocy", Nr. 44 v. 2. 11. 1958.
82
bezeichnet wurde, darüber sagen die nachfolgenden Augenzeugenberichte genug aus.
"Durch die Straßen zogen Trupps von ca. zwanzig bis dreißig jungen Burschen, mit
allen möglichen Waffen versehen und in Begleitung einiger polnischer Soldaten von
Haus zu Haus. Vor dem Hause angelangt, stellten sie fest, wieviele deutsche Familien
darin wohnten, stürmten dann in das Haus, gaben mehrere Schüsse ab, drangen in die
Wohnungen oder Keller ein mit der Behauptung: Hier ist geschossen worden! Die
deutschen Familien wurden auf die Straße getrieben, blutig geschlagen, und viele
kehrten nicht mehr zurück." (Arthur Thom, früher Bromberg, Bahnhofstraße 88.)
"Polnische Bürgerwehr und Jungschützen gingen in die Häuser, in denen Deutsche
wohnten und schossen dort aus den Fenstern. Dann liefen sie auf die Straße und
meldeten, daß die Deutschen geschossen hätten." (Erwin Ditschkowski, früher Brom-
berg, Kornmarkt 11.)
"Am Sonntag kam eine Horde zu uns in die Wohnung ... Sie schlugen die Türen ein,
zerstachen die Polstermöbel mit Bajonetten, schlugen die Türen vom Kleiderschrank
ein und suchten nach Munition. Sie behaupteten, wir zwei Frauen, meine schwer herz-
kranke Mutter, 64 Jahre, ich, 36 Jahre, hätten aus dem Fenster mit einem Maschinen-
gewehr geschossen ... Ein polnischer Nachbar mit Namen Pulkowski (Malermeister)
sagte nur: ,Was macht ihr mit den Deutschen?' Den haben sie mitgenommen und auf
dem Kornmarkt erschossen." (Frau Martha Kautz, früher Bromberg. Tannenberg-
straße 13 a.)
"Bei meinem Bruder haben die Polen ein MG aufgestellt, und da sagen sie, das war
mein Bruder! Er wurde zur Wach,e mitgenommen, zum Verhör und wurde dann frei-
gelassen, und auf den Straßen warteten die Horden und führten ihn auf den Posener
Platz und haben ihn erschossen. " (Ernst Zühlke, früher Bromberg, Lilienstraße 11.)
"Zwei alte Damen, Wissmannshöhe, die in sehr ärmlichen Verhältnissen in einer
Stube und einer Küche lebten, wurden verhaftet, weil sie angeblich ein Waffenlager
in ihrer Wohnung hatten." (Max Gutbier, früher Bromberg, Schwedenstraße 36.)
"Am Nachmittag des 3. September wurde mein ältester Sohn Fritz, 18 Jahre alt, ver-
haftet und abgeführt. 15 Meter vom Gehöft entfernt wurde er auf offener Straße er-
schossen. Danach wurden dem toten Jungen Kopfhörer und Handgranaten in die
Joppentasche gesteckt, was wohl sagen sollte: ,Seht, so machen es die Deutschen!' Am
Morgen des 4. September wurde mein zweiter Sohn Heinz (16 Jahre) von polnischem
Militär erschossen, während er den Soldaten eine Tasse Milch zum Trinken reichen
wollte. Kurz darauf wurde mein Mann Arthur (42 Jahre) angeschossen auf der
Schwelle seines Hauses, wo er bis zum Abend in seinen Todesqualen schrie und um
den Gnadenschuß bat ... Dann mußten meine Tochter und ich in unserem Garten
ein tiefes Loch graben, wo alle drei, Vater und seine beiden Jungen, reingeworfen
wurden ... " (Frau Hedwig Radler, früher Bromberg, Thornstraße 39.)
"Am Vormittag gegen 11 Uhr kam der Pöbel durch unsere Straße ... Nach einer
Weile hörte ich vom Nebenzimmer aus, wie mein Mann zu unserer Haustochter
Goede sagte, Owczaczak zeige auf unsere Wohnung, unmittelbar darauf kam er zu
mir und sagte: ,Um Gottes willen, der Mob kommt in unsere Wohnung, jetzt müssen
83
wir sterben!' Er erklärte mir noch, daß wir zusammen sterben wollten. Unmittelbar
darauf drang der Mob und darunter ein Soldat in unsere Wohnung ein. Der Soldat
verlangte, daß mein Mann und ich uns auf den Teppich legten. Wir taten dies. Dann
schoß er. Mein Mann war sofort tot ... Dann wurde ich zur Tür hinausgestoßen und
mit anderen Personen, die in unserer Wohnung Schutz gesucht hatten, abgeführt, Un-
terwegs wurden wir von der uns begleitenden Volksmenge beschimpft, geschlagen und
mit Füßen getreten ... " (Frau Kaethe Finger, geb. Boehlke, früher Bromberg-Schleu-
senau.)
"Am Sonntag, dem 3. September, zwischen 11 und 12 Uhr, befanden wir uns im Kel-
ler unserer Wohnung. Polnische Soldaten und Zivilpersonen kamen ,auf unser Grund-
stück. Sie verlangten, daß wir aus dem Keller hervorkämen. Als wir herauskamen, be-
hauptete ein Soldat, aus unserem Hause sei geschossen worden. Wir hatten aber über-
haupt keine Waffen im Hause. Mein Schwiegersohn verließ zuerst den Keller ... Er
bekam gleich einen Schuß, der die Schlagader traf; außerdem hatte er noch drei an-
dere Schüsse in der Brust und am Hals. Trotzdem war er nicht sofort tot, sondern
lebte noch am Sonntagabend. als wir fliehen mußten. Wir konnten ihn nicht mit-
nehmen ... Mein Sohn Reinhard Giese war ebenfalls mit unten im Keller gewesen,
er war 19 Jahre alt. Als er sah, daß mein Schwiegersohn erschossen wurde, wollte er
fliehen. Es gelang ihm auch, über den Zaun in das Nachbargrundstück zu entkom-
men. Sie liefen ihm nach, fingen ihn und erschossen ihn. Ich holte die Leiche meines
Sohnes am Abend in die Waschküche." (Johanna Giese, geb. Keusch, früher Brom-
berg, Konopnioka-Straße 9.)
"Die Menschenmenge, die sich auf der Breiten Straße umhertrieb, hetzte die Soldaten
auf den Deutschen Gollnick. Die Soldaten schlugen ihn mit Kolben nieder, so daß er
auf der Straße schwer verletzt liegenblieb. Er lebte noch bis zum Abend, ... als ein
Zivilist und zwei Soldaten erschienen, sie stießen Gollnick das Seitengewehr in den
Bauch. Anschließend wurde er endgültig durch einen Fangschuß getötet." (Olga und
Franz Tafelski, früher Bromberg.) Diese Aussage wurde im Oktober 1939 von der
Ehefrau des Ermordeten - Christa Gollnick - dm vollen Ausmaß ebenso bestätigt,
wie auch J6zef Kolodziejczyk -dieser allerdings ungewollt - in seiner 1945 erschie-
nenen Broschüre "Die Wahrheit über den ,Bromberger Blutsonnrag'" zugibt, daß die
gegenüber Gollnick erhobenen Vorwürfe auf Vermutungen beruhten. Kolodziejczyk
zitiert eine Aussage der Polin Dulska, in der es heißt: "Gegenüber meiner Wohnung
wohnte der Deutsche Gollnick, den mein Mann seit längerer Zeit beobachtete. Dabei
kam er zu dem Ergebnis, daß Gollnick Kontakt zu militärischen Geheimorganisatio-
nen haben müßte ... "91)l
"Es stimmt, daß Leute beordert waren, die Schreckschüsse abzugeben. So war es in
allen Häusern, wo Deutsche wohnten, und alle Deutschen wissen das. Auch kein Pole
machte ein Hehl daraus, daß sie Waffen hätten." (Frau M. G., früher Bromberg.)
"Polnische Jugend saß in den Gärten auf den Bäumen und schoß!" (Friedrich [asper,
früher Bromberg, Asternweg 23.)
") J. Kolodziejczyk: "Prawda 0 .krwawej Niedzieli Bydgoskiej •••• Bromberg 1945. S. 36.
84
Dieses Dutzend aus einer Vielzahl ähnlicher eidesstattlicher Aussagen über die Vor-
gänge am 3. September in Bromberg spricht Bände. Und immer wieder stoßen wir
in diesen und anderen Hinweisen, wie sie z. B. auch das aus Anlaß der 25. Wieder-
kehr des "Bromberger Blutsonntags" zusammengestellte "Bromberg"-Sonderheft in
einer ersten übersicht brachte, auf die nüchterne Feststellung "Die Polen selbst haben
geschossen!"
Wie wenig die aufgeputschten, z. T. betrunkenen, nur noch vom Dung nach Rache
und Vergeltung besessenen Menschenjäger in den Straßen Brombergs in der Lage
waren, einen klaren Gedanken zu fassen, wie sehr sie sich in einen regelrechten Blut-
rausch hineinsteigerten, beweist der Umstand, daß vielfach nicht einmal mehr zwi-
schen "Freund" und "Feind" unterschieden wurde. So wurden auch Polen und Juden
erschlagen und erschossen, nur weil sie es gewagt hatten, ein Wort zur Verteidigung
eines Deutschen zu sagen oder gar eine Hand zu rühren.
Frau Pilkahn, geb. Schultz, beobachtete, wie die jüdische Schauspielerirr Stenzel festge-
nommen wurde, nachdem der Sattler W ochowski im Hause Viktoriastraße 1 mehrere
Schüsse abgegeben hatte und gleich darauf behauptete, Frau Stenzel habe auf ihn ge-
schossen. "Man hat diese Frau dann noch auf dem Kornmarkt gesehen - über ihr
Schicksal ist nichts bekannt." (BA.) Ein ähnliches Schicksal erlitt der Malermeister
Pulkowski, der am Kornmarkt erschossen wurde. (BA.)
GLücklich konnten sich 'diejenigen Deutschen preisen, die man - sei es, weil sie ein ein-
wandfreies Polnisch sprachen, sei es, weil sie von ihnen bekannten Polizeibeamten
oder durch von der allgemeinen Verfolgungs-Psychose noch nicht erfaßte Militär-
patrouillen festgenommen wurden - zur Polizeikommandantur oder zum Sitz des
Stadtkommandanten brachte. Zu ihnen gehörte der Journalist Marian Hepke, von
dem bereits die Rede war und der seinen Rückweg vom Regierungsgebäude, in dem
er seiner Meldepflicht nachgekommen war, folgendermaßen schildert: "Die Tatsache,
daß ich Deutscher war, genügte, um mich zu verhaften ... Aus der Missionskirdie.
dem noch unvollendeten Kuppelbau, kamen uns Kirchgänger entgegen. Einige riefen
den mich begleitenden Soldaten zu, ich sei ein Spion, warum sie mich überhaupt ab-
führten?! ,Einfach umbringen, gleich an Ort und Stelle!' riefen sie. Glücklicherweise
achteten weder der Soldat noch der Unteroffizier auf diese Worte ... Im Regierungs-
gebäude wurde ich in ein großes Konferenzzimmer geführt. Ich durfte mich setzen ...
Nach einiger Zeit öffnete sich die Tür, und es trat ein Major ein; er fragte mich in
polnischer Sprache: ,Und Sie, was machen Sie hier?' Ich erklärte ihm, daß ich auf dem
Heimweg von Zivilisten angehalten und einer Patrouille übergeben worden sei. Ich
sei mir keiner Schuld bewußt und kenne den Grund meiner Festnahme nicht. Der
Offizier - später erfuhr ich, daß es sich um den Stadtkommandanten Major Albrycht
gehandelt hat - machte einen ruhigen Eindruck. Er hörte mich an, sagte nur: ,Gut,
bleiben Sie hier.' Darauf verließ er das Zimmer. Kurze Zeit später schrillte das Tele-
fon im Nebenzimmer. Ich hörte die Stimme des Majors, der mit dem Bromberger
Starosten (Landrat) Suski, der bereits ,tn Thorn war, sprach. Aus Iden Wiederholun-
gen der Worte durch Major Albrycht erfuhr :im den Inhalt des Gesprächs recht genau,
8S
Es ging etwa so vor sich: .Hier wird geschossen, Herr Starost!' - ,Wer schießt?' .-
,Die Deutschen - nein, kein Militär, die hiesigen Deutschen!' - ,Verhaften? Gut, alle
Deutschen verhaften, jawohl, Herr Starost.' ... " (BA.)
Major Albrycht, der in diesem Telefongespräch die aufgetauchten Gerüchte und Ver-
mutungen weitergab, hatte selbst gar keine Möglichkeit, diese Mitteilungen zu über-
prüfen, da er anderes zu tun hatte und offensichtlich selbst ein Opfer der allgemeinen
Psychose geworden war.
"GEISELFESTNAHME NICHT ERFORDERLICH"
Das geht auch aus den späteren Aussagen Albrychts über den Ablauf des Sonntag-
nachmittags in Bromberg hervor. Seine vielsagenden, wennschon militärisch-knappen
Ausführungen ergänzen den Erlebnisbericht von Marian Hepke sehr anschaulich.
Albrycht erklärt: "... Am Sonntag ... , gegen 13 uhr begann man, gefaßte Diver-
santen und Personen deutschen Volkstums, die die Diversanten beschützten ... zur
Stadtkommandantur heranzuführen. Dieses Herbeischaffen ... und Legitimieren dau-
erte bis 16 Uhr ... Ungefähr 600 Personen wurden identifiziert. Ich wußte nicht, was
ich mit einer so großen Anzahl von Menschen machen sollte. Ich telefonierte darauf-
hin mit dem General (dem Kommandeur der 15. Infanteriedivision, General Przyjal-
kowski) und schilderte die Lage. Ich schlug vor, die Festgenommenen zur Turnhalle
des 62. Regiments zu schicken. Der General gab den Befehl, daß man sie unter einer
Eskorte dorthin bringen und Wachtposten aufstellen sollte ... Ich bat den stellver-
tretenden Stadtpräsidenten Nawrocki um Überreichung einer Liste der zwanzig
wichtigsten deutschen Bürger, um sie als Geiseln zu nehmen. Der Vizestadtpräsident
lehnte es ab, indem er erklärte, daß er dies nicht für erforderlich halte. Um 17 Uhr
wurde ich durch Eilboten, da die Telefone nicht mehr funktionierten, mit Major
Sawinski zum General gerufen. Sawinski war Kommandeur des 82. Wachbataillons.
Der General gab den Befehl, die Wachtposven von Hoheneiche (den Munitionsmaga-
zinen), den Brücken und Truppenmagazinen zurückzuziehen und in Richtung Schulitz
zu marschieren. Ich selbst bekam den Befehl, die Geheimakten des Divisionskomman-
dos sicherzustellen und nach Thorn zu bringen. Weiter sollte ich die in der Turnhalle
festgehaltenen Diversanten freilassen ... Mit meiner Abfahrt wurde die Stadtkom-
mandantur in Bromberg aufgelöst. "92)
Diese Mitteilungen sprechen für sich: der stellvertretende Stadtpräsident hält es nicht
für erforderlich, Geiseln festzunehmen, der kommandierende General gibt den Befehl
zur Freilassung des größten Teils der angeblichen Diversanten. Im Grunde genommen
waren also gerade diejenigen Stellen, die am besten über die Haltung bzw. die "Ge- ~
fährlichkeit" der festgenommenen Bromberger Deutschen informiert sein mußten, von
ihrer Harmlosigkeit überzeugt.
Louis de [ong charakterisiert eine der Ursachen der in Bromberg am 3. September
alle Dämme menschlichen Handeins überflutenden Verfolgungsaktion zweifellos rich-
tig, wenn er bemerkt: "Die deutsche Überlegenheit, die überall offenkundig war; die
"> Vgl. .Panorama P6Inocy". Nr. 44 vom 2. 11. 1958.
günstigen Meldungen, die nicht bestäeigr wurden; die Niederlage, die allmählich im-
mer deutlicher Gestalt annahm - das alles erschreckte die Polen nicht nur bis ins
innerste Herz, sondern war zudem vollkommen unbegreiflich. Begreiflich. wurde es
nur, wenn man annahm, daß die Rüdeschläge nicht auf ein Versagen der eigenen
Truppen im offenen Kampf zurückzuführen waren - was ohnehin undenkbar er-
schien -, sondern daß sie auf die Verschlagenheit des Feindes zurückgingen, auf die
Operationen seiner Agenten. "93)
Indessen s-tand es um diese vermeintlichen "Agenten" am 3. September in Bromberg
schlimm genug. Folgen wir dem Bericht von Marian Hepke: "Als ich aus dem Kon-
ferenzzimmer in einen anderen Raum gebracht wurde, sah ich von dem breiten Kor-
ridor aus in die Zimmer rechts und links. Infolge der großen Hitze waren alle Türen
offen: ich sah, daß alle Räume überfüllt waren, mit Deutschen, Männern und Frauen,
jungen und alten. Den Verhafrungsbefehl des Starosten hatte man gar nicht erst ab-
warten müssen, der war bereits ausgeführt. Ich sah unter anderen die Frau und die
Tochter des Gärtnereibesitzers Böhme, ich sah die Lehrerin einer deutschen Volks-
schule, Fräulein Schutz. In dem Zimmer, in das ich geführt wurde, befanden sich etwa
20 bis 30 Personen, darunter auch der polnisch-evangelische Pastor Preiss aus Brom-
berg ... Unter den Festgenommenen waren alle sozialen Schichten vertreten: Hand-
werker, Pensionäre, Bauern und Kaufleute. Und immer weitere Verhaftete wurden
hereingebracht: sie kamen mit erhobenen Armen. Manche von ihnen waren blutig ge-
schlagen, einen jungen Bauern sah ich taumelnd mit einem merkwürdig punktierten
Gesicht hereinkommen: er hatte, wie man mir berichtete, einen Teil einer Schrot-
ladung ins Gesicht bekommen. Die Ankommenden berichteten flüsternd vom Gesche-
hen auf den Straßen. An vielen Stellen der Stadt hatten sie Tote liegen sehen und
Verletzte. Aus den Häusern, den Wohnungen, den Keltern hole man - so hörte ich
es - die Deutsehen heraus. In allen Stadtteilen treibe man sie an Sammelstellen zu-
sammen. Grausam gehe es in den Vororten zu. Da es in den Zimmern jetzt immer
enger wurde, ließ man die Festgenommenen auch auf den Korridoren antreten. Von
draußen hörte man immer wieder Schüsse fallen, hin und wieder auch Detonationen.
Der Festgenommenen bemächtigte sich eine :immer größere Niedergeschlagenheit. Nie-
mand wußte, was noch geschehen würde. Hin und wieder wurde jemand von uns
herausgerufen und weggefü'hrt, auch Pastor Preiss verschwand ,in Begleitung' aus mei-
nem Zimmer. Dafür wurde ein Schlosser ausder Dittmannschen Druckerei - Walter
Graf! (Gr. Barthelsee, Fordonersrraße 55) - hereingestoßen. Er muß auf dem Wege
ins Regierungsgebäude sehr geschlagen worden sein; der kräftige junge Mann hielt
sich kaum aufrecht, und erst nach geraumer Zeit konnte er leise sprechen. Er flüste~te
mir zu: .Sorgen Sie für meine Frau und meine Kinder, sie erschießen mich!" (BA.)
Wenn sich auch diese Prophezeiung des Schlossers Graf! nicht erfüllte, so waren seine
Befürchtungen angesichts der in den zurückliegenden Stunden durchlebten Schrecken
einer brutalen Hetzjagd durch die Straßen Brombergs begreiflich, der auch arn näch-
sten Tage noch zahlreiche Menschen zum Opfer fielen, nachdem die letzten Behör-
93) Louis d.e Jong: .Dle deutsche fünfte Kolonne ..••• S. 49.
den vertreter und militärischen Kommandostellen der Stadt bereits den Rücken ge-
kehrt hatten.
Die Bromberger Ereignisse sind auch in ausländischen Zeitungen, die unmittelbar nach
dem Einrnarsdi deutscher Truppen Korrespondenten nach Brombergentsandten, z. T.
eingehend geschildert worden. So charakterisierte ein ungarischer Journalist die Situa-
tion nach Gesprächen mit zahlreichen Bewohnern der Stadt und insbesondere mit
dem deutsch-katholischen Pfarrer Kaluschke sowie auf Grund eigener Beobachtungen
wie folgt: " ... Ich habe den ganzen gestrigen Tag (Donnerstag, den 7. September) in
Bromberg verbracht. Was ididort gesehen habe, und wie sich alles nach meinen Un-
tersudiungen abgespielt hat, das will ich nur kurz und nüditernerzählen, ohne dabei
ein Urteil fällen zu wollen ... Laut allen Aussagen begann die Hölle in Bromberg in
jener Stunde, als die polnischen Zivilbehörden die Stadt verlassen hatten ... Hunderte
von Deutschen, darunter Frauen, Greise und Kinder, wurden ... durch die Straßen
der Stadt gejagt. Sie wurden mit Gewehrkolben und Stöcken geprügelt ... und mas-
senweise hingemordet. Selbst der katholische Pfarrer Kaluschke wurde mit seinen
Ordensschwestern durch die Straßen gejagt und mißhandelt ... Man beschuldigte ihn,
daß auf dem Turm seiner Kirche ein deutsches Maschinengewehr aufgestellt gewesen
sei .•. Ich hatte Gelegenheit, noch Donnerstag in Häusern und auf den Straßen die
Leidien der Ermordeten zu sehen ... "9')
Der sdtwedische Journalist Christer Jäderlund schloß seinen Bericht über einen Besuch
am gleichen Tage in Bromberg wie folgt: "Man sieht in der ganzen Stadt kaum ein
lädteindes Antlitz. Als wir eintrafen, hatten wir bloß gerüchtweise gehört, was ge-
schehen ist. Heute schleidien die Menschen gleichsam auf den Straßen. Kleine Grup-
pen stehen flüsternd hier und dort. Verzweiflung, Gram ... lassen sich in den Augen
der meisten ablesen, denen man begegnet. "95)
JÄGERHOF - EICHDORF - JESUITERSEE
Parallel zu den Vorgängen in Bromberg erreichten auch in der Umgebung der Stadt
- und hier vor allem in Orten und Siedlungen mit stärkeren Deutschtumsgruppen -
die blutigen Ausschreitungen am Sonntag, dem 3. September, ihren Höhepunkt. Hier
konnte von "Diversion" schon deshalb nicht die Rede sein, weil diese Landgemeinden
für die militärischen Operationen bedeutungslos waren.
Zum Schauplatz einer der grausamsten Szenen entfesselter politischer Leidenschaft und
hemmungsloser Lynchjustiz wurde der Vorort Czyzkowko (Jägerhof). Während hier
bis zum Jahre 1918 90 v. H.der Einwohner Deutsche gewesen waren, hatte sich das
Bevölkerungsverhältnis in den Nachkriegsjahren ungefähr umgekehrt: auf etwa zwei- ~
tausendEinwohner entfielen jetztnur nodi erwa zweihundertDeutsdte; jeder dritte von
ihnen wurde ein Opfer des "Blutsonntags". Einzig und allein dem Umstande, daß
bereits am Tage des Kriegsbeginns zahlreiche deutsche Männer dieses Ortes verhaftet
worden waren und andere entweder bei der polnischen Armee ihrer Dienstpflicht
••) Hier zitiert nach BA. Ostdol<. 7/Nr. 3/Blatt 3.
ft) Chr. JAderlund In .Stockholms Tldnlngen" v. 8. 9. 1939.
nachkamen oder audi das Weite gesucht hatten, ist es zuzuschreiben, daß die männ-
liehe Bevölkerung von Jägel'hof nicht völlig ausgerottet wurde.
Der Bäckermeister Karl Wilm, der es ebenfalls nur seiner Verhaftung zu danken
hatte, daß ,ihm nicht Schlimmeres widerfuhr, berichtet in wenigen Sätzen: "... Als ich
in der Nacht vom 4. zum 5. September nach Hause kam, fand ich keinen lebenden
Menschen.Als die Geflüdtteten, darunter meine Kinder ... später zurückkamen, erfuhr
ich ... , was geschehen war: mein Schwiegersohn, Hans Bolowski, tot, meine beiden
Gesellen Bruno Schnick und Erich auch tot, unser lieber Pfarrer Kutzer tot. Und so
viele andere, die ich noch im Gedächtnis habe, alle erschlagen, ermordet. Ober sechzig
Menschenallein 3,US meinem Bezirk Jägerhof bei Bromberg." (BA.)
Aus einer weiteren, ausführlicheren Darstellung Wilms und aus übereinstimmenden,
eidesstattlich belegten anderen Zeugenaussagen über die Massenmorde in jägerlief
geht hervor, daß bereits am Sonnabend, dem 2. September, eine Vorausabteilung der
Wehrmacht Bromberg- Jägerhof erreicht hatte, dann aber - nach kurzem Sdrußwedi-
sel mit polnischen Verbänden - wieder in Richtung auf Nakel zurückgezogen wor-
den war.
Die psychologische Reaktion der polnischen Bevölkerung lag nahe: ohne Kenntnis der
strategischen Planung der Wehrmachts führung, die an einer Einnahme Brombergs zu
diesem Zeitpunkt gar nicht interessiert war, schien sich der idurdi Hoffnungen und
Wunschvorstellungen genährte Eindruck einer erfolgreichen Abwehraktion zu bestäti-
gen. Die Deutsdien seien "zurüds.geschlagen", hieß es. Auf der anderen Seite konnte
es bei denzurüds.flutenden polnischen Regimentern hinsichtlidrder wirklichen Lage
spätestens am Sonntagmorgen keine Zweifel mehr geben: von einer zusammenhängen-
den Front- oder Verteidigungslinie war im Raume Bromberg weder etwas zu sehen
noch zu spüren, die Nachrichrenverbindung 'zu den Divisionsstäben war abgeschnit-
ten, flüchtende Zivilistenkolonnen verstopftendie Landstraßen. Die Schuldigen an der
allgemeinen Verwirrung wurden gesucht - und gefunden.
Wie auchanderswo konzentrierte sich in Jägerhof die Suche nadi Verdächtigen und
nach Waffen auf das evangelische Pfarrhaus. Dies um so mehr, als Pastor Kutzer seit
dem Tage des Kriegsbeginns auch Flüdtclinge aus anderen Gemeinden in sein Haus
aufgenommen hatte, das gleichzeitig von Offizieren eines in Jägerhof in Stellung ge-
g~ngenen polnischen Truppenteils als Quartier bezogen worden war.
Im Laufe des Sonntagvormittag erschienen nach Abzug dieser Offiziere mehrmals un-
ter Anführung von Zivilisten Militärpatrouillen im Pfarrhaus, die aUe Wohnräume
und auch den Keller vergeblich nach Waffen durchsuchten. Nach der letzten, am frü-
hen Nachmittag durchgeführten Haussuchung wurden der 73jährige Vater des Pfar-
rers, Otto Kutzner, mit weiteren fünf Deutschen-darunter einem 14jährigen und einem
siebzehnjährigen Jungen (Nilbitz und Schollenberg) - abgeführt und wenig später an
einem unweit des Kirdiengeländes gelegenen Bahndamm zusammen mit zwölf weite-
ren Einwohnern von Jägerhoferschossen.
Frau Anna Koebke (früher Jägerhof, Okopowa 1), deren Ehemann bereits am Vor-
mittag auf dem Hof seines Hauses erschossen worden war und die daraufhin
89
mit ihrer Tochter Elli den Keller der Familie Sehröder aufgesucht hatte, berichtet
über das Schicksal dieser Gruppe: " ... Gegen 12 Uhr kam eine große Menge von
Soldaten und Zivilisten, sie schlugen gegen die Kellertür, warfen auch Handgranaten
und schossen in die Kellerfenster. Meine Tochter ist durch einen Schuß an der Hüfte
verwundet worden. Ich floh als erste aus dem Keller und lief in unseren Garten ...
Dann erschienen Soldaten, die mich abführten und in einen Wald brachten, wo sich
bereits etwa 20 Volksdeutsche befanden. Ich wurde dort gefesselt. Dann wurden wir
hin und her getrieben ... Sämtliche Männer wurden erschossen. Ich wurde ohnmäch-
tig, fiel zu Boden und wurde dann auf Befehl eines Offiziers freigelassen ... " (BA.)
Frau Elli Koebke, die 'ebenso wie ihre Mutter die Geschehnisse unter Eid zu Protokoll
gab, ergänzte diesen Bericht durch die Schilderung der Vorkommnisse auf dem Hof
des Gärtnereibesitzers Schröder. Sie sagte u. a. aus: "Als meine 'Mutter ... aus dem
Keller unseres Nachbarn geflüchtet war, stürzten auch wir aus dem Keller, in den
man neicht nur geschossen, sondern auch Handgranaten geworfen hatte, heraus. Ich
fiel, von dem Gas und der Verwundung an meiner Hüfte benommen, gleich auf dem
Hof nieder. Die anderen ... wurden - soweit es sich um Männer handelte - von den
Soldaten sofort auf dem Hof erschossen. Außerdem wurde ein polnisches Dienstmäd-
dien erschossen ... Ein polnischer Soldat erklärte, daß die Frauen geschont werden
sollten. Ich blieb dann vor Erschöpfung mit Frau Schröder (die ebenfalls verwundet
worden war) neben den Leichen einige Stunden liegen. Die Menschenmenge verzog
sich inzwischen." (BA.)
Der W[derspruch in der Darstellung von Mutter und Tochter, wonach die Männer
in weiterer Entfernung bzw, "sofort auf dem Hof" erschossen wurden, ist dadurch
zu erklären, daß es sich um zwei Gruppen handelte. Jede der beiden Frauen sah nur
die eine Gruppe.
Während die meisten Opfer der Massenerschießungen in Jägerhof noch am Tage ihrer
Ermordung aufgefunden und z. T. in großer Eile notdürftig beerdigt wurden, fand
man andere Leichen - unter ihnen auch Pfarrer Richard Kutzer - erst Tage später
auf.
Anders als in Jägerhof, wo bereits am 3. September insgesamt 63 Deutsdie ermordet
wurden, erfaßte die Aussdireitungs- und "Vergeltungs"-Aktion andere Orte in der
Umgebung von Bromberg erst am nächsten und übernächsten Tage. So war es auch in
Eichdorf und Netzheim noch am Montagvormittag verhältnismäßig ruhig. Erst die
aus Bromberg eintreffenden Schreckensmeldungen veranlaßten die dort verbliebenen
Männer, Ausschau nach Verstecken in umliegenden Wald- und Wiesengebieten zu hal-
ten. Um so härter aber wurden hier Frauen, Kinder, Greise und ganze Familien durch
Racheakte betroffen, die deshalb um so unverständlicher anmuten, als sie zumeist auf
das Konto von Truppeneinheiten gehen, die für die Grausamkeit ihres Vorgehens ge-
genüber Unschuldigen und Wehrlosen lediglich das Argument einer sich abzeichnenden
militärischen Niederlage anführen konnten.
Unweit der vom Bahnhof Hopfengarten. etrwa 15 Kilometer südlich Brombergs von
der Chaussee nach Inowrodaw (Hohensalza) abzweigenden Landstraße wurden am
90
Abend des 4. September und am nächsten Tage in den Gemeinden Eichdorf und
Netzheim 38 Menschen im Alter zwischen drei und 82 Jahren aus keinem anderen
Grunde kaltblütig ermordet, als weil sie Deutsche waren. Wahllos wurden hier
Frauen, Kinder und Greise abgeknallt, wo immer man sie als Deutsche identifizierte.
An einer Viehtränke im Walde von Targowisko wurden allein 15 Personen, darunter
acht Frauen und zwei Kleinkinder umgebracht und verscharrt. Aus einem wenig spä-
ter anhand von Obduktionen erstellten ärzrlidien Gutachten ging einwandfrei hervor,
daß dieTodesursachen durchweg auf den Gebrauch von Militärwaffen zurückzuführen
waren.06)
Der jesuitersee - etwa 20 km südlich von Bromberg - wurde zum Schauplatz einer
weiteren Massenhinridirung. Bis hierher waren am Montagvormittag. dem 4. Septem-
ber, zwei Gruppen von verhafteten Deutschen aus Bromberg und Umgebung getrie-
ben worden, nachdem man vorher auf halber Strecke die in der größeren Gruppe
mitgeführten Frauen und Kinder zurückgelassen hatte. über das weitere Geschehen
liegen Zeugenaussagen von Gustav Gruhl, Bromberg und Leo Reinhard, Zielonke
vor, die dank einem glücklichen Zufall als einzige dem Tode entgingen. Eine Bestäti-
gung dieser Aussagen ergaben in vollem Umfange die kriminalpclizeilichen Ermitt-
lungen, die Dr. Bernd Wehner zusammenstelltest) und die wir hier, soweit sie den
letzten Akt der Tragödie vom jesuitersee betreffen, gekürzt wiedergeben: "Die 41
Männer ... wurden, zum Teil gefesselt, etwa 12 bis 14 Meter vom Seerand mit dem
Gesicht zum See in einer Reihe aufgestellt. In wahl- und regelloser Art wurde dann
aus Gewehren und, wie die Obduktionsergebnisse und die in den Leichen geborgenen
Steckgeschosse beweisen, aus hochwertigen Faustfeuerwaffen .auf die Männer geschos-
sen. Die Schützen haben dabei, wie die Funde der Geschoßhüllen und anderer Gegen-
stände beweisen, in einem Halbkreis hinter den Opfern und von diesen .in Entfernun-
gen von z. T. weniger als fünf, z, T. mehr als 20 Metern gestanden. Nach Beginn dieser
planlosen Schießerei tauchte über dem Seegeländeein deutsches Flugzeug auf ... Diese
Gelegenheit konnten sechs noch nicht bzw. nicht schwer getroffene Deutsche benutzen,
um in Richtung zum See oder an diesem entlang zu fliehen. Dem Zeugen Reinhard,
der sich von der gelockerten Fesselung frei gemacht hatte, ist es gelungen, sich schwim-
mend und im Wasser watend in einen dichten Schilfstreifen am Seerand zu flüchten,
während der Zeuge Gruhl sich unter einem auf 40 bis 50 cm hohen PEähJlengebauten
Badehäuschen verstecken konnte. Zwei der Männer versuchten, mit Hilfe eines am
Ufer liegenden Kahnes, und ein weiterer schwimmend,das Seeufer zu erreichen. In-
zwischen ... hatte sich das deutsche Flugzeug wieder entfernt, so daß die polnischen
~ldaten ihre Schießerei fortsetzen konnten und zunächst die noch nicht weit vom
Ufer entfernten, zuletzt genannten drei Flüchtlinge abgeschossen haben ... Dann
wurden ... die noch nicht Getöteten in mehr oder weniger schwer verwundetem Zu-
stand über einen 60 Meter in den See gebauten Steg gesdileifl und von hier aus in das
") Nach den Akten des Reichskriminalpollzeiamtes/Sonderkommission Bromberg, Aktenzeichen Tgb.
V/1486/3. 39 In .Dokumente polniScher Grausamkeit" i. A. des Auswärtigen Amtes auf Grund urkundl,
Beweismaterials zusammengestellt, Berlin 1940, S. 1n ff.
97) Kriminalkommissar Dr. Wehner bestätigte 1960 in einem Gespräch mit M. Hepke, daß er "heute noch
hinter den nach den Grundsätzen kriminalpolizeilIcher Arbeit erbrachten Ergebnissen und Veröffent-
lichungen stehe" (vgl. "Bromberg" , Folge 15/1964, S. 11).
91
Wasser geworfen und - das erweist wiederum das Obduktionsergebnis - vom Steg
aus weiter beschossen. Diese Tatsache bekunden nicht nur die bei den mit dem Leben
davongekommenen Zeugen, von denen insbesondere Gruhl die Vorgänge von seinem
Versteck aus beobachten konnte, sondern auch die umfangreichen Blutschleifspuren auf
den Planken des Seestegesund die übrigen hier und im Wasser gefundenen hzw. an
den Seestrand gespülten Gegenstände in Verbindung mit den gel"ichtsärztilichen Unter-
suehungsbefunden." 98)
über die Zusammensetzung de~ größeren Versdrlepptengruppe, deren männliche An-
gehörige mit zwei Ausnahmen im jesuitersee den Tod fanden, lesen wir in Zeugen-
aussagen: " ... Nur sieben Männer waren im wehrfähigen Alter ... acht weitere
Personen waren Männer zwischen 50 und 82 Jahren, darunter mehrere mit schweren,
krankhaften Altersveränderungen ... Der Rest der Gruppe bestand aus zwölf Frauen
von 16 bis 80 Jahren, sieben Kindern von 3 bis 13 Jahren und zwei Jünglingen von
17 und 18 Jahren."99)
Diesen Massenmorden in Jägerhof, Eichdorf und Netzheim sowie am jesuirersee
gesellt sich eine Vielzahl von Erschießungen in der engeren und weiteren Umgebung
von Bromberg hinzu. Einzeln und in Gruppen, hier und da auch mit Schnüren und
Riemen aneinandergebunden fand man diese Menschen oft erst nadi Wochen und Mo-
naten an einem Ackerrain, in einer Schonung oder irgendwo versdiarrtam Straßen-
rand, Opfer einer Menschenjagd ohnegleichen, deren Urheber kaum bedachten, daß
sie eines Tages selbst und mit ihnen wiederum Tausende von Unschuldigen ihres
eigenen Volkes für diese Vorgänge zur Rechenschaft gezogen werden würden.
BEIDERSEITS DER RÜCKZUGSSTRASSEN AN DER WEICHSEL
Nicht anders als im Bromberger Raum kennzeichnete auch in fast allen größeren
Gemeinden Posen-Pommerellens, in denen Deutsche lebten, eine blutige Spur die
Rückzugsstraßen der polnischen Truppenverbände. Schon Wochen und Monate vor
Kriegsbeginn war ja hier die Parole ausgegeben worden, daß "die Deutschen allesamt
Spione und Vaterlandsverräter" seien, daß sie "Hitler gerufen" hätten und daß es an
der Zeit sei, mit ihnen "aufzuräumen". Das Signal zu diesem Aufräumen war mit
dem 1. September gegeben worden; und wenn es eines letzten Anstoßes bedurft hatte,
die "Straf- und Vergeltungs aktion" in die eigene Hand zu nehmen, dann sahen
fanatisierte Elemente der Bevölkerung ihre Stunde ails gekommen.
Daß weite Kreise der polnisdien Bevölkerung ebenso wie der polnischen Armee mit
dieser aufbrandenden Haß- und Vergeltungswelle nichts zu tun hatten, daß sie ebenso
ohnmächtig wie hilflos den Vorgängen am Rande des Krieges gegenüberstanden wie
ihre deutschen Nachbarn, mit denen sie zumeist Friedlich im polnischen Staat zwei
Jahrzehnte und schon vorher zusammengelebt hatten, ist ebenso eineTatsache, wie wir
uns an anderer Stelle noch mit den vielfältigen Beweisen mutigen Eintretens für un-
schuldige Menschen deutschen Volkstums zu befassen haben werden, Wie überall und
") Vgl. ••Dokumente •.. ", S. 175.
") M. Hepke: .Der Fall Jesuitersee" in .Bromberg", 15. Folgel1964, Seite 11.
92
zu allen Zeiten aber triumphierte auch hier und in diesen Tagen angesichts der ent-
Fesselten Kriegsmaschinerie die Vemichmngshysterieeiner Minderheit, die gleichsam
über Nacht alle Maßstäbe menschlicher Handlungsweise verloren hatte.
Unweit Thorn liegt an der Weichsel das kleine Städtchen Sdrulitz, Hier erlebte der
damalige Studienrat des Thorner deutsdien Gymnasiums und Schriftleiter-der "Deut-
schen Schulzeitung in POilen", Dr. Philipp Rudel], mit seiner Frau und seinen beiden
Kindern den Kriegsbeginn und die darauffolgenden Tage im Hause seiner Schwieger-
eltern. Dr.Rudolf hat bereits 1940 zusammen mit Pastor Leesch zahlreiche Frauen und
Männer über ihre Erlebnisse im September 1939 befragt und in der Zeitschrift
"Weichselland / Mitteilungen des Westpreußischen Geschichtsvereins" eine erste zu-
sammenfassende Darstellung der Vorgänge in und um Schulitz ~egeben.100) Diese
Aufzeichnungen wurden von Dr. Rudolf nach Kriegsende in einem Dokumentarbe-
richt für das Bundesarchiv ergänzt. Wir entnehmen diesen anschaulichen Darstel-
Jungen die nachfolgenden Auszüge.
"Den ganzen Sonntagnachmittag zog polnisches Militär von Thorn nach Bromberg,
aber auch in umgekehrter Richtung. Von Zeit zu Zeit erschienen deutsche Flugzeuge
über der Stadt und warfen ihre Bomben ... (Dr. Rudolf hatte schon am Vortage
mit seiner Familie und zusammen mit siebzehn anderen Deutschen im Keller seines
polnischen Nachbarn Adamski Zuflucht gesucht. Hier hielt ihn der deutsche Chauffeur
Dudek, der den Auftrag hatte, die in SchUJIitzverhafteten und zur Internierung be-
stimmten Deutsdien mit Dr. Rudolfs Kraftwagen zur Sammelstelle nach Bromberg zu
bringen, über die Vorgänge auf dem laufenden.) Unter dem Vorwande, daß sie auf pol-
nische Soldaten geschossen hätten, hatte man eine Anzahl von Männern ... im Stadtpark
zusammengetrieben und sie nach schweren Mißhandlungen dortsich mit ausgestreck-
ten Armen und dem Gesicht nach unten auf die Erde legen lassen. (Hier wurde als
einer der ersten Sdrulitzer Bürger Fritz Büttner erschossen.) ... In der Nacht von
Sonntag zu Montag schliefen wir nur wenig. Vom Park her hörten wir Geschrei ... ,
von Zeit zu Zeit rüttelten vorüberziehende Soldaten an unserer verschlossenen eiser-
nen Gartentür. Am Montagvormittag wurden unsere Befürchtungen, doch. in dem
Keller entdeckt zu werden, Wahrheit. Wahrsmeinlich haben uns Polen, die auch in
dem Adamskischen Keller ein Unterkommen finden wollten und wegen Platzmangels
abgewiesen worden waren, an das Militär verraten. Gegen 11 Uhr gab es plötzlich
ein wüstes Lärmen im Hause und auf den Gängen des Kellers; wir hörten die auf-
geregte Stimme des polnischen Nachbarn, Die Kellertür wurde 'aufgerissen, und herein
stürmten zwei Soldated unter Führung eines Sergeanten mit dem Ruf ,Hände hoch!'
Während die Soldaten '" gegen uns das Bajonett fällten, herrschte der Sergeant
uns an, warum wir Männer nicht beiden Soldaten wären ... Adamski und dessen
Vater redeten unentwegt auf die Soldaten 'zu unseren Gunsren ein. Nur diesem
Umstand ist es zuzuschreiben, daß sich die Wut des Sergeanten etwas legte und er
überhaupt mit sich reden ließ. Er verlangte von meinem Schwiegervater die Beschei-
nigung über die gezeichnete Kriegsanleihe. Die recht hohe Summe, die meinem
"0) Vgl .• Weichselland .•. ", Heft 2/3, 1941, S. 54ff.
93

Schwiegervater auferlegt worden war, schien ihn ein wenig zu beruhigen ... Wir
waren für dieses Mal gerettet."
Auch die nächste Nacht und den Dienstag hielten sich die Rudolfs im Keller ihres
Nachharn versteckt. Als dieser sich jedoch auf das Gerücht hin, daß sich in der Nähe
von Schulitz eine große Schlacht anbahnte, mit seiner Familie zur Fludit entschloß,
kehrten Rudolfs in ihr Haus zurück. "Wir verbrachten die Nacht von ?iens:ag ~um
Mittwoch in Kleidern auf dem Fußboden ... Wir hatten das Notwendigste in einen
Kinderwagen und in Rucksäcke verpackt. Wohin wollten wir mit unserem neun
Monate alten Kind auch flüchten? Meine Angehörigen, die kein Polnisch verstehen,
durften sich draußen nicht blicken lassen. Dudek und ich ... standen den Soldaten,
die durch unseren Garten und über unseren Hof kamen, Rede und Antwort. Einen
Offizier, der von polnischen Nachbarn nach dem Schicksal der bei Bromberg kämp-
fenden Truppe befragt wurde, hörte im sagen: ,Unsere kämpfen wie die Löw~n, a~er
gegen die deutsche Organisation und die Maschinen ist nichts zu mach~n.' :"1r ~~1'1e-
nen die letzten Deutschen in der Stadt zu sein, alle anderen waren rn die Walder
geflüchtet ... ".101) . ..
über das Ergehen der Geflüdueten und der in den Dörfern um Schulitz zurückge-
bliebenen Menschen berichtet Dr. Rudolf: "Die Bauern und Kätner hatten schon
wochenlang vor Ausbruch des Krieges sehr viel Einquartierung. Auf manchen .H~fe~
lagen 60 bis 100 Mann. Zeigten sich die polnischen Soldaten anfangs noch diszipli-
niert, so brach (nach Kriegsbeginn) der Haß durch ... So erzählt Frau Bum~e~Lan-
genau, daß ihr Sohn, der später ermordet wurde, immer wieder von ukrainischen
Soldaten gewarnt worden sei: es würde bei Ausbruch des Krieges für alle Deutschen
f.urchtbar werden ... Die Deutschen täten gut daran, noch vorher zu fliehen. Zahl-
reiche derartige Aussagen liegen vor. Nach Ausbruch des Krieges mußten ~ann viele
Bauern mit ihren Gespannen Militär auf benachbarte Bahnhöfe Fahren, sie wurden
bereits bei dieser Gelegenheit mißhandelt. Einige kehrten nicht mehr nach Hause zu-
rück ... "
Noch immer aber konnten sich die meisten deutschen Bauernfamilien nicht zum Ver-
lassen ihrer Anwesenentsch1ießen, obwohl jetzt "Massen polnischer Flüchtlinge wie
Heusdirecken über ihre Wirtschaften herfielen" und obwohl bald Haussuchungen,
Drohungen und Mißhandlungen überhand nahmen. Erst nach Bekanntwerden der
ersten Erschießungen und vor allernder Vorgänge in Bromberg setzte eine Massen-
flucht der Männer in die nahen Wälder ein.
über ihre Erlebnisse berichten 'zwei Bäuerinnen aus Feyerland bei Schul.itz: "Mein
Mann , meine Söhne und ich wurden nachts um 11 Uhr von vier Banditen überfallen
.
und mit Steinen geschllagen. Wir sind halbnackt in den Wald geflüchtet, wo WIr uns
zwischen Hügeln in dichtem "Gestrüpp versteckten. Mein Mann ging Sonntagnacht
noch einmal zurück, um nach dem Vieh zu sehen und uns einige Lebensmittel und
Kleidung zu holen, weil wir nur notdürftig angezogen waren. Er ist aber nicht mehr
101) Auch in anderen Teilen des Landes flüchteten viele deutsche BauernfamIlien in die \A(älder (v~1.~ie
Berichte von J. Zander in "Glaube und Heimat", Jahrgang 21, Posen 1940, und J. Horst In den" ur &-
schriften", Nr. 20, Beriin 1939).
94
zurückgekommen." (Frau Johanna Dombrowski.)102) - "Drei Männer sollten an der
Kreuzstraße erschossen werden. Als sie aber an 'eine dichte Schonung kamen, sind sie
dort hineingelaufen; die anderen Männer sind glücklich nadi Hause gekommen, aber
meinen Mann haben sie wieder Igegriffen und ermordet. Daraufhin liefen wir
in eine andere Schonung, wo wir von Montag bis Donnerstag lagen. Wir aßen nur
Preiße1beeren, ich holte ein paarmal mit meiner Handtasche aus einer Rehtränke Was-
ser, denn der Durst ist schrecklicher als der Hunger ... " (Frau Margarete Sieg.)
Nicht weniger als achtzig Feyerländer und weiteredreißig Einwohner aus Großwalde
haben sich auf diese Art verbergen und in Erdlöchern und Gebüschen den Einmarsch
deutscher Truppenabwarten können. Schlimmer erging es den Bewohnern von Lan-
genau, deren Häuser in Brand gesteckt und von denen 23 erstochen,erschlagen und
- zum Teil nach schwersten Mißhandlungen - erschossen wurden.
über den Tod einer Cruppe von zwölf Deutschen aus Schulitz sagten Klara Krie-
wald, Ferdinand Reumann und Kurt Schulz unter Eid aus, daß am 4. September in
einer Reihe von deutschen Wohnungen Haussuchungen durchgeführt worden seien.
Und zwar hatte der Förster Naskret angegeben, daß die Soldaten in diesen Wohnun-
gen Waffen finden würden. Obwohl die Durchsuchungen kein Ergebnis erbrachten,
führte man die in ihren Wohnungen angetroffenen Deutschen ab: in einem Waldstück
wurden zwölf von ihnen zwei Tage später - nur notdürftig verscharrt - als Leichen
aufgefunden. (BA.)
Die Gesamtzahl der in und um Sdiulitz in der ersten Septemberwoche 1939 verzeich-
neten Opfer aus Kreisen der deutschen Zivilbevölkerung betrug 145; in dieser Zahl
sind die an den Verschleppungsstraßen sowie infolge der erlittenen Entbehrungen und
Verwundungen später noch Verstorbenen nicht enthalten.
DIE DEZIMIERTEN KLEINEREN GEMEINDEN
Ein noch leidvclleres Schidual als das Deutschtum der Städte und der größeren Land-
gemeinden erlebte vielfadrdie bäuerliche Bevölkerung Posen-Pommerellens und des
Weichsellandes. Innerhalb von wenigen Tagen wurden manche Dörfer um die Hälfte
ihrer Bevölkerung, hier und da noch stärker dezimiert. In einer ganz1en Reihe von
deutschen Gemeinden bestand bei Kriegsende die männliche Bevölkerung nur noch
aus Greisen und Kindern.ws)
Besonders hart betroffen wurde der Kreis Inowroclaw (Hohensalza). über das Dorf
Ostburg berichtet Pfarrer Schammert: "Hier gingen die Mörder von Gehöft zu Ge-
höft, trieben die Männer zusammen ... und schossen sie dann außerhalb des Dorfes
nieder; 26 Tote und drei Verwundete werden hier beklagt." (BA.) Im Dorfe Wiesenau
blieben von 96 Einwohnern nur 62 arn Leben; zu den Opfern gehörten hier auch
fünf Kinder im Alter von einem halben Jahr bis zu 13 Jahren (Bericht des Lehrers
Robert Heitz.) Die Kirchengemeinde Radewitz meldete 41 Ermordete und drei Ver-
102) Hier zitiert nach Ph. Rudolf: "Deutsches Schicksal In Schulltz und den umliegenden Dörfern" (in
.Weichselland ..• ", 1941, S. 62).
103) Vgl. auch Richard Kammei: Kriegsschicksale der deutschen evangelischen Gemeinden in Posen und
WestpreuBen", Verlag des Evangelischen Bundes, Berlin 1940, Seite 46 ff.
95
mißte, die Nachbargemeinde Luisenfelde 17 Tote und ebenfalls drei Vermiß~e. (BA.)
Nur zwei Männer _ der Lehrer Willi Veltzke und der Landwirt Bruno Hanse - ent-
gingen einer Mass-enhinrichtung auf dem Gutshof Michalowo bei Konary (Ostwehr),
wo 21 Menschen von einem Exekutionskommando am 8. September zusammengetrie-
ben worden waren. Hanse berichtet: "Wi1: mußten uns ... vor einem Speicher des
Gutes ... mit dem Gesicht zur Wand aufstellen und ausrichten. Rechts von mir stand
der älteste Jordan, links von mir mein Bruder, links von ihm Alfred Jordan ... Als
ich den Leutnant befehlen hörte, alle zu erschießen, versuchte ich festzustellen, von
wo geschossen werden sollte. Da bemerkte ich, daß rechts ... ein Soldat den Kara-
biner angelegt hatte und die Reihe entlang in Kopfhöhe zielte. Als alter Soldat dachte
ich mir sofort, daß er mit einem Schuß mehrere erledigen wollte und senkte den
Kopf nach vorne. In diesem Augenblick krachte auch der erste Schuß, und sowohl
Alfred Jordan wie mein Bruder sanken lautlos um. Ich warf mich gleichfalls zu Bo-
den. Noch mindestens viermal hörte ich die Reihe entlangschießen. Die Getroffenen
stöhnten und röchelten, einige riefen auch: Weiterschießen! Ich überlegte kurz, wenn :~-;i
die Reihe an mich käme, ich erschossen oder lebendig begr·aben werden würde. Daher ~:;;;i,;
sprang ich auf, lief an den seitwärts stehenden Soldaten vorbei, um die Gutsgebäude -;:;~A c
herum. Die örtlichen V'erhältnissekannte ich. Als ich etwa 20 Meter gelaufen war, ~~~~
= !:= g•••
krachte es hinter mir ... Infolge der herrschenden Dunkelheit wurde ich jedoch nicht ..::
llI: :(1) i
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iö

-
S::~:::i:i'
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....
l!:=Q g

-
getroffen ... " (BA.) .....• '§-;;H~
" •.. ••
0

Bruno Hanse kehrte dann drei Tage später zum Gut Michalowo zurück. Er fand die "':: ~ ': ;
g:;~ s:: ••• .o~
Leichen der Ermo,rdeten in einer Grube liegend, nur oberflächlich mit Erde beworfen; ... ;;. ~:äi ~
...""
der älteste der Ermordeten, der Landwirt Veltzke, war 74 Jahre, der jüngste - ein
:j ~ •.• ••
-Q.t:~..
QOSf'~~ fit

Sohn der besonders hart durch vier Tote betroffenen Familie Schott - 13 Jahre alt. ;. ak .CI

•
(HA.) I i::~~
......=e:I -••
.:••• fit

Auch in anderen Landkreisen kam es zu Massenerschießungen, so z. B. in Neu-Teck-

lenburg und Sockelstein (Kreis Wreschen) 'sowie weiter ostwärts, schon im einstigen
.~~~~ .!.= <:11

~:;~~';
Kongreßpolen, in Dembina bei Przooecz, unweit Nieszawa, und in Wierzbie bei "ä;;-e
(;?os~
e oll

Sompolno, wo arllein 41 aus dem Kre~se Wreschen verschleppte Deutsche den Tod ;;)};! I;:
'"
fanden. Der Gymnasiaillehrer Karl Grams (früher Sompolno) berichtet: "Bei Aus-
bruch des Krieges wohnte ich ,in Sompolno, wo drei Deutsche ... ermordet wur-
den ... Weit mehr Tote verzeichneten die deutschen Kolonien an der Straße von
Sompolno nach Kolo. Auch in anderen deutschen Dörfern des Kirchspiels Sompolno
hat man deutsche Männer erschossen oder verschleppt ... Der furchlJbarste Mord
ereignete sich vier Kilometer hinter Sompolno auf dem Felde des Gutes Wierzbie, etwa
300 Meter abseits des Weges: ihm fielen die Deutschen aus Wreschen, die man von den
Felldern in ihrer Allbeitskleidung weggeholt hatte, zum Opfer. Man trieb diese Män-
nerin Richtung Kutno. Im Turnsaal unserer Schule in Sompolno haben sie die Nacht
zugebracht ... Sie wußten damals alle nicht, daß es die letzte Nacht ihres Lebens sein
sollte ... Nach den Verletzungen und Wunden an den Körpern dieser Opfer zu urtei-
len, sind sie mit Spaten, Hacken und Rungen erschlag·en worden." (BA.)
Der Landwirt Gustav Büschke - vor dem Kriege .der einzige deutsche Bauer im Dorfe

96
Übergabe von Graudenz
Vertreter polnischer Behörden übergeben die Stadt Graudenz der deutschen Wehrmacht.

In der Zitadelle von Brest-Litowsk

Volksdeutsche Gefangene aus dem Bromberger und P osener R aum nac h 1ih rer Be f reiung am
20, September 1939,

Deutscher Bauer aus Ostpolen auf der Rast an der Brahe

Der Krieg hat begonnen
Bereits zwei Monate nach Kriegsende traten die Umsiedlungs- Vereinbarungen in Kraft.
Flüchtlinge und Trümmer an den Rückzugstraßen polnischer Truppen.
 Skulsk, Kreis Konin, dessen Wirtschaft in den ersten Septembertagen völlig demoliert
worden ist und der sich bis zum Einmarsch der deutsdien Truppen in Wäldern ver-
steckte - war an der Ausgrabung der Leichen beim Gutshof Wierzbie beteiligt. (BA.)
Andere Gruppen aus ihren Heimatgemeinden verschleppter Bauern wurden auf einer
Wiese in Inowroclaw gefunden. Der Gärtner [ose] Pirschel und der Lehrling Felix
Stefanski bestätigen übereinstimmend, daß es sich um »große und starke Leute" -.
nach ihrer Meinung also um Bauern - gehandelt habe. (BA.) Das gleiche gilt für
29 verstümmelte Leichen aus dem alten deutschen Kolonistendorf Slonsk an der
Weichsel bei Thorn, die von den Soldaten eines Thorner Infanterie-Regiments er-
schossen wurden. Der Bauer Artur Daase (fr. Slonsk) erklärte: »Im und ein Lands-
mann, der von der Verschleppung glücklich zurückgekommen ist, sind die einzigen
deutschen Landwirte, die im Nordteil von Slonsk übriggeblieben sind." (BA.)
Ein - trotz aller Kürze dieser eidesstattlichen Aussage - erschütterndes Beispiel für
die Vorkommnisse in Slonsk bietet die Mitteilung des Arbeiters David Poscbadel, der
als einer von wenigen Männern seiner Heimatgemeinde mit dem Lehen davonkam:
»Am Donnerstag, dem 7. September 1939, ging im nach Ciechocinek, während mein
Sohn die Kuh aufs Feld brachte. Als im aus der Stadt zurückkam, begegnete ich
meinem Sohn, der von einem Soldaten geführt wurde. Mein Sohn war 36 Jahre alt.
Im getraute mim nicht, ihnanzusprechen. Mein Sohn sagte auch nichts, er guckte mich
nur an und weinte. Im fand ihn verscharrt am Sonntag, dem 12. September, vor. Er
lag in einem Graben auf dem Lande meines Nachbarn Gläsmann. Der Kopf war
völlig zerschllagen, außerdem wies er viele Bajonettstime auf ... " (BA.)
Der einer deutschen Aufklärungsabteilung als Dolmetscher zugeteilte ehemalige Guts-
besitzer Ernst Coelle berichtet: »Am 4. September 1939 fuhr im mit einem zwanzig
Mann starken Radfahr-Spähtrupp - nach dem schweren Gefecht bei Melno, ostwärts
an Briesen vorbei, in südlicher Richtung auf Modlin zu. In der Nähe des Gutes
Bahrendorf (Niedzwiedz), Kreis Briesen, überquerte im eine Brücke und fragte einige
Frauen, die zur linken Hand am Grabenrand saßen, nach dem Wege. Doch im erhielt
keine Antwort. Vielmehr starrten mim die regungslos dasitzenden Frauen wie gei-
stesabwesend an. In die~em Augenblick sprach mim ein Mann von der gegenüber-
liegenden Wegseite mit den Worten an: ,Was sagen Sie zu diesem furchtbaren Un-
glück?' Ich wandte mich um, vor mir stand ein Mann in zerrissener Kleidung, die
mit Blut und Erde beschmutzt war. Jetzt erst erkannte im in ihm den Bauern Her-
mann Herderaus Lindenau. Mit einer verzweifelten Geste zeigte er nach dem tiefen
Graben hin. Meine Bücke folgten mechanisch seiner Handbewegung, und nun bot sich
meinen Augen ein grauenhafter Anblick: ein wirres Durcheinander von Menschen-
leibern, einige mit den Beinen nach oben, die Körper aufgerissen, die Schädel gespal-
ten - alles mit Blut besudelt. Mit Entsetzen schaute im auf dieses Bild des Grauens.
In den vier Jahren des Ersten Weltkrieges hatte im an allen Fronten etwas gleiches
nicht gesehen. ,Meine beiden Söhne sind auch darunter' stöhnte neben mir der alte
Bauer.
Spätherbst 1939 Inzwischen war der Spähtrupp herangekommen, und wir alle hörten nun, was hier
Deutsche und polnische Soldatengräber in Krakau.
97
geschehen war: Die Einwohner des Dorfes Lindenau waren - ebenso wie die Nach-
bargemeinden - von polnischem Militär zwangsweise evakuiert worden. Bis hierher
war alles gut gegangen; doch an dieser Stelle wurde der Treck von einer etwa
30 Mann starken Abteilung überholt, die von einem Offizier befehlige wurde. Je-
mand muß gehört haben, daß von den Flüchtenden deutsch gesprochen wurde, denn
mit den Rufen ,Hier sind Deutsche', griffen die Soldaten wahllos die Männer heraus,
derer sie habhaft werden konnten. Drei von ihnen, darunter den mir gut bekannten
Oberinspektor Reißler vom Gute Lindenau, erschossen sie bereits heim Albführen und
sieben andere stellten sie an diesem Graben auf. Die Soldaten gaben eine Salve ab,
worauf sie sich eilig entfernten, Herder hatte sich hinten übergeworfen und war so
dem Tode entronnen. Mühsam hatte er sich dann aus den über ihm liegenden, blu-
tenden Körpern hera usgearbei tet." (BA.)
Dem deutschen Gutsbesitzer mußte dieses Erlebnis um so unbegreiflichererscheinen,
als er selbst erst am Vortage aus dem Melnoer See einen ertrinkenden polnischen
Oberleutnant gerettet hatte. Coelle sagt dazu: "Eine Selbstverständlichkeit! Es kenn-
zeichnet allerdings die Stimmung und das Mißtrauen auf polnischer Seite, daß dieser
Mann, als ich ihn bereits aus Sumpf und Moor herausgezogen hatte, nodi glaubte,
ich würde ihm etwas antun. Ich beruhigte ihn, aber er glaubte mir erst, als ich ihm
beteuerte, daß ich gar keine Waffe bei mir trüge."
Bald darauf fand Ernst Coelle einen toten polnischen Soldaten an der Straße. Er
hatte einen Genickschuß .aus nächster Nähe erhalten. Coelleerlkannte ihn als den Sohn
des deutschen Kutschers Manthei vom Gute Bogdanken. er nimmt an, daß Kame-
raden seines eigenen Truppenteils ihn erschossen haben. Doch diese Erlebnisse sollten
am gleichen Tage noch in trauriger Weise überboten werden. Coelle erzählt:
"Kurz ehe wir die Drewenzerreichten, den Grenzfluß, der W·estpreußen von Kon-
greßpolen bzw. bis 1918 Deutschland von Rußland trennte, fuhren wir in eines der
letzten noch im Westpreußischen gelegenen Dörfer ein, dessen Name mir leider ent-
fallen ist. Da kam uns eine Schar weinender Kinder entgegen. Sie zeigten unentwegt
auf einen großen Teich, der 'Zu rechter Hand der Straße lag, und riefen: ,Da schwim-
men unsere toten Eltern!' Ich entdeckte wohl miedem Fernglas einige Körper im
Wasser, doch erst beim Näherkommen 'erfuhr ich von einem größeren Jungen, was
sich hier ereignet hatte. Er zeigte auf ein Sprungbrett, das sich auf der gegenüber-
liegenden Seite des Teiches befand. über dieses Sprungbrett hatte man achtzehn un-
glückliche Menschen gejagt, während die Soldaten auf die ins Wasser Springenden
schossen. Die Verwundeten und Ertrinkenden nahm man so lange noch unter Beschuß,
bis niemand von ihnen mehr ein Lebenszeichen von sich gab. Der Junge hatte diese
Schreckensszene aus einem Versteck beobachtet. - Auf kongreßpolnischer Seite fuhren
wir in den nächsten zwei Tagen das Weichseltal entlang und kamen immer wieder
durch deutsche Mennonitensiedlungen. In jedem dieser Dörfer dasselbe Bild: Wei-
nende Frauen berichteten, da~ ihre Männer von durchziehenden Soldaten mitge-
schleppt worden waren. Wie ich später hörte, sind nur sehr wenige von ihnen
zurückgekehrt. "
98
Zu den Verschleppten und Ermordeten des Kreises Schubin, der insgesamt 154 Tote
zu beklagen hatte, gehörte auch Landrat a. D. Eugen Naumann-Suchorencz, der lang-
jährige Vorsitzende der deutschen Fraktion im polnischen Sejm. Er hatte sich stets für
die strikte Staatsloyalität der Deutschen eingesetzt, ohne daß deren Bekenntnis zu
ihrem Volkstum allerdings in Mitleidenschaft gezogen werden sollte. (BA.)
Ln vielen deutschen Dörfern Polens und an Straßen, die vom Kriege ursprünglich
überhaupt nicht berührt worden waren, boten sich den zurückkehrenden Ver-
schleppten erschreckende Bilder: zwischen den Ruinen niedergebrannter Gehöfte,
zwischen den Resten zerstörter Möbel hausten in behelfsmäßig errichteten Schuppen
und Erdhütten Frauen und Kinder, deren eingefallene Gesichter durch Angst und
namenlose Trauer gekennzeichnet waren. Vor allem in denjenigen Gemeinden, in
denen sidi die Männer ihrer Verhaftung und Verschleppung durch Flucht entzogen
oder bereits vorher den Mobilmachungsbefehlen Folge geleistet hatten, nutzten durch-
ziehende Soldatentrupps und Plünderbanden die Gelegenheit zu regelrechten Raub-
zügen idurch die Häuser der Deutschen, die dann anschließend in Brand gesteckt
wurden. Die Bewohner mußten froh sein, wenn man sie am Leben ließ: nicht wenige
Frauen, Kinder und Greise sind bei den Versuchen, Brände zu löschen, erschossen
worden oder auf andere Weise zu Tode gekommen.
Hier sei als Beispiel für viele nur das Schicksal der Kirchengemeinde Schocken im
Kreise Wongrowitz angeführt. Von den neun Ortschafren dieser Gemeinde wurden
zwei nahezu völlig eingeäschert (Steinrollen und Porzanowo), fünf weitere wurden
durch Raub und Plünderungen in Mitleidenschaft gezogen, wobei audi hier zahlreiche
Scheunen und vereinzelte Häuser ein Raub der Flammen wurden, ohne daß in diesen
Orten Kampfhandlungen stattgefunden hätten. Auch in Schocken selbst wurden
deutsche Wohnungen und Geschäfte ausgeplündert und die Mühle der deutschen
Landwirtschafblichen Genossenschaft mit sämtlichen Nebengebäuden eingeäschert. (BA.)
Daß diese Raub- und Brandstiftungswelle schon bald von den Westprovinzen des
Landes nach Mittel- und Ostpolen überschlug und daß sie insbesondere nach dem
Einmarsch der Sowjettruppen in Gailizien und Wolhynien die polnische Landbevöl-
kerung - angesichts der von Moskau "zur Verteidigung ihrer Rechte" aufgerufenen
ukrainischen und weißruthenischen Nachbarn - nicht weniger hart traf, steht auf
einem besonderen Blatt.
In nicht wenigen Fällen gerieten hier nach dem 17. September deutsche Zivilinter-
nierte, aber auch Deutsdie in polnischen Truppeneinheiten in eine ganz neue Front-
und Kampflinie, nicht selten übernahmen sie bei den mit aller Härte und Leiden-
sdiafblichkeir in Ostpolen aufflammenden nationalen "Abrechnungen" eine Mittler-
Rolle. Daß sie dieser Rolle besser und mit mehr Erfolg gerecht werden konnten, als
vor Kriegsbeginn in ihren Heimargebieten, gehört zu den tragischen Randerscheinun-
gen der großen Auseinandersetzung ihrer Staaten und Völker; einer Auseinander-
setzung, in der sie als Deutsche in Polen allerdings längst zu bloßen Statisten verur-
teilt waren,
99

Auf Polens Fahnen vereidigt
Ungezählte Deutsche verschiedener sozialer Schichten und ß,erufsgruppen waren im
August und September 1939 zu polnischen Truppenverbänden einberufen worden.
Zu ihnen gehörte auch ein Volksschullehrer aus einer deutschen Weichselkolo.nie, der
nach dem Kriege seinen Lebenslauf in die Form einer tragikomischen Glosse kleidete.
Wir lesen darin u. a.:
"Ich bin am 18. Januar 1893 in Weichsel dorf als ältester Sohn der Eheleute Ernst
Gustav Heiter (es handelt sich hier um ein Pseudonym) und dessen Ehefrau Emilie
Müller geboren. Nach dem Absolvieren des Lodzer deutschen Lehrerseminars trat ich
in den Volksschul dienst. Von 1912 bis 1914 war ich - ohne meinen Wohnsitz zu
wechseln - Lehrer im zaristischen Rußland, von 1914 bis 1918 im kaiserlichen
Deutschland, von 1918 bis 1939 im republikanisdien Polen ... Von 1900 bis 1914
habe ich ,Bosche, zarja chrani' als meine Nationalhymnegesungen, von 1914 bis 1918
,Heil dir im Siegerkranz', von 1918 bis 1939 ,Jeszcze Polska nie zginela', von 1939
bis 1945 .Deursdiland, Deutschland über alles' ... In den königlichen Privilegien,
die meinen Vorfahren in Weichsel dorf seit 1605 erteilt worden waren, titulierten die
gekrönten Häupter POllens ... uns als .ehrbare, fleißige Holländer', bei den Russen
galten wir immer als ,Preußen', von den Preußen wurden wir 1914 bis 1918 Deutsch-
russen genannt ... 1918 bis 1939 waren wir Deutsche ohne Bindestrich, als Schimpf-
wort hatte man aber bald ,Schwaby' für uns geprägt, d. h. Schwahen."104)
Dieses auf einen ebenso kurzen wie grotesken Nenner gebrachte Stück Zeitgeschichte
charakterisiert das Schicksal einer ganzen Generation von Nachfahren deutscher
Auswanderer, die im 17. und 18. Jahrhundert an der Weichsel und ostwärts bis hin
zur Wolga ansässig geworden waren. Während jedoch die Deutschen in Mittel- und
Ostpolen drei- bis viermal eine neue Nationalhymne hatten erlernen müssen und
während die um die Jahrhundertwende geborenen männlichen Angehörigen dieser
Deutscheumsgruppen, soweit sie zum Waffendienst eingezogen wurden, drei- bis
viermal den Eid auf eine neue Fahne harten schwören müssen, war den Bewohnern
des ehemals preußischen Teilgebietes die Ableistung eines Fahneneides in drei Spra-
chen erspart geblieben. Indessen kam den meisten der nach 1918 zum Wehrdienst oder
zu Reserveübungen unter polnischen Fahnen einberufenen Deutschen die Vereidigung
auf die neugeschaffene polnische Republik hart genug an.
Obwohl seit dem frühen Mittelalter deutsche Soldaten und Offiziere als Lehensleute
slawischer Fürsten gedient und so. manche Schlacht gegen ihren eigenen Kaiser und
gegen die Ordensritter mitgekämpft hatten,lOG) war von den Einzelnen in Zeiten der
politischen und stammlichen Zersplitterung noch kaum eine Gewissensnot empfunden
worden. Noch im Ersten Weltkrieg hatten Deutsche und Polen - oft bis zum letzten
_ in den gleichen Verbänden gekämpft, und besonders in den polnisch-russischen
Feldzügen war es vielfach deutschen Berufsoffizieren und -unteroffizieren zu danken,
, IN DEN TAGEN DER MOBILMACHUNG
'''') Aus einem zeitgemäßen Lebenslauf" In .West-östllche Begegnung", Berlln, Februarheft 196,!, Seite 10.
105) in der Schlacht bel Tannenberg (Grunwald) 1410 kämpften deutsche HIlfstruppen auf polnisch-litaui-
scher Seite (auch der erste Träger des polnischen Ordens Vlrtuti Militarl war 1792 der Danziger
Ingenieur Ludwig Metzei).
100
wenn sich das Kriegsglück an die polnischen Fahnen heftete. Und wie wir in den
Offizierslisten der preußischen Armee zahlreiche Träger polnischer Adelsnamen fin-
den, war auch das polnische höhere Offizierscorps mit vielen Namen aus Aristo-
kratenfamilienursprünglich deutscher Herkunft durchsetzt.
Im Zeichen des naeionalen Erwadiens und des gerade im polnischen Staat mit seinen
großen Minderheitengruppen rasch erstarkenden Volksbewußtseins mußten sich jedoch
schon bald gerade für den Aufbau der Armee Folgerungen weitreichenden Aus-
maßes ergeben.
Während anfangs noch die im deutschen und im österreichischen Heer ausgebildeten
Berufsoffiziere U11Jd-unteroffiziere - Angehörige der Jahrgänge etwa von 1880 bis
1890 - als die "Korsettstlangen" der polnischen Armee empfunden worden waren,
änderte sich die Situation im gleichen Maße, in dem sich das polnische Offizierscorps
verjüngte und immer neue Jahrgänge die Offiziers- und Unteroffiziersschulen ver-
ließen.
Ein wachsendes Mißtmuen gegenüber den Angehörigen der nationalen Minderheiten-
gruppen begann sich in den dreißiger Jahren abzuzeichnen, Es äußerte sich sowohl in
Beförderungssperren als auch in der Ahkommandierungder Reservisten und insbe-
sondere der Fähnriche fremden Volkstums in immer abgelegenere Landesteile. Das
Bekenntnis zum deutschen, ukrainischen oder jüdischen Volkstum, hier und da auch
schon zum evangelischen, orthodoxen oder mosaischen Glauben genügte ab 1933/34
vielfach, die Absolventen von Gymnasien - ungeachtet ihres Gesundheitszustandes -
gar nicht mehr zum Wehl1dienst einzuberufen, sondern sie nach einer gewissen Zeit
als »überzählig" (nadliczbowe) vorn Wehrdienst zu befreien. Das galt insbesondere
für die deutschen Wehrdienstpflichtigen in den westpolnischen Wojewodschaften.
Die schon lange vor K:riegsbeginn ausgegebene Parole "silni ....•
zwarci=gotowi" (stark-
einig-bereit) brachte es mit sich, daß bei der Zusammenstellung der Truppenteile
streng auf eine solche Zusammensetzung von Angehörigen der verschiedenen Volks-
tumsgruppen geachtet wurde, der zufolge in den einzelnen Kompanien und Regi-
mentern die zahlenmäßige überlegenheit der polnischen Offiziere und Mannschaften
gesichert WI3.1". Eine an sich verständliche Maßnahme, die dann allerdings in den
Tagen der Mobilmachung und vor allem in den Kriegswochen dazu beitrug, daß
sich bei vielen Angehörigen fremder Volkseumsgruppen jn den Reihen der polni-
schen Armee - nicht nur bei den Deutschen - erst recht ein starkes Solidaritätsgefühl
durchsetzte, dem es nicht zuletzt zu danken ist, wenn in den Tagen des allgemeinen
Chaos und Zusammenbruchs noch höhere Opfer vermieden wurden, und wenn Solda-
ten und Offiziere, die bereits auf den Vermißtenlisten standen bzw, für den Fall
einer Niederlage Pqlens von ihren Vorgesetzten mit dem Tode bedroht waren, in ihre
Wohnorte zurückkehren konnten.
Folgen wir den Berichten zweier deutscher Reservisten, die in den letzten August-
tagen ihre Gestdlungsbefehle erhielten und die den Kriegsbeginn in verschiedenen
101
Teilen des Landes erlebten. Unteroffizier Georg Ludwig aus Kattowitz erzählt:
"Meine Einberufung erhielt ich am 24. August morgens um 5 Uhr mit dem Auftrage,
mich um 7 Uhr heim Kommando der 23. Division zu stellen ... Ich wurde auf der
Ferdinandgrube, dem Hauptquartier der 23. 1. D., eingekleidet. Die Sachen waren
neu, paßten aber schlecht. Die Schuhe waren fünf Nummern zu groß und ohne
Schnürsenkel, also trug ich meine Bergstiefel. An Stelle von Strümpfen gab es Fuß-
lappen. Erkennungsmarken gab es nicht. Am zweiten Tage wurden auch Waffen
ausgegeben, und zwar Seitengewehre und Karabiner, Ich selbst bekam ein Seitenge-
wehr ... Die ersten Tage waren ausgefüllt mit Nichtstun. Mittlerweile waren gegen
hundert Reservisten hinzugekommen, für die aber Uniformstücke fehlten. Die Män-
gel konnten trotz Drängens des Magazinunteroffiziers nicht behoben werden, so daß
schließlich, als wir Kattewitz verließen, einige Leute in Halbschuhen oder Wickel-
gamaschen abrücken mußten ...
Am dritten Tage mußte ,ich mich bei Hauptmann Kilian melden (einem Vorstands-
mitglied des Aufständischenverbandes), der mir erklärte, daß ich zum 73. Regiment
versetzt würde ... Später bestätigte ein Leutnant meine Vermutung, daß ich ,poli-
tisch verdächtig' sei und deshalb im Stabe nicht arbeiten dürfe ... Bis zum 1. Sep-
tember bekam die Kompanie noch einigermaßen regelmäßig zu essen ... Gegen 3 Uhr
wurde Marschbefehl gegeben, und um 4 Uhr setzte sich die Truppe in Richtung
Emanuelssegen in Bewegung. Es hieß, daß wir nach Oswiecim (Auschwitz) marschie-
ren sollren. Dieser Marsch, der normalerweise in zweieinhalb Stunden bewältigt
werden kann, dauerte bis zum Morgengrauen des nächsten Tages ... "106)
Der Weitermarsch ging über Jaworzno und Plesz6w in Richtung Krakau. Unterwegs
wurde auf einem Gutshof eine längere Rast eingelegt: "Wir mußten im Viereck an-
treten, und Hauptmann Kilian verzapfte die neu esten Nachrichten; wir hörten:
Danzig wäre von polnischen Truppen besetzt, Ostpreußen sei ganz eingenommen, in
Schlesien näherten sich die polnischen Truppen Breslau, die verbündeten Engländer
und Franzosen hätten gleichfalls angegriffen , Berlin läge in Trümmern, Harnburg
wäre dem Erdboden gleichgemacht usw Kurz vor Pazan6w bekamen wir die
ersten toten Pferde und auch gefallene Soldaten zu sehen. Es waren Soldaten, die
nicht im Kampfe gefallen, sondern durch die eigene Gendarmerie erschossen worden
waren. Von einem toten Soldaten wurde uns gesagt, daß es ein deutscher Spion
gewesen sei, der sich eine polnische Uniform angezogen habe ... Später wurde auch
aus meiner Gruppe ein Soldat herausgeführt, der Uniformrock wurde ihm ausge-
zogen, ein Schuß fiel, und der Mann sackte in sich zusammen. Ein Gendarm sagte
mir auf meine Frage, daß der Erschossene halbe desertieren wollen ... Ich erfuhr
lediglich, daß es sich um einen Deutschen aus Tarnowiragehandelt ha:be."107)
Heinz Beckmann aus Posen, der seine Dienstzeit 1932/33 zuerst an der Fähn-
richschule in Zambr6w bei Bialystok und später In Lublin absolviert hatte,
erhielt seinen Einberufungsbefehl als Reserveleutnant am 30. August. Er fuhr noch
"') Kurt LOck: •Volksdeutsche Soldaten unter Polens FahnenlTatsachenberlchte
Ausland, Berlln 1940, S. 44 ff. , '':), ebenda, S. 26 ff.
1117) ebenda, S. 52.
102
am selben Abend ab und meldete sich am nächsten Tage bei seinem Regiment. Beck-
mann erzählt: "Die Aufgabe für uns ... bestand fürs erste darin, die Reservisten
einzukleiden, aus ihnen Kompanien und Bataillone zu formieren und ihnen ...
etwas militärischen Schliff beizubringen ... Es war die Parole ausgegeben worden,
bei der Formierung der Kompanien darauf 2lU achten, daß sie nicht mehr als 40 Pro-
zent nationaler Minderheiten enthielten ... Die Unteroffiziere stammten fast alle
aus dem Posensehen ... Abgesehen, daß meine Nationalität aus den Militärpapieren
einwandfrei hervorging, hatte ich auch unter den Offizieren einige Bekannte von der
aktiven Dienstzeit bzw, von den verschiiedenen Reserveübungen her, u. a. Major S.,
meinen Bataillonskommandeur. Diese wußten natürlich, daß ich Deutscher war, und
so hatte Slich die ,Sensation' schneM herumgesprochen ... Abgeschnitten von aller
Welt - Zeitungen gah es nicht und auch die Postbeförderung war eingestellt - war
man inmitten dieser polnischen Umgebungeinzig und allein auf die ,Siegesmeldun-
gen' des Warschauer Rundfunks angewiesen, die triumphierend von Mund zu Mund
weitergegeben wurden. "108)
Diese Meldungen waren die gleichen, die der Unteroffizier Ludwig auf dem Wege
nach Krakau gehört hatte: " ... Danach war Danzig schon am ersten Tage von den
Polen eingenommen worden, Ostpreußen war teilweise besetzt . .. und französische
Truppen sollten die Deutschen am West'WaH vernichtend geschlagen haben. In Berlin
sollte ein Angriff von 600 englischen und polnischen Bombern furchtbare Verwüstun-
gen angerichtet haben."
Und auch in beeag auf die Einkleidung und Ausrüstuog der nach Lublin Einberufe-
nen erlebte Leutnant Beckmann ähnlimes wie Georg Ludwig in Kattowitz: "... Es
war in unserem Regiment u.a. die Paroleausgegebenworden, daß diejenigen Reser-
visten, die einigermaßen gut erhaltenes Schuhwerk mitbrachten, dieses weiterhin
tragen sollten, weil einfach nicht genügend Militärschuhe vorhanden waren . .
Unsere Truppe war ohne Stahlhelme, niemand hatte eine Erkennungsmarke ... Die
. Verpflegung war ein Kapitel rur sich. Ganz abgesehen davon, daß die in den
Küchen unseres Regiments gekochten Essenportionen der tatsächlichen Zahl der zu
verpflegenden Leute nicht entsprachen, konnten die vorhandenen Rationen nur mit
erheblichen Schwierigkeiten ausgegeben werden, weil nur ein Bruchteil der nötigen
Eßgeschirre aufzutreiben war. So waren bei der Essenverteilung unglaubliche Szenen
an der Tagesordnung."
Beckmann schildert sodann die Spionenfurcht, die .angesidm der zunehmenden deut-
schen Fliegertäti'gkeit schon in den ersten Septembertagen panikartige Züge annahm:
"Ich war selbst, von der Kaserne aus beobachtend, Zeuge, wie bei einem Angriff
deutscher Flieger auf die in nicht weiter Entfernung vorbeiführende Bahnlinie ein
zufällig vorbeigehender, harmloser polnischer Mönch, der in seiner Kutte anscheinend
besonders verdächtig erschien, trotz Beteuerung seiner Unschuld im Triumph einge-
holt und abgeführt wurde. Er sollte angeblich den Angriff auf die Bahnlinie auf
dem Gewissen gehabt haben ... "109)
..•• , Verlag Grenze und
, ) ebenda, S. 29.
103
Während es hier ein polnischer Mönch war, der dem überall grassierenden Spionage-
verdachtzum Opfer fiel, sind andere Deutsche in polnischen Truppenvertbänden zum
Teil schon vor Kriegsbeginn als "unsichere Elemente" abgesondert und unter Bewachung
gestellt oder später - oft genug aus nichtigen Anlässen - als Deserteure oder Spione
erschossen worden.
Dabei wirkte sich naturgemäß der schnelle deutsche Vormarsch auch auf die Lage der
deutschen Soldaten in polnischen Truppenverbänden aus. Auf den Rückzugsstraßen
und unter Einwirkung deutscher Fliegerangriffe gerieten viele Einheiten durchein-
ander, und es konnte von geordneten Rückzugsbewegungen schon deshalb bald nicht
mehr gesproch,en werden, weil zahlreiche Bahnhöfe und Gleisanlagen zerstört waren
und weil zivile Flüchtlingskolonnen die Straßen ins Landinnere bevölkerten. Feld-
polizei und Offiziere griffen rücksichtslos zur Waffe, wo immer dies erforderlich
schien. Daß dabei in erster Linie diejenigen aufs Korn genommen wurden, die nur
mangelhaft polnisch sprachen und aus deren Papieren einwandfrei die deutsche
Nationalität hervorging, kann nicht wundernehmen.
SCHWARZE UND ROTE STEMPEL
Kurt Lück, der in den Jahren 1939 und 1940 eine große Anzahl von Erlebnisberich-
ten deutscher Soldaten, die den Krieg in polnismen Truppenverbänden mitmamen
mußten,gesammelt hat, weist noch ,auf einen anderen Umstand hin, der vielen
Deutsmen zum Verhängnis geworden ist: "In manmen Garnisonen wurden die in
den Kasernen eintreffenden Deutsmen sofort ausgesondert, man gah ihnen keine
Uniformen und smob sie unter militärismer Bewamung nach Osten ab ... " 110)
Wenn diese Deutsmen dann unterwegs von ihren Begleitmannschaften ihrem Schicksal
überlassen wurden, was infolge der chaotismen Verkehrsverhältnim und angesimts
der immer häufigeren Fliegerangriffe nimt selten geschah, gehörten Glück und List
dazu, wenn diese Gruppen überhaupt noch ihren neuen Bestimmungsort erreimtt!n
und nimt als Spiooe oder Deserteure festgenommen wurden. Johann Kurzitza aus
Kattowitz, der zu einer Einheit nach Radom einberufen worden war, berimtet bei-
spielsweise, daß er unterwegs zu seinem Bestimmungsort eine Gruppe von Deutsmen
aus Obersmlesien auf einem kleinen Bahnhof getroffen habe, die aus einem nach
Osten fahrenden Zuge herausgeholt worden war. Sie hatten sich bei einer Zugkon-
trolle - das erfuhr Kurzitza von einem Unteroffizier des Begleittrupps - nur mit
ihren Einberufungsbefehlen nach Krakau ausweisen können. Der Oberst des Regi-
ments, bei dem sie aufgenommen und eingekleidet werden sollten, hatte den Ober-
smlesiern lediglim einen handgesmriebenen Zettel als "Marschbefehl nam Radom"
ausgehändigt, weil er - wie er sagte - keine "un21uverlässigen Elemente" in seiner
Einheit haben wollte. Die "Unzuverlässigkeit" dieser Einberufenen war durm
smwarze Stempel auf ihren Mobilmamungskarten quasi~ "bescheinigt". (Einige Ein-
berufungs behörden in Oberschlesien hatten - das stellte sim später heraus - alle
Mobilmamungskarten für Deutsme schwarz, die Gestellungsbefehle für Polen jedoch
..
110) Kurt LOck: •..• Tatsachenberichte". S. 10.
104
rot gestempelt.) Warum man diese Einberufungsgruppe nicht nam Radom hatre
weiterfahren lassen und was aus ihr geworden ist, hat Johann Kurzitza nimt
erfahren.111)
Adolf Günther aus Posen erlebte es, wie ein polnischer Hauptmann drei deutsme
Soldaten aus Obersmlesien ersmoß, "weil sie mit W'undgelaufenen Füßen in ihrem
smlemten Schuhzeug eine Rast am Chausseerand eingelegt und sim dabei in deut-
smer Sprame unterhalten hatten.112)
Derartige Fälle häuf~en sich vor allem in denjenigen Einheiten, in denen - sei es im
Verlauf von Kampfhandlungen, sei es durm FliegereinWlirkung - Verlus1le entsta.1-
den waren und bei denen Smuldige für die sim von Tag zu Tag versmlemternde
Situation gesucht wurden. Wie bequem war es doch, diese Schuldigen in den eigenen
Reihen zu sumen und bei dieser Gelegenheit auf nachdrücklime Weise etwas zur
Auf1"emterhaltung der ohnehin stark gelockerten Disziplin tun zu können!
Um ihrer Verfolgung und Liqutidierung zu entgehen, haben sim in jenen Tagen viele
Deutsche in polnismen Truppenteilen - sei es durch gute Beziehungen, sei es durm
Bestemung von Schreibstuben-Unteroffizieren - neue Militärpapiere auf polnische
Namen ausstellen lassen, andere besorgten sim Soldbücher gefallener Polen. In den-
jenigen Fällen, in denen Deutsme zu fremden Einheiten verschlagen wurden oder als
Versprengte Ansmluß an einen neuen Truppenverband suchten, konnte das die Ret-
tung bedeuten. Es kam allerdings nimt selten vor, daß deutsmen Soldaten, die die
polnisme Sprache nur mangelhaft ,beherrschren, gerade ein falsmer Ausweis aum zum
Verhängnis wurde.
Richard Ruge aus Urbanshof (Urlbanie), Kreis Obornik, ,der gut polnisch spram,
gab sim in seiner Einheit als Pole aus. Als ihn sein Kommandeur eines T,ages fragte,
wie er zu dem deutschen Namen komme, wiese Ruge auf den polnüchen Posener
Stadtpräsidenten (Runge) hin. Das überzeugte den Offizier, der von diesem Zeit-
punkt an Ruge sogar eine bevorzugte Behandlung zukommen ließ.113)
Umgekehrt erging es dem aus Konstantyn6w bei Loclz stammenden Reserveleutnant
Kulisz. Trotz seines polnismen Namens war er in seinem Regiment ständiger, arg·
wöhnismer Beobachtung ausgesetzt. Als Kulisz 'es wagte, bei einer Rast in Stryk6w
an einem Brunnen Wasser zu trinken, bevor ein polnismer Offizier hinzukam und
seinen Durst hatrestiUen können, zog dieser sein Seitengewehr und erstam Kulisz,
ehe dieser auch nur eine Bewegung zu seiner Verteidigung machen konnte.114)
Adolf Kargel, Chefredakteur der einstigen Lodzer "Freien Presse", gab in seiner Zei-
tung den Bericht eines anderen deutsmen Soldaten aus Konstantyn6w wieder, in dessen
Truppe während des Rü<:kmarsms alle Deutsmen herausgesumt, vor einen Strohschober
gestellt und erschossen wurden. Er selbst hatte sich das Soldbum eines Gefallenen
besorgt, als Pole ausgegeben und war damit als einziger mit dem Leben davonge-
kommen. 115)
"'!
111) .Posener Tageblatt· v. 20. Oktober 1939.
ebenda.
112)
Vgl. Kurt Lück: •••• Tatsachenberichte". S. 11.
'" V I•• Deutsche Lodscher Zeltun " v. 27. 9. 1939.
", H~er zitiert nach K. Lück: •••• ~atsachenberichte". S. 12.
1(15

Am Rande eines Waldes <beiGoluch6w, unweit der Straße Jezow-Rawa, wurde in
einem Massengrab unter 'zwanzig Zivilisten auch ein Offizier - Eugen. Lenk -. aus-
gegraben. Wie die umwohnende Bevölkerung berichtete, hatte Lenk sich gewelg rt, 7 muntern zu sollen, daß er ihnen ein aus irgendeiner polnischen Zeitung entnommenes
die Zivilisten zu erschießen. Diese Befehlsverweigerung führte dazu, daß man ihn
mit erschoß.116) Als diese Nachricht in der »Deutschen Lodscher Zeitung" erschien, mel-
dete sich in der Redaktion 'ein Verwandter des Eugen Lenk und bestätigte, daß dieser
tatsächlich als polnischer Offizier eingezogen worden und seieher spurlos verschwun-
den sei. Auch hierzu liegt eine eidesstattliche Erklärung vor.
Je unÜ'bersichtlicher die Lage an den Frontabschnitten in ~en westli~en La~de'Steilen
wurde, je deutlicher sich die Vormarschbefehle und angebLlchen Angrlff~~bslchten der
polnischen Divisionsstäbe arls Rückzugsversch:leierung erwiesen, desto kritischer wurde
die La:ge der Deutschen in den Reihen der zum 'teil schon schwer an~ch1ag~nen pol-
nischen Truppenverbände. Die Parole »Niemcy pod murt" (Deutsche an die Wand)
wurde in vielen Einheiten zum :geflügelten Wort.
Während man sich in weiten Offizierskreisen bald keinen Illusionen mehr hinsichtlich
des für Polen lmtastrophalen Kriegsverlaufs 'lnngarb, ließ man die Mannschaften aus
verständlichen Gründen über 'die Ursachen des Geschehens im unklaren. Spione, Di-
versanten und Saboteure wurden für die sich tagaus, tagein auch in Mittelpolen ver-
schlechrernde Situation - für das Verkehrschaos ebenso wie für die mangelnde Aus-
rüstung und Verpflegung der Truppe - verantwortlich gemacht. Spione und Diver-
santen wurden ,gesucht - und gefunden.
BIS ZUM BITTEREN ENDE
»Die von Anfang an nicht begeisterte Stimmung der Truppe ließ von Tag zu Tag mehr
nach", berichtet Leutnant Beckmann über die Lage in seinem Regiment. 117)»Der 9. Sep-
tember brachte den ersten Angriff deutscher Flieger auf die Lubliner Kasernen .,. Bald
brannte ein Teil der Magazine lichterloh. Der größte Teil der Bomben aber fiel. .. indie
Parkanlagen der Kasernenumgebung, unter deren Bäumen sich die aus den Gebäuden
herau~gezogenen Reservisten zur Vervollständigung ihrer Ausrüstung gelagert hatten.
Ihre Wirkung unter den eng aneinandergedrängten Menschenmassen war fürchter-
lich ... Der Eindruck dieses Bombardements war so nachhaltig, daß er meine Leute
während des ganzen Krieges nicht mehr losgelassen hat. Es hat später nur des tiefen
Motorengeräusches eines deutschen Flugzeuges bedurft, um ihnen panikartige Furcht
einzujagen ... Wir haben dann noch zwei Tage ,in einem Dorf bei Lublin zugebracht,
um später endgültig 'ahzumarschli.er,en.Die Führung der Kompanie hatte inzwischen
zum drittenmal gewechselt. Sie wurde von einem Hauptmann üpernommen, der zu
anderen Divisiooen gehörte und dessen Maschinengewehrkompanie bei Kielce voll-
kommen aufgerieben worden war. Er hatte sich mit einem Leutnant ... bis Lublin
"') Deutsche Lodscher Zeitung" v. 2. 10. 1939.
117) 'i<.
Lüde H' Tatsachenberichte".
•• S. 31 11.
durchgeschlagen. Währe11ld er uns Offizieren gegenüber nach seinen Erfahrungen mit
den deutschen Truppen aus seiner pessimistischen Einstellung in bezug auf einen er-
folgreichen Widerstand kein Hehl machte, 'glaubte er dIi'eMannscha.ften dadurch auf-
Rechenexempel vorführte. Danach war für einen Flug von Berlin nach Warsmau für
einen Bomber eine Zisterne Benzin notwendig, und man konnte sich also angeblich
leicht ausrechnen, daß die Deutschen in wenigen Tagen am Ende ihrer Künste sein
mußten. Sie konnten ja keine großen Vorräte an Benzin gestapelt haben -, führte
der Hauptmann aus - und Rumänien liefere kein öl mehr."
Einige Tage später tauchten - nachdem Beckmanns Regiment in tagelangen Gewalt-
märschen versucht hatte, sich der drohenden Umklammerung durch deutsche Ver-
bände zu entziehen - neue Gerüchte auf: sie wollten von erfolgreichen Gegenstößen
der polnischen Truppen wissen und besagten im übrigen, daß Rumänien, Ungarn
und J ugoslawien Deutschland den Krieg erklärt hätten. (Zu diesem Zeitpunkr hatte
die Rote Armee bereits Polens Ostgrenze überschrirtenl) Beckmann schildert sodann
die letzten Tage seiner Einheit, deren Reste nach schweren Gefechten am 22. Septem-
ber in deutsdie Gefangenschafl gerieten.
Ji.hn~iche Erlebnisse verzeichnen William Leutholdaus Posen, der die letzten Kriegs-
tage im September am Bug erlebte, Eugen Jeschke aus Lodz, der an der Bzura
kämpfte und Hugo Meyer, Posen, der als polnischer Oberleutnant bei Krasnobröd in
deutsche Gefangenschaft geriet.118) Sie alle erlebten dasgnadenlose Ausgeliefertsein an
ein Schicksal, das ihnen täglich und stündlich nur eine Alternative ließ: entweder als
"DeserteuIIe" unterzutauchen oder ihrem unter einer fremden Fahne geleisteten SoI-
dateneid his zum bitteren Ende treu zu bleiben. nie übergroße Mehrdleit hat diesen
EntschJ1ußmit ihrem Leben <bezahlt.
Es liegt eine Tragik eigener Allt darin, daß eine nicht geringe Zahl deutscher Soldaten
auf beiden Seiten der Front - wie in allen Kriegszügen, in denen sich Deutsche in
verschiedenen Uniformen und unter verschiedenen Feldzeichen gegenüberstanden -
im September 1939 von Bruderhand fiel. So widmete auch Kurt Lück seine Bericht-
sammlung stellvertretend für alle einem dieser Deutschen: dem Forscher und Schul-
rektor Albert Breyer, der als Reserveleutnant des polnischen Heeres von einer
deutschen Fliegerbombe 'schwer verwundet wurde und am 11. September in einem
Warschauer Lazarett verstarb,
''') K. Lück: .' .. Tatsachenberichte". S. 93 11.
t07
Spielball der Mächte oder "Fünfte Kolonne"?
Es konnte im Zeitalter einer vervollkommneten Technik nidtt ausbleiben, daß sich
mit den Methoden der Kriegführung aach die Methoden der ideologischen und pro,
pagandistisdien Einflußnahme auf die an den jeweiligen Kriegen beteiligten Völker
wandelten, Hand in Hand mit der S<hafFung immer neuer, weiterreichender und
wirkungsvollerer militärischer Waffen ging die Perfekcionierung und" Verfeinerung"
der geistigen Infiltration, der ideologischen und propagandistisdien Überrumpelung des
Gegners. Das einstige Trojanische Holzpferd erlebte seine Wandlung zur "Fünften
Kolonne" unserer Tage.
Die Herkunft des Begriffes bedarf einer kurzen Definition. Als Ende September 1936
der spanische Bürgerkrieg seinen Höhepunkt erreicht und die Armeen der Regierung
in Südspanien eine Niederlage nach der anderen erlitten hatten, holte General Franeo
zum entscheidenden Schlag aus, indem er seine Truppen in vier großen Marschsäulen
auf Madrid ansetzte. In einer Rundfunkrede wies damals einer der bekanntesten
Aufständischen-Piihrer - General Mola - auf den Vormarsch der vier Verbände hin,
wobei er hinzufügte, daß die entscheidende Operation in Madrid selbst von einer
"Fünften Kolonne" .durcbgeführt werden würde. "Er (General Franeo) schickt vier
Kolonnen gegen Madrid - aber die fünfte wird mit der Offensive beginnen!" Diese
Erklärung gab das Signal für eine Verrätersuche und Spionenverfolgung ohnegleichen.
Offiziere und Beamte - wirkliche und vermeintliche Anhänger General Franeos -
wurden in großer Zahl verhaftet, zum Teil auch gleich auf offener Straße erschossen,
es folgten ganze Serien von Haussuchungen, und die allgemeine Hysterie erreidire
ihren Höhepunkt, als die kommunistische Führerin La Pasionariaselbst das Wort
ergriff und das Volk zur Vernichtung der "Fünften Kolonne" aufrief.
Der Begriff dieser "Fünften Kolonne" - zunächst nur gedankenlos als ein militäri-
sches Zahlwort hinausgerufen - hatte damit einen Reuen Beigeschmack, den eines
gefährlidien Feindes, der nidit zu greifen war, erhalten. Er gewann bald auch außer-
halb der Grenzen Spaniens überdimensionale Bedeutung, als man nach den Gründen
für Deutschlands außenpolirisdte Erfolge und den Madttzuwachs des "Dritten
Reiches" zu suchen begann, und er flammte plörzlidi allenthalben auf, als in den
ersten Septemberwochen Polens Armee eine Niederlage ohnegleichen erlebte und der
polnische Staat wenig später zusammenbrach.
Dieser - vor allem für die Masse dereinfadten Polen - völlig unerklärlidte 'Vorgang
konnte nicht allein in der waffenmäßigen, tedmischen und organisatorischen Überle-
genheit der deutsdien Wehrmacht seine Ursachen haben. Das den Charakter vieler
Polen charakterisierende Schwanken zwischen extremen Gefühlsaufwallungen, die
Neigung zuemotionalen Lage-Beurteilungen und zum häufigen Suchen der Sdrold für
eigenes Versagen bei anderen fanden um so rascher ein Ventil, als doch oft genug in
den zurückliegenden Wodten durch Presse und Rundfunk die Rolle der Deutsdien im
Lande als einer großen "Fünften Kolonne" in düstersten FarbeJ ausgemalt worden
war. Der Berufungsmöglichkeiten auf historische und literarische Zeugnisse bezügIidt
der angeblich seit Jahrhunderoen .datierenden "polenfeindlidten Haltun-g der Deut-
108
sdten" gab es genug. Angefangen bei den Werken von Henryk Sienkiewicz dessen
O~densritter-Roman "Kmyzacy" zur Sdtullektüregehörte, bis hin zu Ste/an 'Zerom-
skts Roman "W~atr od morza" (Wind vom Meer) fand man ausreichendes "Beweis-
m~terial". fü~die S~chhaltig'keit des Sprichworts "P6ki swiat swiatem, nigdy Polak
Nierncowi nie bedzie brat brarem" (Solange die Welt besteht, wird der Pole dem
Deutsdien niemals Bruder sein).
Hatte nidtt auch der bei alt und jung beliebte S<hriftsteller Kraszewski in seinem
Buche "Na wsdiodzie" (Im Osten)ansdtaulich die Infiltration deutscher Bauern bis
v:
eit in die Ukraine hinein gesdtildert - eine Infiltranion, die dazu dienen sollte, in
einer spä.ter~n großen Umklammerung Polen zu vernichten!? Ähnliche Behauptungen
fandensich in den Bilchern H. Wiercinskis und K. G6rskis, denen zufo1ge die Rich-
tung der ländlichen Kolonisation an der Weidtsel sowie im Cholmer und Lubliner
Land v~m p~.eußischen Generalstab mitbestimmt worden ist; wobei sich G6rski (1908)
sogar die Muhe machte aufzuzeigen, wie deutsche Heere mit Hilfe dieser Kolonien
geflü~elten Fußes leicht bis nach Kleinasien vordringen konnten.us)
All diese Behauptungen wurden von der polnischen Presse nur zu gern ausgegraben.
Vergesse~ waren die Perioden Langer, frudttbarer Nadtbarsdtaft und gemeinsamer
Au~~ulelstu~gen, vergessen die zahllosen, ineinander verwobenen deursdi-polnisdien
Fa~llltienverbmdungen: die Deutschen in Polen waren alle miteinander über Nadir zu
Fem~en geworden - ihre Mitschuld an der September-Katastrophe bedurfte keines
Beweises mehr, der überfall Hit1ers auf Polen ging mit auf ihr Konto also mache
man sie - die "Fünfte Kolonne der Deutsdien in Polen" - auch haftbar für alles, was
man selbst zu erdulden hatte.
ZWEIERLEI MAss
~er .Iin j.enen Tage~ von niemandem mehr überschaubare Ablauf der September-Er-
eignisse in Polen, die Schnelligkeit der militärischen Operationen, die Verhaftung und
Versdtleppung Zehntausendej- von Deutsdien ins Landesinnere, die ~nberufung Zehn-
tausender von deutschen Reservisten zur polnischen Armee und die Flucht anderer
und zwar gerade der aktivsten Angehörigen der deutsdien Volksgruppe über die
Grenze~ - a11 dies enthebt uns nichr der Feststellung, daß es Sabotage- und Stör-
tr~pps m Polen gegeben hat, die, sei es aus eigenem Antrieb, sei es auf Anordnung
reichsdeutscher Stellen mit deutsdien Kampfverbänden Zrusammenarlbeiteten oder zu-
s:unmenzuarbeiten suchten. Ebenso, wie es absurd ist, ihre Einsätze der Tätigkeit
einer großen, gutorganisierren "Fünften Kolonne" gleichzusetzen - weil einfach die
V~raussetzungen für einen soldien Einsatz, im Gegensatz zu anderen Kriegsschau-
pl~tzen, z. B. zum spanischen Bürgerkrieg gar nidrt gegeben waren -, ebenso besteht
kein Anlaß, ihre Existenz ZJU verschweigen.
Inden Reihen dieser Sabotage- und Wiiderstandsgruppengab es neben Deutschen _
Ukrainer, Weißrussen, Juden und Polen. Die Motive und Beweggründe dieser Men-
"') Hier zitiert nach Kurt LOck: .Die deutschen Siedlungen im Cholmer und Lubllner Land". S. 77.
109
 sehen waren SD unterschiedlich und zugleich SD übereinstimmend wie die Motive VDn
Widerstandsgruppen in allen Ländern und zu allen Zeiten. Es gab Idealisten und
Abenteurer, Sektierer und nationale Fanatiker, Beamte und im zivilen Leben Ge-
strauchelte unter ihnen, für die der Krieg 'Oft nur ein auslösendes Moment war, sich
in einer neuen Rolle zu betätigen. Menschen, wie man sie ebenso auf der Gegenseite
finden kDnnte und gefunden hat, als sich die Verhältnisse wandelten, als aus Angrei-
fern Verteidiger und Verfolgte wurden und als zum Beispiel die polnische Presse nicht
müde wurde, die »Heldenvanen" VDn Saboteuren und von Widerstands gruppen aus
Kreisen der polnischen Minderheit in Deutschland zu glorifizieren.
So berichtet der polnische Publizist M eclewski beispielsweise über die - nach seiner
Darstellung - vorbildliche Haltung der Kaschuben ·im ostpommersdien Grenzgebiet,
die sich »trDtz ungeheuren Druckes" nicht hätten germanisieren lassen, die »ihre Mut-
tersprache bewahrten und die, so gut sie konnten, ausgedehnte Beziehungen zum Mut-
terland unterhielten". Noch VDr Kriegsbeginn vermittelten die Bewohner einiger
Kaschubendörfer polnischen Behörden »wertvDlle Informationen über die Gruppie-
rungen der Wehrmacht im Grenzgebiet", Inder Naditzum 1. September hätten so-
dann Einwohner von Wierschu~in die Grenze überschritten, um sich in polnischen
Uniformen der Wehrmacht entgegenzustellen. Und weiter rühmt Meclewski die
Haltung der »Jungen von Nadele" - ebenfalls einem kaschubischen Dorf am Zarno-
witzer See, das aber 1919 Polen 'zugeschlagen worden war -, die der deutschen
Wehrmacht »wenig Freude bereitet" hätten. Zwar wären sie in die »Volksliste III"
eingestuft worden, doch hätten sie später »di,eersvbeste Gelegenheit genutzt, zu den
AUiierten überzulaufen und als Soldaten der Panzerbrigade Maczek polnische Uniformen
anzuziehen". Diese Kaschubensöhne haben dann auch bei Monte Cassino gekämpft -
gegen die Deutschen »natürlich", aus deren Reihen sie einst desertiert waren.P")
Was hier als Beispiel vorbildlichen patriotischen Verhaltens gerühmt wird und was
sich durch zahlreiche weitere Zeugnisse des Einsatzes von Angehörigen der polnischen
Minderheit in Deutschland in den Reihen der Alliierten während des Zweiten Welt-
krieges belegen läßt, charakterisiert eine Denkens- und Verhaltensweise, die einzig
und allein das für richtig hält, was den eigenen Interessen nützt.
Im übrigen konnte von einer einheitlichen Planung, Lenkung und Organisation deut-
scher Widerstands- und Sabotagetrupps wahrend der Septembertage 1939 in Polen
aus mehreren Gründen glar keine Rede sein. Der deutsdie militärische Operationsplan
war - von einigen Sonderaktionen, auf die wir noch zu sprechen kommen, abgesehen
- im Gegensatz zum späteren Verlauf anderer Operationen in anderen Ländern auf
keine wie immer geartete Zusammenarbeit mit im Hinterlande des Gegners einge-
setzten Verbänden oder Sabotagetrupps angelegt. Deutsche Luftlandetruppen waren
im September 1939 noch 'gar nicht einsatzbereit, wie aus einer brieflichen Erklärung
General von Vormanns, Verfasser des Buches »Der Feldzug 1939 in Polen", hervor-
geht: »Die 22. Division in Bremen sollte in den Jahren 1937/38 Alnd 1939 als Luft-
landedivision aufgebaut werden. Der Aufbau waraJber 1939 noch nicht vollzogen.
'''') .Narodowlec·. Organ der Polen In<Nordfrankreich. Lens, Nr. 180vom 2. 8. 1968.
110
W~hr~nd. des PDlen!~ldzuges war sie für einen Kriegsfall im 'Westen vorgesehen, wo
k~m emziger motQns'lerter Verband stand. Von Brauchitsch hütete diese Division wie
seinen Augapfel . . . Erst als die Situation an derBzura kritisch wurde kam der
Befehl, ein Regiment der 22. Division einzusetzen. Dieser Einsatz erfolgte' aber nicht
auf dem Luftwege, also nicht durch Absprung, und 'zwar am äußersten Westflü-
gel ... " (BA.)
Zeitweise Versuche anderer militärischer undziv.iler Stellen wie z B d· Ab h
btei . , .. er we r-
~ teIlu~g im Oberkommando der Wehrmacht, die Angehörigen deutscher Organiss-
t~onen In ~olen zur Mirarbeit bei Spionage heranzuziehen, hatten den Erfolg, daß
sich schon im Herbst 1938 auf eine sehr dringende Bitte der VDlksgrup,penführu
das Auswa A . ng
as usv:artlge mt einschaltete. Am 15. November 1938 gab deraufhin die Ab-
wehraJbteIlung des OKW die ausdrückliche Zusicherung: »Es wird von der zuständi-
gen A!bteilung eine erneute Weisung an die unterstellten Stellen ergehen daß
bo . , es ver-
ten 'Ist, Volksdeutsche, die sich in den genannten Organisationen befinden und di
kti . di . le
a trv In lesen arbeiten, in irgendeiner Form für den Abwehrdienst in Anspruch
h . zu
ne men. Wie ... versichert worden ist, haben diejenigen Stellen, die mit den Volks-
?ru~pe~ im Auslande zu tun haben, diesen Grundsam bisher stets vertreten. Es wurde
im übrigen zum Ausdruck gebracht, daß man SD wenig wie möglich Volksdeutsche in
Ans~ruch nehmen wolle, es sber nicht möglim wäre, völlig auf ihre Mitarbeit zu
verzichren." 121)
~iese »offizielle" Mitteilung vom November 1938 besagt natürlich nicht, daß damit
dl~ ~wertbung VDn Deutschen aus Polen für die Abwehr und für die Zusarnmenar-
b.elt mit ,:nderen Stellen im Zeichen der zunehmenden deutsch-polnischen Spannungen
rigoros hatte unterbunden werden können. Insbesondere ließ 'es sich der Sicherheits-
dienst" Himmlers nicht nehmen, die EinschleuSUJIlgvon Agenten nach Polen vorzu-
bereiten, deren Tätigkeit hauptsächlich auf »PrDvokationen" 'abzielte die zum A-
hei d . , » n
erzen er Stimmung" beitragen sollten, Wenn diesem Plan der angestrebte Breiten-
eddLg versagt <blieb,sD trug dazu nimt 'zuletzt der Umstand bei, daß sidi die Deutsch-
tumsor.ganisationen in Polen schon aus Gründen ihrer Existenzsicherung angesichts der
zugespitzten Gesamtlage strikt weigerten, mit SD-A!bgesandten zusarnmenzuarbeite
B~reits im Mai 1938 war ja auch ein den deutschen politischen Parteien in POle:
seitens der» VDlksdeutschen Mittelstelle" unterbreiteter »Einigungsvorschlag" eben aus
~m Grunde ~bg~lehnt worden, weil die Deutschtumsverbände in Polen um jeden Preis
Jeden ~cheIn emer Gleichschaltung und damit verbundenen stärkeren Abhängigkeit
VDnreichsdeutsdien Stellen zu vermeiden trachteten.
Am 25. August 1938 stellte das Auswärtige Amt in bezug auf die »politische Spal-
tung ... unter dem deutschen Volksrum in Polen, dessen Führung in immer schärferen
G~g.~nsatz z~einan~e~ geriet", fest: "Alle Versuche, diese ... Entwicklung durch Her-
beiführurig einer Einigung der streitenden Parteien 'zu verhindern, blieben bisher er-
gebnisIDs.122)
121) f~~~,
s:~lfe ~4/~~d V. Seite 95. Dazu die warnende Aufzeichnung des VLR Schwager vom '0. 10. 1938
'22) ADAP. Serie D. Band V. Nr. 51, Seite 59-63.
111
 -rz:
Daß diese Einigungsversuche eindeutig auf Anweisung reichsdeutscher Stellen zurück-
gingen, ergibt sich sowohl aus einer Mitteilung General Er~in ~~n (1:39-
1943 Chef der Abwehrabteilung 11) als auch aus Aktennotizen uber die Tätigkeit des
SD im Ausland, die der Holländer Louis de [ong mit der Feststellung kommen-
.
nern ; Be'weise da für
u , daß irgendeine wirtsdtaftliche oder politische Organisation der
Volksdeutschen Schritte unternommen habe, um den (späteren) militärischen Opera-
tionen der Deutschen Hilfe zu leisten, sind nicht vorhanden."123)
Demgegenüber hält es de long für "wahrscheinlidt", daß di~ Deutschen in ~olen "in
manchen Gebieten Maßnahmen ergriffen, um nötigenfalls mit Gewalt An~rlff~ abzu-
wehren die sie im Kriegsfalle befürchteten. Zu diesem Zweck wurden vielleidir ...
geheim; Organisationen geschaffen, welche, zumal in den ?renz~~zi:ken, ~it aus
Deutschland eingesdtmuggelten Waffen ausgerüstet gewesen sind. Möglicherweise wa-
ren Waffen seit den Kämpfen der Jahre 1918/19 versteckt worden.(124) . gefällt, um gesprengte Brücken ersetzen zu helfen" (Aus "Deutschtum im Ausland"
Diese Vermutung ist schon deshalb sehr fragwürdig, weil gerade !n Ostoberschlesie~
in der Aera des als außerordentlich deutsdtfeindlich bekannten WOjewoden Grazynskl
und angesichts der besonderen Wamsamkeit der Behörden, die im Frühjahr und Som-
mer 1939 zu ständigen Haussuchungen und Verhaftungen führten, Waffenlager kau~l
hätten verborgen bleiben können. Absurd ist auch die Vorstellung von Waffen, die
zwanzig Jahre lang versteckt blieben, denn einmal wurden die Grenzschutzkämpfe
nicht von der einheimischen Bevölkerung, sondern von regulären Truppen und von
Freikorps geführt, die ihre Waffen nicht zurückließen, und außerdem war es bei dem
Bemühen des Deutsditums, keinesfalls die Legalität zu verletzen, ganz undenkbar, daß
überhaupt Waffenlager angelegt wurden.
Auf einem anderen Blatt steht das Einsickern von Reichsdeutschen und Suderendeut-
schen sowie von Ostoberschlesiern,die ,in den Monaten der verschärften Spannungen
nach Deutschland geflüchtet waren und die von der sehr aktiven Abwehrstelle ~reslau
hauptsächlich im August 1939 in das Industriegebie~ entsandt wu:den, um bei Aus-
bruch des Krieges Zerstörungen zu verhindern.W) DIe als "Indu:stnes~u:z Obers~le-
sien" bekannt gewordenen Abwehrgruppen sollen insgesamt 1200 Mirglieder gezahlt
haben.P") . .
Indessen werden in polnischen Publikationen diese in Oberschlesien zum Einsatz
gekommenen Abwehr- und Sicherungs gruppen nur am Rande erwähnt, obwohl doch
hier noch am ehesten vom Einsatz einer "Fünften Kolonne" gesprochen werden
könnte.
SELBSTSCHUTZ UND SABOTAGE
Demgegenüber gewinnen leicht erklärbare, einerseits aus Angst und Unsicherheit ge-
borene, andererseits auf Gefühlsaufwallungen beruhende Handlungen von Deutschen
123) NG-2316 vom 8. 8. 1940, hier zitiert nach L. de Jong, .Die deutsche fünfte Kqlonne
krieg·, S. 148.
''') Kriegstallebuch
12') ebenda, S. 148. der Abwe h r II v. 3 .. 9 1939 , hier zitiert nach Werner Brockdorff:
des Zweiten Weltkrieges·, München/Wels 1967, S. 42.
12') KrlegBtagebuch der Abwehr 11v. 5•••9. 1939 (nach W. Brockdorff).
112
im polnischen Hinterland in polnischen Darstellungen eine Dimension, die ihnen nidtt
im geringsten zukommt.
Louis de [ong hat - nicht ohne sich ausdrücklich von der Umdeutung dieser Taten
zu Spionagefällen zu distanzieren - eine Sammlung derartiger Zitate aus deutschen
Publikationen zUisammengestellt, die in polnischen Augen dazu dienten, die Aktivität
einer "zi·,ilen fünften Kolonne der Deutschen" nachzuweisen. Hier nur einige dieser
AussaJgen:
"Ein deutscher Autor erwähnt, daß in einem Dorf im polnischen Korridor südlich
Danzig die älteren Einwohner spontan einen deutschen Schutzverband gebildet hät-
ten" (Hugo Landgraf: "Kampf um Danzig", Seite 62). - "Sie haben auf den Wegen
die Baumsperren und Steinhindernisse hinwegräumen helfen. Sie haben gewußt und
ausspioniert, wo die Polen irgendwelche Fallen ausgelegt hatten. Sie haben Bäume
1939, Seite 528). - "Woim:mer die deutschen Truppen auftauchten, wurden sie von
den Volksdeutschen herzlich willkommen geheißen und oft festlich bewirtet" (Leo
Leixner: "Von Lemberg bis Bordeaux", München 1941, Seite 65). - "In der Nähe
von Lemberg zeigte arn 12. September ein österreicher den Deutschen den Weg"
(Aus "Kampferlebnisse aus dem Feldzug in Polen", Berlin 1941, Seite 68). - "Vor
dem Ausbruch der Feindseligkeiten gaben die Abwehr und Gliederungen der NSDAP
unter den jungen Volksdeutschen die Parole aus, sie sollten sich im Kriegsfalle nicht
zur Mobilmachung melden. Falls das unvermeidlich sei, sollten sie nicht auf deutsche
Truppen schießen, sondern bei erster Gelegenheit überlaufen" (Mitteilung von La-
housens}.127)
Der holländische Autor ist sidi indessen - wie gesagt - selbst im klaren, wie durch
derartige Zitate die Legende von der großen "Fünften Kolonne" der Deutschen in
Polen zu einem Zerrbild wird und sich selbst Lügen straft. Dies um so mehr, als
einwandfrei erwiesen ist, daß die meisten der in reichsdeutschen Ausbildungslagern
vorbereiteten Sicherungs- und Störaktionen, die im polnischen Hinterland zur Durch-
führung kommen sollten, entweder im Leerrawn verpuffien oder sich in Anbetracht
des schnellen Vorrückens der deutschen Divisionen schon im Ansatz als Fehlspekula-
tionen erwiesen.
So fand im August - nach einer Mitteilung General von Lahousens - am Dachstein,
südöstlidt von Salzburg ein "Sportkursus" statt, bei dem etwa 250 Ukrainer in die
"selbständige Durchführung kleiner, auf List und überraschung aufgebauter Stoß-
truppunternehmungen" eingeführt werden sollten. Zu diesem Zweck hatte man eigens
Verbindung mit Oberleutnant Andrej Melnyk, dem Leiter der ukrainischen Natio-
nalisten-Organisation (OUN) aufgenommen.tw) Der Einsatz der Ukrainer wurde
jedoch abgeblasen, nachdem am 17. September die Russen auch in Südostpolen ein-
marschiert waren. Mehr noch: Am 23. September befahl Hitler - einem Wunsche
Im Zweiten Welt-
Moskaus entsprechend -, daß die Ukrainer sogar daran gehindert wurden, auch nur
.Geheimkommandos
127) L. de Jong: .Dle deutsche fOnfte Kolonne ...• , S. 148-149.
"') K. H. Abehagen: .Canaris·, Stuttgart 1949, S. 214.
113
aus dem von den Sowjets besetzten Gebiet die deutsch-russische Demarkationslinie
zu überqueren.tw)
In der Nacht vom 25. und 26. August - das heißt zu dem Zeitpunkt, der ursprüng-
lieh von Hitler als Angriffsbeginn festgesetzt, dann aber auf die Initiative von MU5-
solini hin hinausgeschoben worden war - kam es infolge des vorzeitigen Einsiekerns
deutscher Sicherungstrupps zu den meisten Verhaftungen, hier und da auch schon zu
Zusammenstößen zwischen bewaffneten Deutsdien und polnischen Grenzeinheiten in
Oberschlesien. Auch an der ostpreußischen Grenze und im Raum Danzig kam es zu
einer Reihe von Zwischenfällen mit Toten und Verwundeten auf beiden Seiten. In
Lodz wurden am 25. August 24 Personen verhaftet. Hier hatten drei Mitglieder des
Deutschen Volksverbandes ohne Wissen ihrer Verbandsführung in einer Wohnung ein
kleines Waffen- und Sprengstofflager angelegt. Ehe diese Gruppe aber an einen Ein-
satz hatte denken können, flog sie auf, nachdem ein an sie gerichtetes, unverschlüs-
seltes Telegramm in die Hände der polnischen Geheimpolizei gefallen war. Sein
Inhalt lautete: "Mutter tot - kauft Kränze." 130)
KOMMANDO-UNTERNEHMEN IN OS UND AM ]ABLUNKA-PASS
Wenn es eines weiteren Beweises für die Improvisation und die mangelnde Koordi-
nierung der durchweg von reichsdeutscher Seite geplanten Einsätze von Geheimkom-
mandos und Störtrupps bedurfte, so hat ihn in drastischer Weise ein in der Nacht
zum 26. August in den Beskiden durchgeführtes Kommando-Unternehmen erbracht,
dessen Abenteuerlichkeit in der Kriegsgeschichte bis dahin kaum ihresgleichen hatte.
Gleichzeitig aber zeigt diese Aktion einer relativ kleinen Freiwilligengruppe, die -
ohne daß auf beiden Seiten größere Verluste eingetreten wären - mehr als zweitau-
send polnische Soldaten und Offiziere gefangennahm, welche Auswirkungen der Ein-
satz einer großen, gutorganisierten "Fünften Kolonne" der Deutsdien in Polen hätte
zeitigen können und müssen. Vorausgesetzt: es hätte eine soldie "Fünfte Kolonne"
gegeben ...
Was war geschehen?
Mit der endgültigen Planung des Polenfeldzuges durch den Generalstab des Heeres
war der Abwehr u. a. die Aufgabe gestellt worden, im polnisdi-obersdilesisdien In-
dustriegebiet Zerstörungen nach Möglichkeitzu verhindern und darüber hinaus wich-
nige strategische Punkte, wie z. B. Brücken und Bahnknotenpunkte vor Sprengungen
zu sdtützenund zu sichern. Zu diesen strategischen Punkten gehörte auch der
Jablunka-Paß in den Beskiden.
Da zu diesem Zeitpunkt die Division Brandenburg, deren erfolgreicher Einsatz auf
vielen Kriegsschauplätzen ein besonderes und geheimnisumwittertes neues Kapitel
moderner Kriegsgeschichte einleitete, noch nicht bestand, wurde von der Abwehrstelle
Breslau im Wehrbereich VIII neben einer "Industrieschutz"-Sonderformation im
August 1939 in aller Eile eine weitere Kommandotruppe zusammengestellt. Sie setzte
12') Kriegstagebuch der Abwehr 11v. 23. 9. 1939 (nach W. Brockd,?rff). _ •
130) Mitteilung von Ludwig WollI (fr. LodzJ, vgl. auch de Jong .Ole deutsche funfte Kolonne .••
114
sidi aus etwa 70 Männern zusammen, die vorher dem "Sudetendeutsdten Freikorps"
angehört hatten: Deutschen aus Mähren und der Slowakei und Ostoberschlesiern
unter Führung des Oberleutnants Dr. Herzner.131)
Die für die spätere militärisdte Besetzung des Jablunka-Passes vorgesehene Division
lag in Sillein (Zilina).
Die Aufgabe des Sonderkommandos Herzner war klar umrissen: sie bestand darin,
die wichtigste südliche Einfallpforte nach Polen - den Jablunka-Paß - im Hand-
streich möglichst einige Stunden vor Kriegsbeginn zu besetzen und die Stellungen b's
zum Eintreffen der ersten deutschen Truppen zu halten. So "eindeutig" dieser Auf-
trag war, so abenteuerlich und schwierig gestaltete sich seine Durchführung - so fatal
wirkte sidi letztlich eine Entscheidung aus, die in Berlin zum Zeitpunkt des Auf-
bruchs der Gruppe Herzner zur Grenze längst getroffen war: der ursprünglich auf
den 26. August, 4,15 Uhr festgesetzte Kriegsbeginn war vom OKW annulliert und
hinausgeschoben worden.
Werner Brockdorjf schildert die Situation wie folgt: "... Der 1. Generalstabsoffizier
der Division (in Sillein) setzte ohnehin nicht viel Erwartungen in das Kommando.
Niemand beneidete Dr. Herzner, als er in den Abendstunden des 25. August 1939
aufbrach, um mit seinen Mannern einen Krieg zu führen, der noch gar nicht ausge-
brechen war. In dem gebirgigen und waldreichen Gelände versagten alle Funkver-
bindungen. Die Nachricht, daß der Zeitpunkt für den Kriegsbeginn verschoben sei,
erreichte Herzner nicht mehr ... Auch spätere Befehle, zu einer Zeit, als Herzner
bereits einen Krieg auf eigene Faust mitten im Frieden führte, konnten ihn nicht
erreichen. Von der Division ausgeschickte Melder kamen nie ans Ziel. Sie verirrten
sich in dem unübersichtlichen Gelände oder wurden von polnischen Patrouillen
gefangengenommen. " 132)
Anfangs ging noch alles gut. Die siebzig Männerdes Kommandos 133) gelangten - da
die Polen die über den Paß führende Straße und den Bahntunnel natürlich längst
durch reguläre Truppen besetzt hatten - auf Schleichpfaden über die Grenze an ihre
Zielorte; sie überwältigten die Posten an den Tunneleingängen, nahmen zuerst die
Besatzung des Grenzbahnhofs auf polnischer Seite, Mosty, und wenig später auch _
in der Morgendämmerung des 26. August - die in drei Stein- und Holzbaracken
untergebrachte, unter dem Befehl eines Oberstleutnants stehende Grenzbrigade, an-
nähernd achthundert Mann, gefangen. Die überrumpelung dieser um mehr als das
Zehnfache stärkeren Einheit gelang dank der geschickten Ausnutzung des über-
raschungseffekts, der insofern vollkommen war, als zu dieser Stunde und von dieser
Seite kein Pole mit einem deutschen Angriff gerechnet hatte.
Die Besetzung des Gebirgspasses schien jetzt nicht mehr die geringsten Schwierigkei-
ten zu bereiten. Kritisch wurde die Situation allerdings schon einige Stunden später,
131) Oberleutnant Or. Albrecht Herzner Ist später als Führer des Bataillons
1. Bataillon des Regiments Brandenburg angegliedert war, bekanntgeworden.
.Nachtigall", das dem
132) Werner Brockdorll: .Geheimkommandos des Zweiten Weltkrieges", Verlag Welsermühl München/
Wels, 1967, S. 4211.
, S. 46. 133) Die von L. de Jong angegebene Zahl von 360 Mann, die den Jablunka-PaB am 26. 8. besetzt haben
sollen, trifft - wie auch aus v. Lahousens Kriegstagebuch hervorgeht - nicht zu.
115
als nämlich ein mit Truppen besetzter Zug in den Bahnhof von Mosty einrollte. Nur
dank der vollkommenen Verwirrung, die unter den Polen ausbrach, als sie sich plötz-
lich auf sie gerichteten Maschinengewehren gegenübersahen, gelang es H erzner und
seinen Leuten, auch die Offiziere und Mannschaften des Transportzuges - insgesamt
mehr als 1200 Mann - zur Aufgabe der Waffen zu bewegen.
Die Tragikomik und Sinnlosigkeit der Aktion wurde indessen von Stunde zu Stunde
offenkundiger, als sich nämlich immer klarer erwies, daß einerseits die deutschen
Truppen noch gar nicht zum Angriff angetreten waren und andererseits die ersten
Spähtrupps der starken polnischen Garnison Jablunkau in Mosty und auf den um-
liegenden Hängen auftauchten. (Beide Orte gehörten erst seit dem Oktober 1938
zu Polen.) Nur mühsam gelang es Herzner, nachdem ihn endlich ein Funkspruch
der Division erreicht und über die Lage aufgeklärt hatte, die polnischen Offiziere,
die ihn von der Aussichtslosigkeit seines Unternehmens zu überzeugen suchten,
mit gegenteiligen Mitteilungen hinzuhalten und durch fieberhafte Aktivität seiner
Gruppe, die das Bahngelände in Verteitdigungszustanld setzte, den Eindruck zu
erwecken, als ob er noch an Entsatz glaube und entschlossen sei, die Stellung bis
zum letzten zu halten. Erst in der darauffolgenden Nacht wurde der Rückmarsch
befohlen; das Kommando löste sich in kleine Trupps auf und erreichte wieder die
slowakische Grenze.
Als "Belohnung" erhielt die Mehrzahl der Männer aus H erzners Mannschaft am
10. Oktober einen Einberufungsbefehl zur "Bau-Lehr-Kompanie z, b. V. 800" nach
Brandenburg/ Havel, von wo die Aufstellung und die späteren Einsätze der Division
Brandenburg ihren Ausgang nahmen.
Zu einem zweiten größeren Kommando-Unternehmen des "Industrieschutzes Ober-
schlesien" kam es lediglich - diesmal jedoch erst am Tage des Kriegsbeginns - in
Kattowitz, wo Freischärler unter Leitung des Leutnants Grabert in den frühen Mor-
genstunden den Güterbahnhof im Handstreich in Besitz nahmen und bis zum Ein-
treffen deutscher Truppen hielten. Ebenso konnte von einer - hier mit Fallschirmen
abgesetzten - kleinen Sondereinheit unter Leitung des Leutnants Langer die Spren-
gung der Weichselbrück.e bei Deroblin am 15. September verhindert werden. Ober
beide Einsätze berichtet ~rner Brockdorff ausführLich in seinem Buch "Geheimkom-
mandos des Zweiten Weltkrieges" .134) Eine weitere geplante Aktion - die Sicherung
der Weichselbrück.e bei Dirschau - kam nicht zustande, weil diese Aufgabe vom Heer
übernommen worden war.
Brockdorff erwähnt noch einige kleinere, durchweg vom Reichsgebiet gestartete Ein-
sätze des "Industrieschutzes Oberschlesien", zu denen er anmerkt, daß sie das Ziel
verfolgten, die Sprengung von Brücken, Bahnunterführungen und Elektrizitätswerken
zu verhindern. Diese "schlecht bewaffneten ... Kommandotrupps (in deren Reihen
auch Ostoberschlesier standen) gerietenzusn Teil in sehr schwierige Situationen", aus
denen sie - soweit sie nicht von polnischen Verbänden aufgerieben oder gefangen-
-genommen wurden - von deutschen Truppen befreit werden kopnten.136)
'''') .Industrieschutz Oberschlesien", Seite 31 ff. und .Krieg Im Frieden I Der Jablunka-PaB",
''') ebenda, Seite 32. ~
116
Daß im Zusammenhang mit dieser - in Polen ohnehin noch sehr begrenzten - Tätig-
keit von Kommandotrupps der Wehrmacht von einer wie immer gearteten Aktion
einer volksdeutsdien "Fünften Kolonne" nicht gesprochen werden kann, versteht sich
von selbst, Das wurde nicht zuletzt auch ausdrücklich von einer nach dem Krieg durch
die alliierten Tribunale vorgenommenen ~l'lIderung des Artikel 23 der Haager Land-
kriegsordnung anerkannt. Sidierlidi nicht zum Zwecke einer Rechtfertigung der deut-
schen Kommando-Einheiten und insbesondere der "Division Bmndenburg", dafür
aber zur <Begründung der Einsätze der alliierten "Commands", "Rangers ", "SAS"
und der sowjetischen Geheimformationen - in denen allen auch zahlreiche polnische
Freiwillige 'zu finden waren - heißt es in diesem Artikel: "Der Auftrag der Kom-
mandos darf nicht dahingehen, in fremder Uniform Angriffshandlungen durchzu-
führen, sondern wichtige Objekte wie Brücken, Engpässe, Erdölraffinerien im Rücken
des Gegners durch kampflose Besetzung in die Hand zu nehmen und erst gegen
etwaige Angriffe des Feindes zu verteidigen und vor der Zerstörung zu schützen. Die
Kommandos dürfen sich der feindlichen Uniformen nur zum kampflosen Eindringen
in das feindliche Hinterland und zur Annäherung an die Objekte bedienen. Werden
sie in Kämpfe verwickelt, so haben sie sich vor der eigenen Feuereröffnung als Sol-
daten ihrer Streitkräfte kenntlich zu machen. Kommandos, die nach diesen Grund-
sätzen verfahren, handeln nicht gegen das Völkerrecht." 136)
Auf die meisten der im September 1939 von Deutschland aus organisierten Kom-
mando-Unternehmen im polnischen Hinterland triffi: diese Definition ohne Ei~schrän-
kung zu.
Louis de [ong, der ausdrücklich darauf hinweist, daß die Operationen britischer und
amerikanischer Kommandotruppen "ähnliche Elemente" aufwiesen, wie die "Fünfte
Kolonne" der Deutschen, vertritt die Meinung, daß es "nicht überraschen könne,
wenn Völker, die Opfer eines Angriffes wunden, zwischen innerer und äußerer
Fünfter Kolonne nicht unterschieden und sich nicht um die Frage gekümmert haben,
was völkerrechtlich erlaubt und verboten" sei.1aT)
Der Rechtfertigung des polnischen Vorgehens gegen die Deutschen im Lande kann
indessen ein solches Argument schon deshalb nicht dienen, weil es gerade dort zu den
blutigsten Ausschreitungen gegen die Deutschen kam, wo es gar keine Einsätze wie
immer gearteter Kommandotrupps gegeben hatte und wo die Massenerschießungen
von Männern, Frauen und Kindern jeden Alters eindeutig niedrigen Instinkten ent-
sprangen.
Wie fadenscheinig die Ursachen und wie unglaubwürdig die Begründungen waren,
die man heranzog, um Massenhinrichtungen und Exekueionen Einzelner mit dem
Anschein einer Rechts- oder Strafhandlung zu versehen, mögen zwei Fälle zeigen, die
sich in Posen und Lissa zutrugen und die zu den wenigen Vorkommnissen gehörten,
wo man sich überhaupt die Mühe machte, "Todesurteile" zu begründen.
13') Haager Landkriegsordnung, Artikel 23 (Auszug), hier zitiert nach Brockdorff: Geheimkomman-
Seite 42ft. dos •.• ", S. 21. Vgl. auch: L. Oppenhelm "International Law", London 1952 S. 429.•
''') L. de Jong: "Die deutsche fünfte Kolonne .•• ", S. 230. '
117
BRIEFMARKEN ALS BELASTUNGSMOTIV
Auf dem Turm der evangelischen Kirche in Lissa hatten polnische Soldaten ZWP.l
Maschinengewehre untergebracht, deren Bedienung am Vormittag des 1. September -
sei es, um Wachsamkeit zu beweisen, sei es, um die Waffen zu erproben - plötzlich
zu schießen begannen. Ein polnischer Soldat wurde dabei getroffen und verstarb bald
danach. Unverzüglich wurden darauf aus dem Pfarrhaus und aus den umliegenden
Häusern neun Deutsche herausgeholt, die man am nächsten Tage zum Tode verur-
teilte; lediglich der älteste - der 73jährige Bildhauer und Kirchenvorsteher Albert
Bissing - wurde zu zehn Jahren Gefängnis begnadigt, während man alle anderen
am Sonntagvormittag hinrichtete. Der überlebende erzählt: "Ich wurde am Freitag,
dem 1. September ... mit meiner Frau aus dem Haus geholt, verhaftet und mit ande-
ren Lissaer Deutschen nach Storchnest abgeführt. Im dortigen Schützenhaussaal waren
wir bald neun Deutsche. Von Feuerwehr und Militär wurden wir bewacht und zu
zweien gefesselt. Wir wurden beschuldigt, geschossen zu haben ... " 138) In der näch-
sten Nacht ging es weiter bis Schrimm, wo die Bevölkerung die Verhafteten mit
Schlägen und unter Morddrohungenempfing. Am Nachmittag fand dann in der
Polizeikommandantur eine Art Gerichtsverhandlung statt: "... Am Richtertisch
saßen fünf Offiziere, ein Dolmetscher und ein Soldat, der das Protokoll schrieb. Wir
stellten Antrag auf Zulassung eines Verteidigers. " Es wurde von amtswegen als
Verteidiger ein Referendar aus Schrimm beigegeben, der kein Wort Deutsch konnte.
Es wurde sofort ein Protokoll auf Polnisch vorgelesen ... Der Inhalt war der, daß
wir mit der Zusammensetzung des Gerichts einverstanden seien. Wir unterschrieben
notgedrungen alles. Die Anklageschrift warf uns vor, wir hätten uns zusammenge-
rottet und seien mit Gewehren gegen polnische Soldaten vorgegangen. Das wurde
uns polnisch und deutsch gesagt ... Fleischer Daumer wurde damit belastet, daß er
auf seine Fleischwaren zu Ostern und Weihnachten in deutscher Schrift ,Fröhliche
Ostern' oder ,Frohe Weihnachten' geschrieben habe. Mir wurde vorgeworfen, daß
ich an meinem Hause eine deutsche Inschrift gehabt habe ... Nach Abtritt der Be-
lastungszeugen wurden wir ... einzeln verhört. Jeder sagte aus, er habe nichts Un-
rechtes getan. Keiner von uns ist an dem fraglichen Morgen überhaupt auf der Straße
gewesen ... Keiner von uns hat Gewehre ... Trotzdem soll ein Soldat durch mich
getötet worden sein. Juretzky sollte von der Tür aus geschossen haben ... Lehrer
Jeschke, der im Haus von Bäckermeister Linke wohnt und dessen beide Bäckerge-
sellen sollen aus dem Linkeschen Hause geschossen haben. Dabei ist jesdike an der
rechten Hand verkrüppelt. Zum Schluß hatte jeder noch ein Wort zu sagen. Ich sagte:
Ich sei 72 Jahre alt, seit 50 Jahren frei vom Militär, hätte seit der Zeit keine Waffen
in der Hand gehabt, ich hätte auch gar nicht mehr die Kraft, eine Waffe zu bedienen.
Ich sei unschuldig und bitte um Freispruch. .Das letzte Wort sprechen wir", sagte ein
Richter .. !'
Das letzte Wort bestand in der Verurteilung zum Tode. Am Sonntagvormittag be-
stätigte ein Offizier dieses Urteil; lediglich Bissing sei -so ~eilte er mit - wegen
"") Vgl. auch .Er hilft uns frei aus aller"Not", Luther-Verla9, Posen 1940, Seite 32ff.
118
seine~ hohen Alters "vom kommandierenden General zu zehn Jahren Gefängnis be-
gnadrgt worden, Bereits gegen Mittl3lg wunde das Urteil vollstreckt."
Im an~eren F~.~le.wurde zwei Posener Deutschen - dem 27jährigen Al/red Barnide
und seinem 24Jahrlgen Bruder Kurt - ein noch kürzerer Prozeß gemacht. Bereits am
Vorabend ihrer Erschießung hatten junge Angehörige der LOPP" (Luftsch t _
" I "u zorga
n~satlO~) A [red Bamiele beschuldigt, deutschen Flugzeugen aus seiner Wohnung
Llchtzelche~. gegeben zu haben. Es blieb an diesem Abend bei Drohungen und Schlä-
g~n. A~ nachsten Tage führten dann polnische Soldaten in der Wohnung der Bar-
nicks eine Haussuchung durch. Frau Bamiele gab dazu eine eidesstattliche Erklärune
a~, derzufolge als einzige" verdächtige Gegenstände" eine Briefmarkensammlung und
ein alter Stahlhelm aus dem Ersten Weltkrieg entdeckt wurden: "Da haben wir ja
den Spion!" hieß es jetzt. Die Brüder Bamick wurden daraufhin in einem benach-
b.~rten Hof ~iner schaulustigen Menge als Angehörige der "Fünften Kolonne" vorge-
fuhrt; "zweI Stunden lang mußten sie Schmähungen und Mißhandlungen über sich
er~ehen lassen, woraufhin anwesende Offiziere das Todesurteil aussprachen und die
belden Festgenommenen gegen 13,30 Uhr von vier Unteroffizieren an einer Haus-
wand erschießen ließen. Durch weitere Zeugenaussagen wurde dieser Vorgang be-
stätigt.1SD)
DAS "MERKBLATT" DES MAJORS PRINZ REUSS
Bei den sch?n 1~40auf polnischer Seite einsetzenden Bemühungen, eine enge Zu-
sammenarbeit ZWISchender Wehrmacht und Berliner Stellen einerseits und den Deut-
schen in Polen und ihren Organisationen andererseits während des Septemberfeld-
zu~es na.chzuweisen, taucht immer wieder ein "Merkiblat't" auf, das am 2. September
b~1.den m ~er Nähe von Posen mit ihrem Flugzeug abgeschossenen Luftwaffenange-
hongen Wdhelm Hennings und EmU Umbrost gefunden worden sein soll. Zum
erstenmal wurde dieses Merkblatt in dem vom Informations-Ministerium der polni-
schen Exilregierung in London herausgegebenen Schwarzbuch zitiert.ao)
In diesem vier Schreibmaschinenseiten umfassenden Schriftstück, das als "Geheime
Ko:nman~osache~ gekennzeichnet wird, und für dessen Richtigkeit ein Prinz Reuß,
Major, zeichnet, 'Ist u.a. zu lesen: "1. In Polen leben neben reinen Polen in verschie-
denen Gebieten noch deutsche Mi11lderheiten und andere Volksgruppen mit nichtdeut-
scher Sprache, die aber mit den Deutschen sympathisieren; 2. Die Deutschen und
andere Volksgruppen wollen sich vom polnischen Joch befreien und werden den
Kampf der deutschen Wehrmacht unterstützen; 3. Insbesondere werden die Deutsch-
st~mmi~en, die durch den Versailler Vertra-g von ihrer Heimat losgerissen sind, ge-
wII~t sein, der deutsdien Wehrmacht zum Siege zu verhelfen, um wieder ,in ihre alte
Heimar zurückzukehren. Dies wird voraussichtlidt folgendermaßen geschehen: a) Die
deutsdtstämmigen Reservisten werden versuchen, sich der polnischen Einberufung zu
':,~ T~~. d~S Reichskriminalpolizeiamtes (RKPA) V/1486/5-39 hier zitiert nach DOkumente • S 213ff
deurSch~~"J,nD:~~~e~f~u~c"c~~aitg~~~~;'I, ~~~~n 1~9~~~i::'u~ :,osPieszalSki, .Sprawa· 58000 .Volks~
119
entziehen und zur deutschen Wehrmacht überzutreten. Ebenso werden viele Reser-
visten der anderen Volksgruppen handeln; b) Die inder polnischen Armee aktiv die-
nenden Angehörigen der Minderheiten werden zum großen Teil versuchen, mit ihrer
Ausrüstung und Bewaffnung den Anschluß an die Deutsche Wehrmacht zu gewinnen;
c) Ferner kann es möglich sein, daß die deutschen Minderheiten und andere Volks-
gruppen den Kampf des deutschen Heeres unterstützen durch: Freimachen von Stra-
ßen für den Vormarsch der deutschen Truppen. Verhinderung von Brücken- und
Straßensprengungenciurch die Polen. Kleinkrieg im Rücken des Feindes, wie z. B.der
rückwärtigen polnischen Verbindungen. Diese aktiv kämpfenden Teile der Volks-
deutschen und anderen Gruppen werden unter allen Umständen versuchen, sich den
deutschen Truppen durch Zeigen von Erkennungszeichen und Losungsworten zu er-
kennen zu geben."
Wenn auch die Diktion und die sehr unmilitärische, an Gefühle und Emotionen
appellierende Sprache Zweifel hinsichtlich der Echtheit dieser angeblichen "Gehei-
men Kommandosache" wecken können, so wirft auch die Form des aus vier Schreib-
maschinenseiten bestehenden Merkblattes naheliegende Fragen auf: Warum wurde
ein von seinem Inhalt her doch so wichtiges Dokument nicht in 'Sorgfältigerem Druck
etwa auf einem doppelseitigen Blatt herausgebracht, wenn man es schon überhaupt an
Angehörige der kämpfenden Truppe und gar an Flugzeugbesatzungen verteilte?
Tatsächlich ist dieses "Merkblatt" offenbar an besrimmte Truppenteile ausgegeben
worden, da es sich auch bei den Akten des XIII. Armeekorps befunden hat, doch ist
zu fragen, wie weit es der Wirklichkeit gerecht wurde. Wie weltfern und absurd mutet
doch angesichts der Anfang September hinreichend bekannten Situation des Deutsch-
tums in Polen allgemein und insbesondere seiner zur polnischen Armee eingezogenen
Wehrpflichtigen ein Hinweis an, demzufolge "die aktiv kämpfenden Teile der Volks-
deutschen ... unter allen Umständen versuchen" würden, "sich den deutschen Truppen
durch Zeigen von Erkennungszeichen und Losungswortenzu erkennen zu geben"!
Was es mit solchen Erkennungszeichen und Losungsworten auf sich haben sollte,
erfahren wir aus weiteren Abschnitten des "Merkblatts".
Demzufolge sollten die Erkennungszeichen aus einem "roten Taschentuch mit einem
großen, gelben Kreis in der Mitte, einer hellblauen Atmbinde mit einem gelben
Mittelpunkt, einem sandfarbenem Overall mit gelbem Abzeichen oder Hakenkreuz-
Armbinden" bestehen. Das Kennwort sollte "Echo" heißen - weil dieses Wort in
deutsch, polnisch, ukrainisch, russisch und tschechisch gleich geschrieben und ausge-
sprechen würde. Louis de J ong vervollständigt auf Grund entsprechender polnischer
Unterlagen - unter Angabe der jeweiligen Zitate aus" The German Fifth Column"-
die Liste der angeblichen deutschen Erkennungszeichen, indem er auf "Bänder in
bestimmten Farben", auf ",besonders geformte Knöpfe", auf bestimmte Arten von
"Pullovern" und sonstigen Besonderheiten ,,'des Amugs oder eines Halstuchs" hin-
weist - nicht ohne sich selbst ausdrücklich von derartigen Verdächtigungen abzu-
setzen.Ul)
''') L de Jong: .Dle deutSche fünfte Kofonne .••• , S. 53.
1?n
Daß die Beachtung derartiger "Erkennungs"-Richtlinren durch Deutsche in Polen
glarten Selbstmord bedeutet hätte, versteht sich bei der Lage der Dinge von selbst.
Der Journalist Marian Hepke hat im Zuge einer Befragungsaktion über dieses
Thema sowohl von führenden Männern der Volksgruppe als auch von Historikern
und Militärfachleuten eine übereinstimmende verneinende Antwort hinsichtlich
dieser Erkennungs- und Losungszeichen erhalten. Helmut Kostorz bemerkte in seiner
eidesstattlichen Erklärung u. a.: "Ich verneine die angeblichen Erkennungsrzeichen,
die das Deutschtum in Polen als Helfershelfer der deutsdien Wehrmacht stempeln
wollen, ausdrücklids, Nach meinem Dafürhalten hat .die Wehrmacht es nicht nötig
gehabt, in dieser Weise Angehörige der deutschen Volksgruppe in Gefahr zu brin-
gen." (BA.) Dr. Kohnert schrieb im gleichen Zusammenhang an Eides Statt: "Als
Vorsitzender der .Deutsdien Vereinigung' hätte ich von solchen Bestrebungen Kennt-
nis erhalten müssen, sogar vom Versuch solcher Bestrebungen .,. Ich habe von
Behauptungen dieser Art zum erstenmal in der N achknegszeit aus polnischen Ver-
öffentlichung Kenntnis bekommen." (BA.) Theodor Bierschenk erklärte: "Die im
,Merkblatt' aufgeführten Erkennungszeichen ... sind den aktiven Kräften der Volks-
gruppe unbekannt gewesen ... Vor allem das Tragen von Hakenkreuzarmbinden
hätte einen Selbstmordversuch bedeutet angesichts der Tatsache, daß Guerillakämpfer
doch getarnt aufzutreten haben." Bierschenk stellt ergänzend fest: "Sähe man jedoch
die Angaben über diese Erkennungszeichen als authentisch und wahr an, dann ist der
Umstand, daß sie in keinem der vielen Augenzeugen:berichte über die im Rücken der
polnischen Front aufgetauchten kleinen Angreifergruppen erwähnt werden, ein wei-
terer Beweis dafür, daß die Volksgruppe keinen Kleinkrieg gegen die polnischen
Truppen geführt hat. "lU)
Polnische Zeugen der September-Ereignisse sind in diesem Punkt nun allerdings
anderer Meinung. Sie setzen sich dabei recht großzügig über die Tatsache hinweg,
daß die meisten waffenfähigen deutschen Männer 'in Polen entweder zum polnischen
Heer eingezogen oder - soweit sie sich aktiv in politischen, kulturellen oder wirt-
schaftlichen Organisationen betätigt hatten - spätestens bei Kriegsbeginn interniert
worden waren und sich bereits in den Vel1Schlepptenzügen oder in Gefängnissen
befanden.
Bemerkenswert ist jedoch, daß die im Londoner Sikorski-Institur sorgfähig erarbeitete
mehrbändige Darstellung des Kampfes der polnischen Streiokräfte ,im Zweiten Welt-
krieg nichts von diesen Trupps und Erkennungszeichen weiß und daß sich in den deut-
schen Heeresa:k.ten, soweit sie erhalten sind, auch nichts über die Tätigikeitdieser Truppe
findet, während das "MeIlkJblatt" - wie gesagt - bei den Akten des XIII. AK. liege
"GEHEIMSENDER IN BÄUMEN UND GRÜFTEN"
Der ans Tageslicht gezogenen "Beweise für deutsche Spionage- und Diversantentätig-
keit" gab es - um den ,in England von der polnischen Exilregierung veröffentlichten
''') Th. Bierschenk: .Dle Volksgruppe - eine fünfte Kolonne?", S. 378.
121
Publikationen zu folgen - genug. Kein Erlebnis, kein Verdacht und keine Vermu-
tung wurden ausgelassen, um ein Mosaikbild deutschen Verrats und deutscher
Untaten während der Septembertage 1939 zu zeichnen, das nicht schwärzer und
abgründiger sein konnte.
Das beginnt bei Erklärungen für die schon in den ersten Kriegstagen so erschrek-
kende und unverständliche Luftüberlegenheit der Deutschen. Was anderes konnte
geschehen sein, als daß die Bewohner deutscher Häuser und Bauerngehöfte aufgrund
verabredeter Signale sowohl ihre Dächer als auch die umliegenden Kcker, Höfe und
Wiesen entsprechend präpariert hatten. K:amine waren weiß gestrichen, Strohhaufen
auf bestimmte Weise aufgestellt, das Gras war "planmäßig geschnitten", Hürden
»in besonderer Ordnung aufgestellt" , ja, sogar - einem ausgeklügelten Plan zufolge
- »Figuren in den Boden getrampelt" worden.143)
Bei Nacht ließen die Deutschen Licht in ihren Zimmern und gaben den Flugzeugen
nach einem Signalcode verschiedenfarbige Signale. Schon brennende Kerzen und
Streichhölzer wiesen der deutschen Luftwaffe den Weg. Der Besitzer eines Stein-
metzbetriebes wurde hingerichtet, weil er nicht nur einen Funksender besessen habe,
sondern von seinem Hof aus deutschen Fliegern die Windrichtung angezeigt haben
soll.144) Im Dorfe Iwiny bei Kutno stürzte unmittelbar hinter der Scheune des
Landwirts Sommer/eid ein polnisches Flugzeug ab. Da der Hofbesitzer. der an
diesem Absturz schuld sein mußte, nicht gefunden wurde, erschoß man seine Frau
und seine Tochter. (BA.) Zwischen Posen und Warschau versuchten zwei geflüditete
Deutsche, in einer Hütte ein Mahl zuzubereiten. Eisenbahnbeamte, die sie beobach-
teten und deutsch sprechen hörten, benachrichtigten eine Soldarengruppe. die die
Flüchtlinge festnahm und beschuldigte, sie hätten »mit Rauchsignalen deutschen
Flugzeugen Zeichen gegeben", die daraufhin "litändig einen (in der Nähe gelegenen)
Güterbahnhof angriffen". Nur einem glücklichen Umstand verdankten es die beiden,
daß sie mit dem Lehen davonkamen.145)
Die Politikerirr und Publizistin Wanda Wasilewska schreibt in einem Bericht über
ihre Flucht aus Warsch.au am 5. September 1939 u, a.: »Wir fuhren mit irgendeiner
Kleinbahn ... , wobei wir die Annehmlichkeit hatten, eine dauernde Signalisierung
des fahrenden Zuges durch Lichtzeichenzu beobachten. In den Häusern, an denen
wir vorbeikamen, gingen die Lichter an und aus. Es stellte sich heraus, daß die Ort-
schaften bei Warschau vor dem Kriege von deutscher Bevölkerung besiedelt worden
waren. Ihr Verhalten sah ich nun mit eigenen Augen. In den Fenstern der Häuser
an der Bahnlinie wurde Licht gemacht, obwohl schon damals Verdunkelungspflicht
bestand. Hätte ein Flieger von oben zugeschaut, so hätte er genau erkennen können,
in welcher Richtung und mit welcher Geschwindigkeit der Zug sich bewegte. Er hätte
ihn also bombardieren können, ohne ihn überhaupt zu sehen."147)
In Thorn wurden 34 Menschen erschossen, weil man sie "dabei ertappte, wie sie
''') "The German Fifth Column ... ", S. 103.
"'I ebenda, S. 100. JI
"') ,.Marsch der Deutschen in Polen", Berlln 1940, Seite 65.
14') ist entfallen
"') "Z pola walki" (Vom Kampfplatz), W~rschau, Untergrundpublikation 1941, Seite 189.
122
während eines Angriffs deutscher Bomber mit Spiegeln und weißem Zeug Signale
gaben. "148)
Die Furcht vor Waffenlagern und Geheimsendern nahm panikartige Ausmaße an,
je weiter die deutschen Truppen in Polen vordrangen. Wie sonst waren diese schnel-
len Vorstöße und die Einkesselurig immer neuer polnischer Verbände möglich?! Vor
allem in den größeren Städten mit stärkeren Deutschtumsgruppen - in Posen, Brom-
berg, Thorn, Lodz, Pabianice und anderswo - fanden nachts und am Tage pausenlos
Haussuchungen statt, die zwar selten Ergebnisse erbrachten, die aber immerhin dazu
beitrugen, die Deutschen einzuschüchtern und in ihrer angeblichen Spionagetätigkeit
lahmzulegen. Man entdeckte solche Sender - polnischen Aussagen zufolge, ohne daß
jedoch genauere Angaben über diese "Funde" gemacht wurden -, im Hause eines
evangelischen Pfarrers, inder Gruft eines bekannten Industriellen, in einem hohlen
Baum".149)
Im Bericht des Lodzer Friedhofverwalters AI/red Kretschmer heißt es: "Die Polen
behaupteten, daß wir nicht Leichen, sondern Munition und Waffen (auf dem deutschen
evang, Friedhof in Lodz) begraben. Von meinem Büro, das sich neben der Leichen-
halle befand, behaupteten die Polen, daß dort Doppelwände und dazwischen Mu-
nition und Waffen versteckt wären. Die Polizei konnte aber nichts finden. Man
begann auch, die frischen Gräber aufzugraben Mir selbst gaben sie den Befehl,
keine Leiche mehr zu beerdigen, die nicht von ihnen untersucht sei ... " (BA.)
Ein polnischer Offizier wollte wissen, daß bei Haussuchungen allein im Raume
Pommerellen »fünfzehn Kurzwellensender bei Volksdeutschen entdeckt" worden
seien. ISO) Ein anderer polnischer Leutnant fand einen Kurzwellensender "in einer
Schachtel, die nicht größer als eine Streichholzschachtel war." 151)
Ein polnischer Major, der mit seiner Einheit in Wolhynien lag, registrierte das wohl
abgründigste Beispiel finsteren Treibens der deutschen "Fünften Kolonne" in Polen,
indem er nach Kriegsende bekanntgab. daß ein Leutnant Kawalski in einer deut-
schen Siedlung Ostpolens "Opfer eines Senfgasanschlags" geworden sei.152) Wörtlich:
"Er wusch sich mit Wasser, das ihm die Hausfrau in einer Schüssel brachte, und
alsbald begann sein Gesicht schrecklich anzuschwellen. Er wurde sofort nach Luck
ins Krankenhaus gebracht, wo man feststellte, daß seine Verbrennungen von Senfgas
wenn auch glücklicherweise in verdünnter Form, herrührten. "153)Aus diesem Beispiel,
das selbst de lang als höchst fragwürdig registriert, folgern die Herausgeber der
zitierten polnischen Publikation verallgemeinernd: "überall, wo Deutsche lebten,
feuerten (die Volksdeutschen) nachts auf polnische Soldaten, steckten di-e Gebäude in
Brand, in denen Truppen untergebracht waren, ... lockten sie polnische Truppen in
Hinterhalte und mischten häufig Senfgas in Wasser, das sie als Waschwasser an-
boten." 153)
,••) • The German Fifth Column ... ", S. 120.
14'1 ebenda, S. 101.
150) "The German Fifth Column .•• ", Seite 101.
'51) ebenda, Seite 113.
"') .The German Fifth Column ... ", Seite 117.
153) ebenda, Seite 48.
123
Es ist in diesem Zusammenhang 'aI1IZUII1lerken, daß es lediglich einmal im Verlaufe damals eben aufgetaucht sind. Glatter Unsinn. Ein Mann, der mit unseren weiten
des September-Feldzuges in Polen Tote und Verletzte durch Giftgas gegeben hat; WäLdern und mit der Landschaft dort verbunden war wie wir selber, nichts sonst.
die Opfer waren jedoch nicht Polen, sondern die Angehörigen einer deutschen Ge- Ich habe nie wieder etwas von ihm gesehen oder gehört, kein Hahn kräht ihm nach,
birgspioniereinheit, die am 8. September abends heim Wegräumen einer Brücken- ihm und denzahllOisen anderen, die als Nichtpolenunserem Lande gedient, die
sperre am Ostrand von Jaslo/Galizien auf eine Mine getreten waren. Die genauere mitten unter uns gelebt haben und deren Spuren sich jetzt irgendwo in den
Untersuchung dieser Sprengmine, deren Explosion vier Tote und eine größere An- Wäldern und Sümpfen verlieren '" - Orlowski lächelt spöttisch: ,sie mit Ihrem
zahl von Verletzten gefordert hatte, ergab, daß die Mine mit Lost-Gelbkreuzgas Gerechtigkeitssinn, mit Ihrer 'unerwiderten Liebe zu den Deutschen!' - Ich bin weder
gefüllt war. (Erst am 23. September ist dann ein größeres Lager von Gasminen, die ein Gerechtigikeitsfanatiker, noch liebe idl ,die' Deutschen. Ich ha-be sie erlebt in ihrer
jedoch nicht zum Einsatz 'gekommen waren, in einem Munitionslager bei Gdingen Oberlegenheitund Sattheit, ich ha'be sie in nackter Not und Verzweiflung gesehen _
entdeckt worden.) 1M) ich weiß als einziges nur gen au, daß die über sie beiuns verbreiteten Legenden und
Eine Är:ztekotntnissionund eine ausländische Berichterseattergruppe, die am 20. Sep- Klischeebilder nicht stimmen. - ,Meinen Sie aber nicht', frage ich Orlowski, ,daß
rember von Berlin nach Jaslo gereist war und die Vorgänge an Ort und Stelle Sie die Geduld aufbringen könnten, die Gefühle und Erlebnisse Ihrer Mitmenschen
untersucht hatte, bestätigte diesen Sachverhalt ausdrücklich. Der Schweizer Professor etwas behutsamer zu qualifizieren?' - ,Helfen Sie mir dabei!' schlägt er versöhnlich
Staehlin aus Basel, der die Arztgruppe leitete, unterzeichnete einen entsprechenden vor. "157)
Bericht, den aruchdie nach jaslo gereisten Korrespondenten der "Chikago Daily News" Die hier mit wenigen Sätzen umrissene Tragödie zweier Völker, die nicht zuletzt auf
(Deuel), der Associated-Press-Agentur (Shanke) und der "Baseier Nationalzeitung" ihrer engen, vielleicht zu engen Nachbarschaft beruhte - unzählige haben sie bereits
(Lescrenier) an ihre Redaktionen w-eitergahen.155) eindringlich !n den SeptemJberwochen 1939 an den Straßen des Knieges und der
Die von der polnischen Exilregierung gesammelten und herausgegebenen Aussagen Verfolgungen empfunden und danach :gehandelt.
kommeneiert Louis de Jongabschließend mit den Sätzen: "Es fehlen Beweise dafür,
daß diese von den Polen gemachten Beobachtungen vatsächlich auf die Aktionen von
Volksdeutschen zurückgehen, die auf irgendeine Weise mit deutschen militärischen
Operationen Verbindung hatten. Vergeblich sucht man Beweise dieser Art in dem
Buch ,The German Fifbh Column ,in Poland' '" Ober den historischen Quellenwert
dieser Veröffentlichungen kann man streiten ... Es ist bemerkenswert, daß bei vielen
der berichteten Beobachtungen keine bewiesene oder auch nur deutlich sichtbare
Verbindung mit den deutschen militärischen Operationen besteht."158)
Es bedurfte wahrscheinlich eines .Nbstanides von Jahrzehnten zu den Ereignissen des
Septembers 1939, um exilpolnische Kreise zu Erkenntnissen und Ansichten gelangen
zu lassen, wie sie im Westen lebende polnische Autoren und Publizisten -im Rück-
blick auf die Kriegsjahre heute vertreten. So charakterisiert ein ehemaliger polnischer
Widerstandskämpfer, Starost von Pinsk und Luniniec, Raman Orwid-Bulicz, im
Gespräch mit einem anderen polnischen Aristokraten die Zeit seines Zusammenlebens
und seiner Erfahrungen mit den Deutschen in einem in deutscher Übersetzung vor-
liegenden Buche wie folgt:
" ... Sehen Sie, ich muß viel und immer wieder an mein-en oberschlesischen Förster
in Zaberezie denken. Ein Mann, der als Volksdeutscher ehrlich seine Pflicht getan
hat, so lange idl ,ihn kenne und von dem ich bis heute nicht weiß, was ihn nach
Polesien getrieben und dort bis zuletzt gehalten hat. Einmal warnte mich jemand -
es war kurz vor Kriegsbeginne es hieß, daß dieser Oberschlesier einen bestimmten
Auftrag ausführte, daß er 'spionierte und mich bespitzelte - wie so viele Märchen
_._----
'54) DOkumente polnischer Grausamkeit ..• ", Seite 413.
155) ebenda, Seite 415.
"') Louis de Jong: .Die deutsche fQnfte ,t<0ionne ••.• , S. 154.
"') Roman Orwid-Bullcz: .Der Preis des Sieges", Horizont-Verlag. Bonn 1967, S. 52.

124 125
 •
Menschlichkeit an den Straßen des Krieges
In der langen Reihe der Bücher und Schriften aller Art, die in den Nachkriegsjahrcn
eine Bilanz der deutsch-polnischen Beziehungen - und nicht zuletzt auch eine Bilanz
des September 1939 - zu ziehen suchten, zeichnet sich in jüngster Zeit ein verstärk-
tes Bemühen ab, diese B,eziehungen nicht mehr vorrangig unter den Aspekten der
gegenseitigen Schuld, sondern der Vernunft und einer möglichen überwindung der
Gegensätze zu sehen. Allen ideologischen Gegensätzen und aller vordergründigen
Propaganda zum Trotz erweist sich das Verlangen der Menschen im Zeichen einer
rasanten redmischen Entwicklung als immer stärker, überholte wirtschafHiche und
politische Vorstellungen,damit zugleich aber auch nationale Egoismen und Trenn-
schranken abzubauen und nach Wegen eines neuen Miteinander zu suchen.
Dieses Verlangen und Mühen aber wird nicht erst seit gestern sichtbar und spürbar.
Es wurde selbst ,in den Jahren des Krieges in einer Vielzahl leiser, mahnender
Stimmen und schlichter Beweise der Menschlichkeit für alle, die sich noch ein Gefühl
ihrer Verpflichtung gegenüber den Mitmenschen und Nachbarn bewahrt hatten,
deutlich.
Schon in vielen Berichten und Zeugnissen des Geschehens jener Tage stoßen wir
immer wieder auf Hinweise mutigen, phrasenlosen Einstehens füreinander, auf die
Schilderung von Erlebnissen und Begegnungen, die hoffen machten - auch wenn sie
in einem Koordinatensystem glücklicher Fügungen in den Wirrnissen des Krieges
die Erkennmiseines Besseren oft mehr zufällig als vorausberechneterscheinen ließen.
Es ist bereits in der Einführung zu diesem Buche auf eine Reihe literarischer Werke
_ auf Erzählungen, Romane und Prosa-Anthologien - hingewiesen worden, die das
Thema der deutsch-polnischen Beziehungen unter positiven, zukunftweisenden Aspek-
ten behandeln. Die aus dem Abstand zu den Ereignissen und zu den persönlichen
Erlebnissen der Kriegsjahre gewachsene Binsicht und Selbstüberwindung haben
deutsche und polnische Autoren bewogen, in dichterischen Zeugnissen "nach tieferen
Wahrheiten und Wirklichkeiten Ausschau zu halten, als sie in dem lauten Getöse
58
vielfältigen Kampflärms gefunden und gedeutet werden konnten".1 )
Von nicht geringerer Bedeutung aber erscheinen uns die - sei es in Tagebuchform,
sei es in kurzen Berichten verschiedenster Art - niedergelegten persönlichen Auf-
zeichnungen jener, die inmitten des Infernos der Vernichtung und der Leidenschaften
ihr Menschsein bewahrten und die ihre Augen auch vor der Menschlichkeit anderer
nicht verschlossen.
Diese Bekundungen einer in den Jahren Friedlicher Nachbarschaft und gemeinsamen
Aufbaues selbstverständlich gewesene Haltung nehmen ,in den uns vorliegenden Be-
richten manchmal oft nur wenige Zeilen ein; hier und da besrehen.sie aus einem nur
eben hingeworfenen, lakonischen Satz. Wie schwer aber wiegen doch Mitteilungen
wie diese: "Unsere Beg1eitpolizisten benahmen sich sehr anständig, man könnte fast
sagen, daß ihnen dieser Dienst unangenehm und peinlich war ... "159) oder: "Ein
158) Erwin Wronka im Geleitwort zur Prosa-Anthologie "Sehnsucht nach Europa" , Rautenberg-Verlag,
Leer 1962. S. 5.
m) Aus dem Bericht von S. Müller/Lem,perg, BA.
Stabsarzt setzte 'Sich für "n"
••u~ ein,
. diie H'mncntung
1 .i wur d e d araufhin nicht vorge-
nommen. "160)
D~e ih~en deutschen Nachbarn, Bekannten und Freunden von Polen erwiesenen
HIlfeleIStungen. seozt~n keine~wegs erst in den Tagen der Verfolgungen und Ver-
sdileppungen em, Nicht wenige auf den Internierungslistenerfaßte Deutsche ver-
dank~n es Warnungen von Behördenangestellten und Polizisten, daß sie rechtzeitig
von Ihrer bevorstehenden Festnahme erfuhren und auf diese Weise "untertauchen"
und - z. T. wiederum mit polnischer Hilfe - über die Grenze gehen konnten.
L~d~ig Rother (früher Konstantynow bei Lodz), der zwar selbst im August 1939
fbei . einem solchen Versuch in der Nähe von Rawitsch gefaßt ' dann a be r WIe. d er
rm.g:lassen wor~en war, teilt mit, daß er sogar von einem polnischen Geheim-
pohzI~ten .auf seine bevorstehende Verhaftung hingewiesen wurde. Dieser Polizist,
der..' mit seinem Vater befreundet war, wußte es zu verhindern ,amile
daß Rothers F '1'
spa.ter Repressalien ausgesetzt wurde, ·a1ssich die Fludit Ludwig Rothers in dem
kleinen Ort herumsprach.w-)
Z~hlreich,e deutsche Familien in allen Teilen des Landes - vor allem Frauen und
K~nder.- fanden be! polnis~en Nachbarn Rat und Hilfe, als die Verhaftungswelle
~t ~negsa~~bl'uch [hre~ Hohepunkt erreichte. Daß es sicher nicht immer uneigen-
nutzige Motive waren, die dazu führten, daß in Kellern, in verbarrikadierten Woh-
nungen - hier und da auch in abgelegenen Waldverstecken - Deutsche von Polen
beschützt, ver~~egt, manchmal sogar mit Stöcken und Waffen gegenüber plündernden
Banden verteidigt wurden, daß man Deutsdie als Geiseln festhielt oder sich in Vor-
ahnung des nahenden Z~sammenbruchs Polens vorsorglich für sie einsetzte/62) sei
a~ Rand~ bemerkt. Motive solcher 'und ähnlicher Art hat es zu 'allen Zeiten und in
vielen Kriegen gegeben; sie lassen sich gewiß auch für das Verhalten von Deutschen
in Polen in den Jahren 1944/45 annehmen ...
Das E~pfin~en u?d die Haltung vieler Polen in den ersten Septembertagen gehen
auch Situationsskizzen wieder, &e Bromberger deutsche Bürger aus den ersten
Septembert3'~en aufzeichneten. Darin wird geschildert, wie polnische Familien, und
zwar "ZU~e'lst Angehörige gutbürgerlicher Kreise" in Vorahnung des künftigen Ge-
s~e~ens m d.en Wohnungen und Häusern deutscher Nachbarn Schutz suchten, weil
SIe SIch vor Ihrer eigenen Miliz nicht sicher fühlten.163) Während diese Polen bei
Haussuchungen und Verhaftungsakeionen für die Deutschen eintraten, haben umge-
kehrt später - nach dem Einmarsch der deutschen Truppen - die Bromber:ger Deut-
schen für diese ihre polnischen Nachharngutsa:gen und sie vor Nachstellungen des
SD schützen können.
~n .den meisten deutschen un.d ~lnischen Häusern von Bromberg sah es allerdings
m Jenen Tag.en anders aus: m ihnen herrschte Mißtrauen, Unsicherheit und Angst.
So wartete die Frau des Journalisten Marian Hepke am Sonntag, dem 3. September,
160) Aus dem Bericht von Pastor Leszczynski/Kosten/BA.
':.1) ~e~°chlhter: ,,1 6septeHmbchertage1939", Ms. im Archiv
von Emmy eu ert (fr. Bromberg) BA
des Ostdeutschen Kulturrats
'
Bonn
.
I
'63) "Ich hatte vierzig Polen zu Gast" in "Broll'iberg/1939-1964", 15. Folge. Münster 1964, S. 16.
127
vergeblich auf die Rückkehr ihres Mannes, dem befohlen worden war, sich täglich
bei der Polizei zu melden. Frau Hepke wußte ledigliich aus einer Mitteilung eines
Bekannten _ des Obersten Sacher -, daß ihr Mann off·enbar verhaftet worden war.
Sie suchte daraufhin einen anderen polnischen Bekannten, den früheren Hauptmann
Andrzej Kulwiec auf.l64) Ihn bat sie um Rat und Hilfe. Kulwiec versprach Marian
Hepke zu suchen. Hepke selbst berichtet:
»H;liuptmann Kulwieczog an diesem 3. September zum letztenmal seine Unifo~m
an, er legte seine Orden an und machte sich auf den Weg. TatsächEch tau~te er.lm
Regierungsgebäude auf ... Ich sah ihn plötzlich an der geöffneten Tür meines Zl~-
mers. Wir blickten uns an, einen AugenbLick nur - ich W'Ußte: fürs erste war Ich
gerettet. Ohne seine Miene zu verändern, trat der Offizier an den Posten heran,
der vor der Tür stand und sagte auf polnisch: ,Der Mann muß zum Verhör!' Der
Posten rief nach einer Begleitung für den Hauptmann. Kulwiec winkte ab, indem er
seine Pistole aus dem Futteral herausholte und verächtlich sagte: ,Z tym smarkaczem
juz darn sobie radel' (Mit diesem Rotzer werde ich schon selbst fercig!) Dann befahl
er mir ,Marsch!' Wir glingen den langen Korridor entlang, bogen in das Treppenhaus
ein, er steckte die Pistole weg, drückte verstohlen meine Hand und flüsterte .Spo-
kojnie, spokojnie!' (Ruhig, ruhig!) ... Am Ausgang standen Soldaten und Zivilisten.
Angesichts 'dieser Leute wandte sich der Hauptmann in strengem Ton an mich und
sagte: ,Jetzt sehen Sie zu, daß Sie sich nicht wieder verdächtig machen!' Er führte
mich dann noch einige Schritte weiter, sagte halblaut, er werde nochmals in die
Kommandantur zurückgehen, um sich nicht selbst verdächtig zu machen - nachts
sollte ich dann in sein Haus kommen. Damit trennten wir uns. "165)
Wo immer Deutsche mit älteren Polen zusammenkamen, deren Blick nicht durch Haß
und Leidenschaften getrübt war und die sich in 'ihrem Verhalten durch die Erfahrun-
gen eines jahrzehntelangen friedlichen Zusammenlebens leiten ließen, versuchten sie
sowohl in den Monaten der zunehmenden Spannungen als auch ,in den Kriegsjahren.
einander - so gut sie konnten - das Leben zu erleichtern. Stellvertretend für eine
ganze Reihe solcher Begegnungen, ülber die uns Berichte vorliegen, sei hier nur noch
ein Gespräch wiedergegeben, das ein anderer Journalist, Karl-Heinz Fenske, der
bereits im Frühjahr 1939 verhaftet worden war, 'm Thorner UntersuchU41gsg,efä'11lgnis
führte.
»Der Gefängnis'direktor war ein weißhaariger, würdiger Mann in dunkelgrüner Uni-
form mlit goldenen Knöpfen. Er nahm seine Brille ab und musterte mich von oben
bis unten. Offenbar war ihm das in seiner ganzen, langen Praxis noch nicht wider-
fahren ... ,Wie kommen Sie denn eigentlich hierher?', wollte er wissen. Ich erzählte
es ihm, Dann erkundigte er sich nach Daten aus meinem Leben. Ich na~te sie ihm,
und dabei kam heraus, daß ich den kleinen Ort im öseliehen Polen gut kannte, in
dem er zur Schule gegangen war, als dort noch der Zar gebot. Wir haben uns dann
sehr tange unterhalten, und fast Vlergaß ich dabei, daß ich in einem Gefängnis war.
"4) Hauptmann I. R. Andrzej Kulwiec war Historiker und Dozent an der Bromberger
"5) ebenda, S. 53. ••
.#
128
Als ich ging, drückte er mir die Hand: ,Ich wünsche Ihnen alles Gute', sagte er, ,Sie
haben selbstverständlich alle Rechte eines Untersuchungsgefangenen. Sie können eine
Zeitung abonnieren, sich Essen kommen lassen, schreiben und Post empfangen und
zehn Zigaretten täglich rauchen.' Dann schwieg er einen Augenblick, sah mir nach-
denklich ins Gesicht und meinte: ,Wissen Sie, nehmen Sie das alles nicht tragisch. Ihr
Leben fängt erst an, meines nähert sich dem Ende. Lassen Sie sich von einem alten
Mann beruhigen: die Wege der Menschen sind seltsam. Das ganze Leben ist wie ein
Glücksrad. Mal ist man oben, mal ist man unten. Sie sind jetzt unten, während ich
oben bin. Aber vergessen Sie nicht: das alles ist nicht viel mehr als ein Zufall. Ich
bin schon oft ganz unten gewesen. Aber das hat sich dann schnell geändert. Auch
Ihnen wird es nicht anders ergehen ... " 166)
Dieser Wor"e erinnerte sich Karl-Heinz Fenske später auf dem Wege nach Bereza
Kartuska noch oft dankbar, obwohl der polnische Gefängnisbeamte letzten Endes nur
wenig an seiner Lage hat ändern und seinen Weitertransport nach Ostpolen auch
nicht verhindern können.
Ungleich mehr riskierten an den Verschleppungsstraßen und überall in den Orten, in
denen fanatisierte Gruppen eine regelrechte Jagd auf Deutsche veranstalteten, die-
jenigen Polen, die ihren pauschal zu Spionen und Diversanten erklärten Nachbarn
Unterschlupf gewährten und sie nicht selten unter Lebensgefahr bis zum Eintreffen
der deutschen Truppen versteckten und verteidigten. Gymnasialdirektor Dr. Rudolf
(früher Thorn) berichtet über eine solche Tat des Kaufmanns Adamski in Schulitz:
"Ich eilte damals (am 2. September 1939) ... zu unserem polnischen Nachbarn, dem
Holzkaufmann Adamski und erwirkte seine Einwilligung, uns aufzunehmen. Dann
lief ich zurück, um unsere Kinder zu holen. Adamski nahm mir die Kleine aus den
Armen und ließ uns alle in seinen großen, geräumigen Keller, der als Luftschutzraum
eingerichtet war und bereits zahlreiche Verwandte Adamskis aus der Mrotschener
Gegend beherbergte. Wir hatten uns kaum etwas eingerichtet, als unser Nachbar
kreidebleich inden Keller kam und mich nach oben holte. Dort erklärte er mir mit
zitternder Stimme, daß kurz nachdem wir den Garten verlassen hatten, ,Peowiaks'--
d. h. vormilitärisch ausgebildete Jugendliche - auf unser Gehöft gestürmt seien
und uns gesucht hätten. Auch bei ihm hätten sie nach unserem Verbleib gefragt.
Wir hätten in unserem Hause einen Kurzwellensender, mit dem wir den Deut-
schen geheime Nachrichten gäben, und Maschinengewehre versteckt. Darauf habe
er gelogen und gesagt, wir wären nach Thorn geflüchtet. Adamski hat durch diese
Tat ... zumindest uns Männern das Leben gerettet." 167)
Hier war es ein Kaufmann, dort ein Arzt, anderswo ein Offizier, der für Deutsche
eintrat oder gutsagte und ihnen damit das Leben rettete. Pfarrer Rauhut, Seelsorger
der kleinen deutschen Katholiken-Gemeinde in Gnesen und Direktor des Gnesener
Deutschen Privatgymnasiums, der am 1. September verhaftet worden war und nach
Koss6w in Polesien abtransportiert werden sollte, verdankte es dem Einsatz polni-
"') Karl-Heinz Fenske: .Von Bromberg bis Brest-Lltowsk", unveröffentI. Manuskript aus dem Archiv des
Kriegsschule. Ostdeutschen Kulturrats. Bonn.
"') Hier zitiert nach .Weichselland"/Heft 2/3, 1941, S. 56 f .
129
scher Geistlicher, daß er mit dem Leben davonkam. Nachdem er während eines tage-
langen Fußmarsches zusammen mit einer 42köpfigen Gruppe von Deutschen mehrfach
von bewaffneten Zivilisten mit dem Tode bedroht worden war, erinnerte er sich bei
einem erneuten Verhör, daß ihm von seiner geistlichen Behörde ein Empfehlungs-
schreiben für den Bischof in Pinsk übergeben worden war. Dieses Schreiben bedeutete
seine Rettung. In Begleitung eines Ortspfarrers wurde er zurück nach Gnesen über-
führt und hier vom Bürgerkomitee im Spital der "grauen Schwestern" untergebracht,
wo er bis zum Einrücken der Wehrmacht am 11. September verblieb.168)
Auch der Lehrer Karl Grams führt den Umstand, daß er selbst ebenso wie andere
Deutsche aus seinem Wohnort Sompolno (Mittelpolen) nicht verschleppt wurde und
sie "im großen ganzen unbehelligt blieben", vor allem auf die Haltung eines katho-
lischen Geistlichen und einiger besonnener Bürger des Städtchens zurück. Grams
bemerkt: "Für diesen katholischen Pfarrer sind wir wiederum eingetreten, als später
die Gestapo polnisch-katholische Seelsorger abholte und ins KZ einlieferte." (BA.)
Auch unter den Begleitmannschaften, die den Verschleppungszügen beigegeben waren,
zeichneten sich nicht selten Zivilisten, Polizeibeamte und Soldaten durch ihr Bemühen
aus, Ausschreitungen und Überfälle auf die Gefangenenkolonnen zu verhindern. über
derartige Fälle berichtet Erich Nebring, früher Posen: "Hinter Kostschin, wo von
der ostwärts führenden Straße die Chaussee nach Gnesen abzweigt, wurde Rast ge-
macht. Wir saßen und lagen im Chausseegraben und berieten. In den nächsten Ort-
schaften wußte man um unser Kommen. Man hatte, bis wir dort waren, von den
Szenen in Kostschin gehört. (In Kostschin war es am Sonntag, dem 3. September, zu
schweren Ausschreitungen gegenüber den aus Posen Verschleppten gekommen.) Die
Erregung konnte sich steigern. " Zwei von uns begaben sich daraufhin zum Kom-
mandeur des Transports, einem Mann in mittleren Jahren in Polizeiuniform. Er
hörte sich an, wie um Schutz für Leben und Sicherheit gebeten wurde. Seine Erwide-
rung war, wir seien nicht berechtigt, ,Bequemlichkeiten' zu verlangen ... Unsere
Unterhändler kehrten zurück. Ihre Worte müssen aber doch etwas ausgerichtet haben.
In den nächsten Ortschaften ging es nicht so schlimm her ... Die Begleitmannschaft
stieg von den Wagen herunter, auf denen sie während des Marschierens meist saß,
und ging zur Seite unseres langen Zuges, die Menge zurückhaltend und beruhigend. .
Besonders ein Polizeibeamter, der eine Baskenmütze trug und auf einem Fahrrad
saß, das Gewehr über die Schulter, hielt, hin und her fahrend, Umschau und bemühte
sich, Angriffen aus der Menge vorzubeugen. Auch ein jüngerer Mensch unter-
schied sich von den anderen durch seine Haltung, er gab auf die Menge acht " 169)
In vielen Schilderungen über das Schicksal deutscher Soldaten in den Reihen der
polnischen Armee - und zwar sowohl in dem von Kurt Lück bereits 1,940 her-
ausgegebenen Sammelband mit "Tatsachenberichten von der anderen Front" 170)als
auch in noch unveröffentlichten eidesstattlichen Aussagen und Berichten - finden wir
"') Vgl. .Dokumente •.. " (eidesstattI. Aussage des Pfarrers August Rauhut v. 21. 9. 1939), S. 247fl.
16') .Der Verschleppungsmarsch der Posener" In .Posaner Evangelisches Kirchenblatt" , November 1939,
S. 17.
17') • Volksdeutsche Solc'aten unter Pole." Fahnen", Verleg Grenze und Ausland, Berlln 1940, S. 16.
.I
130
~~er wie~er Hinweise auch auf korrektes, in manchen Fällen aufopferndes Ver-
na1t~n polm~cher Soldaten und Unteroffiziere gegenüber deutschen Waffengefährten.
In nicht wenigen Fällen haben sich polnische Soldaten und Offiziere geweigert, Deut-
s~e zu erschießen, in anderen Fällen haben Exekutionskommandos Deutsche abge-
führt und laufen lassen. So schildert z. B. Eduard Kunitz, Stellmacher und Landwirt
in Wonorze (Ostburg), wie polnische Artilleristen die deutschen Zivilisten an ihrer
Rückzugsstraße vor nachrückender Infanterie warnten, "die alle Deutschen erschießen
würden". Während ein Teil der Männer aus Wonorze, die sich nicht rechtzeitig hatten
zur Flucht entschließen können, dann auch ermordet worden ist, wurde Kunitz nur
;rerletzt; eine polnische Patrouille griff ihn Tage danach abermals auf, verpflegte
Ihn und versteckte ihn in einem Wäldchen.l7l)
Daß es umgekehrt besonders in den letzten Kriegstagen zahlreiche polnische Soldaten
und auch geschlossene Einheiten dem Einsatz und der Initiative deutscher Offiziere
und Mannschaften in ihren Reihen zu verdanken hatten, wenn in aussichtslosen
Situationen die Waffen niedergelegt und rechtzeitig Kapitula~ionsverhandlungen auf-
genommen :vurde~, sei h~er nur am Rande erwähnt. (Unteroffizier Georg Ludwig
aus Kattewitz schilderz einen solchen Vorgang im Raume Osiek; 172) Oberleutnant
Meyer aus Posen berichtet über die Verhinderung der Erschießung Gefangener aus
den Reihen der deutschen Wehrmacht.)173)
Auf einem besonderen Blatt stehen die Hilfeleistungen, die deutschen Zivilinternier-
ten, aber ~uch de~tschen Sold~ten und nicht zuletzt Flüchtlingen von Angehörigen
anderer Mmderheltengruppen rn Polen - Ukrainern, Weißrussen, Juden und Litau-
ern - erwiesen wurden. Insbesondere von den nach Bereza Kartuska und nach Brest-
Li~owsk z. T. schon vor Kriegsbeginn abtransportierten Deutschen, aber auch von
Teilnehmern an den Verschleppungsmärschen, die irgendwo in Mittel- und Ostpolen
durch Wälder und Niemandsland irrten, liegen Aufzeichnungen vor, die den düsteren
Hintergrund der September-Ereignisse 1939 durch freundliche Schlaglichter erhellen.
Kurz und oft lakonisch, aber doch überaus vielsagend sind Mitteilungen und Hin-
weise wie diese: "Die weißrussische Landbevölkerung nahm sich der Häftlinge mit
gr~ßer Freundlichkeit an und versorgte sie im Rahmen ihrer bescheidenen Möglich-
keiten." (BA.) 174)- "Drei Tage waren wir zu Fuß unterwegs nach Hause, die ukraini-
schen Bauern verpflegten uns." (BA.)176) - "Lediglich der Tatsache, daß dann die weiß-
russischen Bewoh~er von Bereza die Lagertore und Kasernentüren sofort sprengten, ist
zu danken, daß nicht noch mehr Inhaftierte an Entkräftung umkamen." (BA.) 178)
Im Saal V des großen Internierungslagers Bereza Kartuska, in dem Deutsche und
Ukrainer, aber auch Juden und Polen das gleiche Schicksal teilten, halfen viele Ge-
fangene einander ohne Rücksicht auf ihre Volkszugehörigkeit, halfen vor allem
Jüngere den Älteren, so gut sie konnten. Hugo Peter (früher Bialystok) erzähle.
111) .Dokumente .•. ", S. 202-203.
172) Aus "Volksdeutsche unter Polens Fahnen" Berlln 1940 S 64-65
173) ebenda, S. 100. '" •
" ) Aus einem Bericht von Bernd von Saenger.
175) Bericht von A. Mühlbrandt.
176) Bericht von H. Peter .
131
 Abend versank in der Dunkelheit. Wind kam auf, und man hörte sie flüstern, denn
»Einige Tage nach unserer Einlieferung wurde uns ein junger Pole aus Radom zuge-
es war sonst gal!llZstill •.. Die Gefangenen hatten aufgehört zu singen. Der Sprecher
wiesen. Er sei nur deshalb interniert worden, hieß es, weil sein Bruder in Deutsch-
legte die Hand auf die Schulter des anderen: ,Ihr braucht nicht zu glauben, daß wir
land in einer Waffenfabrik arbeitete .•. An mich wandte sich in einer Nacht Malik
so arm sind, heimatlose, vertriebene, geschändete Narren. Nichts, was ihnen' - er
plötzlich mit 'der Eröffnung, daß er von den Behörden als Spion eingesetzt war; ich
wies hinüber - ,nicht auch geschah. Und da wir wissen, daß auch sie Lieder singen,
möchte von Mund zu Mund eine Warnung ergehen lassen, daß jeder, der über Politik
können wir trotz der Dunkelheit zwischen ihnen und uns lächeln. Denn vor jedem
oder Kriegsereignisse sprechen würde, gemeldet und bestraft werden müßte. Malik
Neuen, vor jeder Helligkeit liegt das Dunkel'."
wurde mir zum guten Freund ... Während der täglichen Übungen auf dem Kasernen-
hof benahm er sich als einer der Hilfsaufseher so zurückhaltend wie er konnte.
Das "Dunkel" in den deutsch-polnischen Beziehungen haben die Angehörigen beider
Damit er aber wegen ,zu rücksichtsvollen Benehmens' nicht abgelöst würde, mun-
Völker in einem kaum mehr überbietbaren Ausmaß erlebt. Daß es jedoch nicht
terten wir selbst ihn oft auf, uns hart anzugehen und zu schlagen, wenn einer der
wenige Ansätze zu einer neuen und besseren NachJbarschaft gerade auch zwischen
Peiniger in der Nähe bemerkt wurde." (BA.)
ihnen gibt, und wo diese Ansätze zu suchen sind, das zeigen die Erlebnisse sch1ichter
In einer deutschen Siedlung Wolhyniens, in der bereits alle erwachsenen Männer
Menschlichkeit an den Straßen des Krieges eindringlich genug.
verhaftet und abtransportiert worden waren, erschienen eines Morgens ein Pole
und ein Jude; sie warnten die zurückgebliebenen Frauen, indem sie ihnen er-
zählten, daß die Absicht bestehe, auch ihre halbwüchsigen Kinder zu verschleppen,
die Autos stünden im Orte Olyka für deren Abtransport bereits bereit. Als sich die
Frauen daraufhin an den Gutsbesitzer Fürst Radziwill wandten, intervenierte dieser
sofort bei den Behörden. »... Das Ergebnis: die Kinder wurden nicht fortgeschaffi.
Sie mußten nur einen Tag lang Luftschutzgräben aufwerfen. Am Abend wurden sie
wieder nach Hause geschickt." (BA.)
Diese wenigen Notizen, Auszüge aus Berichten und Tagebuchblättern, aus Gerichts-
protokollen und eidesstattlichen Erklärungen stehen für viele. Ihr Sinn kann ganz
gewiß nicht darin liegen, vergessen zu machen, was Deutsche den Polen und Polen
den Deutschen in den Septembertagen 1939 - und auch davor und danach -angetan
haben und was noch heute wie ein schwerer Traum das beiderseitige Verhältnis be-
lastet. Nur die Wahrheit könne helfen, einen neuen Anfang in den beiderseitigen
Beziehungen zu setzen, hat einmal ein polnischer Publizist erklärt. Zu diesem Wort
haben sich inzwischen viele - Wissenschaftler und Schriftsteller, Politiker und Jour-
nalisten - auf beiden Seiten bekannt.
Dieses Wort steht - wenn auch unausgesprochen und vielleicht gerade darum als
»tiefere Wahrheit" - zwischen den Zeilen aller Erzählungen einer ersten, »der
deutsch-polnischen Nachbarschaft" gewidmeten Prosa-Anthologie. Deutsche, im pol-
nischen Staatsraum aufgewachsene Schriftsteller der jüngeren Generation berichten
in dieser Anthologie über "Erlebnisse mit Angehörigen des polnischen, des ukraini-
schen, des jüdischen und des russischen Volkes, über Begegnungen in den Wäldern
Wolhyniens, an Weichsel und Warthe, in einergalizischen Kleinstadt, in einem
Kriegsgefangenenlager" .177)
Die Titelnovelle (»... wissen, daß auch sie Lieder singen") schrieb Erich Scholz - ein
Oberschlesier, Angehöriger des Jahrgangs 1912 -, der die Höhen und Tiefen des
deutsch-polnischen Zusammenlebens aus eigenen Erfahrungen kennt. Aus dieser
Novelle hier nur deren letzte Sätze: "Der Soldat stand auf, sie gingen weiter. Der

In) .Wlssen. daß auch sie Lieder singen". Rautenberg-Verlag, Leer 1960, Seite 5.

133
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26.- 30. 6. 1964.
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Niedersee ... ) deutschen Nationalitätenstatistik) Just. (Das Jahr vor der Niederlage)
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136 137
We i ß b u c h der Polnischen Regierung über Lossowski Piotr: September 1939. Die polnischen G r e u e lt a t e n an den Volks-
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(Der Septemberfeldzug 1939 in Polen) (Die Verteidigung Oberschlesiens und des (Verschleppung).
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München 1967 Kolicz J6zef (das ist J6zef Kolodziejczyk):
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Kampania wrzesniowa, Der Feldzug in Polen vom September 1939. deutsch-polnischen Kriege. (Zeit des Schreckens, Erinnerungen an den
(Der Septemberfeldzug) In: Wehrwissenschaftliche Rundschau, Jg. 9, In: Dichter auf den Schlachtfeldern in Polen. sog. Bromberger Blutsonntag)
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Kolodziejczyk J6zef:
Prawda 0 tzw. Krwawej Niedzieli Bydgoskiej
(Faktomontaz).
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Bromberg 1945
K rawielitzki Theophil:
Schreckenstage in Polen. Schwester-Erleben
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Marburg 1940
(Hefle des Deutschen GemeinschaA:s-Diakonie-
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Essen 1939.
Eine Zusammenstellung von Berichten von
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Heinrich Dinkelmann, Amei Lassahn, Arthur
Rhode, Hans Strohal.
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Gnadenfrei 1940 (Der Ruf 6)
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Berlin 1940 (Deutscher Osten 2)
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Auf den Straßen des Todes. Leidensweg der
Volksdeutschen in Polen.
Leipzig 1940
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Der Verschleppungsmarsch der Posener.
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gang 18, Nr. 1-5 (Nov, 1939 bis Febr. 1940).
November 1939
Panning Gerhart: WehneT: The German Fifth Column in Poland.
London 1941.
Der Bromberger Blutsonntag. Ein gerichtsärzt- Kriminalistische Ergebnisse bei der Aufklä-
licher Bericht. Mit 55 Textabbildungen. rung polnischer Greuel an Volksdeutschen. (Hrsg. vom Polnischen Informationsministeri-
Mit 16 Textabb. In: Deutsche ZeitschriA: für
In: Deutsche ZeitschriA: für die ges. gerichtl. um im Exil)
Medizin, Jahrgang 34,1940 die ges. gerich.tl. Medizin, Jahrgang 34, 1940
Irr e den t a und Provokationen.
Wittek Erhard: Zur Geschichte der deutschen Minderheit In
Pospieszalski Karol Marian: Der Marsch nach Lowitsch. Ein Bericht, nach
Sprawa 58000 "Volksdeutsch6w." Sprostowa- Polen.
den Erzählungen seines Bruders Reinhold Zachodnia Agencja Prasowa.
nie hitlerowskich oszczerstw • . • (The case Wittek u. a, niedergeschrieben. Posen/Warschau 1960.
of 58000 "Volksdeutsch.e". An investigation Berlin 1940
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Wojan Ryszard:
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Documenta Occupationis VII. Posen 1959. (War der Selbstschutz eine 5. Kolonne?)
(Bromberg, Sonntag, den 3. September 1939)
In: Wojskowy Przeglad Historyczny 1965,
Posen 1959
Nr.4
Rhode, Arthur:
Von Polen verschleppt. Zander Johann:
de fong Louis:
In: Wartburg; deutsche evangelische Monats- Aus der Leidenszeit der verschleppten Volks-
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deutschen aus Lodsch und Umgebung.
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(Nov.1939) In: Glaube und Heimat. Evangelisches Ge-
meindeblatt für den deutschen Osten, Jahr-
gang 21, Posen 1940 Kozaczuk Wladyslaw:
Rhode Ilse:
Bitwa 0 tajemnice. Sluzby wywiadowcze
Wie der Krieg über uns kam.
Polski i Rzeszy Niemieckiej 1922-1939.
Erlebnisse eines Posener Pfarrhauses.
VI. Zum Problem der "FünA:en Kolonne" (Die Schlacht um die Geheimnisse. Die Ge-
Essen 1939.
heimdienste Polens und des Deutschen Reiches
1922-1939)
Bernai Franciszek und Mikolska-BernaI
Staffehl Hans Martin: Warschau 1967
Ein Augenzeuge / Tatsachenbericht über die Julitta:
Przednia straz Hitlera. (Die Vorhut Hitlers)
Bromberger Bluttage, Weimar 1940.
Warschau 1964 Kriegsheim Herbern
Getarnt - getäuscht - und doch getreu. Die
Sehnsuch t nach Europa, Prosa-Antho-
Brockdorff Werner: geheimnisvollen "Brandenburger".
das logie mit Erzählungen aus dem Bereiche der
Geheimkommandos des Zweiten Weltkrieges. Berlin 1958
deutsch-polnischen N achbarschaA:.
München/Wels 1967
Leer 1962
Leoerkuebn Paul:
Brown Mac Alister: Der geheime Nachrichtendienst der deutschen
Rudolf Ph.: The Third Reich's mobilization of the German Wehrmacht im Kriege.
Deutsdies Schiwal in Sch.ulitz und den um-
Fifth Column in Eastern Europa. Frankfurt am Main 1964
liegenden Dörfern. In: Journal of Central European Affairs Vol.
In: Weich.selland, HeA: 2/3.
XIX, 1959, Nr. 2 M oczulski L.:
Thorn 1941
Aspekty polityczne i rlo operacyjne dywersji
Buchheit Gert:
Schiewe Emanuel: niemieckiej w Bydgoszczy.
Der deutsche Geheimdienst. Geschichte der
Verschleppt nach Bereza Kartuska. Erlebnis- (Die politischen Aspekte und der operative
militärischen Abwehr.
bericht aus den Schreckenstagen des Septem- Hintergrund der deutschen Diversion in
München 1966
ber 1939 in Polen. Bromberg)
Herrnhut 1941 In: Przeglad Zachodni 1963, Nr. 3
Datner Szymon:
Z dziej6w dywersji niemieckiej w czasie kam-
Vogt Dietrich: panii wrzesniowej. Kontrakcja polska w Osinski S.:
Hitlerowska dywersja na Pomorzu Gdanskim
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In: Schillergymnasium Posen 1935-1939. (Zur Geschichte der deutschen Diversion wäh- w latach 1933-1939.
Posen 1940, Seite 45-85. rend des Septemberfeldzuges. Die polnische (Die Nazi-Diversion in Pommerellen in den
Dort auch weitere Erlebnisberichte, u. a. von Gegenreaktion in Bromberg am 3.9.1939) Jahren 1933-1939)
Gerhard Draga und William Leuthold (Sol- In: Wojskowy Przeglad Historyczny 1959, In: Wojskowy Przeglad Historyczny 1964,
daten). Nr. 4 Nr.4
141
Osmanczyk Edmund Jan: W oiciechoioski Marian: Anhang 1: Deutscher Text des im Bildteil veröffentlichten Internierungsbefehls
Dowody prowokaeji (Nieznane ardiiwum Geneza dywersji hitlerowskiej w Bydgoszczy
Himmlera). w swietle historiografii i publieystyki polskiej.
(Die Genesis der Nazidiversion in Bromberg
(Beweise der Provokation. Ein unbekanntes
im Lichte der polnischen Geschichtsschreibung
Archiv Himmlers) Stadtstarostei Posen Posen, den 1. IX. 1939
und Publizistik)
Krakau 1951 Nr.3031B
In: Praee Komisji Historii IV. Bromberg 1967

Reile 0.:
Geheime Ostfront. Die deutsdie Abwehr im VII. Anfänge der Nationalsozialistischen An Herrn
Osten 1921-1945. Polenpolitik
München 1963 Lattermann Alfred Ludwig

Batowski Henryk: in Posen

Runzheimer J.: Pierwsze tygodnie wojny. ul. Dzialyaskich 10 m, 9
Der überfall auf den Sender Gleiwitz im (Die ersten Kriegswochen)
Jahre 1939. Posen 1967
In: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, 1962,
Internierungsbefehl
Heft 4 Broszat Martin:
Nationalsozialistische Polenpolitik
Auf Grund des Art. 3 des Gesetzes vom 22. Februar 1937 über den Ausnahmezustand (Ge-
1939-1945.
Skorzyftski J6zef: setzesblatt Dz. U. R. P. Nr, 17, Pos. 108) sowie des § 2 d der Verordnung des Innenministers
Stuttgart 1961
Selbstschutz - V kolumna. vom 5. VI. 37 (Gesetzesblatt Dz. U. R. P. Nr. 48, Pos. 373) ordne im Ihre Festnahme und
(Selbstschutz - 5. Kolonne) Internierung für die Dauer von 30 Tagen an, gerechnet vorn heutigen Tage an. Ihre Ein-
Cyganski Miroslaw:
In: Biuletyn Gl6wnej Komisji Badania
Z dziej6w okupaeji hitlerowskiej w l.odzi. lieferung an den Ort der Internierung erfolgt zwangsweise.
Zbrodni Hitlerowskich w Polsee (Bulletin der
(Zur Geschichte der Nazibesatzung in Lodz)
Hauptkommission zur Untersuchung von Nazi- Diese Anordnung ist auf Grund des § 8 der Verordnung des Innenministers vom 5. Juni 1937
Warschau 1965
verbrechen in Polen), Nr. 10. (Gesetzesblatt Dz. U. R. P. Nr. 48, Pos. 373) sofort durchführbar. Gegen diese Anordnung
Warschau 1958 steht Ihnen das Recht der Berufung beim zuständigen Wojewoden durch meine Vermittlung
Esman Tadeusz und !astrzrbski Wlodzimierz:
Pierwsze miesiaee okupaeji hitlerowskiej w in der Zeit von 14 Tagen, gerechnet vom Tage nach der Zustellung dieses Internierungs-
Staniewicz R.: Bydgoszezy w swietle zrödel niemieekich. befehls, zu. Durch die Einbringung einer Berufungsklage wird die Durchführung dieser
Szersze rlo historyezne i rzeezywiste eele (Die ersten Monate der Nazibesatzung in Anordnung nicht aufgehalten.
dywersji niemieckiej w Bydgoszczy, Bromberg im Lichte deutscher Quellen)
gez. Unrerschrifr
(Der breitere historische Hintergrund und die Bromberg 1967
Der Leiter der Allg. Verwaltung
wahren Ziele der deutschen Diversion in
Bromberg) Nawrocki Stanislaw: der Kreisbehörde
In: Wojskowy Przeglad Historyczny. 1959, Hitlerowska okupaeja Wielkopolski w okresie
Nr. 4 zarzadu wojskowego. Wrzesien - pazdzier-
nik 1939 r,
(Die nationalsozialistische Besetzung Groß-
Staniewicz Restytut W.: polens in der Zeit der Militärregierung. Sep-
Mniejszosc niemieeka w Polsee - V kolumna tember/Oktober 1939) BELEHRUNG:
Hitlera? Posen 1966
(Die deutsche Minderheit in Polen - Hitlers
1. Die internierte Person ist verpflichtet, außer der Kleidung, die sie trägt, mitzubringen:
5. Kolonne?) Radziwonczyk Kazimierz:
In: Przeglad Zachodni 1959, Nr. 2 Plany polityezne Trzeciej Rzeszy wobee 2 Wäschegarnituren,
Polski i im realizaeja w okresie od I wrzesnia Reserveschuhwerk,
do 25 pazdziernika 1938 r. 1 W oll- fnw. Steppdecke,
Szejer A.:
(Die politischen Pläne des Dritten Reimes Waschutensilien,
Nieznane dokumenty 0 dzialalnosci tzw. Frei-
gegenüber Polen und ihre Durchführung in Lebensmittel für vier Tage.
korpsu w rejonie bielskim w przededniu
der Zeit vom 1. September bis 25. Oktober Außerdem kann sie persönliche Gegenstände bis 10 kg mitnehmen.
drugiej wojny swiatowej (majwrzesien 1939 r.)
1939)
(Unbekannte Dokumente über die Tätigkeit In: Najnowsze dzieje Polski, 1939-1945,
des sog. Freikorps im Raume Bielitz am Vor- 2. Die internierte Person darf keinerlei Waffen, persönliche Dokumente sowie Geld oder Kost-
XII, Warschau 1968
abend des Zweiten Weltkrieges. Mai bis Sep- barkeiten mit sich nehmen.
rernber 1939)
In: Zaranie Slaskie. 1965, Nr. 2 Zusammengestellt von Richard Breyer 3. Die internierte Person erhält seitens der Behörde keine Bekleidung.

143
 Personenverzeichnis
Anhang 2:
Adam, Otto 56
Adamski-Schulitz 129
Albrycht, Wojciech 75, 82, 86
Altmann, Henryk 12
Assmann, Pfarrer 80
Aurich, Peter 14
Bambauer, Dr. 61
Barnick, Alfred 119
Barnick, Kurt 119
Beck, Josef 21,22, 25
Becker, Helmut 53
Beckmann, Heinz 102,107
Berger, Karl 9, 63
v. Berchem-Königsfeld 30
Beutler, Herbert 62
Bie!ecki, Stanislaw 80
Bierschenk, Max Theodor 39, 121
Bissing, Albert 118
Blank, Frau E. 55
Blau, Gen. Superintendent 37
Bochnik, Dr. Hanna 55
Breitinger, Pater Lorenz 57
v. Brauehirsch 111
Breyer, Albert 107
Breyer, Dr. Richard 19,21
Brockdorff, Werner 112, 114f.
Bolowski, Hans 89
Bortnowski, General 11, 50
Bueschke, Gustav 96
v. Bue!ow, Hermann 26
Buettner, Fritz 93
Burckhardt, Prof. Carl 26
Cyrankiewicz, Ministerpräsident
Coelle, Ernst 97 f.
Daase, Artur 97
Dietrich, Pastor Julius 38 f.
Ditschkowski, Erwin 83
Dombrowski, Johanna 93
Dominik, Bischof 47
Drews, Hedwig 62
Drews, Josef August 62
Dross, Armin 75
Dross, Pfarrer Carl 81
Fenske, Karl Heinz 27 f., 64, 65, 128f.
Finger, Kaethe 84
Todesfälle volksdeutscher Zivilpersonen in Polen, die im September Frankenstein-Niederhof 27
~~ Staabgreoze
___ Woiewodschaftsgrenze 1939 ermordet worden, auf Verschleppungsmärschenumgekommenoder Frenser, Charlotte 62
--, ~oojf9~~nze an den Folgen von Verschleppungoder Mißhandlungverstorben sind. (Nach Garczynski, Staatsanwalt 75
• 10 Tote
+ 1 Toter Kreisenbzw. Orten des Wohnortes des Getäteten.) Gerhard, Pfarrer Odilo 67
v. Gersdorff, Gero 56, 60
v. Gersdorff sr, 60
Gertych, Jerzy 11,28
Gierczynski, Vincenz 55
Giese, Johanna 84
Giese, Reinhard 84
Gluchowski, K. 25
Goertz, Max 53
v. Gordon-Laskowitz 27
Gollnick, Christa 84
G6rski, K. 109
Grazynski, Wojewode 43, 112
Grabowski, Charlotte 53
Grams, Karl 96, 130
Graff, Walter 87
Grodi- Tannheim 57
Grossmann, Willy 59
Gruhl, Gustav 91 f.
Grunewald-Rothenburg 57
Günther, Adolf 105
Gutbier, Max 83
Guz, Eugeniusz 45
Hasbach, Erwin 28
Haushofer, Karl 21 f.
Heike, Otto 11, 39
Heiter, Ernst Gustav 100
Hennings, Wilhelm 119
Heitz, Robert 95
Hepke, Marian 12, 77 f., 85, 87,92, 121, 127
Herder, Hermann 97 f.
Herzner, Dr. 115 f.
Heuchert, Emmy 78 f.
Hewelke, Günther 53
Himmler, Heinrich 111
66 Hitler, Adolf 8, 19 H., 35, 45, 47, 109, 113 f.
Hoffmann, Karl 44
Hübschmann, Günther 74
Jaederlund, Christer 88
Jasper, Friedrich 84
Jeikner, Eugen 44
jeschke, Eugen 107
de Jong, Louis 25,30,40,71, 86f., 112ff.,
117,119,124
Jordan, Alfred 96
Kabsch, Karl 60, 62
Kabsch, Walter 60,62
Kaczmarek, Dr. 46 f.
Karnmel, Dr. Ridiard 37
Kaluschke, Pastor 88
Kargel, Adolf 105 f.
Kautz, Martha 83
Kirdrmayer, Jerzy 72
Kleindienst, Dr. Alfred 40
Klorzbüdiler, Annemarie 75
Klusak, Dr. Gustav 55
Kohnert, Dr. Hans 48 f., 54, 121
Kolodziejczyk, Josef 80f.,84
Koebke, Anna 89
Koebke, Elli 90
v. Koerber 27
Kohte, Dr. Wolfgang 19
Kostorz, Helmut 121
Kowalski 82
Kraszewski 109
Krause, Andreas 31
Kretschmer, Alfred 38, 123
v. Kries-Colmansfeld 27
Kriewald, Klara 95
Krusche, Pastor 54
Kulwiec, Andrzej 128
Kulisz 105
Kunitz, Eduard 131
v. Kuechler, Konsul 40
Kurzitza, Johann 104
Kutzner, Pastor Richard 90
Kutzner, Otto 89
v. Lahousen, Erwin 112, 113
Landgraf, Hugo 113
Leesch, Pastor 93
Lenk, Eugen 106
Leixner, Leo 113
Leuthold, William 107
Leszczynski, Pastor 60 f.
Linke 118
Lieske, Margarete 76
Liske, Pfarrer Klaus 56
Lipski 24
Lubenau, Diakon 57
Luettichau, Gräfin 59
Ludwig, Georg 102f.,131
Lueck, Dr. Kurt 9, 104, 109, 130
Mackiewicz, Stanislaw (Cat) 66
Makowski 79
Meclewski 110
Meinaß, Alfred 57
Melnik, Andrej 113
Metze!, Ludwig 100
Meyer, Hugo 107
Mielke, Kar! 65
Mill, Kurt 80
v. Moltke, Botschafter 21,25,40
Modrow, Hans Joachim 26, 52, 54
Mokicki,Ignacy 74
Müller, Sepp 42, 67, 69
Müller-Marquardt 52
Naumann, Landrat, Eugen 99
Nawrocki 86
146
Naskret 95 Schobert, Gustav 57 Umbrost, Emil 119
Nehring, Erlch 56, 130 Schott, Familie 96
Veltzke 96
Nowakowski, Tadeusz 75,77 Schoeps, Frau E. 39
Vogt, Dietrich 14
Schroeder 90
Obuch 26 Vollert, Dr. 23
Scholz, Erich 132
Okoniewski, Bischof 47 v. Vormann, General Nikolaus 8,71
Schulze, H. G. 26
Owczaczak 83 Walther, Generalkonsul 39
Schulz, Hertha 78 ff.
Orwid-Bulicz, Roman 124 Wasilewska, Wanda 122
Schulz, Kurt 95
Wehner, Dr. Bernd 91
Pawlikowski, Michal K. 50 Schünemann 64
Weise, Dr. Robert 54f.
Peter, Hugo 67 f., 131 Schwertfeger, Pastor 52
Wenger, Konsul 52
Pilsudski, Jozef 20 Staehlin, Prof. Dr. 124
Staffehl, Hans Martin 81 f. Wiesner, Senator Rudolf 28, 44
Pirscher, Karl Hermann 55
Staemmler, Dr. 55 Wilm, Karl 89
Pilkahn 84
Starke, Gotthold 19,49,51 f., 74,80 Winkler, Prof. Dr. Wilhelm 46
Pirsche], Josef 97
Steinberner-Rothenburg 57 Wiercinski, H. 109
Polesinski 32
Stenzel, Schauspie!erln 85 Wolff, Ludwig 48
Poschade!, David 56
Stefanski, Felix 97 Wochowski 85
Pospieszalski, K. Marian 8
Szczepanski, Vizewojewode 51 Wojciechowska, Janina 14
Preiss, Pastor 87
Woyt 55
Preuss, Otto 35
Thom, Arthur 78, 83 Wronka, Erwin 126
Przyjalkowski, General 82
Pulkowski 83 Tonn, Carl 58 f. Ze!ska-Mrozowicka, Zofia 35
Putrament, Jerzy 20 v. Treskow 55 Zühlke, Ernst 80
Pyrkosch, Hedwig 31
Raczkiewicz, Wojewode 50
Radler, Arthur 83
Radler, Hedwig 83
Radler, Heinz 83
Radziwill, Fürst 132
Rakette, Pastor Paul 53
Raschke, Lehrer 44
Rauhut, Pfarrer 129
Reinhard, Leo 91
Reumann, Ferdinand 95
Reuss, Major Prinz 119
v. Ribbentrop, Joachim 21, 24
Rhode, Superindendt. Arthur 55 f.
Rhode, Prof. Dr. Gotthold 19
v. Rosen, Hans F~herr 27
Rother, Ludwig 127
Roos, Prof. Dr. Hans 20, 23
Rudolf, Dr. Philipp 27, 93 f., 129
Ruge, Ridiard 105
Rydz-Smigly, Marschall 41
Sawinski, Major 86
v. Saenger, Bernd 63,68, 131
Seehagel, Kurt 59
Sieg, Margarete 95
Sienkiewicz, Henryk 109
Schammert, Pfarrer 95
Schenk, Martin 37
Schende!, Otto 75
Schnee, Martha 50
Schnick, Bruno 89
Schneider, Dr. Ludwig 43
Schmidt, Hugo Karl 40
147