You are on page 1of 2

"Als Altruist wird keiner geboren"

damit junge Menschen sich künftig freiwillig für einen solchen


Dienst entscheiden? Das ist schwierig unter zweierlei Gesichts-
punkten: Erstens haben wir keine klare Zuständigkeit – für den
Zivildienst war der Bund zuständig, für die Freiwilligendienste
sind die Länder zuständig. Wenn der Bund also deutlich mehr
Geld für die Freiwilligendienste zur Verfügung stellt, dann muss
er auch die Möglichkeit haben, die Verwendung dieser Mittel zu
kontrollieren. Und die zweite Herausforderung ist natürlich,
Die Gesellschaft lebt von der Beteiligung des Einzelnen. Das gilt dass wir einen Übergang schaffen. Wenn die Wehrpflicht im
in der Politik genauso wie im Sozialbereich. Inanna Fronius und nächsten Jahr wegfällt, dann brauchen wir eine schnelle Lösung
Martin Eiermann sprachen mit Peter Tauber, Mitglied der En- für den “Zivildienstersatz”.
quete-Kommission Internet, über die Zukunft des Zivildienstes
und die Chancen des Netzes als Motor für politischen Diskurs. The European: Wie weit bringen uns Appelle für gesell-
schaftliches Engagement?
Im Gespräch mit Peter Tauber Tauber: Niemand kommt auf die Welt und sagt altruistisch den-
kend: “Ich verwende einen Teil meiner Energie und Kraft für al-
le anderen.” Die Frage ist also, wie kann man vermitteln, dass es
Gesellschaftliches Engagement sich lohnt, sich ehrenamtlich zu engagieren? Wie muss ein
Lerndienst organisiert sein, damit junge Menschen einen Zu-
gang haben? Die Anrechnung zusätzlicher Wartesemester ist
eine Idee, aber auch Zusatzqualifikationen können ein Ansatz
sein. Ein Beispiel ist die Rettungssanitäterausbildung parallel
zum Medizinstudium. Oder der Führerschein, den man während
des Freiwilligendienstes machen kann. Das muss zertifizierbar
sein, es muss die sonstige Ausbildung verkürzen können. Oder
die Chancen auf dem Arbeitsmarkt werden verbessert, weil
man Sozialkompetenzen erwirbt, die bei der Jobsuche helfen.

“Das FSJ ist leider zu oft eine Höhere-Töchter-


Veranstaltung”

The European: Stichwort Sozialkompetenz: Kommen viele


junge Menschen durch einen Freiwilligendienst zum ersten
Mal mit wirklich anderen Lebensrealitäten in Kontakt?
Tauber: Wenn Sie heute einen Wehr- oder Zivildienstleistenden
fragen, dann werden Ihnen die meisten sagen, dass sie etwas
gelernt haben. Aber die wenigsten wären freiwillig zur Bun-
Datum: 2010-10-27 deswehr oder beispielsweise ins Altersheim gegangen. Wir
zwingen sie also – und am Ende merken sie, dass sie davon pro-
The European: Der Verteidigungsminister hat eine Ausset- fitiert haben. Man hat mit Menschen zu tun, die nicht aus dem
zung der Wehrpflicht angeregt. Damit würde auch der Zi- eigenen sozialen Umfeld oder der eigenen Region kommen.
vildienst wegfallen. Ist das ein Todesstoß fürs Sozialsys- Das hinterlässt Spuren. Jeder Unternehmer wird Ihnen das bes-
tem? tätigen. Man stellt bevorzugt junge Menschen ein, die sich eine
Tauber: Die Debatte über die Zukunft der Wehrpflicht muss aus zusätzliche Sozialkompetenz angeeignet haben und während
meiner Sicht eine rein sicherheitspolitische sein. Wir können und durch den Dienst reifer geworden sind. Das momentane
nicht die Wehrpflicht aufrechterhalten mit der Begründung, Problem ist, dass wir viele Schichten mit den Angeboten noch
wir brauchen die Zivis. Von daher müssen wir erst einmal klä- gar nicht erreichen. Das FSJ ist oftmals eine Höhere-Töchter-
ren, ob die Wehrpflicht notwendig ist, um unsere sicherheits- Veranstaltung. Mama und Papa finanzieren das gern, zu Hause
politischen Ziele und Aufgaben erfüllen zu können. Für unser wohnen bleiben kann man auch, und es bleibt ein bisschen
Sozialsystem waren die Zivildienstleistenden ohne Frage eine Zeit, sich vor dem Studium zu orientieren. Wir reden hier also
Bereicherung. Deswegen müssen wir überlegen, wie es gelin- vor allem von Abiturienten und Abiturientinnen, die das als Al-
gen kann, durch die bereits existierenden Jugendfreiwilligen- ternative zum Backpacking in Australien begreifen. Aber gera-
dienste bzw. einen neuen bundesweiten Freiwilligendienst die- de derjenige, der mit Ach und Krach die Hauptschule schafft,
se Lücke zu schließen. kann sich durch so ein soziales Jahr enorm weiterbilden und
Perspektiven entdecken.
The European: Glauben Sie, dass unsere Sicherheit in Af-
ghanistan verteidigt wird? The European: Kann soziale Arbeit ein Instrument staatli-
Tauber: Der Einsatz hat seine Berechtigung, sonst wären wir cher Integrationspolitik sein?
nicht da. Und wir machen das sowohl aus Eigeninteresse als Tauber: Absolut. In den Kirchen passiert das bereits, der Bund
auch, weil wir den Afghanen helfen wollen. Im Vordergrund hat erste Modellprojekte verabschiedet. Wir müssen uns also
stehen für uns allerdings unsere eigenen sicherheitspolitischen Gedanken machen, wie wir eine Bereitschaft zur sozialen Arbeit
Interessen. in allen sozialen Schichten erreichen können und auch die
Chancen vermitteln, die sich daraus ergeben. Das muss über
Werbung laufen, über Lehrer und die Arbeitsagenturen. Und
The European: Welche Reformen müssen denn im Zuge ei-
wir müssen Angebote schaffen, die interessant für junge Men-
ner Wehrpflichtreform losgetreten werden?
schen sind. Wenn jemand nicht gern mit Kindern arbeitet, dann
Tauber: Mehr als 60 Prozent der Deutschen würden einen sozia-
macht es keinen Sinn, ihn in Einrichtungen zur Kinderbetreu-
len Pflichtdienst für alle jungen Männer und Frauen begrüßen.
ung einzusetzen. In Hessen gibt es seit Kurzem ein FSJ bei der
Aber Sie werden keine 60 Prozent der Bundestagsabgeordne-
freiwilligen Feuerwehr. Niedersachsen und Sachsen haben ein
ten finden, die dafür die Hand heben. Also müssen wir die De-
FSJ Politik ins Leben gerufen. Es gibt das FÖJ im Umweltbereich.
batte anders führen und fragen: Wie müssen Anreize aussehen,
Und man kann das noch weiter ausdehnen auf den Bereich nimmt oder das institutionalisiert, funktioniert es nicht mehr.
Sport, auf den Bereich Kultur. Jeder soll sich angesprochen füh- Und es ist so, dass man damit nicht nur junge Menschen er-
len. Das ist für mich ein wichtiger Baustein in Richtung gesell- reicht. Zum Teil sieht man das schon an den Namen: Ich be-
schaftlichen Zusammenhalts. komme nicht nur Zuschriften und Kommentare von den Chris-
tians und Manuels dieser Welt, sondern auch von Wilhelm und
The European: Lassen Sie uns weiter über gesellschaftli- Alois. Mit der Akzeptanz von sozialen Netzen in allen Alters-
schichten steigt dann auch die Möglichkeit der direkten Kom-
chen Zusammenhalt reden – allerdings in einem anderen
munikation.
Kontext. Sie sind Mitglied der Enquete-Kommission Inter-
net. Das Netz ist immer weniger eine reine Plattform und
immer mehr Teil des Alltagslebens. Wie verändern sich Wir müssen zwischen Jung und Alt im Netz vermitteln"
Möglichkeiten der Partizipation?
Tauber: Das ist zum einen eine Frage des Potenzials: Habe ich The European: Wenn man vor 30 Jahren fernsehen wollte,
die Möglichkeit, im Netz an gesellschaftlichen Prozessen teilzu- dann musste man zwangsläufig irgendwann Nachrichten
nehmen? Und dann andererseits die Frage: Bin ich dazu in der schauen. Heute kann ich tagelang im Netz surfen, ohne
Lage? Die erste Frage ist Gott sei Dank sehr schnell und aus mich mit Politik auseinandersetzen zu müssen. Gibt es da
meiner Sicht auch positiv beantwortet. Die aktuelle Shell- einen Segmentierungseffekt?
Jugendstudie hat gezeigt, dass 96 Prozent aller jungen Leute Tauber: Das stimmt schon. Junge Männer, vor allem mit niedri-
online sind. Es gibt im Kontext der Netznutzung in Deutschland gem Bildungsgrad, nutzen das Internet oftmals nur zum Spie-
also keine soziale Spaltung. len. Die etwas Älteren gehen online, um sich politisch zu infor-
mieren und zu partizipieren. Bei den Frauen gibt es ähnliche
The European: In der aktuellen Debatte um die Hartz-IV- Unterscheidungen: Die älteren Mädels nutzen es zum Informa-
Erhöhung sind 2,28 Euro pro Monat für Internet vorgese- tionsaustausch, die jüngeren eher zum Shoppen. Die Shell-
hen. Schulranzen und Schulbücher dagegen werden kom- Jugendstudie hat die Unterschiede natürlich etwas detaillierter
plett vom Staat finanziert. Ist es an der Zeit, auch das In- herausgearbeitet. Da muss die Politik sich natürlich auch fra-
ternet als essenziellen Teil von gesellschaftlicher Teilhabe gen, wie man das Interesse gerade junger Menschen wecken
und Bildung wahrzunehmen? kann. Das Internet ist nie losgelöst von der Realität, sondern ist
Tauber: Dieser Beitrag ermöglicht das ja anteilig. Aber ich glau- für die junge Generation Teil von Individualität, von Lebensver-
be nicht, dass es ein Grundrecht auf eine Internet-Flatrate gibt. ständnis, von eigener Persönlichkeit. Das ist ja auch für die En-
Der grundsätzliche Zugang muss für alle möglich sein, das wird quete ganz spannend: Viele junge Menschen reklamieren das
über den Markt gesteuert. Netz für sich und lassen sich nur ungern etwas vorschreiben.
Für viele Ältere ist das Internet ein besseres Fax, also lediglich
eine bessere Möglichkeit zur Kommunikation und Information.
The European: Mit 2,28 Euro kann man sich ja nun kein In-
Da kommt man zum Beispiel bei der Diskussion um die Sper-
ternet leisten …
rung von bestimmten Inhalten nur ganz schwer zusammen. Die
Tauber: Wenn 96 Prozent aller jungen Leute online sind, dann
einen haben einen sehr emotionalen und persönlichen Zugang,
ist das offensichtlich auch noch im Rahmen des Regelsatzes
die anderen begegnen dem Internet als Technikum mit ihrer
möglich.
Ratio und sagen: “Wo ist das Problem? Dann sperren wir es halt,
dann geht die Seite eben nicht mehr.” Zwischen diesen Positio-
The European: Aber Sie können doch nicht sagen: Prima, nen zu vermitteln kann sehr schwer sein.
wer online sein will, der muss einfach an anderer Stelle
sparen. Danach werden die Regelsätze nicht berechnet.
The European: Viele der Digital Natives sehen die Vorstöße
Tauber: Schauen Sie sich die Fakten an. Offensichtlich reicht der
der Politik sehr kritisch. Das sind doch eigentlich diejeni-
Regelsatz, wenn fast jeder online ist. Die nächste Frage ist dann
gen, die am ehesten verstehen, was im Netz funktionieren
die der Medienkompetenz. Was machen wir eigentlich online?
kann und was nicht.
Stichwort politische Kommunikation: Es ist auch für mich eine
Tauber: Ich erlebe leider, dass seitens der aktiven Netz-
sensationelle Sache, weil ich sehr viel unmittelbarer mit Bür-
Community der Politik mit einem unbegründeten Mistrauen
gern kommunizieren kann. Aus meiner Sicht kann das Web 2.0
begegnet wird. Da muss man auch einfach mal sagen: “Also Leu-
die politische Kommunikation revolutionieren. Bei vielen Politi-
te, lasst mal die Kirche im Dorf. Setzt euch sachlich mit uns aus-
kern ist das momentan noch ein Nebenkriegsschauplatz. Ich
einander.” Natürlich werden wir nicht alles so machen, wie das
glaube, auf Dauer werden die Leute erwarten, dass man per-
die kleine Netz-Avantgarde will, sondern wir müssen die The-
manent auch über die Neuen Medien erreichbar ist. Ich sage ei-
men auch für die breite Masse verständlich machen. Das wollen
gentlich allen Leuten – vor allem Schulklassen –, dass sie mich in
manche aus der Blogger-Szene nicht akzeptieren. Das erleich-
den sozialen Netzwerken adden können. Und ich bin manchmal
tert die Arbeit nicht gerade. Es ist eben eine Frage der Eigen-
wirklich verwundert, wie gerne die Menschen über Themen dis-
wahrnehmung. Die Netz-Avantgarde gefällt sich in dem Bild, sie
kutieren. Ich poste etwas und bekomme gleich Kommentare
sei ständig “vorne” und treibe die Prozesse voran, während Po-
dazu. Das ist die beste Form der Meinungsumfrage, die man
litik sich nur im Schneckentempo bewege. Das mag auch
sich wünschen kann.
manchmal stimmen. Es ist das Schicksal der Avantgarde, immer
ein bisschen weiter zu sein als andere. Aber die tiefe Grund-
The European: Obama wird gern als Beispiel zitiert. Aber skepsis verhindert natürlich auch ein mögliches Miteinander.
die deutsche Alltagsrealität sieht doch oftmals anders aus: Ich habe zum Glück den Eindruck, dass die meisten Leute, die
Viele Politiker kennen das Internet nur vom E-Mail- sich mit dem Thema offen befassen, dann auch zuhören und
Verschicken, das Open-Enquete-Forum der FDP ist quasi bereit sind, sich einzubringen. Dann kann man diskutieren,
tot. selbst wenn die Meinungen auseinandergehen.
Tauber: Obama ist natürlich auch völlig untauglich als Ver-
gleichsbeispiel. Der entscheidende Punkt ist, dass es glaubwür- von Peter Tauber – 27.10.2010
dig und authentisch wirken muss, wenn ein Politiker sich im
Web 2.0 bewegt. Wenn Angela Merkel jetzt plötzlich twittern
http://www.theeuropean.de/peter-tauber/4484-
würde, dann weiß doch jeder, dass sie das nicht selber macht.
gesellschaftliches-engagement
Also macht das wenig Sinn. Ich nehme mir die Zeit für soziale
Netzwerke, weil ich den Eindruck habe, ich erreiche damit eine
gewisse Zahl an Personen und es macht mir nicht viel Mühe. Ich
kann immer noch schnell vor einer Ausschusssitzung die Tages-
ordnung twittern oder aber morgens um 7 Uhr schreiben “Die
Currywurstbude hat schon auf” und lade das Bild schnell bei Fa-
cebook hoch. Das macht mir Spaß, und die Leute wissen, dass
der Tauber das selbst macht. Wenn man die Spontaneität raus-

You might also like