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LV-Nr. 541.

023, SS 10
PS: Erkenntnistheorie I
Leiter: Ass.-Prof. Dr.phil. Johannes Brandl
Fachbereich für Philosophie an der KGW-Fakultät
UNIVERSITÄT SALZBURG

DIE EXISTENZ DER AUSSENWELT


Eine unbeweisbare Tatsache?
Antworten von Bertrand Russell und George Edward Moore

Philipp Dollwetzel
Matrikelnr.:0820518
28.08.2010
Inhalt

1. Einleitung 3
2. Das Problem mit der Außenwelt 3
3. Russells Privatwelten 4
4. Moore und sein Beweis 11
5. Fazit 14
6. Literaturverzeichnis 16
1. Einleitung
Ein schmunzelndes Kopfschütteln oder der mit einer Mimik der Unverständnis
vorgetragene Satz „Philosophen sind so ein abgedrehtes Völkchen", das war im
Regelfall die Reaktion, die ich erhielt, wenn ich Bekannten oder Freunden von dieser
erkenntnistheoretischen Arbeit berichtete. Und ich kann es niemanden verübeln, denn
die Frage nach der Existenz der Außenwelt gehört wohl zu den Dingen gegen die sich
unsere Intuition am vehementesten sperrt. Und gerade deswegen besitzt diese Frage eine
unglaubliche Anziehungskraft, denn ihre Beantwortung scheint direkte Auswirkungen
auf das menschliche Selbstbild mit sich zu bringen. Descartes' Argumentation, die er in
seinen Meditationes entwickelt hat, besitzt hierbei ohne Zweifel noch heute die stärkste
Magie. Seine Konklusion scheint gefährlich, ungeheuerlich und ließ deshalb auch die
nachfolgenden Philosophengenerationen nicht los. Und so haben sich die beiden
englischen Philosophen George Edward Moore und Bertrand Russell ebenfalls an
diesem Problem versucht. Was konnten sie beitragen? Wie erfolgreich waren sie? Wie
ist Moore angeblicher Beweis für die Existenz der Außenwelt zu bewerten? Bevor wir
uns den einzelnen Gedankengängen zuwenden, zuvor noch eine kurze allgemeine
Darstellung des Problems.

2. Das Problem mit der Außenwelt


Das Problem ist alt und wurde außer von Descartes unter anderem auch schon von
Spinoza, Berkeley und Kant behandelt. Wie kann ich Wissen, dass sich meine
Vorstellungen auf etwas beziehen? Kann es nicht sein, dass ich ständig träume oder
halluziniere? Wie kann ich das überprüfen? Möchte ich überprüfen, ob meiner
derzeitigen Vorstellung ein wirklicher Gegenstand entspricht, dann kann ich dies
zwangsläufig nur über meine Sinne. Hierdurch gelange ich zu weiteren Vorstellungen.
Es scheint, ich kann über meine Sinne nicht feststellen, ob meiner Vorstellung ein
Gegenstand entspricht. Wenn ich nicht überprüfen kann, ob meinen Vorstellungen
wirkliche Gegenstände entsprechen, dann kann ich auch nicht wissen, ob diese
Gegenstände außerhalb meiner Vorstellungen existieren. Aber, wenn ich Wissen von
irgendetwas in der Außenwelt haben will, dann muss ich auch wissen, dass es eine
Außenwelt gibt. Ich muss ausschließen können, dass es keine Außenwelt gibt. Denn,
wenn ich etwas wissen soll und sei es nur ein Teil von einem großen Ganzen, dann muss
ich wissen, dass das Ganze existiert. Wenn das Ganze nicht existiert, dann gibt es auch
keinen Teil, über den man etwas wissen kann. Es scheint, ich kann also nur wissen, dass

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ich zu dem und dem Zeitpunkt Vorstellungen von Gegenständen habe. Ein Kriterium
wird benötigt, um Vorstellung und Außenwelt zu unterscheiden. Aber jedes Kriterium,
das angeführt werden kann, stammt eben aus meiner Vorstellungswelt oder bezieht sich
auf diese und kann somit nicht hergenommen werden, um etwas zu beweisen, dass
außerhalb dieser Vorstellungswelt, also unabhängig davon existiert. Zu keinem
Zeitpunkt können wir also etwas über unsere Sinne in der Welt erkennen, d.h. es gibt
kein wirkliches empirisches Wissen über die Welt.1

3. Russells Privatwelten
Russell betont am Anfang seiner Ausführungen, dass auch er keine endgültige Lösung
des Problems bieten könne. Er möchte aber die Frage in Teilfragen zergliedern und die
Lösungsrichtung andeuten.2 Wenn man das obige Argument und seine Folgen
akzeptiert, dann werden wir auf unsere eigenen subjektiven Eindrücke als Basis für
Erkenntnis zurückgeworfen.3 Und hier knüpft Russell an, indem er von sogenannten
„Daten“ ausgeht. Das seien „die Dinge, die wir bei Beginn unserer philosophischen
Überlegung schon fertig in uns vorfinden und die gewöhnlich unbestimmter und
komplexer Natur sind, an denen uns aber trotzdem irgend etwas veranlaßt, sie als in
großen und ganzen richtig anzuerkennen.“4 Dazu zählen die Dinge aus unserer primären
Sinneserfahrung (Häuser, Bäume, Autos, Menschen, etc.), dann sind es weiterhin die
Dinge aus sekundärer Quelle (Daten aus Lexika, Zeitungen und Büchern). Alle Daten
bilden zusammen einen Wissenskomplex, der die Ausgangsbasis von Russells
Untersuchung bildet. Der Mensch besäße kein anderes Wissen als eben dieses und der
Philosoph könne diesen Wissenskomplex nicht von einem übergeordneten Standpunkt
aus betrachten und kritisieren.5 „Die Kritik der Einzelheiten kann nur auf deren
Beziehung zu anderen Einzelheiten basieren, nicht aber auf einem äußeren Kriterium,
das auf alles Besondere in gleicher Weise anwendbar wäre.“6 Der Skeptizismus könne
deshalb zwar nicht widerlegt werden, sei aber unfruchtbar.7
Innerhalb dieses Wissenskomplexes gebe es verschiedene Überzeugungsgrade. An einen
hundertprozentige Überzeugungsgrad könne sich nur angenähert werden.8 Einige Daten

1 Vgl. Baumann, 2002, 19-22; vgl. Stroud, 1996, 77-78.


2 Vgl. Russell, 2004, 73.
3 Vgl. Stroud, 1996, 103.
4 Russell, 2004, 74.
5 Vgl. Russell, 2004, 74-75.
6 Russell, 2004, 75-76.
7 Vgl. Russell, 2004, 76.
8 Vgl. Russell, 2004, 76.- Die Gewissheitsgrade sind ebenfalls Teil des Wissenskomplexes. (Vgl. ebd.)

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in dem Komplex seien „ursprünglich“, einige „abgeleitet“. Von ersteren seien wir
unmittelbar ohne weitere Ableitung überzeugt (Sinnesdaten), von letzteren nur aufgrund
anderer Daten. Doch es brächte Schwierigkeiten mit sich, alles diese Daten gemäß ihrer
Ursprünglichkeit klar einzuteilen.9 Vieles, was wir als ursprünglich gegeben hinnehmen,
sei auf den zweiten Blick auch erschlossen. So auch beispielsweise die räumliche und
sprachliche Wahrnehmung.10 Höchste Gewissheit besäßen nur die Daten aus unseren
persönlichen Sinneserfahrungen („harte Daten“).11 Nun, wie entstehen aber diese
abgeleiteten Daten?
„Psychologisch abgeleitet wollen wir eine Meinung nennen, sobald sie ihre Ursache in
einer oder mehreren anderen Meinungen hat bzw. in einem Sinnesdatum, das nicht
schon identisch ist mit dem, was unsere Überzeugung besagt.“ 12 Der psychologischen
Ableitung liege keine logische Schlussfolgerung zugrunde. Von der Mimik werde auf
die Gefühle geschlossen, von der Gestik auf die Stimmung und so weiter. Dieses
psychologisch abgeleitete Wissen sei logisch ursprünglich, da es nicht Ergebnis eines
logischen Schlusses sei.13 Die Tatsache, dass sich einige psychologisch abgeleiteten
Daten nicht logisch ableiten lassen, lasse an ihrer Richtigkeit zweifeln. Ein Beispiel ist
unter anderem der Glaube daran, dass die Gegenstände, die wir im Moment
wahrnehmen, auch dann noch weiter existieren, wenn wir sie nicht mehr wahrnehmen.
Wenn es keinen logischen Beweis für diese Annahme gebe, dann sei diese Überzeugung
im Grunde bloßer Glaube. Gegenstände unserer unmittelbaren Wahrnehmung seien
dagegen wahr in dem Moment, in dem sie wahrgenommen werden.14 Gelänge es,
psychologische Daten auch logisch abzuleiten, dann würden diese sicherer werden.15
Russell schlägt also folgende Fragestellung vor: „Kann die Existenz von irgend etwas
außer unseren eigenen harten Daten aus der Existenz eben dieser Daten auf logischem
Wege erschlossen werden?“16 Man könne die Frage auch anders formulieren: „Können
wir etwas über die Existenz einer von uns selbst unabhängigen Wirklichkeit wissen?“.
9 Vgl. Russell, 2004, 78.- Nicht hart ist die Annahme der Existenz von Dingen unabhängig von ihrer
Wahrnehmung und der Existenz von anderen denkenden Wesen. (Vgl. Russell, 2004, 82.)
10 Vgl. Russell, 2004, 77.
11 Vgl. Russell, 2004, 80.- Harte Daten sind u.a. Sinnesdaten, Gesetze der Logik, Gedächtnistatsachen,
Tatsachen der Selbstbeobachtung, Vergleiche und Wahrnehmung von Bewegung. (Vgl. Russell, 2004,
81-82.)
12 Russell, 2004, 78.
13 Vgl. Russell, 2004, 78.
14 Vgl. Russell, 2004, 79.- Definition: x ist ein sinnlich wahrnehmbarer Gegenstand gdw x ist der
momentane Eindruck, den man hat, wenn man ein Ding wahrnimmt.
15 Lassen sich diese Daten nicht durch die harten Daten bestätigen, dann wäre man laut Russell „immer
noch berechtigt, uns hypothetisch eher für ihre Richtigkeit als für ihre Falschheit zu entscheiden.“
(Russell, 2004, 81.)
16 Russell, 2004, 83.

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Diese Formulierung leide aber unter der Mehrdeutigkeit von 'unabhängig' und 'selbst'.
Das ''Selbst'' könne ein logisch erschlossener Gegenstand sein, wäre damit aber kein Teil
der harten Daten und somit irrelevant. Eine andere Interpretation wäre, dass damit „die
Gesamtheit all dessen, was nach unserem Tode notwendigerweise zu existieren aufhören
würde“, gemeint sei. Dafür müsse erst die Bedeutung des Wortes 'Abhängigkeit' geklärt
werden. Es gibt eine logische und eine kausale Abhängigkeit. Wenn ein Ding A ein Teil
von Ding B ist, dann ist A logisch abhängig von B. Die Frage wäre also: „Können wir
etwas über die Existenz einer Wirklichkeit wissen, von der wir selbst keinen Teil
ausmachen?“ Hier kommt wieder das Wort 'selbst' vor. Aber egal wie man es definieren
mag, es ist laut Russell niemals unmittelbarer Gegenstand unserer Sinne. Da wir von der
Sinnenwelt (also unseren unmittelbaren Eindrücken) wüssten, dass sie existiert, und wir
selbst in jedem Fall nicht Teil dieser Welt seien, können wir etwas über eine von uns
logisch unabhängige Wirklichkeit wissen. Damit sei aber nichts erreicht.17
Kausale Abhängigkeit besagt in etwa, dass ein Ding A nie ohne ein Ding B existieren
kann. Es sei offensichtlich, dass unsere Gedanken und Gefühle in kausaler Abhängigkeit
von uns stehen. Wenn aber Gegenstände der Sinnenwelt auch weiterbestehen sollen,
ohne dass wir sie wahrnehmen, dann müssen sie kausal unabhängig von unserer
Wahrnehmung sein. Es stellt sich also folgende Frage: „Können wir wissen, dass
Gegenstände der sinnlichen Wahrnehmung oder irgendwelche anderen Gegenstände, die
nicht unsere eigenen Gedanken und Gefühle sind, auch zu Zeiten existieren, wo wir sie
nicht wahrnehmen?“18 Eine weitere Frage betrifft die sogenannten Dinge-An-Sich:
Können sie aus diesen Wahrnehmungsgegenständen logisch abgeleitet werden?
Russell versucht zuerst Wahrnehmungssituationen ohne Existenzbehauptungen zu
formulieren. Spricht man beispielsweise von einem Tisch, der von verschiedenen
Perspektiven aus wahrgenommen werden kann, dann setzt man die Existenz des Tisches
voraus. Der Satz „Wir gehen um einen Tisch herum und bemerken diverse optische
Veränderungen“ wird umformuliert in: „Während wir jene Muskelempfindungen haben,
aufgrund deren wir sagen 'wir gehen', verändern sich unsere Gesichtsempfindungen in
stetiger Weise derart, daß an Stelle eines bestimmten Farbfleckes nicht unvermittelt
etwas ganz Verschiedenartiges tritt, sondern vielmehr eine unmerkliche Abstufung über
sich nur gering ändernde Farben und Formen stattfindet.“ Der Satz sei frei von
Existenzannahmen, die über unsere Wahrnehmung hinausgehen.19
17 Vgl. Russell, 2004, 84-85.
18 Russell, 2004, 85.
19 Vgl. Russell, 2004, 87-88.

6
Wahrnehmungsveränderungen fänden im „dazwischenliegenden Medium“ statt, aber
diese Aussage setze einen Raum voraus, in dem dies geschieht. Eine blaue Brille färbt
beispielsweise alle gesehenen Gegenstände blau. Damit wir wissen, dass sich ein
Gegenstand (die blaue Brille) zwischen dem Gesehenen und uns befindet, müssen wir
dies mit dem Tastsinn überprüfen. Hierzu müssen Tast- und Gesichtsraum über die
Sinnesdaten in Übereinstimmung gebracht werden, dies geschehe rein über die
Erfahrung (Russell sieht hierin keine Probleme!). Ist das getan, kann man sagen, dass
etwas, das ich fühle, sich zwischen dem gesehenen Gegenstand und mir befindet.
Wollen wir die blaue Farbe der Gegenstände durch das blaue Glas der Brille, die wir
fühlen, erklären, dann sind wir auch dazu geneigt, zu sagen, die Brille bestehe weiter,
wenn wir sie nicht mehr fühlen, aber noch blau sehen. Aber hier könne man wiederum
einwenden, dass die Wirkung der Brille möglicherweise andauere, auch wenn sie nicht
mehr existiert. Taktile Eigenschaften von Dingen, die wir sehen, können also nie von
vorne herein angenommen werden.20
Es besteht laut Russell eine gewisse Regelmäßigkeit oder Gesetzmäßigkeit in dem
Eintreten von Sinnesdaten. Sinnesdaten scheinen andere Sinnesdaten zu bestätigen. Die
einfachste Verknüpfung zweier Sinnesdaten bestehe in der Annahme, dass sie durch
einen Gegenstand verursacht werden, der auch existiert, wenn wir keine
Sinnesempfindungen von ihm haben.21 „Wahrnehmungsgegenstände, selbst wenn sie
uns im Traum erscheinen, sind das zuverlässigst Wirkliche. Was ist es also, das uns
veranlaßt, sie im Traum unwirklich zu nennen? Nichts anderes als das Ungewöhnliche
ihrer Verknüpfung mit anderen Wahrnehmungsgegenständen. (…) 'Wirklich' nennen wir
einen Wahrnehmungsgegenstand, wenn er mit anderen Wahrnehmungsgegenständen auf
eine bestimmte Art verknüpft ist, die die Erfahrung uns gelehrt hat, als normal zu
betrachten; erfüllt er die Bedingung nicht, so bezeichnen wir ihn als 'Illusion'.
Illusorisch sind aber in Wahrheit nur die Schlüsse, die wir auf ihn gründen, in sich selbst
steht er den Gegenständen des wachen Bewußtseins an Realität in keiner Weise zurück.
Von den Wahrnehmungsgegenständen des wachen Bewußtseins darf umgekehrt nicht
angenommen werden, sie besäßen eine irgendwie höhere Realität als die des Traumes.
(…) nur aufgrund einer Realität, die mehr als sinnlich Wahrnehmbares enthält, kann der
Traum abgelehnt werden.“22
20 Vgl. Russell, 2004, 89-91.
21 Vgl. Russell, 2004, 92-93.
22 Russell, 2004, 97. (Hervorhebungen durch den Verfasser) Sehen wir zwei Tische, fühlen aber nur
einen, dann wird der Eindruck von zwei Tischen als Illusion betrachtet, „weil gewöhnlich je ein
sichtbarer Gegenstand einem taktilen Gegenstand entspricht.“ (Russell, 2004, 98.)

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Russell versucht nun einen neuen Weg. Er konstruiert eine Modellwelt in dem die
Perspektiven der Wahrnehmungen mit den Dingen verknüpft werden können. Hierzu
macht er einige Annahmen, von denen er hofft, man könne sie zu späterem Zeitpunkt
wieder streichen. Seine erste Annahme ist, dass jedes geistige Wesen (Monade) die Welt
von einem nur ihm eigentümlichen Standpunkt aus betrachtet. Jede Monade sieht in
jedem Augenblick eine unendliche, komplexe, dreidimensionale Welt. Zweitens: Es gibt
nichts, was gleichzeitig von zwei Monaden gesehen werden kann. Jede mögliche
Ansicht unterscheidet sich mindestens minimal von jeder anderen. Weiterhin muss
hierfür natürlich die Gültigkeit von Zeugnissen anderer Wesen angenommen werden.23
„Die dreidimensionale Welt einer Monade hat also nicht einen einzigen Ort mit der Welt
einer anderen Monade gemeinsam, denn Orte können nur durch Dinge an ihnen oder um
sie herum bestimmt werden. Wir dürfen daher trotz der Unterschiede zwischen den
verschiedenen Welten annehmen, daß jede in ihrer Gesamtheit, und zwar genau so, wie
sie wahrgenommen wird, existiere und auch dann genau so existieren würde, wenn
niemand sie wahrnähme.“24 D.h. jede Perspektive existiert unabhängig davon, ob sie
wahrgenommen wird oder nicht. Es gibt eine unendlich große Anzahl solcher nicht
tatsächlich wahrgenommenen Wahrnehmungswelten. „Das System aller Ansichten von
der Welt, gleichviel, ob sie wahrgenommen werden oder nicht“, nennt Russell das
„System der Perspektiven“. „Eine wahrgenommene 'Perspektive', neben der es
unendlich viele Perspektiven geben kann, die nicht wahrgenommen werden“, nennt er
„Privatwelt“.25 Zwei Privatwelten können sich einander annähern, aber nie gleichen.
Zwischen zwei räumlich benachbarten Perspektiven können sich, so nah sie auch
beieinander sind, unendlich viele nicht wahrgenommene Perspektiven befinden
(Kontinuum).26 Der Raum zwischen den Perspektiven ist nicht Teil der einzelnen
Perspektiven, sondern eine Relation zwischen ihnen. Er ist einzigartig und niemals
wahrnehmbar, sondern nur durch Logik erschließbar. Jeder Privatraum ist ein Punkt in
diesem Raum. 27
Welche Beziehung besteht nun zwischen dem Privatraum einer einzelnen Perspektive
und dem allumfassenden interperspektivischen Raum?28 Man müsse zu einem konkreten
Gegenstand innerhalb einer Privatwelt das System aller Gegenstände konstruieren, die

23 Vgl. Russell, 2004, 99.


24 Russell, 2004, 99-100.
25 Russell, 2004, 100.
26 Vgl. Russell, 2004, 102.
27 Vgl. Russell, 2004, 100-101.
28 Vgl. Russell, 2004, 102.

8
mit diesem Gegenstand in Verbindung gebracht werden können.29 Dadurch könne man
den „Ort, an dem sich im interperspektivischen Raum ein Ding befindet“, bestimmen.30
Als Beispiel verwendet Russell eine Münze. Es gibt Perspektiven, von der aus eine
Münze nicht elliptisch, sondern kreisrund erscheint. Alle diese Perspektiven liegen auf
einer einzigen Linie. Man sagt, dass die Perspektive, in denen das Geldstück im
Vergleich zu anderen Perspektiven ''groß'' aussieht, ''näher'' sei als andere Perspektiven.
Man bewegt sich also auf dieser Linie sozusagen ''vor'' und ''zurück''.31 Von der Seite
gesehen bildet die Münze nur einen Strich bestimmter Dicke, das ist eine andere
Perspektive. Diese unterschiedlich langen Striche können ebenfalls auf einer Linie
angeordnet werden. Beide Linien schneiden sich an einem Punkt im
interperspektivischen Raum. Dieser Punkt ist die eine Perspektive, wo das Geldstück
sowohl kreisrund als auch als Strich erscheint.32 Ein Ding besteht also „in jedem
Augenblick aus der Gesamtheit der momentanen Erscheinungen, die es in all den
verschiedenen Welten von ihm gibt; ein augenblicklicher Zustand eines Dinges ist also
identisch mit einer ganzen Gruppe von Erscheinungen.“33 So können die Erscheinungen
eines Dings mit einem Ding im interperspektivischen Raum in Verbindung gebracht
werden.
Seine Modellwelt steht seiner Meinung nach im Einklang mit unserem empirischen
Wissen und sei frei von logischen Widersprüchen. Diese Welt könne somit wirklich
sein.34 Dennoch muss er zugeben: „Zwar haben sich aus unserer hypothetischen
Konstruktion keinerlei Gründe gegen die Richtigkeit dieser Überzeugung ergeben, aber
auch dafür haben wir keinen Grund finden können. (…) Soviel wir aber auch suchen
mögen, das wenig befriedigende Ergebnis wird sein, daß die Analogie im wachen Leben
der im Traum nur wegen der größeren Ausdehnung und Beständigkeit vorzuziehen ist,
mit der sie im ersteren Fallt auftritt. (…) einzig und allein weil unsere Träume weder
unter sich noch mit den Stunden unseres Wachseins ein Ganzes bilden, lehnen wir sie
ab. Im wachen Leben beobachten wir eine gewisse Regelmäßigkeit, während unsere
29 Vgl. Russell, 2004, 101.
30 Russell, 2004, 103.
31 Vgl. Russell, 2004, 102-103.
32 Vgl. Russell, 2004, 103-104.
33 Russell, 2004, 125.- „Mit jeder Erscheinung eines Dinges sind zwei Orte des interperspektivischen
Raumes assoziiert, nämlich der Ort, an dem das Ding sich befindet und der Ort, der identisch ist mit
der Perspektive, zu der die Erscheinung gehört. Jede Erscheinung eines Dinges ist andererseits ein
Glied zweier verschiedener Klassen, nämlich 1. der Klasse der verschiedenen Erscheinungen eines
Dinges, von denen in einer gegebenen Perspektive höchstens eine vorkommt, und 2. der Perspektive,
zu welcher die gegebene Erscheinung gehört, d.h. in der das Ding die gegebene Erscheinungsform hat,
eben diesen Anblick bietet.“ (Russell, 2004, 105.)
34 Vgl. Russell, 2004, 106.

9
Träume gänzlich zusammenhanglos erscheinen.“35 Er ist sich bewusst, dass die Antwort
mager ist, aber seine Modellhypothese zeige, dass „das Weltbild der Naturwissenschaft
und des naiven Menschen sehr wohl in logisch einwandfreier Weise interpretiert werden
kann“.36
Russell kann in seinen Grundannahmen kritisiert werden. Er ist genauso wie G.E.
Moore Anhänger der Sinnesdatentheorie. Gemäß dieser Theorie ist der direkte und
unmittelbare Gegenstand der Wahrnehmung nicht identisch mit dem Gegenstand selbst,
sondern ein Sinnesdatum des Gegenstandes. Dieses Sinnesdatum ist subjektiv, existiert
nur solange wie es wahrgenommen wird und ist über alle Täuschungen hinweg erhaben,
weil es unmittelbar und einfach gegeben ist.37 Grundlegendes Problem der Theorie ist,
dass es unklar bleibt, was ein Sinnesdatum eigentlich ist. Ist es materiell oder mental?
Wie gestaltet sich die Beziehung zwischen Sinnesdatum und wirklichem Gegenstand?
Wie kann man sagen, dass sie sich ähneln? „Wieso eigentlich soll daraus, dass mir
etwas so und so erscheint (…) folgen, dass es etwas, nämlich eine 'Erscheinung' oder
ein Sinnesdatum, gibt, das in der Tat so und so beschaffen ist (…)? (…) Wieso soll man
überhaupt annehmen, dass es in jeder Wahrnehmung etwas gibt, das direkt
wahrgenommen wir (und das nicht ein äußerer Gegenstand ist)?“38 Solange keine
eindeutige Definition des Sinnesdatums angegeben werden kann, handelt es sich um
eine ebenso zweifelhafte Entität wie die Dinge der zu beweisenden Außenwelt. So ist
wohl auch der Einwand von John Dewey zu verstehen. Einzelne Sinnesdaten können
laut ihm nur im Zusammenhang mit anderen Daten identifizieren werden und eine
Korrelation zwischen Sinnesdaten setze bereits die Existenz der Dinge voraus, die
korrelieren. „Ein einzelnes Ereignis bewußter Wahrnehmung kann bezüglich seiner
Struktur und seines Inhaltes nur in einem Kontinuum von Gegenständen bestimmt
werden (…) Kurz gesagt: Russells Gegenstand (…) gehört bereits zu einer größeren
Welt.“39 Die sogenannte averbialen Theorie der Wahrnehmung versucht auf diese Kritik
zu reagieren. Mit einem Sinnesdatum sei eher die Art und Weise der Wahrnehmung
gemeint. Man sieht nicht einen geknickten Stab im Wasserglas, sondern man sieht ihn in
geknickter Weise.40

35 Russell, 2004, 106-108.


36 Russell, 2004, 110.
37 Vgl. Baumann, 2002, 262-269.- Baumann stellt den dahinterstehenden Gedankengang dar und
erwähnt einige Kritikpunkte zu dieser Theorie.
38 Baumann, 2002, 268.
39 Dewey, zit. n. Otte, 2004, XLII.
40 Vgl. Baumann, 2002, 269.- Es gibt noch weitere Einwände gegen die Sinnesdatentheorie, die hier
nicht näher erläutert werden können. Einige meinen, sie führe zum Skeptizismus, andere wiederum

10
Kritik am Kontinuum der Perspektiven hat Michael Otte geäußert. Die Perspektiven
könnten in Wirklichkeit nicht isoliert voneinander einzeln existieren, sondern nur als
Teil eines Kontinuums. Der stetige Zusammenhang der Perspektiven muss postuliert
werden, d.h. ohne die Annahme eines Kontinuums existiert keine einzige Perspektive.41
Üblicherweise sieht man in den transzendentalen Dingen die Grundlage der
Erscheinungen von den Dingen, aber in Russells Welt wird das wirkliche Dinge zum
Konstrukt aus den Erscheinungen. „Der Gegenstand – etwa ein Tisch – wird dieser
Auffassung zufolge mit der Klasse aller – tatsächlichen wie möglichen – Perspektiven
auf diesen Gegenstand in den privaten Welten der einzelnen Beobachter identifiziert.“42
Wie fruchtbar ist dies? Die Beziehung zwischen Ding und Erscheinung wird
anscheinend umgekehrt. „Das Ding wird zu etwas Synthetischem, anstatt an sich
vorgegeben zu sein.“43 Wird das transzendentale Ding so zum Ding logischer Spielerei?

4. Moore und sein Beweis


Moore geht von Kants Einteilung der Dinge aus. Kant unterscheidet davon drei Arten.
Die transzendentalen Dinge, die sinnlich nicht wahrnehmbar seien, aber außerhalb und
unabhängig von uns existieren. Sie seien weder räumlich noch zeitlich. Diese Dinge
klammert Moore aber bei seinen Betrachtungen aus.44 Daneben gebe es die Dinge, die
sich in Raum und Zeit befinden. Raum und Zeit sind bei Kant Formen der Anschauung.
Deshalb unterscheidet er wiederum äußere und innere Anschauung. Dinge in Raum und
Zeit seien Dinge der äußeren Anschauung und somit wirklich. Das seien die alltäglichen
Gegenstände unserer Wahrnehmung. Dinge der inneren Anschauung seien nur innerhalb
der Zeit, dies seien alle geistigen Vorgänge.45 Moore konzentriert sich auf die Dinge der
äußeren Anschauung, sucht aber nach einer treffenderen Bezeichnung für die Dinge
außerhalb von uns, denn diese sei, wie auch Kant deutlich gemacht habe, zweideutig.
Die Bezeichnung 'Dinge, die im Raume anzutreffen sind', sei klarer.46
Moore unterteilt nun diesen Raum. Dort gebe es Dinge, die im Raum anzutreffen sind,
aber auch Dinge, die im Raum vorgestellt werden. Dinge, die im Raum vorgestellt

kritsieren die fehlende Intersubjektivität der Sinnesdaten. Es fehle zudem ein Kriterium für
Korrektheit von Wahrnehmungen (siehe hier Wittgensteins Privatsprachenargument). Zudem werde
der semantische Internalismus vorausgesetzt, der wiederum selbst sehr umstritten ist. (Vgl. Baumann,
137-138, 268-269.)
41 Vgl. Otte, 2004, XL.
42 Otte, 2004, XXXVIII – XXXIX.
43 Otte, 2004, XLI.
44 Vgl. Moore, 1959, 139.
45 Vgl. Kant, 1998, 487-489; vgl. Moore, 1959, 139.
46 Vgl. Moore, 1959, 130.

11
werden, sind laut Moore nicht intersubjektive optische, akustische, haptische oder
ähnliche Sinnesphänomene. Ein optischer Fleck im Auge, verursacht durch eine starke
Lichtquelle, kann nur eine Person sehen. Der Fleck sei deshalb im Raum vorgestellt,
aber nicht im Raum anzutreffen. Ebenso sei das mit Schmerzen, die zwar räumlich
gefühlt, aber nicht räumlich vorhanden seien.47 Nicht alles, was im Raum vorgestellt
werde, sei deshalb auch im Raum anzutreffen. Und nicht alles, was im Raum
anzutreffen sei, werde im Raum vorgestellt. Dinge, die im Raum anzutreffen sind, seien
unabhängig von der Wahrnehmung durch einen Betrachter. Dass ein Ding im Raum
existiert, impliziere nicht, dass es intersubjektiv wahrgenommen werden muss. Dies sei
möglich, aber nicht zwingend.48
Moore versucht nun einen Beweis zu konstruieren. Zentral ist dabei der Schluss von
mindestens zwei existierenden Dingen auf Dinge, die im Raum anzutreffen sind.49 Er
schreibt hierzu: „If you have proved that two plants exist, or that a plant and a dog exist,
(….) etc. etc., you will ipso facto have proved that there are things to be met with in
space: you will not require also to give a separate proof that from proposition that there
are plants it does follow that there are things to be met with in space.“50 Er betont, dass
aus dem Satz „zwei Hunde existieren“ zwar folgt, dass zwei Dinge im Raum
anzutreffen sind, aber nicht eindeutig folgt, dass zwei Dinge außerhalb unserer
Vorstellung bzw. Geist existieren.51 Die Begriffe 'ein Ding, das im Raum anzutreffen ist,'
und 'ein Ding außerhalb unseres Geistes' seien nicht synonym zu gebrauchen.52
Er betont, dass alle Sinnestätigkeiten genauso wie Denken, Erinnern oder Vorstellen
mentale Erscheinungen und damit Erfahrungen sind. Es seien hierbei drei wichtige
Punkte zu beachten. Wenn jemand zu einer bestimmten Zeit eine Erfahrung mache,
dann sei er zu dieser Zeit (1) entweder bei Bewusstsein oder (2) träumend oder (3)
erlebe etwas vergleichbares (etwa eine Vision). D.h. ein Schmerzgefühl ist insofern
innerhalb des Geistes als es nicht existieren würde, wenn die betreffende Person diese
Erfahrung nicht machen würde. Der eigene Körper sei niemals nur innerhalb des
Geistes, da er auch unabhängig von der gegenwärtigen Erfahrung existiere.53 Aus dem

47 Vgl. Moore, 1959, 131-133.


48 Vgl. Moore, 1959, 132, 134-135.- Während Kant m.E. keinen Unterschied macht zwischen Dingen,
die im Raum anzutreffen sind und Dingen, die im Raum vorgestellt werden, denn nach ihm ist der
Raum ja an sich subjektiv, nutzt Moore die Bezeichnungen, um verschiedene Phänomene zu
unterscheiden. Moore weicht somit stark von Kant ab.
49 Vgl. Moore, 1959, 137.
50 Moore, 1959, 137-138.
51 Vgl. Moore, 1959, 138.
52 Vgl. Moore, 1959, 138-139.
53 Vgl. Moore, 1959, 141-143.

12
Satz „es existieren Dinge außerhalb des Geistes“ folgt nicht, dass es sich dabei um
Dinge handelt, die im Raum angetroffen werden können. Dies sind beispielsweise
Gefühle anderer Lebewesen (z.B. Tiere).54 Seine Folgerung deshalb: Wenn ein Ding im
Raum angetroffen werden kann, dann ist dies auch außerhalb unseres Geistes. Aber
wenn ein Ding außerhalb unseres Geistes ist, dann heißt dies nicht, dass es auch im
Raum angetroffen werden kann.55 Wenn er nun nachweisen könne, dass mindestens
zwei von einander verschiedene Dinge existieren, dann folge daraus, dass es Dinge
gebe, die im Raum angetroffen werden können und daraus folge wiederum, dass diese
außerhalb unseres Geistes sind.56 Der Beweis gestaltet sich also wie folgend. Erster Teil
des Beweises: (1a) Ich mache jetzt hier mit meiner menschlichen Hand eine gewisse
Geste. (2a) Ich mache mit meiner anderen menschlichen Hand, die von der Hand in (1)
verschieden ist, eine gewisse Geste. (3a) Also: Jetzt existieren zwei verschiedene
menschliche Hände. Zweiter Teil: (1b) Jetzt existieren zwei menschliche Hände. (2b)
Also: Es sind zwei verschiedene Dinge im Raum anzutreffen. Und schließlich: (1c) Es
sind zwei verschiedene Dinge im Raum anzutreffen. (2c) Also: Es existieren zwei
verschiedene Dinge außerhalb meines Geistes.57
Zu seiner Verteidigung führt er an, dass dieser Schluss sämtliche Kriterien eines
gültigen Beweises erfülle: (1) Die Konklusion ist nicht in der Prämissenmenge
enthalten. (2) Die Prämissen sind wahr. (3) Die Konklusion folgt logisch aus den
Prämissen. Er betont, dass (2) gilt, weil er in dem Moment einfach wusste, dass er mit
einer Hand eine gewisse Geste mache und mit der anderen ebenfalls. Es sei absurd, zu
sagen, dass er dies nicht gewusst, sondern nur geglaubt habe.58 So könne er noch viele
weitere solche Beweis für die Existenz von Dingen außerhalb unseres Geistes
erbringen.59 Es sei ihm bewusst, dass einige Philosophen behaupten werden, dies sei
kein zufriedenstellender Beweis. Sie würden einen Beweis für die von ihm genutzten
Prämissen verlangen. Dies habe er nicht versucht und dies sei seiner Meinung nach
auch vollkommen unmöglich: „If this is what is meant by proof of the existence of
external things, I do not believe that any proof of the existence of external things is
possible.“60 Um einen solchen Beweis zu versuchen, müsse man zuerst beweisen, wie es

54 Vgl. Moore, 1959, 143.


55 Vgl. Moore, 1959, 143-145.
56 Vgl. Moore, 1959, 145.
57 Vgl. Moore, 1959, 146.
58 Vgl. ebd..
59 Vgl. Moore, 1959, 147.
60 Moore, 1959, 149.

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Descartes bereits angedeutet habe, dass man nicht träumt. Es sei ihm sehr naheliegend,
dass er wach sei, aber er könne dies niemals beweisen. Manche könnten nun einwenden,
wenn er dies nicht beweisen könne, dann seien seine Beweise wertlos. Er hält dies aber
für einen Fehler und argumentiert hier klar epistemologisch externalistisch, denn er
könne Dinge wissen, die er nicht beweisen könne. Und dazu würden auch die Prämissen
seines Beweises gehören.61
Peter Baumann widmet in seinem Lehrbuch zur Erkenntnistheorie Moores Beweis nur
einen kurzen Absatz und die von Moore selbst angesprochene Enttäuschung ist
Baumann deutlich anzumerken, wenn er schreibt: „Ist es wirklich denkbar, dass ein
Philosoph diesen Kalibers im Ernst ein derart schwaches Argument vorgebracht hat?
War es vielleicht eher ironisch gemeint? Wollte er vielleicht z.B. andeuten, dass man
den Zweifel an der Existenz der Außenwelt gar nicht sinnvoll ausdrücken und deshalb
auch nicht ernst nehmen kann?“62 Aber bei Baumann entsteht der Eindruck, Moore habe
diesen Beweis eventuell in einem Vortrag schnell scherzhaft ''aus dem Ärmel
geschüttelt''. Aber die Tatsache, dass er diesem Beweis in seinen Philosophical Papers
ein eigenes Kapitel widmet und ihn dann auf der Breite von ganzen vierundzwanzig
Seiten entwickelt, scheint ganz und gar nicht den Eindruck zu machen, dass Moore
diese Ausführungen komplett ironisch meinte. Dem sehr akkurat wirkenden Text selbst
ist auch kein ironischer Beiklang anzumerken. Und im Grunde ist Moores Beweis, wie
er schon selbst schreibt, kein Argument gegen das Traum-Argument von Descartes.

5. Fazit
Um eine Antwort auf Frage nach dem Wissen über die Außenwelt zu finden, müsste,
wie Barry Stroud richtig erkannt hat, zuerst der Begriff des Wissens geklärt werden.63
Und hier begegnet uns bereits das erste Problem. Es gibt verschiedene
Wissensdefinitionen, die jeweils mindestens eine Schwäche haben, d.h. wir kennen bis
heute keine zufriedenstellende Definition von Wissen. Je nach Wissensdefinition kann
auf das cartesische Außenwelt-Argument verschieden reagiert werden. Doch jede
Entgegnung bringt zwangsläufig die Schwächen der jeweiligen Definition mit sich und
bietet somit keine endgültige Lösung.64 Um mit einem skeptische Argument zurecht zu
kommen, braucht es etwas Unbezweifelbares. Auch Russell und Moore haben dies

61 Vgl. Moore, 1959, 150.


62 Baumann, 2002, 287.
63 Vgl. Stroud, 1996, 80.
64 Einige Entgegnungen dieser Art finden Sie bei Baumann, 2002, 285.

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erkannt und beziehen sich deshalb auf die unmittelbaren Gegenstände unserer
Wahrnehmung (Sinnesdaten) und die logischen Gesetze. Diese werden einfach gewusst.
Peter Baumanns Lehrbuch zur Erkenntnistheorie hilft hier bei der Einordnung von
Russell und Moore, indem Stärken und Schwächen bestimmter von ihnen
eingenommener Standpunkte erläutert werden. Und so haben wir beispielsweise
gesehen, dass die Sinnesdatentheorie bei weitem kein so sicheres Fundament bildet, wie
Russell und Moore behaupten.
Moore stützt sich auf Kant und entwickelt einen Beweis, dessen Konklusion mit
Verlaub trivial ist und zudem die Problemstellung verfehlt. Hier ist Baumanns
Einschätzung im Grunde zuzustimmen. Russell versucht das Problem von Hinten
aufzurollen, indem er ein System entwirft, in dem Erkenntnis auf Relationen zwischen
Sinnesdaten und dem wahrnehmenden Subjekt reduziert wird.65 Die Gegenstände hinter
den Erscheinungen werden in diesem System als Gesamtheit aller Erscheinungen
logisch konstruiert und auch dies ist nicht unproblematisch. Denn die wirklichen
Gegenstände werden so schließlich in Abhängigkeit von ihren Erscheinungen definiert.
Erscheinen somit die Erscheinungen nicht wirklicher als die wirklichen Gegenstände?
„Russell fürchtet eine überbordende Vielfalt der Dinge und Welten. Es geht ihm immer
um das logisch Ableitbare und Notwendige. Die Logik soll es andererseits (…) mit der
einen Welt zu tun haben. (…) Russells realistische Logikauffassung ist die größte Stärke
seiner Methode und eine gravierende Schwäche seiner Erkenntnistheorie zugleich.“66
Die Sinnesdaten sind isoliert und instabil und logisches Schließen ist eine begriffliche
Angelegenheit und hat mit Wahrnehmung wenig gemein.67 Beides in einen
Zusammenhang zu bringen scheint schwer möglich. Für die Anwendung der Logik
benötigen wir Namen und Kennzeichnungen als Bezugspunkte. Eine instabile Welt
besitzt keine Bezugspunkte.68 Werden Bezugspunkte innerhalb unserer Eindrücke
gesetzt, so sind damit zwangsläufig Existenzbehauptungen verknüpft. Die Anwendung
von Logik auf dem Gebiet der Wahrnehmung bringt zwangsläufig mindestens eine
problematische Existenzbehauptung mit sich. Und so fallen beide Philosophen,
nachdem sie eingestehen mussten, dass auch ihre Lösungsversuche im Grunde
gescheitert sind, auf einen pragmatischen bzw. skeptischen Standpunkt zurück.

65 Vgl. Otte, 2004, XXXVII, XLIV-XLV.


66 Otte, 2004, XLIV.
67 Vgl. Otte, 2004, XLIV-XLVI.
68 Wenn sich Sinnesdaten ständig ändern, dann kann man auch nicht von einem bestimmten Ding oder
Ort sprechen, auch nicht von ein und demselben Ort wie er zum einen und wie er zu einem anderen
Zeitpunkt besteht.

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6. Literaturverzeichnis

Baumann, 2002
Baumann, Peter: Erkenntnistheorie. Lehrbuch Philosophie, Stuttgart-Weimar
2002.
Kant, 1998
Kant, Immanuel, Timmermann, Jens (Hrsg.): Kritik der reinen Vernunft, nach
der 1. u. 2. Orig.-Ausg., Hamburg 1998.
Moore, 1959
Moore, George Edward: Philosophical papers. New York 1959.
Otte, 2004
Otte, Michael: Was können wir wissen? Was sollen wir tun?, in: Russell,
Bertrand, Otte, Michael (Hrsg.): Unser Wissen von der Außenwelt, bearb. v.
Michael Otte auf der Grundlage der Übersetzung von Walther Rothstock,
Hamburg 2004. IX-XLVIII.
Russell, 1969
Russell, Bertrand: Our knowledge of the external world. As a field for scientific
method in philosophy. London 51969.
Russell, 2004
Russell, Bertrand, Otte, Michael (Hrsg.): Unser Wissen von der Außenwelt,
bearb. v. Michael Otte auf der Grundlage der Übersetzung von Walther
Rothstock, Hamburg 2004.
Stroud, 1996
Stroud, Barry: Das Problem der Außenwelt, in: Grundmann, Thomas (Hrsg.) :
Philosophie der Skepsis. Paderborn-München-Wien [u.a.] 1996, 77-104.

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